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X

An dem Tage, an dem Diesberg die Firma Langer in Dresden aufsuchte, um sich im Auftrage Ottens nach einem neueingeführten, viel gelobten Dreschsatze zu erkundigen, machte Regina sich auf den Weg zu der Gräfin Düren. Sie hatte sie mit ihrem Manne zufällig in der Gemäldegalerie getroffen und von ihr erfahren, daß sie noch einige Wochen in Dresden zu bleiben gedenke, und da hatte man denn einen gelegentlichen Besuch verabredet.

Die kleine Gräfin wohnte in einem Pensionat in der Wettinerstraße und empfing die Freundin mit ihrer gewohnten Lebhaftigkeit. Sie umarmte und küßte sie, betrachtete sie aufmerksam, quirlte ein paarmal zwecklos um sie herum, nahm ihr den Mantel ab und drückte sie in einen Sessel. »So,« sagte sie, »nun laß ich Sie so schnell nicht mehr fort, Regina. Sie haben doch nichts zu versäumen?«

»Nein, gar nichts. Ich habe immer Zeit.«

»Ich auch«, lachte die Düren. »Ich sitze hier und warte. Das Konzert meines Protegé ist schon zweimal verschoben worden. Darüber hat sich der dumme Junge geärgert und ist nach Berlin zurückgefahren. Ich aber halte aus. Es sind da allerhand kleine Intrigen im Gange. Regina, Regina, Sie sind ein forsches Weibchen! Ich habe sooft an unsre Unterredung von damals zurückgedacht, Sie wissen. Eigene Wahl, nicht wählen lassen! Da dachten Sie schon an den, den Sie nun glücklich erwischt haben, nicht wahr?«

»Ja, Pauline, so ist es.«

»Na, Kindchen, und sind Sie denn nun so ganz glücklich, so aus allertiefstem Herzen?«

»Ich könnte es sein,« erwiderte Regina zaghaft und mit einem leichten, leise verklingenden Seufzer, »wenn er mich so liebte wie ich ihn.«

Die Düren wurde aufmerksam. Ihre klugen, immer auf ein suchendes Jagdtempo eingestellten Schlehenaugen umfunkelten das Gesicht Reginas.

»Hallo,« rief sie, »was ist das!? ...« Sie sprang wirbelnd auf, huschte nach einem Taburett und kauerte sich zu Reginas Füßen. Nun regte sich auch eine brennende Neugier in ihr. Alle Fragen aus dem Purpurdunkel des Gefühlslebens waren für sie Heiligtümer im Sanktuarium des Lebens ... »Regina,« fuhr sie zärtlich fort, »vertrauen Sie sich mir an. Ist er roh?«

»O nein«, gab sie hastig zurück. Und dann verschoben sich ihre Züge. Sie weinte. Es war ein stilles, sanftes Weinen, bei geschlossenen Augen und zuckenden Lippen.

Die Gräfin blieb schweigend vor ihr sitzen. Sie glaubte jetzt schon klar zu sehen. Sie bildete sich viel ein auf ihren »psychologischen Guck« und riet gewöhnlich daneben. Sie wartete, bis Regina sich wieder ein wenig beruhigt hatte, umfaßte sie dann mütterlich und fragte:

»Sie kamen zu mir, um mir Ihr Herz auszuschütten, Regina – ja?«

Regina fuhr mit ihrem Spitzentuch über Augen und Wangen. »Kindisch, diese Tränen«, sagte sie. »Zu verzweifelndem Jammer liegt wahrhaftig kein Grund vor. Achten Sie nicht auf die alberne Stimmung, Pauline. Man ist zuweilen Sklave einer übertriebenen Empfindsamkeit, die aus den Nerven kommt. Ich wollte einen Rat von Ihnen, liebe Freundin, wie ihn mir eben nur eine kluge und vorurteilsfreie Frau geben kann.«

Der Übergang aus einem raschen Gefühlsaufruhr in ein gewissermaßen metallisches Ausgleichsstadium vollzog sich im Augenblick. Regina konnte sogar wieder lächeln. Freilich war es ein merkwürdig gefrorenes Lächeln – wie bei einem jungen Mädchen, das ein schamhaftes Geständnis zu überwinden sucht, oder wie in einer geistigen Selbstironisierung.

