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VII

Otten trug keinen Pelz im Schlitten, nicht einmal einen Mantel, nur eine kurze Joppe aus derbem Stoff, eine dunkelbraune Velvethose, Kniestiefel und eine Mütze mit hochgebundenen Ohrenklappen. Er war abgehärtet wie ein Urwald-Squatter, und so dachte er auch dem Wassergrafen zu imponieren. Er wußte, mit dem mußte geschachert werden, und daraufhin stellte er sein Sichgeben ein. Das hatte er erlernt, oben bei dem Zusammenbruch in Ostpreußen und unten in der chilenischen Wildnis und in jahrelangem Verkehr mit allerhand absonderlichen Menschenkindern auf den meist böse heruntergewirtschafteten Besitzungen, die er wieder auf den Stand der Erträgnis bringen sollte.

Das war wirklich seine Spezialität, darin hatte er Übung. Sein Leben war ein von Grund aus verfahrenes, dem Schiffbruch in der Heimat war der in der Fremde gefolgt, aber er war immer Herr über seine Nerven geblieben und hatte in allen Stürmen gewaltig gelernt. Sässigkeit war nicht seine Sache. Oft genug war ihm unter günstigen Bedingungen ein fester Posten als Administrator angeboten worden, doch wenn er auf einer Herrschaft in Westfalen saß und von der russischen Grenze her drang ein Hilferuf zu ihm, auf einer halbpolnischen Klitsche wieder die Karre aus dem Morast zu ziehen, so reizte ihn unbedingt das Neue, und dann packte er seine Koffer und wanderte weiter. Er war tüchtig in seinem Fach und ein Mensch von starkem Eigenwillen. Er nahm jede Verpflichtung auf sich, aber in seiner Tätigkeit verlangte er freie Hand. Das hatte er sich auch in seinem Vertrag mit dem Geheimrat Lipsius ausbedungen und hielt es für doppelt notwendig, da Lipsius selbst kein Landwirt war. Die Verhältnisse auf Bärwalde waren für ihn nicht schwer zu übersehen. Es war da viel verlottert worden, aber er hatte seine Tatkraft schon an ungünstigeren Verhältnissen erprobt. Hier bedurfte es nur eines gewissen Kapitals, um wieder Ordnung in den Wirrwarr zu bringen. Es handelte sich weniger um eine Devastierung als um eine Vernachlässigung, der man leicht Herr werden konnte. Es war weiter kein Kunststück, und sicher wäre ihm der ruhige Vorwärtsgang der Entwicklung bald langweilig geworden, hätte er nicht in dem verdrehten Menschen, diesem Baron Diesberg, innerhalb des Zuständlichen neuen Anreiz für sein Interesse gefunden.

Sein Vetter Detmold hatte ihm geheimnisvolle Andeutungen gemacht, es schiene, als bringe Fräulein Regina Lipsius Herrn von Diesberg ein entschiedenes Neigungsgefühl entgegen. Nun ja – vielleicht – und warum nicht? Aber es fehlte an der nötigen Gegenliebe, und hätte man dafür auch Ersatz an Hochachtung und Sympathie und gescheiter Erwägung gefunden – das Üble war, daß Diesberg sein Herz schon in Ketten gelegt hatte. Wenn man dem armen Kerl helfen wollte, mußte es also auf andere Weise geschehen. Und Otten war fest entschlossen zu dieser Hilfe. Menschen wie Diesberg brauchten nur ein Leitseil, um vernünftig zu werden, sonst gingen sie rettungslos unter. Menschen wie Diesberg taumelten zahlreich durch die Gesellschaft, Otten hatte sie in mannigfacher Wesensschattierung kennengelernt. Aber auch unter diesen auf einem Boden der Haltlosigkeit schwankenden Gestalten bildete Diesberg eine Ausnahme. Seinem Leichtsinn lag doch wohl mehr eine herrenhafte Verachtung des Geldes zugrunde als der Drang nach einem ausschweifenden Leben. Denn seinem Genießertum fehlte jede brutale Geste. Er war eine durchaus vornehme Natur, und es mochte schon wahr sein, daß auch der Spieltisch ihm nur als ein zerstreuender Wechsel im gesellschaftlichen Leben galt oder als ein Nervenreiz oder ein unterhaltender Versuch der Bändigung des Zufalls, doch nicht als Tummelplatz für eine rüde Leidenschaft. Jedenfalls glitten in seine Charakterentwicklung deutlich wahrnehmbare Vererbungsmomente hinein. Diesberg war wie die meisten gutmütigen Menschen sehr aufrichtig, immer lag ihm das Herz auf der Zunge, und so hatte er denn an den gemeinsamen Plauderabenden dem neuen Kameraden auch viel von den Eltern erzählt, wie sie in seiner Erinnerung hafteten, und von der kurzen Ahnenreihe, wie er sie aus geschichtlichen Überlieferungen, Memoirenklatsch, Belehnungsurkunden und derlei mehr kannte. Es lief, so meinte Otten, ein verbindender Faden von dem leichtherzigen Prinzen Springinsfeld bis zu dem Letztlebenden des Geschlechts aus dem Schoße des Zerbster Bäckertöchterchens. Es steckte in Diesberg eine kuriose Blutmischung, fürstliche Art und bürgerliche Anständigkeit, ein restlicher Niederschlag der Flatterhaftigkeit des Rokoko und doch auch ein derber Wirklichkeitssinn, der nur in die Bahn einer verständigen Tätigkeit gelenkt werden mußte.

