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V.

Regina trat ein. Sie war in Hut und Mantel. »Ich komme von einer Vorlesung bei der Gräfin Düren«, fuhr sie fort, dem Vater die Hand reichend. »Ein neuer Autor sollte eingeführt werden, ein Neoimpressionist. Er stieß mit der Zunge an und las durch die Nase. Also Herr von Diesberg war hier. Erzähle.«

Sie setzte sich an den großen Tisch. Lipsius ließ sich ihr gegenüber nieder. In die Steinkohlenfarbe seiner Augen trat ein ängstlich zögernder Ausdruck. Der Tochter gegenüber fühlte er sich immer etwas befangen.

»Ja,« antwortete er, »Diesberg kam her – er hatte schon gehört, daß mir Bärwalde zugeschlagen worden ist –«

»Ah, also doch«, fiel Regina freudig ein und lüftete ihren Schleier. In den matten Amaryllton ihrer Wangen mischte sich noch eine lebhaftere Blutfarbe von dem raschen Gange in freier Luft. Sie war dunkel wie der Vater, nur die Augen hatten eine helle Tönung, wie Seewasser, in das der Morgenschein fällt.

»Ja,« erwiderte Lipsius, »ich habe es gegen Herrn Simmens behalten können. Freilich glaube ich, daß ich es überzahlt habe. Ein Geschäft ist es nicht.«

»Soll es ja auch nicht sein. Nun weiter.«

»Diesberg wollte es mir wieder abpachten.«

»Sehr gut! Ganz meine Idee.«

»Aber nicht die meine. Regina, das wäre unmöglich. Ich muß doch ein wenig, ein wenig kaufmännisch denken. Die jammervolle Wirtschaft unter Diesberg kann nicht weitergehen.«

»Du sprachst von einem tüchtigen Administrator. Den könnte man ihm zur Seite geben.«

»Richtig. Diesberg hatte zunächst andere Pläne, seine alten Gestütspläne gemeinsam mit seinem Nachbarn Simmens.«

»Ich weiß. Seine Liebhaberei. Er ist ein glänzender Sportsmann.«

»Leider ein schlechter Rechner. Simmens ist ein guter Rechner, aber ein kaltblütiger Spekulant, der über Leichen geht. Seine Beteiligung paßt mir nicht. Diesberg ließ denn auch den Vorschlag fallen und wollte sich mit einer Stellung als Oberinspektor begnügen.«

»O – sieh da!« rief Regina, ihre Handschuhe abstreifend. »Soviel Vernunft hätte ich ihm gar nicht zugetraut. Aber er hängt an Bärwalde. Oberinspektor, eine bescheidene Stellung für den bisherigen Besitzer!«

»Doch auch eine, die er nicht ausfüllen kann. Liebe Regina, Bärwalde ist so heruntergewirtschaftet, daß da eine sehr kräftige und zugleich umsichtig schaffende Hand vonnöten ist. Das sagte ich Diesberg unumwunden und bot ihm daher an, zunächst – zunächst unter Herrn von Otten, dem neuen Verwalter, zu arbeiten.«

Regina überlegte. Sie stützte das Kinn in die schmale Hand, eine Hand so fein und sprechend geformt wie die des Vaters. »Ich verstehe das nicht ganz«, antwortete sie. »Diesberg sollte Untergebener des Verwalters sein, Unterinspektor, Beihilfe?«

Lipsius wurde verlegen. Von neuem zuckten die Schulterknochen. »Es war nicht so gesagt,« erwiderte er, »aber Diesberg wurde gleich heftig und hochfahrend und – brach die Verhandlung ab.«

Irgendein rasch einsetzender neuer Denkvorgang überschattete das Gesicht Reginas mit tiefem Ernst. »Brach die Verhandlung ab«, wiederholte sie. »Was heißt das?«

»Herrgott,« rief Lipsius, »er ließ mich kaum aussprechen, es paßte ihm schließlich alles nicht mehr, da ging er sans adieu davon! Sollt' ich ihm nachlaufen?«

Regina ballte ihre Handschuhe zusammen. »Also Bruch zwischen euch?« fragte sie.

