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Die treue Dienerin

Tsing aus Pe war offen von Wesen, großzügig und jeder Kleinlichkeit abhold. Eines Tages kam er von auswärts nach Hause; als er eben seinen Gürtel binden wollte, war es ihm, als sei das eine Ende schwer, wie wenn ein Gewicht daran hinge. Nachsehend vermochte er an dem Gürtelbande jedoch nichts zu bemerken. In diesem Augenblick trat hinter seinem Kleide ein Mädchen hervor, hielt das offene Haar in der Hand und lächelte ein wenig. Sie war sehr lieblich und Tsing hielt sie für eine Fee. Aber das Mädchen sagte: »Ich bin keine Fee, sondern ein Fuchsgeist.« »Ei,« meinte Tsing, »wenn ich nur eine hübsche bekommen könnte, so fürchtete ich auch eine Fee nicht, warum sollte ich mich vor einem Fuchsgeist scheuen?« und nahm sie sogleich in sein Haus. Nach zwei Jahren gebar sie ihm ein Töchterchen, das mit dem Hausnamen Tsing Me genannt wurde. Oft beschwor ihn die Mutter, sich keine zweite Frau zu nehmen, so werde sie ihm auch ein Söhnchen schenken. Tsing versprach es ihr und heiratete nicht wieder. Als aber alle Verwandten und Bekannten ihn deshalb auslachten, änderte er seinen Sinn und heiratete Wang vom Osten des Sees. Als die junge Frau dies vernahm, wurde sie zornig, ging hin, um das Töchterchen zu tränken, übergab es Tsing und sagte: »Diese Tochter gehört Dir und Deiner Familie allein, ob Du sie leben oder sterben lässest, daran habe ich kein Teil mehr. Warum sollte ich für andere die Amme machen?« Damit entfernte sie sich und kehrte nicht wieder.

Als nun Tsing Me heranwuchs, war sie nicht nur ungewöhnlich klug, sondern auch schön und zierlich von Gestalt, und ähnelte in allem ihrer Mutter. Nach Tsings Tode verheiratete sich ihre Stiefmutter Wang aufs neue, sie selbst aber wurde zu einem Oheim in Pflege gegeben. Dieser nun war böse und unredlich und gedachte, sie zu verkaufen, um sich selber davon fett zu machen. Ein Magister, namens Wang, der gerade zu Hause auf ein Amt wartete, erstand sie um schweres Gold und gab sie seiner Tochter A Hi zur Dienerin. Hi war eben vierzehn Jahre alt und ein Mädchen von außergewöhnlicher Schönheit. Sie freute sich herzlich über Me und arbeitete und schlief mit ihr zusammen. Me verstand es aber auch gar wohl, zu dienen, hörte mit den Augen und sprach mit den Augenbrauen und wurde von allen, die im Hause waren, auf das herzlichste darum geliebt.

Nun wohnte daselbst in der Gegend ein Jüngling namens Dschang, mit dem Ehrennamen Kie-Schou genannt, der so arm war, daß er gar kein eigenes Grundstück besaß und als Mieter in einem Wang gehörigen Hause lebte. Gehorsam gegen die Eltern, Bescheidenheit und Zurückhaltung waren die bedeutendsten Züge seines Wesens, dazu der größte Fleiß in den Studien. Eines Tages kam Tsing Me in sein Haus: da sah sie, wie er dort an einen Stein gelehnt stand und eine grobe Suppe schlürfte, während drinnen, Tsing Me bemerkte dies beim Eintreten wohl, junge Schweinsfüße auf dem Tische standen. Dschangs Vater war gerade bettlägerig krank, da kam der Jüngling herein und trug ihn auf den Schultern, damit er seine Notdurft verrichte. Dabei wurde Dschangs Kleid beschmutzt, der Vater, der es in acht nahm, wollte vor Scham und Schmerz vergehen, aber der Jüngling ließ sich nichts merken, ging schnell hinaus und säuberte sich, damit dem Kranken die Beschämung erspart bleibe. Darob bewunderte Me ihn sehr, ging nach Hause und sprach zu A Hi: »Unser Mieter ist ein Mensch von ungewöhnlichem Wesen. Wenn Ihr keine Sehnsucht habt nach einem guten Lebensgefährten, so braucht Ihr nicht auf mich zu hören. Wünscht Ihr Euch aber einen Gatten, der wahrhaft gütig ist, so sollte es kein anderer sein als der junge Dschang.« Das Mädchen fürchtete, ihre Eltern würden ihn um seiner Armut willen hassen, aber Tsing Me sagte: »Nein, es hängt nur von Euch selber ab. Wenn Ihr denkt, es ist gut, so werde ich insgeheim hingehen, um ihm zu sagen, er möge kommen und um Euch anhalten. Eure gnädige Frau Mutter wird Euch sicherlich rufen lassen, um mit Euch darüber zu sprechen, dann braucht Ihr nur ja zu sagen und alles ist richtig und in guter Ordnung.« Nun fürchtete aber das Mädchen, sie würde immer arm bleiben und zuletzt noch von der Welt verlacht werden. Me jedoch meinte, es sei der edelste Mensch auf Erden, den sie kennen gelernt, so könne unmöglich etwas Unrechtes daraus entstehen.

