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Die Schwanenwirtin von Ulm und der spanische Erbfolgekrieg.

Wohl keine Stadt unsres Landes hat im Laufe der Jahrhunderte so viel zu leiden gehabt wie die alte Reichsstadt Ulm. Es gibt fast kein Ereignis der deutschen Geschichte, das diese Stadt nicht berührt, keinen Krieg, der Ulm nicht in Mitleidenschaft gezogen hätte. So brachte auch der spanische Erbfolgekrieg (1702 bis 1704) der Stadt große Verluste.

In diesem Kriege kämpften der deutsche Kaiser Leopold, England, die Niederlande und vier Reichskreise, darunter der schwäbische mit Ulm, gegen Frankreich. Der Kurfürst Max Emanuel von Bayern ließ sich zum Übertritt auf die französische Seite verleiten, und um sich mit den Franzosen vereinigen zu können, erschien ihm der Besitz des festen Ulms notwendig. Die Stadt war damals von Truppen ziemlich entblößt, denn die Ulmer Garnison befand sich mit dem schwäbischen Kreis vor Landau, welches belagert wurde. Nur 318 Mann waren zurückgeblieben. Um so leichter konnte sich der Kurfürst der Stadt bemächtigen. Durch den Oberstleutnant v. Pechmann, der sich im Griesbad in Ulm einlogierte, angeblich um eine Badekur zu gebrauchen, ließ Kurfürst Max die beste Gelegenheit zu einem Überfall auskundschaften. Der Offizier fand, daß das Gänstor sich dafür am besten eigne, weil es in einer wenig bewohnten Stadtgegend gelegen und nur von 13 Mann bewacht war.

Er erstattete dem Kurfürsten Bericht. In aller Stille wurden im September 1702 drei Dragonerregimenter nebst 900 Mann zu Fuß und zwei Geschützen von Donauwörth aus vorgeschickt und näherten sich auf der Alpecker Steige der Stadt Ulm. Eine Anzahl bayerischer Offiziere verkleidete sich im nahen Untertalfingen als Marktbauern und kamen am frühen Morgen des 8. September mit Körben, Zwerchsäcken usw. zum Gänstor herein. Die Wache wurde von ihnen überwältigt. Inzwischen waren die Bayern herbeigeeilt und besetzten einen Teil der Wälle. Der tapfere Ulmer Stückhauptmann Johann Faulhaber hielt das nahegelegene Zeughaus, in dem die Waffen, Kanonen und Kriegsvorräte der Stadt aufbewahrt waren, erfolgreich gegen die Bayern. Die Bürgerschaft, die von den Frauen flehentlich gebeten wurde, sie selbst und die Stadt zu retten, war fest entschlossen, den Feind wieder hinauszuwerfen. Aber der Rat war gegen einen Straßenkampf; zwei Patrizier stellten sich vor die Läufe der bei der Dreikönigkapelle aufgestellten Kanonen und verhinderten auf diese Weise, daß auf die Bayern geschossen wurde. Kurz nach 7 Uhr wurde ein Waffenstillstand mit dem bayerischen Obersten abgeschlossen, währenddessen die Übergabe erfolgte.

Einige Tage darauf kam der Kurfürst selbst und bezog in dem jenseits der Donau liegenden Offenhausen sein Quartier. An dem betreffenden Haus ist eine Tafel angebracht, mit der Inschrift: »Bei dem Überfall von Ulm (12. Sept. 1702) nahm hier in dem Weinwirtshaus zum Bauerngarten Kurfürst Max Emanuel sein Hauptquartier.« Hier empfing er die Schlüssel der Stadt aus den Händen des Rats und besuchte dann Ulm selbst. In seinem Namen übernahm ein bayerischer General an der Spitze von 6000 Mann den »Befehl« über die Stadt.