»Ich wollte ihn nicht. Der junge Herr wird wiederkommen.«

»Das bezweifle ich ...« Sie zog im Sitzen ihren Mantel aus und ließ ihn hinter sich über die Stuhllehne fallen. Dabei sprach sie weiter, anscheinend gleichmütig, doch mit einem dunkleren Fall der Stimme: »Papa, ich bedauere, daß du so wenig auf meine Wünsche eingegangen bist.«

»Wie waren diese Wünsche?«

»Diesberg auf Bärwalde zu belassen.«

»Wollte ich. Er sollte auch das Wohnrecht im Schlosse behalten. Aber freie Hand in der Bewirtschaftung konnte ich ihm nicht geben. Ausgeschlossen. Später vielleicht, wenn ich erst sehe, daß man ihm Vertrauen schenken kann. Ist das so unverständig?«

»Nein. Es ist nur die Frage, wie du ihm das alles gesagt hast. Das Wie wird das Maßgebende gewesen sein. Ich kenne ja deine Art, du verzeihst mir. Du gehst immer im Angriff vor und wirst erbittert über jede Defensive. Du bist leicht verletzend, auch wenn du es nicht so meinst. Und Leute, die bitten müssen, haben ihre besondere Empfindlichkeit. Haben zuweilen auch einen knabenhaften Trotz – diese Menschen vom Schlage Diesbergs. Papa, ich bin sowieso deine Erbin: schenke mir Bärwalde.«

Lipsius fuhr auf. Ein kurzes gewolltes Lachen kam. »Um es ihm weiterzuschenken«, rief er.

»Das würde er nicht annehmen. Aber es könnte mir gelingen, ihm mehr Entgegenkommen zu zeigen als du. Damit wäre viel gewonnen.«

»Inwiefern gewonnen?«

»Er würde bleiben – und eins ist sicher: wenn er Bärwalde für uns verwaltet, würde sein Verantwortungsgefühl sich steigern. Eigener Besitz zerrinnt ihm zwischen den Fingern. Wenn er für Fremde arbeitet, wird es sein Stolz sein, zu zeigen, was er leisten kann.«

»Du setzest viel Gutes bei ihm voraus, Regina. Begreifst du, daß dein auffallend warmes Interesse für diesen Bankerotteur mich eigentümlich berührt?«

Regina senkte den Blick. In der glatten Mahagoniplatte des deckenlosen Tisches spiegelte sich ihr Gesicht. Sie sah den Niederschlag ihrer Augen und hob wieder in rascher Bewegung den Kopf, als wollte sie andeuten, daß sie keine Scham fürchte. Es flockte nun auch ein Widerschein wie von innerer Sonne, der Glanz eines beglückenden Gedankens, über den Schnitt ihrer Züge und ließ die herbe Regelmäßigkeit ihrer Schönheit weich und zärtlich-anmutsvoll erscheinen. Sie sagte:

»Ja, Papa, ich begreife das. Aber sieh, ich liebe diesen Mann.«

Das sprach sie ruhig und sanft, mit einem Unterton, der um Verständnis zu bitten schien. Und das war nötig, denn sie wußte, daß nun eine harte Auseinandersetzung kommen würde.

Doch der Vater achtete auf seine Gesundheit. Er wollte nicht heftig werden, weil sein Herz das nicht vertrug. Er vermied auch eine gallige Antwort, gespickt mit den kleinen Bosheiten seiner erzwungenen Aszese, weil ihm sehr wohl bekannt war, daß Regina derlei nur als »dialektisches Geräusch« zu betrachten pflegte. Er behielt anscheinend seine Gelassenheit und auch seine väterliche Würde bei, stützte sich stark auf die Armlehnen seines Sessels und entgegnete:

»Ein Geständnis, Regina, gut. Ich danke dir für die Ehrlichkeit. Aber du mußt mir als Vater zu deiner Herzenssache schon einige Fragen erlauben.«

»Bitte.«

»Hast du dich mit Herrn von Diesberg bereits aussprechen können?«

»Nein.«

»Bist du des Glaubens, daß er deine Neigung erwidert?«

»Nein.«

»Ist dir bekannt, daß man in seinen Kreisen davon spricht, Graf Pakisch auf Freilehningen betrachte ihn bereits als seinen Schwiegersohn?«

»Ich habe unter der Hand das Gegenteil gehört. Graf Pakisch wünscht keineswegs eine Verbindung seiner ältesten Tochter mit Herrn von Diesberg. Das Verhältnis der beiden, die Vetter und Cousine und in der Nachbarschaft miteinander aufgewachsen sind, soll zudem mehr ein harmloser Flirt als ein ernsthafterer Herzensbund sein.«

»Du bist gut orientiert. Vielleicht haben deine Quellen dich auch darüber aufgeklärt, daß Herr von Diesberg ein liederlicher Verwalter seines Eigentums, ein törichter Verschwender, ein Spieler und Frauenjäger ist.«

Reginas ebereschenrote Lippen umspielte ein aus phantastischer Vorstellung geborenes Lächeln.

