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I

Vor dem ›Gasthof zum Anker‹ am Markte standen der Ritterschaftsrat, der dicke Baron Brenkenhoff und der Wassergraf aus Freilehningen und waren neugierig, wie die Geschichte ablaufen würde.

»So eine Zwangsversteigerung haben wir lange nicht gehabt«, sagte Baron Brenkenhoff, den erkalteten Zigarrenstummel im linken Mundwinkel, über dem sich der schwarzgefärbte, kurzgeschnittene Schnurrbart spitzte. »Das letztemal, es sind an die dreißig Jahre her, ja, so lange mag es her sein, da kam Burgersroda unter Subhasta, das dann der verrückte Zwiesel, der selige Simmens kaufte.«

»Wir sind gedeckt«, erwiderte Herr von Protzen, der Ritterschaftsrat, ein kleiner, sehr beweglicher Mann, dessen Glieder außerordentlich locker in den Gelenken zu sitzen schienen, denn er zappelte beständig. »Bärwalde ist immer noch seine runde Million wert, und wir schließen mit viermalhundertachtzigtausend ab. Schlimmstenfalls beantrage ich Zwangsverwaltung.«

»Will denn der Diesberg selber kommen?« fragte wieder der dicke Brenkenhoff und spuckte seinen schwarzen Zigarrenrest wie einen Priem nach Seemannsart auf das Pflaster. »Ich habe eigentlich geglaubt, du würdest ihm noch einmal aus der Bredouille helfen, Pakisch. Er ist doch sozusagen dein Schwiegersohn, sozusagen.«

Der lange Graf Pakisch, den man den Wassergrafen nannte, weil er für die Kneippsche Heilmethode schwärmte, verzog keine Miene in seinem hageren, gelben Gesicht ... »Erstens mal ist er nicht mein Schwiegersohn,« antwortete er mit seiner langweiligen, öligen Stimme, »na, und im übrigen, wenn schon. Bis achtmalhunderttausend gehe ich mit, nicht einen Groschen drüber. Wenn ich meine Hypothek in Sicherheit weiß, können die andern bieten, was sie wollen.«

»Sie werden nicht,« sagte Brenkenhoff, »Bärwalde ist arg devastiert, und es gehört schon ein Klotz Geld dazu, den Rummel wieder in Gang zu bringen. Diesberg ist ein tüchtiger Reitersmann, hat aber keine Ahnung von Landwirtschaft.«

»Will ich auch nicht behaupten,« erwiderte der Wassergraf, »er hat mannigmal einen ganz guten Blick; mit dem Senfanbau hat er sein Geschäftchen gemacht, aber er ist ein leichtsinniger Schlingel. Und dann die verrückte Pferdezucht! Wer so etwas in die Hand nimmt, muß genügende Reserven hinter sich haben.«

Der Ritterschaftsrat hüpfte von einem Bein auf das andere und schlenkerte mit den Armen. »Da hat ihn der Simmens reingeritten«, sagte er. »Mir kommt's überhaupt so vor ... na, ich will mir nicht das Maul verbrennen, aber dem Simmens trau' ich nicht recht. Bärwalde liegt ihm bequem, das grenzt so hübsch an Burgersroda – und unten die Wiesen im Bruch – und Simmens hat zu wenig Wiesen, die braucht er. Die braucht er ...«

Ein kleiner, gelber, schnittiger Selbstfahrer ratterte über das Holperpflaster rings um das alte Rathaus.

»Schnute halten,« sagte der Wassergraf, »da ist der Simmens!«

Ein junger Herr in einem Waterproof mit einem grünen Jagdhut auf dem Kopfe lenkte das Gespann mit sicherer Hand. Es waren ein paar hübsche dunkelbraune Galizier, deren lebhaftem Kopfspiel man das Temperament anmerkte. Der Fahrer umkreiste den Marktplatz, als wolle er erst seine Künste zeigen, schnürte dann die Fäuste ein wenig und hielt vor dem ›Anker‹. Die Gäule standen wie angewurzelt.

»Die Ehre, meine Herren«, rief der Burgersrodaer, warf die Zügel dem livrierten Bengel zu, der hinten auf dem Wagen klebte, und sprang ab. Man begrüßte sich. Die Herren schritten langsam um die Pferde und musterten sie.

»Wie alt?« fragte der Wassergraf und riß mit geschickter Handbewegung einem der Gäule das Maul auf, um nach den Kunden zu sehen.

»Vierjährig. Knapp. Nette Jucker, was? Eigentlich Damenpferdchen. Wollen Sie sie nicht für die Komteß Annelene kaufen, Graf Pakisch? Ich gebe sie ab, billig, ich habe keinen Platz mehr.«

»Nee, Simmens,« ölte der Wassergraf, »mit Ihnen schachre ich nicht. Sie sind mir zu gerissen.«

Brenkenhoff, der den Gäulen sachgemäß über die Sprunggelenke strich, richtete sich auf und lachte schallend. Der ganze Mensch wackelte dabei. »Ja, verflucht,« rief er, »der Simmens nimmt es mit allen Pferdejuden auf zwanzig Meilen auf! Na, Simmens, wie ist es? Wollen Sie Bärwalde koofen?«

Der junge Herr hatte sich bei dem in der Tür des Gasthofs erscheinenden Kellner einen Schoppen Mosel bestellt. Brenkenhoff fragte, ob das Bier frisch sei, der Ritterschaftsrat wünschte ein Glas Sherry, Graf Pakisch ein Gieshübler. Man setzte sich auf die Bank vor dem Gasthof, unter die schon herbstlich gelb gewordene, blätterschüttelnde Akazie.

