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Das gelbe Storchenschloß

Zur Zeit des Königs Liu Pe, des ersten Herrschers der Su-Handynastie, bekam der König einen Brief Djou Yü's, des Admirals von Wu, worin ihn dieser zu einem Festmahl auf das gelbe Storchenschloß einlud, um dessen Erbauung zu feiern. Da sprach Liu Pe zu seinem Kriegsminister Kung-Ming: »Ich will nicht hingehen.« »Wenn Du nicht hingehst,« erwiderte Kung-Ming, »so wird der junge Djou Dich verspotten, weil Du Angst hast.« »So muß ich zumindest ein kriegerisches Gefolge mit mir nehmen,« sagte Liu Pe, »um unvorhergesehenes Unheil zu verhüten.« »Du begibst Dich zu einem Festmahl,« entgegnete Kung-Ming, »es ist unhöflich, den Gastgeber wie einen Feind zu behandeln. Lasse ab davon!« Doch Liu Pe rief: »Längst wollte Djou Yü mein Land unter seine Gewalt bekommen, um seinem Herzen Genüge zu tun. Gehe ich ohne Gefolge dahin, so werden wir einen Anschlag erfahren.« »Hier ist Dein Diener Tsiao Yün, vollkommen an Tapferkeit und Klugheit, den lasse mit Dir gehen, so wird es keine Not haben.« Als aber Liu Pe aufs neue um ein größeres Gefolge bat, ergriff Kung-Ming ein Rohr von Bambus, reichte es Tsiao Yün und sagte: »Es ist unnütz, ein kriegerisches Gefolge zu rüsten. Wenn die geringste Gefahr und Not Euch begegnet, so zerbrich dies, Du wirst eine Million gewappneter Soldaten darin finden, die König und Gefolge aus der Not befreien werden.« Liu Pe wollte das Rohr zerbrechen, um seinen Inhalt zu betrachten, Kung-Ming aber sprach: »Wenn Du es vorher ansiehst, so wird der Erfolg verhindert. Besteigt in Eile das Schiff und laßt uns einen Tag abmachen, da Ihr auf der Heimfahrt an das Ufer des Flusses kommen sollt. So will auch ich ein Schiff ausrüsten, um Euch abzuholen.« Aber Liu Pe antwortete: »Bemüht Euch nicht erst, uns abzuholen. Werft lieber Opferfeuer und -lichter in den Fluß, um unsere abgeschiedenen Seelen zurückzurufen. Das soll uns des Heils genug sein.« »Unterwegs gibt es viel Sturm und Frost,« sagte Kung-Ming, »hofft und sorget und wollet nicht scherzen mit mir!«

