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III

Solange es durch Bärwalder Gebiet ging, schaute Diesberg nicht gern nach rechts und links. Es gab da manches zu sehen, was wenig erfreulich war. Nun ja, er hatte die Landwirtschaft um der Gäule willen liegen lassen, und mit den Gäulen hatte er auch viel Pech gehabt. Aber das sollte nun anders werden. Ein Reuegefühl beschlich ihn bei seinen guten Vorsätzen nicht. Geschehenes lag hinter ihm, das strich er aus. Immerhin, man konnte die Sache praktischer anfassen. Und Simmens war ein geriebener Praktikus.

Einmal hätte Erni am liebsten die Augen geschlossen. Da fuhr man quer durch gewesenen Waldbestand. Vor zwei Jahren hatte er ihn niederschlagen lassen. Mit der Neuaufforstung sollte gleich begonnen werden. Die Reisighaufen waren schon zusammengetragen und verbrannt worden, das gab einen guten Humus. Aber aus der verdunkelten Erde starrten noch die schwarzen Baumstümpfe, man hatte weder gerodet noch frisch angepflanzt, und als der Förster vorsichtig mahnte, war auch das Geld schon wieder flöten. Das war auf den Spieltischen nach dem Hamburger Derby liegengeblieben – ein schlimmer Tag, ein Teufelstag. Diese schwarze Erde war wie ein boshaft grinsendes Maul voller Zahnlücken. Diesberg tat einen starken Atemzug, als die Blöße hinter ihm lag.

Im Oberland war es fröhlicher, da stand noch die Heide in Blüte. Der Frühherbst hatte ihr ein rosig schimmerndes Schleppenkleid übergezogen, schon hie und da mit dem weißen Spinnwebenglast des Altweibersommers behängt. Am Waldrand tanzte das Sonnenlicht um die goldenen Laubkronen der Birken, das Brombeergesträuch am Wege trug Rubinfärbung, an der Tränke zitterten die Espen, Krähenschrei ging durch die Lust.

Dann wieder abwärts durch die Kiefernschlucht. Der Wagen riß tiefe Spuren, hier war die Erde feucht; zwischen den welk gewordenen Farn am Hange standen blauweiße Pilze. Wiesenland tat sich auf, dampfend, rostbraun mit flachsgelben Grasbüschen auf den Kuppen, und in den Wasserpfützen brannte die Sonne wie Schwefel mit bläulichkalten Reflexen.

Drüben sah man schon den Fluß und die neue Bahnbrücke. Das Eisenwerk ihres Oberbaus hob sich in seinen Linien vom durchsichtigen Hell der Luft ab. Auf dem Telegraphendraht saß ein Schwarm von Spatzen. Diesberg lachte. Es sah aus wie eine Notenreihe.

Der Wagen bog in die Chaussee ein. Da griff die schöne Rosa aus, als wollte sie zeigen, was sie konnte. Es ging heidi in leichter Biegung abwärts, dann wieder rechtsseitig in einem Landweg, an Moorstichen vorüber, dem Kanal zu. Es war so still in der Natur, daß man weithin das Brausen des Schleusenwerkes hörte. Auf der hölzernen Jochbrücke bewegten sich helle Punkte, fanden sich zusammen und stoben wieder auseinander.

Herrjeh, das war ja die ganze Mädelfuhre aus Freilehningen! Der Wassergraf hatte nur Mädel, sechs Stück, sie hießen: Annelene, Annemarie, Annelotte, Annefrede, Annetreu, Anneliese. Die Mutter war vor zwei Jahren gestorben, auch eine Pakisch, eine lange, magere Frau, so lang und so mager wie ihr Gatte. Und nun war es ein merkwürdiges Naturspiel, daß die sämtlichen Göhren dieser beiden langen, mageren Menschen verhältnismäßig klein geraten waren und rund wie die Wachteln. Der gemeinsame Vorname Anna ging durch die ganze Familie. Die Pakisch stammten irgendwoher aus Böhmen, und es hatte in diesem alten Hause auch einmal eine heilige Anna gegeben, die allerhand Wunder verrichten konnte. Da hielt man denn an dem Namen fest, es war eine hübsche Tradition und sie kostete nichts. Um aber die Mädel voneinander zu unterscheiden, wurde die Älteste Änneli genannt und die übrigen Mieze, Lotti, Fred, Treue und Liese. Änneli war vor kurzem zwanzig geworden, und dann stuften sie sich ab. Der Klapperstorch, der in der Gegend auf Ordnung hielt, war es gewöhnt gewesen, alle zwei Jahre Einkehr in Freilehningen zu halten.