Otten war im allgemeinen keine Natur von rascher Anschlußfreudigkeit. Aber für Diesberg regte sich ein ehrliches Freundschaftsempfinden in ihm. Es lag das wohl an manchem Ähnlichen ihrer tieferen Wesenheit, nur war bei Diesberg alles impulsiver und stürmischer, bei Otten gezügelter. Er war um einige Jahre älter, war auch der Lebenserfahrenere. Und aus dieser Erfahrung heraus und auf Grund seiner Beobachtung und Beurteilung glaubte er Diesberg helfen zu können. Zunächst mußte der Gedanke der Auswanderung endgültig aufgegeben werden. Da hatte er als Gegenlockung das Gestüt. Eine Lockung von starker Wirkung, das wußte er, auch das Sprungbrett für den neuen Arbeitsaufbau, wenn Fräulein Lipsius mit dem Vorschlag Diesbergs einverstanden war. Und daran zweifelte Otten so wenig, daß er schon heute mit dem Grafen Pakisch das Pferdegeschäft abschließen wollte. Selbstverständlich, daß er damit auch noch hätte warten können. Aber es sollte auch eine Art harmloser Pression sein. Wenn Fräulein Regina widerstandslustig war, wollte er ihr einfach erklären, das Unternehmen sei bereits in Gang gebracht und alle Vorbereitungen für die Weiterführung seien getroffen. Er hatte ja die vertraglich festgesetzte »freie Hand«.

Er kutschierte selbst, und als er nun Freilehningen vor sich liegen sah, wußte er nicht recht, mußte man östlich oder westlich abbiegen, um auf den Wirtschaftshof zu kommen. Er wählte den falschen Weg und landete mit seinem Schlitten vor dem rückseitigen Schloßeingang. Bei der Einfahrt in den Park huschte ein niedliches Bildchen an ihm vorüber. Unter den weißbehängten Birken neben dem Treibhause war der Schnee zu drei langgestreckten Reihenhaufen hintereinander zusammengefegt worden. Und da exerzierten die sechs Komtessen unter der Aufsicht von Fräulein von Hübner nach allen Regeln der Kneippschen Makrobiotik. Sie trugen ihre leichten Blusen, die den Hals frei ließen, und in der rechten Hand einen festen Weidenstecken, mit dem sie gegeneinander fochten. Fräulein von Hübner kommandierte; Otten verstand nicht, was für Befehle sie erteilte, er hörte nur ihre Stimme und sah, wie die Mädel ganz fachgemäß auslegten und durch Hieb und Stoß zum Angriff vorgingen, sich durch Paraden deckten, avancierten, retirierten, passadierten und in kecken Seitensprüngen die Stellung änderten, als hätten sie das freie Kontrafechten auf dem Mensurboden erlernt. Otten machte große Augen, es war ein lustiges und anmutiges Bild voller Kraft und Grazie, die Röckchen flogen, unter den Blusen spannten sich die jungen Brüste, die nackten Beine traten und zerpatschten den Schnee, und dabei schwirrten helle Lachtöne durch die Luft. Jetzt aber hörten die Damen das Näherklingeln des Schlittengespanns und sahen den fremden Herrn in ihrem Gehege, der die Peitsche senkte und ihnen ein munteres »Habe die Ehre« zurief. Und war es nun die Fremdheit der Erscheinung oder der Ton der Stimme oder weiß Gott, was sonst, es fuhr ein Schrecken in die Kompagnie, die Mädelchen schrien und ergriffen die Flucht und liefen mit wehenden Kleidern nach dem Schlosse.

Fräulein von Hübner blieb natürlich zurück, eine dicke plustrige Henne, die ihre Kücken verloren hat. Der Schlitten hielt vor dem Schlosse, sie winkte dem Insassen und kam dann näher und sagte in streng erzieherischem Tonfall: »Es steht eine Tafel hinten an der Einfahrt, der Zugang ist da verboten, der Weg führt über das Gehöft oder für Herrschaften vorn durch den Park.«

Otten lächelte entgegenkommend und zog die Mütze mit den Ohrenklappen.

»Verzeihung, meine Gnädigste,« antwortete er, »ich sah die Tafel nicht, ich bin noch fremd in der Gegend und habe auch die Zufahrt für Herrschaften verfehlt. Aber muß es sein, so will ich gern kehrtmachen, um mir des rechten Weges bewußt zu werden. Links herum oder rechts um die Ecke, wenn ich fragen darf?«

Der ironische Unterklang wies auf einen besseren Bildungsgrad hin, der Mann schien ein Herr zu sein.

»Zu wem wünschen Sie?« begann Fräulein von Hübner von neuem.

»Zum Grafen Pakisch, in geschäftlicher Angelegenheit, Pferdehandel in Verbindung mit persönlicher Aufwartung.«

Nun trat Annelene aus dem Schlosse. Sie trug jetzt ein Wollentuch um die Schultern und hohe derbe Stiefel nach polnischer Art und fragte ziemlich herrisch nach des Fremden Begehr.

Otten hatte noch seine Mütze in der Hand, schwenkte sie höflich unter einer Neigung des Kopfes und fragte zurück:

»Komteß Annelene?«

Diese Vertraulichkeit ärgerte wieder die Hübner. Sie plusterte sich und sagte: »Der Herr kommt wegen eines Pferdehandels.«

Annelene wurde rot. »Wir haben keine Pferde zu verkaufen«, entgegnete sie schroff. »Außerdem halten bei uns die Pferdehändler nicht vor dem Schlosse. Der Herr Graf ist auch gar nicht zu Hause, sondern im landwirtschaftlichen Verein. Und endlich: was fällt Ihnen denn ein, mich mit dem Vornamen anzureden!«

Otten lächelte freundlich: »Nehmen Sie's nicht übel, gnädigste Komteß«, sagte er, und der Schalk sprang in seine Augen. »Ich soll Ihnen einen schönen Gruß bestellen von meinem Freunde, dem Baron Diesberg auf Bärwalde, und der Auftrag ging an die Komteß Annelene, nicht an eine Gräfin Pakisch im allgemeinen, weil es hier, so erklärte er, von jungen Gräfinnen dieses Namens wimmeln soll. Davon glaube ich mich auch überzeugt zu haben, und ich bedaure nur, daß mein plötzliches Erscheinen störend in den Schneekampf des gräflichen Amazonenkorps eingegriffen hat.«

Das Gesicht Annelenes heiterte sich auf, der Schalk im Blick Ottens hüpfte nun auch in ihre Augen. »Oh,« rief sie, »Sie sind der neue Administrator von Bärwalde, Herr von Otten, nicht wahr? Das ist etwas anderes. Sie wollen unsern Rapphengst kaufen, ich weiß schon, aber Vater ist leider nicht da. Immerhin, die einleitenden Verhandlungen kann auch ich übernehmen – rücken Sie ein bißchen zur Seite, ich fahre Sie nach dem Stall!«

