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Der Held Kuan

Herzog Kuan Yün-Tsiang, der Statthalter von Han Siu, war berühmt durch seine List und Tapferkeit, und jeder verlor den Mut, der seinen Namen hörte. Als er nun die Stadt Fan Tsing in We erobern wollte, widerfuhr es ihm, daß sein rechter Arm von einem Pfeil getroffen wurde und er sogleich vom Rosse fiel. Als ihn seine Generale und Offiziere nach dem Zelt zurückgerettet hatten und den Pfeil aus dem Arme zogen, erwies es sich, daß die Pfeilspitze vergiftet und das Gift bereits bis in den Knochen hinabgedrungen war, so daß der Arm blau angeschwollen und gänzlich unbeweglich geworden. Kuans Sohn, mit dem Vornamen Ping genannt, beriet erregt mit den übrigen Generalen und begab sich hierauf mit ihnen zu dem Herzog. »Was begehrt Ihr?« fragte Kuan. »Wir fürchten,« antworteten sie, »daß Euer verwundeter rechter Arm Euch beim Kämpfen gegen den Feind behindern möchte, und bitten Euch, das Heer so lange nach King Djou zurückkehren zu lassen, bis Euer Arm geheilt ist.« Doch zornig fuhr Kuan auf: »Ich werde Fan Tsing sogleich zu erobern wissen. Sollte ich um einer geringen Wunde willen so große Dinge versäumen und wagt Ihr es, den Mut meines Heeres träge zu machen?« Da verstummten Ping und die anderen und gingen schweigend hinaus.

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Als sie nun einsahen, daß Herzog Kuan nicht zurückkehren würde, die Wunde aber nicht verheilen wollte, suchten sie überall nach guten Ärzten. Da kam eines Tages ein Mann vom Ostufer des Flusses in einem kleinen Schiffe dahergefahren. Er trug einen viereckigen Hut und ein weites Kleid und hatte eine schwarze Tasche am Arme hängen. Er begab sich sogleich ins Lager und sprach: »Ich heiße mit Zunamen Hua, mit Vornamen Tuo und mit dem Ehrennamen Yüan Hua. Ich vernahm, daß der Marschall Kuan, der weltberühmte Held, durch einen Giftpfeil angeschossen wurde, und bin hierhergekommen, seine Wunde zu heilen.« Man führte ihn zu Herzog Kuan: Die Armschmerzen waren eben aufs höchste gestiegen, doch da der Herzog den Mut seiner Soldaten nicht schwächen wollte und sich auf eine andere Weise nicht beschäftigen konnte, so spielte er Schach mit Ma Liang. Als er hörte, der Arzt sei gekommen, bat er ihn herein, begrüßte ihn und ließ ihn niedersitzen. Dann wurde Tee getrunken, endlich bat Tuo, den Arm untersuchen zu dürfen. Der Herzog entledigte sich der Ober- und Unterkleider, streckte den Arm aus und ließ Tuo die Untersuchung beginnen. »Der Pfeil war mit dem schwarzköpfigen Gifte vergiftet, als Ihr angeschossen wurdet,« sagte Tuo, »das Gift sitzt schon im Knochen, und wenn die Wunde nicht schnell geheilt wird, so werdet Ihr den Arm nicht wieder gebrauchen können.« »Womit heilt Ihr ihn?« fragte der Herzog. »Ich weiß ein Mittel,« erwiderte Tuo, »doch fürchte ich, Ihr werdet Euch davor scheuen.« Da lächelte der Herzog und sagte: »Mir ist der Tod wie eine Heimkehr – weshalb sollte ich mich scheuen?« »So muß«, antwortete Tuo, »eine Säule an einem ruhigen Ort in der Erde festgerammt werden. An der Säule bringt man einen eisernen Ring an, Ihr steckt den Arm durch den Ring, streckt ihn aus und lasset ihn mit einem Stricke festbinden. Dann müßt Ihr Euch das Haupt mit einem Tuche verhüllen lassen, so werde ich mit einem spitzen Messer das Fleisch bis an den Knochen herausschneiden, das Gift wegschaben, die Wunde mit Arznei bestreichen und mit Fäden vernähen. Nur so könnt Ihr geheilt werden, aber ich fürchte, Ihr scheut Euch doch.« Da lachte der Herzog breit: »Wenn es nichts andres ist,« sagte er, »so können wir Säule und Ring entbehren«, ließ ein Festmahl zurüsten und lud auch Tuo dazu ein. Als er einige Becher Weins getrunken hatte, streckte er, während er mit dem einen Arme Schach mit Ma Liang spielte, den andern aus und hieß Tuo schneiden. Tuo nahm das spitze Messer zur Hand und befahl einem Soldaten, eine große Schüssel unterzustellen, um das Blut darin aufzufangen. »Ich möchte sogleich beginnen,« sagte Tuo, »doch Ihr werdet erschrecken!« »Schneide zu!« entgegnete der Herzog. Tuo trennte die Haut und das Fleisch des Armes geradezu bis an den Knochen auf. Der Knochen war schon blau angelaufen, Tuo schabte mit dem Messer daran, man konnte deutlich das Kratzen der Klinge vernehmen. Alle Leute im Zelte verhüllten ihr Gesicht und erbleichten bei dem Anblick. Der Herzog trank unterdessen vom Wein, aß von den Speisen, spielte Schach, lachte und verfärbte sich nicht einmal. Bald war die Schüssel voll von Blut gelaufen. Als Tuo das Gift herausgeschabt hatte, bestrich er die Wunde mit Arznei und vernähte sie mit Fäden. Da lachte der Herzog laut, stand auf und sprach zu den Anwesenden: »Diesen Arm kann ich nun wieder biegen und strecken, und er schmerzt mich nicht mehr. Der Herr ist in Wahrheit ein wunderbarer Arzt.« »Lange schon bin ich Arzt,« entgegnete Tuo, »nie aber habe ich dergleichen gesehen. Ihr seid wahrlich der Wundersamste unter den Helden.«

