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XXIV

Ich frage mich immer wieder zuweilen, ob es nicht doch gescheiter gewesen wäre, 1892 statt in die Salesianergasse 12 lieber nach Eferding, Hellmonsödt oder Kirchdorf zu ziehen, in irgendein oberösterreichisches Nest, wo der Ertrag meiner Arbeit von zwei Monaten reichlich genügt hätte, die übrigen zehn freiherrlich faulenzen zu dürfen und nur wenn »die Muse« sehr zudringlich würde, mich mit ihr einlassen zu müssen; ein Dasein ungefähr wie das Leibls und Sperls, das Ludwig Speidel einmal, dem selber auch ein stilles Heimweh nach dem Hahn auf dem Mist zeitlebens nie ganz verstummte, mit unvergeßlicher Meisterschaft geschildert hat. Dann läge heute kaum ein Zehntel meiner Schriften vor und dieses Zehntel wäre ja natürlich auch nicht mehr, weil niemand mehr geben kann, als er zu geben hat, aber jedes einzelne Stück davon wäre mehr, und der Leser, gar aber der arme Germanist, der mit einer Dissertation über mich wird promovieren wollen, hätten es leichter. Nur war ich mir dann doch das Beste meines Lebens schuldig geblieben: ich hätte nicht Tausenden helfen können; ich möchte nicht auf das Gefühl verzichten, zwanzig Jahre lang der große Nothelfer der österreichischen Kunst gewesen zu sein, und trage dafür gern den Undank, mit dem dieses Geschäft nun einmal besteuert wird.

Mir ist Witterung für Talent gegeben. Wenn irgendwo Talent erscheint, spür ich's an einem Zucken in mir und daß es Talent in der Welt gibt, beseligt mich, die Sonne scheint dann noch einmal so schön. In dieser Seligkeit über, das Dasein von Talent geschieht es mir zuweilen, daß ich nach den Bedingungen, nach den Wirkungen, nach Wesen und Wert dieses besonderen Talents, das mir gerade begegnet, und ob es nicht etwa, was doch auch vorkommen kann, dem Bösen, der Nacht, dem Nichts angehört, nicht oder doch erst spät frage. Talent hat mich nie wertblind gemacht, aber auch unwertes Talent behielt einen Reiz für mich. Ich weiß und wußte stets, daß zur Kunst noch mehr als Talent gehört; es muß nur aber da sein. Man ist mit der schönsten Stimme noch kein Sänger, sie bleibt aber immerhin erwünscht. In alten überreifen Kulturen, auf die das Gewicht zu schwerer Erbschaft drückt, entsteht aus Notwehr ein starkes Mißtrauen gegen Talente. Solche von der Last gewaltiger Vergangenheiten gebeugte Kulturen kennen aus eigener Erfahrung ihre Schwäche gegen gewissenloses Talent und da sich das gewissenlose Talent vom unterordneten zunächst nicht eben leicht unterscheiden läßt, ist ihnen Talent überhaupt verdächtig. Unter Franz Josef war das zum System geworden; alle Parteien stimmten darin überein. Und überall, in allen Parteien, in Wissenschaft, Kunst und Politik, immer nur die gut gesinnten Talentlosigkeiten an der Macht sehend, schlug ich mich mit bewußter Einseitigkeit zum Talent, meine Sendung darin erkennend, das fast erloschene Gefühl für Talent wieder anzufachen. Wie man von Animierkneipen spricht, so kann man, was ich diese zwanzig Jahre lang trieb, Animierkritik nennen. Sie war das Gegenteil jenes kritischen »Orakelns«, über das der alte Fontane so lustig zu spotten wußte, ohne selber davor immer ganz sicher geblieben zu sein. Zum Bejahen geboren, hieß ich mein eigenes Empfinden vor Künstlern und ihren Werken schweigen, es schien mir unwichtig für sie, mein Ehrgeiz war nicht, wie der der poncifen Kritik, Kunstrichter zu sein, mir genügte, an ihnen die »Forderungen der Zeit« abzulesen, wobei mir zuweilen geschehen sein mag, daß ich manchen mit Tendenzen meiner eigenen Entwicklung etikettierte, von denen ihm selber nichts schwante. Das war im Grunde das gerade Gegenteil von Kritik und eben darin lag der Reiz, die Wirkung und das Verdienst meiner Art von Kritik. Es ist ein großes Glück für meine ganze Generation gewesen, daß ich in so hohem Grad durchaus unkritisch begabt war. Unter den Aktiven meiner Tätigkeit steht kein stärkerer Posten. Merkwürdig aber ist, daß meinem so duldsam unkritischen Sinn, der jeden Wegerich am Rande der Kunst freundlich hegte, dann auch noch das klarste sicherste zuverlässigste Gefühl für die Rangordnung beigesellt war. Mir war auch das kleinste Talent willkommen, aber nur auf seiner Stufe. Meiner Empfindlichkeit für Talent hielt die für Rang das Gleichgewicht. Jene ward willig anerkannt; ihr verdank ich die Stellung eines Führers. Aber als dieser Führer nun auch wirklich führen und die Stufen richtig besetzen wollte, revoltierte Wien gegen mich. Daß ich es durchaus nicht litt, Klimt in einem Atem mit dem in seiner derb zugreifenden, urwüchsigen, vollsaftigen Kraft gerade mir so lieben, innerlich tief befreundeten und erfreulichen Josef Engelhart oder aber Kainz mit dem angenehmen Leopold Kramer oder gar Mahler mit Herrn von Weingartner in einem Atem genannt zu hören, daß ich, auch in der Kunst, Sakrilegien nicht ertrug, daß ich speien muß, wenn nach Wiener Art Talent dem Genie wohlwollend auf die Schulter klopft und der alte Bruckner dem gefeierten Kritiker die Hand küßt, das hat man mir in Wien nicht verzeihen können, wo man in der Kunst immer einer Art Demokratie huldigt, willig anerkennt, aber ohne Wertgefühl, für eingeborenen Wert schon gar nicht, und darauf hält, daß kein Lebender anspricht, worauf in meiner geliebten Heimat erst der Tod ein Recht gibt: in seinem Rang erkannt zu werden. Seit ich fort bin, gibt's in Wien noch manchen Mann von Urteil und Geschmack, der im stillen, bei sich daheim, auch ein ganz sicheres Gefühl für die Rangordnung hat. Nur sind sie klüger als ich und verbrennen sich nicht das Maul. Das Geheimnis meiner Unbeliebtheit, aber auch meiner Macht über Wien lag in der Passion, mit der ich zwanzig Jahre lang nicht aufhörte, mir immer wieder das Maul zu verbrennen. Diese Passion war übrigens gar nicht so neu. Auch Speidel hatte sie; man war sie nur an ihm seit Jahren so gewohnt, daß sie hinging. Und vor Speidel hatte sie Bauernfeld, von dem Speidel einmal gesagt hat, in ihm habe sich Wien einen Schnabel wachsen lassen. Es dauert nur immer lange, bis sich Wien an seinen Schnabel gewöhnt. Wenn ich siebzig sein werde, will ich nach Wien heimkehren. Vielleicht wird man bis dahin dort bemerken, daß es zur Wiener Tradition gehört, sich immer einen zu halten, der den Beruf hat, sich das Maul zu verbrennen.