Und ein ähnlicher Gedankengang, der einer gefühlsüberbrückenden Ironie, mochte sie auch beherrschen, als sie leichteren Tones fortfuhr:

»Pauline, es handelt sich um nichts Schreckliches. Um – vielleicht nur um eine kleine Tragikomödie. Ein Boulevardpoet würde ein keckes Lustspiel daraus machen – mit Ende gut, Alles gut.«

»Ich hoffe, liebe Regina, mein Rat wird Sie zu dieser Schlußszene führen. Aber ungefähr muß ich doch wissen, um was es sich handelt.«

»Ja natürlich ...« Sie schwieg wieder und wurde blutrot.

»Ach so,« sagte die Gräfin, »mir schwant etwas. Ich entsinne mich einer Novelle Maupassants –«

»Nein,« fiel Regina ein, »lassen wir leichtsinnige Vergleiche aus dem Spiel. Es liegt alles tiefer. Es liegt vielleicht an mir«

»Oho – Regina!«

»Doch. Ich habe in der entscheidenden Unterredung dem Mann meiner Liebe gesagt, daß ich ihn liebe. Aber es ging etwas vorher. Er gestand mir zu, daß er sich an ein Mädchen gebunden fühle. Ihr Vater wollte die Heirat nicht. Er hat ihm für zwei Jahre das Haus verboten. Pauline, wie hätten Sie da an meiner Stelle gehandelt?«

Die kleine Gräfin zuckte in die Höhe und machte ein Gesicht, als sei sie mindestens Katharina von Rußland.

»Ah,« rief sie, »kein liebendes Weib hat Angst vor einer Nebenbuhlerin! Ich hätte sie mit allen erlaubten Mitteln aus dem Felde geschlagen!«

»Dazu zählt auch die List. Ich sagte mir: Zwei Jahre Zeit – da gehört er mir. Entweder meine Liebe ist stark genug, ihn für immer zu fesseln – oder sie ist gar nichts wert. Und so antwortete ich ihm denn: Ich will nur ein Jahr – ich bin herzkrank wie mein Vater und habe nicht länger als noch ein Jahr zu leben.«

Die Düren fieberte förmlich vor Aufregung. »Weiter«, rief sie. »Und damit war alles erledigt?«

»Ja. Ich nehme an, daß er eine letzte Auseinandersetzung mit seinem Mädchen hatte – vielleicht auch nur mit ihrem Vater. Er kam wieder, und wir verlobten uns. Aber seine Ehrlichkeit ging so weit, daß er mich bat, ihm zu verzeihen, wenn in erster Zeit noch Schatten der Erinnerung in unsre Ehe fallen sollten ...« Und in eiligem Jagen der Worte fügte sie hinzu: »Pauline, gewiß war es maßgebend für ihn, daß ihn die Heirat wieder als Herrn auf seinem väterlichen Gute einsetzte. Aber Sie dürfen ihn deshalb nicht falsch beurteilen. Das will ich nicht. Hinter meiner Liebe stand mein Besitz. Ich machte ihn zur Waffe meiner Liebe. Bärwalde war meine Morgengabe. Durch mein Heiratsgut habe ich ihn mir gewonnen. Was Recht oder Unrecht war –«

»Danach frage ich nicht«, fiel die Gräfin ein. »Überlassen wir die Entscheidung den Göttern. Der alte Zeus war ein Kenner des Menschlichen und verzieh jede Liebeslüge. Gehen wir weiter, Regina.«

Regina geriet wieder in Verwirrung. Es war nicht so leicht, sich zu erklären.

