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VIII

Diesberg blieb vor dem Lipsiusschen Hause am Fuße der kleinen Portaltreppe stehen und nahm den Hut ab. Die Vorübergehenden schauten ihn an, mancher verwunderte Blick traf ihn, er achtete nicht darauf. Er fühlte sich eigentümlich benommen, aber die kalte Winterluft tat ihm wohl, die seinen bloßen Kopf spülte. Mechanisch zog er die Uhr. Er konnte erst den Abendzug benutzen und hatte noch lange Stunden vor sich. Das war ekelhaft. Wie sollte er den Nachmittag totschlagen? Zuvörderst wollte er etwas essen und trinken, vor allem trinken, er brauchte einen Nervenkratzer. Er war sonst mäßig im Alkohol und pokulierte eigentlich nur, wenn ein guter Freund ihm gegenüber saß, aber vom Rennplatz her liebte er ein gelegentliches »Aufkantern« durch einen kräftigen Schluck Champagner.

So ging er denn, immer den Hut in der Hand haltend, in dieselbe Weinstube, in der er im Frühherbst zum Abend gegessen hatte, als er seine letzte Unterredung mit dem Geheimrat Lipsius gehabt hatte, setzte sich an den gleichen Tisch und bestellte. Die Situation lag verdammt anders als damals, aber Kopfzerbrechen machte sie ihm auch.

Wie war es? Es war ganz toll. War so etwas schon einmal dagewesen in der Weltgeschichte? Ein schönes, junges Mädchen bot ihm ohne viel Federlesen ihre Hand an. Warum? Ja, da lohnte sich, weiß Gott, das Nachdenken, denn dies Warum ließ sich nicht so leicht beantworten. Flucht vor der Mitgiftjagd und der Wunsch nach »Freiheit und Gleichheit« in der Ehe waren die erklärenden Motive gewesen. Freiheit als Mensch und Gleichheit mit dem Manne, ein Stück sozialen Programms, das ihr ja lag und einen der Kernpunkte der modernen Frauenfrage bildete. Es war der Widerstand gegen die Schranken einer geistig längst überholten gesellschaftlichen Kultur, der zugleich aus ihrem tapferen Bekenntnis sprach, sich das Recht der Wahl des Gatten durch keinerlei äußere Einflüsse beschränken zu lassen.

Das ließ sich allenfalls aus dem Wesen Reginas verstehen, wie Diesberg es in Stunden flüchtiger Unterhaltung glaubte kennengelernt zu haben. Und dem entsprach auch die ruhige ökonomische Ordnung der materiellen Angelegenheiten und die bündige Erklärung, daß er ihr aus Gründen der »Sympathie« der gewünschte Gatte sei. Sie hatte das noch erläutert, in ihrer ruhigen, kaltblütigen Art. Ein gewisses persönliches Neigungsgefühl hatte dabei den Ausschlag gegeben, aber weder Liebe noch Leidenschaft. Diesberg neigte den Kopf. Auch das stand in engstem Zusammenhang mit dem Nützlich-nüchternen ihrer Lebensanschauung und ihrer Erhabenheit über allem Gefühlsmäßigen. Sie war souverän in ihrer Individualität. Sie war eine kluge Denkerin, aber in der Freiheit ihres Empfindens herzenskühl und stellte als Ersatz für die Liebe die Phrase von der »ehrlichen Freundschaft« auf.

Diesberg war kein strenger Logiker, immerhin auch kein untergeordneter Geist. Er fand sich in ein mähliches Begreifen hinein. Der starke Subjektivismus Reginas trieb wunderliche Blüten. Schablonenhaftes war ihr verhaßt. Die Umwerbung ihres Reichtums widerte sie an. Da suchte sie Verständigung mit einem Mann von gutem Namen und vornehmer Natur auf der Grundlage eines praktischen gegenseitigen Entgegenkommens. Man schloß eine Vernunftehe im besten Sinne.

