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Die Tochter aus Drachensamen

Djou Schüan-Wang Wang = König. kehrte einst aus Tai Yüan von einer Völkerschau zurück. Als er in die Hauptstadt Haoking kam, sah er in den Straßen eine große Menge Knaben, die je zehn oder mehr einen Reigen bildeten, tanzten, in die Hände klatschten und sangen, jede Schar das gleiche Lied. Schüang-Wang ließ den Wagen halten und hörte sich den Gesang an, der also lautete:

Maulbeerholzbogen und Kigrasgewebe,
der Mond wird steigen, die Sonne ertrinken,
das Kaiserhaus Djou wird zugrunde sinken.

Schüan-Wang empfand einen Haß auf dieses Lied und wollte die Knaben gefangennehmen lassen. Aber diese liefen alle vor Schreck davon, nur zwei von ihnen, einen älteren und einen jüngeren, gelang es festzuhalten und vor den Wagen Schüan-Wangs zu führen. Da fragte Schüan-Wang: »Wer hat dieses Lied erfunden?« »Vor drei Tagen«, erwiderten die Kinder, »erschien unter uns ein Knabe in rotem Kleid und lehrte uns dieses Lied singen; warum, wissen wir nicht. Mit einem Male sangen es alle Knaben in der Hauptstadt, nicht wir allein, und alle auf die gleiche Weise.« Da fragte Schüan-Wang abermals: »Wo befindet sich der Knabe im roten Kleid?« »Nachdem er uns dieses Lied gelehrt,« sagten die Knaben, »haben wir ihn nicht mehr zu sehen bekommen.« Schüan-Wang schwieg eine Weile. Er erließ ein Verbot, wonach, wenn je wieder ein Knabe dieses Lied sänge, die Eltern mit bestraft werden sollten.

Tags darauf am frühen Morgen erzählte er seinen Räten von dem Lied der Knaben und befragte sie, was dies zu bedeuten habe? Da erwiderte einer von den Ministern: »Maulbeerholz dient zur Herstellung von Bogen, und Kigras ist eine Pflanze, woraus Pfeiltaschen verfertigt werden. Vielleicht wird es im Lande Unruhen mit Pfeilen und Bogen geben.« Schüan-Wang sagte nichts und nickte nur mit dem Kopfe. Dann fragte er abermals: »Wer könnte der Knabe in dem roten Kleide gewesen sein?« Da sprach der Hofwahrsager: »Alle grundlosen Worte, die von dem Markte oder aus den Straßen kommen, sind Verkündigungen. Der Himmel pflegt die Herrscher zu warnen, heißt den feurigen Mars sich in einen Knaben verwandeln, um durch ihn die Verkündigung zu vollziehen, und läßt die Kinder sie erlernen, weshalb diese Verkündigung das Deutwort der Kinder genannt wird. Der Mars ist ein Feuerstern, daher die rote Farbe. Auch Euch wollte der Himmel warnen durch dieses Deutwort, worin der Untergang der Dynastie verkündet wird.« Schüan-Wang antwortete: »Ich werde alle Bogen und Pfeile, die im Waffenhause aufgestapelt liegen, verbrennen lassen und ihre Herstellung von nun ab verbieten. Kann das Unheil dadurch aufgehalten werden?« Ein anderer Beamter erwiderte: »Die Sonne ist männlich, der Mond ist weiblich. ›Der Mond wird steigen, die Sonne ertrinken‹ heißt: Weibliches wird hervortreten und Männliches zurücktreten. Es steht zu fürchten, es werde eine Herrin geben, die Unheil bringen wird.« Da sprach Schüan-Wang: »Die Königin Kiang ist die erste Herrscherin über die sechs Paläste und aller Tugend voll, die Damen des Hofes sind aus den besten Frauen des Landes erwählt – wie sollte es da Unheil durch ein Weib geben?« Der Beamte entgegnete: »Das Deutwort sagte: wird steigen und wird ertrinken, bezieht sich also nicht auf die Verhältnisse der Gegenwart. Zudem ist in dem Worte ›wird‹ noch kein bestimmtes Urteil enthalten. Wenn Ihr von nun an der Tugend die Ehre gebt, kann sich das Unheil noch in Glück verwandeln. Wozu bedarf es also der Verbrennung von Bogen und Pfeilen?«

