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XXI

»Veränderte Meinungen, sagt Nietzsche, verändern den Charakter eines Menschen nicht (oder ganz wenig), wohl aber beleuchten sie einzelne Seiten des Gestirns seiner Persönlichkeit, welche bisher, bei einer anderen Konstellation von Meinungen, dunkel und unverkennbar geblieben waren.« Paris gab meinem Gestirn ein neues Licht: das Geheimnis der Form ging mir auf, über dem Reich der Erscheinungen enthüllte sich ein Höheres, und daß ich daran teilnehmen kann, hier in der Zeit schon teilnehmen an diesem ewigen Sein, ja einen Glanz von ihm einlenken auf mich, war mir fortan gewiß. Aber so tief wirkte die josefinische »Bildung«, in der ich aufgewachsen war, diese »Bildung«, die nichts zum Bilde werden, nichts in uns einwachsen, uns nichts erleben läßt, sondern alles gleich wieder dem bloßen Verstand zusteckt, so tief wirkte die Gewohnheit, jedes Erlebnis intellektuell abzutun, in mir noch nach, daß ich mir auch jetzt wieder am bloßen Wissen davon genügen ließ. Es wurde nur wieder eine neue »Meinung« mehr daraus, ich aber blieb derselbe, der Impressionist, ein Sack, mit »Eindrücken« wahllos vollgestopft. Ich ahnte noch nicht, daß man jeden inneren Gewinn mit einem Verlust zu bezahlen hat, daß man immer um ebensoviel schwinden muß, als man wachsen will, daß man nichts hat, so lang man es nicht selber wird. Ich war noch das richtige Kind meiner Zeit, Agglomeration mit Gestalt verwechselnd. So wurde durch mein Pariser Erlebnis der Form, der Schönheit, der Ordnung wesentlich in mir nichts anders; es war nur noch etwas dazu gekommen, ein neuer Himmel erglänzte, doch ich sah nicht ein, warum ich mir deshalb meine Hölle nehmen lassen sollte: beide vor meinen Wagen zu spannen lockte mich, möglichst vielspännig zu kutschieren blieb noch jahrelang meine Lust. Erst 1904, als mir die verlegenen Mienen der Ärzte die Nähe des Todes verrieten, besann ich mich; am Sterben begann meine Wiedergeburt.

Goethe mahnt uns, »das Wort Stil in den höchsten Ehren zu halten, damit uns ein Ausdruck bleibe, um den höchsten Grad zu bezeichnen, welchen die Kunst je erreicht hat und je erreichen kann; diesen Grad auch nur zu erkennen, ist schon eine große Glückseligkeit«. Dies lehrte mich Paris ahnen, und schon der leise Vorgeschmack jenes Schönen, das ja nur der Abglanz des ewig Guten Wahren ist, ließ mich einen Hauch der großen Glückseligkeit so stark empfinden, daß ich mich hinfort gefeit glaubte; wer fähig ist, einen vollkommenen Vers oder auch nur ein leuchtendes Adjektiv zu fühlen, kann auf Erden nicht mehr untröstlich, er kann auch nimmer ganz unwürdig sein, von der Nähe der ewigen Schönheit bleibt ein Strahl auf den Schritten seines Lebens, wohin immer sie sich auch verirren. Ein fast frevelhaft starkes Gefühl dieser Sicherheit überkam mich damals, ich glaubte mich in der Kunst für alle Zeit geborgen und was Flaubert l'éternelle misère de tout nennt, konnte mir, seit ich in die Kunst entrückt war, nichts mehr anhaben; in der Kunst, auf dieser Insel der Seligen mitten in der Brandung des Sinnentrugs, in solcher Abgeschiedenheit von allen irdischen Verlockungen schien mir jeder andere Gottesdienst entbehrlich. Ich war zum Artisten geworden, zum völligen Nichtsalslartpourlartisten. Als maître de l'infini divertissement, wie Suarès einmal sagt, zog ich frohgemut nach Spanien. Denn das Schöne, dem Guten Wahren entwurzelt, wird ein wesenloser Geistestanz.