Als die Schußwunde nun ganz geheilt war, lud der Herzog Hua Tuo zu einem Festmahl ein. Da warnte Tuo ihn, er solle den Arm trotz der Heilung schonen, und bat ihn dringend, Zorn zu meiden, noch den Arm zum Stoße zu gebrauchen, so würde er in hundert Tagen so heil sein wie ehedem. Der Herzog zog hundert Taëls Gold hervor und wollte Tuo damit beschenken, doch dieser sagte: »Ich bin gekommen, um einen Helden zu heilen, sollte ich da noch Lohn verlangen?« schlug es ab und nahm es nicht an. Dann ließ er noch allerlei Arzneien und Pflaster zurück, um die Wunde damit zu verkleben, und entfernte sich.

Nun begab es sich, daß, während Herzog Kuan sich im Kriege mit We befand, der Fürst von Wu, bewogen durch einen listigen Rat seines Ministers Lü Meng, des Herzogs Stadt King Djou eroberte. Als der Herzog erfuhr, daß seine Stadt gefallen war, stieg sein Zorn bis zum Himmel: die Naht an der Wunde platzte und er fiel ohnmächtig zu Boden. Die Generale riefen ihn ins Leben zurück und flohen mit dem Heer nach Me Tsing, um daselbst einen Unterschlupf für ihre Soldaten zu suchen. Hilfsmannschaften, die sie erwartet hatten, blieben aus, Lebensmittel besaßen sie keine, so stieg die Not bald aufs höchste. Da meldete man plötzlich einen Mann, der sich vor der Stadt befand und den Herzog zu sprechen wünschte. Kuan ließ ihn kommen und fragte ihn nach seinem Namen, da war es ein Abgesandter des Fürsten von Wu: »Ich komme im Namen des Fürsten von Wu zu Euch,« sprach er, »um Klarheit zu schaffen. Man sagte in alter Zeit, ein Held sei, wer die Gelegenheit zu nützen verstünde. Nun sind alle neun Bezirke oberhalb des Hanflusses, wo Ihr regiert habt, im Besitze Eures Feindes und nur diese einzige Stadt Me Tsing ist noch Euer. Es fehlt an Proviant hier innen, an Hilfe von außen. So kann am Morgen oder Abend das Letzte kommen. Warum folgt Ihr nicht meinem Rat und ergebt Euch dem Fürsten von Wu?« Kuans Gesicht war ernst: »Wenn diese Stadt wirklich fällt,« sagte er, »so ist nichts als der Tod mein Teil. Redet nicht weiter und entfernt Euch eilends aus der Stadt!« Damit ließ er ihn davonjagen. Tags darauf aber ließ er zwei seiner Getreuen, Djou Tsang und Wang Fu, zur Bewachung in der Stadt zurück, führte die zweihundert verwundeten Soldaten, die ihm noch geblieben, hinaus und stürzte sich in den Kampf. Als es früh zu dämmern begann, waren nur noch zehn von ihnen am Leben. Dann wurde Kuan von den Feinden, die zahllos aus Schilf und Gras, hinter Bäumen und Sträuchern hervorkamen, mit Stricken und Netzen lebendig gefangen, mit ihm sein Sohn Ping, der ihm zu Hilfe eilen wollte. Als der Tag erschien, waren Vater und Sohn schon vor das Zelt des Fürsten von Wu gebracht. Der Fürst von Wu redete ihm zu, sich zu ergeben, doch hörte er nicht darauf und wurde sogleich mit den Seinen enthauptet. Zur selben Stunde fühlte Wang Fu, der eine von den Männern, die Kuan in der Stadt Me Tsing zurückgelassen, seine Knochen zittern und sein Fleisch zucken. »Mir träumte heut nacht,« sprach er zu seinem Genossen Djou Tsang, »unser Herr stand, den ganzen Leib mit Blut überströmt, vor mir. Doch ehe ich ihn fragen konnte, war ich erwacht. Der Himmel wird wissen, was es bedeuten mag.« Die Rede war noch nicht zu Ende, da meldete man, das Heer des Fürsten von Wu sei schon außerhalb der Stadt und trage die Köpfe Kuans und seines Sohnes hoch vor sich her, um durch den Anblick jeden Widerstand zu brechen. Wang Fu und Djou Tsang erschraken heftig, eilten auf die Stadtmauer und blickten hinab. Da sahen sie wirklich, wie sie dort die Köpfe Kuans und seines Sohnes herantrugen. Wang Fu schrie laut auf, stürzte über die Mauer und blieb tot dort liegen. Djou Tsang beging Selbstmord.