Gut. Aber nun stieg im Umkreis des Begreifenwollens etwas Unfaßliches auf: Regina hatte von ihrem Herzleiden gesprochen. Das war sicher tragische Wahrheit, man sah es ihr an. Es war eine Erbschaft des Vaters. Noch ein Jahr Leben hatte der Arzt ihr gegeben, ein einziges Jahr. Das hatte sie betont, gewissermaßen als Gegenwirkung zu seiner Äußerung über die Wartezeit, die Graf Pakisch ihm gestellt, und hatte dabei auch die Frage einer möglichen Scheidung erwähnt. Es klang so: In einem Jahr kannst du unbedingt frei sein, ob ich tot bin oder noch lebe! –

Das war das nicht Begreifliche. Glaubte Regina ihrem Arzte, so war es doch Wahnsinn, daß sie noch eine Ehe schließen wollte. Man mußte da nach psychologischen Momenten suchen. Magie der Wirkung von Seele zu Seele, Triebhaftes im Unterbewußtsein, Gefühlsüberschwenglichkeit, Instinktives, alles das war ausgeschlossen bei diesem Mädchen, dessen Stimmungsleben gewissermaßen nur eine Projektion ihrer Denktätigkeit auf die Fläche des unmittelbar Zweckmäßigen war. Ihre Neigung zu ihm hatte sie auf den bezeichnenden Ausdruck »Sympathie« begrenzt, auf eine mitempfindende Gleichstimmigkeit. Auch an den Ehrgeiz, sich ein Jahr lang Baronin Diesberg nennen zu können, war nicht zu denken. Aber sie mochte sich vereinsamt fühlen, und das war immerhin möglich: daß sie für die verbleibende karge Lebenszeit Anschluß an ein verstehendes Herz suchte, an einen Menschen von anständiger Gesinnung, der auch ihre geistige Beweglichkeit teilte, an einen Gefährten, der ihr ein lieber Freund, ein gütiger Pfleger und – ein treuer Gatte war. Und wie es schien, sollte diese eheliche Treue auch Belohnung finden in der Vererbung ihres großen Vermögens ...

Diesberg goß den Sekt in die Kehle. In diesem Gedankenaustausch mit sich selbst empfand er ein Unbehagen, das fast körperlich war. Die Spekulation auf den Tod war erbärmlich. Und auch nicht der flüchtigste Wunsch zog ihn zu ihren Millionen. Die brauchte er nicht, wenn er Bärwalde behielt und sich da alles so entwickelte, wie er hoffte. Freilich – Bärwalde! Das war die Lockung, war der Köder, den sie ihm zuwarf. Wieder leerte er sein Glas. Seine Brauen stiegen zueinander, Gefälte trat auf seine Stirn, ein bitterer Zug um den Mund. Gleichsam explosiv sprang ein lächerlicher Haß gegen Regina in ihm auf. Was wollte diese Närrin von ihm! War es Mannstollheit, war es Launenhaftigkeit, war es krankhafte Überreizung oder irgendeine verborgen liegende kluge Berechnung, die ihm ihren Willen aufzuzwingen versuchte? –

Es war ein Gedankenklettern im Dunkeln. Seine Schultern zuckten. Er schob das Geschirr von sich, er hatte keinen Appetit, aber er griff nach einer Zigarre. Ganz gleichgültig, was es ist, sagte er sich, Begreifliches oder Unbegreifliches, Spleen oder nicht, ich habe es mit einer Tatsache zu tun. Und er grübelte weiter: Wäre ich frei, ich überlegte nicht lange. Es ist die Partie, die Otten mir zugedacht hatte. Ich will mich mit Otten aussprechen. Nein – noch nicht, erst will ich Pakisch hören – und Annelene! Ich werde beiden die volle Wahrheit sagen: daß ich mit dieser Heirat Bärwalde zurückkaufe – und daß ich in Jahresfrist ... da verzog sich sein Gesicht unter einer jähen inneren Krise ... nicht an den Tod wollte er denken, sondern an eine freiwillige Lösung der Fessel, wie sie in ihrer Andeutung einer Scheidung lag! Ein absonderlicher Handel, dachte er, aber er ging nicht von mir aus. Das war wie eine Entschuldigung. Er ließ den Rest der Flasche in das Glas schäumen. Annelene – ja, Annelene soll entscheiden! – –

– Als er in später Abendstunde wieder in Bärwalde eintraf, trat ihm Otten auf der Rampe entgegen.

»Alles gut abgelaufen?« fragte er.