Die Mädel liefen dem Wagen entgegen. Hinterher ging Fräulein von Hübner als Ersatz der Hausfrau, ein anstrengendes Amt in einer Baulichkeit, durch die beständig helle Stimmen schrien, in der ungeheuer viel Wasser verbraucht wurde und eine ewige Zugluft herrschte. Diesberg schwenkte seine Mütze, ließ den Wagen halten und sprang ab. Sofort hingen sich an seine Arme, seinen Hals, seinen Rücken lebendige Klettergewächse, und alles rief durcheinander: »Was hast du mitgebracht, Erni? Pralinés? Schokolade? Lebkuchen? Katzenzungen? Marzipan?«

»Aber Kinder – Kinder«, mahnte Fräulein von Hübner und hob ihren Sonnenschirm. Änneli riß die Kletterpflanzen vom Leibe des sich nicht Wehrenden. »Schämt euch – verfressene Bande«, rief sie unwirsch. Dann gab sie Erni einen Kuß, doch nur einen verwandtschaftlichen, auf die rechte Wange. Fräulein von Hübner war zugegen, da ging es nicht anders.

»Das nächste Mal, Kinder,« sagte Diesberg, »heute hab' ich gar nischt ...« Das erregte Unwillen. Aber Änneli machte kurzen Prozeß. »Marschiert voran – allehopp«, befahl sie. »Ich komme mit Erni nach.«

Die Hübner hatte Einsehen. Die beiden waren ein verliebtes, doch noch kein verlobtes Paar, und der Graf hatte ihr gelegentlich einen andeutenden Hinweis gegeben, seine Annalene mit dem Baron Diesberg nicht allzu oft und allzu lange allein zu lassen. Aber jetzt blieb sie ja in der Nähe, außerdem begriff das fünfundvierzigjährige Herz der Hübner das zwanzigjährige Ännelis. Sie rangierte ihre bande joyeuse der Reihe nach, Mieze auf den rechten Flügel, Liese auf den linken, wie die Orgelpfeifen, hob dann wieder ihren Sonnenschirm gleich einem Kommandostab und sagte: »Freiluftatmen. Wir singen dazu das Lied ›Dort unten in der Mühle, da geht ein Mühlenrad‹ Ich wähle das Lied, weil ihr dabei am besten rhythmisch atmen könnt. Ihr müßt bei jedem Atemzuge mindestens zwanzig Volumprozent Sauerstoff schlucken. Vorwärts – marsch ...!« Sie wackelte wie eine große, dicke Henne voran, und die Kinder folgten ihr singend, im Gleichschritt und mit gereckten Köpfen. Alle hatten rote Backen und klare Augen. Alle waren barhäuptig und trugen das Haar in Doppelzöpfen und glatt aus der Stirn gestrichen. Alle waren trotz der Herbstfrische in ziemlich kurzen Kattunkleidern mit Matrosenblusen, die den Hals freiließen. Und alle waren nacktbeinig, ohne Strümpfe und Schuhe, nur mit Ledersandalen an den Füßen. Die kleinen Komtessen von Freilehningen bildeten eine Berühmtheit im Kreise. Aber man spöttelte schon längst nicht mehr über ihre bloßen Waden, und ein schielender Männerblick störte sie nicht. Es lebte eine wundervolle freie Keuschheit in den Mädchen.

*

Diesberg hatte den Wagen vorangeschickt. Annelene hing sich an seinen Arm.