»Pauline, bitte verstehen Sie mich recht«, sagte sie. »Ich bin kein unmündiges Kind, bin auch kein Backfisch mehr. Ich bin die Frau an sich. Das Weib aller Zeiten. Ich liebe und sehne mich nach Gegenliebe. Er versagt sie mir. Warum? Zweierlei ist möglich. Entweder bedrückt ihn noch die Erinnerung an sein Mädchen – oder er fürchtet mein angebliches Herzleiden. Ich will mich deutlicher ausdrücken. Entweder steht er noch unter der Nachgewalt seiner alten Liebe – oder seine Zurückhaltung entspringt einem ungewissen Empfinden physischer Schonung. Im ersten Falle muß ich geduldig die heilende Zeit abwarten, sie ist meine Trösterin – im zweiten müßte ich den Mut des Bekenntnisses haben und ihm sagen können: Ich log aus Liebe zu dir, mein Herz ist gesund wie das deine. Was soll ich tun?«

Die Gräfin kauerte auf dem kleinen Polsterkissen. Ihre Hände verschränkten sich über den hochgezogenen Knien, sie hatte den Kopf vorgeschoben und ein wenig geneigt. Unter den dunkeln Wimpern war der Blick sinnend geworden.

»Wie ist er sonst zu Ihnen?« fragte sie. »In seiner ganzen Art und Weise?«

»Ritterlich, entgegenkommend, von zartester Rücksicht, gütig, auch liebevoll. Ich kenne seine Augen. Ich sehe in seinen Augen zuweilen ein Aufquellen zärtlicheren Gefühls. Und wenn er mir flüchtig über die Wange streicht, es ist wie ein rasches zärtliches Kosen. Wenn er meine Hand nimmt, ist mir's, als zügle sich unser Pulsschlag zu gleichem Takt. Aber nur ein einziges Mal hat er mich auf den Mund geküßt – am Verlobungstage. Der Hochzeitskuß fehlt mir noch.«

»Erlauben Sie, Regina,« erwiderte die Gräfin, »daß ich Ihnen mit der Offenheit der Erfahrung antworte. So wie ein alter Grenadier, der die Feuerprobe bestanden hat. Sie haben sich Ihren Mann zum Gefangenen gemacht, aber noch nicht erobert. Sie sind keine Feldherrin in der Ars amandi, Sie sind keine Meisterin in der Kunst zu gefallen.«

»Nein,« rief Regina, »das bin ich nicht! Das werde ich nie sein können! Mir fehlt jede Anlage dazu.«

»Unsinn«, sagte die Gräfin und lachte. »Die Anlage ist uns angeboren, der Fehler ist nur, daß Sie sie nicht ausnützen. Sind nicht die Reize Ihrer Jugend und Schönheit auch das Gepäck Ihrer Liebe?«

»Warum übersieht er es?«

»Oh, Regina, Sie Dummchen, Sie sind schwer zu belehren! Dies Gepäck ist Ihr Arsenal, es enthält Ihr Rüstzeug. Waffen sind nicht nur zur Verteidigung da, nein, auch zum Angriff. Bleibt er hinter dem Verhau seiner Kaltblütigkeit, so lassen Sie Ihr Herz Sturm schlagen und gehen Sie zur Offensive vor. Verschmäht er Ihre reizenden Lippen, so zeigen Sie ihm, wie küssenswert sie sind.«

»Pauline, das tat ich. Es geschah ohne Koketterie. Es geschah in einer Aufwallung natürlichsten Gefühls. Wir hatten vorgestern abend auf unsern Zimmern gespeist, nicht unten im Restaurant, und blieben noch ein Stündchen plaudernd zusammen. Er ist ein scharmanter Plauderer und hat mehr Geist, als ich erwartet habe. Er hat die mechanische Oberflächlichkeit unsrer jungen Herrn, aber es steckt Tieferes hinter seiner trotzigen Stirn. Es war ein behaglicher und anregender Abend. Als wir uns trennten, um schlafen zu gehen – zwischen unsern Schlafzimmern liegt der sogenannte Salon –, drückte er meine Hand und gab mir wie immer einen Kuß auf die Stirn. Also den Kuß der Gewohnheit. Die Gewohnheit kann Heilkraft haben, in der Ehe aber auch zu einem alles verschlingenden Minotaurus werden. Und in diesem Augenblick sträubte sich mein Herz dagegen. Da umschlang ich ihn und erwiderte seinen Kuß – auf den Mund.«