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Als nun die beiden in dem östlichen Wu ankamen und den König Sen Küang begrüßt hatten, begaben sie sich mit Djou Tü nach dem gelben Storchenschloß, um zu trinken und zu speisen. Das Schloß war fünfzig, sechzig Ellen hoch, unten sah man die Stadt Wu-Tschang liegen und ringsum floß der lange Strom. Man erblickte von dort eine Reihe schöner Landschaften wie auf einem gemalten Bilde. Während der Mahlzeit aber sprach der junge Djou plötzlich zu Liu Pe: »Früher nahmst Du von uns den Kreis King-Djou zu leihen, um daselbst ein Lager zu gründen. Es galt für drei bis fünf Jahre, dann versprachst Du, sie zurückzugeben. Nun aber ist die Frist vorüber und man hört kein Wort davon. Sollen Helden so ihr Wort zerbrechen?« Liu Pe geriet in Verlegenheit und suchte Djou durch mancherlei Reden abzulenken, der junge Djou aber hörte nicht darauf und blickte Liu Pe zornig ins Gesicht, so daß es schien, als wolle er Gewalt gebrauchen. Tsiao Yün saß daneben: »Der junge Djou«, rief er laut, »möge die Höflichkeit nicht verletzen! Erinnerst Du Dich des Krieges mit dem Lande We? Damals verbranntest Du die Flotte des Feindes am roten Felsen und benutztest dazu den Südostwind, der von unserem Kriegsminister vom Himmel erfleht worden war. Wenn Du uns jenen Südostwind zurückgegeben haben wirst, so werden auch wir, Herr sowohl wie Diener, King-Djou Dir wieder zurückerstatten.« Darauf wußte Djou Yü keine Antwort. Aber nach einer Weile nahm er etwas zum Vorwand und stieg das Schloß hinab. Als er lange Zeit nicht zurückkehrte, geriet Tsiao Yün in Zweifel und Sorge. Er trat hinaus und sah, daß das Tor fest verschlossen war. »Wo ist der Admiral?« fragte er den Wächter. »Der Admiral ist fortgegangen«, erwiderte dieser, »und befahl mir, wer den Herrn oder sein Gefolge aus dem Schlosse läßt, soll zur Enthauptung verurteilt sein. Es wäre denn, daß des Admirals Fähnlein mir zum Zeichen vorgewiesen würde.« Yün hörte diese Worte und erschrak heftig. Er betrachtete das Schloß, aber es war wohl seine tausend Fuß hoch. Daneben floß der große Strom und sein Wasser war tief und ohne Grund. Ohne Schwingen und Flügel mochte es schwer sein, davonzufliegen. Er sagte es Liu Pe an, Liu Pe brach vor Schreck zusammen und erwachte erst nach langer Zeit wieder zum Bewußtsein. Herr und Gefolge verbrachten die Stunden in Furcht und Jammer, keiner wußte Rat. Mit einem Male verlor sich Yün in Gedanken: »Als wir Abschied nahmen,« sagte er, »hat mir der Kriegsminister ein Rohr von Bambus mitgegeben. Wenn wir in Gefahr und Not gerieten, sprach er, sollten wir es zerbrechen. Jetzt steht unser Leben zwischen Morgen und Abend, warum sollten wir das Rohr nicht öffnen, um hineinzusehen?« Aber Liu Pe rief: »Sicherlich ist Kung-Ming heimlich im Bunde mit Wu und wollte uns nur in den Tod treiben. Weshalb mochte er uns sonst auf so unglaubhafte Weise betrügen und wo in aller Welt gäbe es denn dergleichen?« Doch Tsiao Yün hörte nicht, zerbrach das Rohr und sah, was darinnen war. Da fand es sich, daß des Admirals Fähnlein in dem Rohre stak, das Kung-Ming damals, als er um den Südostwind betete, von dem jungen Djou zu leihen genommen hatte. Da war auf einmal Wunder und Freude gekommen, sogleich ergriff Yün das Fähnlein und sprach zu dem Wächter: »Admiral Djou hat seine Fahne hiergelassen, öffne das Tor!« Der Wächter untersuchte das Fähnlein und fand alles so, wie Yün es gesagt hatte. Dann öffnete er das Tor und entließ die beiden. Als sie am Ufer des Stromes angekommen waren, sahen sie schon von weitem Kung-Ming stehen und erkannten ihn an seinem seidenen Federhut und Fächer. Er winkte mit der Hand und rief ihnen zu, der Herr und General Tsiao möchten sogleich das Schiff besteigen, um ein wenig gemeinsam zu trinken und den Strom zu betrachten. Als der junge Djou davon vernahm, begab er sich an das Stromufer. Da winkte ihm Kung-Ming, dankte und rief: »Ich habe einmal Euer Befehlsfähnlein von Euch geliehen und noch keine Gelegenheit gehabt, es Euch zurückzugeben. Diesmal nun gab ich es dem General Tsiao mit. Habt Ihr es jetzt bekommen?« Als der junge Djou dies vernahm, wurde er sehr zornig. Er wollte die Flüchtigen einholen, aber das Schiff fuhr schon weit fort. So stand er denn am Ufer, sah in das unendliche Fortrinnen des Stromwassers und hörte den Schlägen und dem Geräusch der Wellen zu, bis das Schiff verschwunden war. Dann kehrte er zurück.


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