Ludwig Aurbacher
Aus dem Leben und den Schriften des Magisters Herle, und seines Freundes Mänle
Ludwig Aurbacher

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Achtzehntes Kapitel.

Das Schreiben des guten Kindes versetzte ihn ganz in sein früheres, trauliches Verhältniß, und erweckte in ihm so angenehme Gefühle, wie er sie schon lange nicht mehr empfunden hatte. Die großstädtische Gesellschaft, die alles rein Menschliche, Gutes wie Böses, unter den Formen des Anstandes zu erfüllen sucht, hatte sein Herz leer und öde gelassen; und, so wenig er selbst sich zu einer solchen Bildung erziehen, vielweniger zwingen konnte, so sehr mißfiel sie ihm an Andern, da er doch den äußern Anschein immermehr zu unterscheiden und zu würdigen lernte. Dieser gesellschaftliche Ton, dieses gebildete Benehmen, dieses ganze, übertünchte, fein polirte Wesen erschien ihm, wie der matte, glatte Ton eines farb- und lichtlosen Herbsttages, wo Alles sich in Grau auf Grau auslöset, und jede Gestalt in ein Unbestimmtes, Unerquickliches zerfliegt. Wie sehnte er sich in diesen Augenblicken einer lichten Erhebung zurück in die ruhige, stille Beschränkung seiner Vaterstadt! Er blickte dahin, sehnsuchtsvoll, wie ein Wanderer von einer unfruchtbaren, umwölkten Anhöhe in ein freundliches, sonnenerhelltes Thal, das er hinter sich gelassen. – Indessen, er beschied sich als ein Mann, der gewußt, was er gewollt; und er dachte: die höhern Güter des Lebens, zumal Würde, Ansehen, Auszeichnung könnten auch nur durch große Opfer erreicht werden, durch Entbehrung so mancher behaglicher Zustände, und durch Ueberwindung früherer, wenn auch rein menschlicher, unschuldiger Neigungen.

Zur Erhaltung und Wiederherstellung dieses Gleichmutes trugen denn freilich die Studien am meisten bei, denen er sich seit geraumer Zeit gänzlich hingegeben; wie denn eine lebhafte Thätigkeit des Geistes den besten Schutz gewährt gegen alle Schwächen und Krankheiten der Seele. Hatte er jene seine philologischen Arbeiten anfangs bloß als Mittel gewählt, um sich Bahn zu machen zu einer Würde, die er nun einmal als Grundbedingung seines Lebensglückes angesehen: so betrachtete und behandelte er sie jetzt schon als Zweck an sich, und widmete ihnen alle übrige Zeit mit wahrhaft uneigennützigem Eifer, so daß sie ihm schon als reine Belustigungen galten.

Kein Wunder daher, daß ihm bei dieser ausschließlichen Geistesrichtung selbst die Lectüre eines Quintus Fixlein als eine ungelegene, störende Zerstreuung erscheinen mußte. Er las auch täglich nur ein Kapitel, gleichsam als Pensum, das ihm von der Herrin aufgegeben ward. Bei seinem arglosen Auge und Herzen mißkannte er nicht ihre gute Absicht, ihn auf sein eigen Selbst, dessen Mängel und Gebrechen, aufmerksam zu machen, und dadurch, daß sie ihm einen Sittenspiegel der Art vorhielt, zu seiner Bildung möglichst beizutragen. An Quintus Fixlein in's Besondere fand er sogar nur die Bestätigung dessen, was er selbst so klar eingesehen; daß ohne lebhaften Drang nach einer höhern Stellung, ohne Ehrgeitz und Ambition, auch der tüchtigste und beste Mensch in der tiefsten, engsten Beschränkung bleibe, und daß demnach sein eigenes Wünschen, Hoffen und Streben allerdings räthlich, lobenswerth und überaus vernünftig sey.


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