Ludwig Aurbacher
Aus dem Leben und den Schriften des Magisters Herle, und seines Freundes Mänle
Ludwig Aurbacher

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Vier und dreißigstes Kapitel.

Wer eines Morgens zu Seiner Magnificenz kam, in Galakleidung, mit chapeau-bas unter dem Arm und den Degen an der Seite, das war der Studiosus Mänle. »Er frequentire nun, fing er an, bereits sechs Jahre die Universität, und trage schwer an der Gelehrsamkeit, die man ihm, wie einem Esel, aufgeladen. Um nun der Bürde endlich los zu werden, und doch mit einigem éclat die Akademie zu verlassen, gedenke er, diis faventibus zu promovieren, und wo nicht den Grad eines Doctors, doch eines Magisters zu acquiriren. Er habe zu dem Endzweck bereits einige Theses ex philologia entworfen, und bitte Se. Magnificenz, als professorem ordinarium der griechischen Sprache und Literatur, die Sätze einer vorläufigen Prüfung zu unterwerfen. Bemerken müsse er aber zum voraus, daß er nicht directe Proben seiner Gelehrsamkeit ablegen wolle, durch Auslegung und Anpreisung philologischer Materien, sondern indirecte, durch Bekenntniß seiner scheinbaren Ignoranz, die er jedoch durch glänzende, wahrhaftige Petulanz zu Schanden zu machen hoffe. Seine Magnificenz möchten aber geruhen, zuerst die Theses anzuhören, und dann zu urtheilen.

Der Rector, der den Schalk bereits kannte, wollte wenigstens aus Neugierde hören, was er vorbringe. – Mänle las:

1) Der herkömmliche Begriff von Philologie ist zu enge.

Der Rector horchte.

2) Die Philologie erstreckt sich über alle Sprachen. –

Der Rector schaute.

3) Nur wer alle Sprachen kennen würde, wüßte erst, was Sprache sey. Er wäre ein Philolog κατ' εξοχην.

Der Rector schüttelte den Kopf.

4) Philologen, die bloß Griechisch und Lateinisch treiben, vermeinend, daß damit schon Alles gethan sey, sind bornierte Köpfe.

»Was?« fragte der Rector.

»Beschränkte Köpfe,« antwortete Mänle.

5) Der Anfangs- und Endpunkt aller Philologie ist die Muttersprache.

Der Rector lächelte höhnisch.

6) Wer eine fremde Sprache und Literatur, z. B. die griechische, besser kennt, als die Sprache und die Literatur seines Volkes, ist – auf gut Griechisch – ein Barbar.

Der Rector rümpfte die Nase.

7) Man kann gar wohl Deutsch reden und schreiben, ohne Deutsch zu verstehen.

Der Rector sagte nichts.

8) Classisch ist jede Sprache, die eine Literatur hat.

9) Ein classischer Autor besteht – wie der Mensch aus Leib und Seele – aus Buchstab und Geist.

10) Ein Philolog, der bloß Lesearten berichtigt und Glossen macht, ist ein Orbil, der Pensa corrigirt.

11) Einen Autor citiren, d. i. dessen dicta, kann auch ein Schulknabe, – dessen genium nur ein Meister.

12) Nur sehr wenige magistri philologiae sind Meister.

13) Wer an den Griechen seinen Sinn für das gebildet hat, was sie das Schöne und Gute genannt, der ist ein größerer Hellenist, als alle Hellenisten.

14) Die Meisten, welche Philologie treiben ex professo, sehen vor den Häusern die Stadt, vor den Bäumen den Wald nicht.

15) Mancher Fremde lernt ein Land aus einer guten Beschreibung besser kennen, als ein Einheimischer.

16) »Zur Verständniß der Klassiker jeglicher Nation sind gute Uebersetzungen hinreichend.«

»Wer sagt das?« rief der Rector.

»Ein Philolog sagt das – Friedrich Schlegel.« –

17) Wir Deutschen dürfen uns zu unserer Sprache Glück wünschen, als welche die Literatur aller Völker in sich aufzunehmen und darzustellen vermag.

Der Rector blies den Rauch weit von sich.

18) Wir Deutschen lesen im Deutschen den Shakespear und den Calderon, und verstehen sie; warum nicht auch den Sophokles und den Euripides?

Der Rector dampfte.

19) Aristophanes und Pindar sind in der Uebersetzung nicht zu lesen.

Der Rektor legte die Pfeife weg, so unsanft, daß sie in Trümmer zersplitterte.


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