»Das würde mich nicht stören«, antwortete sie.

Unwillkürlich schlossen die Finger des Vaters sich zu Fäusten zusammen. Er wollte auffahren, doch er atmete nur schwer und tief. Seine Stimme klang verändert, kam wie aus zugeschnürter Kehle, als er sagte: »Du bist mir unverständlich. Du weißt nicht einmal, ob der Mann dich wiederliebt.«

»Es genügt, daß ich ihn liebhabe.«

»Aber mein Gott, das ist unter den obwaltenden Verhältnissen doch eine aussichtslose Neigung, armes Kind!«

»Ich glaube nicht, Papa. Ich glaube, daß ich in Jahresfrist seine Frau sein werde.«

Lipsius schnellte mit dem Oberkörper aus dem Lederpolster des Sessels. Im Schwarz seiner Augen stiegen Funken auf. »Und ich?« rief er. »Habe ich – habe ich denn gar nichts zu dieser Verrücktheit einer hemmungslosen Mädchenseele zu sagen?«

Sie hob bittend die linke Hand. »Rege dich nicht auf, Papa. Wir plaudern nur miteinander. Wir tauschen unsre Ansichten aus. Und fragst du mich nach der meinen, so muß ich dir antworten, daß ich über mich und mein Schicksal allein zu bestimmen habe. Ich lebe mein eigenes Leben und trage die Verantwortung dafür in mir selbst.«

»Nein,« zürnte Lipsius, »ich bin auch noch da, ich bin der Vater, und die größere Verantwortung ruht auf mir! Und ich werde nicht dulden, daß du dich – im sinnlichen Rausche eines Augenblicks in dein Verderben stürzst!«

Bei diesen Worten stieg ein stärkerer Blutfluß in ihr Gesicht. »Ich verstehe, was du damit sagen willst«, entgegnete sie. »Du möchtest mir Niederes anhängen, rein Triebhaftes. Ja, Papa, ich müßte nicht eine gottlob gesunde Natur sein, wollte ich nicht auch ein frohes Begehren kennen. Aber unabhängig von der Leidenschaft ist mein sittliches Wollen – oder laß mich so sagen: es geht Schritt für Schritt mit meinem Gefühl. Ich habe die tiefinnere Überzeugung, daß ich für Diesberg glückbringend sein werde. Was du an ihm verurteilst, steigt nicht aus dem Inneren. Glaube mir, er ist ein sehr guter Mensch. Er braucht nur eine Frau, die ihm nicht allein Liebe zu geben vermag, sondern die auch klug genug sein muß, ihn durch ihre Liebe zu leiten.«

Der Geheimrat lachte kurz und heiser. Sein in krankhafte Mischfarben getauchtes Gesicht hatte den Ausdruck einer stilisierten Maske. »Phrase«, sagte er. Jetzt ging seine Stimme zum Angriff vor, und der Ton biß. »Aufgelesene Redensarten. Du eignest dich trefflich zur Erzieherin dieses Wüstlings. Du ihn leiten – ich fürchte, es wird umgekehrt kommen! Hätte ich schon früher gewußt, was du mir heute verraten hast, ich würde anders gehandelt haben, meine liebe Regina. Aber noch ist es ja nicht so weit, noch hast du ihn nicht gefangen, und ich werde dafür Sorge tragen, daß dir das nicht gelingt. Ich sagte dir vorhin, er wird wiederkommen. Laß es meine Sache sein, daß er dies Haus nicht mehr betritt. Aber ich stelle dir frei, ihm nachzulaufen. Dann würden auch wir beide geschiedene Leute sein.«

Nun kam der Anfall, den Regina gefürchtet hatte, als schon zwischen die ersten spitz herausgeschleuderten Worte verkürzte Atemzüge traten. Lipsius sank in den Stuhl zurück. Die bräunlichen Töne in seinem Gesicht hoben sich stärker ab, die blaugrünlichen verdämmerten. Die zitternde Rechte suchte unter dem Rock nach der Weste.

