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Der Kampf um die schöne Tiao Tsien

Zur Zeit der Handynastie lebte ein Minister der öffentlichen Bauten, namens Wang Yün, der mit Schmerz bemerkte, wie der Kanzler Tung Tsuo die Macht so sehr in seine Hände riß, daß er zuletzt den Kaiser zwang, die übrigen Fürsten nur noch nach seinem Willen zu regieren. Dabei stand ihm ein angenommener Sohn, mit Namen Lü Pu, zur Seite, ein Mensch von ungewöhnlicher Körperkraft und ein einfältiger Draufgänger. Das Reich stand in Gefahr, Wang Yün war den ganzen Tag in trauriges Sinnen versunken, und die innere Unruhe trieb ihn rastlos umher. Einmal, als es schon tiefe Nacht war und der helle Mond am Himmel stand, ging er noch, auf einen Stock gestützt, im hintern Garten hin und her. Bei der Blütenlaube blieb er stehen und sah nachdenklich in den Himmel, da vernahm er plötzlich am Pfingstrosenpavillon ein Seufzen und kurzes Weinen. Leise eilte er dahin, da war es eine Sängerin seines Hauses, mit Namen Tiao Tsien, die er schon in ihrer Kindheit gekauft und Singen und Tanzen hatte lernen lassen. Sie war eben sechzehn Jahre alt geworden und ihre Schönheit und Kunst standen just in der glühendsten Blüte. Yün, der sie wie ein eigenes Kind hielt, lauschte eine Weile, dann rief er laut: »Welche Geheimnisse hast Du?« Tsien erschrak, warf sich vor ihm auf die Knie und sagte: »Wie wagte ich es, ein Geheimnis vor Euch zu haben!« »Wenn Du kein Geheimnis hast,« erwiderte Yün, »weshalb seufzest Du so lange in der Nacht?« Da sprach Tsien: »Ihr habt mich aufgezogen in Eurer Güte und mich Singen und Tanzen gelehrt und wart mir immer so überaus herzlich zugetan: ließe ich meine Knochen zu Staub zermahlen und meinen Leib in Stücke reißen, nicht ein Zehntausendteil Eurer Güte vermöchte ich Euch zu vergelten. Ich sah gar wohl in letzter Zeit, wie Ihr schmerzlich die Brauen zusammenzogt, und dachte, es wird wohl mit den großen Angelegenheiten des Reiches zusammenhängen. Doch wagte ich es nicht, Euch zu fragen. Heute Abend nun bemerkte ich, wie heftig es Euch umhertrieb, deshalb seufzte ich so tief vor Leid um Euch. Wenn Ihr mich doch nur irgendwie brauchen könntet, ich wollte Euch nichts verweigern und stürb' ich zehntausend Tode darum!« Da klopfte Yün mit dem Stock auf den Boden und sagte: »Wer hätte gedacht, daß das Schicksal der Dynastie Han in Deine Hände gegeben ist? Komme mit mir nach der gemalten Terrasse!«