Wenn meine Lust, den Leuten am liebsten nur immer wieder gerade das zu sagen, was sie durchaus nicht hören wollten, im Grunde beste Tradition der großen Wiener Kritik war, so hab ich dieser Wiener Tradition aber noch viel mehr zu danken: durch sie ward ich zur Selbstbesinnung gebracht und entkam der Gefahr, über meine Verhältnisse zu dichten. Im ständigen Verkehr mit den Meisterwerken der Kunst war ich daran, mir, weil ich sie so stark, so tief, so rein empfand und mich ihnen an Geist völlig gewachsen fühlte, mir nun auch die Kraft anzumaßen, selber ihresgleichen schaffen zu können. Erst das Beispiel anderer lehrte mich, welches Unbehagen Werke verbreiten, denen man anmerkt, daß sich der Dichter dabei fortwährend auf die Zehen stellen muß; das war mir so widerwärtig, daß ich beschloß, eher noch unter mir, um keinen Preis aber jemals wieder über mir zu dichten. Wir hatten ja das schönste Vorbild: an Bauernfeld, der auch zunächst mit dem für seine Verhältnisse zu hohen »Fortunat« begann, aber, von Schreyvogel an sich selbst gewiesen, rechtzeitig noch den Weg zu sich fand, zunächst im »Leichtsinn aus Liebe«, worüber er selber sagt: »Dieses Lustspiel eröffnet den Reigen jener leichtgeschürzten dramatischen Erzeugnisse, die es sich zur Aufgabe machen, die ziemlich harmlose Geselligkeit der früheren Tage auf der Bühne abzuspiegeln. Mittels eines gefälligen Dialogs, nicht ohne gute Laune und Charakteristik, kam ein Stück wirklichen Lebens auf die Bretter, auch boten sich dem Schauspieler dankbare Rollen dar – so verzieh oder übersah man den Mangel einer eigentlichen bedeutenden Handlung und die lose Konzeption.« Ganz dasselbe darf ich Wort für Wort von meinen Lustspielen sagen, deren ich, seit dem »Tschaperl«, fast ein Vierteljahrhundert hindurch fast jedes Jahr eins schrieb. Sie tauchen noch immer wieder gelegentlich von neuem auf. Eins davon, »Das Konzert«, ist in allen Hauptstädten Europas und jahrelang auch in Amerika gespielt worden; es war ein Welterfolg, aber nicht meiner, sondern Wiens: an unserer österreichischen Art zu sprechen können sich die Leute der ganzen Welt noch immer nicht satt hören, nur in Wien hat man dafür nicht mehr viel übrig. Ich selber aber mag von allen diesen Stücken gerade diejenigen am liebsten, die klug genug sind, von ihrer Schönheit den Rezensenten nichts merken zu lassen. Neben diesen durch ihren Gesprächsreiz wirkenden Stücken schrieb ich auch drei von bleibendem innerem Wert: den »Franzl«, der in Linz, zweimal in Wien und gelegentlich später auch noch in Salzburg aufgeführt wurde, dann »Sanna«, von Reinhardt ein paarmal gespielt, und »Die Stimme«, die in Darmstadt und in Wien ausgehöhnt worden ist. Bloß auf diese drei Stücke könnt ich vielleicht eine leise Hoffnung, zur literarischen »Unsterblichkeit« eingelassen zu werden, setzen. Es müßte sonst nur etwa sein, daß mich eine meiner vielen »Entdeckungen«, die man mir zur Last legt, mit hinüber nimmt. Weil ich der erste war, der, schon 1890, auf Mirbeaus Posaunenschall, mit Maximilian Harden zusammen, den Ruhm des jungen Maeterlinck, dann in Wien die Begabung Hofmannsthals, dann das Flammenlicht d'Annunzios verkündet hat, wurde mir der Spottruf des »Entdeckers« angeheftet. Ich tat damit nur, was in anderen Ländern als das Amt des Kritikers angesehen wird. Doch im wilhelminischen Deutschland durfte dieses Amts ja bloß an Särgen gewaltet werden, für Lebende behielt es sich der Kaiser vor, der aber doch auch damit eigentlich nicht sehr viel Glück gehabt hat.