Regina sprang auf und stürzte zu ihm. Sie griff in seine Westentasche und zog ein schmales, kleines Fläschchen hervor, das sie an seine Lippen setzte. Dabei berührte ihr Mund küssend seine Stirn. –

*

– – Als Diesberg aus dem Hause trat, war der Herbstabend völlig über die Stadt gesunken. Erni schritt rasch die Straße hinab, ohne zu grübeln, ein leeres Gefühl im Hirn. Er wußte noch nicht, daß man ihm hier in ähnlicher Weise wie in Freilehningen die Schwelle zu verbieten gedachte, aber er wußte, daß nun Bärwalde auf immer für ihn verloren war.

Er ging an den weißverhängten, von innen hellerleuchteten Fenstern eines Weinrestaurants vorüber. Da meldete sich plötzlich sein Magen. Er hatte seit dem ersten Frühstück nichts genossen, er hatte Hunger. Ohne zu zögern, trat er in das Lokal, ließ sich die Speisekarte geben und bestellte eine Flasche Champagner. Dann steckte er sich noch eine Zigarette an, streckte die Beine und versank in Nachdenken.

Verflucht, verflucht! Was war nun zu machen? Vom Hinterschädel an ging ein prickelndes Empfinden über seine Kopfhaut. Verkaufen, sagte er sich, was noch zu verkaufen ist, dann einpacken und nach Amerika auswandern, um Cowboy zu werden. Dazu langte es gerade.

Der Kellner brachte den Sekt, hastig leerte Diesberg das erste Glas und versuchte seine Gedanken zu gliedern. Bei einem Glase Schaumwein gelang ihm das immer am besten. An den Geheimrat dachte er grollend zurück, doch ohne Wut. Die war verschwirrt. Er sah das Gesicht des grimmigen Alten wieder vor sich, und unwillkürlich züngelte ein Lächeln um seinen Mund. Ein Gesicht wie eine japanische Maskenschnitzerei. Und der Mann hatte Gift in den Adern, das er verspritzen mußte, der Mann war auch ein Banause, der Mann mochte ein berühmter Anwalt sein, war aber ein kleinlicher Mensch. Wohnrecht im Schlosse hatte er ihm gnädigst bewilligt – als Unterbeamtem seines Verwalters, der ihn nach Gefallen schurigeln konnte. Vielleicht kam auch der Herr Geheimrat mit der gnädigsten Tochter einmal nach Bärwalde, und der Besitzer von vorgestern konnte dann zum Empfange bereitstehen ... Ja, dies Fräulein Tochter. Das war also gleichfalls eine Täuschung gewesen. Hätte sie wirklich etwas für ihn übriggehabt, dann würde sie den Herrn Vater ... aber es lohnte sich nicht, über die Leute sich noch den Kopf zu zerbrechen, die Geschichte war aus, und auch die fünfzigmal wiederholte Frage: warum hat Lipsius Bärwalde gekauft? fand ihre Lösung. Das Gut war einfach Spekulationsobjekt für ihn. Ex est cantus – – und wie nun weiter?«