»Anders als ich es erwartet habe«, entgegnete Diesberg. »Nicht schlechter, nein, aber kurioser. Morgen Näheres, lieber Freund, ich muß erst alles überschlafen.«

Otten zog sich sofort mit einem »Gute Nacht« zurück. Das Auge Diesbergs gefiel ihm nicht, es glitt über ihn hinweg, es hatte etwas Scheues. Was ist passiert? fragte er sich und schritt mit seiner Blendlaterne über den Wirtschaftshof nach dem Amtshause, wo Fräulein Schauroth, das Tippfräulein, ihn mit einem Blick aus Babylon erwartete. Aber ihm fehlte die Laune zu einem Kosestündchen. »Du bist blaß, Luise,« sagte er zu dem Fräulein, »du mußt mehr Milch trinken. Geh in die Klappe ...«

Unterdessen arbeitete Diesberg oben am Fernsprecher. Er bekam Anschluß nach Freilehningen.

»Onkel Malte,« rief er, »schönsten guten Abend! Entschuldige die späte Störung.«

»Aha, du bist es, Erni«, quarrte der Wassergraf. »Kann mir schon denken, was du willst. Also höre: dreitausend Mark will ich noch ablassen, für zweiundvierzig könnt ihr den Hengst kriegen. Weil ihr es seid – da komme ich euch sehr entgegen.«

»Es handelt sich im Augenblick nicht um den Gaul, Onkel Malte. Es handelt sich um Wichtigeres, um – – kurzweg, um so eine Art Lebensfrage.«

»Nana!«

»Ich muß dich morgen früh sprechen – und Annelene auch. Unbedingt.«

»Warum Annelene?«

»Weil – weil meine ganzen Verhältnisse sich plötzlich und unerwartet ändern können.«

»Wieder mal Auswanderung?«

»Nein. Am Telephon läßt sich das nicht erklären.«

»Gut. Ich erwarte dich gegen zehn.«

*

– Es taute wieder am andern Tage. Das Schneewasser überspülte die Wege, die schöne Rosa bekam schwarze Beine, der Schmutz spritzte in den offenen Wagen, der dunkle Havelock Diesbergs tigerte sich.

Erni ließ es spritzen. Mechanisch wischte er ein paarmal mit der Hand über sein Gesicht. Im Quirlen der Gedanken suchte er nach einer angemessenen Form für seine Erklärung. Er überlegte: so wollte er anfangen – nein, so – nein, so. Er verwarf wieder alles. Der Augenblick mußte die Sätze fügen.

Pakisch begrüßte ihn freundlich. Dann wurde Annelene gerufen. Die Kleine sah frisch und flügge aus wie immer. Sie gab Erni keinen Kuß, sondern reichte ihm nur die volle Hand und setzte sich hierauf wie ein artiges Schulmädchen auf einen Stuhl, den Rock tiefer über die Knie ziehend.

Diesberg schloß heute die Fenster. »Ihr erlaubt«, sagte er. Dann nahm auch er Platz. Stille herrschte in dem großen Arbeitszimmer. Der Wassergraf zog bedächtig seine Nase durch die Finger: er war auf Unangenehmes gefaßt. Wenn dieser Diesberg sich zeigte, lauerte immer etwas Fatales im Hintergrunde. Annelene schaute neugierig in das Gesicht Ernis. Er räusperte sich. Auch sein Temperament schien heiser geworden zu sein. Der Furchtlose hatte Furcht vor der nächsten halben Stunde. Er schluckte und begann:

»Bitte unterbrecht mich mal nicht. Ich muß erst aussprechen, dann könnt ihr loslegen. Es hat sich etwas sehr Verwunderliches zugetragen. Gestern war ich in Berlin zu einer geschäftlichen Aussprache mit Fräulein Lipsius. Wegen meiner Beteiligung am Gestüt. Da ergab sich nun – da ergab sich nun ... es entwickelte sich im Laufe der Unterhaltung – es kam sozusagen von selbst, es kam aus der Luft, ich kann mich nicht anders ausdrücken ... es ergab sich, daß Fräulein Lipsius mich heiraten möchte.«

Der Wassergraf ließ seine Nase los. »Ei du Donnerwetter!« rief er. Annelene wurde blaß, ihre blauen Jungmädelaugen vergrößerten sich. Hastig fuhr Diesberg fort:

»Wenn ich sage, es kam aus der Luft, so hat das wahrhaftig seine Richtigkeit. Nicht etwa, daß ich ihr eine Erklärung gemacht hätte – ausgeschlossen, auf Ehrenwort – Änneli, du mußt mir schon glauben ... es kam so, daß sie mich plötzlich fragte, ob es nicht das Gescheiteste sei, wenn wir uns heirateten. Das erörterte sie auch, in klugen Worten, und ich muß hinzufügen, nicht ohne Herzlichkeit – im Gegenteil, mit Sympathie! Sie setzte mir alles auseinander – ich bin wieder Besitzer von Bärwalde – mit der halben Million, die der alte Herr für die Verbesserungen ausgeworfen hat – das würde vertraglich gemacht werden, versteht ihr? ...« Sein Blick irrte von Annelene zu Pakisch, und dann rief er in jach ausbrechender, unerklärlicher Wut: »Versteht ihr mich? So redet doch! So sagt doch auch einen Ton und laßt mich nicht immer bloß schwatzen!«

»Entschuldige, entschuldige,« warf Pakisch ein, »du hast uns ja selbst ersucht, dich ausreden zu lassen. Also nu mal langsam mit die wilden Pferde. Dieses Fräulein hat dir, soweit ich dich verstehe, klippeklar zu erkennen gegeben, daß sie dich haben möchte. Sie ist hübsch, nicht wahr?«

»Sehr hübsch.«

»Und reich?«

»Sehr reich.«

»Na, da nimm sie dir doch, du Esel!«

»Nein«, schrie Annelene und fuhr vom Stuhl in die Höhe. »Das ist eine Gemeinheit!«

»Halt's Maul«, sagte der Wassergraf grob. »Hier geht's um Gewichtigeres als um eine dalbrige Kinderei. Du wirst nicht die Zukunft Ernis aufs Spiel setzen wollen, Annelene.«

Sie biß die Lippen zusammen. Über den Brauen schattete sich eine Falte, aber sie schwieg und ließ sich wieder nieder.

»Annelene,« hub Diesberg von neuem an, mit sanfter Stimme und bittender Gebärde, »es liegt alles so seltsam, daß wir doch immer noch Aussichten haben. Dies Fräulein Regina ist keine alltägliche Natur. Sie will Baronin Diesberg werden, aber – nun paß' einmal auf: sie sagt, wenn wir uns in der Ehe nicht verstehen könnten – sagte sie ganz offen –, dann würden wir uns in Frieden wieder trennen. Wieder auseinandergehen. Nach Jahr und Tag meinetwegen.«

»Halt«, rief Pakisch. »Na und wie in solchem Falle? Behältst du da Bärwalde?«

»Das wird mir im Ehevertrag verschrieben.«

Pakisch nickte. »Ein verständiges Mädchen«, meinte er. Die Finger glitten über die Hakennase. »Mein lieber Ernst,« sprach er gewichtig weiter, »ich sehe, wie alles liegt. Diese junge Dame möchte Baronin werden, du gefällst ihr wohl auch. Du stehst noch immer, darüber wollen wir uns doch nicht täuschen, am Rande des Abgrunds –«

»Nicht mehr, Onkel Malte.«

»Na also gut. Ich will sagen, du hast noch mancherlei Schwierigkeiten zu überwinden, um wieder fest in den Sattel zu kommen. Nun wird dir das Geschäftliche geebnet. Und die Dame ist nicht bloß eine vulgäre Geldpartie. Sie ist eine Schönheit, sie ist die Tochter eines berühmten Vaters. Ich möchte beinah glauben, daß schon damals, als der alte Lipsius Bärwalde in der Versteigerung erwarb ... aber das kann ich nicht beschwören. Factum est, du kannst eine glänzende Partie machen. Du wärst ein Narr, wolltest du sie ausschlagen.«

Wieder schnellte Annelene in die Höhe. »Darf ich nun auch etwas sagen?« fragte sie. Das Wasser stand ihr in den Lichtern. Aber sie hielt sich tapfer. »Ich habe das Recht dazu, denn ich bin die Verlobte Ernis.«

»Das bist du nicht!« rief ihr Vater

»Ich fühle mich als seine Verlobte. Du hast nur erklärt, wir hätten noch zwei Jahre zu warten.«