En me créant, Dieu m'a dit: ne sois rien! Diesen Vers Bérangers hat Bauernfeld gern zitiert. Und einmal fügt er hinzu: »Weil ich nichts bin und nichts werden will, konnten meine Freunde mit Recht von mir behaupten: ich sei im Grunde der freieste Mensch in ganz Österreich.« Meine Nichtigkeit ging vielleicht sogar noch weiter. Sie ging so weit, daß ich den Wienern für nichts dankbarer bin als für den großen Aufwand von Mühe, die sie sich gaben, mich nur ja nichts werden, nichts sein, nichts bleiben zu lassen in Wien. Ja sie waren so gütig, auch meiner Frau den reichsten Anteil an dieser wienerischen »Entwerdung« nicht zu versagen. Wien verdanken wir's, wenn sich an uns das österreichische Schicksal ganz rein erfüllt.

»Weit ist der Mensch, allzuweit, ich würde ihn enger machen!« sagt Dmitrij Fedorowitsch zum Aljoscha. Mich aus meinen allzuweiten inneren Weiten ins Enge zu ziehen, aber so, daß ihr Gehalt nicht ärmer, meine Spannung nicht lässiger würde, das war das Problem, um das allein es mir in den zwanzig Wiener Jahren immer wieder ging. Es ist kein Wiener Problem; Wiener kommen schon auf sich verzichtend zur Welt, Spannungen sind ihnen unerträglich und in ihrer Enge, der schönsten fruchtbarsten und reichsten auf Erden, wüßten sie mit Weiten auch nichts anzufangen. Es ist kein Wiener Problem, aber es ist das stärkste von allen Problemen Habsburgs, sein Hauptproblem. Habsburg hat immer die ganze Welt gebraucht; billiger hat's das adeligste Haus der abendländischen Geschichte niemals geben können. Mit zugesicherter Macht über die Welt sich dann in einen Winkel verkriechen, um Uhren zu richten, Sterne zu deuten oder Fugen zu horchen: am eigenen Puls den Schlag aller Schöpfung fühlen, war habsburgisch. Aber es ist nicht bloß das Problem des Hauses Habsburg, es ist auch das Hausproblem eines deutschen Stammes: der Schlesier kommt damit zur Welt. Jeder richtige Schlesier ist ein Karamasow, dem die Flucht aus der Weite gelang, ein im Engen geborgener Karamasow. Weltmeer der Unendlichkeit eingefangen in eine Nußschale: steht da nicht gleich Angelus Silesius vor uns, still lächelnd in Stürmen der Ewigkeit, anmutig auch im Erhabenen noch? So ist es auch kein Zufall, daß der einzige deutsche Lustspieldichter von vollem Maß in Schlesien zur Welt kam, wenn auch niederfränkischen Bluts: Andreas Gryphius. Und ist nicht auch Eichendorff wieder ein solches in der Nußschale beschwichtigtes Weltmeer? Man muß ihn nur ans Ohr des Geistes, halten, um es rauschen zu hören. Auch an Heinrich Laube, ja selbst an Gustav Freytag in seiner argen Verpreußung vernimmt man es zuweilen noch, ganz läßt sich der Schlesier niemals ersticken. Schlesier bin nun dem Stamme nach auch ich, wenn auch mit fränkischen Tropfen im mütterlichen Blut. Dem Schlesier in mir ist keine Weite zu weit genug. »Diesen Kuß der ganzen Welt!