Edward Simmens streckte die Beine lang unter den Tisch und legte sein silbernes Zigarettenetui vor sich hin. »Ja, lieber Baron,« antwortete er, »ich trage mich mit der Absicht, Bärwalde zu kaufen. Das bin ich Diesberg schuldig – einen Weg der Verständigung über die gemeinsame Verwaltung werden wir schon finden. Vielleicht bringe ich mein Gestüt herüber, damit wäre auch Diesberg gedient. Also Ihre Hypothek überbiete ich mit acht guten Groschen, Graf Pakisch – oder wollen Sie höher gehen?«

»Nicht in die Hand,« rief der Wassergraf und goß sich seinen Gieshübler ein, »ich habe an Freilehningen genug. Übrigens glaube ich nicht, daß die Nachfrage lebhaft sein wird. Brenkenhoff treibt bloß die Neugierde her, und sonst sehe ich noch keinen Menschen.«

»Der Zug kommt erst um halb elf,« entgegnete Herr von Protzen, »der bringt die Berliner und das Agentengesindel aus der Umgegend. Aber ich meine auch, der Anreiz wird nicht allzu groß sein. Die Konjunktur ist nicht danach, und die hohe Anzahlung schreckt. Denn wie ich Pakisch kenne, wird er seine Hypothek nicht stehenlassen.«

»Ich denke nicht daran«, brummte der lange Graf. »Bei Diesberg war das etwas anderes, der war mein Mündel, und ein bißchen verwandt sind wir ja auch. Aber in fremde Hand geb' ich mein Geld nicht – hab's außerdem selber nötig.«

»Ja, du armer Deibel,« lachte Brenkenhoff, »du bist immer am Verhungern ...«

Nun wurde es allgemein lebhafter auf dem Marktplatz der kleinen Bezirksstadt. Es kamen auch noch ein paar weitere Gutsbesitzer aus der Nachbarschaft, die sich die Sache ansehen wollten und im ›Anker‹ ausspannen ließen, meist behäbige Leute mit wetterbraunen Gesichtern, die zunächst einen Kognak hinter die Binde gossen und dann ungeheuer viel zu fragen und zu erzählen hatten. Die Zwangsversteigerung von Bärwalde erhitzte doch die Köpfe. Daß der Diesberg überall in der Kreide stand, wo man gegen gute Sicherheit pumpte, wußte man ja, er hatte Bärwalde schon recht verschuldet übernommen und es dann seinem schludrigen Inspektor überlassen, um ganz seinen sportlichen Neigungen leben zu können. Nun ja, er war ein famoser Reiter, und eigentlich, das mußte man sagen, war er es, der den Simmensschen Stall binnen drei Jahren zu einer gewissen Beachtung gebracht hatte. Aber es kann einer der beste Reiter sein und von der Aufzucht der Gäule doch nicht viel verstehen – außerdem gehören dazu bedeutende Mittel, die Diesberg sich erst zusammenschnorren mußte – und dann lebte er ja wie ein Grandseigneur und nicht wie ein Habenichts, der er doch war. Übrigens sprach man allgemein mit großer Sympathie von ihm, schon des Wassergrafen wegen; man hatte den Bärwalder Windhund aber auch recht gern und bedauerte allgemein seinen Zusammenbruch.

Vor dem Gasthofe hatte man noch einen zweiten Tisch ansetzen müssen, denn nun nahten die Honoratioren des Städtchens, der Herr Bürgermeister mit einer Miene der Weltweisheit und halb geschlossenen Augen, was den Eindruck seiner Gelehrsamkeit erhöhte, und der Herr Landgerichtsrat Stauber, der die Versteigerung zu leiten hatte, ein fideler Herr mit rötlichen Adern auf der Nase, und der Getreidehändler Seligmann mit dem Pferdeschmeißer Fuchs als Vertreter der Plutokratie, beide in weißen Westen, was man auch symbolisch auffassen konnte, aber von den Anwesenden nicht geschah. Ein offener Landauer brachte den Landrat von Gaedechens herbei, einen strammen Weißkopf mit fröhlichem Burgundergesicht, der leichtfüßig aus dem Wagen sprang. »Morjen, meine Herren,« rief er, »morjen allerseits! August, eine Cantenac, von meiner Sorte! ...« Aller Hände streckten sich ihm entgegen, er setzte sich neben den Bäckermeister und hatte den Apotheker auf der anderen Seite. Die Gesellschaft mischte sich, ein gewichtiger Großbauer fand sich ein, auch der alte Lehnschulze aus dem nahen Neschwitz, eine Figur wie aus einem Gubitzschen Volkskalender. Hier kannte sich jeder, es kam nicht auf Stände und Konfessionen an, Ernte und Ställe bildeten das gemeinsame Interesse, außerdem klagte alles, und alles schimpfte, und alles grölte und lachte dabei.