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Tags darauf begab sie sich zu Dschangs Mutter und brachte ihr die Botschaft. Frau Dschang erschrak heftig und sagte, dies seien unglückbringende Reden. Aber Me bestand darauf und sprach: »Meine junge Herrin hat von der Tugend Eures Sohnes vernommen, und ich bemerkte wohl, daß dies zu tun ihre Absicht war. Wenn Ihr eine Mittelsperson hinsendet, so werden wir beide ihr beistehen. Gelingt es, so ist es von Vorteil, gelingt es nicht, was vermöchte es Eurem Sohne zu schaden?« Die Frau war es zufrieden und sandte eine Blumenverkäuferin, namens Ho, dahin, um es zu sagen. Als die gnädige Frau Mutter die Botschaft vernahm, lachte sie. Sie teilte es Wang mit und auch dieser lachte heftig. Sie riefen die Tochter herbei und erzählten ihr Ho's Meinung, aber noch ehe A Hi zum Antworten kam, lobte Me Tsing Dschangs Tugend mit eifrigen Worten und versicherte, er werde hoch hinaufkommen. Nun sprach die gnädige Frau wieder zu der Tochter: »Es ist eine Angelegenheit Deines eigenen Lebens. Wenn Du Dich von Körnerschalen nähren kannst, so will ich in Deinem Namen meine Zusage geben.« Die Tochter hielt den Kopf gesenkt, dann blickte sie nach der Wand und entgegnete: »Armut und Reichtum sind nur Dinge des Glücks. Wer das Glück hat, wird nicht lange arm bleiben und seines Reichtums Zeit wird dann ohne Ende sein. Wer aber das Glück nicht hat – jene in Seiden und Stickereien einherwandelnden Söhne der Adligen, die nun nicht Raum für eine aufrechtstehende Nadel haben, gibt es deren nicht genug? Ich lege es in Eure Hände, Vater und Mutter.« Wang hatte seine früheren Worte aber nur zu Scherz und Spott gemeint und war erzürnt, als er nun seiner Tochter Antwort vernahm. »Du willst also zu der Familie Dschang gehen?« fragte er. Die Tochter antwortete nicht. Er fragte noch einmal, aber sie antwortete wieder nicht. »Ei, Du wohlfeiler Knochen!« rief da die Mutter, »willst Du denn ewig in dem gleichen Stande bleiben? Einen Korb an den Arm hängen und das Bettelweib spielen? Müßtest Du Dich denn nicht zu Tode schämen?« Der Tochter schlug das Blut in die Wangen, ihr Atem ging schwer. Weinend ging sie aus dem Zimmer. Auch das Botenweib entfernte sich.