»Es ist lieb von dir,« sagte sie, »daß du gekommen bist. Ich bin so schrecklich aufgeregt. Du gar nicht?«

»Nee – unbedeutend. Es kann ja nicht allzu schlimm werden.«

»Sagst du, Vater denkt anders. Lieb Häseken, er hat mir eine lange Rede gehalten, eh' er abfuhr. Wenn er mit Bärwalde hängen bleibt, sagt er, mußt du fort. Du wirtschaftest alles in Grund und Boden, sagt er.«

»Da hat er recht«, antwortete Diesberg heiter. »Ich war manchmal ein bissel unvernünftig – und hatte nie Geld – und wenn ich welches hatte, ging es gleich wieder zum Deubel. Nun, also ja – das weiß ich alleine. Das braucht er auch dir nicht erst zu erzählen. Was weiter?«

»Er will dir,« hub Annelene wieder zögernd an, und ein Schluchzlaut blieb ihr in der Kehle stecken, »will dir Freilehningen verbieten.«

»Hallo«, rief Diesberg und blieb stehen. »Das wird Ernst.«

»Ja, Erni, das hat er in vollem Ernst gesagt ...« Annelene faßte ihn mit ihren beiden arbeitsderben Händen um seine Arme, als wollte sie ihn festhalten. Sie war gut einen Kopf kleiner als er und mußte zu ihm aufschauen. In ihrem frischen, runden Gesicht hing ein Zug herzlichster Kümmernis. Das Blau der Augen hatte sich verdunkelt, sie schnüffelte durch das Näschen, um nicht loszuheulen.

»Blödsinn«, sagte Diesberg und zog sie weiter.

»Nein, nicht Blödsinn«, rief Annelene und klapperte mit ihren Sandalen neben ihm. »Wir seien nicht verlobt, sagt er –«

»In der Tat nicht«, fiel er ein. »Demgemäß werden wir uns heute in aller Form Rechtens verloben und ihm damit eine freudige Überraschung bereiten.«

»O Gott, Erni, faß' das doch alles nicht so leichtsinnig auf! Vater ist dir gewiß nicht feindselig gesinnt, das hat er bewiesen. Er ist schrecklich sparsam, und trotzdem hat er deine zweite Hypothek, ich glaube die zweite, in einer Höhe beliehen, über die alle Leute den Kopf schüttelten. So ist es doch. Und nun kommt es zum Klappen. Er weiß, daß wir uns heiraten möchten. Aber es ist doch erklärlich, daß er meine Zukunft gesichert haben möchte. Ist sie das? Nein. Ich kriege eine jährliche Rente von sechstausend Mark. Das verbrauchst du in einem Monat. Das verspielst du in einer Viertelstunde.«

»Ich spiele nicht mehr«, erwiderte Erni ruhig. »Du wirst lachen, wenn ich dir sage: ich war nie ein leidenschaftlicher Spieler. Bakkarat und Trente et quarante war für mich nichts anderes als Schach oder Domino, ein Zeitvertreib oder meinetwegen ein Mittel zur Gedankenkonzentration. Aber ich war immer ein gründlicher Geldverächter. Andre behaupten, ein heilloser Verschwender. Simmens meint, ich verstände die Kunst zu leben. Das ist Übertreibung. Richtig ist, daß ich mein Leben genossen habe, ohne Pedanterie – gut, auch ohne Überlegung, ohne die Bremse rechnerischer Klugheit. Nach vulgärer Ansicht war ich unerhört leichtsinnig. Einverstanden. Ich könnte achselzuckend erwidern, daß dieser Leichtsinn nichts ist als ein Gehorchen höherer Bestimmung. Da würdest du schaudern. Ich könnte auch antworten, daß der Zauber des Genießens lebendiger wirkt als jedes Moralsystem, und könnte dafür meine Jugend und mein Temperament ins Feld führen. Das würdest du wieder nicht verstehen. Aber nun bin ich rund dreißig geworden und, was wichtiger ist, ich will dich heiraten.«

Annelene preßte ihre Finger wie einen Schraubstock um seinen Arm. »Willst du das wirklich?« fragte sie.

»Schafchen«, gab er zurück.