Durchs Land der Beauce, braunes Ackerfeld mit trägen Windmühlen entlang, fuhr ich über Orléans, Blois, Amboise und Tours in Bummelzügen nach der Gironde die ganze Stilgeschichte der Gotik durch: was gotisch ist, empfand ich im Leben nie wieder mit solcher Macht des Augenscheins als auf dem Schlosse zu Blois, wo man gewissermaßen zusehen kann, wie eine Burg zum Palast wird; und romantischer Burggrafenstimmung, der mein Wesen im Grunde widerstrebt, war ich nie näher als in Amboise, mit dem verwegenen Trutzkirchlein auf der Höhe, das über das gesegnete Land der fast unbeweglichen, blauschwarz ruhenden Loire blickt. So durchs Kirchenland der Touraine, das Wiesental der Vienne hin, kam ich an den Birken der Charente vorbei in Angoulème gerade zurecht, mir den Aufruhr einer Huldigung für ihren neuen Abgeordneten, für Déroulède, anzusehen; Franzosen und Deutschen wird es schwer, einander zu verstehen, weil dieselben Dinge für sie nicht dasselbe Gewicht haben, ja sich in ganz anderen Räumen bewegen. In den Bordelaisen ließ mich das blau dunkelnde Haar, der breite Gang der schweren Hüften, der rauhe Laut schon die Nähe Spaniens ahnen, in Pau stand ich auf der Burg an der Wiege Heinrichs des Vierten, der das heitere Beispiel gab, wie Weltgeschichte sich als Lustspiel, und mit glänzenden Tantièmen!, behandeln läßt, und in der Grotte zu Lourdes, wo, einunddreißig Jahre bevor ich kam, die Mutter Gottes aus dem Felsen das heilende Wasser aufspringen ließ, erstickte mir ein emporquellendes Erlebnis, das mich damals schon hätte retten können, im Lärm der Händler, der mich auch, fünf Jahre später, aus Mariazell von der mich fast schon ergreifenden Wahrheit wieder weggescheucht hat; vor der Kirmeß entschwand mir der Gnadenort.

Den stärksten meiner spanischen Eindrücke gab mir Valladolid. Er traf mich ganz unversehens. Ich ging so für mich hin die Sehenswürdigkeiten der Stadt ab, von tief in die malerisch zerlumpte Capa vermummten bettelnden Hidalgos verfolgt, nicht ganz sicher, weil ich mit meinen landesunbräuchlich langen Löcken schon in Burgos übles Aufsehen und den Verdacht erregt hatte, der estripador, der damals die Phantasie der Völker bewegende Jack der Aufschlitzer zu sein; ich wäre bald gesteinigt worden und kaufte mich nur mit einer ausgiebigen limosnita noch los. Ich hatte die Kathedrale, San Gregorio und San Pablo, das Gampo Santo, die calle de Colon, in der Kolumbus starb, und die calle del Rastro, in der Cervantes die Korrekturen des Don Quichotte las, gesehen und nun blieb mir nur noch das Colegio mayor de Santa Cruz, ein Provinzmuseum, aber durch die Fuensaldanas berühmt, dem Rubens zugeschriebene Gemälde, die mir nicht unmäßig viel sagten. Ich wollte schon wieder fort, als mich buntes Gerümpel, durch ein vergittertes Fenster im Vorübergehen erblickt, neugierig machte; die freundliche Schließerin tat das Verließ auf, ich trat ein und kam eine Woche lang jeden Tag wieder. Es waren Holzfiguren, menschengroß, grell bemalt, zur Darstellung des bitteren Leidens unseres Herrn in der Karwoche; Schriftgelehrte und Pharisäer, Söldner, Knechte, die Schächer, die Frauen, Römer und Juden, Herren und Volk, das ganze Personal der Passion, jeder aber im höchsten Augenblick solcher Erregung aufgefaßt, daß gleichsam sein Innerstes hervorbricht. Darunter einer arg verstümmelt, ein höhnender Jude, dessen Anblick in seinem gotteslästerlichen Grimm das zusehende Volk so furchtbar erbittert hatte, daß es die Schranken brach, die Wächter niederschlug und den Pharisäer zerriß. Holzskulptur ist in Kastilien, wie am Rhein und in Tirol, alte Tradition. In der großen Zeit ward es dann Brauch, daß kastilianische Holzschnitzer nach Florenz und Rom gingen, um dort las maximas de los grandes maestros kennenzulernen. Von ihnen wurde nun italienische Skulptur aus Marmor in Holz übersetzt. Was er bei Michelangelo gesehen, verband mit der eigenen heimischen Überlieferung Alonso Berruguete, pintor e escultor de camara de Carlos V. Er gewann viele Schüler, unter denen Juan de Juni als der größte gilt, der Naturalismus spanischer Gotik verwuchs mit dem estilo grecoromano restaurado der italienischen Hochrenaissance in eine neue Tradition, die nun, ein Jahrhundert später, noch das Glück hatte, daß ein geborener Maler über sie kam, Gregorio Hernandez, Maler, Bildhauer, Architekt und noch alles mögliche dazu, doch in allem dem Maler gehorsam, alles dem Maler unterwerfend; immer wenn in eine Kunst ein eigentlich für eine andere Kunst bestimmter Künstler gerät, geschehen die großen Wunder. Seine fünf Hauptstücke, der Täufer, die heilige Teresa, der San Sebastian, die Virgen und eine Pietà sind mir im Herzen geblieben bis auf den heutigen Tag; Erinnerung an ihr Erlebnis wirkt immer noch nach. Leider sind sie mir nicht auch im Auge geblieben und so weiß ich nicht, ob sie, nachdem ich inzwischen mit französischer, deutscher und österreichischer Barockholzskulptur vertraut geworden, mich auch heute noch überwältigen könnten. Damals schrieb ich an den Kunstwart einen von Verzückung dampfenden Brief über sie, der nur, wie mir das in meiner Jugend gern geschah, mehr von ihrer Wirkung auf mich, von meinem Eindruck sagt als von ihnen selbst. Sie beseligten mich so, daß es mir in Madrid dann anfangs schwer wurde, für Velasquez das volle Maß von Bewunderung aufzubringen, zu der ich doch im Voraus entschlossen war. Pacheco, Tintoretto, den mich freilich erst Venedig ganz erkennen lehrte, Zurbaran, Ribera, vor allem aber Goya, mit dem zum erstenmal das Volk in die Kunst einbricht, wirkten gewaltig auf mich. Seltsam aber ist mir heute, daß ich doch im Prado wie in Toledo damals Grecos gesehen haben muß und – vorübersehen konnte! Man tut gut, derlei nicht zu vergessen: es hilft einem alle Neigung zur Hoffart des Geistes im Keim ersticken.