»Da warte gefälligst.«

»Ich warte nicht. Ich gebe Erni frei ...« Ihr Blick suchte Diesberg. Die Frische ihrer Natur geriet in Aufruhr. Sie theaterte nicht, sie holte keine Würde aus ihrem Schmerz. Ihre Unverdorbenheit stand unter einer eigenen Gefühlsauffassung. Sie klagte nicht melodramatisch an. Sie schluchzte, schrie und wütete wie ein ungezogenes Kind ... »Geh zu deiner Dame,« rief sie, »meinen Segen hast du! Aber laß dich vor mir nicht mehr sehen! Pfui Teufel, du verkuppelst dich! Du verkaufst deinen Namen! Dich selbst verkaufst du! Das ist das Schändlichste, was es gibt! Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben. Wir sind fertig miteinander. Du bist ein – bist ein – ganz – gemeiner Kerl!«

»Annelene!« schrie Diesberg außer sich. »Nimm das zurück! Herrgott, wie kann man so kindisch sein! Ich denke ja auch an dich – an unsre gemeinsame Zukunft! Du beschimpfst mich grundlos. Ich habe euch in Offenherzigkeit erzählt, wie sich alles verhält. Ich wollte hören, was du dazu sagst. Du sollst entscheiden, denn ich bin noch gebunden an dich – freiwillig – ich habe dich doch lieb, du dumme, dumme Göhre! Ein Wort von dir, und die Geschichte ist aus, ist aus!«

Annelene stand schon an der Tür, das ganze Gesicht verzogen und in Tränen gebadet. »Ich will mir nicht nachträglich Vorwürfe von dir machen lassen«, schluchzte sie. »Heirate nur, es schiert mich nicht. Zwischen uns ist alles vorbei ... Rühr' mich nicht an!« schrie sie wild, als er zu ihr sprang und sie an den Armen faßte. »Ich spucke nach dir!«

Sie tat es wirklich und schlug hinter sich mit Dröhnen die Türe zu.

»Teufel,« stieß der Graf hervor und kratzte sich den Kopf, »was nützt das Wasser bei meinen ungebärdigen Katzen!«

Diesberg ließ sich müde auf den Stuhl zurückfallen. »Sie ist ein Kind«, sagte er. »Was liebe ich an ihr? Das Kind. Laß sie sich ausheulen, Onkel Malte, es ist Flackerfeuer und brennt ab. Und bei Gelegenheit, bei Gelegenheit nimm sie dir noch einmal vor. Ich halt' ihr die Treue, ich halt' sie ihr doch. Ich weiß recht gut, mein Heiratsgeschäft ist nicht Gentlemansart. Nein, ich müßte mich durchschinden, vielleicht durchhungern, denn lehne ich ab, wird sie es ebenso machen, und dann ist wieder der Kamp in Argentinien mein letztes Eisen im Brand – und die Änneli ist mir für immer verloren.«

Pakisch setzte sich ihm gegenüber und kreuzte die langen Beine. Er hatte die Hornbrille über das Graugefieder der Brauen geschoben. »Quack«, erwiderte er. »Deine moralischen Anwandlungen sind ungefährliche Bockstöße. Hast du die Partie gesucht? Vielleicht beim Vermittler oder im Inseratenblatt? Hat dich ein andrer mit der Nase draufgestoßen? Auch das kommt tausendmal vor, und kein Hahn kräht danach. Wir leben in der Welt, mein Junge. Du hast die Partie sozusagen gegen deinen Willen gefunden. Auf dem Präsentierteller ist sie dir gereicht worden. Greif zu! Wisch' dir die Annelene aus dem Herzen – das hab' ich mir längst gewünscht. Und sorge dich nicht, die tröstet sich, ich kenne meine Brut.«

»Onkel Malte,« sagte Erni und dämpfte seine Stimme, »ich muß noch etwas hinzufügen – ich erwähnte es absichtlich nicht in Gegenwart Ännelis, es soll auch nur zu dir gesprochen sein. Es ist der heikelste Punkt in der – der ganzen Angelegenheit. Fräulein Regina gestand mir, sie habe nur noch ein Jahr zu leben.«

»Was?« rief Pakisch und schlug die Beine auseinander. Ein maßloses Erstaunen verstreute sich über sein Quittengesicht. Er beugte den langgezogenen Oberkörper vor, als wollte er besser hören. »Wie soll man das verstehen, Potzkotz?«