Schüan-Wang wußte nun nicht, woran er glauben oder zweifeln müsse, kehrte tief traurig in den innern Palast zurück und erzählte der Königin Kiang, was die Beamten gesagt hatten. »Eben wollte ich zu Euch gehen,« erwiderte die Königin, »um Euch eine wunderbare Sache zu berichten, die sich im Palast ereignet hat.« »Welch eine wunderbare Sache wäre dies?« fragte der König. »Wir haben eine Hofdame noch hier aus der Zeit des verstorbenen Königs«, erzählte Kiang. »Sie ist schon über fünfzig Jahre alt und trug noch aus den Tagen des letzten Königs ein Kind im Leibe, mehr als vierzig Jahre lang. Erst gestern nacht wurde sie eines Mädchens entbunden.« Schüan-Wang erschrak heftig und fragte: »Wo ist das neugeborene Kind?« »Da ich es für ein Unheil hielt,« antwortete die Königin, »ließ ich es in Matratzen packen und in den Tsing Sue-Fluß werfen.« Da ließ Schüan-Wang die alte Hofdame kommen und fragte sie, wie dies zu erklären sei? Die alte Hofdame warf sich vor ihm auf die Knie und sprach: »Wie ich vernahm, erschienen dereinst in den letzten Jahren des Königs Dje aus der Dynastie Hia zwei Geister der Paostadt in Drachengestalt und kamen in den königlichen Palast. Aus dem Maule der Drachen floß Geifer, da begannen sie plötzlich wie Menschen zu reden und sagten: ›Wir sind zwei Beherrscher der Paostadt.‹ König Dje fürchtete sich und wollte sie töten lassen. Der Wahrsager aber prophezeite Unheil. Da wollte er sie fortjagen, der Wahrsager aber prophezeite auch Unheil. Endlich sprach der Wahrsager: ›Wenn die Geister erscheinen, kann es nur Glück und Segen geben. König, warum nehmt Ihr nicht ihren Geifer und bewahrt ihn auf? Denn in dem Geifer ist Saft und Samen der Drachen enthalten und seine Aufbewahrung wird Glück bringen.‹ Nun ließ der König mit Tuch und Seide eine Bettafel vor den Drachen herrichten: in einem goldenen Teller fing man den Geifer auf und stellte ihn in einen roten Schrank. Mit einem Male erhob sich Regen und Sturm, durch den hindurch die Drachen empor- und davonflogen. Darauf ließ König Dje den Schrank in der Schatzkammer aufbewahren; von ihm her über die ganze Dynastie Ju sind nun schon an neunhundert Jahre verflossen, ohne daß der Schrank je geöffnet worden war. Im letzten Jahre des verstorbenen Königs aber strahlte plötzlich Glanz aus dem roten Schranke. Der Schatzmeister berichtete es dem König, da fragte dieser: ›Was ist in dem Schrank?‹ Da brachte der Schatzmeister dem König die Urkunde, worin genau beschrieben stand, warum und unter welchen Umständen der Geifer der Drachen aufbewahrt worden sei. Nun ließ der verstorbene König den Schrank öffnen und nachsehen. Die Dienerschaft schloß den roten Schrank auf und brachte dem König den goldenen Teller. Eben, als der König danach greifen wollte, fiel der Teller zur Erde und der Geifer ergoß sich nach allen Seiten über den Hof und verwandelte sich plötzlich in eine kleine Schildkröte, die im Hofe hin und her ging. Die Dienerschaft wollte das Tier verjagen, da bewegte es sich geradewegs in den inneren Palast und verschwand darin. Ich war damals gerade zwölf Jahre alt und trat unwissentlich in die Spur, welche die Schildkröte zurückgelassen hatte. Im Herzen war es mir, als träfe mich ein jäher Schlag. Von nun an trug ich etwas im Unterleib, der verstorbene König ließ mich, da ich, ohne verheiratet zu sein, dennoch etwas im Leibe hatte, in den Kerker werfen. Das war nun schon über vierzig Jahre her, da gebar ich gestern nacht ein Mädchen. Als die Dienerschaft dies der Königin berichtete, glaubte diese, das Kind sei ein böser Geist, nahm es nicht an und ließ es sogleich aussetzen. Ich muß zehntausend Tode sterben.«

