Ernst Barlach
Fragmente aus früherer Zeit
Ernst Barlach

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Junge Sturmgedanken

Was wußte ich bisher, wo die Brut der Donner- und Sturmgedanken groß wird! Woher sie denn so allgewaltig auferstehen, wenn nur ein Mensch seine Stahlfeder auf ein Stück Papier setzt oder wenn er seine Lippen voneinander tut, wie sie da riesenmäßig neben ihm stehen und seinen Worten gehorchen wie Bullenbeißer!

Wie sie tosen und das Wortmeer zu Wogen empören, daß sie in die Ferne brausen, sich überschlagen und gegen die steinernen Felsen donnern und die steinharten Herzen erschüttern! Ob es Wechselbälger sind aus Eiern, die der Vogel Greif den Menschen in den Busen legt wie ein Kuckuck den armen, kleinen Singvögeln in die Nester?

Jetzt weiß ich was davon, und ich glaube, es ist so. Denn es lebt jemand, in dessen Herz wächst eine Brut groß – eine Zucht eisenschnäbliger Gedanken. Und da sind dem tragenden Vogel Greif seine Rieseneier allzu schwer geworden, und er hat Eile gehabt, seiner Last ledig zu werden, und hat nicht gefragt, wie schwach das Nest gefügt war, in das er sie niederfallen ließ aus der Flughöhe.

Hätte er doch sein leeres Herzennest besser bewacht, an dem der Vogel Greif auf der eiligen Suche in seinem Drange zufallgeleitet vorbeisegelte! Denn er mußte ja wissen, daß es für Greifeier nicht taugte und zur Aufzucht für Riesengedanken zu klein war.

Aber da sind sie und wachsen, Junge einer ungefügen Art, haben schon schwere Leiber und dicke, breitfedrige Flügel. Das wird einen Donner geben, wenn der Schwarm sich aufhebt, wenn er nicht nur zum Scherze die Flügel lüftet und prahlhänsig ins Leere haut, wenn er wirklich die Luftwellen unter sich nimmt und auf den Flügeln schwimmt!

Und es wird einen Sturm geben, wenn die Eisenschnäbligen sich des Piepens entwöhnt haben und die Mäuler aufreißen zum Singen. Die Leute werden ihn steinigen, sage ich im voraus, wenn ihnen der Flügeldonner die Trommelfelle sprengt und der Sturmgesang an den selbstzufriedenen Gemütern rüttelt und gegen die stumpfen Schädel prallt und die fahlen Herzen beizt, blau und schwarz! Dann heißt es laut: Wer hat die Brut groß gezüchtet, in wessen Hirn sind sie geheckt und in wessen Herzen?

In dessen Busennest sie wachsen, der wollte aber, sie wären erst flügge, denn es wird ihm schwer, sie zu ernähren. Er hätte sein eigen Herzblut wohl nötig und wird mager bei der Aufzucht so schmarotzender Riesenküken aus raubsüchtigem, gewalttätigem Geschlechte, ungefragt ins Nest gelegt von Greifeneltern, die in blauen Himmelsnestern horsten und hausen.


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