»Gut so,« rief die Gräfin, »– und er?«

»Er verlor die Fassung. Ja, so muß ich mich ausdrücken. Er packte mich um die Taille und riß mich an sich. Ich fühlte die Muskelkraft seiner Arme. Man deutet die Liebe als eine Poesie der Sinne. Ich war wie umrauscht, ich war glückselig in diesem Moment. Aber es war nur ein Moment. Dann ließ er mich los, küßte mich wieder, diesmal auf die Wange, und sagte mit einem ganz leichten rätselhaften Lächeln, es war nur ein Huschen um die Lippen: Schlaf wohl, Regina ... Die unsichtbare Scheidewand blieb.«

Die kleine Gräfin fluchte. Sie liebte zuweilen einen burschikosen Ausdruck, der wie ein Straßenjunge in das Gewählte ihrer Ausdrucksweise sprang. Dann überlegte sie von neuem.

»Man kann auf die seltsamsten Vermutungen kommen«, sagte sie. »Aber das wäre Unsinn, er ist ein Ehrenmann. Und weil er das ist, scheint es mir auch unmöglich, daß Sie ihm zugestehen, Ihr Herzleiden nur vorgeschützt zu haben. Dazu ist es noch zu früh. Im Gegenteil, Sie müssen daran festhalten. Regina, ich schlage folgendes vor. Sie sagen ihm, daß ich Ihnen ein Sanatorium empfohlen habe – in Clarens, ich komme darauf zurück. Er bringt Sie hin, die ärztliche Untersuchung wird ergeben, daß Sie völlig gesund sind – dann hat Ihr vorgeschobener amerikanischer Spezialist sich eben gründlich getäuscht. Auf diese Weise umgehen wir Ihr Geständnis und kommen doch zu der vielleicht entscheidenden Wahrheit.«

»Die könnte auch ein Dresdener Arzt konstatieren, Pauline. Schon morgen.«

»Liebes Kind, Sie müssen Geduld haben. Das Psychologische liegt verwickelt. Ich weiß noch nicht einmal, ob nicht eine Trennung für Wochen oder Monate das beste sein würde. Entsetzen Sie sich nicht. Es muß eine Klarheit gefunden werden. So, wie Sie mir Ihren Mann schildern, scheint mir, als streite eine Zwietracht der Gefühle in ihm: noch eine Welle der alten Liebe und die beginnende Neigung zu Ihnen. Versuchen Sie nicht, logisch zu denken, das Herz kennt keine Vernunftschlüsse. Ihr Mann gab um Ihretwillen die andere auf. Ist er so ehrenhaft, wie wir glauben, so würde er eine Trennung nicht zu neuen Anknüpfungen benützen – ich weiß auch nicht, ob das möglich sein könnte, da ich die näheren Verhältnisse nicht kenne –, wohl aber könnte diese Trennung noch Schlummerndes und Halbbewußtes in ihm kräftiger werden lassen: es könnte die Sehnsucht nach Ihnen wach werden.«

»Und wenn nun doch – – Pauline, sein Mädchen ist die Tochter eines Gutsnachbars, ist eine Cousine von ihm ... ich sage: wenn er nun doch versucht, in meiner Abwesenheit die alten Beziehungen neu zu knüpfen –?«

Die Gräfin erhob sich. Ihr lustiges Weltgesicht, das eines überreifen Kindes, wurde sehr ernst. Sie schob die Schultern hoch.