Anfang März des folgenden Jahres kam die Nachricht hierher, daß die Franzosen Kehl und Neuburg erobert haben und bald sich mit den Bayern vereinigen werden. Darüber war große Freude bei der bayerischen Besatzung. Damals saßen im »Schwanen« auf dem Weinhof, einem beliebten Weinwirtshaus, eine Anzahl bayerischer Offiziere beisammen. Sie tranken auf das Wohl des Königs von Frankreich und ihres Kurfürsten und warfen in der Begeisterung die leergetrunkenen Gläser zum Fenster hinaus. Sie nötigten auch die Schwanenwirtin, deren reichstreue Gesinnung sie kannten, mit ihnen anzustoßen. Sie tat es, aber mit dem Rufe: »Vivat Leopoldus!« und warf ihr Glas auch zum Fenster hinaus. Es blieb zur allgemeinen Verwunderung völlig unverletzt auf der Gasse stehen. Das Glas der gut kaiserlichen und deutschen Ulmerin ist jetzt noch in der fürstlichen Sammlung in Sigmaringen zu sehen, eine Nachbildung ist im »Schwanen« in Ulm aufgestellt.

Im Mai trafen dann die Franzosen ein, und die Stadt hatte unter ihrem Übermut viel zu leiden. Es kam vor, daß ein Reiter während des Gottesdienstes durch das Münster ritt. Ulm mußte dem französischen General nicht nur 265 186 Gulden bezahlen, sondern auch noch einen Vorschuß von 150 000 Gulden leisten, den es seinerseits von den benachbarten Orten wieder eintreiben sollte. Der Rat verlangte in seiner Not von den Bürgern die zehnfache Steuer, zu zahlen in 7 bis 8 Tagen. Das machte »großen Jammer und Lamentieren«. Weil die Leute meist kein Geld hatten, mußten sie ihre goldenen Ketten, Ringe, Becher, ihre silbernen Gürtel und Löffel auf das Rathaus tragen, woraus die bekannten viereckigen Ulmer Gulden vom Jahr 1704 geprägt wurden.

Infolge ansteckender Krankheiten, wie Typhus, starben in diesem Jahre viele Personen, von den Einwohnern 844, von der Besatzung 989 Franzosen und 698 Bayern, von den Gefangenen 715, zusammen also 3246 Menschen. Die fremden Mannschaften aber ließen es sich wohl sein; »ihre Pferde fraßen sich an dem Ulmer Haber und anderem Futter also heraus, daß der Gemeinste daherkam wie ein Freiherr zu Pferde.«

Nach der furchtbaren Schlacht von Höchstädt an der Donau, in der Bayern und Franzosen völlig geschlagen wurden, erschienen die Verbündeten am 21. August 1704 unter Prinz Eugen, Marlborough und dem Markgrafen Ludwig vor Ulm, dessen Befreiung natürlich zu ihren wichtigsten Aufgaben gehörte. Die drei Feldherren marschierten bald mit ihrer Hauptmacht weiter an den Rhein und überließen die Belagerung dem kaiserlichen Feldmarschall Freiherrn von Thüngen. Am 10. September ließ der Befehlshaber der Stadt an der gefährdetsten Stelle der Mauer eine weiße Fahne aufhissen, das Zeichen der Übergabe. Die Besatzung erhielt das Recht, mit klingendem Spiel und fliegenden Fahnen abzuziehen. Ulm jubelte auf, denn 2 Jahre hatte die bayerisch-französische Besetzung gedauert und der Stadt 1 545 000 Goldgulden Kosten verursacht. Rechnet man den Schaden der einzelnen hinzu, so ergibt sich eine Summe von etwa 3 Millionen Gulden. In diesen zwei Jahren wurde die Vermögenssteuer 32 mal erhoben, was bei der großen Teuerung die Bürgerschaft doppelt schwer traf. Auch sind in dieser Zeit 2 500 Ulmer gestorben; sonst starben deren nur 400 im Jahr.

Der bayerische Überfall und seine Folgen haben den Niedergang Ulms, den der Dreißigjährige Krieg eingeleitet hatte, vollends besiegelt. Von diesem Schlage hat sich die Reichsstadt nicht mehr erholt. Man muß sich nur wundern, daß sie, deren Reichtum infolge des darniederliegenden Handels schon längst nicht mehr so bedeutend war wie im Mittelalter, solch ungeheure Lasten zu tragen vermochte.

 

E. K.


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