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XIV

Doktor Wiesinger klopfte an die Zimmertür Reginas.

»Darf ich eintreten, liebe Baronin?« fragte er durch die Spalte.

»Bitte, Herr Doktor,« antwortete Regina, »ich warte auf Sie – ich freue mich ja wie ein Kind auf meinen ersten Ausgehtag.«

Sie war noch blaß vom Krankenlager, die Hautfarbe in ihrem perlmuttenen Glanz hatte eine feine Durchsichtigkeit, bläulicher Schatten lag unter den Augen, aber im Blick neuer Lebensmut und etwas wie gesammelte nervöse Kraft.

Sie reichte Wiesinger die Hand. Sein Daumen und Zeigefinger glitten an ihren Puls.

»Keine Spur mehr von Fieber«, sagte sie lächelnd.

Er schwieg noch, führte sie in das Fensterlicht und sah ihr in die Augen.

»Nein«, entgegnete er dann mit frohem Atemzuge. »Heut kann ich sagen, daß ich auch keinen Rückfall mehr befürchte. Und kann eine Sie sicher erfreuende Nachricht anknüpfen. Die kleine Düren ist eingetroffen und sehnt sich danach, Sie sehen und sprechen zu dürfen.«

»Oh,« rief Regina, »das ist wahrhaftig eine erfreuliche Abwechslung! Was macht sie? Ist sie noch immer so lebhaft wie sonst? Und wohnt sie bei Ihnen?«

»Doch nicht. Bei mir geht es ihr zu temperenzlerisch zu – sie ist in Beau-Rivage abgestiegen, aber ihr erster Weg war zu dem alten Freunde. Im übrigen – ja – äußerlich hat sie ihr altes quirliges Wesen behalten und scheint sich wenig verändert zu haben, aber innerlich ... sie hat Erfahrungen gemacht, die ich ihr schon vor Jahresfrist prophezeite – doch das wird sie Ihnen alles selbst erzählen, zu mir sprach sie nur in verschleierten Andeutungen und etwas dunklen Wendungen.«

»Wir haben uns so viel zu erzählen«, sagte Regina.

»Nun ja,« erwiderte Wiesinger, »und das ist's, was ich fürchte, teuerste Baronin. Die Düren mit ihrem noch ungebrochenen Temperament und ihrer Vorliebe für eine nicht immer sonderlich glückliche Seelenzergliederung wird Sie unnötig aufregen. Das möchte ich gern vermieden wissen.«

Die beiden setzten sich. Die Fenster des Zimmers waren geöffnet, in der Sommerluft lag die frische Würze des Sees und der Rosenduft des Gartens. Regina senkte den Kopf, ein Wimperzucken beschattete die Augen, ein rascher weher Zug ging über ihr Gesicht. Aber sie straffte alles, was an Tapferkeit in ihr war, und antwortete:

»Lieber Freund, es dünkt mich schwerer, ein Leid zu verschließen, als es einem mitfühlenden und verstehenden Herzen anzuvertrauen. Gewiß haben Sie recht in der Beurteilung Pauline Dürens. Ihre Lebensauffassung ist eigentlich nur ein lustiges Flanieren der Gedanken, und von ihrem Blick in die Tiefe halte ich nicht viel. Aber sie hat auch ein ehrliches Freundschaftsempfinden und noch etwas, was mir vielleicht nützlich sein kann: sie lebt gern in rückwärtsgekehrten Affekten und hat immer den Trost der Hoffnung.«

»Wenn die Hoffnung in Zuversicht übergeht, bin ich damit einverstanden,« entgegnete Wiesinger, »denn die brauchen Sie nötiger als ein vages Hoffen, das nur ein willkommener Rausch oder ein schmeichelndes Traumbild ist. Liebe Gnädige, als Sie mich in den vielleicht schwersten, jedenfalls schmerzlichsten Stunden Ihres Lebens zu Ihrem Vertrauten machten, war ich mir sofort darüber klar, daß dauernde seelische Heilung Ihnen allein ein fester Entschluß, ein Entweder-Oder bringen kann. Ich gebe zu, daß das wahrhaftig nicht leicht ist. Das Problem liegt seltsam genug. Wir wissen noch nicht einmal, welche inneren Gründe bei der Vernachlässigung seitens Ihres Gatten mitsprachen, wir stehen heute noch vor einem psychologischen Rätsel, das wir aus Eigenem gar nicht zu lösen vermögen.«

»Genügt nicht die Sprache der Tatsachen?«

»Nein, am wenigsten für Sie selbst, Frau Regina. Was ist diese Tatsache? Ein namenloses Ding, über das Sie sich vergeblich den Kopf zerbrechen. Ich fühle ganz genau, daß Sie mit der Wahrscheinlichkeit rechnen, Ihr Gatte könne eine neue Verbindung mit seiner Jugendliebe angeknüpft haben. Aber steht das denn fest? Und würden Sie nicht ruhiger sein, wenn Sie das wüßten? Zweifellos, denn in diesem Falle kämen Sie über den entscheidenden Punkt hinaus, das Achtungsunwerte würde Sie zu einer festen Stellungnahme zwingen. Ich bot Ihnen an, mit Ihrem Gatten in Korrespondenz zu treten, ich wollte zu persönlicher Rücksprache zu ihm reisen, ich wollte ein Detektivbureau in Bewegung setzen – das alles lehnten Sie ab. Was nun? Soll dieser Zustand der Ungewißheit fortdauern?«