Als Me sah, daß es mißlungen war, gedachte sie, sich selbst um den Jüngling zu bewerben. Nach einigen Tagen, bei Nacht, ging sie zu ihm. Er saß gerade beim Lesen, erschrocken fragte er sie, warum sie gekommen sei. Sie antwortete in Verlegenheit, da bat er sie mit ernstem Gesicht, zu gehen. Sie aber brach in Tränen aus: »Ich bin vornehmer Leute Kind«, sagte sie, »und keine gemeine Dirne. Nur um Eurer Tugend willen möchte ich Euch angehören.« »Wenn Du mich liebst um meiner Tugend willen,« entgegnete der Jüngling, »was schweifst Du hier in der Nacht umher? Ist dies Dein Stolz und Deine Reinheit? Der Edle verführt die Frau nicht, die er zur Ehe begehrt. Kann ich Dich aber nicht besitzen, wie sollen wir länger leben auf dieser Welt?« »Und wenn nur ein Zehntausendteil Möglichkeit bestünde,« antwortete Me, »willst Du mich begnaden, und nimmst mich zu Dir in Dein Haus?« »Bekäme ich ein Weib wie Dich,« sprach der Jüngling, »was könnte ich dann noch begehren? Doch stehen drei Schwierigkeiten im Wege, die nicht vermieden werden können. Deshalb wird es mir nicht leicht, Dir ein Versprechen zu geben.« »Welches sind die Schwierigkeiten?« fragte Me. »Du bist eine Sklavin und kannst nicht über Dich selbst bestimmen,« erwiderte Dschang, »wenn es also nicht ginge, was sollten wir dann noch dawider tun? Kannst Du aber über Dich selbst bestimmen, so wollen es meine Eltern nicht, dann wäre es abermals unmöglich und was wäre ferners dawider zu tun? Wollen es aber meine Eltern, so ist Dein Preis zu hoch, daß ich ihn nicht erschwingen kann, so geht es zum dritten Male nicht, und ich frage von neuem: was wäre dawider zu tun? Kehre Du schnell nach Hause zurück, damit Du nicht dem Verdachte der Leute verfällst. Denn man soll seinen Hut nicht ordnen unter den Pflaumenbäumen und sein Schuhband nicht binden zwischen den Melonen.« Doch ehe Me ging, ermahnte sie ihn noch einmal: »Wenn es Dir ernst ist,« sagte sie, »laß uns gemeinsam das Geld aufbringen!« Der Jüngling stimmte ihr zu und Me kehrte nach Hause zurück.

Nun aber forschte ihre junge Herrin, wo sie gewesen sei? Da warf sie sich auf die Knie und gestand freiwillig alles. Die Herrin zürnte, daß sie vielleicht eine Schlechtigkeit begangen, und wollte sie bestrafen. Me aber erzählte ihr weinend, nichts andres sei geschehen, und berichtete sogleich das ganze Erlebnis. Da seufzte die Herrin und sprach: »Ein Mädchen nicht verführen, ist edle Sitte. Zuvor es den Eltern sagen, ist Gehorsam. Nicht leicht ein Versprechen geben, ist Aufrichtigkeit. Es genügt schon, diese drei Tugenden zu besitzen, so wird der Himmel ihm helfen. Dieser wird die Not der Armut nicht zu leiden brauchen.« Dann fragte sie Me, was sie zu tun gedenke, Me antwortete: »Ich heirate ihn.« Da sagte das Mädchen lachend: »Närrische Magd, kannst Du über Dich selbst bestimmen?« »So wird mein Tod dem Mißlingen folgen«, entgegnete Me. Da sprach das Mädchen: »Dein Wunsch soll erfüllt werden«. Me aber, mit der Stirn die Erde berührend, warf sich vor ihr nieder.

Einige Tage später redete Me nochmals zu ihrer Herrin und sprach: »Ist das Wort, das Ihr jüngst gesprochen habt, ein Scherz gewesen? Oder wollt Ihr wirklich Barmherzigkeit an mir üben? Wenn es Euch ernst ist, so habe ich Euch noch etwas zu sagen, erbarmt Euch, flehe ich, auch über dies!« »Was ist es?« fragte die Herrin. »Der junge Dschang kann den Preis nicht erschwingen,« entgegnete Me, »und ich, eine Sklavin, bin ohne Mittel, mich selber auszulösen. Wenn Ihr es nicht anders tun wollt, als um den vollen Preis, so ist Euer Wort, mich heiraten zu lassen, als wäre es nicht gegeben.« Die Jungfrau seufzte und sprach: »Was kann ich da tun? Schon wenn ich meinen Eltern sage, sie möchten Dir die Heirat erlauben, fürchte ich, es wird nicht gehen, sage ich aber, daß Du kein Lösegeld hast, so werden sie es nie und nimmer gewähren. Ich getraue mich nicht einmal, ihnen davon zu sprechen.« Als Tsing Me dies vernahm, rollten ihr die Tränen über die Wangen, flehend bat sie um nichts als um Hilfe und Rettung. Die Herrin überlegte eine Weile, dann sprach sie: »Wenn es nicht anders geht, ich besitze noch einiges erspartes Gold. So will ich denn meinen Sack ausschütten, um Dir zu helfen.« Me beugte sich, dankte ihr und sagte es gelegentlich dem Dschang. Dschangs Mutter war sehr erfreut, wieder borgte und schaffte man von allen Seiten, bis am Ende ein stattlicher Betrag beisammen war, der so lange im Hause aufbewahrt blieb, bis gute Nachricht käme.