« Ich habe mir zu Zeiten die Lippen wund geküßt an ihr, ich wäre der wildeste Bolschewist, ich wäre geschmolzen, zerflossen, entstoben ohne den Franken im Blut, den treuen Gefährten. Aber der Franke, der Bildner unter den deutschen Stämmen, das Auge Deutschlands, sorgt immer wieder für Verengung zur Gestalt, für selige Beruhigung in Gestalt. »Das Ohr ist stumm, der Mund ist taub, aber das Auge vernimmt und spricht. In ihm spiegelt sich von außen die Welt, von innen der Mensch. Die Totalität des Innern und Äußern wird durchs Auge vollendet.« Diese Worte Goethes offenbaren nicht bloß sein eigenes Geheimnis, sondern auch Sinn, Kraft und Ziel, ja die weltgeschichtliche Sendung des Frankenstamms. Dem fränkischen Blut der Mutter dank ich's, daß ich mich in alle Weiten der Vermessenheit wagen konnte, sicher, nicht zu zerrinnen; mein Drang zum Bilde war zu stark. Ich konnte mich mit Dostojewski so tief bis in den Abgrund hinab einlassen, ungefährdet, weil über mich, wie doch auch über ihn selbst, nichts Macht hat, was nicht zuvor zum reinen Bilde geworden ist. Es war die Frage meines Lebens, für welchen von den mir mitgegebenen Impulsen ich mich entscheiden und ob ich die Kraft finden würde, mich doch immer wieder auf die Frankentreue zum Bilde, zur Klarheit, zur Begrenzung zu besinnen. Ich wäre freilich ohne diese Besinnung viel interessanter. Daß ich sie fand, aus allen Gefahren doch immer wieder zu ihr durchfand und sie jedesmal auf einer höheren Stufe wiederfand, das ist der Inhalt meiner Wiener Zeit. Als ich fühlte, daß ich dadurch für Wien ganz uninteressant geworden war, ging ich. Aber ich kann dieser schönsten Gestalt Habsburgs doch nie vergessen, was ich ihr schulde: der Blick von meiner freien Ober Sankt Veiter Höhe, das weiße Kirchlein zur Linken, an den hohen Pappeln hin über den Silberglanz der wogenden Stadt ins Unendliche blauer ungarischer Fernen, hat mich erst die Stimmen meines Bluts recht verstehen lassen. Als ich so weit war, verlangte mich, mein Inneres abzubilden. Noch in Ober Sankt Veit schrieb ich »Die Rahl«, »Drut« und »O Mensch«; in Salzburg folgten »Himmelfahrt« und »Die Rotte Korahs«. Geplant sind zwölf solche Romane. Wer sich so deutlich in den Raum Bauernfelds verwiesen weiß wie ich, sollte vor dem Verdachte bewahrt sein, sich mit Balzac messen zu wollen; es ist ungefähr, wie mir zuzumuten, ich hätte mit dem »Konzert« den Sommernachtstraum überbieten wollen. Ich fühle mich unter den heutigen deutschen Kollegen zu keinerlei Bescheidenheit veranlaßt. Jeder Blick nach der Weltliteratur aber zeigt mir meine Nichtigkeit; ich bedarf gar nicht erst der freundlichen Bemühungen des deutschen Rezensenten, dem ja, was man »Niveau« nennt, ein unzugänglicher Begriff bleibt. Gerade jetzt las ich im Fieber einer Münchener Grippe Le lys dans la vallée Balzacs; ich les alle drei Monate einen der großen Balzacs wieder. Wer so frevelhaft hoffärtig wäre, dabei dann überhaupt noch an sich selber denken, sich daran, daß auch er zu schreiben wagt, erinnern zu können, müßte freilich zunichte werden. Es hätte dann aber ja nach Homer doch überhaupt nicht mehr gedichtet werden können; nur der Schamlosigkeit, mit der sich die Dichter durch kein Meisterwerk jemals im Weiterdichten stören ließen, verdanken wir das Entstehen von Literaturen. Auch der brave Horaz schon, ruhig eingestehend, daß er kein Dichter ist, da nur