Der Kellner servierte den Hummer, und Diesberg speiste mit gutem Appetit. Bärwalde war also verloren. Natürlich durch seine Schuld – er hatte gewaltige Dummheiten gemacht und mußte Reugeld bezahlen. Das ließ sich nicht ändern. Aber ganz verzweifelt stand die Situation doch noch nicht. Zahlenreihen gingen durch seinen Kopf. Im Grunde genommen war augenblicklich Geheimrat Lipsius sein Schuldner, nicht mehr sein Gläubiger. Denn er mußte den Betrag für Bärwalde auszahlen, und da verblieb für den Vertriebenen noch immer eine recht hübsche Summe, die es ihm ohne weiteres ermöglichte, sich mit den Manichäern auseinanderzusetzen. Schön. Dann kam Simmens an die Reihe. Der hatte noch ein Paar Pferde von ihm, aber es war die Frage, ob Lipsius nicht behaupten würde, die Gäule gehörten mit zum lebenden Inventar von Bärwalde. Auch die Verrechnung mit Simmens hatte seine Schwierigkeiten. Das Kontokorrent mit ihm beschränkte sich auf flüchtige Eintragungen in dem Notizbuch. Indessen Simmens war ein ehrlicher Freund, und mit seiner Hilfe hoffte Erni sich eine neue Zukunft aufzuzimmern. Man konnte zusammenbleiben und das Gestüt in Burgersroda weiterführen. Der Verkauf der Bärwalder Schloßeinrichtung, die ja persönliches Eigentum war, mußte unbedingt einige hunderttausend Mark bringen, und die wurden natürlich in das Gestüt gesteckt ... Diesberg leerte schluckweise sein Glas. Er dehnte die Grenzen seiner Phantasie, er sah wieder rosiger in das Leben. Er konnte vorläufig bei Simmens auf dem Schloßvorwerke wohnen, und wenn das Gestüt sich entwickelte und alles gut ging, traf er mit Simmens ein Abkommen, kaufte oder pachtete das Vorwerksschlößchen, richtete sich da behaglich ein und heiratete die Annelene ...

Nun brachte der Kellner das Fleischgericht. Während Erni weiterspeiste, wohnte er schon im Schloßvorwerk. Das war ein kleiner Rokokopavillon, den ein früherer Besitzer von Burgersroda, ein Graf Tessin, für seine verwitwete Schwiegermutter hatte erbauen lassen, reizend gelegen, etwas verwahrlost, aber leicht wieder auf anständigen Fuß zu bringen. Und da schwankte Diesberg denn doch, ob es zweckmäßig sein würde, das Mobiliar in Bärwalde schlankweg zu verkaufen. Nein, zuerst mußte das Vorwerksschlößchen hübsch und geschmackvoll eingerichtet werden; doch das enthielt nur vier oder fünf Räumlichkeiten, es blieb also noch genug übrig, was man verkloppen konnte. Bärwalde war ja vollgestopft mit allerhand Antiquitäten! –

Erni sah nach der Uhr. Er hatte noch Zeit, einen Schluck Kaffee und einen Kognak zu trinken, dann zahlte er und machte sich langsam auf den Weg zum Bahnhof. Er ging wieder zu Fuß, fand noch ein Juweliergeschäft offen und sah im Schaufenster einen schmalen goldenen Armreifen mit einem Herzchen als Anhängsel, den er für Annelene kaufte. Sie sollte wissen, daß er an sie gedacht hatte.

Im Coupé drückte er sich in eine Ecke und schlief ruhig und sorgenlos. Auf der Station wartete bereits Strygowski mit der schönen Rosa und fuhr ihn in raschem Tempo durch dickgeballte herbstliche Nebelschwaden nach Bärwalde zurück. Gerrlich und die Mamsell standen am erleuchteten Portal, die Mamsell hatte auch Abendbrot vorbereitet, doch Erni dankte für alles und schickte die Leute zu Bett. An ihren Mienen sah er, daß die Nachricht von dem Verkauf Bärwaldes schon durch die Luft geflogen war, daß man Bescheid wußte.

Zunächst versuchte er noch eine telephonische Verbindung mit Freilehningen zu erreichen. Es gelang, der Wassergraf meldete sich auf der anderen Seite.

»Guten Abend, Onkel Malte«, rief Erni. »Ich will nur kurz berichten. Der Herr Geheimrat hat einen so flegelhaften Ton angeschlagen, daß ich auf weitere Verhandlungen mit ihm verzichten mußte. Ich will morgen zu Simmens und mache bei dir auf ein Viertelstündchen halt, um dir noch Näheres zu erzählen.«

»Also nichts mit Lipsius,« nölte Pakisch in das Telephon, »also alles perdü?«

»Bärwalde ist perdü,« gab Erni verärgert zurück, »aber meine Wenigkeit ist noch da und quietschlebendig und wird sich erlauben, dir neue Vorschläge zu unterbreiten.«

»Na, da bin ich begierig«, sagte der Wassergraf. Dann mußte er das Sprechrohr abgehängt haben, denn Erni hörte nichts mehr von ihm. Er steckte sich noch eine Beruhigungszigarre an, nahm einen Band von Sybels Deutscher Geschichte zur Hand und setzte sich vor den Kamin. Für Feuer hatte Gerrlich gesorgt.