»Du brauchst eine sehr reiche Frau, Erni.«

»Eigentlich brauchte ich sie. Fände sie wohl auch. Aber das würde dann wieder eine verfehlte Invite sein. Denn in dem Augenblick, da ich mich an eine Ungeliebte hänge, würde mein Genießerdasein zu Ende sein. Ich genieße ja auch mit dem Herzen.«

»Schön gesagt. Auch mit dem Herzen. Muß eine reiche Frau immer eine Ungeliebte sein?«

»Das ist insofern eine ungemein dumme Frage, Kleinchen, als du ja weißt, daß ich dich mit meiner Liebe zu beglücken wünsche.«

»Und meine sechstausend Mark jährlich. Es steht also so: du mußt einen Trennungsstrich ziehen zwischen dem Leben des Herzens und dem der Äußerlichkeit.«

»Richtig. Jetzt fängst du an, logisch zu werden. Ich muß dem Regenbogen über meinem Dasein sanftere Farben geben. Und diese Tüncharbeit möchte ich mit dir besprechen, auch mit deinem Vater.«

Er schwieg. Die Mädel hatten ihren Singsang beendet. Fräulein von Hübner schob sich in ihrem Schleifschritt näher.

»Gehen wir hintenherum?« fragte sie.

»Ja, nicht durch das Dorf«, antwortete Annelene.

Das Dörfchen lag unten im Tale, eine ehemalige freie Ansiedlung, daher der Name, ein Runddorf mit der Kirche in der Mitte. Abseits erhob sich der Gutshof auf leichter Anhöhe, der Park in seinem Farbengewirr stieg hangab bis zur Bahnlinie, die hier einen weiten Bogen beschrieb.

Die Kinder hatten genug von ihrer Atemgymnastik. Sie umschwärmten Erni und Annelene und schnatterten viel. Es ging über den Wiesenweg durch den Park nach dem Schlosse. Natürlich hieß es das Schloß, doch es war nur ein einfacher Bau, einstöckig, langgestreckt und langweilig, mit verwittertem, gelbem Anputz, als hätte es eben die Gelbsucht überstanden. Nach vorn heraus hatte es einen runden Vorbau mit Säulen und hohen Glasfenstern, den man im Sommer als Gartensaal benutzte, nach hinten heraus eine offene Holzveranda, mit purpurrotem wildem Wein bekleidet. Die Fenster sämtlicher Wohnzimmer waren weit geöffnet, und da sah man denn, daß nirgends Gardinen hingen. Es lag auch in keinem Gemach ein Teppich oder ein Fell, es gab weder ein Sofa noch einen Diwan, es gab keinerlei Polstermöbel. Dennoch erschienen die Zimmer nicht leer, es stand viel Mobiliar umher, doch nur aus Holz, auch mancherlei Kostbarkeiten darunter aus der Empire- und Biedermeierzeit, die wieder Mode geworden waren. Im Gartensaal hing über der Innentür eine geschnitzte Holztafel mit der eingebrannten Inschrift: »Das Beste ist das Wasser. Pindar, Olymp. 1, 1.« Dieses schöne Werk ihrer kunstreichen Hände hatte Annelene einmal ihrem Vater zu Weihnachten geschenkt.

Der kleine Pastor Knab aus dem Dorfe wartete schon: er hatte den drei Jüngsten Unterricht zu geben. Es war übrigens auch noch eine Engländerin im Hause, Miß Fairholme, die gewöhnlich eine dicke Backe hatte, weil sie sich nicht an den beständigen Luftzug gewöhnen konnte, der durch die Zimmer ging. Die Kinder verteilten sich nun an ihre Tagesarbeit, und Annelene nahm Diesberg mit in ihr Stübchen, das sie als Älteste allein bewohnte, während die übrigen paarweise untergebracht waren.

»Erlaube, daß ich zunächst einmal das Fenster schließe«, begann Erni. »Ich bin zwar auch leidlich abgehärtet, doch gegen euch komme ich nicht auf. Willst du eine Zigarette?« Annelene bejahte. »Wenn's Vater merkt, schimpft er,« sagte sie, »aber gib schon her. Und dann setz' dich.«

Er ließ sich auf einem der Bauernstühle nieder, in deren Rückenlehne ein mangelhaftes Herz geschnitten war. Der Tischler im Dorfe hatte dies Mobiliar geliefert, und Annelene hatte es bemalt. Es sah hübsch und sauber aus. Das ganze Stübchen gab die Frische einer unberührten Mädchenseele wieder. Änneli hatte auch versucht, die Herbigkeit der Einrichtung ein wenig geschmackvoll auszugestalten. Sie hatte in irgendeiner Bodenkammer ein paar englische Stahlstiche gefunden und neu rahmen lassen, über der Tür hingen Teller aus Bauernporzellan mit naiver Bemalung, an der einen Wand tickte laut und schwerfällig eine alte Standuhr, auf dem Gesims daneben standen Krüge, ein Messingleuchter, eine seltsam geformte Öllampe, eine Geburtstagstasse mit goldenem Rand und sehr breitem Henkel. Annelene lief gern im Dorfe von Haus zu Haus und kaufte Gerümpel aus vergangenen Tagen zusammen.