Sie schürzte den Rock, schwang sich behende hinauf und setzte sich neben ihn. Dann nahm sie ihm die Zügel ab, und die Gäule klingelten los. Kopfschüttelnd schaute Fräulein von Hübner dem Schlitten nach und hob hierauf drohend die Hand gegen die Fenster des ersten Stockwerks. Hinter zwei Fensterscheiben wurden nämlich die Gesichter von Annemarie, Annelotte, Annefrede, Annetreu und Anneliese sichtbar. Sie pusteten warme Atemwellen gegen die Eisblumen und schauten durch das triefende Glas neugierig herab auf den fremden Mann im Schlitten. Ein fremder Mann bildete immer eine Art Sensation in Freilehningen. –

Inzwischen lenkte Annelene das lustig läutende Gespann mit fester Hand zurück durch den Park.

»Wie geht es Herrn von Diesberg?« fragte sie.

»Ganz ausgezeichnet«, erwiderte Otten. »Er findet sich überraschend gut in sein schuldenfreies Dasein. Einige Wochen lang phantasierte er von einer Auswanderung nach Argentinien. Doch davon habe ich ihn abgebracht. Man geht nicht über das Wasser, wenn man keine Gläubiger hat. Jetzt bleibt er, heute ist er in Berlin, um mit Fräulein Lipsius die letzten Verabredungen wegen seiner Beteiligung an dem Gestüt zu treffen. Die Dame heißt Regina, ich hoffe also auf ihre königliche Huld, und dann sitzt Diesberg fest, und ich denke, in drei, vier Jahren wird er genügend Kapital angesammelt haben, um eine Anzahlung für den Rückkauf von Bärwalde leisten zu können.«

»Gott, wäre das schön«, rief Annelene begeistert. »Wenn er nur erst rechnen lernen wollte!«

»Das tut er bereits, er rechnet mit Leidenschaft. Er rechnet den ganzen Tag. Ich muß ihn förmlich zurückhalten. Er steht morgens mit Subtraktionen auf, und wenn er sich abends zu Bett legt, addiert er rasch noch ein bißchen.«

Annelene schielte den neben ihr Sitzenden aus den Augenwinkeln an. »Herr von Otten, Sie uzen mich«, sagte sie.

»Das würde ich mir nie erlauben, gnädigste Gräfin. Zugestanden, ich übertreibe. Aber täte ich es nicht, würden Sie mir vielleicht nicht glauben. In der Übertreibung liegt doch ein Kern von Wahrheit. Das ist so wie in der Karikatur. Das Spottbild geht immer von der Wirklichkeit aus.«

»Na ja,« meinte Annelene, »es ist schon gut. Sie scheinen mir auch ein fideler Herr zu sein. Und ich weiß nicht recht, wenn Sie mit Diesberg zusammen wirtschaften, ob da Ersprießliches herauskommen wird. Aber nun sollen Sie unsern Teut sehen. Teut vom Michel Strogoff aus der Kassiopeia.«

Otten winkte ab. »Ich kenne das Pedigree bis auf die Großeltern. Es ist nicht maßgebend für mich. Ebensowenig wie die Ahnenreihe bei einem Gentlemops vom Uradel. Man erlebt da Täuschungen. Persönlicher Eindruck ist mir lieber bei Mensch und Tier.«

»Sie sprechen wie ein Buch«, sagte Annelene. »Aber damit imponieren Sie mir nicht ...« Der Schlitten hielt vor den Stallungen, sie sprang ab und rief: »Krautmann!« Hierauf pfiff sie mit gespitzter Lippe ihr Stallmotiv, das jeder auf dem Hofe kannte. Krautmann erschien denn auch gleich und wischte sich respektsvoll die Nase mit der Hand. Teut wurde vorgeführt, schlug sofort vorn und hinten aus und wieherte lustig in die Winterluft. Aber Krautmann hielt ihn fest an der Halfter.

Annelene erging sich in Lobeserhebungen. »Der Widerrist,« sagte sie, »die Rückenlinie, die reinen Sehnen, diese klaren Sprunggelenke! Der kleine trockene Kopf und der feine Hals. Eine Mähne wie Seidenhaar. Und wie er den Schweif trägt!«

»Gnädigste,« erwiderte Otten, »das seh' ich alles allein. Auf Ihren Hymnus hin zahle ich keinen Goldfuchs mehr.«

»Wenn ich weniger gut erzogen wäre, würde ich sagen, Sie sind ein grober Mensch.«

»Sie sagen es sogar, aber das schadet nichts ...« Er untersuchte den Gaul sehr genau. Annelene wandte sich ab. Die Untersuchung wurde ihr zu intim. Sie währte fast ein Viertelstündchen, denn Teut war ungebärdig, und Otten mußte vorsichtig sein, um nicht geschlagen zu werden. Endlich war er fertig und trocknete sich den Schweiß auf der Stirn.

»Fester Preis?« fragte er.

»Wir schachern nicht«, antwortete Annelene. »Fünfundvierzigtausend Mark.«

»Fünftausend zuviel«, gab Otten zurück.

»Dann malen Sie sich einen Hengst!«

»Das hätte für die Zucht keinen Wert. Ich werde morgen mit Ihrem Herrn Vater telephonieren. Es wäre nett von Ihnen, wollten Sie sein Herz zur Nachgiebigkeit stimmen. Ich handle ja auch für meinen Freund Diesberg. Er ist mit der Hälfte beteiligt.«

Annelene ließ den Hengst in den Stall zurückführen. »Gehen wir ein bissel auf und ab, Herr von Otten«, bat sie. »Sind Sie wirklich mit Diesberg befreundet?«

»Ja, das bin ich, Komteß. Er hat mich im Sturm gewonnen. Das passiert mir nicht oft. Aus der dicksten Tinte ist er Gott sei Dank. Auch die Gewinnchancen sind da. Wir wollen sie ausnützen.«