In Madrid ward ich rasch mit der Bohème vertraut. Ernst Bark, Balte von Geburt, bald überall daheim, Journalist in Genf und Paris, Redakteur der Wiener Deutschen, Korrespondent der Kölnischen Zeitung, mit einer stolzen Andalusierin vermählt, des Deutschen, Französischen, Spanischen und Russischen mächtig, ein geborener Journalist, ganz Aug und Ohr, immer in Bewegung, am vergnügtesten, wenn er recht von Herzen mißvergnügt zu sein einen Vorwand hatte, führte mich ein. Gente nueva nannte sich die Gruppe, die mich anheimelte, weil auch sie den ganzen Tag in den Cafés an der Puerta del Sol saß. Den alten verbannten Zorilla ließ sie noch gelten, Echegaray in seiner aufgewärmten Romantik, der süßwässerige Realismus des Pérez Galdòs und Alarcons anmutiges Fabulieren wurden achselzuckend abgetan, Pereda kühl als esprit à l'écart geschätzt, nur der Ruhm der Pardo Bazàn blieb selbst dem Spotte der Jüngsten heilig. Ihr kritischer Sprecher war Luis Paris, allem Romantischen Phantastischen Rhetorischen spinnefeind, die ganze Vergangenheit Spaniens verleugnend, ein ausgesprochener Rationalist, der nun aber seiner doch im Grunde ganz bürgerlichen, ja spießbürgerlichen Predigt den Schwung revolutionärer Erhebung gab. Näher kam mir Silverio Lanza; gegen Ironie, gar die mir so vertraute Selbstironie bin ich immer wehrlos, und Lanza, schon von Aussehen ganz unspanisch, mit den glänzenden Wangen, der Gurkennase und dem feisten Spitzbäuchlein eher einem braven Schwaben gleich, war das einzige Beispiel von Ironie, das mir am Manzanares begegnet ist, ein ganzes Nest von freundlicher Bosheit, sanfter Niedertracht und argloser Tücke gegen alle Welt, aber am liebsten gar gegen sich selbst. Seinen Büchern hörte man freilich die müde Traurigkeit an, die hinter dieser Blague saß: er war ein Spaßmacher aus Verzweiflung, von einer solchen geheimen Wildheit seines lachenden Ingrimms, daß mir Galgenhumor noch ein viel zu milder Ausdruck dafür schien, ich hieß es Galgenblague, zu seinem stillen Ärger, weil er, gewohnt, mit dem Leser Verstecken zu spielen, und immer auf Mystifikationen aus, sich nicht in die Karten sehen lassen wollte. Doch der liebste von allen spanischen Gefährten war mir Alejandro Sawa. Keine schönere Gestalt der Jugend ist mir jemals im Leben begegnet; so mag der junge Gautier ausgesehen haben, damals in der Schlacht um Hernani, und Sawa hatte gar nicht erst Gautiers berühmte rote Weste not, er war schon selber in Person eine. Grieche von Abstammung, in Granada geboren, halb Troubadour, halb Zigeuner, wuchs dieser romaneske Mensch hungernd im Elend auf: ein Byron des Proletariats, der beau ténébreux der Romantik als Bettler. Das ergab nun einen Naturalisten sonderbarer Art, nämlich einen, der das Ideal an der Welt für seine Schändung durch sie zu rächen versucht, indem er die Welt am Ideal mißt. Übrigens echt spanisch: auch die Bilder Riberas und Goyas hat man análisis de la deshonra humana genannt. Über Crimen legal, Sawas zweiten Roman, schrieb Luis Paris: Nadie hay alli que sea normal. Das kann man eigentlich von allen seinen Werken sagen: Normal ist keine Zeile darin. Ich traf ihn nach vier Jahren in Paris wieder, Haß und Zorn ließen ihn daheim nichts mehr schaffen, seine Freunde wollten ihn in die Politik drängen, so war er entflohen und erfror nun in der Fremde vor Heimweh, bald durch die schöne Welt irrend, aus dem Salon der Marquise von Altavilla, der sanften Freundin Isabellens, in den der Dichterin Rachilde, bald bei seinem Landsmann Zorilla oder bei Zola, dann wieder mit Paul Monet und Charles Morice im lateinischen Viertel lärmend oder auch wochenlang einsam daheim, en ours, in seinem Winkel ungewiß der dunklen Zukunft gewärtig. Ich habe seither nie mehr von ihm gehört, nichts mehr von ihm, nichts über ihn gelesen.