Als sie eingetreten waren, hieß er alle Frauen und Dienerinnen hinausgehen. Dann warf er sich vor Tiao Tsien auf die Knie und flehte sie an, das Volk aus der Gefahr, in der es schwebe, zu erretten. »Verfahrt, wie Ihr wollt,« entgegnete Tiao Tsien, »ich werde jedem Eurer Befehle mit aller Kraft, die ich habe, gehorchen.« Yün nahm einige helle Perlen, die er im Hause aufbewahrte, hervor, sandte sie zu einem Kunstgoldschmied und ließ sich von diesem einen goldenen Helm herstellen, der mit den Perlen geschmückt wurde. Dann schickte er heimlich jemand zu Lü Pu und ließ ihm den Helm als Geschenk überbringen. Pu war hocherfreut und begab sich persönlich zu Yün, um ihm zu danken. Yün führte ihn sogleich bis in die innern Räume seines Hauses und wies ihm den Ehrenplatz an. »Ihr seid ein Minister des kaiserlichen Hauses«, sagte Lü Pu, »und ich nur der einfache Diener des Kanzlers Tsuo. Weshalb ehrt Ihr mich so hoch?« »Ihr seid der einzige Held, der heute lebt,« entgegnete Yün, »ich ehre Euch nicht um Eures Ranges, sondern um Eurer Tüchtigkeit willen«, und begann sogleich allerlei Lobsprüche über Tung Tsuo's Tugend. Pu war erfreut, geriet in gute Stimmung und sprach dem Weine zu. Yün entließ die Dienerschaft, nur zwei Sklavinnen blieben, um einzuschenken. Als nun reichlich vom Weine genossen worden, ließ Yün seine Tochter hereinrufen. Bald erschien sie denn auch, ein Mädchen in buntem Festgewand, von zwei Sklavinnen hereingestützt. Forschend fragte Pu, wer sie wäre? Da entgegnete Yün: »Es ist meine Tochter Tiao Tsien. Ihr zeigtet mir so viel Liebe, daß ich mich wie Euren Verwandten betrachte, deshalb wollte ich nicht versäumen, sie Euch vorzuführen.« Sogleich hieß er Tiao Tsien Lü Pu Wein einschenken. Während sie den Wein hertrug, betrachtete Lü Pu sie unaufhörlich mit Augen und Augenbrauen. Yün stellte sich betrunken. »Mein Kind,« sagte er, »bitte den Herrn nur eindringlich, einige Becher Weins zu genießen. Unser ganzes Haus stützt sich einzig auf ihn.« Lü Pu lud Tsien ein, sich neben ihn zu setzen, Tiao Tsien wollte absichtlich zurücktreten, doch Yün rief: »Herr Lü ist mein bester Freund, setze Dich nur, was sollte es schaden?« Tiao Tsien setzte sich neben Yün, Lü Pu starrte sie mit den Augen an. Dann sprach Yün, auf Tsien weisend: »Ich will Euch diese meine Tochter zur Nebenfrau schenken. Seid Ihr es zufrieden?« Lü Pu erhob sich, dankte und erwiderte: »Wenn Ihr sie mir geben wollt, werde ich Euch dankbar sein, selbst noch im andern Leben als Hund und Pferd.« »So werde ich demnächst einen günstigen Tag auswählen, um sie zu Euch zu bringen«, antwortete Wang Yün. Pu war außer sich vor Freude und ließ Tsien nicht mehr aus den Augen. Auch Tiao Tsien sandte ihm in ihren Blicken, die sich wie Herbstwellen bewegten, Liebe hinüber. Als nun das Gastmahl beendet war, sagte Yün: »Gern hätte ich Euch noch über Nacht behalten, doch fürchte ich, der Kanzler möchte sich beunruhigen.« Lü Pu verbeugte sich mehrere Male, dankte und entfernte sich.

Einige Tage später traf Yün im kaiserlichen Palaste mit Tung Tsuo zusammen. In einem Augenblick, da Lü Pu gerade abwesend war, beugte er seine Knie vor Tsuo, bat und sagte: »Ich möchte Euch einmal zu mir laden in meine ärmliche Hütte, um ein Gastmahl zu begehen. Wollt Ihr mir die Ehre schenken?« »Wenn Ihr mich darum bittet,« entgegnete Tsuo, »kann ich es Euch nicht verweigern.« Yün verbeugte sich, dankte und ging nach Hause. Darauf ließ er ein Festmahl zurüsten und ordnete in der Mitte einen Sitz an, prächtig mit Seiden und Stickereien, bedeckte den Estrich mit Teppichen und ließ überall, außen und innen, Draperien anbringen. Den andern Mittag kam Tsuo heran, Yün empfing ihn in Hofkleidung, außerhalb des Portals. Tsuo stieg aus dem Wagen, das Gefolge in voller Bewaffnung, mehr als hundert Mann, ging teils vor, teils hinter ihm her und blieb dann, Spalier bildend, stehen. Yün warf sich an der Saaltreppe auf die Knie, Tsuo befahl seinen Leuten, ihn beim Aufstieg zu stützen, und hieß ihn neben sich sitzen. »Ihr übertrefft«, sagte Yün, »an Tugend die Minister J und Djou, von der uns aus alter Zeit berichtet ist.« Tsuo freute sich der Schmeichelei, der Wein begann zu kreisen, Musik erscholl, Yün lud Tsuo mit übertriebener Höflichkeit zum Trinken ein. Als es Abend geworden war und es schon hoch herging mit Trinken und Zechen, bat Yün seinen Gast, mit ihm in den inneren Saal zu kommen. Tsuo ließ sein Gefolge zurück, da ergriff Yün einen Becher, wünschte Tsuo Glück und sprach: »Ich habe von Jugend auf einiges von der Kunst der Sterndeutung verstanden. Gestern nacht betrachtete ich den Himmel und sah, daß die Dynastie Han sich zu ihrem Untergange neigt, Ihr aber werdet ihr im Kaiserreiche folgen.« Tsuo lächelte: »Wenn wirklich ein solcher Befehl des Himmels an mich erginge, so müßtet Ihr mein erster Minister sein«, sagte er. Yün beugte sich und dankte ihm. Nachdem nun die bunten Kerzen im Saale angezündet waren, ließ Yün nur noch seine Dienerinnen beim Essen bedienen. »Die Mietmusikanten«, sagte er dann zu Tsuo, »scheinen mir nicht gut genug, als daß ich ihre Kunst Euch anzubieten wagte. Zufällig habe ich da eine schöne Dirne im Hause, verstattet, daß ich sie Euch vorführe.« Tsuo war es zufrieden, da fiel auf Yüns Geheiß einer der Vorhänge, Flöten und Trompeten ertönten ringsum, und außerhalb des Vorhangs tanzte Tiao Tsien. Als der Tanz beendet war, rief Yün sie zu sich, Tsien trat in den Raum vor dem Vorhang und beugte sich zweimal fast bis zur Erde. Tsuo sah ihre Schönheit und fragte: »Wer ist dieses Mädchen?« »Tiao Tsien, eine Sängerin meines Hauses«, erwiderte Yün. »Kann sie auch singen?« fragte Tsuo. Yün hieß Tiao Tsien die ebenhölzernen Brettchen nehmen und leise ein Lied singen, Tsuo lobte sie immerzu. Nun ließ Yün sie beim Trinken bedienen, Tsuo nahm den Becher in die Hand und fragte: »Wie alt ist das Mädchen?« »Just sechzehn Jahre«, entgegnete Yün. Da lachte Tsuo und sagte: »Sie ist wahrlich wie ein Kind des Himmels.« Yün erhob sich: »Ich würde Euch das Mädchen gerne anbieten,« sagte er, »doch weiß ich nicht, ob Ihr sie annehmen mögt.« »Wie könnte ich Euch genug danken,« erwiderte Tsuo, »wenn Ihr mir ein solches Geschenk macht?« »Wenn es ihr vergönnt wäre, Euch zu bedienen,« antwortete Yün, »es wäre ein großes Glück für sie.« Tsuo dankte noch zwei- und dreimal, dann ließ Yün sogleich einen weich gepolsterten Wagen bereitstellen, um Tiao Tsien unverzüglich nach Tsuo's Hause zu senden. Infolgedessen verabschiedete sich Tsuo und Yün begleitete ihn noch bis vor seine Tür.