Der Landgerichtsrat hatte den Wassergrafen an einen Knopf seiner verschossenen Jägerjoppe gefaßt, unter der eine wollengestrickte Weste Falten schlug. »Na also, Herr Graf,« sagte Stauber, »ich denke mir, es wird nicht gefährlich werden. Schriftliche Anmeldungen sind überhaupt nicht eingelaufen. Wenn Sie oder der Simmens die Klitsche pro forma, kaufen, wird man den Diesberg ja noch einmal retten können. Sagen Sie mal, haben denn seine hohen Verwandten nicht eingreifen können?«

Pakisch winkte ab. »Haben ja alleene nischt«, antwortete er. »Außerdem – es sind doch nu schon zweihundert Jahre her, daß mal ein verdrehter kleiner Fürst auf die Idee kam, die Zofe seiner Schwester zu heiraten, und in den zwei Jahrhunderten hat sich die Verwandtschaft ein bißchen aufgetruselt. Gott bewahre, es besteht seit Ewigkeiten gar keine Verbindung mehr zwischen den Diesbergs und dem Anhaltschen Hof. Sonst hätte der Erni sie schon ausgenützt, darauf können Sie sich verlassen ... Aha,« unterbrach er sich, »nu ist der Zug gekommen, nu kann's bald losgehen ...«

Der Gasthofsomnibus fuhr vor und ein zweiter Omnibus vor den Eingang zum ›Treuen Preußen‹ an der Ecke des Marktes und der Fischergasse, wo die kleinen Agenten und Handlungsreisenden abzusteigen pflegten. Da war man denn neugierig am Tische, ob sich noch weitere Interessenten für Bärwalde einfinden würden, aber es sah nicht so aus. Ein dicker Herr, der bei dem schönen Herbstwetter einen schäbigen Pelz trug, konnte ein Privatgläubiger sein, das war möglich, und auch der elegante junge Mann in dunkelbraunem Raglan schien der Versteigerung beiwohnen zu wollen. Er zog höflich den Hut, als er an den besetzten Tischen vorüberging, und wandte sich fragend an den Kellner, der nach dem Rathaus hinüberwies. Dann erhob sich auch der Landgerichtsrat. »Na, meine Herren,« sagte er, »wenn ich nun bitten darf ...«

Man schnellte in die Höhe, reckte sich und trank die Gläser aus. Der Ritterschaftsrat ließ sich den Wirt kommen und fragte nach dem Mittagessen. Er war ärgerlich und zappelte. Rehkeule konnte man zu Hause alle Tage haben, bei solcher Gelegenheit hätte Herr Martin weiß Gott für ein paar Delikatessen sorgen können. Wozu hatte die Landschaft denn durchgesetzt, daß der Kurierzug an dem verdammten Neste hielt? Für alle Fälle ließ er ein halbes Dutzend Flaschen Rheingold kaltstellen, und dann schlenkerte und zappelte auch er hinüber nach dem Rathaus.

Hier tagte im ersten Stockwerk das Gericht. Im großen Schwurgerichtssaal sollte die Versteigerung stattfinden. Durch die kleinen regengrünen Fensterscheiben fiel das Sonnenlicht des Herbsttages. An einer Wand hing eine vergilbte Lithographie Friedrich Wilhelms des Vierten, gegenüber ein schreckliches Öldruckbild des letzten regierenden Herrn. Sonst war das Zimmer kahl und nüchtern, in einem Winkel oben an der Decke schaukelte sich eine Spinne. Die Schritte der Herren knirschten auf dem weißen Sande, mit dem die Dielen des Fußbodens bestreut waren. Ein paar Bänke waren aufgestellt worden, davor einige Stuhlreihen. Man setzte sich, wie es sich gerade traf. »Darf man hier roochen?« fragte der dicke Brenkenhoff.

»Ich habe nichts dagegen«, antwortete der Landgerichtsrat, und nun zog Baron Brenkenhoff eine seiner schwarzen, gelbgefleckten Zigarren aus der Tasche und begann sie umständlich anzuzünden. Der Wassergraf, der neben ihm saß und als begeisterter Anhänger Kneipps sowohl Antialkoholiker wie Nichtraucher war, rümpfte die Nase und schnüffelte. »Du hast immer noch deinen niederziehenden Tobak, Brenkenhoff«, nölte er mit seiner Kleinkinderstimme. Da schlug der amtierende Richter mit dem Auktionshammer auf den Tisch. Zwei Schreiber für das Doppelprotokoll saßen rechts und links von ihm und fuhren zusammen.