Ihre Achseln zuckten in verschämter Hilflosigkeit. »Sie sind hart, Doktor,« sagte sie, »aber Sie haben ein Recht dazu. Nein, ich wollte das alles nicht, weil es mir widerstrebte. Wären Sie selbst nach Berlin gereist, so hätte das wie ein Entgegenkommen meinerseits ausgesehen, und dazu bin ich zu stolz. Und Detektive hinter ihm herzujagen, schien mir wieder nicht würdig. Ich hatte ja auch Pauline, sozusagen an Ort und Stelle – sie hat bessere Beziehungen als ein Detektivbureau, sie hat helle Augen und hört mit allen Sinnen – zugegeben, daß sie sich in ihrem emsig nachschaffenden Geist zuweilen in den Voraussetzungen täuscht, aber sie besitzt doch eine scharfe Beobachtungsgabe – und so habe ich ihr denn geschrieben, und nun ist sie hier, um mir Bericht zu erstatten. Wann kann ich sie sehen?«

»Jeden Augenblick – wir brauchen nur nach Beau-Rivage zu telephonieren. Aber ich möchte nochmals betonen, liebe gnädige Frau, daß ich mich ein wenig vor dieser Unterredung sorge. Ich habe Sie nun, Gott sei Dank, so weit gebracht, daß Sie nur noch etwas frischerer Färbung auf Ihren Wangen bedürfen, um Ihre frühere Schönheit in altem Glanze zurückzugewinnen –«

»Oh, Doktor – können Sie auch galant sein?«

»Selbst wenn es so klingt, bleibe ich immer nur bei der Wahrheit. Also, ich wiederhole, Sie sind wieder gesund geworden, aber Sie befinden sich doch noch in der Rekonvaleszenz, und da möchte ich Sie gern vor nervösen Erregungen bewahren, die leicht zu einem Rückschlag auf Ihr ganzes Befinden führen können.«

»Liebster Doktor Wiesinger,« sagte Regina bewegt, »geben Sie mir die Hand! Ich bin Ihnen ja so von Herzen dankbar – ich weiß, daß ich ohne Ihre ärztliche Kunst und Ihre opferwillige Pflege, vor allem aber ohne Ihre seelische Einwirkung nicht so rasch genesen wäre. Aber nun haben Sie auch Vertrauen zu mir. Sie haben ganz recht, wenn Sie sagen, daß es zu einer Entscheidung kommen muß. Möglich, daß Pauline sie mir bringt. Und dann werden Sie sich davon überzeugen können, daß ich Lebens- und Willenskraft zur Genüge besitze, um schließlich nicht doch noch – an mir selbst zugrunde zu gehen. Ich bin ganz und gar Frau – ja, das bin ich. Aber wenn in den Gesetzbüchern der Welt auch der Mann die Gesetze geschrieben hat, die unser Schicksal regeln – es bleibt uns immer noch ein eignes Recht, und das wahre ich mir, verlassen Sie sich darauf!«

Sie sprach das mit fester Stimme und einer beweglichen Kraft des Willens, die im Kampf um das letzte an innerem Besitz sich auch das Gefühl zu unterwerfen versteht.

Wiesinger erhob sich und küßte ihr die Hand. »Gut«, sagte er kurz. »Ich werde also der Gräfin mitteilen, daß Sie sie zur Teestunde erwarten. Hier, nicht wahr? – auf Ihrem Zimmer, da sind Sie am ungestörtesten. Und vergessen Sie nicht, aus allem, was Ihnen Ihre Freundin erzählen wird, die nötigen Konsequenzen zu ziehen. Und andererseits vergessen Sie auch nicht, daß Ihre reizende Gräfin eine Phantasienatur ist, die gern aus einer Szene ein ganzes Drama gestaltet und Möglichkeiten zu unbeweisbaren Tatsachen verwandelt.«