Da antwortete Schüan-Wang: »Dies ist ein Ding, das aus den Urzeiten stammt, Dich trifft keine Schuld daran« und sandte sogleich jemand an den Tsing Sue-Fluß, um nach dem neugeborenen Kinde zu suchen. Der Bote kehrte aber zurück und sagte, es sei bereits vom Wasser fortgeschwemmt worden. Als nun tags darauf Schüan-Wang die Geschichte von dem Drachengeifer dem Wahrsager erzählte, wahrsagte dieser, der böse Geist sei zwar aus dem Palaste entfernt, lebe aber noch. Da ließ Schüan-Wang jedes Haus in der Stadt innen und außen absuchen, ob das Kind nicht irgendwo verborgen gehalten würde. Wer das Kind bringe, ob lebend oder tot, solle je dreihundert Stücke Tuch und Seide zur Belohnung erhalten, wer es aber finde und melde sich nicht, samt all den Seinen mit dem Tode bestraft werden. Ferner ließ der König die Amtsknechte auf allen Märkten und Straßen öffentlich verkünden, wer fürderhin Bogen aus Maulbeerholz und Pfeiltaschen aus Kigras feilhalte oder herstelle, solle es gleichfalls mit dem Tode büßen.

Tags darauf kam ein Ehepaar mit Bogen aus Maulbeerholz und Pfeiltaschen aus Kigras vom Lande nach der Stadt, um Handel damit zu treiben. Kaum aber waren sie durch das Tor an der Stadtmauer gekommen, da ertappte sie der Befehlshaber der Wache: er rief und befahl sogleich seinen Knechten, sie gefangenzunehmen. Die Frau war etwas vorausgegangen und fiel den Knechten in die Hände. Der Mann dagegen, der gar nicht ahnte, was vorging, warf rasch die Bogen von sich und entfloh. Als der Befehlshaber der Marktwache die Frau mit Bogen und Pfeiltaschen vor den König führte, ließ dieser sie enthaupten und die Bogen und Pfeiltaschen auf dem Markte verbrennen.

Der Bogenhändler war unterdessen bis außerhalb der Stadt geflüchtet und übernachtete insgeheim irgendwo in der Nähe, um vielleicht etwas über das Schicksal seiner Frau in Erfahrung zu bringen. Den andern Morgen verbreitete sich bereits die Kunde, daß eine Frau, die wider das Verbot mit maulbeerhölzernen Bogen und Pfeiltaschen aus Kigras gehandelt habe, enthauptet worden sei. Nun wußte der Mann, seine Frau sei tot, begab sich ins freie Feld, wo kein Mensch sich aufhielt, und weinte rechtschaffen um sein Weib. Trotzdem freute er sich, daß er selbst der Gefahr entronnen war, und ging mit großen Schritten immer weiter und weiter, bis er zuletzt an das Ufer des Tsing Sue-Flusses kam. Da bemerkte er von weitem, daß dort an einer Stelle Hunderte von Vögeln singend durcheinanderflatterten. Schnell ging er hin, da sah er, daß ein Bündel in dem Wasser lag, an dem die Vögel mit ihren Schnäbeln zerrten: bald zerrten, bald sangen sie, bis sie das Bündel zuletzt beinahe an das Ufer gezogen hatten. Der Mann erstaunte sehr, scheuchte die Vögel fort, nahm das Bündel aus dem Wasser, öffnete es und sah nun, ein neugeborenes Mädchen lag darin. »Das Kindlein«, dachte er, »wurde von den vielen Vögeln aus dem Flusse gezogen«, und schloß daraus, es müsse ein dem Himmel wohlgefälliges Wesen sein. »Ich werde es zu mir nehmen,« sprach er zu sich selber, »wenn ich es freundlich aufziehe, kann ich noch im Alter Nutzen davon haben.« Er zog sein Kleid ab, wickelte das Kind hinein und begab sich nach der Paostadt zu einem Bekannten.

