Ludwig Aurbacher
Aus dem Leben und den Schriften des Magisters Herle, und seines Freundes Mänle
Ludwig Aurbacher

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Sechstes Kapitel.

Herle, in großer Verlegenheit, erwiederte: »Er meine gar nichts, sondern er wünsche nur, als aufmerksamer Schüler zu seinen, des Magnifici, Füßen zu sitzen, so lange, bis er tüchtig befunden würde, irgendwo an einer Universität, sey's auch in Rußland oder Siberien, ein philologisches Katheder zu besteigen, wozu ihm eben Hochdero Empfehlung dann verhelfen möge.«

Der Rektor, wie es schien, durch diese bescheidenen Worte wieder beruhigt, fing nun an, ihn sogleich in die Schule zu nehmen, und sich zu erkundigen, wie weit er schon in den alten Sprachen gekommen. Das aufrichtige Bekenntnis des Präceptors, daß er am Gymnasium nur wenig Griechisch erlernt, und dieses Wenige leider! wieder vergessen habe, brachte Seine Magnificenz außer Fassung. »Und Sie wollen Philolog, ja Professor der Philologie werden? Ahnen Sie auch nur im Entferntesten, was diese Wissenschaft in sich begreift? Nichts weniger, als Alles. Oder meinen Sie etwa, daß die bloße, wenn auch vollständige Kenntniß der Vocabeln und ihrer Verbindung hinreiche, um Griechisch zu verstehen? Das ist kaum der Anfang, die Vorbedingniß, die Grundlage des philologischen Studiums. Der Buchstab ist todt, wenn ihn nicht der Geist belebt; jedes Wort aber, jede Verbindung der Worte, ist ein Lebendiges, ein Geistiges, wie eine Pflanze, an welcher man nicht bloß ihre äußern Kennzeichen, sondern auch ihr inneres Leben und Weben kennen muß, um sie ganz zu kennen. Zu dieser tiefen Einsicht und weiten Umsicht gelangt aber nur derjenige, der in der Geschichte der Griechen, in allen Werken des hellenischen Geistes, in allen Wissenschaften und Künsten dieses einzigen Volkes durchaus bewandert und wie zu Hause ist. Wer will den Plato verstehen, wenn er nicht ein gewandter Logiker, ein scharfsinniger Metaphysiker, ein, mit allen Systemen griechischer Philosophie vertrauter Denker ist? Wer den Aristoteles, wenn er nicht zudem noch die Erscheinungen und Gesetze der Natur wohl kennt? Daß ein Polybius Vorkenntnisse in dem Kriegswesen und in der Kriegführung, ein Euklides mathematische Vorbildung, ein Demosthenes staats- und rechtswissenschaftliche Begriffe voraussetze, bedarf ohnehin keines Beweises, so wie man die Historiker alle, ohne gründliche und umfassende Historie selbst, in's Besondere ohne die historischen Hülfswissenschaften, die Chronologie, die Numismatik, die Genealogie, die Mythologie, durchaus nicht verstehen kann. Und noch habe ich nichts gesprochen von den redenden, bildenden und andern Künsten, in denen die Griechen zumal als unerreichbare Meister und ewige Vorbilder uns erscheinen, und die wir, soweit sie uns schriftlich überliefert werden, nicht zu würdigen verstehen, wenn wir nicht in der Rede- und Dichtkunst, in der Malerei, in der Plastik und Architektur, ja in der Musik, in der Tanz- und Fechtkunst, in der Gymnastik, diesen Zierden hellenischer Feste und Spiele, bewandert und gewisser Maaßen geübt sind. Ich sage darum nicht zu viel, wenn ich behaupte, daß der Philolog, der gründliche, Alles in Allem seyn, und in sich allein eine ganze Universität repräsentiren solle. Verstehen Sie mich? begreifen Sie das? und bezeigen Sie noch Lust, das ganze, weite Feld der Wissenschaften und Künste zu erobern und zu bebauen, Sie, der Sie nichts sind, nichts haben und mitbringen, als ein Bißchen Latein, und, was ein Philolog am leichtesten entbehren kann, ein passables Deutsch?«


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