»Ich werde alles erwägen, ich werde vorsichtig sein«, erwiderte Regina. –

Sie hatte in dem Chalet noch dieselben Gemächer inne wie bei ihrer Ankunft, nur war die Wohnung um ein Zimmer vergrößert worden, dessen Fenster nach der Seeseite hinausführten und in dem sie ihre Mahlzeiten einzunehmen pflegte, seit es ihr peinlich geworden war, gemeinsam mit den übrigen Gästen des Sanatoriums im großen Hause zu speisen und ihre neugierigen und mitleidigen Fragen zu beantworten. Freilich hatte die Nachricht von ihrer Fehlgeburt nicht vertuscht werden können, und als es hieß, sie sei wieder auf dem Wege der Besserung, da fanden sich liebevolle Hände, die fast täglich Blumen bei ihr abgeben ließen. Nun blühten in ihrem Zimmer Tulpen und Hyazinthen, Begonien, Heliotrope und Rosen, Rosen in allen Farbenabstufungen, und die schönsten stammten aus dem kleinen Rosarium Wiesingers, der in seinen Mußestunden ein leidenschaftlicher Blumenzüchter war. Das waren nur weiße und rote, und Wiesinger konnte nicht ahnen, daß sie in der Eigenart ihrer Blütenentfaltung und der Launenhaftigkeit ihrer verschwimmenden Farbentöne, die im Kelche anders waren als an den Kronenblättern, Regina an jene weiße und rote Rose erinnerten, die ihr Diesberg am Tage seines Verlöbnisses mit ihr gebracht hatte.

Aber sie hatte die glückbringende Kunst gefunden, sich durch das Gewicht der Erinnerungen nicht mehr niederdrücken zu lassen. Wenn sie am Fenster ihres Schlafzimmers stand und in den Garten schaute, raunten wohl noch heimliche Stimmen in ihr, und ein Pochlaut klang gegen die Scheiben wie damals, wie damals ... Und dann senkten sich ihre Wimpern, und ein stärkerer Atemzug kam und etwas wie ein leiser, süß-lockender Ruf aus der Ferne. Aber sie hielt ihr Herz fest, und konnte sie auch das letzte Kämmerchen noch nicht schließen, durch das ein verwehender Rosenduft ging – der Wille war da, und der Wille war stark.

Das Bild, das er ihr wenige Tage nach seiner Abreise geschickt hatte, eine ältere Momentaufnahme vom Rennplatz, hatte lange in silberner Umrahmung auf ihrem Schreibtisch gestanden. Als sie von ihrem Krankenlager wieder aufstehen durfte, nahm sie es fort und schloß es ein. Allerdings, sie schaute es noch lange an, als suche sie in den keckfrischen Zügen des Reitersmannes nach weiten Möglichkeiten des Verstehens, aber ihr Herz war doch schon wie ein geheimnisvoller Gerichtshof, der im Namen einer gefällten Leidenschaft und eines verrauschten Glücks Recht sprechen wollte. –

*

Pauline Düren wirbelte in das Zimmer. Sie trug von draußen den Sommer herein, in ihrer lichten Toilette, die jedem Sonnenstrahl folgte, und mit dem kapriziösen Lachen ihres hübschen Gesichts, das wie ein Verteidigungsmittel gegen frostig werdende Stimmung war.

»Regina,« rief sie, »mein schwarzes Lämmchen, mein armes Kleinchen – Gott sei Dank, wie eine Klosterfrau sehen Sie noch nicht aus – ich behaupte sogar, die feine Blässe Ihrer Wangen ist ein koloristisches Kunststück der Natur, ist wie die Blumenkrone einer weißen Kamelie ...«

Sie küßte Regina stürmisch und schwatzte weiter, tanzte durch die Zimmer, bewunderte die Rosen und blieb dann wieder vor Regina stehen.

»Schwarzspecht, das Leben ist minderwertig, und die Männer – verdienen die es überhaupt, daß wir uns so unentwegt mit ihnen beschäftigen?« sagte sie. »Da habe ich nun einen jungen Menschen aus tiefster Not –«

»Einen Augenblick,« fiel Regina ein, »halten Sie den Faden Ihrer Geschichte fest, aber kommen Sie mit an den Teetisch. Wir wollen uns selbst bedienen – ich habe der Zofe gesagt, daß wir sie nicht brauchen ...«

Man nahm Platz, Regina schenkte den Tee ein, und die kleine Gräfin fuhr in dem unterbrochenen Satze fort:

»Aus tiefster Not zu mir emporgezogen. Habe ihm die Wege geebnet, habe ihn nach besten Kräften materiell unterstützt, habe seinethalben die größten Scherereien in meiner Scheidungsgeschichte gehabt – ich hatte den Jungen auch lieb, man ist ja doch manchmal so dämlich und gibt dem Ungestüm seiner Gefühle nach – und wie hat der Bengel mir dafür gedankt? Reginachen, man sollte es nicht für möglich halten, aber es ist buchstäblich wahr: er hat mir meine Perlenschnur gemopst und für achtzehntausend Mark versetzt und ist dann mit einer Kellnerin nach Prag durchgegangen. Ich lege dieses Geständnis mit innerem Erröten vor Ihnen ab, denn es ist mein Fehler gewesen, auf eine in untergeordneten Kreisen sich bewegende Liebe einzugehen – das soll man nicht.«