»Dann ist er eben nicht der Ehrenmann, für den wir ihn halten. Und dann, Regina, geben Sie ihn auf. In diesem Falle ist er für Sie verloren.«

»Und ich selbst«, sagte Regina leise, einem Aufstöhnen des Herzens Ausdruck gebend, »wäre mit ihm verloren!«

Da aber ließ die Düren ihren Ärger toben. »Wenn Sie sich so verrückt gebärden, Regina,« rief sie, »dann ist Ihnen nicht zu raten und zu helfen – ist überhaupt nicht mit Ihnen zu reden! Würden Sie imstande sein, auch einen Lumpen zu lieben?«

Regina sah vor sich nieder. Langsam senkte sich ihr Kopf. »Ja,« erwiderte sie, »aber es würde zugleich mein Tod sein.«

Die Gräfin schwieg. Es gab doch eine kerzengerade und trotzdem der Vernunft widersprechende Logik des Herzens. Pauline sah ein, sie mußte die Angelegenheit, die sie mit einem Feuer rabulistischer Beredsamkeit erfüllte, von einer anderen Seite anfassen.

»Ich will so fragen«, lenkte sie ein. »Ist Diesberg in Ihren Augen ein Lump?«

»Nein«, rief Regina heftig, und ehe sie weitersprechen konnte, fuhr die Gräfin fort:

»Nun also, dann können wir den Fall einer Treulosigkeit ohne weiteres ausschalten und brauchen uns nicht erst darüber aufzuregen. Regina, ich bleibe bei meinem Vorschlag. Bitten Sie Ihren Mann, Sie nach Clarens zu begleiten. Am liebsten möchte ich euch nach Ägypten schicken. Also Clarens – da hat ein junger Deutsch-Schweizer, Doktor Wiesinger, ein Sanatorium, wundervoll gelegen, ein ausgezeichnetes Haus mit guter Verpflegung und dem Komfort erster Hotels – keine eigentliche Heilstätte, mehr ein Ruheplätzchen für Erholungsbedürftige. Und in vollgültiger Erfassung des Begriffs Erholung ist die Aufnahme von Ehepaaren ausgeschlossen.«

Regina war soeben dabei, sich die Adresse zu notieren. Nun fuhr sie erschreckt in die Höhe.

»Herrgott,« rief sie, »was soll ich denn da, wenn man ihn nicht zuläßt?«

Pauline lachte. Sie hatte ein frohes, glucksendes Mädchenlachen. »Das tut man schon,« sagte sie, »bloß darf er nicht da wohnen. Aber es gibt recht gute Hotels in Clarens ganz in der Nähe des Sanatoriums, und am Tage kann er Sie besuchen, sooft er will. Ich schätze, dieser Doktor Wiesinger – ein Original, ein Prachtmensch, er wird Ihnen gefallen – geht von dem Gedanken aus, daß die Ehe sozusagen eine Art Kampffeld ist, ein Turnierplatz. Das ist natürlich nicht so aufzufassen, daß die Parteien sich immer feindlich gegenüberstehen müssen, aber selbst in der glücklichsten Ehe kann es zu Zusammenstößen kommen, zu Katastrophen des Gefühls, zu laut oder lautlos geführten Fechtszenen. Und Wiesingers Sanatorium, Beausite heißt es, soll eben ein Ausruheplatz sein von allen Kämpfen, auch denen, die im Geiste der Liebe geführt werden.«

Regina verbarg ihre Enttäuschung nicht. »Das klingt schön,« sagte sie, »und ich leugne nicht, daß Ihr kluger Doktor durch sein Trennungssystem Erfolge erzielt haben kann. Nur glaube ich nicht, daß es mir viel nützen wird.«

»Liebes Kind, ich wiederhole, Sie müssen Geduld haben. Auch die Ehephilosophie ist eine Wissenschaft, die erlernt werden will. Lassen Sie sich eins sagen. Bei einem Mann kann sich das kühle Empfinden einer gewissen freundschaftlichen Zuneigung, ja selbst eine anfängliche Abneigung zur Leidenschaft entwickeln, das ist möglich. Aber wenn die Leidenschaft die beginnende Triebkraft war und sich zur Frostigkeit abkühlt, wird der Mann nie wieder den Weg zur Liebe zurückfinden. Sie sind also immerhin noch in einer vorteilhaften Lage.«

