Ludwig Aurbacher
Aus dem Leben und den Schriften des Magisters Herle, und seines Freundes Mänle
Ludwig Aurbacher

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Zwei und zwanzigstes Kapitel.

Während des Carnevals war Doris für Niemanden zu Hause. Als Herle an einem Abend um eine Audienz bat, hieß es, sie sitze am Arbeits- und Putztisch; am andern, sie gehe auf den Ball; am dritten, sie habe Kopfweh und liege zu Bette. Das war unserm Freunde ganz recht – nicht daß die schöne Doris litt, sondern daß er nun eine Zerstreuung weniger hatte, die ihn von seinen philologischen Studien abhalten konnte.

»Tanzte er denn nicht?« unterbricht mich hier ein Fräulein, welches dieß liest. Nein, Holdeste! er tanzte nicht. Er pflegte zu sagen: Vom Tanzhaus sey der nächste Weg in's Kranken- und Irrenhaus; er aber wolle gesund bleiben an Leib und Seele.

Nachdem er zum dritten Male vor Doris Thür abgewiesen worden, konnte er sich doch des Gedankens nicht erwehren: Wie? wenn nun das Fräulein deine Frau wäre? Sie, mit dieser Putz- und Tanzsucht, mit diesem leidenschaftlichen Hang nach flüchtigem Lebensgenuß? Und du, ihr Mann, mit deiner Neigung zu einer stillen, ruhigen, genügsamen, putz- und prunklosen Lebensweise? Er träumte fort, indem er auf seinem Zimmer auf und ab ging; er stellte sich eheliche Scenen vor, die bei so verschiedenen Gemüthsrichtungen vorfallen mußten. Sie fordert, er schlägt ab; sie vergeudet, er spart; sie schmollt, sie zankt, sie weint; er begütiget, er entgegnet, – er verzweifelt.

Im Uebermaß seines Schmerzens – denn seine Phantasie hatte ihn bereits unter das unglückselige Ehejoch gebracht – wirft er sich auf den Stuhl, und sitzt da, in dumpfe Traurigkeit versunken, vor sich hinstarrend, Papier zerknitternd, unter den Blättern wühlend, die auf seinem Schreibtisch liegen. Da kommt ihm von Ungefähr Bärbchens Brief zu Hand und Gesicht; er öffnet ihn, aus langer Weile, er liest ihn, mit Wohlgefallen; er macht sich Vorwürfe daß er die Antwort so lange verschoben; er beschließt, sogleich zu schreiben.

Indem er nun über den Inhalt weiter nachdenkt, verliert er sich ganz wieder in die freundliche Umgebung, die er verlassen, und in den Kreis der guten Menschen, die ihm so gewogen waren. Bärbchen steht vor ihm, mit ihrem Engelantlitz, – aber nicht mehr als Kind, das fröhliche, scherzende, neckende, sondern die Jungfrau, wie sie ihm in den letzten Tagen erschienen, mit jenem freundlichen Ernst, jener achtunggebietenden Hingebung, und mit jener bezaubernden Anmuth, die, indem sie zugleich anzieht und abweißt, bittet und versagt, auf eine geheimnißvolle Art die Herzen in Liebe auflöset und durchdringt. Voll von diesen Empfindungen, legt er das Papier zurecht, er schneidet die Feder, er fängt an: Liebste – da bedenkt er sich noch, ob er sie Bärbele oder Bärbchen oder Jungfer Barbara anreden sollte. Denn einen Unterschied in diesen Courtoisie-Formen hatte er von jeher beobachtet; in feierlichen Augenblicken nannte er sie Barbara, in vertraulichen Bärbchen, in zärtlichen Bärbele. Er entschied sich endlich für's Letztere, und schrieb: Liebstes Bärbele!

Soll ich den Brief selbst mittheilen? Ich denke: nein; denn wozu seine Worte, da wir dessen Gefühle und Gesinnungen kennen?


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