»Der Arzt hat ihr darüber keinen Zweifel gelassen – ein fremder Spezialist, den sie wohl geschickt ausgefragt hat. Sie steht nur scheinbar in der Blüte der Gesundheit, sie ist schwer herzleidend, wie ihr Vater es war.«

»Alle Wetter, alle Wetter«, sagte der Graf, ließ durch ein Muskelzucken die Brille auf den Nasenrücken fallen und erhob sich. In sein Mienenspiel floß eine nachdenkliche Stimmung. Er drückte mit Daumen und Zeigefinger das Kinn gegen die Unterlippe und bewegte die Nasenflügel wie bei einer Arbeit am Schreibtisch. Es waren Zeichen innerer Anspannung.

»Und siehst du, Onkel Malte,« fuhr Diesberg fort, »das ist's, was mich stutzig macht. Man kann bei Fräulein Regina schließlich alles verstehen, was man bei einer andern befremdlich finden würde. Sie ist eben nicht wie die andern. Aber die Motive für ihren Antrag, die sie mir aussprach und die ich als Möglichkeiten auffasse, mein Gott, die zerfallen doch angesichts eines nahen Todes! Es wäre ja Wahnsinn, glauben zu wollen, sie heirate mich nur, um noch ein Jahr als Baronin Diesberg unter den Menschen zu wandeln!«

Pakisch war vor dem Neffen stehengeblieben und packte ihn mit beiden Händen an den Schultern. »Bengel,« rief er, »bist du denn so vernagelt, daß du nicht erkennst, was sie will? Sie weiß, daß der Tod vor ihrer Türe steht, und da will sie nichts anderes als noch ein Jahr glücklich sein

Diesberg hob langsam den Kopf. Sein Gesicht war wie ein Regenhimmel, den die Sonne durchbricht. Ein ungläubiges Lächeln flog, rasch vergehend, um seinen Mund. »Da müßte sie mich ja lieben«, sagte er zag.

»Frag' sie! Frag' sie doch einfach!« rief Pakisch.

Erni sank in sich zusammen. »Nein ...« Er sprach tonlos und wie nur zu sich selbst ... »das geht nicht. Aber ich ... Herrgott, wenn das wirklich so ist – wenn das wirklich so ist – dann käme ja auch etwas wie – ein veredelnder Zug in die ganze verdammte Materie!..« Er sprang in die Höhe ... »Onkel Malte, da verstehe ich auch eine letzte Äußerung von ihr, die sie gleichfalls in den Vertrag aufnehmen will. Stirbt sie in Jahresfrist, so erbe ich ihr ganzes Vermögen!«

Der Wassergraf knickte in die Knie und setzte sich unwillkürlich. »Acht Millionen«, sagte er. »Ich weiß es.«

»Was scheren mich diese Millionen,« rief Diesberg, »verkenne mich nicht! Ich habe Bärwalde verloren und kann es wiederbekommen. Das ist etwas anderes. Bärwalde ist das Feld meines Neuaufbaus. Da hab' ich gesündigt und kann wieder gutmachen. Da kann ich arbeiten. Aber glaubst du, ich werde jeden Morgen in das Gesicht meiner Frau stieren und ... pfui Teufel, ja dann hätte Annelene recht mit ihrem Pfui Teufel! Nein, Onkel Malte, ich laure nicht auf den Tod und die Millionen, die er mir bringen kann. Und diese Erbbestimmung will ich nicht. Das werd' ich ihr sagen. Die will ich nicht, die will ich nicht!«

»Sei nicht voreilig, sei nicht unvernünftig«, nölte Pakisch von seinem Stuhle aus. »Der Mann ist übrigens de jure der Erbe seiner Frau, wenn nicht anders verfügt wird.«

»Mag sie mit ihrem Gelde machen, was sie will! Jedenfalls ...« Diesberg verschränkte die Arme über der Brust und schaute aus dem Fenster in das Wetter hinein. Im verhängten Himmel, in ferner Weite verlor sich sein Blick ... »Ich weiß jetzt, was ich zu tun habe. Onkel Malte, wir wollen das Thema abschließen. Wie ist das mit deinem Hengst? Was soll ich Otten bestellen?«

Der Graf knautschte die Falten seines Gesichts zusammen. Die abgerissene Gedankenreihe paßte ihm nicht. Er hätte gern noch mehr gehört. Es war ja nun eine ganz andere Entwicklung. Aber er fügte sich.