Er sprach von den gemeinsamen Plänen. »Komteß, es liegt so«, schloß er. »Ich arbeite im Solde von Fräulein Lipsius. Ich arbeite aber auch für ihn. Ich bringe Bärwalde nicht für die junge Dame in die Höhe, sondern für den früheren Besitzer, der zugleich der künftige sein wird. Ich glaube, ganz klar zu sehen. Bilde ich mir wenigstens ein. Der alte Lipsius hat Bärwalde nicht zu seinem Vergnügen gekauft. Es war sicher eine Rettungsaktion für Diesberg. Fräulein Regina weiß das und handelt dementsprechend. Es geht aus allerlei Nebendingen hervor, die wie Scheinwerfer ferne Ziele erleuchten. Aber – Diesberg soll erst vernünftig werden.«

»Das will auch Vater. Das wollen wir alle.«

»Ich will es erst recht. Auf dem besten Wege ist er. Ach Gott, er ist ja so leicht zu leiten!«

»Er ist ein schwacher Charakter.«

»Aber einer von guter Art. Der selige Lipsius war eine schroffe Natur. Dies Fräulein Lipsius hat weichere Hände und ist eine angenehme Testamentsvollstreckerin. Ich verspreche mir viel von Diesbergs heutiger Audienz bei ihr.«

Annelene seufzte vernehmlich. »Wenn doch Ihr Hoffen in Erfüllung ginge!« sagte sie. »Bleiben Sie noch in Bärwalde?«

»Ja, natürlich. Ich bin ja in sogenannter fester Stellung. Ich bleibe, bis Diesberg seinen Sicherheitspunkt erreicht hat. Es sind noch etzliche Berghöhen zu nehmen. Aber ich betrachte mich als seinen Führer. Wir kraxeln mitsammen weiter. Und verlassen Sie sich darauf: wir kommen auf eine freie Aussicht. Dann drücke ich mich. Ich bin kein Kleber. Ich sagte schon Diesberg gelegentlich: ich bin eine Spezialität für die Aufwirtschaftung. In diesem Falle ist auch ein Mensch das Objekt. Das macht mir Freude.«

Annelene blieb stehen und reichte ihm die Hand. »Ich danke Ihnen, Herr von Otten«, sagte sie und unterdrückte dabei ein Tränchen der Rührung. Aber es floß zauberweich in den Stimmklang. »Was Sie dem Diesberg Gutes antun, tun Sie auch mir. Und wegen des Teut werde ich mit Vatern sprechen. Er ist nicht mehr wert als vierzigtausend.«

Otten drückte freundschaftlich fest die hartgearbeitete Mädchenhand. Er sah dem Kind auch in die klaren Augen und spürte Bergluft wehen. Als er zurückfuhr, beschäftigten sich seine Gedanken mit ihr. Das war ein merkwürdiger Nachwuchs in Freilehningen. Nichts von hochgetriebener Zucht, aber auch im Anschluß an die Natur doch nur Spielzeug der Einsamkeit. Er wurde sinnend und ließ die Zügel locker. Sie schleiften beinahe im Schnee.

*

– – Um die gleiche Zeit ungefähr klingelte Diesberg am Lipsiusschen Hause und fragte die öffnende Frau Biene, ob das gnädige Fräulein daheim sei.

Die Biene zog die Schultern hoch. »Ja, sie ist da, Herr Baron,« antwortete sie, »aber ich weiß nicht –« Doch Diesberg, verärgert bei dem Gedanken, nicht vorgelassen zu werden, fiel ihr in das Wort: »Melden Sie mich nur an, Frau Biene, ich bin ja kein Fremder in diesem Hause!« –

Regina hatte einen leichten Grippeanfall überwunden und schonte sich noch. Sie lag auf ihrer Chaiselongue und träumte, als ihr der angesagt wurde, bei dem im Augenblick die Schwermut ihrer Gedanken weilte. Sie konnte nicht verhüten, daß in das Blaßgesicht ihrer Wangen ein Blutstrom schoß, und daß unter einer inneren Erschütterung ein Zucken, durch ihre Glieder ging.

»In den Salon«, sagte sie.

Die Biene ging wieder, und nun jagte die Erregung Regina in die Höhe. Sie fühlte sich noch ein wenig angegriffen; als sie aufsprang, taumelte sie wie bei einem Schwindelanfall, aber der Wille kämpfte die Schwäche nieder. Sie trat vor den Spiegel, sie trug ein Morgengewand und wollte der Zofe klingeln, um sich rasch umzukleiden. Doch sie unterließ es, es hätte unnötig Zeit erfordert, und die Sitte erlaubte, im Kimono Besuche zu empfangen. Sie fand auch, daß die Farbe des Stoffes wie eine Ergänzung zu dem leichten Leidenston ihres Gesichts wirkte. Mit flinken Fingern ordnete sie nur noch ihr Haar, und dabei fuhr ein Sprühfeuer von Gedankenblitzen, Erwägungen, Mutmaßungen, Hoffnungen und Zweifeln durch ihr Hirn und betäubte sie fast.

Sie fragte sich: was will er? Sollte es ein verspäteter Kondolenzbesuch sein, ein Besuch wie jeder andere? Das war möglich, aber auch aus dieser Gelegenheit ließen sich Ansätze zu neuen Anknüpfungen schöpfen, die wiederum zu jener erobernden Besitznahme führen konnten, von der sie in süßer Ekstase geträumt hatte. Die Unterredung mit der kleinen Gräfin Düren glitt aufreizend in ihr Erinnern. Durfte man einem Mann sagen, daß man ihn liebe, ehe er nach dem Kodex der Formen sich selbst erklärt hatte? Gewiß, wenn man den Mut hatte, mit der Überlieferung zu brechen. Es war dann eine Kraftprobe des Willens, die durch die Poesie des Ewiggöttlichen Triebkraft des Schönen erhielt.