Jetzt hatte alles Platz genommen. Nur der junge elegante Herr im dunkelbraunen Raglan war stehengeblieben. Es war ein Berliner Rechtsanwalt, der in seinen Mußestunden zuweilen den Parnaß bestieg, Gedichte machte und Novellen schrieb. Das Bild vor ihm war eine Milieustudie. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen den riesenhaften, braunen, eiskalten Kachelofen, und seine klugen dunklen Augen schweiften beobachtend über die Versammlung. Eine fabelhaft spaßige Gesellschaft, diese agrarischen Edelleute mit ihrem putzigen Anhang. Alle verschieden voneinander, aber landbeherrschender Junkerschlag, Charakterköpfe, auch wo Linien der Groteske hinzutraten, und Originale, wie sie nur noch zwischen Acker und Heide wachsen. Wenig äußere Pflege, hier war man ja unter sich, der Stallgeruch verflog erst in Berlin, beim Bummel in der agrarischen Woche, oder wenn man auf Bälle ging und der Frack aus der Mottenkiste geholt wurde. Da ließ man sich auch das Haar scheren und den Bart stutzen und zwängte sich Lackstiefel an, da kam man mit seinen Leuten zusammen, die immer geschniegelt und gebügelt waren, und wollte natürlich nicht zurückstehen. Aber daheim ließ man sich gern ein bißchen gehen, man kannte sich und sah nicht auf den Rock ... Der Blick des Rechtsanwalts machte bei den Gestalten des Wassergrafen und des Barons Brenkenhoff halt. Seltsame Gegensätze. Der eine lang, hager, mit gelbem Eulengesicht und horngefaßter Brille, der andere eine kleine, dicke Husarenfigur, knallige Backen, vergnügte Äugelchen, ein spitz aufgewichstes schwarzes Schnurrbärtchen auf der Oberlippe. Beide gar nicht aristokratisch und doch unverkennbare Rasse. Und wieder da drüben der glattrasierte junge Mann, der Herr Simmens genannt wurde, das war bürgerlicher Nachwuchs, der von der Scholle aus in die Kaste hineinglitt – und nun die Zwischenglieder, breitgeschulterter Bauernschlag, der noch selber den Pflug führte und den Mist über das Feld streute, dann die Fuchsgesichter der Agenten, der Allesmacher und Allesbesorger, die immer zwischen Stadt und Dorf unterwegs waren, und die köstlichen Typen der Pferde- und Getreidejuden in den symbolischen weißen Westen, mit gespitzten Ohren und verdienstsuchendem Augenfunkeln ...

Auf die einleitenden Formalitäten hörte der Rechtsanwalt kaum. Das kannte er: die Grundbuchakten, den Reinertrag, die Hypothekenlast, die Rentenbeiträge und Servituten, die Schätzungssumme und andere Dinge. Langweilig. Dann kam man der Sache näher. Der Antrag auf Zwangsversteigerung war von der Ritterschaftlichen Darlehnskasse gestellt worden, und es hatte sich kein Widerspruch dagegen erhoben. Herr von Protzen gab denn auch das erste Gebot ab: viermalhundertachtzigtausend Mark, den Hypothekenstand der Ritterschaftsbank. Einen Augenblick herrschte Schweigen. Ein Vogelschatten huschte an den Fenstern vorüber. Die Spinne an der Decke zog sich an ihrem Faden empor. Der Herr am Ofen rührte sich nicht, er hatte noch Zeit. Ein Mann in roter Krawatte und mit einem dicken Brillantring am Goldfinger, irgendein unbekannter Geldgeber Diesbergs, stieg zwanzigtausend Mark höher, dann aber kam gleich ein gewaltiger Sprung. Der Wassergraf schlug die langen Beine übereinander, so daß zwischen Hosenrand und Stiefel ein Streifen höchst gewöhnlichen, grauen Wollenstrumpfs sichtbar wurde, beugte den schwippen Oberkörper etwas vor und rief in seinem psalmodierenden Nölton:

»Achtmalhunderttausend Mark!«

Der Landgerichtsrat wiederholte das, und beide Protokollführer setzten die Federn an und schrieben: »Graf von Pakisch auf Freilehningen und Remten achtmalhunderttausend Mark.«

Jetzt ging ein starkes, geräuschvolles Aufatmen durch das Zimmer. Na also! Nun war die Geschichte so gut wie abgemacht, nun konnte man schließen. Mit dem Gebot des Wassergrafen liefen die Hypotheken aus, und mehr zu bieten, war unter den obwaltenden Verhältnissen riskant. Aber Herr Simmens auf Burgersroda bot dennoch mehr. Zunächst nur zehntausend Mark. Er war aufgestanden und an das Fenster getreten, und während er eine Zigarette aus seinem Etui nahm, sagte er gleichmütig: also achtmalhundertzehn.«

Das › Well‹ schob er gelegentlich gern in die Unterhaltung, auch dann und wann ein paar andere rasch herausgestolperte englische Worte und Floskeln. Vater und Großvater hatten ihr Vermögen in der Nähmaschinenbranche jenseits des Kanals verdient, und Mister Edward (nicht Eduard) liebte es, sich seiner englischen Erziehung zu erinnern. Seine Kleidung und Wäsche bezog er aus London, und wenn er in den Spiegel schaute, freute er sich, daß er eine etwas kurze Oberlippe und dahinter breite, weiße, kräftige Zähne besaß. Er sah wirklich wie ein junger Engländer aus – aber die Ahnen waren ehrliche Deutsche gewesen und hatten den Namen Simons geführt. Sagte man wenigstens. Der Vater Edwards hatte Burgersroda jedenfalls schon als Herr Simmens gekauft. Vielleicht hatte er die Namensänderung bei der Rückwanderung nach Deutschland beantragt – warum, wußte der Teufel, denn Simmens klang auch nicht viel anders als Simons.