Ingenium cui sit, cui mens divinior, atque os
Magna sonaturum, des nominis huius honorem,

hat sich dadurch keinen Augenblick beunruhigen lassen. Es ist sehr unheimlich, daß weder mit Grünewald noch mit Greco noch mit Velasquez die Malerei, daß die Musik nicht mit Palestrina, nicht schon mit der ägyptischen aufgehört hat. Jeder empfindet das zuweilen im stillen stark, keiner ist noch dadurch gebessert worden. Und ich überhob mich ja nie, den Plan einer Comédie humaine zu fassen. Nur meine Welt an innerer Figur will in jenen Romanen erscheinen; sie versuchen mein inneres Alphabet durchzubuchstabieren. Ich bin zunächst nach dem fünften stecken geblieben; der sechste, mir ganz gegenwärtig, zögert noch immer. Ich bin ja jetzt endlich so weit, in allem irdischen Geschehen, überall, ja bis in des Menschen geheimste Tiefen der letzten Einsamkeit hinein, den Doppelkampf zu sehen: Kampf von Natur und Übernatur in ihm, aber darüber in den Lüften auch noch den Kampf von Übernatur mit Übernatur um ihn, der gottestreuen Übernatur mit der abgefallenen, der himmlischen Mächte mit den dämonischen; und der Kampfpreis ist das Angesicht unserer lieben Erde. Doch diesen Roman, der den großen Atem will, neben meiner Tagesarbeit her zu schreiben, bin ich, so sehr ich mir ein fließendes Diktat erhoffen dürfte, nicht mehr jung, vielleicht auch nur nicht mehr gewissenlos genug. Aussicht aber, noch einmal für sechs Monate von Tagesarbeit frei zu werden, fehlt. Mir abends vor dem Einschlafen seine Gestalten erscheinen zu lassen, ist übrigens auch ganz schön, ja vielleicht, wer weiß?, schöner, als mir der Roman selber im Wachen am Ende würde. Der Krieg hat unsere ganze Kultur zerstört, da wäre doch die Klage, durch ihn um einen Roman zu kommen, lächerlich.


Jeder Weg zum rechten Zwecke
Ist auch recht in jeder Strecke.

Dieses Goethewort, so jesuitisch, und jesuitisch in jedem, im gemeinen, aber auch im höchsten, im wahren Sinn des Worts, hat sich mir immer wieder bestätigt. Auch ich komme mir vor wie Saul, der Sohn Kis, der ausging, seines Vaters Eselinnen zu suchen, und ein Königreich fand. Ich ging jahrelang immer wieder auf Eselinnen aus und kam nicht zur Ruhe, bis ich das ungesuchte Königreich durchaus nicht mehr vermeiden konnte. Meiner Zeit richtiges Kind, gab ich jedem Irrtum Gehör, aber welchem Wahn immer ich eilends nachlief, Wahrheit war noch schneller, sie holte mich doch wieder ein. Vergeblich tat ich alles, meinen Schutzengel abzuschrecken, er ließ nicht von mir; jahrelang gaben wir beide nicht nach und maßen uns täglich aufs neue, wer stärker wäre. Ich ging immer von mir weg, er brachte mich doch mir immer näher. Mein eigenes Tun war immer falsch, aber was mit mir geschah, behielt immer recht. Mein Tun war sinnlos, aber was mit mir geschah, gibt meinem Leben seinen stillen, gewaltig großen Sinn. Insgeheim war ich mir dieser sicheren inneren Führung stets bewußt, aber auch damit trieb mein trotziges Gemüt nur wieder neuen Mißbrauch: Gnade wurde mir nicht bloß geschenkt, ich muß schon sagen, daß sie mir aufgedrängt worden ist, und ich sündigte darauf, spöttisch neugierig immer wieder erprobend, ob sie sich denn auch das noch von mir bieten lassen würde. Vor dem ungeheuren Anblick der Langmut Gottes bin ich endlich in die Knie gebrochen. Seit meiner Pariser Zeit, seit 1889, hab ich mich Tag um Tag unablässig gegen die Gnade mit Fußtritten gewehrt. Und erst 1904, als ich innerlich bis an die Wurzel krank und von den Ärzten aufgegeben war, da blieb mir nichts übrig, ich hatte keine Kraft mehr, ich ließ die Gnade gewähren. »Οὐ χρείαν ἔχουσιν οἱ ὑγιαίνοντες ἰατροῦ, ἀλλὰ οὗἱ ϰακῶς ἔχοντες. Οὐϰ ἐλήλυϑα ϰαλἔσαι δικαίους, ἀλλὰ ἁμαρτωλοὺς εἰς μετάνοιαν.« Novalis sagt einmal: »Die Sünde ist der große Reiz für die Liebe der Gottheit. Je sündiger man sich fühlt, desto christlicher ist man.« Das ist ein fast verrucht dreistes Wort, aber auch ich habe mir, im Gefühl meiner grenzenlosen Unwürdigkeit, die Rettung nicht anders erklären können als wie wenn gerade mein Widerstand, mein Sündentrotz, mein Gottesspott die Gnade gereizt hätte, mir ihre ganze Wunderkraft zu zeigen. Daraus erwächst mir aber freilich, seit ich erkannt habe, seit ich im Wahren bin, seit ich sehe, nun eine hohe Pflicht: nicht etwa mir anzumaßen, daß ich des Unverdienten nachträglich doch vielleicht noch irgendwie »würdig« werden könnte, was undenkbar ist, aber immerhin mein Leben sozusagen von vorne zu leben: zum erstenmal wirklich zu leben. Es ist nun auch schon wieder fast zehn Jahre her, seit ich begann, das zu versuchen.