Jeden Morgen ging ich zunächst in den Prado. Da fiel mir eines Tags ein junger Maler auf. Er kopierte Velasquez' Krönung Mariens mit einer Besessenheit, deren Wut man fast knirschen zu hören meinte; seine dunkle Haut erblich vor fanatischer Bemühung. Ich dachte neidisch: Wenn unsere Maler daheim dieses Furioso der Arbeit hätten! Und einmal nahm ich mein kärgliches Spanisch zusammen und sprach ihn an. Er antwortete stockend, in rauhen Gurgellauten irgendeines mir unverständlichen Gebirgsdialekts, den ich kaum erraten konnte. Schließlich stellten wir uns vor: es war ein junger Wiener, Josef Viktor Krämer. Wir zogen dann zusammen durch Andalusien nach Marokko.

Die drei Städte meiner Seele sind Salzburg, Toleda, Ragusa. Die drei Städte meiner Sinne sind Sevilla, Venedig, Arles. Die Wahlstadt meines Verstandes ist Paris, die meiner Vernunft Rom. Der Monat in Sevilla war nichts als Augenfest und Ohrenlust. Wie schon auf der ganzen Fahrt schrieb ich täglich im Café brav zwei Stunden an meinem Roman; in Sevilla ward er fertig, es ist »Die gute Schule«, die dann ein halbes Jahr später bei S. Fischer in Berlin erschien. Nach Tages Arbeit stand ich lungernd in der Märchenseligkeit herum, bis es Zeit wurde zu den braunen Gitanen. Da saß ich mit Toreadoren, meinen guten Freunden, und wir ließen uns die Sevillana vortanzen. Und ich mußte manchmal plötzlich laut auflachen, wenn mir einfiel, daß ich doch früher einmal ein Mensch gewesen war, der Kant und Marx las.