Herr Simmens hatte kaum ausgesprochen, als der junge Mann am Kachelofen eine Bewegung machte. Er knöpfte seinen braunen Raglan auf und sagte laut, mit einem Zucken der Mundwinkel:

»Achtmalhundertzwanzig.«

Nun fuhren die Köpfe auf den Schultern herum, Erstaunen trat aus die Gesichter, die Augen weiteten sich verwundert. Teufel, wer war denn das?! – Das Mehrgebot des Burgersrodaers hatte man noch verstanden, der trat für den Freund ein – man plante eine Zusammenlegung der Gestüte, davon hatte man schon gehört. Aber was wollte der Unbekannte? War das ein Privatgläubiger, der seine Wechsel in Sicherheit zu bringen wünschte? Denn das wußte man ja: Erni Diesberg hatte auch viel mit Wechseln gearbeitet.

»Darf ich um Ihren Namen bitten?« fragte der Landgerichtsrat.

»Rechtsanwalt Detmold in Vertretung des Geheimen Justizrats A. W. Lipsius, Berlin«, antwortete der junge Mann, zog seine Brieftasche, trat an den Tisch des Vorsitzenden und zeigte ihm seine Legitimation.

Stauber verneigte sich. Es war alles in Ordnung. Sein Hammer schlug auf die Tischecke. Er rief das Gebot noch einmal in den Saal, und die Federn seiner Schreiber kratzten über das Papier. Der Name Lipsius klang allen völlig fremd. Nur der Wassergraf neigte den Kopf. Erinnerungen dämmerten in ihm auf. Er hatte diesen Lipsius einmal in Bärwalde gesehen – vor langen Jahren, als der alte Freiherr von Diesberg noch lebte –, die beiden waren Studienfreunde gewesen, und ihm war auch so, als hätte ihm Erni gelegentlich von dem Geheimrat gesprochen. Er mußte einen gehörigen Pump bei ihm angelegt haben. So erklärte sich die Sachlage ... Die Spannung wuchs, die Hälse reckten sich. Der Ritterschaftsrat begann wieder zu zappeln. Herr von Brenkenhoff setzte seine kohlende Zigarre neu in Brand.

Das Gesicht des Herrn Simmens hatte sich gerötet. Er witterte Erpressung und Wucher hinter dem Angebot. Und er gierte nach den zweihundert Morgen Bärwalder Wiesen. Rasch steigerte er um weitere zehntausend Mark, ließ dann sein Zigarettenetui in die Tasche gleiten und holte seine englische Stummelpfeife hervor. Die Bewegung sollte seine Gleichgültigkeit betonen.

Aber auch der Rechtsanwalt Detmold blieb gleichgültig. Er ging auf achtmalhundertvierzigtausend Mark.

»Fünfzig«, rief Simmens.

»Sechzig«, rief der Rechtsanwalt.

»Siebzig!«

»Achtzig!«

Simmens zog die Stirn in Falten. Er überlegte. »Einen Augenblick, Herr Rat«, rief er.

»Bitte,« entgegnete Stauber, »Endgebot achthundertachtzigtausend Mark.«

Herr Edward Simmens strich sich mit einem buntbordierten Taschentuch über das Gesicht. Er lächelte und zeigte die Zähne. Seine linke Schulter zuckte. »Ich wäre dem Erni gern entgegengekommen«, sagte er halblaut zu Pakisch gewendet. »Ich hatte gehofft ... Also Schluß: neunhunderttausend!« rief er mit erhobener Stimme.

»Und zehn«, setzte der Mann am Kachelofen hinzu.

»Neunmalhundertzehntausend«, rief Stauber und hob seinen Hammer.

Alle Wetter, das war eine hübsche Summe! In guten Zeiten konnte man Bärwalde immerhin auf eine Million bewerten. Aber heute kaum noch. Inventar und Gebäude waren in schlechtem Zustande, die Ländereien ebenso, selbst den Wiesen fehlte die Nachhilfe. Freilich, da war das Gestüt. Ja, wo war das? Die Laufställe waren noch da, doch die Pferde nicht. Die hatte Herr Simmens »übernommen«, natürlich ganz rechtmäßig. Es waren auch nicht mehr viel und keine Perlen – der beste Gaul, der »Hamilkar«, war an einer unbegreiflichen Kolik binnen weniger Stunden zugrunde gegangen.