Regina legte ihren Schleier um. »Jedenfalls danke ich Ihnen«, sagte sie lächelnd. »Sie sind mehr geistreich als praktisch. Und da auch mir die Praxis in der Liebeskunst mangelt, will ich versuchen, mich an den Geist zu halten ...«

– – Sie hatte mit Diesberg verabredet, sich zum zweiten Frühstück mit ihm im Restaurant des Englischen Gartens zu treffen. Er war schon da, als sie eintrat, in strahlender Laune, da er alles gefunden hatte, was er suchte, von gesunder Frische, heiter und liebenswürdig. Die Austern standen auf dem Tische, er lockerte sie in der Schale, säuberte sie mit dem silbernen Messer und schob ihr den Teller herüber.

»War deine Gräfin zu Hause?« fragte er.

»Ja, Erni, sie ist unverändert, und ich glaube, ihr keckes, gar nicht alltägliches Wesen würde dir Spaß machen. Ich sprach übrigens auch mit ihr über meine dumme Herzgeschichte, und da hat sie mir einen Arzt in Clarens empfohlen, den ich gern noch aufsuchen möchte. Was meinst du dazu?«

»Ich halte es selbstverständlich für richtig, daß du alles tust, was dein Leiden heilen oder lindern kann. Du sagtest mir einmal, es handle sich um einen Herzklappenfehler, bei dem Kompensationen ausgeschlossen seien. Aber, liebe Regina, auch die Ärzte sind nicht unfehlbar – – in Clarens wohnt der Empfohlene? Also am Genfer See. Das bedeutet die Flucht vor dem Rest des nordischen Winters.«

»Wirst du bei mir bleiben können?« fragte sie zaghaft und wagte kaum, den Blick zu heben.

»Regina, das wird leider unmöglich sein«, antwortete er bedauernd. »In Bärwalde wartet Otten auf mich. Das Frühjahr steht vor der Tür. Eine ungeheure Arbeitslast liegt vor mir. Und jede Muskel, jede Fiber, jeder Gedanke drängt mich zur Arbeit. Ich habe viel wieder gutzumachen. Du hast mir zwar Bärwalde geschenkt, aber ich möchte es auch noch erwerben. Im übrigen steht es ja noch gar nicht fest, daß dich der Arzt – wie heißt er? –, daß dich der Mann in Clarens behalten wird. Also warten wir zunächst einmal ab, was er sagt. Natürlich lasse ich dich nicht allein fahren – ich komme mit. Wann soll es losgehen?«

»Das überlasse ich deinem Ermessen.«

»Liebe Regina, ich richte mich ganz nach dir. Meine paar geschäftlichen Besorgungen hier in Dresden sind erledigt. Ich stehe also zur Verfügung. Galerie und Grünes Gewölbe haben wir abgeklappert, in der Oper die ›Meistersinger‹ gehört, waren auch im Schauspiel und in der Hofkirche, sind ein paarmal über die Elbbrücke gegangen und haben sogar das Denkmal Antons des Gütigen bewundert, das sonst kein Mensch anzusehen pflegt. Und das Wetter war tagtäglich so, daß man sich auf eine wärmere Sonne freuen kann. Ich werde mir einmal das Kursbuch kommen lassen. Währenddessen habe du die Güte und vertiefe dich in die Speisekarte. Die Natives waren gut und frisch, aber herzlich klein und verlangen einen substanzielleren Nachschub.«

Er rief den Kellner heran und vertiefte sich hierauf in den Fahrplan. Dann klappte er das Buch zu und sagte:

»Na, Regina, hast du gewählt? – Also, wenn es dir recht ist, rutschen wir morgen nachmittag fünf Uhr siebenundzwanzig ab.«


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