Als Yün zu Roß nach Hause zurückkehren wollte, begegnete er unterwegs zwei Reihen roter Laternen: Lü Pu, hoch zu Pferde, eine Hellebarde in der Hand, kam dahergeritten. Als er Yüns ansichtig wurde, ließ er das Pferd halten und faßte Yün mit der andern Hand am Kleid, indem er laut und zornig rief: »Hattet Ihr Tiao Tsien nicht schon mir versprochen, was sendet Ihr sie nun dem Kanzler ins Haus?« Yün, erregt, beruhigte ihn und sagte: »Hier ist kein Ort, um darüber zu sprechen. Folgt mir, bitte, in mein Haus!« Als Yün und Pu nach Yüns Hause gelangt waren, stiegen sie von den Rossen und begaben sich sogleich in den inneren Saal. Nach Beendigung der Begrüßungszeremonien fragte Yün: » Weshalb zürnt Ihr mir?« »Man sagte mir,« erwiderte Lü Pu, »Ihr hättet Tiao Tsien in das Haus des Kanzlers geschickt. Was soll das?« »Ja, wißt Ihr denn nicht, warum dies geschah?« antwortete Yün. »Gestern sagte mir der Kanzler bei Hofe, er habe mit mir zu sprechen und wolle mich aufsuchen. Ich erwartete nun zu Hause seine Ankunft, während des Mahles aber sagte er plötzlich: ›Ich höre, Ihr habt Eure Tochter Tiao Tsien meinem Sohne Lü Pu zur Ehe versprochen. Da ich aber fürchtete, daß es vielleicht nicht ganz sicher sei, kam ich nur deshalb hierher, um Euch noch einmal daran zu erinnern und mir das Mädchen anzusehen.‹ Da ich ihm dies nicht verweigern konnte, führte ich Tiao Tsien heraus, damit sie den Schwiegervater begrüße. Da sagte der Kanzler: ›Heut ist ein glücklicher Tag, ich will sie sogleich mitnehmen, um sie meinem Sohne zur Frau zu geben!‹ Denkt doch, der Kanzler kam selbst, wie mochte ich ihn da an seinem Vorhaben hindern?« »Zürnt mir nicht!« erwiderte nun Lü Pu, »ich muß mich im Augenblicke verhört haben und komme morgen noch einmal, um Euch um Entschuldigung zu bitten.« »Meine Tochter hat noch einiges Brautgut,« sagte Yün, »sobald sie bei Euch ist, sende ich es Euch zu.« Darauf dankte Pu und entfernte sich.