Aber Edward Simmens hatte seine Absichten mit Bärwalde. Er war wütend, daß es ihm dieser Berliner Rechtsanwalt zu entreißen gedachte. Lepsius, Lipsius – Donnerhagel, wer war das? Hatte Erni nicht einmal von einem Lepsius oder Lipsius gesprochen, als er die Zucht einrichten wollte? Oder war es damals gewesen, als er in Hamburg so blödsinnig gespielt hatte? Sei's wie es sei, der Herr Geheime Justizrat schien ein zäher Gläubiger zu sein. Aber was wollte der Jurist mit Bärwalde? Vielleicht hatte er die Absicht, es instand bringen zu lassen, um es dann weiterzuverkaufen. Die Konjunktur konnte sich bessern, er mochte auch schon seine Leute an der Hand haben.

Herr Simmens spielte wieder den Gleichgültigen. Er begann seine Pfeife zu stopfen, er hatte dazu eine praktische, kleine Maschine aus Silber oder Platin, natürlich englisches Fabrikat. Die kurze Oberlippe zog sich höher. Er wollte abermals lächeln und wandte sich wieder an den Wassergrafen. »Soll ich denn noch weitergehen?« fragte er. »Ich hatte mit Diesberg verabredet –«

»Bitte, meine Herren,« fiel Stauber ein, »keine Privatunterhaltung. Neunmalhundertzehntausend sind geboten. Zum ersten –«

»Also Schockschwerbrett,« rief Simmens, »noch zehntausend drauf!«

»Und noch zehntausend dazu«, sagte der Mann am Ofen.

Das schien der dramatische Höhepunkt zu sein. Die Summe war schließlich das wenigste, aber der Kampf der Überbleibenden regte auf. Man rückte auf den Stühlen, man flüsterte, die Köpfe neigten sich zueinander, der Ritterschaftsrat tobte mit allen Gliedern, nur die bäuerlichen Grundbesitzer saßen wie versteinert da. Der alte Lehnschulze aus Neschwitz hatte unwillkürlich den von grauen Stoppeln umrahmten zahnlosen Mund geöffnet.

»Darf ich mir eine Zwischenfrage erlauben, Herr Stauber?« hub Simmens von neuem an.

»Bitte, wenn sie zur Sache gehört.«

»Aber ja, sie gehört verdammt dazu ...« Er wischte wieder mit seinem Taschentuch über die Stirn und wandte sich an den Mann am Ofen, der jetzt seinen Raglan ausgezogen und über eine Stuhllehne gehängt hatte ... »Entschuldigen Sie, Herr Rechtsanwalt,« fuhr Simmens fort, »es hat, schätze ich, keinen Zweck, wenn wir uns gegenseitig treiben – –«

»Vergebung,« warf der andere ein, »ein Zweck wäre schon da. Je höher Bärwalde bezahlt wird, um so günstiger wäre das natürlich für den Herrn Baron von Diesberg.«

Ein Scharren und Schurren hub wieder an. Ein paar nickten, beifällige Stimmen wurden laut, plötzlich wollte alle Welt dem Bärwalder hilfreich sein. Nun die Hypothekengläubiger ihre Forderungen in Sicherheit hatten und die beiden Kampfhähne allein standen, kostete diese Herzensgüte ja nichts. Die meisten meinten es übrigens ehrlich. Der Diesberg war sicher ein leichtsinniger Strick, aber auch ein netter Kerl, ein ganz famoser Bengel.

Edward Simmens stieg wieder die Scharlachfarbe heimlicher Wut in das Gesicht. »Ist richtig,« entgegnete er, »bloß ... es schwimmt ja alles in die Masse. Die Privatschulden sind zu groß. Da langt eine Million knapp.«

»Bis zu einer Million würde ich gehen«, sagte der Rechtsanwalt ruhig. »Vielleicht auch noch ein bißchen höher.«

Nun hatte Herr Simmens genug. Jetzt war er ganz ruhig. »Na schön«, antwortete er und setzte sich. »Da verzichte ich. Ich habe meine Grenzen, die muß ich einhalten.«

Herr von Brenkenhoff beugte sich zu ihm hinüber. »Lassen Sie sich doch, nicht ins Bockshorn jagen, Simmens«, flüsterte er. »Das is ja bloß so 'n Getue. Legen Sie noch wat druff, oller Englishman.«

»Ich habe meine Pflicht getan, damit sela«, entgegnete Simmens mit Würde. Aber die Würde fiel ihm schwer. Innerlich kochte er. Die zweihundert Morgen Wiesen! –

»Zur Sache«, rief wieder der Landgerichtsrat. »Herr Rechtsanwalt Lipsius – nein, Verzeihung, das ist der Auftraggeber – wie war gleich der Name?«

»Detmold – so wie die Stadt.«

»Herr Rechtsanwalt Detmold, es ist Ihnen doch bekannt, daß das Gesetz ein Drittel Anzahlung verlangt, in bar oder entsprechenden Papieren!«

»Jawohl, Herr Landgerichtsrat, es ist mir bekannt. Herr Hirsch Seligmann hat genügende Deckung für mich in Händen.«