Regina stand aufrecht vor dem Spiegel und sah ein Leuchten in ihren Augen. Sie fühlte auch etwas wie ein rhythmisches Schwingen in ihren Adern und im laut schlagenden Herzen den Mut zu einer unschuldigen Eroberung. War hier ein Problem zu überwinden? Nein, es war wirklich nur ein Bruch mit der Formenwelt, bei dem das Sieghafteste im Weibe triumphieren sollte. –

Diesberg erhob sich, als Regina eintrat, mit ernstem und ruhigem Gesicht, ohne das gefällige Lächeln gesellschaftlicher Gewohnheit, und er behielt auch die kühle Sachlichkeit bei, die er sich vorgenommen hatte, als sie ihm mit freundlicher Gebärde die Hand reichte.

»Wie liebenswürdig von Ihnen, Herr von Diesberg,« sagte sie, »daß Sie mich einmal in meinem einsam gewordenen Hause aufsuchen.«

Es war eine einleitende Redewendung, die er in ähnlicher Weise hätte beantworten können. Aber er wollte nicht den gleichgültigen Plauderer spielen, er versteifte sich auf das »Kaufmännische«, er hatte ein Ziel im Auge, das er am besten und raschesten durch eine zurückhaltende Gelassenheit zu erreichen dachte.

So entgegnete er denn mit einer Verneigung: »Lassen Sie mich ob meiner Störung um Verzeihung bitten, gnädiges Fräulein. Ich komme in einer geschäftlichen Mission, die ich mir gehorsamst erlauben möchte, Ihnen in aller Kürze auseinanderzusetzen.«

Ein sprunghaftes Verändern ging über die Züge Reginas. Sie stieg gleichsam von einer Bergeshöhe zu Tale und sah bisher unbeachtete allernächste Dinge vor sich. Ein Mißverständnis mußte gelöst werden.

»Bitte, Herr von Diesberg,« sagte sie mit einladender Handbewegung, »ich höre gern zu.«

Man setzte sich. Regina versank in die Polster eines weichen Sessels und stützte die Schläfe in die Hand. Sie fühlte eine körperliche Müdigkeit, eine plötzliche Erschlaffung des Lebenstriebs. Nur der Denkvorgang blieb rege. Das Geschäftliche mußte erledigt werden. Also gut.

Diesberg hielt sich gerade und spielte den rechtschaffenen Kaufmann. Er zog seine Brieftasche aus dem Rock.

»Ich schulde Ihrem Herrn Vater noch fünfunddreißigtausend Mark«, begann er. »Die Papiere darüber sind anscheinend verlorengegangen. Dennoch möchte ich die Schuld loswerden. Darf ich gnädiges Fräulein bitten, einen Scheck über die Summe in Empfang zu nehmen.«

Er reichte ihr den Schein, doch sie hob abwehrend die Hand. »Rechtsanwalt Detmold sprach mir von der Angelegenheit,« sagte sie, »aber, Herr von Diesberg, ich kann unmöglich eine Forderung an Sie stellen, für die ich keine Belege besitze.«

»Die Forderung ist eine Tatsache«, erwiderte Erni ruhig. »Ihr Herr Vater hat mich noch bei meiner letzten Unterredung mit ihm daran erinnert, und die Art und Weise, in der er es tat, würde es mich doppelt peinlich empfinden lassen, meiner Verpflichtung nicht nachkommen zu können, nun ich dazu in der Lage bin. Vermutlich sind Wechsel und Schuldschein bei der Nachlaßordnung nur verlegt worden und werden sich gelegentlich wiederfinden – jedenfalls möchte ich ganz ergebenst bitten, die Summe bis dahin bei Ihnen deponieren zu dürfen.«

Es lag nichts Befremdendes in diesen Worten Diesbergs und dennoch etwas, was in Regina das Empfinden erweckte, als tue sich zwischen ihr und ihm ein klaffender Spalt auf, der notwendig überbrückt werden mußte. Sie neigte mit verbindlicher Bewegung den Kopf und entgegnete:

»Sie fassen dramatisch und fast feierlich auf, Herr von Diesberg, was wahrhaftig kaum der Rede wert ist. Ich kann natürlich auch das Depot nicht annehmen, aber es steht Ihnen ja frei, die Summe bei Ihrer Bank zurückzulegen, bis – nun, bis sich eben die Papiere gefunden haben, um die es sich handelt.«

Diesberg schürzte die Stirn in Falten und ließ sein Portefeuille mit unmutiger Gebärde wieder in die Tasche gleiten. »Gnädiges Fräulein,« sagte er mit hartklingender Stimme, »ich habe den Eindruck, verzeihen Sie, als wollten Sie mir eine Gunst erweisen, die ich nicht beanspruche. Allerdings komme ich auch mit einer Bitte zu Ihnen, aber Sie würden mich außerordentlich verbinden, hätten Sie die Güte, sie durchaus nur vom Geschäftsstandpunkt aufzufassen und nicht anders. Ich habe weder Sinn für Feierlichkeit noch für dramatisches Wesen – das liegt mir wirklich nicht und am wenigsten in der eigentümlichen Zwangslage, in der ich mich befinde. Ich bin immer noch Ihr Schuldner, wenn Sie das auch bestreiten, und als solcher möchte ich mir erlauben, Ihnen einen Vorschlag zu unterbreiten, den ich rein kaufmännisch zu beurteilen bitte.«

Er schwieg ein wenig betroffen, da er sah, daß Regina mit einem lauten Zug des Schmerzes im Gesicht die Augen schloß. Aber es war sichtlich nur ein rasch vorübergehender Anfall, sie hob sich wieder im Sessel, die auf den Armlehnen ruhenden Hände fausteten sich unter dem Drucke von innen steigender Energie, und dann sagte sie mit einem matten, in Schwermut getauchten Lächeln:

»Vergebung, Herr von Diesberg – ich war einige Zeit gesundheitlich nicht ganz auf der Höhe – da kommt noch zuweilen ein kleiner Rückfall. Aber nun bin ich wieder ich. Bitte sprechen Sie weiter.«

Diesberg erhob sich. »Gnädiges Fräulein, ich gehe gern. Es braucht nicht heute zu sein –«

»Nein,« fiel sie hastig ein, »bleiben Sie! Ich bin wieder ganz wohl – und begierig auf Ihren Vorschlag. Und ich verspreche Ihnen auch, ihn rein kaufmännisch beurteilen zu wollen, freilich nur, soweit ich kaufmännisch denken kann.«

Er ließ sich von neuem nieder und mühte sich, nicht aus dem Gleichgewicht seiner Sachlichkeit zu kommen.