Sie strich mit wütender Gebärde Marmelade auf eine Weißbrotscheibe. »Das soll man nicht«, wiederholte sie. »Ein Mann hat noch nie seine Geliebte zu seiner Höhe emporheben können, aber wir törichten Frauen geben dem Manne, dem unser Herz gehört, von vornherein den gleichen Rang mit uns. Und das rächt sich meist. Regina, ich bin vorsichtig geworden. Es hat doch seine Schattenseiten für uns arme Tierchen in der Hilflosigkeit unsrer Natur, dies Selbstwählen, von dem wir so oft gesprochen haben – gewöhnlich fallen wir gründlich herein, weil wir in dem Bedürfnis leben, geliebt zu werden, und ein unbeschränktes Vertrauen besitzen – weil wir eben in Ewigkeit das sogenannte schwächere Geschlecht bleiben werden. Sie haben ja auch Ihre Erfahrungen gemacht, Regina!«

»Mein Fall liegt anders als der Ihre, liebe Freundin«, erwiderte Regina mit leichtem Kopfschütteln. »Es wäre albern, wollte ich Ihnen Vorwürfe machen, weil Sie dem Impuls der Leidenschaft zu unüberlegt gefolgt sind. Ihr Fehler war auch nicht der, daß Sie bei Ihrer Herzenswahl um einen Grad gesellschaftlich tiefer stiegen, denn unsere vornehme Welt in ihrer verblasenen Romantik bildet doch nur eine Ausnahme und nicht die Regel in der großen Gemeinschaft der Menschen. Nein, Pauline, Ihr Irrtum lag – vergeben Sie meine Offenheit – in Ihrem Mangel an Persönlichkeitskenntnis. Ich wähle absichtlich dies Wort. Sie ließen sich in der Intensität Ihrer Liebe durch Äußerlichkeiten bestechen, ohne auch nur den Versuch zu machen, in das Wesen des Mannes einzudringen.«

»Ich nehme Ihnen nichts übel, Schatz,« entgegnete die Gräfin in hastiger Wortfolge, »Sie mögen ja auch recht haben – aber ist das nicht eben unsre weibliche Schwäche, daß wir blind zu sein pflegen in unsrer heiligen Krisis? Ist es Ihnen denn anders ergangen?«

»O ja, ganz anders«, sagte Regina. »Gewiß, ich bin auch die Frau geblieben, die ich war, und die jämmerliche Täuschung wurde mir ebensowenig erspart wie Ihnen. Aber ich habe den Mann, den meine blutende Liebe sich wählte, sehr genau gekannt, seine Persönlichkeit als ein seiner selbst bewußtes Einzelwesen – und will ich mir einen Vorwurf machen, so kann es nur der sein, daß ich über diese Kenntnis hinwegglitt, weil ich glaubte und hoffte, daß meine Liebe auch sein Wesen füllen und wenigstens in Wechselwirkung mit seiner verletzten Gesinnung treten würde. Denn für sein ganzes seltsames und einzigartiges Verhalten gibt es für mich wirklich nur die eine Erklärung: daß er als Mann – als Mann, Pauline, von ausgeprägtem Selbstbewußtsein und großem inneren Stolz nicht vergessen konnte, von mir erobert worden zu sein – statt umgekehrt. Möglich ist ja freilich auch noch ... aber eh' ich weiterspreche, möchte ich erst Sie hören. Haben Sie die erbetenen Erkundigungen eingezogen?«

Die Gräfin nickte. Sie griff nach den Zigaretten. »Ja,« entgegnete sie, »ich kann Ihnen ziemlich genauen Bericht erstatten. Ob er Ihnen Klärung bringen wird, weiß ich nicht, Sie gaben mir in Ihren Briefen nur Andeutungen. Kann ich Näheres erfahren?«

Eine fein schimmernde Röte huschte über Reginas Gesicht. Sie lehnte sich in den Korbsessel zurück und faltete die Hände im Schoß. Die Lider senkten sich, die dunklen Wimpern verschatteten die Augen. Jetzt kamen die Erinnerungen – wie streichender Schwalbenflug, wie eine Bilderkette. Sie atmete auf und hub an:

»Andeutungen genügen. Sie werden sie verstehen. Als wir in Dresden Abschied voneinander nahmen, war ich schon verheiratet und doch noch nicht meines Mannes Frau. Überlege ich heute alles, kühl und nach Möglichkeit objektiv, so war es vielleicht nur ein Zufall, daß wir uns endlich fanden. Hätte Diesberg sich an jenem Abend nicht in den Bergen verirrt, so würde er sich vermutlich mit freundschaftlicher Anteilnahme von mir getrennt haben – das ist denkbar und wäre nur eine Fortsetzung seiner kühlen Zurückhaltung gewesen. So aber wurde aus einem Bedürfnis der Artigkeit, aus dem konventionellen Gefühl, unmöglich ohne Abschied von mir abreisen zu können, eine Erfüllung ... Seine ersten Briefe rückten mir den Himmel näher. Der Himmel war rings um mich her. Ich glaubte an die Stärke meiner Schwäche. Ich war glücklich. Aber das Glück verflog. Schon nach wenigen Wochen wurden seine Mitteilungen karger, kürzer, abgerissener, ich möchte sagen impressionistischer. Das schrieb ich ihm auch. Was mich quälte, Pauline, war nicht etwa Eifersucht auf irgendeine andere, auch nicht die Angst vor einer Entfremdung für immer, sondern das Gefühl, daß ich ihm gleichgültig zu werden begann. Nicht gleichgültig in schlechtestem Sinne, nein. Es gibt eine Gleichgültigkeit, die sich von der landläufigen unterscheidet, für uns Frauen aber um so kränkender ist: die des Liebhabers, der eine glückliche Stunde mitnimmt, noch acht Tage lang in der Erinnerung an sie ein Rauschen des Herzens verspürt und dann, unterstützt durch die Rastlosigkeit seiner Arbeit und durch hundert andere Interessen, in unendlicher Ferne versinken läßt, was uns unvergessen bleibt.«