Um diese Zeit nun wurde Wang zum Bürgermeister von Kü-U ernannt. Die Gelegenheit nutzend, sagte Hi zu ihrer Mutter: »Tsing Me ist nun erwachsen, und da wir eben zum Amte reisen wollen, dünkt es mich besser, sie fortzuschicken.« Die Mutter hatte längst geglaubt, Me wisse zu viel und könne zuletzt ihre Tochter zum Bösen verleiten. Sie wollte sie je eher, je lieber mit einem Manne verheiraten, nur hatte sie bisher ihrer Tochter Weigerung gefürchtet. Als sie nun das Wort vernahm, war sie hocherfreut. Zwei Tage darnach erschien eine Arbeiterfrau und übermittelte Dschangs Meinung. Da lachte Wang und sagte: »Für meine Magd ist er wohl recht. Warum ist er auch früher so anmaßend gewesen? Wenn wir sie aber als Nebenfrau an ein reiches Haus verkaufen, können wir den doppelten Preis erhalten, als wir selbst für sie gezahlt haben.« Da trat die Tochter rasch auf ihn zu und sprach: »Tsing Me hat mir lange gedient, sie als Nebenfrau zu verkaufen, wie sollte ich dies dulden?« So ließ denn Wang dem Bewerber Nachricht zukommen, der nun die Kaufurkunde zu dem einfachen Preise ablöste. Auf diese Weise geschah es, daß Tsing Me Dschangs Gattin wurde. In Dschangs Haushalt getreten, war sie gut gegen die Schwiegereltern, noch gehorsamer und freundlicher als der Sohn, und arbeitete mit unermüdlichem Fleiße. Sie aß die elende Kost, ohne je zu klagen, und es war niemand im Hause, der Tsing Me nicht geliebt und geehrt hätte. Zudem beschäftigte sie sich mit Sticken und verkaufte immer so rasch, daß die Händler, ängstlich, nichts mehr zu bekommen, gedrängt vor der Haustür warteten. So verdiente sie einiges Geld, um der nackten Armut zu wehren, bat jedoch Dschang, über den Sorgen des Hauses die Studien nicht zu vernachlässigen, und besorgte alles mit eigenen Händen, was es im Haushalte zu schaffen gab.

Als ihre Herrschaft zum Amte verreisen wollte, ging sie noch einmal zu A Hi, um Abschied zu nehmen. Hi sah sie an und sagte weinend: »Du bist an einen guten Ort gekommen, ich habe es bei weitem nicht so gut wie Du.« »Ich werde nie zu vergessen wagen,« entgegnete Me, »wessen Geschenk mein Glück ist. Wenn Ihr aber sagt, Ihr hättet es nicht so gut wie Eure Magd, so fürchte ich, mein Leben wird davon verkürzt werden.« Dann nahmen sie Abschied voneinander in Weh und Bitternis.

Als Wang ein halbes Jahr in Kü-U war, starb seine Gattin, und die Leiche wurde in einem Buddhatempel aufgestellt. Abermals nach zwei Jahren wurde Wang wegen einer falschen Übernahme aus dem Amte gejagt und mußte mehr als zehntausend Taëls Buße bezahlen. Allmählich verarmte er so sehr, daß er nichts mehr zu essen hatte und seine ganze Dienerschaft ihn verließ. Um diese Zeit verbreitete sich die Pest, auch Wang erkrankte und starb bald darauf. Das Mädchen, mutterseelenallein geblieben, fühlte sich noch jammervoller als zuvor. Eine Nachbarsfrau suchte sie zu bereden, sie möge sich verheiraten. »Wer die Leichen meiner Eltern für mich beerdigt,« sagte das Mädchen, »dem will ich mich geben.« Die Nachbarsfrau erbarmte sich über sie, schenkte ihr einen Scheffel Reis und entfernte sich. Einen halben Monat darauf kam sie wieder und sprach: »Ich habe mir um Dich die größte Mühe gegeben, doch will es sich auf keine Weise fügen. Die Armen vermögen es nicht, die Leichen für Dich zu bestatten, die Reichen aber scheuen sich, weil Du das Kind jenes untergegangenen Hauses bist, wie soll ich es nun richten? Zwar wüßte ich einen Rat, doch fürchte ich, Du wirst es nicht über Dich bringen, ihm zu folgen.« »Was ist es?« fragte das Mädchen, da entgegnete die Frau: »Es ist da ein Jüngling, Li geheißen, der will eine Nebenfrau haben. Wenn er Dich angenehm und hübsch erfände, so will er deine Eltern bestatten, mit aller Pracht und ohne zu geizen.« Da weinte das Mädchen und sagte: »Ich, adligen Hauses Kind, und sollte eines andern Nebenfrau sein?« Da wagte es die Nachbarin nicht, noch weiter zu sprechen, und entfernte sich.