Tags darauf ging Lü Pu nach dem Amte seines Vaters, um sich zu erkundigen, konnte dort jedoch nichts in Erfahrung bringen. Darauf begab er sich sogleich in den innern Saal und fragte die Dienerinnen. Da antworteten die Dienerinnen: »Der Kanzler schlief mit dem neu angekommenen Weibe und ist noch nicht aufgestanden.« Lü Pu wurde von Wut erfaßt, heimlich schlich er sich an die Hintertür von Tsuo's Schlafgemach und lauschte. Zur Zeit stand Tiao Tsien am Fenster, um ihr Haar zu kämmen. Da sah sie plötzlich im Teiche vor dem Fenster einen großen Menschenschatten mit einem Hut, der die Frisur umfaßte. Verstohlen blickte sie hin, es war Lü Pu. Da zog sie absichtlich ihre beiden Brauen zusammen und gab ihrem Antlitz einen traurigen Ausdruck, indem sie sich oft mit dem seidenen Tuche über die Wangen strich, als wolle sie Tränen fortwischen. Lü Pu betrachtete sie lange, dann entfernte er sich.

Kurz danach kehrte er wieder zurück, Tsuo saß bereits im Mittelsaal. Als er ihn kommen sah, fragte er: »Gibt es draußen nichts zu tun?« Pu antwortete nicht, er stand vor Tsuo. Dieser aß gerade. Pu blickte sich heimlich im Raume um. Hinter dem gestickten Vorhang sah er ein Mädchen hin und wiedergehen. Sie lugte heraus und hatte noch nicht die eine Hälfte ihres Gesichts sichtbar gemacht, so sah er sie rasch mit einem Blick der Liebe an. Er wußte, es war Tiao Tsien, Seele und Sinne gerieten ihm ins Wanken. Als Tsuo den Ausdruck in Pu's Antlitz bemerkte, erwachte ein Verdacht und heimlicher Neid in seinem Herzen: »Fung-Schian,« Ehrenname des Lü Pu. sagte er, »wenn Du hier nichts zu schaffen hast, so gehe Deiner Wege!« Da entfernte sich Lü Pu, das Herz voll von großer Traurigkeit.

Seit Tiao Tsien in Tsuo's Hause war, band diesen die Liebe so fest, daß er einen vollen Monat nicht über die Schwelle kam, um seinen Arbeiten nachzugehen. Eines Tages befiel ihn ein leichtes Unwohlsein, Tiao Tsien pflegte ihn, ohne aus den Kleidern zu kommen, mit übermenschlicher Geduld, zur Freude Tsuo's, der immer inniger an ihr zu hängen begann. Da erschien einmal Lü Pu, um ihm gute Besserung zu wünschen, Tsuo aber war gerade eingeschlummert. Da hob sich Tiao Tsien hinter dem Bette mit halbem Leibe empor, um Pu sehen zu können, wies schweigend zuerst auf ihr Herz, dann auf Tsuo und brach in ein endloses Weinen aus, daß Pu die Seele davon zerreißen wollte. Als Tsuo erwachte, schien es ihm in dem flimmernden Nebel, der seine beiden Augen noch blendete, als starrten Pu's Augen hinter das Bett. Er wandte sich um und sah Tiao Tsien hinter dem Bette stehen, Da erfaßte ihn ein heftiger Zorn, scheltend fuhr er auf Pu los: »Wagst Du es, mit meiner lieben Dirne Unzucht zu treiben?« und ließ ihn sogleich von den Dienern hinausjagen. Von nun an sollte es ihm verboten sein, in den inneren Saal einzutreten.

Lü Pu entfernte sich, von Haß und Zorn erfüllt. Unterwegs begegnete er seinem Freunde Li Ü und sagte ihm, was ihm wiederfahren sei. Li Ü begab sich eilig zu Tsuo und sprach: »Ihr begehrt doch nach der Reichsherrschaft, was zürnt Ihr Lü Pu wegen so geringen Anlasses? Wenn er sein Herz ändert, wird alles in Stücke gehen.« »Was ist zu tun?« fragte Tsuo. »Laßt ihn morgen früh zu Euch kommen,« entgegnete Li Ü, »beschenkt ihn mit Gold und Seide und beruhigt ihn mit tröstlichen Worten! So wird es wieder gut werden.« Tsuo befolgte den Rat, ließ am andern Morgen Lü Pu zu sich rufen, beruhigte ihn und sprach: » Ich war krank und meiner selbst nicht mächtig, so habe ich Dich, ohne es zu wissen, gekränkt. Nimm es Dir nicht zu Herzen!« Dann schenkte er ihm zehn Pfund Gold und zwanzig Stücke Seide, und Pu entfernte sich.