Erni gab ihr Feuer und sah sich um. Sein Blick glitt über den Arbeitstisch am Fenster und über das schmale eiserne, weiß behängte Bett in der Ecke. »Ganz gemütlich«, sagte er.

»Spotte nicht«, antwortete sie und zog das Kleid tiefer über die bloßen Knie. »Glaubst du nicht, daß ich nicht auch manchmal Sehnsucht nach einem bißchen Komfort habe, nach einem wärmeren Zimmer mit Sesseln und Teppichen, nach hübschen Toiletten und seidenen Strümpfen?...« Nun lachte sie... »Wenn Besuch da ist, ziehen wir uns Strümpfe über die Beine, bloß nicht von Seide. Stiefel und Schuhe passen mir nicht mehr, sie drücken, ich behaupte, die Sandalen deformieren die Füße. Ich schimpfe nicht auf Papa wegen unserer Nacktbeinigkeit, es ist eine gesunde Schrulle, keine von uns ist je krank gewesen, nie kommt der Arzt ins Haus. Aber ich möchte nicht barfuß durchs Leben wandern, verstehst du, wie ich das meine?«

»O ja, ich bin ja nicht gar so beschränkt. Alles hat lange gelacht über den Wassergrafen und seine Manie und über die barfüßigen Fräulein von Freilehningen. Ich lachte nicht mit. Abgesehen von der Sache selbst – ich habe deinen Vater immer bewundert, daß ihm die Ansichten der Welt so schnuppe sind. Er ist ein Eigenbrötler, aber doch ein Eigenmensch. Er ist ein ganzer Charakter. Und da er das ist, wird er mir auch erlauben, desgleichen zu sein und nicht von dem abzugehen, was ich mir vorgenommen habe.«

»Und das ist?«

»Dich zu heiraten, Komteß Annelene.«

Diesmal sprach er mit völlig ernstem Gesicht. Sie zog das Kleid noch etwas weiter über die Knie und schaute ihn mit Augen an, in denen die Lebenssehnsucht der ganzen Frauenwelt lag.

»Erni,« sagte sie, »es geht jetzt um die Wurscht. Du hast noch Zeit zur Überlegung. Vater ist reich, aber geizig. Du kannst viel bessere Partien machen.«

»Bitte recht sehr – du«, antwortete er. »Wir haben ja auch reiche Leute im Kreise – Simmens zum Exempel. Er findet deine lieben Füße nicht deformiert, er schwärmt grade für deine Füße. Er hält es für ein Naturwunder, daß sie immer so reingewaschen aussehen, obwohl du durch Staub, Moder und Pfützen tappst. Für ihn sind sicher deine Füßchen Symbol deiner Seele. Also was die Partien betrifft ... Änneli, willst du wirklich den Habenichts von Bärwalde nehmen? Es geht um die Wurscht, sagst du in der schönen Klarheit deiner Ausdrucksweise. Nun ja, bedenke das.«

Sie erhob sich, sprang mit einem kurzen Katzensatz zu ihm und kauerte sich auf seinen Schoß, schlang ihre Arme um seinen Hals und küßte ihn leidenschaftlich. Da wurde ihm auch warm, und in der Spanne eines Augenblicks überschaute er sein bisheriges Leben, und es erschien ihm kläglich einem Besitz gegenüber, der schon sein war und den er doch erst gewinnen mußte.

Er erwiderte ihre Küsse, drückte seine runde Liebe noch einmal fest und herzlich an sich, nahm sie dann und trug sie zurück zu ihrem Stuhl, wo er sie vorsichtig niedersetzte und ihr verschobenes Kleid artig zurechtzupfte.