Die Gräfin nickte wieder, es war eine grimmige Zustimmung. »Wie wahr Sie sprechen«, rief sie. »Penelope wartete auf ihren Ulysses und fand in dem fünfzigjährigen Irrfahrer denselben wieder, der sie verlassen hatte, als er nach Troja zog. Der antike Mann blieb im Gleichmaß seiner selbst, der moderne hat an Wert verloren. Ah bah, ich habe die Männer satt!«

Erregt stampfte sie ihren Zigarettenrest in die Aschschale. Regina lächelte – ein müde-verlorenes Lächeln. »Die Antike hatte vielleicht eine größere Harmonie,« sagte sie, »die moderne Welt ist unruhiger. Das hielt ich mir vor, so ungefähr, wenn ich darüber nachdachte, warum er in seinen immer seltener werdenden Briefen von tausend Dingen sprach, nur nicht von seiner Liebe zu mir. Ich sagte mir, die Arbeit umfängt ihn, beschränkt ihn, macht ihn einseitig, raubt ihm die letzte Illusion. Ich verlor sie nicht, mir blieb noch die Hoffnung. Ich fühlte mich Mutter werden, und da kam der Glaube an ihn zurück – wie ein heiliger Wahnsinn. Ich schrieb es ihm nicht. Es gibt erhabene Hoffnungen, die man nicht ausspricht. Vielleicht – wäre er bei mir gewesen ... doch er war weit von mir, und das geschriebene Wort klingt anders als ein Flüstern in der Nacht. Aber zwischen meinen Zeilen hätte er lesen müssen, ja müssen, was ich nicht direkt aussprach – wenn die Liebe ihn verstehen gelehrt hätte! Seine Antwort war flüchtig und nichtig – ich solle ruhig bleiben bis zu völliger Genesung – im Mai werde er mich besuchen ... Jetzt ist Sommer geworden – und ich habe ihn nicht wiedergesehen. Zuweilen treffen noch ein paar Zeilen von ihm ein, auch wohl eine Grußkarte vom Rennplatz – neulich eine mit der Ansicht von Bärwalde, die auch Herr von Otten unterzeichnet hatte – aber das alles ist wie ein Winken mit der Hand, nicht mehr ... In der Zeit meiner Krankheit konnte ich ihm überhaupt nicht schreiben. Das hat ihn kaum beunruhigt. Er fragte wohl einmal an: Warum läßt du so selten etwas von dir hören? Er telegraphiert noch dann und wann, und ich antworte auf gleichem Wege. Vielleicht schläft auch dieser Rest einer gefälligen Korrespondenz allmählich ein, und dann kommt es zu der entscheidenden Frage, was aus uns werden soll – nein, Pauline, aus mir

Über ihr Gesicht schattete sich schon das Zwielicht einer stillen Resignation, Aber die kleine Düren in der ewig vorspringenden Lebhaftigkeit ihrer Empfindungen hatte keinen Sinn für stumme Klagen, sie stellte sich wieder auf den Boden der Wirklichkeit und sagte kurzweg:

»Das kommt darauf an, Regina. Lieben Sie ihn noch?«

Regina umging die Antwort, Sie sprach mit gesenkter Stimme weiter, weich klingend und fast träumerisch im Tauchbad ihrer Erinnerungen:

»Als ich noch in der Hoffnung lebte und das große Wunder erwartete, war ich der innersten Überzeugung, daß nun meine Eroberung auch die Vollendung des Sieges bedeuten würde. Ein Kind, Pauline, ein Kind von ihm – mein Gott, bei dem Gedanken schon sah ich das Glück wie von Fleisch und Blut vor mir, und meine schweigendsten Phantasien erschienen mir wie Weisheit, der törichtste Zukunftswunsch wurde mir zur Vernunft! Ihnen hat die Natur Kinder versagt – Sie können nicht ahnen, wie die dumpfe Aufregung dieser ersten Zeit, da man in sich die rätselhaften Veränderungen spürt, die das neue Leben entwickelt, zu einer förmlichen Umwandlung aller Gefühle führt! Ich hatte keine Sorge mehr um die Zukunft, ich war erfüllt von blühendem Hoffen, ich war sicher, daß er nun ganz mein werden, daß ich ihn durchdringen, daß ich wie er werden würde und er wie ich! Das klingt fast überspannt, aber es ist doch ein unwillkürlicher und tatsächlicher Schwung der Seele, es ist eine fortreißende Einbildungskraft – und sie ist so schön, so schön – vielleicht wie ein Haschischtraum! Es war auch nur ein Traum. Dann kam das furchtbare Erwachen. Wiesinger ist der Ansicht, daß die Fehlgeburt eine Folge meiner sich überstürzenden Gemütsbewegungen war – jedenfalls nicht einer Lageveränderung. Aber was auch immer die Ursachen gewesen sein mögen, ich war auflösender Verzweiflung nahe – ich besiegelte meinen Kontrakt mit dem Schmerz. Ich litt auch körperlich schwer, das hätte ich ertragen – entsetzlich war mir nur das Bewußtsein, daß nun die letzte Hoffnung zuschanden wurde, die ein festes Band zwischen meinem Mann und mir knüpfen konnte ... Pauline, das drücken Worte nicht aus. Ich genas langsam. Wiesinger hatte für die schwerste Zeit einen Spezialisten aus Genf kommen lassen – er selbst war rührend in seiner Umsicht und Unermüdlichkeit –, heut bin ich wieder völlig gesund, nichts Störendes ist zurückgeblieben – ich bin wie eine Frau, die das Wochenbett glücklich hinter sich hat. Nur daß das Glück nicht neben mir lag, als ich nach wildem Schrei aus meiner Ohnmacht erwachte!«

Sie schwieg ermattet und erschüttert in dem Erinnern an jenen scharfen schneidenden Schrei, der ihr Erlösung bringen sollte, doch nicht die ersehnte Mutterschaft.

Gräfin Düren neigte sich zu ihr und strich zärtlich über ihre Hände.

»Arme Freundin,« sagte sie, »ich begreife, wie Sie gelitten haben müssen, ich verstehe alles. Nur eins nicht, Vergebung, daß ich das ausspreche. Sie haben Ihrem Manne nichts von Ihren Hoffnungen geschrieben. Ich an Ihrer Stelle hätte vielleicht einen Triumphgesang angestimmt. Aber ich will auch die Schamhaftigkeit verstehen, die Sie Ihren göttlichen Roman verschweigen hieß. Gut. Immerhin – als es nun so weit war, als Sie alles überstanden hatten, wäre es da nicht richtig, nicht auch zweckmäßig gewesen, Diesberg an Ihr Krankenlager zu rufen? Hätte nicht Ihr blasses Gesichtchen, der wehe Mund und das verdunkelte Auge sein Herz weich stimmen müssen? Denn er ist ja nicht roh im Empfinden, und vielleicht hätte die Stunde dieses Wiedersehens einen Sturm in seiner Seele entfacht, der für Sie zu einem Hymnus hätte werden können. Vielleicht wäre es die Stunde der Wiedervereinigung geworden.«

Regina schüttelte den Kopf. »Nein, Pauline,« entgegnete sie, »sein Mitleid wollte ich nicht, wo ich Besseres zu fordern hatte. Pauline, ich habe einmal im Leben meinen weiblichen Stolz zurückgestellt – damals, als ich um ihn kämpfte. Aber ich war nicht seine Geliebte einer Nacht, ich bin seine Frau – und seine Verschmähung hat mich wieder so stolz gemacht, daß ich ... doch es ist jetzt an der Zeit, auch Sie zu hören. Sie wollten mir berichten.«

Die Düren warf aus dem Gefunkel ihrer Augen einen erstaunten Blick auf die Freundin. Sie hatte Bewunderung für diese Frau, die so ganz Weib war und sich doch auch wieder fast männlich zu beherrschen verstand und unvermittelt den Ton höchster Leidenschaftlichkeit abbrach, um gleichmütig eine ruhige Bitte auszusprechen.

»Ja,« erwiderte sie, »ich will berichten und betone dabei, daß meine Mitteilungen aus zuverlässigsten Quellen stammen, daß also an ihrer Wahrheit nicht zu zweifeln ist. Man ist allgemein verblüfft über die Wandlung im äußeren Leben des Herrn von Diesberg. Der leichtsinnige Mensch von früher entwickelt eine fabelhafte Arbeitstätigkeit. Man hatte wohl erwartet, daß er nun, wieder zu Mitteln gekommen, das sorgenlose Dasein aus dem Handgelenk in lebhafterem Stile fortsetzen würde. Aber Bärwalde hat für die Nachbarschaft geschlossene Pforten. Mit Hilfe dieses Herrn von Otten ist da Erstaunliches geleistet worden. Seit Beginn der Rennzeit ist Diesberg auch viel in Berlin und wohnt dann in Euerm alten Hause.«

»Das schrieb mir die Biene,« fiel Regina ein, »sie hält mit David auf Ordnung, sie kocht auch für ihn und findet immer ein Wort schwärmerischen Lobs für den Herrn Baron.«