Aber obwohl sich Pu's Leib stets in Tsuo's Nähe aufhielt, seine Seele war immerzu bei Tiao Tsien. Als Tsuo wieder genesen war, begab er sich nach dem kaiserlichen Palaste zu einer Beratung. Pu begleitete ihn mit seiner Lanze. Während nun aber Tsuo beim Kaiser war, nützte Lü Pu die Gelegenheit, nahm die Lanze zur Hand und ritt eilends geradewegs nach Tsuo's Hause. Hier band er das Roß vor der Türe fest, nahm seine Lanze und ging in den inneren Saal. Dort fand er Tiao Tsien, die ihn bat, in den hinteren Park zu gehen und sie am Fung-J-Pavillon zu erwarten. Pu, die Lanze immer in der Hand, begab sich dahin und lehnte am Geländer des Pavillons. Nach einiger Zeit teilten sich die Blumen und Weiden auseinander und Tiao Tsien trat hervor gleich einer der Feen im Mondpalast. »Ob ich auch nicht des Ministers Wang eigenes Kind bin,« sagte sie weinend, »so sah er mich doch wie seine leibliche Tochter an. Als ich Dich sah und Dein werden sollte, schienen alle Wünsche meines Lebens erfüllt zu sein. Wer hätte gedacht, daß der Kanzler so böse Pläne fassen und mich meiner Reinheit berauben würde? Längst wäre ich gestorben, nur weil ich noch nicht Abschied von Dir nehmen durfte, trug ich bis jetzt mein Leben in Jammer und Pein. Nun habe ich Dich gesehen, nun ist mir alles erfüllt. Besudelt, kann mein Leib keinem Helden mehr dienen, so laß mich vor Deinen Augen sterben, damit Du mein Herz erkennst.« Kaum hatte sie dies gesagt, so faßte sie das gekrümmte Geländer und stürzte sich in den Seerosenteich. Aber Lü Pu hielt sie fest, weinte und sprach: » Dein Herz kenn' ich schon lange. Mich schmerzte nur, nicht mit Dir sprechen zu können.« Da faßte sie seine Hände: »In diesem Leben«, sagte sie, »darf ich Dir nicht angehören, so will ich es Dir denn für das nächste versprechen.« »Wenn Du nicht noch in diesem Leben mein wirst,« rief Lü Pu, »so will ich kein Held sein.« »Ich verbringe jetzt einen Tag wie ein Jahr,« entgegnete Tsien, »ich wollte, Du erbarmtest Dich meiner und erlöstest mich.« »Ein Zufall erlaubte es mir, heimlich hierherzukommen,« sagte Lü Pu, »ich fürchte aber, der alte Dieb wird Verdacht schöpfen. Ich muß schleunigst von hinnen.« Tiao Tsien aber hielt ihn am Kleide fest: »Wenn Du solche Angst vor dem alten Diebe hast,« sprach sie, »so wird nie der Tag erscheinen, da ich wieder Himmel und Sonne sehen darf.« Pu blieb stehen: »Laß mich in Ruhe überlegen«, sagte er, nahm seine Lanze und wollte gehen. Doch Tiao Tsien sprach: »Als ich noch in der versteckten Kammer zu Hause war, dröhnte Dein Name mir in den Ohren wie Donnerschall und ich hielt Dich für einen Helden weit über aller Menschen Maß. Wer hätte gedacht, daß selbst Du Dich von anderen beherrschen lassest?« Darnach flossen ihr die Tränen wie Regen herab. In Pu's Antlitz erschien einen Augenblick lang ein Ausdruck von Beschämung. Er kehrte mit seiner Lanze wieder um, umarmte Tsien und sprach ihr zu mit herzlichen Worten. Die beiden sanken sich in die Arme und wagten es nicht, sich voneinander zu trennen.

Als Tung Tsuo Lü Pu nicht mehr im Palaste fand, stieg ein heftiger Verdacht in ihm auf. Eilig verabschiedete er sich vom Kaiser und fuhr zu Wagen nach Hause. Als er Pu's Roß vor der Tür festgebunden fand, fragte er den Wächter, der aussagte, Lü Pu sei in den inneren Saal gegangen. Sogleich begab sich Tsuo in den inneren Saal, fand Pu aber nicht und rief nach Tiao Tsien. Doch auch diese war verschwunden. Rasch fragte er die Dienerinnen, sie antworteten, Tiao Tsien sei in den hinteren Park gegangen, die Blumen zu betrachten. Tsuo suchte nach ihr bis in den hinteren Park, da sah er, wie Lü Pu und Tiao Tsien am Fung-J-Pavillon miteinander sprachen. Die Lanze stand daneben. Tsuo geriet in furchtbare Wut und schrie laut auf. Als Pu Tsuo herankommen sah, erschrak er heftig, kehrte um und wollte fliehen. Tsuo ergriff die Lanze und eilte ihm nach. Doch Lü Pu lief sehr rasch, Tsuo war zu beleibt, vermochte ihn nicht einzuholen und schleuderte die Lanze, um Pu niederzustechen. Pu schlug die Lanze mit der Hand zu Boden, Tsuo hob sie auf und lief vorwärts, doch Pu war schon weit vor ihm. Als Tsuo eben durch das Parktor lief, kam ihm jemand fliegend schnell entgegen, rannte mit ihm zusammen und stieß ihn vor die Brust, daß Tsuo zu Boden fiel. Es war Li Ü.