»Sie kennen das Vorspiel, gnädiges Fräulein«, begann er. »Ich habe unklug gewirtschaftet und meinen Besitz verloren. Ihr Herr Vater kaufte ihn in der Subhastation. Anerbietungen, die ich mir erlaubte, wies er schroff ab. Darunter war eine, auf die ich mir gestatten möchte zurückzukommen. Ich wollte das in Bärwalde begründete Gestüt mit einem wohlhabenden Nachbar weiterführen. Nun interessiert sich auch Herr von Otten lebhaft für das Unternehmen und möchte es unter meiner Beteiligung dem Gutsbetrieb angliedern ...« Er holte seine Notizen hervor und erläuterte an ihrer Hand die Vorteile der Zucht für den ganzen Besitz, die Weideverhältnisse, die rationellen Prinzipien für die Erzielung einer konstanten Rasse. Er wollte bei diesen Erörterungen völlig leidenschaftslos sein und sich nur durch praktische Überlegung leiten lassen, aber zuweilen wurde er hilflos und begann zu stottern. Was ihn störte, war die Haltung Reginas. Sie lehnte wie in Erschöpfung in ihrem Sessel, und die Finger ihrer rechten Hand, die den Kopf stützten, verdeckten das eine Auge. In ihrem Gesicht lag ein schlaffer Ausdruck, die Züge senkten sich müde, als langweile sie das alles.

Dann kam Erni wieder in lebhafteren Fluß. Die Worte fügten sich, er sprach schneller. »Ich bitte wiederholt, gnädiges Fräulein,« sagte er, »meinen Vorschlag von der kaufmännischen Seite zu prüfen. Ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich annehme, daß der Herr Geheimrat Bärwalde aus Gründen der Zweckmäßigkeit gekauft hat. Die Verbindung der Landwirtschaft mit der Zuchtstätte wird den Wert des Besitzes in wenigen Jahren erheblich steigern. Jetzt ist es ein schlechtes Geschäft, es kann aber ein ausgezeichnetes werden. Und da kommt nun mein letztes Anliegen. Meine Teilhaberschaft an dem Gestüt verfolgt natürlich auch materielle Ziele. Die Zucht soll den Rennsport fördern. Ich gebe den Stall nicht auf. Ihr Herr Vater war allerdings der Ansicht, der Rennplatz sei die Grundursache meines Ruins gewesen. Ich betrachte ihn als die Grundlage meines Wiederaufstiegs. Bärwalde wird auch für Sie vermutlich nur ein Geschäftsobjekt sein. Und deshalb möchte ich bitten, mir unter Bedingungen, die Sie festsetzen mögen, das Vorkaufsrecht zu sichern.«

Er zog den Atem hoch und schwieg. Hatte das Fräulein überhaupt zugehört? Er hatte das Gefühl, in die Luft gesprochen zu haben. Ein heimlicher Groll saß ihm wieder in der Kehle.

Doch nun regte sich Regina im Sessel. Sie dachte: Er hat keine Spur Neigung für mich. Er handelt mit mir und sieht in der Besitzerin von Bärwalde seine natürliche Feindin. Wenn ich ihm sage, daß ich ihn liebe, wird der Hohn triumphieren ... Sie richtete sich straff auf. Heißes Blut strömte in ihre Wangen. Rebellische Kraft des Wollens ließ ihre Seele schwellen. Die Sehnsucht wurde zu einem fortreißenden Impuls. Er war ihr Erwählter! »Ich will«, rief sie sich zu.

Der Augenblick wurde zu einem harten Kampf um ein vermeintliches Glück, um das Recht des Weibes, um die Selbstbehauptung. In einer winzigen Spanne Zeit wurde ein Strudel von Begriffen zu bloßen Abkürzungen tiefwühlender Eindrücke. Ein Nebeneinander heftiger Empfindungen drängte sich zu einer Forderung unumwundener Entscheidung zusammen. Irrende Gedanken durchschwirrten ihr Hirn, daß es um Leben und Tod gehe, und als letzte Wahrheit blieb das durchaus klare Bewußtsein, daß sie den Tod nicht fürchten würde, wenn ihres Lebens Ziel ihr versagt werden sollte. Auch das Wort der Gräfin Düren von der »verfluchten Realität« sprang wieder in ihrem Erinnern auf, mit einem Begreifen der Rücksichtslosigkeit ihrer Leidenschaft, die wie ein Ringen zweier Welten war, ein Kampf der innersten Natur gegen eine verstandesmäßige Reflexion. Und so wurde der Augenblick zu ihrem Schicksal.

Sie strich mit flacher Hand über die Falten ihres Kimonos und zwang ihre Stimme zu einem gleichmütigen Tonfall.

»Der Verlust Bärwaldes ist Ihnen sehr schmerzlich gewesen?« fragte sie.

»Das leugne ich nicht, gnädiges Fräulein«, antwortete Diesberg. »Anfänglich glaubte ich gar nicht daran. In meinem Optimismus hoffte ich – ich gestehe es ehrlich zu –, daß Ihr Herr Vater aus alter Anhänglichkeit an meine Familie mir hilfreich entgegenkommen würde. Aber er hat mich rasch eines anderen belehrt. Und da kam allerdings in verstärktem Maße das schmerzliche Empfinden, daß ich eselhaft leichtsinnig gehandelt hatte. Der materielle Verlust, mein Gott, der ist das wenigste. Aber ... ja, gnädiges Fräulein, wenn ich mit Gefühlswerten antrete, werden Sie mich vielleicht gar nicht verstehen. Es ist auch besser, wir bleiben auf der Basis des Geschäftlichen. Meinen Vorschlag kennen Sie nun. Darf ich gehorsamst bitten, ihn in Überlegung zu ziehen, mit Ihren Beratern zu besprechen und noch Herrn von Otten zu hören? Schließlich bin ich auch auf Ihr Nein gefaßt. In diesem Falle würde ich auswandern. Die nötigen Vorbereitungen habe ich schon getroffen.«