»Sie bürgt sozusagen für ihn,« setzte die Düren hinzu, »und das kann sie auch. In den Kreisen seiner Freunde vom Rennplatz ist man nicht mehr so recht zufrieden mit ihm. Er reitet wieder und erzielt gute Erfolge, er verspricht sich viel von seinem Gestüt, er spielt eine Rolle im Turfleben, zieht sich auch nicht von den üblichen Klubdiners zurück – aber rührt keine Karte mehr an. Er ist ernster geworden, sagen die Vernünftigen, er ist versimpelt, sagen die Schwerenöter. Man sagt auch, er hat eine kranke Frau, und das geht ihm zu Herzen. Ja natürlich, Regina, man fragt häufig nach seiner Frau, und, wie ich höre, spricht er nicht nur mit höchstem Respekt von Ihnen, sondern auch warmherzig und liebevoll. Und noch eins, vielleicht das Wichtigste: er hat keine Geliebte. Ich schwöre nicht darauf, daß er einem amour passant aus dem Wege geht, ich schwöre nicht darauf, daß er wie der heilige Augustin lebt – in dieser Beziehung traue ich selbst dem tugendhaftesten Ehegatten nicht –, aber ich weiß, man mokiert sich darüber, daß er sich den Bummelfahrten der jungen Herren durch die Berliner Nachtlokale und Tanzsäle nicht mehr anschließen will. Er schützt den Strohwitwerkranz vor. Er sei zu alt geworden für derlei Eskapaden, erklärt er. Also, Regina, das Resultat meiner Erkundigungen ist: daß Herr von Diesberg ein im allgemeinen ziemlich streng geregeltes Leben führt – ich will einmal sagen, das solide Leben eines Gentleman, der sich die Hörner abgelaufen hat. Was nach meinen gesellschaftlichen Beobachtungen ja zuweilen vorkommt. Sonst aber gewöhnlich erst nach dem fünfzigsten Lebensjahr, wenn die Tonsur an Umfang zunimmt und Karlsbad zur jährlichen Notwendigkeit wird.«

Regina hatte sinnend zugehört, mit etwas geneigtem Kopf und verschleierten Augen. Nun fragte sie:

»Haben Sie ihn einmal gesehen. Pauline?«

»Ja – in einer Aufführung der ›Elektra‹ des Sophokles. Man zeigte ihn mir. Da saß er still und versonnen in seiner Loge. Sehr hübsch noch immer, Regina, eine stattliche Männererscheinung, ein vornehmes Gesicht von kühnem Schnitt, etwas schwer im Ausdruck, doch das mag an der Augenblicksstimmung gelegen haben – und mich deucht, mit schon leichtem Grau an den Schläfen.«

»Ah,« rief Regina, »dazu ist er doch noch zu jung! ...« Und dann huschte eine Blutfarbe über ihr Gesicht, es war ein gleichsam schämiges Erröten wie über eine unbedachte Äußerung, sie neigte wieder ein wenig den Kopf und fuhr wie von unten herauf in leiserem Frageton fort: »Hörten Sie auch etwas von der kleinen Gräfin in Freilehningen?«

»Doch – natürlich,« entgegnete die Düren hastig, »auch das ist von Wichtigkeit, und ich hätte es beinah vergessen. Zwei der Komtessen in Freilehningen haben kürzlich geheiratet, und der Hochzeit wohnte Herr von Diesberg bei. Sonst kommt er nie hinüber, alles Geschäftliche mit dem närrischen alten Grafen übernimmt sein Freund Otten, und man behauptet auch, daß der sich jetzt um die kleine Annelene Pakisch bewerbe. Das sagte mir ein Gutsnachbar Diesbergs, den ich auf einem Reiterfest der zweiten Gardedragoner traf, ein dicker Agrarier, ein Baron Brenkenhoff. Ich fragte ihn so apropos aus, mit gebotener Vorsicht, die übrigens kaum nötig war, denn dieser Baron ist ein Walroß von Qualität – also dem sagte ich, es sei früher doch einmal von einer Liebelei zwischen Baron Diesberg und der Komteß Annelene gemunkelt worden. Da lachte er und meinte in seiner verfeinerten Ausdrucksweise, das sei bloß eine Kälberfreundschaft gewesen – was ich dahingestellt sein lasse, denn nach dem, was Ihnen Diesberg selbst gesagt hat, handelte es sich wohl um eine beiderseitig vertieftere Amourschaft. Aber von einer neuerlichen Anknüpfung der alten Beziehungen kann gar nicht die Rede sein – nicht die Rede, Regina! Und damit scheidet auch die Möglichkeit aus, daß er Sie um des Mädelchens willen vernachlässigen könnte.«

»Nicht ganz. Pauline,« sagte Regina verschüchtert, »er kann die Kleine immer noch lieben –«

»Ah bah,« fiel die Düren ein, »ich habe noch nie gehört, daß eine aussichtslose Liebe einen Reiz für die Männerwelt hat!«

»Ja, du lieber Gott,« rief Regina, »wo suche ich dann die Gründe für sein unbegreifliches Verhalten! Lassen Sie mich meinetwegen annehmen, sein Mannesstolz sträube sich noch posthum gegen die halb erzwungene Ehe – habe ich nicht dafür mich selbst ihm als Morgengabe dargebracht, und fand die Stunde der Weihe nicht die holdesten Nachklänge in seinen ersten Briefen? Log er, als er mir von seiner Liebe sprach? Nein, Pauline. es war keine Lüge, es war auch kein leeres Geschwätz, es war Flamme, Verlangen und Seligkeit, es war Poesie und Begeisterung – er hat mich geliebt!.. Warum liebt er mich nicht mehr?«

Ihre Stimme tönte sich zu leisem Flüstern ab, Schmerz perlte in ihren Augen.