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Etwa drei Jahre später starb Schüan-Wang, und sein Sohn Yiu-Wang folgte ihm in der Herrschaft. Yiu-Wang kannte kein Mitleid, war grausam von Gemütsart und von sonderbarem Wesen. Wenn Gebirge stürzten oder Flüsse vertrockneten, so empfand er keine Furcht; dies aber gefiel ihm, seine Diener in alle Welt auszusenden, um nach schönen Frauen zu fahnden und mit ihnen den inneren Palast zu erfüllen. Eines Tages nun begab sich ein Mann, der Sohn des Hiang aus der Stadt Pao, namens Hung Te, dessen Vater, weil er den König vor Tyrannei gewarnt, ins Gefängnis geworfen worden war, aufs Land hinaus und sah dort vor der Tür eines Hauses ein Mädchen stehen, wie es eben Wasser am Brunnen schöpfte. Obgleich ärmlich gekleidet, schien sie ihm eine Schönheit des ganzen Landes zu sein, so daß er staunend dachte: »Wie ist es möglich, daß hier draußen in dieser armseligen Gegend ein Geschöpf von so wunderbarer Lieblichkeit lebt?« Als er sich bei den Nachbarn erkundigte, erfuhr er, das Mädchen sei die Pflegetochter Si Tai's und werde, da Tai in der Paostadt wohne, Pao Si genannt. Nun überlegte Hung Te, wenn er dieses Mädchen bekäme und sie dem König brächte, könne er sicher seinen Vater, der nun schon seit Jahren gefangen lag, aus dem Kerker erlösen. So kehrte er denn nach Hause zurück und sprach zu seiner Mutter: »Mein Vater hat durch ein warnendes Wort den König beleidigt, es ist kein Vergehen, das nicht verziehen werden könnte. Unser König ist träg, wollüstig und grausam und schleppt aus allen Himmelsgegenden die schönsten Frauen in den inneren Palast. Nun ist die Pflegetochter Si Tai's von ganz ungewöhnlicher Schönheit. Wenn wir sie mit vielem Golde und Seide kauften und machten sie dem König zum Geschenk, so wird dieser sicherlich meinen Vater aus dem Gefängnis entlassen.« Die Mutter war es zufrieden, Hung Te kaufte Pao Si und nahm sie mit sich in sein Haus, kleidete sie in bunte, gestickte Seide und lehrte sie alle Gebräuche des Anstands und der Höflichkeit. Darauf brachte er sie nach Haoking und ließ sie durch einen Dritten dem König zuführen. Als Yiu-Wang Pao Si erblickte, meinte er, nie zuvor ihresgleichen gesehen zu haben, so sehr entzückten ihn Pao Si's Gestalt, Gesichtszüge und Bewegungen. Er war hocherfreut und befahl sogleich, Hung Te's Vater aus dem Gefängnis zu befreien. Dann ließ er Pao Si in einem andern Palaste unterbringen und sie liebten einander sehr. Aber eines fiel dem König auf: Pao Si lachte nie, ob er gleich wahnsinnig war von Liebe, sie in einem edelsteinernen Palaste wohnen ließ und oft drei Tage hintereinander nicht bei der Königin Sin erschien. Er verbannte um ihretwillen die Königin, enterbte seinen Sohn und ernannte Pao Si's Sohn Pefu zu seinem Nachfolger. Seither erscholl der Palast morgens und abends von Musik und Festlärm: Pao Si war nun selber Königin geworden und genoß bei Yiu-Wang die Gunst, stets bei ihm bleiben zu dürfen, doch ihr Antlitz erhellte sich nicht und kein Lachen erschien darauf. Yiu-Wang wollte sie erheitern, ließ Musikanten kommen, Glocken schlagen, Trommeln wirbeln, auf Bambusinstrumenten blasen und Saiten streichen und befahl den Dienerinnen, die Becher unter Singen und Tanzen zu kredenzen. Doch Pao Si's Gesichtsfarbe blieb trüb und ernst. Da sprach Yiu-Wang: »Liebste, Dich widert die Musik, sag an, welches ist Dein Lieblingsspiel?« »Ich weiß keinerlei Spiel, dem ich den Vorzug geben möchte«, erwiderte Pao Si. »Ich erinnere mich nur, daß ich in meiner Kindheit zuweilen ein Stück Seide mit den Händen zerriß, dies dünkte mich dann ein Geräusch, das angenehm zu hören war.« »Wenn Du dieses liebst,« rief Yiu-Wang, »warum hast Du es mir so lange verschwiegen?« Sogleich befahl er dem Schatzmeister, tagtäglich hundert Stücke bunter, gestickter Seide herzusenden, und ließ sie von den kräftigsten Frauen des Hofes zerreißen, um Pao Si zu ergötzen. Doch seltsam: ob Pao Si gleich das Krachen zerreißender Seiden liebte, lachte sie dennoch nicht. Und wieder fragte Yiu-Wang: »Warum lachst Du nicht?« »Ich habe, seit ich lebe, nie gerne gelacht«, erwiderte sie. »Ich aber muß Dich einmal lachen sehen«, rief Yiu-Wang und erließ sogleich eine öffentliche Botschaft: wer Pao Si einmal zum Lachen brächte, solle mit tausend Taëls Gold belohnt werden. Da meldete sich ein Beamter, mit Namen Kuo Si-Fu, und sagte: »In früherer Zeit haben Eure königlichen Vorfahren, weil damals die Tartaren mächtig waren und man befürchtete, sie würden die Grenze überschreiten, am Ligebirge etwa zwanzig Feuertürme in gleichen Abständen voneinander errichten lassen, außerdem wurden viele große Pauken daselbst bereitgestellt. Sobald nun der Feind an der Grenze erschien, entzündete man die mit Wolfsmist gefüllten Feuertürme und Rauch und Flammen stiegen so hoch bis zum Himmel, daß die im Umkreis sitzenden Fürsten sie wahrnehmen mußten und mit ihren Heeren zur Hilfeleistung herbeieilten. Zugleich aber schlug man die großen Pauken, um das Heer zusammenzutreiben. Heutzutage ist das Land in Frieden und die Feuertürme rauchen nicht mehr. Wenn Ihr nun aber begehrt, daß die Königin ihre Zähne auseinandertue, so müßt Ihr mit ihr nach dem Ligebirge reisen. Dann zündet Ihr nachts die Feuertürme an, die Hilfsheere aller Fürsten werden herbeiströmen: wenn sie aber gekommen sind und finden keinen Feind vor, so wird die Königin lachen müssen, des seid gewiß.« »Dieser Vorschlag ist vortrefflich«, entgegnete Yiu-Wang und fuhr sogleich mit der Königin Pao zu Wagen nach dem Ligebirge. Als es Abend geworden war, wurde im Jagdschloß eine Festtafel gerüstet. Dann befahl Yiu-Wang, die Feuertürme zu entzünden und die ungeheuren Pauken zu schlagen. Da schallten die Pauken wie Donner und die Feuerflammen beleuchteten weithin den Himmel. Sogleich erkannten die Fürsten die Gefahr und eilten allesamt zur Stelle. Als sie aber in das Ligebirge kamen, hörten sie nichts als Flöte und Syrinx aus dem Schlosse ertönen, in dem Yiu-Wang und Königin Pao sich beim Trunke ergötzten. Da ließ Yiu-Wang den Fürsten danken und mitteilen, zum Glücke gäbe es keine Feinde hier und sie brauchten sich ferner nicht zu bemühen. Die Fürsten starrten verwundert einander an, rollten ihre Banner zusammen und kehrten zurück in ihr Land.