»Wie ich dir schon gestern abend telefonierte«, sagte er. »Äußerster Preis zweiundvierzigtausend Mark. Du hast es ja jetzt dazu. Und es ist ein Staatsgaul.«

»Schön. Abgemacht. Otten wird alles in die Hand nehmen. Nun will ich mich empfehlen. Grüß' mir die Annelene und tu mir den Gefallen, beruhige sie. Wenn sie ruhiger wird, wird sie auch gerechter denken.«

»Keine Sorge. Die wartet auf dich.«

Diesberg warf heftig den Kopf zurück. Sein Blick begegnete der skrupellosen Verschmitztheit im Auge des Alten. Er wurde dunkelrot und griff mit Hast nach seinem Hut. –

Sonst kam er täglich mit Otten zusammen. Es galt ja auch gemeinsamer Arbeit. Aber in diesen Tagen vermied er ihn. Er gab sich keine Rechenschaft darüber, warum die stummen Fragen Ottens ihm unangenehm waren. Jedenfalls wollte er erst seine Angelegenheiten ins reine gebracht haben, dann mußte sowieso eine neue geschäftliche Einigung mit ihm besprochen und festgesetzt werden. Das war nötig.

Übrigens ließ auch Otten sich nicht sehen. Diesberg hatte ihm nach dem Amtshause durch den Fernsprecher zugerufen, daß er mit der Forderung des Wassergrafen für den Zuchthengst einverstanden sei, und nichts weiter hinzugefügt. Es mußte also irgend etwas Unbestimmtes in der Luft schweben, vielleicht eine Wolke, vielleicht ein verfangener Sonnenstrahl. Sichtlich war im Kreislauf dieses Einzellebens eine Hemmung eingetreten, und zwar am Tage der letzten Unterredung Diesbergs mit Fräulein Lipsius. Hallo, was war da los? Aber Otten hatte keine Eile, es zu erfahren. In den linden Tagen der Schneeschmelze nahmen ihn auch wieder die Felder in Anspruch. Die Eggen zogen reinigend über das Land, die Wiesen wurden gedüngt, unter den Stümpfen des gemordeten Waldes arbeitete die Rodemaschine. –

Inzwischen rang Diesberg mit sich selbst. Was gut und schlecht in ihm war, was vornehm und minderwertig, was ihm zweckmäßig erschien und ihn doch häßlich dünkte, das führte Kampf gegeneinander. In aller Verwirrung und Verwicklung der Gegensätze hatte er sich schließlich hinter eine deckende Idee geflüchtet. Die Äußerung des weltklugen, trotz seiner Verbissenheit immer klar die Wirklichkeit durchschauenden alten Onkels Malte: »Sie will noch ein Jahr glücklich sein« – dieser Ausspruch schien ihm eine Erkenntnis zu bedeuten. Und die Erkenntnis trug einen gewissen poetischen Duft in die Nüchternheit seines Heiratshandels, auch einen – wahrhaftig, einen dramatischen Anreiz! War es so, daß die »Sympathie«, die Regina ihm entgegenbrachte, aus tiefer gelegenen Quellen strömte, daß hier ein gleichgültiges Wort die Maske für einen Gefühlsdrang war, dann hatte er sozusagen eine Mission zu erfüllen. Dieser Frau ein letztes Jahr des Glücks zu schaffen, das war die »Idee«, hinter die sich die Selbstsucht verkriechen konnte. Doch nicht vertreiben ließ. Sie blieb wach. Dachte er an seine kleine Änneli, so tat das Herz ihm weh, und er sehnte sich nach einer Vereinigung mit ihr. Er fühlte nicht, daß das sinnliche Begehren dabei stärker wirkte als die Kraft der Seele, jedenfalls lag es nicht in seinem Bewußtsein. Es war der Trieb einer gesunden Natur nach dem Gesunden und Unverfälschten. Und das Empfinden dieses Ganzmenschlichen lenkte seinen Blick unwillkürlich weiter, über die Front der Tage hinaus in eine neue Zeit, da er Arm in Arm mit Annelene ein Grab im Park von Bärwalde besuchen konnte, um das Andenken einer toten Freundin zu grüßen ...