Das war eine neue Überraschung. Dieser Seligmann – dieser verfluchte Kerl hatte so getan, als kenne er den Rechtsanwalt gar nicht! War ja auch möglich, daß er ihn nie gesehen hatte, aber jedenfalls wußte er, natürlich wußte er, daß der Rechtsanwalt den Auftrag hatte, sich mit einer großen Summe an der Versteigerung zu beteiligen – und Hirsch Seligmann hatte kein Wort davon gesagt! Das war nicht recht, das war gegen den Korpsgeist, das widersprach allen Gepflogenheiten im Kreise. Hier mußte man zusammenstehen ... Seligmann saß auf einer der Hinteren Bänke und hatte die dicken, roten Hände über der weißen Weste gefaltet. Er neigte zustimmend den Kopf, als Rechtsanwalt Detmold gesprochen hatte, und machte ein freundliches Gesicht, da aller Blicke sich ihm zuwandten. Dabei kniff er die Augen zu, zog die borstigen Brauen hoch und den Mund ungewöhnlich in die Breite. Es war das Gesicht, das er immer annahm, wenn man mit ihm handelte. Es war sein Geschäftsgesicht bei besseren Aufträgen.

Nun ging es übrigens rasch zu Ende. Neunmalhundertdreißigtausend Mark war das Schlußgebot. Einen Augenblick schien es, als wollte Edward Simmens doch noch eingreifen, aber der Wassergraf legte seine spinnenfingrige Hand auf die Schulter des jungen Mannes und meinte zurückdämmend: »Lassen Sie man – der Lipsius ist ein Freund des Hauses Diesberg, der wird wohl schon alles mit Erni verabredet haben ...« Simmens zuckte die Achseln. »Schön,« sagte er, »da brauch' ich mich ja nicht weiter bemühen ...«

*

Bärwalde wurde der Vollmacht des Rechtsanwalts Detmold zufolge dem Geheimen Justizrat A. W. Lipsius in Berlin zugesprochen. Der Rechtsanwalt und Herr Seligmann traten an den Vorstandstisch, um ihre Angelegenheit zu ordnen, wurden aber aufgehalten. Man umdrängte die beiden. Man stellte sich Detmold vor und schimpfte auf Seligmann. »Oller Heimlichtuer«, sagte der dicke Brenkenhoff und puffte ihn in die Seite. »Kommen Sie mir bloß noch einmal nach Burgersroda,« fügte Simmens hinzu, »da können Sie was erleben ...« Seligmann schob die weiße Weste vor. »Ich weiß nicht, was Sie wollen, Herr Simmens,« entgegnete er, »ich hatte den Auftrag, über die Sache zu schweigen, und damit war's abgemacht. Ich bin doch kein Schmuser ...« »Nee,« sagte ein anderer, »Sie sind ein Geheimbuch auf zwei Beinen ...«

Dann ging man wieder hinüber in den Anker. Der Ritterschaftsrat zappelte voran, um nachzusehen, ob der Schaumwein in Eis stand. Ja natürlich – auch der Tisch war schon gedeckt, und Herr Martin, der Wirt, hatte sogar für ein Vorgericht gesorgt: harte Eier, auseinandergeschnitten und kreuzweise mit zwei Sardellen und vier Kapern belegt. Das war ebensogut wie Austern oder Kaviar. Nach der Rehkeule sollte es noch Eierkuchen geben, zusammengerollt und mit Kirschkompott gefüllt. »Eier vorn, Eier hinten,« sagte Herr von Protzen, »Sie müssen Traiteur in Berlin werden, Martin ...« Aber er fügte sich. Mit diesem Walroß war nichts anzufangen.

Nun kamen nach und nach die anderen. Das Gastzimmer füllte sich. Es war sehr laut zwischen den verräucherten Wänden. Alle Herren hatten gewaltige Stimmen, man sprach nicht, man schrie, als sei man in einer Gesellschaft von Harthörigen. Wer wußte etwas von diesem Justizrat Lipsius, der nun Nachbar werden sollte? – »Der Wassergraf kennt ihn«, rief Simmens. »Pakisch, erzählen«, rief der Landrat. »Nu schieß doch man los«, sagte Brenkenhoff und ging an den Tisch, um seinen Sektkelch gegen ein größeres Glas umzutauschen, denn er liebte die Finkennäpfchen nicht.

Pakisch hatte sich schon seinen verschossenen Havelock über die Schultern gehängt, er wollte heimfahren, er pokulierte nie mit.

»Da ist nicht viel zu erzählen«, antwortete er. »Der selige Diesberg war auch Jurist, eh' er Bärwalde übernahm – und hat mit dem Lipsius zusammen studiert. Daher die Freundschaft. Weiter weiß ich nichts.«

»Er muß doch wohl Bimse haben«, sagte Herr von Protzen.