Reginas Gesicht war jetzt ganz weiß geworden. »Sie sind also der Ansicht,« sagte sie, »daß mein Vater zu Unrecht an Ihnen gehandelt hat?«

»So habe ich mich nicht ausgedrückt«, erwiderte er. »Aber allerdings, den Eindruck bin ich nicht losgeworden, daß ihm das business über die alte Freundschaft ging. Natürlich sind auch das nur Gefühlsfragen.«

»Bleiben wir beim Geschäftlichen«, fuhr Regina fort, fast eintönig, doch mit einer Schattierung von äußerstem Ernst. »Es läßt sich manches anders arrangieren. Heiraten wir uns, dann bleiben Sie der Besitzer von Bärwalde.«

Diesberg warf mit starkem Ruck den Kopf in den Nacken Er starrte Regina an und sah keine Bewegung in ihren verblaßten, geschlossenen Zügen. Seine Achseln spielten, er erhob sich.

»Vergebung, gnädiges Fräulein,« sagte er, »mir ist im Augenblick wahrhaftig nicht scherzhaft zumute.«

Sie behielt ihre karge Ruhe bei, ein stilisiertes Gelassensein. Die Lippen bewegten sich gleichsam automatisch, das Auge blieb ausdruckslos, vermied aber nicht seinen Blick.

»Ich scherze keineswegs«, erwiderte sie. »Ich beantworte nur Ihren Vorschlag mit einem anderen, der mir besser zusagt. Ich möchte Baronin Diesberg werden. Im Ehevertrag würde ich Ihnen Bärwalde verschreiben, mit der halben Million, die mein Vater für die Meliorationen ausgesetzt hat. Das ist die geschäftliche Grundlage.«

Diesberg war drei Schritt vor ihr stehengeblieben. Er kämpfte noch mit einer vagen Fassungslosigkeit. Was ihm dies schöne, kühle Fräulein da sagte, dünkte ihn so unerhört, daß er vergeblich nach der rechten Formel für seine Antwort suchte.

»Mein Gott,« rief er unter kurzem, krampfhaftem Auflachen, »sind wir denn in einem Heiratsbureau?«

»Nehmen Sie es an«, entgegnete Regina. »Sie können auch annehmen, daß bereits der Ankauf Bärwaldes mit bestimmten Absichten meinerseits verbunden war, die leider durch die Eigenart meines Vaters durchkreuzt wurden. Nehmen Sie an, was Sie wollen, nur verstehen Sie mich nicht falsch, Herr von Diesberg. Es entspringt nicht der Laune eines überspannten Mädchenhirns, daß ich Ihnen meine Hand anbiete, sondern dem Vorsatz – dem festen Vorsatz, mich unter die Obhut eines guten Namens und eines Mannes, dem ich Achtung entgegenbringe, zu flüchten vor den Verfolgungen, denen mein Reichtum mich aussetzt.«

»Ah,« rief Diesberg, »nun seh' ich klarer! Sie wollen nicht Ihres Geldes halber geheiratet werden. Schön und anerkennenswert. Aber können Sie mir dann noch die Achtung entgegenbringen, von der Sie sprechen, wenn ich Sie als Quittung für den Besitz von Bärwalde auf das Standesamt führe?«

Der Widerschein eines verlorenen Lächelns blühte in ihren Mundwinkeln auf.

»Sie vergessen, daß der Antrag von meiner Seite ausgeht«, sagte sie. »Die Gesellschaft ist ein großer Heiratsmarkt, auf dem fast ausschließlich die Frage des Eigentums und der Vererbung das Maßgebende ist. Diesem Zwange will ich mich entziehen. Wir schließen einen Privatvertrag, laut dem Sie mir Ihren Namen geben und ich Ihnen die Rückerstattung Ihres väterlichen Besitzes gewährleiste. Das ist ein Abkommen, wie es ähnlich in jedem Ehekontrakt vorgesehen wird. Es ist doch aber auch insofern eine freiere Einigung, als ich Herrin über mein Privatvermögen bleibe. Das ist der Vorteil für mich. Überlegen Sie, ob der Ihre ihn aufwiegt.«

»Ich kann nicht überlegen,« klagte Diesberg – es war wirklich ein Ton der Klage –, »ich bin verwirrt, ich bin nicht mehr denkfähig! Ich frage mich immer noch, ich kann mir nicht helfen – gnädiges Fräulein, ich frage mich immer noch: ist das alles ernsthaft gemeint oder nur ein Spiel, ein frivoles Spiel?«

Es lag zweifellos ein heimlich drohender Unterklang in diesen letzten Worten, die Erregung eines Mannes, der auf die traditionelle persönliche Ehre hält. Regina schien das zu überhören. Sie saß jetzt gerade, mit gerecktem Oberkörper im Sessel, so daß der dunkle, mit Phantasieblumen in violetten Tönen bestickte Stoff ihres Gewands über den Hüften sich spannte. Aus ihrem Gesicht sammelte sich ein nervöser Zusammenhang angestrengten Denkens, das nichts verfehlen und unsicher gestalten wollte. Das Geleise, auf dem sie vorwärts trieb, mußte eingehalten werden. Einen Rücklauf gab es nicht mehr, auch keine Verstellung der Fahrt; keinen anderen Weg zum Ziele.

»Der Ausdruck frivol klingt anklägerisch, Herr von Diesberg«, entgegnete sie. »Er trifft auch nicht zu, da die Entscheidung bei Ihnen liegt und da ich durchaus kein Spiel mit Ihnen treibe – nein, ganz und gar nicht. Sie können sich denken, daß schon eine große Anzahl freundlicher Männer um mich angehalten hat. Schreiben Sie es meinethalben auf das Konto meiner Emanzipation vom Hergebrachten, daß diesmal ich selbst die Wahl treffe, statt mich wählen zu lassen. Da biege ich nur einen zur gesellschaftlichen Sitte gewordenen Gebrauch – aber auch das werden Sie nicht als frivol bezeichnen können.«

»Nein,« sagte Diesberg mit starkem Kopfschütteln, »im Gegenteil, das würde ich mit Genugtuung als ein Zeichen von – von fröhlich sich über albernen Krimskrams hinwegsetzender Selbständigkeit begrüßen, wenn...« Er beendete den Satz nicht, sondern fragte unvermittelt: »Warum habe gerade ich die Ehre, als Erster auf Ihrer Wahlliste zu stehen, gnädiges Fräulein?...«

Es kam jetzt ein Augenblick, da die feine Kritzelkunst ihrer Komödie zu versagen drohte. Es kam ein Augenblick mühsamster Beherrschung, die sie durch eine Bewegung der Anmut, eine leichte Geste und ein Lächeln verbarg, das eigentlich nur ein flüchtiges Heben der Oberlippe war.