Li Ü stützte Tung Tsuo vom Boden auf und geleitete ihn nach dem Studierzimmer. Als sie sich gesetzt hatten, fragte Tsuo: »Wo kommst Du her?« »Ich trete eben zum Tor herein,« sagte Li Ü, »erfahre, daß Ihr zornig seid, will nach dem hinteren Parke eilen, um Lü Pu zu fragen, was vorgefallen. Ich bin im schönsten Laufe, begegnet mir Lü Pu in eilender Flucht, sagt, Ihr wolltet ihn töten, ich gerate in Angst, will in den Park, Euch zu beruhigen, und stoße mit Euch zusammen, ehe ich wußte, was ich tat. Ich muß sterben, ich muß sterben.« Da sagte Tsuo: »Der empörerische Dieb liebäugelt mit meiner lieben Dirne. Ich schwöre Dir, daß ich ihn töten werde.« »Ihr habt eine falsche Meinung über diese Sache,« entgegnete Li Ü. »Einst hat der König von Tsu, als er über Dschang Hung zu Gerichte saß, weil dieser ihm seine Dirne verführen wollte, ihm das Vergehen nicht nachgetragen, dafür rettete ihm Dschang Hung, als er später vom Heere des Königs von Tsin umringt war, das Leben. Tiao Tsien ist nur ein Weib, Lü Pu aber ist ein treuer und tapferer Held. Wenn Ihr jetzt die Gelegenheit nütztet und schenktet ihm die Tiao Tsien, Lü Pu würde sicherlich Eurer Güte vergelten, und hieße es, den Tod für Euch zu sterben. Ich bitte Euch, überlegt Euch dies!« Tsuo verharrte lange in Nachdenken, endlich sagte er: »Dein Rat ist richtig, laß mich überlegen!«

Als Li Ü sich entfernt hatte, begab sich Tsuo in den inneren Saal und fragte Tiao Tsien: »Warum pflegst Du heimlichen Verkehr mit Lü Pu?« Da weinte Tsien und sagte: »Ich war im hinteren Park, um die Blumen zu betrachten. Da kam unerwartet Lü Pu daher. Ich wollte mich, erschrocken, wie ich war, verbergen, doch da sagte er, er sei ein Sohn des Kanzlers, weshalb ich ihn fürchtete? Er ergriff seine Lanze und lief hinter mir her. Als ich an den Fung-J-Pavillon kam, merkte ich, daß er etwas Böses im Schilde führe und mir Gewalt antun wolle: da sprang ich in den Seerosenteich, um ihm durch Selbstmord zu entfliehen. Er aber hielt mich fest und die Not stieg aufs höchste, da kamet endlich Ihr und rettetet mein Leben.« Darauf erwiderte Tung Tsuo: »Ich will Dich Lü Pu schenken. Wie denkst Du darüber?« Tsien erschrak heftig: »Ich bin nun schon eines hochstehenden Mannes Dienerin gewesen,« sagte sie, »und Ihr wollt mich nun wieder einem Knechte schenken? Ehe ich mich so vergehe, will ich lieber sterben«, und ergriff sogleich das Schwert, das an der Wand hing, um sich ein Leid anzutun. Tsuo aber entriß ihr sogleich das Schwert, umarmte sie und sagte: »Es war nur ein Scherz.« Tiao Tsien stürzte an Tsuo's Brust, weinte mit verhülltem Gesicht und sprach: »Dies war sicherlich ein Rat von Li Ü. Er ist mit Lü Pu eng verbündet, deshalb hat er Euch diesen Rat gegeben. Denn um Eure Ehre und mein Leben kümmert er sich wenig, ich möchte sein Fleisch bei lebendigem Leibe essen.« »Wie könnte ich Dich von mir lassen!« rief nun Tsuo, und Tsien entgegnete: »Ob Ihr mich auch so innig liebt, ich fürchte, wir werden nicht lange so bleiben können. Denn Lü Pu wird sicherlich eine andre List ersinnen, um uns zu töten.« »Morgen fahre ich nach Me-U,« antwortete Tsuo, »um dort mit Dir des Lebens zu genießen. Sei doch nicht mehr so traurig und verzweifle nicht!« Da ließ sie ab vom Weinen und dankte ihm.