Nur der Geist des Herzogs Kuan konnte nicht zur Ruhe kommen. Er schwebte und flog dahin, bis er in das Gebirge Yütsüan kam. Auf dem Gebirge lebte ein greiser buddhistischer Mönch, mit dem Mönchsnamen Pu Djing geheißen. Er war einst ein Prediger im Tsin Kuo-Tempel gewesen, der im Burgfrieden von Fan Sue gelegen ist. Weil er aber beim Durchwandern der Welt in dieser Gebirgsgegend den Berg hell und das Wasser klar gefunden, so blieb er hier, machte aus Gras einen Tempel und betete täglich darin. Er hatte niemand bei sich als ein kleines Mönchlein, das für ihn betteln mußte. In dieser Nacht nun schien der Mond weiß und der Wind ging klar. Nach dem dritten Schlage der Nachtglocke saß Pu Djing eben in seinem Tempel und sann, da vernahm er plötzlich den lauten Ruf einer Stimme aus hoher Luft: »Gib mir meinen Kopf wieder!« rief es herab. Pu Djing wandte sein Gesicht nach oben, da sah er in den Lüften einen Mann auf rotem Rosse reiten, der eine Drachenaxt in Händen trug. Zu seiner Linken befand sich ein Jüngling mit weißem Gesicht, zu seiner Rechten ein Mann mit dunklem Gesicht und krausem Barte. Sie ließen ein Wolkenband herunterflattern, bis es den Gipfel des Yütsüan-Gebirges berührte. Pu Djing erkannte, daß es der Herzog war, den er einstens manchmal gesehen, und winkte mit dem Roßhaarwedel der Erscheinung zu: »Wo bist du, Kuan Yün-Tsiang?« Da erwachte der Geist des Herzogs jäh, stieg vom Rosse und fuhr mit dem Wind langsam vor dem Gebirge. Dann faßte er die Hände des Mönchs und sprach: »Wer bist Du, Meister, ich möchte Deinen Namen wissen.« »Ich bin Pu Djing«, entgegnete jener. »Unglück hat mich getroffen und ich bin dem Tod unterlegen,« sagte der Herzog Kuan, »gib mir Rat, wie ich aus dieser Wirrnis komme.« Da antwortete Pu Djing: »Daß nun falsch wäre, was einstens richtig gewesen, darüber bedarf es keines Gedankens. Denn was nachher kommt, hat seine Wurzel im Vergangenen und kann nicht falsch sein. Jetzt bist Du von Lü Meng getötet worden und rufst: Gib mir meinen Kopf zurück! aber gedenke Yien Liangs, Wen Tsius und anderer, die Du wieder enthauptet hast: wer sollte wohl ihnen ihre Köpfe wiedergeben?« Da berührte Herzog Kuan mit der Stirn die Erde, sammelte die innere Kraft und verschwand, nach Rache dürstend für seinen Tod.

Nun hatte der Fürst von Wu durch jene List seines Ministers Lü Meng King Djou in Besitz genommen. Dafür füllte er eigenhändig einen Becher mit Wein und schenkte ihn dem Lü Meng. Lü Meng empfing den Wein und wollte eben zum Trinken ansetzen, als er plötzlich den Becher zur Erde schleuderte. Mit einer Hand ergriff er den Fürsten und fluchte laut: »Grünäugiges Kind! Rotbärtige Maus! Kennst Du mich noch?« Die Anwesenden erschraken heftig, doch als sie zur Rettung herbeieilen wollten, schlug Lü Meng den Fürsten zu Boden. Mit großen Schritten ging er auf des Fürsten Platz und ließ sich darauf nieder. Seine beiden Brauen waren hinaufgezogen, seine zwei Augen rund geöffnet. »Seit der ersten Waffentat meiner Jugend«, rief er laut, »bin ich dreißig Jahre kreuz und quer durch die Welt gezogen, jetzt, Fürst von Wu, ging ich Dir ins Netz. Bekam ich auch, solange ich lebte, Dein Fleisch nicht zum Fraße, so will ich wenigstens im Tode Deines Dieners Lü Meng Geist umtreiben. Denn der hier aus Lü Mengs Leibe redet, bin ich, Herzog Kuan Yün-Tsiang, Statthalter von Han Siu.« Der Fürst von Wu, zu Tode erschrocken, führte seine Generale und Offiziere mit einer heftigen Bewegung vor ihn hin und zwang sie in die Knie. Doch da sahen sie, daß Lü Meng plötzlich zu Boden stürzte: Blut floß aus allen sieben Öffnungen seines Leibes, und er war sogleich tot.


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