Ludwig Aurbacher
Aus dem Leben und den Schriften des Magisters Herle, und seines Freundes Mänle
Ludwig Aurbacher

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Sechs und zwanzigstes Kapitel.

Die beleidigte Doris schwebte vor seinen Augen, wie eine Furie, wie eine Hekate, die ihr Sühnopfer verlangte. Er hatte einen unruhigen Tag, eine schlaflose Nacht. Er wußte nicht, was er beginnen, was er thun sollte, um das unselige Mißverständniß zu heben. Dazu kam der noch fürchterlichere Gedanke, daß er, wenn er mit einem solchen verfänglichen Thema vor der Welt debütiren sollte, leicht Gefahr liefe, unter dem Frauenvolke, welches er, wie billig, achtete und ehrte, als ein ungezogener, Sitte und Anstand verletzender Autor verschrieen und anathematisirt werden dürfte. Endlich, nach vielem Nachsinnen, fand er das Mittel, das ihm zunächst lag, – ein Pflaster, welches die geschlagene Wunde heilen, einen Fliegenwedel, welcher die kritischen Mücken vertreiben, eine geharnischte Vorrede, die jeden Profanen mit dem »honny soit qui mal y pense« abweisen und abwehren sollte. Wir theilen sie hier mit, diese

Vorrede.

Indem ich es unternehme, über eine, nach gemeinen Begriffen so verfängliche Materie zu schreiben, sehe ich mich vor Allem genöthigt, gewissen Vorurtheilen zu begegnen, die hieraus, weniger noch für den Redner, als für die Sache, nämlich für die Sprache, entstehen könnte. Denn was mich anbelangt, so kann mir die Wahl des Gegenstandes und die Ausführung keineswegs zum Vorwurfe gereichen, da ich, als Philolog, lediglich nur die Formen im Auge behalte, und von der Materie und ihrer Anwendung in der Schule und im Leben, was Sache des Moralisten ist, ganz abstrahire – so wie es z. B. vom reinen Standpuncte der Naturlehre und der Philosophie aus ganz gleichgültig seyn kann, ob Jemand über Herz und Kopf, oder über die pudenda der menschlichen Natur in physischer und psychischer Hinsicht Vorlesungen halte. Aber die Sprache selbst muß in Schutz genommen werden gegen den übereilten Schluß derjenigen, welche, wenn sie zu ihrem Erstaunen die Unzahl von Schimpfwörtern in der deutschen Sprache hören und ahnen, dieselbe wegen dieses Reichthums, der ihr in der That zur Zierde gereicht, der Gemeinheit, Niedrigkeit, Plattheit beschuldigen möchten. Diese vorzeitigen Tadler, könnte ich zwar sogleich mit Autoritäten zurecht weisen; ich könnte ihnen zeigen, wie selbst in der Sprache und Literatur der Griechen, dieser »Schönen und Guten,« auserlesene Schimpfwörter in Menge vorhanden seyen, und eine bedeutende Rolle spielen; ich könnte Belege genug finden, daß die heiligen Väter selbst sich dieses kräftigen Abfertigungsmittels gegen die, welche anders dachten und fühlten, nicht selten bedienten; S.Specimen alphabeticum bestialitatis haereticae ex Patrum symbolis; in J. Chr. Aretin's Beiträgen. Band II. ich könnte ihnen aus den nächsten besten Wörterbüchern darthun, daß auch in andern ältern und neuern Sprachen, selbst in der französischen, die sonst das Unfeine so fein auszudrücken pflegt (um so mehr in der sittenlosen italienischen und der rücksichtslosen englischen) dergleichen derbe und kräftige Formen wie Schmeißfliegen, überall entgegenkommen und aufsitzen und bemackeln. Aber ich möchte lieber, ohne den Casus näher zu untersuchen, der deutschen Sprache sogleich hierin den Vorrang einräumen, und sogar einen Vorzug darin finden. Denn wie eine strenge, züchtige Mutter auf das ganze Betragen, auf jede Handlung der Kinder ein aufmerksames Auge hat, und für jeden Fehler den passenden Tadel und die geziemende Strafe in Bereitschaft hat, um durch diese sorgsame Ausrottung des Unkrauts das Gedeihen des guten Saamens zu befördern: so hat auch die deutsche Sprache für jede auffallende Thorheit und jedes namhafte Laster gewisse Zeichen, Schlag- und Stichwörter in Vorrath, die den Menschen, oder vielmehr seine Gebrechen, kenntlich brandmarken und fühlbar züchtigen. Statt daß also diese ausgezeichnete Eigentümlichkeit ihr und ihren Genossen zum Tadel gereicht, beweiset sie vielmehr, daß die Deutschen Muth und Aufrichtigkeit und Zartsinn genug haben, die Ungezogenheiten, welche bei andern Völkern übersehen, wohl gar geschmeichelt werden, unnachsichtig zu bemerken und nach Gebühr zu bestrafen.

Und so könnte ich denn, ohne blöde Furcht für meinen und der Sprache Leumund, sogleich zur Probe meiner lexikalischen Gelehrsamkeit in puncto injuriarum verbalium übergehen. Allein da ich kaum voraussetzen kann, daß jener Begriff von Zartsinn, den ich an der deutschen Sprache zu rühmen Grund finde, jedem meiner zarten Zuhörer so klar und lebendig vorschwebe, wie mir, der ich lange Zeit con amore im Fache gearbeitet habe; und da vielleicht gar zu befürchten seyn dürfte, daß irgend Jemand das, was ich hier in theoria und aus Beruf gelehrt, sofort in praxi und aus Liebhaberei anzuwenden versucht werden dürfte: »Vergeltet nicht Scheltworte mit Scheltworten,« sagt der Apostel (1. Petr. 3, 9). so halte ich es für nothwendig oder doch nützlich, eine Mahnung und Warnung eines alten ehrlichen Deutschen (Johannes Agricola) anzufügen, der da will, daß das Unzarte, Unanständige, welches an solchen Formen und Formeln haftet, nicht so wohl ganz vermieden, als vielmehr durch eine vorausgeschickte Entschuldigung, gleichsam als captationem benevolentiae gemildert werden sollte. »Es lehren die Rhetores und Weltredner – sagt er, – daß, wo man will etwas mit einem guten Possen oder Schwank zieren, so soll man brauchen das proepiplittin praecastigare, als daß man sagt: Mit Urlaub! Verzeihet mir! Mit Verlaub zu reden! so wird Ehre und Zucht, das sonst Unehre und Unzucht ist.«

Auf dieses Wort des Meisters, das ich ihm von Herzen nachspreche – Opus aggredior!


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