»Die Frage ist nicht mit einer raschen Antwort abzutun«, entgegnete sie. »Aber ich erkenne bei dem immerhin Ungewöhnlichen unsrer Verhandlung ihre Berechtigung an und will versuchen, Ihnen eine Erklärung zu geben. Ich war immer entschlossen, nur eine Ehe einzugehen, die mir meine Freiheit als Mensch läßt, auch meine Gleichheit dem Manne gegenüber. Das ist ein durchaus sittliches Verlangen, und es wird nicht unsittlich dadurch, daß ich mir das Recht der Wahl vorbehielt. Fiel sie auf Sie, so sprach dabei zuvörderst ein Gefühl der Neigung mit, das ich am besten als Sympathie bezeichne. Ich kann das ohne Erröten sagen und ohne eine falsche Scham, weil eine ehrliche Freundschaft meiner Ansicht nach ein reinerer Quell bewußten Seelenlebens ist als eine große Leidenschaft. Bei Ihnen aber lag auch noch die Möglichkeit einer ruhigen Verständigung in freundschaftlichem Sinne vor, eines geschäftlichen Abkommens – sei es so –, das keiner Vermittlung durch einen Dritten bedurfte. Ich konnte Ihnen entgegenkommen wie Sie mir – und Sie wie ich, als freie Leute, die sich gegenseitig respektieren. Genügt Ihnen das als Antwort auf Ihre Frage?«

Er stand jetzt weiter von ihr entfernt, in der Nähe des Kamins, und zwischen ihr und ihm lag der blühende Wiesengrund eines altmodischen Teppichs. Es war ein unbewußtes Abrücken, es klopfte wahrhaftig etwas Ängstliches in seinem Herzen, ein Scheugefühl packte ihn, aber es war auch eine geheime Anziehungskraft dabei, es war, als spanne sich ein Bannkreis um ihn.

»Ja«, sagte er zögernd, in unwillkürlich theatralischer Pose, und wollte auf einen ironischen Ton sich einzwingen, doch es gelang ihm nicht. Er hüstelte, strich mit der Hand über die Stirn und wiederholte: »Ja ... ja, es genügt – natürlich – ich übersehe alles. Es ist ein klares Geschäft – und auch voll Redlichkeit der Gesinnung. Es ist ein Vertragsentwurf, mit dem ich zufrieden sein könnte, wenn nicht ...« Pause. Dann hub er wieder an: »Wenn nicht ein Hindernis da wäre. Ich wurde von dem Vater eines Mädchens, das ich lieb habe, auf zwei Jahre Wartezeit gesetzt. Die muß ich einhalten.«

Regina schwieg. Sie senkte den Blick. In die Seewasserfarbe ihrer Augen trat ein zartes Verdämmern. Sie schwieg lange. Ihr Atem ging kurz, die Brust hob sich kaum. Dann steifte sie langsam den Hals, und mit einer gezogenen Kopfwendung zu dem jungen Mann sagte sie:

»Schauen Sie mich an, Herr von Diesberg. Meine Pupillen sprechen eine eigene Sprache. Wenn ich in den Spiegel sehe, erzählt er mir, daß ich nur noch ein Jahr zu leben habe. Ich habe das Herzleiden meines Vaters geerbt. Besser als mein Hausarzt hat mich ein amerikanischer Spezialist belehrt, der es für unnütz hielt, zu einer Notlüge zu greifen. Herr von Diesberg, es soll volle Klarheit zwischen uns herrschen. Wir werden auch diesen Punkt in unserm Ehevertrag berücksichtigen und zwar in unanfechtbarer Weise. Sterbe ich in Jahresfrist, so sind Sie mein Gesamterbe. Für den Fall einer Scheidung verbleibt Ihnen Bärwalde ...«

Der Bannkreis lag noch immer um Diesberg, Wie angewurzelt stand er vor dem Kamin. Schattentupfen strichen über sein Gesicht, seine Seele war unruhvoll, sein Hirn verblasen. Er rang nach Verständnis und fand es nicht. Es war alles so wunderlich, so unbegreiflich. Es war ein bizarrer Handel um ein Stück Zukunft, um die Scholle, um ein Riesenvermögen, um Tod und Leben. Es war eine verrückte Geschichte.

Er grübelte und schnellte dann rasch in die Höhe. »Gnädiges Fräulein,« sagte er, »ich bin unfähig, auf der Stelle ja oder nein zu sagen. Es jagt wie ein Sturm auf mich ein. Geben Sie mir drei Tage Zeit. Darf ich am Sonnabend wiederkommen?«

Sie erhob sich, wie verwandelt, freundlich lächelnd im leicht fließenden Wesen gesellschaftlicher Übung, und neigte zustimmend den Kopf.

»Ich erwarte Sie, Herr von Diesberg«, entgegnete sie und reichte ihm die Hand. Er verbeugte sich tief. Ihre Hand war trocken und heiß. Einen Augenblick hielt er sie in der seinen und glaubte auf einmal, einen stärkeren Druck zu spüren. Ihre Fingernägel bohrten sich sacht in sein Fleisch. Da stürmte er kopflos hinaus, verwirrt, in Unfreiheit, mit verlorenen Gedanken.

Sie hörte, wie die Tür hinter ihm zufiel, und noch draußen seine enteilenden Schritte. Dann brach alles in ihr zusammen unter dem Wahn der Natur. Sie warf sich, schütternd vor Scham, auf den Diwan und beweinte die »verfluchte Realität« ihrer Liebe.


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