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Die Hohe Schule wandert von Tübingen aus.

Von Teurung, Hungersnot, Pest und Jammer berichten die Chroniken allenthalben aus den Jahren 1570–72. Die Sommer waren kühl und regnerisch, die Winter grausam kalt, so daß im Januar 1571 der ganze Bodensee bis Konstanz zugefroren war. Sogar ein sehr tiefer Brunnen im Franziskanerkloster in Tübingen fror bis auf den Grund ein. Als man am 24. Februar 1572 zu Eßlingen zum Abendmahl ging, gefror der Wein in den Kelchen.

Schrecklich heimgesucht wurde mit andern Städten besonders die württembergische Universitätsstadt. Hier galt 1 Scheffel Korn 10–11 fl. = 17–20 Mark, 1 Maß alter Wein 14 Pfennig, 1 Pfund Schmalz 5 Batzen, 4 Eier einen Batzen usw. – Unerhörte Preise für jene Zeit! Professor Crusius in Tübingen hatte damals 12 Studenten zu Kostgängern, von denen jeder täglich ¼ Maß Wein über Tisch bekam und wöchentlich 14 Batzen Kostgeld zahlte. Damit kam er natürlich nicht auf seine Kosten, der Fürst kam allen Gastgebern zu Hilfe, indem er ihnen das Korn zu Ausnahmepreisen anweisen ließ...

Die Universität übergab wiederholt der Stadtverwaltung Geldsummen, um sie unter die Armen der Stadt auszuteilen. Man konnte bald in der Stadt keine Frucht mehr kaufen. Da ließ die Universität mit Bewilligung des Rates Korn in Straßburg ankaufen und zuführen, um die Kostgänger speisen zu können.

Dazu wütete die Pest fortwährend unter den ausgehungerten Menschen, und die Studenten fingen an, aus der Stadt zu fliehen. Da wanderte die ganze Hohe Schule, Professoren und Studenten, im August nach Eßlingen aus.

Am 22. August, so schreibt Professor Crusius, langten wir daselbst an, und ich wurde im Hause meines Schwähers Urban Betscher gar gütig und ohne Zins aufgenommen. Der akademische Rat gab dem Rat der Stadt Eßlingen am 10. September in einem öffentlichen Wirtshause ein Ehrenmahl, dagegen versprachen die Eßlinger alle Gewogenheit und Hilfe. Am 17. September fingen wir in Eßlingen an, in allen Fakultäten zu lehren. Am 20. September wurden alle Studenten zusammenberufen und hatte ihnen der Notarius auf dem Kaufhause vor der Regierungsstube das Verbot unseres Senats abgelesen, daß kein Student jemand, der aus der Pest von Tübingen hierher kommen würde, ferner aufnehmen oder mit ihm in Briefwechsel oder die geringste Gemeinschaft haben sollte. Wer anders tun würde, sollte für meineidig angesehen und hart gestraft werden, denn die Pest, sagte der Prorektor Dr. Scheyk, ist eine gefährliche Seuche: es kann einer, wenn er gleich selbst nicht stirbt, durch seinen Umgang einem andern ein subtiles Gift beibringen!

Dasselbe Verbot ließen die Eßlinger am folgenden Tag durch den Pfarrherrn W. Christoph Hermann in der Kirche von der Kanzel ergehen.

Indessen war in Tübingen das Volk gleicherweise von Hunger und Pest heimgesucht, nichtsdestoweniger aber lustig und ausgelassen fröhlich; denn das Elend hatte in den Menschen alle edleren Gefühle abgestumpft. Pöbelhaufen suchten in die verlassenen Gebäude der Akademie einzudringen und sie zu plündern, wurden aber durch die Furcht vor dem Herzog abgehalten. Es waren schon mehr als 300 Menschen in Tübingen gestorben, und man sagt, die wilden Tiere seien wegen der vergifteten Luft alle über den Rhein geschwommen. Indessen sandte die Universität fortwährend Geld nach Tübingen, damit es durch die Diakonen in den Kirchen an die bedürftigen Bürger ausgeteilt werde. Und der Herzog Ludwig gedachte auch seiner Hohen Schule und schickte Wildbret nach Eßlingen an die Herren Professoren.

Während die Hohe Schule noch in Eßlingen war, wurde in Tübingen ein Student, der Sohn einer armen Witwe von auswärts, in der Nacht auf offener Straße von einem Tübinger Bürger umgebracht, obwohl er dem Mörder gänzlich fremd war. Sein Mörder floh in die Freiung nach Reutlingen, wurde aber auf Betreiben der Universität ausgeliefert und enthauptet.

Ende September des Jahres 1571 ließ endlich die Pest in Tübingen nach, nachdem 950 Menschen an der Seuche gestorben waren.

So kehrte die Hohe Schule zu Weihnachten des Jahres 1572 wieder von Eßlingen dorthin zurück. Zuvor gab sie dem Rat der Stadt Eßlingen, welcher sie so freundlich beherbergt hatte, zum Abschied ein Mittagsmahl »mit Freuden.« In Tübingen wurden die gelehrten Herren freudig willkommen geheißen, besonders von dem Volk der Armen und Bettler, die in den Zeiten der Not in Scharen von 2–300 täglich vor die Häuser der Professoren gekommen waren. Die ganze Zeit, solange die Pest in Tübingen wahrte, hatten die Prediger treu bei ihren »Schäflein« ausgehalten, ihr Amt getreulich verwaltet und die Kranken besucht.

 

F. H.


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