*

Beim Frühstück am nächsten Morgen erschien Isenau mit den Büchern. In seinem verquollenen Gesicht glimmten die roten Augen. Aber er hatte den Mund wehmütig verzogen und schnaufte durch die Nase, als ob er das Heulen zurückhalten wollte.

»Es ist alles in Ordnung, Herr Oberleutnant – Herr Baron, wollte ich sagen. Die Leute sind ausbezahlt, und auch der künstliche Dung ist bestellt. Bloß wenn er nicht bald kommt, ist es zu spät für diesmal.«

»Das ist Sache des neuen Herrn«, erwiderte Diesberg.

Isenau machte eine erschreckte Bewegung. »Es soll ja ein Herr aus Berlin sein«, sagte er. »Da werd' ich wohl packen können.«

»Das können Sie auf alle Fälle, Isenau. Je schneller Sie sich drücken, um so besser für Sie. Aber nehmen Sie nur das mit, was Ihnen gehört. Strygowski soll vorfahren. Adieu.«

Es war noch immer Nebelwetter. Die Krähen hatten nasses Gefieder und hüpften schwerfällig über die Felder. Durch die Luft ging ein leichtes klingendes Tropfen. Bei der Einfahrt in den Park von Freilehningen sah Erni die jüngsten vier Komtessen. Sie kamen trotz der Kälte aus dem Badehaus am Flusse, hatten blaurote Gesichter und schwenkten jubelnd ihre Frottiertücher.

Der Wassergraf war in den Ställen und mußte erst geholt werden. Erni traf im Schlosse Fräulein von Hübner und fragte nach Annelene.

»Stubenarrest«, antwortete die Hübner in bedauerndem Tone.

»Hörrjö, warum denn?!« rief Erni.

»Ich weiß es nicht, Herr von Diesberg. Der Herr Graf hat befohlen, daß sie auf ihrem Zimmer bleibt.«

Da schob sich Pakisch in seinem Schiefschritt in das Gartenzimmer. Er sah verrückt aus. Er trug seine Flauschjoppe, aber darunter anscheinend nichts, denn ein Stück der Brust war nackt und ebenso der lange Hals mit dem knochigen Adamsapfel. Auf dem Kopf saß eine uralte farblose Mütze, weit in den Nacken geschoben, die Beine steckten in grauen Hosen aus dickem Stoff, die oberhalb der Knöchel mit Bindfaden zusammengeschnürt waren. Er ging barfuß, und die Füße waren im Hof und in den Ställen sehr schmutzig geworden.

»Guten Morgen, Ernst«, sagte er und reichte Diesberg den rechten Zeigefinger. »Geh immer in mein Zimmer, ich will mich bloß säubern.«

Die Säuberung betraf nur die Füße. In seinem Schlafgemach stand schon die Wanne mit eiskaltem Wasser. Dann legte er seine Sandalen an und begab sich in sein Arbeitszimmer, durch dessen offene Fenster jeder Windstoß den Nebel wehte. Aber Diesberg war es gleichgültig, er hatte sich bereits unterwegs den Schnupfen geholt, eine im Gutsbezirk von Freilehningen unbekannte Krankheit.

Nun sollte er berichten und tat es und knüpfte an die mit realistischem Humor vorgetragene Schilderung seiner Niederlage bei Lipsius auch gleich mit sieghafter Hoffnungsgebärde die Aussichten, die ihm für die Zukunft vorschwebten. Aber er hatte damit wenig Glück bei dem alten Grafen, der ihm schweigend und mit ziemlich finsterer Miene zuhörte und nun in seinem gewöhnlichen langweiligen Nörgelton sagte:

»Ich kann nicht beurteilen, ob du dich bei Lipsius leidlich verständig oder ungewöhnlich dämlich benommen hast. Aber mir scheint doch mehr das letztere der Fall gewesen zu sein, denn ganz gewiß steckte hinter seinem Anerbieten einer Lehrzeit ein gesunder und für dich günstiger Gedanke. Der Mann hat einfach zunächst sehen wollen, wie du dich weiter entwickeln wirst. Du hast ihm Versprechungen gegeben, wie du sie mir gemacht hast – aber das kann jeder. Lipsius hat eine Beweisführung verlangt, und ich kann ihm darin nur recht geben. Hättest du seinen Vorschlag angenommen und dich bewährt, mir scheint, da wäre es gar nicht so ausgeschlossen gewesen, daß er dir später allein die Verwaltung von Bärwalde übertragen hätte. Darauf deutet auch schon seine Geneigtheit hin, dich im Schlosse wohnen zu lassen. Er hat augenscheinlich gar nicht die Absicht, sich selbst in Bärwalde festzusetzen ... ich kann mir nicht helfen, ich habe immer noch die Idee, daß er es in Erinnerung an deinen Vater quasi für dich gekauft hat, daß er sich aber erst einmal davon überzeugen wollte, ob du nun wirklich gesonnen bist, das alte Lotterleben aufzugeben. Das kann ich ihm keinen Augenblick verdenken. Ich glaube, du hast die Situation gehörig verbubanzt. Vielleicht hätte dir Lipsius Bärwalde testamentarisch vermacht, wer kann es wissen!«

»Wenn du bei meiner Unterredung mit dem Geheimrat Zeuge gewesen wärst,« erwiderte Erni, »würdest du jedenfalls andrer Ansicht sein. Schließlich packte er mich an meiner Ehre – und da hab' ich mich denn empfohlen, um nicht noch gröber zu werden als er.«

»Na, nu sieh nur zu, was von deiner Ehre übrigbleibt«, quarrte der Graf. »Bei Simmens wird sie ja gut aufgehoben sein.«

»Kannst du ihm etwas Unehrenhaftes nachsagen, Onkel Malte?«

»Hab' ich gar nicht getan. Er ist mir bloß zu merkantil veranlagt. In dieser Beziehung könntest du freilich ein bißchen von ihm lernen. Das wird ja auch geschehen, wenn ihr euch erst als Pferdeschmeißer etabliert habt.«

Diesberg griff nach seinem Hut. »Darf ich Annelene begrüßen?« fragte er.

»Nein, mein Junge, die bleibt auf ihrem Zimmer. Der möchte ich nun endlich mal diese ganz unnötigen Aufregungen ersparen, und deshalb habe ich ihr gestern abend – als du weg warst, hatten wir noch ein kleines Pourparler – habe ich ihr erklärt, daß ich die Verlobung unter allen Umständen erst nach zweijähriger Bedenkzeit zugeben werde. Richte auch du dich danach, wenn ich geneigtest bitten darf.«

»Und so lange soll ich Änneli überhaupt nicht sehen?« rief Diesberg empört.

»Das wird von dir selbst abhängen, lieber Sohn. Ich stehe auf dem Standpunkt des Geheimrats Lipsius, ich bin durchaus seiner Ansicht, daß du gewissermaßen zur Arbeit genötigt werden mußt. Ein Zwang muß hinter dir her sein, anders geht es nicht. Du hast noch Zeit vor dir, und Annelene hat es erst recht nicht eilig. Merke ich, daß du auf dem Wege bist, ein tüchtiger Kerl zu werden, so sollst du mir wieder willkommen sein. Das fasse ganz freundschaftlich auf, ich stehe dir durchaus nicht feindlich gegenüber, im Gegenteil, ich habe dich lieb, du bist auch vom Blute der Pakisch, und wenn ich dir irgendwie einmal helfen und nützen kann, es soll gern geschehen, gern. Aber über meine Brut bin ich Wächter. Das Getändel mit der Änneli ist so ernst geworden, daß ich einschreiten muß. Ich sage nicht, daß ich sie dir verwehre. Ich sage: hol' sie dir, doch erst, mein Junge, wenn du ihrer wert geworden bist.«

Diesberg neigte den Kopf und drückte stumm die Hand des Grafen. Er wollte gehen, jedes weitere Wort war unnütz. Aber er hatte noch den Armreif für Annelene in der Tasche, den zog er nun hervor.