Das Jahr schwand. Ich verbrachte den letzten Tag im weißen Cadix. Um fünf ging ich auf das Schiff. Ein Engländer, steif und stumm, zwei Pariser, Domino spielend, ein dekorativer polnischer Graf, sein Glück an der neuen Roulette von Tanger suchend, nichts Weibliches an Bord, kein Lächeln. Und ich ging auf und ab, an der Maschine vorbei zum ersten Mast und wieder ans Steuer zurück, in einer geheimnisvollen Helle: weiß wie Magnesium schien die Nacht und wie Kreide weiß der Saum von Cadix und silbern weiß das Wasser, durch das wir schwammen. Ein Matrose schlug oben ein Lied an, es ward erwidert; Marseiller Jungen dienten auf dem französischen Schiff, provenzalische Weisen erklangen. Aber Schlag zwölf schnarrten Raketen und die braunen Burschen tranken mir zu, den seltsamen Fremden mit den langen Haaren lustig umarmend. Europa war versunken, der Mond schwand, stumm ward's, bald schlief auch ich. Bis es dann auf einmal heiser neben mir schrie: Tanger, Tanger! Und als ich aus Träumen auffuhr, stand ein baumlanger schwarzer Kerl vor mir und hatte schon meine Sachen aufgeladen, ein Mohr, halbnackt, einen purpurnen Fetzen umgewunden und Englisch, Französisch, Spanisch durcheinander heulend in wüsten Brocken, mich beschwörend, doch ja keinem von allen diesen diebischen Schurken zu trauen, und nur er allein könne mich sicher nach Tetuan geleiten, diese Gauner aber, wenn sie mich nicht gar ermordeten, würden mich um alles bestehlen, und nur er könne mir, wenn es auch der Koran verbietet, Modelle verschaffen, ich sei ja doch einer von den Pintores. Ich rieb mir noch erst den Schlaf aus den Augen, als ich schon auf den Schultern des fletschenden und grinsenden Schurken durch die Wellen ritt und während ich über das unbändige Kremserweiß dieses schwarzen Erdteils gar nicht genug erstaunen konnte, ging mir der alte Ruf der Legionen durch den Sinn: Quid novi fert Africa?

Es war aber eigentlich gar kein solches Novum für mich: im Grunde war's nur Czernowitz wieder, wenn auch freilich auf einer höheren Stufe, wieder überließ ich mich bloß den Sinnen, wenn diese gleich seither gelernt hatten, daß sie den Geist, um ihr eigenes Glück ganz empfinden zu können, nicht missen dürfen, daß höchster Sinnengenuß bewußt sein muß, nüchtern bewußt, gelassen zusehenden, spöttisch erklärenden, leise kopfschüttelnden Verstandes bewußt, daß der Vorgeschmack im Geiste und der Nachgeschmack im Geiste die Köche sind, die den vollen Sinnengenuß erst richtig zubereiten.