»Aber feste. Wartet mal, das muß so Mitte der Achtziger gewesen sein, da habe ich ihn in Bärwalde gesehen. Da kam er in einem Automobil aus Berlin, es war eins der ersten Daimlerschen und noch eine verflucht kostspielige Sache. Also Geld muß er schon haben.«

»Er hat auch eine Tochter«, setzte Edward Simmens hinzu und verzog ein wenig den Mund. »Jetzt entsinne ich mich, Ernst hat mir gelegentlich mal von dem alten Geheimrat Lipsius erzählt und auch von seiner Tochter. Sie soll schön sein, kühl, unnahbar und höchst gebildet, seine Tochter. Natürlich entsinne ich mich – es war damals, es ist ja egal, wann es war, jedenfalls riet ich ihm, er solle sich doch an dies Wunderwerk der Natur heranmachen. Aber er erklärte mir, er heirate nur, wen er liebhabe. So verrückt ist er.«

»Na, Pakisch, da gratulier' ich dir«, rief Brenkenhoff. Der Wassergraf knautschte sein gelbes Gesicht wie einen Gummiball zusammen, er ärgerte sich. »Keine Ursache«, antwortete er und rief den Kellner, um seine Flasche Gieshübler zu bezahlen. Er beeilte sich, davonzukommen. Er hatte zwar mit seiner Annelene schon ein ernstes Wörtchen geredet, aber das genügte nicht. Es mußte ihr völlig klargemacht werden, daß diese kindische Schäkerei mit dem Diesberg zu nichts führte. Es lag da eine Gefahr vor, es ging so nicht weiter, alle Welt quatschte schon über die beiden ...

Es nahte nun auch das Mittagsmahl. Zwei Dienstmädchen erschienen mit schwappenden Suppentellern auf schwarzen Anrichtebrettern, und Herr Martin wisperte Brenkenhoff zu: »Wenn ich jetzt recht schön bitten dürfte, Herr Baron ...«

»Es wird zum Futtern geblasen«, schrie Brenkenhoff. »Unser Hoflieferant hat bestens für uns gesorgt. Es gibt Brühsuppe mit Eierklößchen, dann harte Eier mit Sardellen und zum Schluß Eierkuchen. Ei ei! ...« Er lachte dröhnend über seinen Witz und packte den Kellner am Frackschoß. »Den Schampus, August!«

»Aber wo steckt denn der Stauber?« fragte Simmens. »Und der Rechtsanwalt Bückeburg – nee, Detmold? Essen die denn nicht mit? –«

Nein, das taten sie nicht. Es war nämlich so. Die Herren hatten bei Hirsch Seligmann die Anzahlungsfrage zu erledigen, und als dies geschehen war, öffnete Herr Seligmann die Tür seines Kontors, so daß man in das Speisezimmer nebenan schauen konnte, mit dem Blick gradeswegs auf einen hübsch gedeckten Tisch und ein Büfett dahinter, das in gefälliger Weise mit Flaschen besetzt war. Und dabei sagte Seligmann: »Meine Herren, ich habe mir erlaubt, für ein kleines Frühstück zu sorgen. Lüdeke in Küstrin hat mir Kaviar geschickt, und den Tokaier von Goldstein in Posen kann man schon trinken. Und dann habe ich da noch einen neunundsechziger Léoville Lascazes, der auch nicht ganz ohne ist. Ich würde mich freuen, wenn es Ihnen schmeckt ...«

Für so etwas war der Landgerichtsrat immer zu haben.

Über sein fröhliches Junggesellengesicht ging ein Hauch der Verklärung. Die rötlichen Adern aus seiner Nase traten lebhafter hervor. »Na, was meinen Sie, verehrter Herr Rechtsanwalt?« sagte er zu dem Bevollmächtigten von A. W. Lipsius, »sollen wir's riskieren? Seligmanns Keller kenne ich, der hat es in sich. Und ich erinnere mich, daß sein Fräulein Nichte uns einmal Krammetsvögel vorgesetzt hat, die ihrer Kochkunst alle Ehre machten.«

»An diese Drosselart habe ich auch heute gedacht«, entgegnete Seligmann und verbeugte sich.

So traten die Herren denn nebenan und setzten sich zu Tische. Seligmann war ein kinderloser Witwer, doch er hatte immer eine entfernte Nichte im Hause, die ihm die Wirtschaft führte. Sie verheiratete sich dann gelegentlich, und hierauf trat eine andere in die Erscheinung. Irgendeine Nichte half auch diesmal servieren, ein hübsches dunkles Mädchen mit freundlichem Gesicht und starkem Busen. Aber sie nahm nicht mit Platz, sie half nur und reichte den Kaviar im Eisblock. Es war alles mögliche. Herr von Brenkenhoff nebenan im ›Anker‹ wäre schwarz geworden vor Ärger, wenn er das gesehen hätte. »Wir fangen mit einem Yquem an«, sagte Hirsch Seligmann und griff nach einer gut aussehenden Flasche; »davon könnte ich Ihnen noch etwas ablassen, Herr Landgerichtsrat ...« Er handelte nämlich nicht nur mit Getreide, er handelte mit allem, und es lohnte sich immer bei ihm. Langsam ließ er den fetten weißen Wein in die Gläser rinnen.


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