Pao Si hatte unterdessen im Schlosse am Geländer gelehnt und den ganzen Vorgang beobachtet. Als sie sah, daß die Fürsten holterdipolter daherkamen, aber sogleich wieder umwenden mußten, da nirgends ein Grund für solche Sturmeseile vorhanden war, lachte sie unwillkürlich und klatschte in die Hände. »Liebste,« rief Yiu-Wang, »ein einziges Lachen von Dir und hunderterlei Zärtlichkeiten wachsen auf einmal auf Deinen Wangen. Das hast Du wohl gemacht, Kuo Si-Fu!« und ließ ihm sogleich die tausend Taëls Gold auszahlen.

Kurz darauf kam ein Bote zu Yiu-Wang, fiel vor ihm zur Erde und sprach: »Ich habe Unheil zu melden. Die Tartaren sind über die Grenze gekommen und umzingeln die Hauptstadt Haoking.« Yiu-Wang erschrak heftig und ließ sogleich die Feuertürme entzünden, um die Fürsten zur Hilfeleistung herbeizurufen. Doch zu seinem Unglück kam nicht ein einziger von ihnen, denn sie glaubten alle, der König und die Königin feierten wieder nur ein Fest. Yiu-Wang fiel in Verzweiflung, Pao Si mit ihrem Sohne Pefu mußte durch das hintere Tor in einem kleinen Wagen fliehen. Sie wurde verfolgt, Pefu getötet, sie selbst aber in das wollene Zelt des Tartarenhäuptlings gebracht. Zwar vernahmen die Fürsten nachher von der Gefahr, kamen mit ihren Heeren herangezogen und schlugen den Häuptling der Tartaren in die Flucht. Aber es war zu spät: Da Pao Si ihm nicht folgen konnte, erhängte sie sich selbst. Yiu-Wang starb im Elend. So bewährte sich das Deutwort der Knaben: Denn Pao Si war keine andere gewesen als jenes Kind, das, aus dem Geifersamen des Drachen entstammt, von dem Bogenhändler im Wasser gefunden worden war: Sie glich dem steigenden Monde, Yiu-Wang aber, von Pao Si in Wahnsinn und Tod gejagt, der ertrinkenden Sonne.


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