Ich bin Katholik von Geburt. Daß ein geborener Katholik aufhören kann, Katholik zu sein, scheint mir so wenig denkbar als daß ein geborener Deutscher aufhören kann, ein Deutscher zu sein. Er kann aufhören, von sich Gebrauch zu machen. Er kann über sein wirkliches Wesen ein künstliches legen, durch das seine Natur verdeckt und ihr das Atmen erschwert wird. Zu den stärksten Eindrücken meiner Kindheit gehört, daß der Onkel Anastas nach seinem Schlaganfall, als er ein Dokument zeichnen sollte, lange gequält nachsann, dann aber, während er sonst so stolz den Hofrat und den »Ritter von« breit hinzumalen gewohnt war, einfach wieder »Anastas Weidlich« unterschrieb. In großen Erschütterungen fällt der Verputz von uns weg; auf einmal sind dann wieder nur wir selber noch da. Der Josefinismus, in dem ich aufwuchs, ging darauf aus, den Menschen so zu verputzen, daß er vor lauter Verputz sich selber nicht mehr gewahren konnte. Bei mir gelang das nicht, weil ich von klein auf jeden Verputz gleich wegkratzte, um einen neuen aufzutragen; so konnte keiner je ganz trocken werden und es zog immer Luft durch, mein Wesen mußte nicht ersticken. Dies war auch der Grund, weshalb mich richtige wilhelminische Menschen, denen gut gelüftete Wesen ein Greuel sind, oberflächlich fanden. Ich bin in der Tat an der Oberfläche nicht wesentlich, weil in mir für das Wesen andere Räume da sind; das Meer, zum Beispiel, ist auch oberflächlich, weil es Tiefen hat, für die anderen Bedürfnisse. Daß ich mir niemals einreden ließ, Verputz sei zudem auch noch viel mehr als Verputz, will man mir nicht verzeihen.

In meiner Lebenskraft und in meiner Lebensform blieb ich immer Katholik. Als ich mich, 1904, sterbenskrank darauf besann, war ich zunächst noch zu stark in der abergläubischen Furcht vor der Kirche befangen; Kirche klang mir von Jugend auf als Schreckenswort. Burckhard und ich gefielen uns damals eine Zeitlang als neue Rosenkreuzer; wir wollten Katholizismus, aber einen sozusagen selbstgebackenen, »ohne Pfaffen«. Da war's ein Satz Nietzsches, der mir den letzten Star stach. In »Jenseits von Gut und Böse« las ich: »Denn ›autonom‹ und ›sittlich‹ schließt sich aus.« Gerade solche Selbstverständlichkeiten müssen uns immer erst gesagt werden, um einzuleuchten. Nun war mir klar, daß es wählen und wenn meine Wahl für »sittlich« entschied, auf »autonom« verzichten hieß. Im Begriff »sittlich« selber lag ja schon Anerkennung einer Autorität. Die Frage war nur noch: welcher Autorität? Der eines Buchs, aus dem, wie heilig es immer sei, jedermann sein eigenes Gelüst heraus, in das jedermann seinen Eigensinn hineinliest? Wer aus Erfahrung weiß, daß ihm doch dasselbe Buch jedesmal, wenn er es wieder liest, ganz etwas anderes sagt, der wird, auch wenn er ganz sicher ist, das Buch der Wahrheit in Händen zu haben, doch daran verzweifeln, selber diese Wahrheit nun aber auch darin zu finden. Vor dem Ausbruch jener grauenhaften Geistesverwirrung, die Rationalismus genannt wird, wäre kein Mensch auf den bodenlosen Einfall gekommen, sich Wahrheit aus den Fingern saugen zu können. Kant ist der Arzt, der das Abendland davon geheilt hat. Ich hatte doch von Jugend auf zu viel Zucht in Kant, um mich am eigenen Zopf aus dem Sumpf ziehen zu wollen. Mein heftiges Verlangen nach Autorität, ohne die das Schöne Gute Wahre, das ich nun einmal nicht entbehren kann, unerreichbar bleibt, konnte durch Menschensinn nicht gestillt werden. Alle Religionen, auch die sich christlich nennen, wiesen mich immer wieder nur an mich selbst; ja wenn ich selber mir genügte, dann hätt ich überhaupt keine nötig! Helfen konnte mir nur Gott in Person. Zu helfen war mir nur durch Eingebung Gottes. Die bloße geschichtliche Tatsache, daß Gott einmal auf Erden erschienen und für uns gestorben war, konnte mir auch nicht helfen, so lang er mich allein ließ. Geholfen war mir erst, wenn er selber mich einnahm, sich mir eingab und ich sicher war; fortan immer mehr zu schwinden an mir und zu wachsen an ihm. Von allen Religionen, die ich kenne, bot mir nur die katholische das an; die anderen wagen nicht einmal, es auch nur zu verheißen. Auch ist mein Geist viel zu stolz, um einer Kirche gehorchen zu können, die noch irgendwie die Möglichkeit offen läßt, das Heil könnte doch vielleicht auch ohne sie zu finden sein. Wenn mir eine Kirche zugibt, daß ich sie vielleicht entbehren kann, wird mich der Ehrgeiz, es ohne sie zu versuchen, nicht ruhen lassen. Nur die Kirche, extra quam nulla salus, lohnt überhaupt einen Versuch. Denn wenn's vielleicht doch auch ohne sie geht, wozu dann erst? Eine Kirche, die selber sich bloß sozusagen als eine von vielen Varianten eines verlorenen Textes fühlt, kann mich nicht sichern; und Ungewißheiten hab ich an mir selber genug.