Die Gräfin erhob sich und küßte sie auf die Stirn. »Sind Sie dessen so sicher?« fragte sie. »Ach, Regina, die Männer sind unberechenbar. Sie sind unstet und launisch, sie sind anders als wir. Aber, Regina, auch wir haben Fehler gemacht. Ich ging von falschen Voraussetzungen aus, als ich Ihnen damals in Dresden zu einer Trennung riet, von der ich hoffte, sie würde sein Sehnen steigern. Und Sie selbst hätten ihn nicht mehr verlassen dürfen, als Sie Ihre Eroberung vollendet hatten und seiner Liebe sich sicher fühlten. Der harmlose Trug Ihres Herzleidens war nach der Untersuchung Wiesingers ja hinfällig geworden – und die Luft von Bärwalde hätte Ihren Nerven ebenso gut getan wie die des Genfer Sees. Vor allem: seine Liebe wäre Ihre Heilung gewesen. Wir sind dumm gewesen, Regina. Unsere Rechenkunst krankte an einem Kardinalfehler. Die Unbeständigkeit des Mannes wächst mit der Entfernung. Aber wir sind noch nicht am Ende unsrer Klugheit. Telegraphieren Sie ihm, er soll Sie abholen. Das ist die letzte Probe auf das Exempel.«

Regina erhob sich langsam. In ihren Zügen sammelte sich wieder die Herbheit und eine starke Entschlußkraft.

»Nein,« sagte sie, »das tue ich keinesfalls. Ich verzichte auf diese Schlußprobe. Sein Weg führt zu mir – ich laufe ihm nicht mehr nach. Das tat ich einmal im Drange meiner Leidenschaft, ich war die Wählende – aber nur eine ungeheure Bitterkeit ist zurückgeblieben. Jetzt wächst der Widerstand in mir, weil unsrer Liebe das Gleichgewicht fehlte. Ich habe mehr geliebt, als ich geliebt wurde. Ich konnte nicht vergessen, ihm wurde das Vergessen leicht. Nun ist der Ausgleich da. Auch ich bin kühl geworden. Pauline. Stürme in der Ehe hätte ich nicht gefürchtet. Aber ich habe ja nie in der Ehe gelebt. Das lag nicht an mir, das lag an ihm. Er wußte, daß ich ihn erwartete. Er kam nicht, er fand mich mit inhaltslosen Briefen ab, er wurde stumm. Er dachte noch einmal zurück an eine Haremsnacht, dann war es aus. Ja, es ist aus, Pauline, es ist ein verlorenes Spiel, und ich muß mich fügen. Ich hielt das Beuterecht des Herzens für ein Manifest der Liebe, ich habe mich getäuscht. Sei's darum.«

Sie brach ab. Das Hausmädchen trat ein und brachte ein Telegramm. Regina öffnete und überflog es. Um ihre Mundwinkel zuckten die Muskeln wie zerrissene Gedanken.

Schweigend reichte sie die Depesche der Freundin. Die las:

»Baronin Diesberg. Sanatorium Beausite. Clarens. Lange ohne Nachricht von Dir. Erbitte Drahtung über Dein Befinden. Herzlichst Erni.«

Pauline faltete das Papier mechanisch zwischen den Fingern zusammen. »Was wollen Sie antworten?« fragte sie.

Da straffte der gepeinigte Stolz Fibern, Nerven und Sehnen der verlassenen jungen Frau. Die Linien ihres Gesichts wurden scharf, ein Blitz verfing sich in ihrem Auge, hart spannten sich die Lippen. Wütender Widerstand gegen eine Demütigung prägte in ungewollter Pose sich aus.

»Was soll ich antworten auf dieses gleichgültige Telegramm?« rief sie. »Sein Verkehr mit mir ist wie die Phrasen eines Handwörterbuchs. Ich antworte gar nicht!«

Ihre Stimme schrillte. Dann deckte auf einmal Leichenfarbe ihre Wangen, ein Schwanken kam, sie griff nach der Lehne des Sessels. Die Düren sprang zu ihr und umfaßte sie. Sie hielt sie fest, die kleine Frau hatte eine stählerne Gliederung und die Kräfte einer Akrobatin. Sie hielt sie fest und ließ sie langsam in den Sessel nieder.

»Regina,« sagte sie sanft und glitt vor ihr auf die Knie, »liebste Freundin, weinen Sie, weinen Sie! Ihr Stolz fließt in die Tränen. Sie sind auch nur ein Weib


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