Am nächsten Tage erschien Li Ü wieder und sprach: »Der Tag ist günstig, sendet Tiao Tsien zu Lü Pu!« »Ich und Pu sind wie Vater und Sohn, es geht nicht an«, entgegnete Tsuo. »Auch bin ich keineswegs gewillt, Pu's Betragen zu dulden. Gehe hin und sage ihm meine Worte und beruhige ihn mit herzlicher Rede! Damit aber sei es genug!« »Ihr unterliegt der List eines Weibes!« rief Li Ü. Tsuo verfärbte sich: »Würdest Du Lü Pu Deine Frau schenken?« fragte er. »Was aber Tiao Tsien angeht, so erwähne ihrer nicht wieder, wenn Du nicht Deinen Kopf verlieren willst.« Li Ü ging hinaus, schlug die Augen zum Himmel auf und seufzte: »Wir werden noch alle an diesem Weibe zugrunde gehen.«

Noch denselben Tag gab Tung Tsuo den Befehl zur Abreise nach Me-U. Hunderte von Mandarinen standen mit zur Erde gebeugten Häuptern dabei und begleiteten ihn auf seiner Fahrt. Tiao Tsien saß im Wagen, ferne im Menschengedränge sah sie Lü Pu stehen und in den Wagen starren. Sie stellte sich, als verhülle sie ihr Gesicht, um das Weinen zu verbergen. Als der Zug schon weit fortgefahren war, ließ Lü Pu dem Rosse die Zügel schießen und sprengte einen Hügel hinan, sah mit starren Augen in den entschwindenden Wagenstaub und stöhnte und atmete heiß in Leid und Haß. Plötzlich hörte er, daß jemand hinter seinem Rücken sagte: »Wen-Hou! Gleichfalls ein Ehrenname des Lü Pu. Warum fahrt Ihr nicht mit dem Kanzler und bleibt hier zurück, um ihm aus der Ferne nachzuseufzen?« Als Pu sich umsah, stand Wang Yün vor ihm. Sie begrüßten einander und Yün fuhr fort: »Ich war in letzter Zeit immer krank und bin lange nicht über die Schwelle meines Hauses gekommen, so konnte ich auch Euch nicht sehen. Heute nun ist der Kanzler nach Me-U abgereist, so mußte ich denn, obgleich immer noch unwohl, aus dem Hause, um beim Abschied nicht zu fehlen. Es freut mich, Euch zu Gesichte zu bekommen. Warum seufzt Ihr hier so bang?« »Um niemand als um Eure Tochter«, entgegnete Pu. Yün stellte sich erschrocken und sagte: »Das ist nun schon so lange her. Hat man sie Euch noch immer nicht ins Haus gesandt?« »Der alte Dieb beschläft sie schon seit langem«, antwortete Pu. Yün tat noch erschrockener: »Ist es möglich, daß es dergleichen gibt?« rief er aus, da erzählte ihm Pu alles, was er erlebt hatte. Yün, das Gesicht nach oben gekehrt und mit den Füßen trappelnd, sprach lange kein Wort. Endlich sagte er: »Nie hätte ich gedacht, daß der Kanzler eine so tierische Tat beginge!« faßte Pu bei der Hand und fuhr fort: »Kommt zu mir, laßt uns einmal darüber reden!«

Als Pu nach Yüns Hause kam, führte dieser ihn in ein verborgenes Zimmer und lud ihn zum Speisen ein. Noch einmal erzählte Pu ausführlich die Geschichte vom Fung-J-Pavillon, da sprach Yün: »Mir hat der Kanzler die Tochter verführt und Euch die Frau genommen. Alle Welt wird lachen, aber nicht über ihn, sondern unsertwegen, weil wir Menschen sind, die zu nichts taugen. Doch ich bin alt, was sollte ich dagegen unternehmen? Müßt doch auch Ihr dazu schweigen und seid ein Held, der aller Länder Verehrung genießt!« Da strahlte Pu's Wut bis zum Himmel auf, zornig schlug er auf den Tisch und begann laut zu schreien. Yün beeilte sich, ihn zu beruhigen: »Ich habe Törichtes gesprochen,« sagte er, »ich flehe Euch an, beruhigt Euch!« Aber Pu rief: »Ich werde diesen alten Dieb töten, um meiner Ehre willen.« »Nicht zu laut, um Gotteswillen,« sprach Yün, indem er ihm rasch den Mund zuhielt, »es wird nur Unheil für uns daraus entstehen.« »Nicht lange wird ein großer Mann es dulden, daß eines andern Hand auf ihm liege«, entgegnete Pu. »Allerdings, gewaltiger als Ihr wird auch Tung Tsuo nicht sein«, sagte Yün. »Ich würde ihn töten, wären wir nicht Vater und Sohn, so daß ich fürchten müßte, verdammt zu werden«, meinte nun Lü Pu. Da lächelte Yün und sprach: »Ihr heißet Lü, der Kanzler heißt Tung. Denkt daran: als er die Lanze nach Euch schleuderte, wo war damals die Liebe zwischen Vater und Sohn?« Wie ein Blitz durchzuckte das Wort Pu's Seele: »Hättet Ihr dies nicht gesprochen, ich wäre falsche Wege gegangen«, rief er aus. Doch noch hielt Yün Pu's Entschlossenheit nicht für zuverlässig genug, so redete er ihm denn mit vielen Worten zu, sich zur Dynastie Han zu schlagen und Tsuo zu töten. Pu erhob sich und sprach: »Mein Entschluß ist gefaßt, zweifelt nicht mehr an mir!« »Doch wenn es mißlingt, so setzen wir, fürcht' ich, unser Leben aufs Spiel«, erwiderte Yün. Da zog Pu seinen Dolch aus der Scheide und schnitt sich in den Arm, bis er blutete, als Eid, Yün aber warf sich auf die Knie und rief: »Wenn die Dynastie Han nicht zugrunde geht, so wird dies Euer Werk sein. Verratet nur nichts, sobald die Zeit gekommen ist, will ich Euch Nachricht senden.« Pu war es zufrieden und entfernte sich.