Nun hatte A Hi nicht mehr als eine einzige Mahlzeit am Tage und wartete in Leid und Jammer des Mannes, der den Preis bezahlen mochte. Als wieder ein halbes Jahr vergangen war, versagten ihr die Kräfte. Eines Tages kam die Nachbarsfrau zu ihr, da sprach das Mädchen in trostlosem Weh: »Ich lebe so bitter und jammervoll, oft schon wollte ich meinem Leben ein Ende machen. Doch hänge ich daran, weil ich zuvor noch zwei Leichen zu beerdigen habe. Ist dies geschehen, so werde ich mich in eine Schlucht stürzen. Wer aber ist der Mann, der das Gebein meiner Eltern begrübe? Deshalb denke ich, es ist besser, ich folge dem Rat, den Du mir zuletzt gegeben hast.«

Nun brachte die Nachbarsfrau Herrn Li daher, der das Mädchen heimlich betrachtete. Da sie ihm wohlgefiel, nahm er sogleich das Geld hervor und ließ die Leichen der Eltern beerdigen. Als alles geordnet war, kam er, das Mädchen abzuholen, damit sie der Hauptfrau einen Besuch abstatte. Diese aber war sehr mißgünstig und voll Eifersucht, Li hatte zuerst gar nicht gewagt, von einer Nebenfrau zu sprechen, und vorgegeben, er wolle eine Magd kaufen. Als sie nun des Mädchens ansichtig wurde, geriet sie in Zorn, trieb sie mit Stockhieben hinaus und ließ sie nicht über die Schwelle. Das Mädchen, mit aufgelöstem Haar, weinend und wehklagend, wußte nicht ein noch aus. Da kam eben eine alte Klosterfrau vorüber und lud sie ein, mit ihr zu gehen. Das Mädchen freute sich und folgte ihr. Als sie im Kloster angekommen waren, warf sie sich vor der Alten nieder und bat, ihr das Haar abzuschneiden. Die Klosterfrau aber weigerte sich und sprach: »Ich sehe wohl, Ihr seid der Mensch nicht, lange auf der Erde und vor dem Winde zu liegen. Im Kloster gibt es Lehmgerät und grobes Getreide, eben genug, um davon zu leben. So bleibt denn einstweilen hier und wartet ab, um wieder fortzugehen, wenn Euer Glück sich wendet.«

Sie war noch nicht lange im Kloster, als einigen rohen jungen Leuten aus der Gegend ihre Schönheit auffiel. Seither kamen sie oftmals, schlugen lärmend an die Tür und verübten allerlei höhnischen Unfug, um sich zu belustigen. Die Alte konnte nichts dawider ausrichten, das Mädchen, schreiend, wollte sich selber töten. Erst als einer von den Gesellen die Klostermauer untergraben wollte und die Alte ihn anzeigte und bestrafen ließ, trat wieder Ruhe ein.