Ich muß zu meiner Beschämung gestehen (den einzigen Wert, den ein Selbstbildnis vielleicht ansprechen darf, kann es nur von unerbittlicher Aufrichtigkeit erwarten), daß, als es mit mir so weit war, ich zunächst nur auf Probe, sozusagen versuchsweise Katholik wurde: ich machte das Experiment des Katholizismus mit mir; mein Intellekt log mir, als ich von der Gnade schon umwachsen, mein Handeln schon durchaus von der Gnade gelenkt, mein Wille schon durch die Gnade befreit war, noch immer vor, es komme mir doch eigentlich nur auf Gewinn psychologischer Erfahrung an. Bis ich eines Tages lachend erwacht mit Augen sah, daß es doch gar kein Experiment, daß ich einfach immer, wenn auch unwissentlich, Katholik geblieben, daß ich, tief bei mir selbst, mein Leben lang in allen lebendigen Stunden, »in besseren Stunden, in den Stunden Christi«, wie Dostojewski sagt, sobald ich aus mir selber Atem holte, doch immer Katholik gewesen war. Was man meine Konversion nennt, war einfach ein Bekenntnis zu mir selbst.


Damit war ich nun endlich auch den dümmsten aller Aberglauben völlig los, gegen den ich zwar innerlich von klein auf schon immer wieder aufbegehrt hatte, doch ohne mich der lähmenden Vergiftung ganz erwehren zu können: den Aberglauben an den Fortschritt. Daß, weil morgen erst kommt, damit allein schon bewiesen sein soll, daß morgen besser sein muß als heute, dieser Vorzug des noch nicht Dagewesenen vor allem was sich durch sein Dasein schon bewiesen hat, dieses Axiom, daß, was sich aus etwas entwickelt, eben darum schon mehr ist, als woraus es sich entwickelt, wie wenn Aufwickeln, Loswickeln schöpferisch wäre, ist so hinreißend widersinnig, daß der gegen Dummheit, besonders wenn sie sich mit einer anmaßenden Feierlichkeit umgibt, immer wehrlose Mensch des Abendlands nicht widerstehen konnte. Dem Aberglauben an den Fortschritt verdanken wir's, daß seit anderthalb Jahrhunderten kein Mensch mehr seiner selbst, seiner Tat, seines Lebens mehr froh werden konnte: wenn das Heute doch morgen nicht mehr gilt, wenn nichts Heutiges bleibt, wenn der Sinn des Sohns darin liegt, vom Vater fortzuschreiten, wie der Sinn des Enkels, fortzuschreiten vom Sohn, dann ist das Leben der Menschheit eine sinnlose Flucht von sich selbst weg. Die Zeichen der Zeit waren zu deutlich, um uns diesen Fortschrittswahn zu lassen: alle Schlagworte meiner Generation widerrufen ihn, von der »Decadence« der achtziger, der »Fin de Siècle« der neunziger Jahre bis zum »Untergang des Abendlands«. Daß in uns die Menschheit herabkam, galt uns Söhnen des Fortschritts für ausgemacht; wir kehrten nun das Axiom der Väter einfach um. Unser Unmut war ebenso falsch als ihr Übermut. Es hat ein einziges weltgeschichtliches Ereignis gegeben: den Kreuzestod Gottes. Durch ihn ist das Angesicht der Welt erneut worden. Seither ist, sobald unsere heilige römische Kirche stand, die Menschheit weder entschieden »fortgeschritten« noch entschieden »herabgekommen«, sondern in guten Zeiten blieb sie fest im Rechten, in Zeiten der Schwäche maßte sie sich Neues an und oszillierte dann zwischen Glauben und Unglauben hin und her. Einen »umgekehrten Aberglauben« hat Goethe den Unglauben genannt, »diesen Wahnsinn unserer Zeit«, wie er sagt, darin das Merkmal einer »ohnmächtigen Generation« erkennend, die sich »durchs Erhabene zerstört« fühlt. Die Geistesgeschichte des Abendlands ist seit zwei Jahrhunderten ein einziger Versuch der Ohnmacht, das Erhabene loszuwerden. Der junge Goethe war selber auch ein solcher Versuch. Er überwand ihn, Rom gab ihm die Kraft, sich überwinden zu lernen, die Kraft, dem Erhabenen selbstverzichtend Ja zu sagen, wenn nicht immer durch sein eigenes Dasein, so doch durch sein Werk. Er hat seit der Heimkehr aus Italien seinen Sinn in Bändigung der Willkür, in Ebenmaß, in Gestalt gesetzt. Aber eben als er in sich der niederziehenden Gewalten Herr geworden, brachen sie draußen aus und er sah von dem »seligen Taumel einer großen Nation« bald auch das eigene Volk, ja die Welt ergriffen; alles um ihn »lief mit Blasebälgen herum«, er allein fand es »an der Zeit, nach den Wassereimern zu greifen«. Damals vollendete sich sein italienisches Erlebnis: auf Restauration ging er fortan nicht bloß künstlerisch aus, nicht bloß in der Kunst schien ihm fortan auch nur »Verlorenem nachzustreben selbst schon mehr Gewinn als Neues aufzuhaschen«, auch im Leben trat er jetzt von Prometheus weg entschieden auf Epimetheus zu. Dieses ganze Leben hier auf Erden gilt dem Epimetheus bloß als Stoff, daraus »das höchste Gut« zu schaffen. Achselzuckend fragt, »werkaufregenden« Sinns, Prometheus:

»Das höchste Gut? Mich dünken alle gleich.«

Aus ihm spricht ein neues Deutschland, eine neue Menschheit, so spricht das Bürgertum, das nur noch wirtschaftliche Güter, das kein höchstes Gut mehr kennt, der »Betrieb« spricht aus dem Prometheus der »Pandora« zum erstenmal. Am erloschenen Wachfeuer vor Valmy, vier Jahre nach seiner Heimkehr aus Italien, sagte Goethe: »Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus und Ihr könnt sagen, Ihr seid dabei gewesen.« Es war die Epoche des Betriebs, die damals begann. Er hat sich ihr niemals ergeben, in ihrer völligen inneren Überwindung ruht die Größe seines Werks. Es drängt nicht bloß überall unablässig auf Restauration, es selber ist schon Restauration, wie doch überhaupt jedes deutsche Werk seit Goethe, jedes Werk, dem bloßer Reiz nicht genügt, das Wert will, sein Schöpfer nenne sich romantisch, er nenne sich Grillparzer, Feuchtersleben oder Stifter, er nenne sich George, nur immer wieder auf dasselbe zielt: auf Restauration. Sie wurden durch allen weltdurchtosenden weltvernichtenden Betrieb insgeheim nicht irre, sie hielten im Glauben Goethes aus, daß »die menschliche Natur auf einen unglaublichen Grad gedrückt und erniedrigt, aber nicht unterdrückt und vernichtet werden kann«. Uns aber, die wir den letzten Grad von Bedrückung und Erniedrigung der menschlichen Natur durch den Betrieb erlebt haben, ward dafür gegeben, auch das Ende zu sehen, das Ende der Epoche, die vor Valmy begann. Das Ende des Betriebs ist's, der Aufgang des alten Abendlands, die Wiederkehr der alten Wahrheit. Νῦν κρίσις ἐστὶν τοῦ κόσμου τούτου, νῦν ὀ ἄρχων τοῦ κόσμου τούτου ἐκβληϑήσεται ἔξω. Daß es stinkt, wenn der Teufel ausgetrieben wird, gehört zu seinen Gewohnheiten. Aber dafür wandelt die Menschheit dann wieder einmal ein paar Jahrhunderte lang im Licht des Glaubens.

Im Entwurf der Fortsetzung schließt Pandora damit, daß hinter dem Vorhang hervor ad spectatores Elpore thraseia zutritt: die beherzte Zuversicht. Mir ist das Furchtbarste geschehen, womit ein Mensch auf Erden gezüchtigt werden kann: mein Vaterland zerging in nichts. Ich habe kein irdisches Vaterland mehr; ich bin nirgends auf der weiten Welt, nirgends mehr daheim. Wohin ich mich wenden mag, ich werde, so lang ich lebe, fortan überall nur noch auf Besuch sein. Ich war immer freizügig gestimmt; nichts als diese Freizügigkeit ist mir geblieben. Doch siehe, der dunkle Vorhang meines Lebens rauscht, weiße Hand erglänzt und lächelnd winkt mir Elpore thraseia, die beherzte Zuversicht. Mädchen, Dir geht's wie mir, Du bist heimatlos wie ich, nirgends will man Dich hegen, bleib bei mir, Elpore thraseia!

München, Palmsonntag 1923.

 


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