Ludwig Aurbacher
Aus dem Leben und den Schriften des Magisters Herle, und seines Freundes Mänle
Ludwig Aurbacher

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünf und zwanzigstes Kapitel.

Die wiederholten Anstrengungen des Tanzes, zumal in den letzten Tagen des Carnevals, hatten dem Fräulein Doris eine nicht unbedeutende Krankheit zugezogen. Von Natur schwächlich und reitzbar, litt sie nach jeder starken Bewegung an Kurzathmigkeit und Uebelbehagen, bis zu leichten Ohnmachten; sie wußte dieß, der Arzt warnte, der Vater brummte; Alles war umsonst; sie konnte ihrer Leidenschaft, so oft sich Gelegenheit darbot, nicht widerstehen. So büßte sie denn, zwar mit großer Geduld, aber auch mit dem festen Vorsatze, wieder zu sündigen.

Sie ließ Niemanden vor; denn sie durfte, sie konnte auch nicht sprechen. Die langen, bangen Tage und Nächte vertrieb sie sich mit Lectüre, zumal der Jean Paul'schen Werke. Sie wollte wieder den Quintus Fixlein vornehmen, um bei Herle's nächstem Besuche bekannten Stoff zur Unterhaltung zu haben. Sie ließ das Buch, das sie als ausgelesen voraussetzte, durch ihr Kammermädchen abfordern. Herle gab es ihr, wie es noch auf dem Pulte lag, mit Entschuldigung und Dank.

Wir müssen hier einer Eigenheit unsers Freundes gedenken, die, an sich unschuldig, dieß Mal doch Veranlassung gab zu einem großen Verdrusse, ja zu gänzlicher Entfremdung der nächsten, ihm theuren und werthen Personen. Er hatte die Gewohnheit, wenn er ein Buch las, das nächste beste Papier, das auf seinem Pulte lag, zwischen die Blätter zu legen, als Merkzeichen, wo er geblieben. Leider! wollte es jetzt der Zufall, daß er gerade jenes Zettelchen, welches er mit jenen ehrenrührigen Synonymen bezeichnet, aber wieder verworfen, in's Buch hinein gelegt hatte, ohne sich dessen weiter zu erinnern.

Nun hätte es freilich der Anstand erfordert, daß das Fräulein, sobald sie des beschriebenen Zettelchens ansichtig geworden, dasselbe zurücksenden oder doch vernichten hätte sollen. Aber wer widersteht der Neugierde? Kein Mann, geschweige ein Weib. Sie las, und las – und rief endlich vor Aerger und Entsetzen, daß es bis in's dritte Zimmer hinübergellte: »Welche Sottise! welche Effronterie! O des schamlosen, des niederträchtigen Buben! Mir das?!«

»Was gibt's?« rief der Rector entgegen, der erschrocken herbeieilte.

»Denken Sie, Papa! der Präceptor, dieser – wie soll ich ihn nennen? – schickt mir in dem Buche, das ich ihm gutmütiger Weise geliehen, statt höflichen Dankes, einen Zettel voll Schimpfwörter zurück, die gemeinsten, die entehrendsten, die ruchlosesten!«

»Zeig mal her!« sagte der Rector ruhig, und las, und lachte dann hellauf.

»Was? rief Doris, und Sie lachen noch? Wo Ihre Tochter so verunglimpft, entehrt, geschändet wird, da können Sie noch lachen?«

»Es sind eben nur philologische Studien« sagte der Rector trocken.

»Studien nennen Sie das, wenn man ein honettes Fräulein eine Lutsche, eine Musch, eine Roll, eine Schmudel, eine Wuschel, eine Zuchtel nennt? Läßt sich etwas Infameres denken, etwas Impertinenteres ersinnen? Ich sage Ihnen, wenn Sie mir nicht die glänzendste Satisfaction verschaffen, so kratze ich ihm mit den eigenen Händen die Augen aus, diesem Schandmenschen!«

»Laß dich doch belehren, liebe Doris, begütigte der Rector; es ist ein Mißgriff, eine Mißdeutung.« – –

Sie weinte vor Zorn; und dieß war von jeher bei stürmischen Auftritten für den Vater das Zeichen, daß er ging; wie er denn auch jetzt that.

Des andern Morgens meldete sich das Kammermädchen bei Herle, von der Herrin gesandt. »Eine höfliche Empfehlung von meinem gnädigen Fräulein – sagte sie, – und Sie sollen sich nimmer unterstehen, ihr unter die Augen zu kommen.« »Mein Gott! – sagte Herle, der nichts ahndete und begriff – was hab' ich denn gethan? worin gefehlt? womit beleidigt?« Das Mädchen erzählte ausführlich, was vorgegangen. Herle, als er Alles vernommen, schlug sich vor den Kopf, und rief, auf und ab rennend: O, ich Dummkopf! Strohkopf! Eselskopf! o, ich Roß Gottes!

Das Mädchen lief vor Schrecken davon. »Der Präceptor ist närrisch!« sagte sie zur Hausfrau, die ihr öffnete. »Das wär' doch Jammer und Schade um den lieben Jungen!« sagte die Hausfrau, und sah nach ihrem Miethsmann.


 << zurück weiter >>