Unter solchen und ähnlichen Leiden verging ein Jahr. Da kam eines Tages wieder ein adliger Junker in das Kloster, sah das Mädchen und wurde sogleich von einer heftigen Bewunderung für sie erfaßt. Er zwang die Alte, ihr seine Liebe zu gestehen, und wollte sie mit einem großen Geldgeschenke bestechen. Die Alte dankte ihm mit listigen Worten: »Sie ist ein Kind aus adligem Hause«, sagte sie, »und wollte nicht einmal Dienerin oder Nebenfrau sein. Geht jetzt nur fort, ich werde Euch noch Nachricht geben.« Als er sich entfernt hatte, wollte das Mädchen Gift nehmen. Doch in der gleichen Nacht träumte ihr, ihr Vater trete mit dicht verschlossenen Brauen vor sie hin und spräche: »Ich habe damals Deinem Wunsche nicht nachgeben wollen, so bist Du in Elend und Jammer geraten, doch zu spät kommt die Reue. Wenn Du aber nur noch kurze Zeit dulden willst und bleibst am Leben, so wird sich noch erfüllen, was Du damals gewünscht hast.« Das Mädchen wunderte sich sehr über diese Worte. Als es Tag geworden und sie sich gewaschen hatte, betrachtete die Klosterfrau sie mit Verwunderung: »Ich sehe,« sagte sie, »aus Deinem Antlitz ist alle Farbe des Grams geschwunden. Nun ist kein Unheil mehr zu fürchten und Dein Glück ist auf dem Wege. Dann, bitte ich Dich, vergiß auch meiner nicht!« Sie hatte noch nicht zu Ende gesprochen, als man draußen ein Klopfen vernahm. Das Mädchen erbleichte, denn sie glaubte nicht anders, als ein Bote des adligen Hauses sei vor der Tür. Die Alte öffnete, da war er es wirklich. Er forderte sogleich Antwort, die Alte sprach ihm aber immerfort mit warmen Worten zu und bat noch um drei Tage Frist. Der Bote erklärte seines Herren Meinung, wenn es nicht würde, so solle sie selber hinkommen und es ihm sagen. »Gewiß, gewiß«, antwortete die Alte und bat ihn nur, einstweilen fortzugehen. Da verfiel das Mädchen in eine tiefe Trauer und wollte sich selber töten. Die Alte hielt sie fest, doch A Hi fürchtete, wenn er nach dreien Tagen wiederkäme, so würden sie keine Antwort für ihn haben. »Solange ich hier bin,« entgegnete die Klosterfrau, »werde ich Deinen Kopf zu schützen wissen.«

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Am nächsten Morgen begann es plötzlich so heftig zu regnen, als ob das Wasser aus Wannen geschüttet würde. Mit einem Male vernahm man draußen einige Leute heftig an das Tor pochen und lärmend Einlaß begehren. Das Mädchen, in der Meinung, nun komme das Unglück, wußte vor Schrecken und Angst nicht, was sie beginnen solle. Die Alte, während unaufhörlich der Regen strömte, öffnete das Tor und sah, daß eine duftende Sänfte vor der Tür stand, aus der einige Dienerinnen eine schöne junge Dame herausstützten. Das Gefolge, das diese mit sich führte, war sehr zahlreich, die Schirme und Fahnen aus kostbarem Zeuge. Als die Alte verwundert fragte, erklärten die Dienerinnen, die Dame sei die Frau eines Richters und wolle hier Schutz vor Wind und Regen suchen. Als die Klosterfrau sie ins Empfangszimmer geführt hatte, nahm die Dame mit ernster Miene Platz, während die Dienerinnen sich ins Nebengemach entfernten, um sich nach Gelegenheiten zum Ruhen umzusehen. Als sie dort eintraten, sahen sie das Mädchen drinnen stehen und liefen, da dessen Schönheit sie in Erstaunen setzte, sogleich zurück, um es ihrer Herrin zu erzählen. Weil nun der Regen bald nachließ, erhob sich die Dame und bat, die anderen Räume besichtigen zu dürfen. Die Alte führte sie hinein, wo das Mädchen war, da erschrak die Fremde heftig und hielt ihre Augen starr und reglos auf A Hi gerichtet. Auch diese starrte den Gast lange an, denn die vornehme Dame war niemand anders als Tsing Me. Nun schluchzten die beiden, bis ihre Stimmen heiser wurden, und erzählten einander alles, was sie unterdessen erlebt hatten. Der alte Herr Dschang war gestorben, nach der Trauerzeit stieg der Jüngling Schritt für Schritt bis zum Richter auf. Nun war er mit seiner Mutter bereits zum Amte nach Kü-U gefahren, Tsing Me aber war eben unterwegs, um ihm mit dem ganzen Hausstande nachzufolgen. Das Mädchen seufzte auf: »So sehen wir einander heute wieder,« sagte sie, »und ist ein Unterschied zwischen uns wie zwischen Himmel und Erde.« »Schönen Dank!« lachte Tsing Me. »Durch Euer widriges Schicksal mußtet Ihr freilich allein stehen, doch der Himmel wollte uns beide wieder zusammenbringen. Wenn es nicht geregnet hätte, wie würden wir uns jemals begegnet sein? Dahinter verbirgt sich zuverlässig die Wirkung der Geister, keines Menschen Kraft vermöchte es so zu fügen.« Sogleich befahl sie, einen Perlenhut und ein seidenes Gewand auszupacken, und hieß das Mädchen sich umziehen. Aber A Hi ließ den Kopf sinken und sann nur immerfort vor sich hin. Die Alte suchte ihr zwischendurch zuzureden, doch A Hi fürchtete sich, mit Tsing Me zusammen zu bleiben, wußte sie doch nicht einmal, wie sie sie anreden sollte. Doch Tsing Me sprach: »Es ist alles geblieben, wie es war. Eure Dienerin kann Eure Wohltat nicht vergessen, glaubt Ihr denn, Dschang werde sich des Dankes entschlagen wollen?« Gezwungen mußte A Hi sich umziehen, dann nahm sie Abschied von der alten Klosterfrau und entfernte sich.