»So,« sagte er, »dies war unser Verlobungsknutscher. Nun sind wir vor Himmel, Hölle und Menschheit Braut und Bräutigam. Morgen bringe ich dir den Trauring meiner Mutter, er wird dir passen. Morgen beginnt ein neues Kapitel im Roman meines Lebens, jetzt wird er seriös, aber er soll nicht langweiliger werden. Ich tu mich mit Simmens zusammen. Er ist Kapitalist, ich bin die Arbeitskraft. Er hat Bärwalde gekauft –«

»Hat er das?« fragte Annelene. »Weißt du es schon?«

»Nein, aber ...« Diesberg schlug sich vor die Stirn ... »Alle Wetter,« rief er und zog seine Uhr, »jetzt wird die Auktion beendet sein. Man könnte telephonieren.«

Annelene sprang auf. »Aber sofort – dann wissen wir Bescheid! Komm mit in Vaters Zimmer.«

Nun hatten beide es eilig. Die Sandalen Annelenes klapperten wieder. Diesberg schritt hinterher. Sein Herz schlug stärker. Er spürte einen leisen Druck auf der Brust. Das Arbeitsgemach des Wassergrafen war ein Saal. Die Fenster standen auch hier offen. Der Wind hatte von draußen falbe Blätter in das Gemach geweht. An allen Wänden stiegen Repositorien empor mit Briefordnern und dicken Aktenstücken, aus denen beschriebene Zettel hingen. Ein Mammutschreibtisch stand in der Mitte, ein wundervolles altes Möbel aus geschnitztem Eichenholz. Auf den Papieren lagen gewöhnliche Feldsteine in jeder Form und Größe als Briefbeschwerer.

Erni stand an dem Fernsprecher. Er ließ sich mit der Kreisstadt verbinden, mit dem ›Goldenen Anker‹. Herr Martin, der Wirt, meldete sich.

»Hier Baron Diesberg,« rief Erni, »ist Graf Pakisch zu sprechen?«

»Der ist vor einer Viertelstunde fortgefahren, Herr Baron.«

»Ist Herr Simmens-Burgersroda noch da?«

»Der ist eben beim Essen, soll ich ihn holen?«

»Bitte.«

Simmens kam sofort. »Bist du es, Diesberg?« fragte er.

»Ja. Wie verlief die Versteigerung?«

»Anfänglich wie man voraussah. Protzen gab das Erstgebot, dann folgte Pakisch. Dann ich.«

»Und Bärwalde wurde dir zugeschlagen?«

»Nein, doch nicht.«

» Nein –?!« rief Diesberg. Annelene stand zitternd hinter ihm. Sie hörte jedes Wort.

»Aufpassen«, rief drüben Simmens von neuem. »Ich wurde überboten. Es war ein Berliner Anwalt da, der wollte über eine Million gehen. Das ist natürlich Unsinn. Ich bin nicht verrückt. Und ich gab die Sache erst recht auf, als ich hörte, wen der Anwalt vertrat.«

»Wen denn? So rede doch weiter, Edward!«

»Warte ab. Es handelt sich um einen alten Bekannten eures Hauses, um den Geheimrat Lipsius.«

»Lipsius?! Um Lipsius?«

»Jawohl. Ich denke mir, das liegt nicht ungünstig für dich.«

Diesberg atmete schwer. »Nein. Es sind wenigstens Aussichten vorhanden.«

»Sprichst du von Bärwalde aus?«

»Von Freilehningen. Ich warte auf Pakisch.«

»Ach so. Der muß gleich drüben sein. Wann seh ich dich?«

»Ich weiß noch nicht, jedenfalls bald. Ich muß erst Überblick gewinnen.«

»Selbstverständlich. Ich lege mich der Komteß Annelene zu Füßen. Addio derweilen.«

»Adje.«

Erni hing den Fernsprecher an und wandte sich nach Annelene um.

»Hast du verstanden?« fragte er.

Sie war blaß und nickte. »Bärwalde ist futsch«, sagte sie tonlos.