Nachdem nun Yün die Angelegenheit mit vielen vertrauten Genossen beraten, sandte er einen Mann, namens Li Su, nach Me-U und ließ Tung Tsuo sagen, es sei ein kaiserlicher Erlaß herausgekommen. Tsuo befahl Su zu sich und fragte diesen, als er eingetreten war, welches der Inhalt des kaiserlichen Erlasses sei. »Der Kaiser«, sprach Li Su, »ist von einer Krankheit genesen und gedenkt alle Beamten im We Yang-Palaste zu versammeln, um Euch den Thron zu übergeben. Dies ist der Inhalt des Erlasses.«

Zu dieser Zeit war Tsuo's Mutter schon über neunzig Jahre alt. »Wo willst Du hingehen, mein Sohn?« fragte sie. »Ich gehe, um Kaiser zu werden«, entgegnete Tsuo. »Mein Herz hat gepocht, mein Fleisch hat gezittert in diesen Tagen,« sprach die Mutter, »es wird ein Unheil geben.« »Du wirst nun Kaiserin-Mutter, wie sollte dies ohne seltsame Zeichen abgehen?« antwortete Tsuo und nahm sogleich Abschied. Ehe er abreiste, sagte er noch zu Tiao Tsien, nun würde er sie zur Kaiserin machen, wenn er Kaiser würde. Tsien wußte wohl, daß es nur eine List war, dennoch tat sie beglückt, beugte sich tief und dankte ihm.

So verließ Tsuo Me-U und begab sich zu Wagen, vorn und rückwärts von einem reichen Gefolge begleitet, nach der Hauptstadt. Unterwegs brach ein Wagenrad, die Pferde wurden toll, Stürme bliesen und dichter Nebel bedeckte den Himmel, vielerlei Unglücksfälle trugen sich zu. Tsuo sah darin keine Vorzeichen und blieb ruhig. Als er vor den Palast kam, empfingen ihn alle Mandarinen in Hofkleidung, Su, ein Schwert tragend, trieb den Wagen bis an das Nordtor. Doch das ganze Gefolge wurde nicht eingelassen, nur etwa zwanzig Wagenlenker kamen hindurch. Als Tung Tsuo Wang Yün und die andern mit Schwertern im Palaste stehen sah, erschrak er und fragte: »Su, was soll dies bedeuten?« Su antwortete nicht und trieb den Wagen schweigend vorwärts. Mit einem Male rief Wang Yün laut: »Wo seid Ihr, gewappnete Ritter?« Da strömten von beiden Seiten an hundert Männer hervor und stachen nach Tsuo mit ihren Schwertern und Lanzen. Doch Tsuo trug Panzer und die Waffen drangen nicht hindurch; ein einziger Bruststich traf ihn, so daß er aus dem Wagen stürzte. »Wo bist Du, mein Sohn Fung-Schian?« rief er aus. Da trat Lü Pu aus dem Innern des Palastes und verkündigte laut: »Hier ist der Erlaß des Kaisers, den treulosen Tung Tsuo zu töten!« Dann stach er ihn mit der Lanze durch den Hals, daß er sogleich tot war.

Darauf sandte Wang Yün Lü Pu mit einer Abteilung Soldaten nach Me-U, um Tung Tsuo's Güter zu konfiszieren. Dort fand Lü Pu Tiao Tsien und nahm sie zu sich. Seither war auch er von der Liebe so gekettet, daß er auf niemand als auf Tiao Tsien mehr hörte. Auch er wurde später gefangengesetzt und im Weißtorpalaste getötet. Was nachher aus Tiao Tsien geworden, hat niemand erfahren.


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