Als die beiden in die Amtsstadt kamen, freuten sich Mutter und Sohn gleichermaßen, das Mädchen aber sank in die Knie und sprach: »Ich schäme mich, Euch, Mutter, zu sehen!« Die Mutter tröstete sie lächelnd. Nun beabsichtigten sie, einen glückverheißenden Tag auszuwählen, um die Hochzeit zu feiern. »Hätte es im Kloster nur einen fadendünnen Weg gegeben, sein Leben weiterzufristen,« sagte das Mädchen, »ich wäre nicht mit der Herrin hierhergekommen. Wenn Du nicht vergessen kannst, daß ich einst gütig zu Dir war, so gib mir ein Stübchen, den Betteppich darin unterzubringen, so will ich zufrieden sein.« Me lachte, sagte aber nichts. Als die Zeit gekommen war, brachte sie dem Mädchen ein wunderbar schönes Kleid daher, so daß A Hi nicht wußte, wohin sie sich wenden und was sie beginnen sollte. Plötzlich vernahm sie draußen im Flur den Schall von Musik und geriet darüber in eine noch tiefere Befangenheit. Nun führte Me die Dienerinnen herein, die ihr, ohne ihrer Gegenwehr zu achten, das Kleid anziehen mußten; dann zogen und schoben sie die Widersetzliche hinaus. Als diese den Jüngling in Festgewändern vor sich knien sah, fiel auch sie unwillkürlich auf die Knie. Dann brachte Me sie in das Brautzimmer und sprach: »Diesen Sitz habe ich schon lange für Euch gerichtet und Eurer geharrt.« Darauf wandte sie sich wieder an den Jüngling und sagte: »Heute nacht erst wirst Du ihre Wohltat ganz erwidern dürfen. Sei gut zu ihr!« Damit wandte sie sich um und wollte gehen. Das Mädchen faßte sie am Kleide, um sie zurückzuhalten, Me aber lächelte: »Haltet mich nicht zurück, ich könnte es nicht verantworten.« Leise löste sie A Hi's Finger von ihrem Gewande und ging hinaus.

Seit dieser Zeit verhielt sich Tsing Me so unterwürfig gegen die junge Frau, daß sie es nicht einmal wagte, den Abend mit ihrem Gatten zu verbringen. A Hi fand aber keine Ruhe, so daß die Mutter zuletzt befahl, sie möchten einander gegenseitig mit Herrin anreden. Doch änderte Tsing Me sich nicht und betrug sich der andern gegenüber unwandelbar als eine Dienende. Als drei Jahre später Herr Dschang in Amtsangelegenheiten nach der Hauptstadt mußte, kam er auch an dem Kloster vorbei. Er machte der Klosterfrau ein Geburtstagsgeschenk von vierhundert Taëls, doch weigerte sich die Alte und nahm erst auf vieles Zureden zweihundert Taëls davon an. Von dem Gelde erbaute sie dann einen Tempel des Buddha und ließ ein Grabmal für Frau Wang errichten. Dschang brachte es später bis zum Minister. Frau Dschang aus dem Hause Tsing gebar zwei Söhne und eine Tochter, Frau Dschang aus dem Hause Wang vier Söhne und eine Tochter. Dschang berichtete die ganze Geschichte dem Kaiser, der beiden Frauen den gleichen Ehrentitel einer Fuin Frauentitel, etwa Exzellenz. verlieh.


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