Ludwig Aurbacher
Aus dem Leben und den Schriften des Magisters Herle, und seines Freundes Mänle
Ludwig Aurbacher

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Erstes Kapitel.

Die merkwürdige Geschichte, welche ich meinen Lesern mitzutheilen gedenke, fällt in den Anfang unsers Jahrhunderts, und hat zum Schauplatz vorerst das ehemalige Reichsstädtchen ** in Schwaben. Der Held der Geschichte ist und heißt Fidelis Herle, der Schulverweser allda. Namen und Charaktere der übrigen Personen wird der geneigte Leser gelegentlich erfahren, dann nämlich, wenn sie eben auftreten.

Indem ich nun so, als Geschichtsschreiber, wie der Dichter bei Schauspielen verfährt, von vorn herein die Äußerlichkeiten, Zeit, Ort und Personen bezeichne – den Titel hat der Leser ohnehin schon gelesen: – so erlaube man mir, daß ich mich nun hinter die Coulissen zurück ziehe, und die Personen, so gut es gehen mag, selbst agieren lasse.

Herle tritt auf. Er beschäftigt sich im Schulgarten mit Begießen der Pflanzen, mit Ausreuten des Unkrauts, mit Beschneiden und Säubern der Bäumchen in seiner Pflanzschule. In eine einfache, leichte Sommerkleidung gehüllt, erscheint er dem Zuschauer als ein schlanker, stattlicher Jüngling von ungefähr zwanzig Jahren, mit blonden Haaren, blauen Augen, von gebräuntem, leicht durchröthetem Angesicht und von ernster, doch wohlwollender Miene.

Indem er noch emsig beschäftigt ist mit seiner Gartenarbeit, klingelt leise das Glöcklein an der verschlossenen Gartenthür. Er schaut hin; er erblickt Niemanden. Es klingelt wiederum; er tritt näher, und nun bemerkt er eine wunderliebliche Erscheinung. Durch die, in Form eines Herzens durchbrochene Lücke an der Thür, die mit allerlei Schnörkeln verziert ist, strahlt ihm ein blühendes Mädchenantlitz entgegen, so mild lächelnd und fromm blickend, wie ein Madonnengesicht. Er weiß anfangs nicht, ist's Täuschung, ist's Wirklichkeit, ein Bildniß oder ein Phantom. Endlich wie er ganz nahe kommt, lacht das schäckernde Mädchen, und erhebt sich. »Bist du's, Bärbele? Du Schalk, du!« »Ei ja wohl bin ich's,« sagt das Kind, und übergibt ihm einen Brief, das große Insiegel ihm bedeutsam vorhaltend. Herle greift hastig nach dem Schreiben; dann sagt er: »Komm herein, und pflücke dir einstweilen einen Blumenstrauß, während ich lese.«

Herle liest. Mit jeder Zeile steigt ihm die Röthe mehr in' s Gesicht; er weiß sich vor Freude kaum mehr zu fassen. Er legt das Schreiben zusammen, er eröffnet es wiederum, und liest es abermals – dann, nachdem er noch ein Paar Gänge auf und ab gemacht, nähert er sich dem Mädchen, das sich so eben den Strauß windet, und sagt, indem er dessen Hand ergreift: »Bärbchen, nun müssen wir scheiden!« »Herr Jesus!« ruft das Kind erblassend; ihre Hand läßt den Strauß fallen, ihr Auge füllt sich mit Thränen, ihr Mund ist stumm und starr. Dann plötzlich, wie von einer Schreckensgestalt gejagt, wendet sie sich um, und läuft hinweg, laut weinend und jammernd.


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