So keuchten seine Gedanken durcheinander und befehdeten sich voller Gewalttätigkeit, ohne zum Siege zu kommen. Am Sonnabend früh war jedenfalls sein Entschluß gefaßt. Der Termin lief ab, jetzt hieß es sich entscheiden.

Der Wagen hielt auf der Rampe, und als Diesberg einsteigen wollte, sah er Otten und winkte ihm.

»Halten Sie sich den Abend frei für mich, lieber Freund«, sagte er mit dem Versuch eines Lächelns. »Heute ist ein Tag kritischer Ordnung.«

»Weidmannsheil«, antwortete Otten und drückte ihm die Hand. Er blieb stehen und sah dem davonfahrenden Wagen nach und simulierte. Fräulein Lipsius –? Oho, und die kleine Komteß? – Kopfschüttelnd stieg er die Rampe hinab. Es war eine verrückte Welt.

*

– – In Berlin fuhr Erni zu einem weltbekannten Arzt, und da er zufällig etwas vor Beginn der festgesetzten Sprechstunde kam, so wurde er als Erster vorgelassen. Der berühmte Mann hatte nur flüchtig auf die ihm überbrachte Visitenkarte gesehen.

»Was steht zu Diensten, Herr Baron?«

»Ich will mich verheiraten, Herr Geheimrat,« erwiderte er, »und möchte mich daraufhin einmal auf meine Gesundheit untersuchen lassen.«

Der Geheimrat nickte. »Gern. Das ist vernünftig. Das sollten alle tun, die im Begriffe stehen, eine Familie zu gründen. Es sollte obligatorisch eingeführt werden. Bitte entkleiden Sie sich. Mir notwendig erscheinende Fragen werde ich erst nach der Untersuchung stellen.«

Die Untersuchung währte lange und war ungemein sorgfältig. »Sie sind der robusteste Mensch, den ich seit langem unter den Fingern gehabt habe«, erklärte der Arzt endlich. »Heiraten Sie in Gottes Namen. Haben Sie sich überhaupt je krank gefühlt?«

»Nie, Herr Geheimrat.«

»Und Sie wissen auch nicht, ob in Ihrer Familie sogenannte erbliche Krankheitsfälle vorgekommen sind, Rachitis, Krämpfe, Nervenleiden, Herzleiden?«

»Ich glaube nicht. Sicher nicht. Aber, Herr Geheimrat, gestatten Sie mir bei dieser Gelegenheit eine Frage. Eines guten Freundes wegen, der schwer herzleidend ist. Vererben sich Herzerkrankungen auf die Kinder?«

»Das kommt auf die Natur der Krankheit an ...« Der liebenswürdige Arzt erging sich in längeren wissenschaftlichen Erklärungen über die entwicklungsgeschichtlichen Möglichkeiten der Heredität wie auch über die verschiedenen Arten der angeborenen und erworbenen Herzleiden. Im allgemeinen verneinte er die gestellte Frage. »Aber,« fügte er hinzu, »andererseits ist es zweifellos, daß unter den zur Vererbung neigenden Krankheiten konstitutionelle Leiden, die lange auf den elterlichen Organismus eingewirkt haben, obenan stehen. Und so können natürlich auch Herzfehler der Eltern ihre unmittelbare Fortsetzung in den Kindern finden, die ihnen in solchen Fällen gewöhnlich schon in den ersten Lebensjahren erliegen. Ist Ihr Freund verheiratet?«

»Nein, Herr Geheimrat. Aber ich weiß, daß auch sein Vater nach längerem Leiden an einer Herzstörung verstorben ist.«

»Äh,« sagte der Professor, »dann soll er lieber die Heirat lassen. Es muß ja doch auch Junggesellen geben. Ich bin selbst einer und immer recht vergnügt dabei gewesen.«

Erni lachte, legte seinen Obolus auf den Tisch und verabschiedete sich. Es war draußen kalt, ein scharfer Ostwind fegte durch die Straßen. Diesberg schlug den Kragen seines Pelzrocks in die Höhe und drückte den Hut fester. So kämpfte er gegen den Wind. Er nahm keine Droschke, er ging zu Fuß. Er hatte es nicht eilig.


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