Josef Viktor Krämer war mit mir gekommen, wir fanden den Maler Tornay, einen ritterlichen Ungarn, vor, das vornehme Hotel über dem Markt scholl von unserer lauten Heiterkeit. In dem kleinen Café, wo wir nachmittags hausten, trat eines Tags ein Amerikaner auf mich zu, der Leiter der Roulette am Meer, und schlug mir vor, lieber dort unten zu wohnen: ein großes Zimmer samt ganzer Verpflegung, Getränk inbegriffen, so viel Champagner, als unser Durst verlangte, für fünf Peseten täglich. Ich lachte: der Narr!, aber er soll erst deutschen Durst einmal kennenlernen. Doch eins bat er sich aus: ich durfte den Spielsaal nicht betreten. Nach acht Tagen begann ich den Handel erst zu verstehen: ich war als Lockvogel engagiert, mein stürmischer Übermut zog die gelangweilten Fremden aus der steifen Geselligkeit des alten Hotels in die laute Heiterkeit am Meer, und saßen sie nur erst mit uns beim Diner, so blieben sie dann auch, wenn das Spiel begann. Ich mußte zunächst lachen, als es mir nach einiger Zeit bewußt ward: Zutreiber, Kuppler für die Roulette! Dann fiel mir, zur Beschwichtigung meines Gewissens, der Ausgleich ein, auch selber mitzuspielen, bis ich so viel verloren haben würde, daß ich nicht mehr das Gefühl, ausgehalten zu werden, hätte. Die Drohungen, die Bitten des Amerikaners konnten mich davon nicht abbringen, ich saß fortan jeden Abend beim Spiel, den Verlust, den ich mir schuldig zu sein glaubte, erwartend, mit wechselndem Glück, bis ich eines Abends eine tolle Summe gewann, an vierzehntausend Peseten, nach meinen damaligen Begriffen ein Vermögen. Der Amerikaner beschwor mich, abzureisen. Aber mich hatte nun der Spielteufel am Kragen; und das nächste Schiff ging auch erst in drei Tagen. Indessen schmolz mein Gewinn. Und ich hätte zu gern nur ein einziges Mal noch den Rausch des Glücks erlebt, nur einmal noch wieder einen solchen Abend, an dem, wohin man immer blind sein Geld hingestreut hat, eben dort die launische Kugel stehen bleibt. Es schloß damit, daß ich in tiefer Nacht am Meere saß, mit keiner einzigen Pesete mehr in der Tasche, mit nichts als einer unbezahlten Hotelrechnung über die letzten vierzehn Tage. Der Amerikaner wollte sie mir schenken, und auch noch Reisegeld bis Paris dazu. Mein Stolz bäumte sich auf, ich beschloß überhaupt nicht mehr heimzukehren, ich beschloß, in Afrika zu bleiben. Ich hatte für den Réveil du Maroc einen Leitartikel verfaßt, ich wollte versuchen, in der Redaktion als Feuilletonist oder meinetwegen als Reporter unterzukommen. Bis sich das entschied, saß ich meistens den ganzen Tag auf einer Bank, dem Meer zusehend. Plötzlich stand ein kleiner schwarzer Herr vor mir, artig grüßend. Ich kannte den Herrn; er saß immer an der Roulette mir gegenüber. Spanier, Maler, seit Jahren in Tanger ansässig; eine kleine Villa gehörte ihm. Er sprach mit keinem. Seit das Spiel eröffnet worden war, kam er jeden Abend, grüßte stumm, setzte sich immer auf denselben Platz und spielte stumm, selbst sein Gesicht blieb stumm. Er spielte nach einem System und verlor immer. Dies war so sicher, daß wir geschwind den Einsatz noch im letzten Augenblick zurückzogen von der Nummer, auf die wir ihn setzen sahen. Dieser schwarze Herr bot mir tausend Peseten zur Heimreise gegen einen Wechsel an. Ich fragte: »Wissen Sie denn, wer ich bin?« Er schüttelte den Kopf. »Kennen Sie meinen Namen?« Er schüttelte den Kopf. »Welche Sicherheit haben Sie, die tausend Peseten jemals wiederzusehen?« Er sagte: »Mein Haus ist überschuldet, mein Bares wird noch vier oder fünf Monate reichen, ich werde nie gewinnen, so muß ich mich dann erschießen und ob ich mich um tausend Peseten früher erschießen muß, ist gleichgültig, aber Sie können vielleicht noch das Leben wiederfinden.« Ich nahm die tausend Peseten, mein Vater hat dann den Wechsel eingelöst. Nach zwei Tagen fuhr ich nach Marseille und von dort dann langsam über Arles, Avignon und Lyon nach Paris zurück. Ich war noch keine vierzehn Tage dort, vergeblich mich allen möglichen deutschen Zeitungen als Pariser Korrespondenten anbietend, als ein stürmischer Brief von Arno Holz kam: »Hurra, in Berlin geht's endlich los, wir haben eine freie Bühne gegründet, das Alte kracht in allen Fugen, ein junger Verleger ist gefunden, dieser tapfere S. Fischer will eine revolutionäre Zeitschrift gründen, sie soll auch freie Bühne heißen, Brahm zeichnet als Herausgeber, wollen Sie sie mit mir redigieren?« Zwei Tage später saß ich in der Zürcher Bohème mit Karl Henckell und John Henry Mackay, ließ mich dann noch von meinen staunenden Eltern und der auch geschmeichelt noch immer argwöhnischen Stadt Linz bewundern und kam über Wien am ersten Mai 1890 abends wieder in Berlin an.


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