Er küßte sie. »Das ist es, aber ... die Sache liegt kompliziert. Es ist möglich, daß der Geheimrat Lipsius zu meiner Rettung eingegriffen hat. Ich schulde ihm noch ein paar tausend Mark, doch um die kann es sich nicht handeln. Kein Bein. Lipsius ist vielfacher Millionär, das ist eine Bagatelle für ihn. Aber er ist ein Jugendfreund meines Vaters. Sie haben zusammen in Heidelberg studiert. Er hatte auch Interesse für mich. Nur seine ewigen Standpauken paßten mir nicht – und dann ist der arme Mann herzleidend – wenn er ein bißchen gesprochen hat und in Erregung gerät, kriegt er einen Anfall, japst nach Luft und leert ein kleines Medizinfläschchen, das er immer in der Westentasche trägt. Da bin ich nicht mehr zu ihm gegangen.«

Er lehnte mit dem Rücken gegen den Schreibtischrand. Annelene stand dicht vor ihm und hielt ihn wieder an den Armen fest. »Das ist unrecht von dir«, sagte sie. »Alte Freundschaften soll man nicht vernachlässigen.«

»Er war nur ein Freund meines Vaters. Immerhin ... Ich frage mich: was will er mit Bärwalde? Er selbst ist schwer leidend, er hat nicht einmal einen Sohn, für den er es hätte kaufen können, er hat nur eine Tochter ...« Ein sinnender Ausdruck ging über sein Gesicht und ein Lächeln fröhlichen Begreifens ... »Ja, eine Tochter,« fuhr er fort, »Fräulein Regina, und vielleicht ... alle Hagel, Änneli, vielleicht hat die für mich gesprochen!«

»Ist sie schön?« fragte Annelene sofort.

»Ich glaube. Sie ist nicht mein Geschmack, aber man hält sie wohl für schön.«

»Warum ist sie nicht dein Geschmack?«

»Gott bewahre, was kannst du fragen!« rief er lachend. »Weil – weil sie das Gegenteil von dir ist. Sie ist groß, gut gewachsen, brünett, irre ich mich nicht, mit grünen Augen und mit einem sogenannten klassischen Profil. Stirn, Nase, Mund, Kinn, das alles harmoniert miteinander. Alles ist sehr edel und vornehm. Sagen wir griechisch. Und du bist deutsch.«

»Das Gegenteil von ihr. Du schmeichelst mir nicht.«

Er nahm ihr Apfelgesichtchen in beide Hände und lachte ihr in die Augen. »Ach, du geliebtes Hammelchen,« sagte er, »ist es denn nicht eine Schmeichelei für dich, wenn du mehr mein persönlicher Geschmack bist als diese stolze Schöne? Ich halte sie für stolz, sie macht den Eindruck, und andrerseits habe ich doch auch wieder die Empfindung, daß sie mich gern hat, meine Art, mein Wesen, vielleicht sogar meinen Leichtsinn. Die Gegensätze berühren sich, das ist ein alter Witz. Grade, weil sie aus einem so ursoliden, fest fundierten ehrenhaften Bürgerhause stammt, mag ihr meine lockere Lebensauffassung zusagen – im übrigen weiß ich es nicht. Aber ich glaube fast, daß sie ein gutes Wort für mich bei ihrem Vater eingelegt hat – wie käme er sonst auf den Gedanken, eine Million und darüber für Bärwalde fortzuwerfen! Nun ja – ein Geschäft kann es für ihn nicht sein, es muß also eine andere Absicht dahinterstecken.«

»Vielleicht möchte er dich als Schwiegersohn haben«, sagte Annelene.

»Hoi, da kennst du ihn schlecht! Ich bin in seinen Augen eine Art Verbrechernatur – wahrhaftig, er hat mir einmal unumwunden erklärt, ein Mensch, der Schulden mache, ohne zu wissen, daß er sie pünktlich zurückzahlen könne, sei ein Schädling an der Allgemeinheit. Er ist ein gräßlicher alter Knurrhahn. Aber – Gott, es ist ja möglich, daß er mich bessern will, daß er ein Experiment mit mir vorhat – vielleicht in Erinnerung an meinen Vater ...« Er brach hastig ab und lauschte.

»Der Papa«, rief Annelene.

»Ja, ich höre den Wagen rollen. Gehen wir ihm entgegen, Arm in Arm, damit er gleich sieht, daß wir zusammengehören.«

Er nahm Annelene an seine Seite. Sie seufzte. »Ist das ein Leben«, klagte sie. »Ich wollte – ich wollte – ich wollte ... ich wollte, wir säßen irgendwo auf einer ganz einsamen Insel ...«


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