»Ein Abschiedsgeschenk für Änneli, Onkel Malte«, sagte er. »Gib es ihr, sie soll an mich denken, wenn sie es trägt.«

Pakisch öffnete das Etui. »Torheit«, antwortete er. »Das bist du, wie du im Buche stehst. Hast eben eine Million verloren und kaufst nutzloses Geschmeide ...« Er klappte das Etui wieder zu ... »Ich werde das Armband einschließen. Es soll dein Verlobungsgeschenk sein – wenn es so weit ist ...«

Nun fuhr Diesberg weiter durch leise rieselnden Regen und fühlte, daß das Herz ihm doch verdammt schwer in der Brust hing. Nicht nur Bärwalde war futsch, auch seine kleine Annelene entzog man ihm und setzte ihn auf Wartezeit. Arbeiten sollte er lernen – Teufel, war er denn bisher ein Faulpelz, war er wirklich ein Müßiggänger gewesen? Er sträubte sich dagegen, das war zum Donnerwetter nicht wahr! Als der Vater gestorben war, hatte er sich kopfüber in die Landwirtschaft gestürzt – keine leichte Tätigkeit für den bisherigen Dragoneroffizier, aber er lernte den Rummel, er war in aller Frühe auf den Beinen und rackerte über die Felder, und in dieser ersten Zeit hatte er auch Glück gehabt, er konnte mit den Ernten zufrieden sein, er konnte seine Zinsen bezahlen. Freilich, der eine Vorwurf war nicht zu umgehen: als er sich passionierter dem Sportlichen zuwandte, blieb die Landwirtschaft liegen. Man kann nicht so recht zweien Herren dienen – oder man muß sich auf Teilung der Arbeit verstehen, ein Kunststück, das nicht jeder fertig bringt. Immerhin, faul war er auch damals nicht gewesen – das Zureiten der Gäule nahm allein schon gehörig seine Zeit in Anspruch, und als er dann mit der Zucht begann, hatte er alle Hände voll zu tun. Hatte auch Pech – und natürlich, das »Nebenbei des Rennplatzes«, wie Geheimrat Lipsius sich ausdrückte, das sprach ja auch mit ... leichtsinnig war er schon gewesen, aber kein Müßiggänger ...

Es war ein schwacher Trost, den er sich selbst zurief. Es war überhaupt kein Trost. Seine Zigarre kohlte in der Nieselluft. Er saß zusammengedrückt, den Kragen seines Gummimantels über die Ohren geschlagen, den lockeren Hutrand tief in die Stirn gewulstet, auf dem Wagen und ließ Strygowski fahren. Es dämmerte wieder die Lust in ihm auf, den ganzen Krempel liegen zu lassen und auszuwandern. Ein alter Kamerad, auch dermaleinst ein leichtsinniger Hund, hatte sich in Argentinien eine Estanzia gekauft, und es ging ihm gut. Er lockte in seinen Briefen. Da saß man in der Wildnis, aber war doch ein freier Mann und brauchte sich nicht von Hinz und Kunz belehren und Grobheiten sagen zu lassen. Annelene würde sich schon trösten. Zwei Jahre lang sollte er sie überhaupt nicht sehen – Zeit genug zum Vergessen ...

»Hallo, wer da!« rief eine Stimme. Aus dem Nebel wuchs ein Reitersmann. Simmens galoppierte heran, die Hufe des dicken Braunen klatschten auf der feuchten Erde, der Schmutz spritzte. Über den gelben Waterproof rann Helles Wasser.

» How do you do, Erni, das ist ein Schweinewetter, willst du zu mir?«

»Ja, Edward, wir haben doch noch mancherlei zu besprechen.«

»Natürlich. Ist deine Sache all right

»Nee, im Gegenteil, gar nicht.«

»Ich reite voran und braue uns einen Grog ...« Es klatschte wieder und spritzte. Diesberg wischte sich einen Schmutzer aus dem Gesicht. Er brummte ...

Nun saß er mit Simmens in der sogenannten Kajüte des Herrenhauses von Burgersroda, einem gemütlichen kleinen Zimmer, das ganz wie eine Schiffskabine eingerichtet war. Gläser und Whisky standen auf dem Tische, im silbernen Kessel unter der Spiritusflamme sang das Wasser. Simmens hatte seine kleine Stummelpfeife zwischen den Zähnen, Diesberg kaute an einer dicken Upmann. Sie schmeckte ihm nicht, er war bestürzt und verärgert über die Art, wie der Burgersrodaer seine Mitteilungen aufnahm.

»So geht das nicht, wie du dir das denkst«, sagte Simmens. »Ich hatte mit Sicherheit auf Bärwalde gerechnet, und schließlich hoffte ich noch auf einen Ausgleich mit diesem Untier, dem Lipsius. Daraus ist nichts geworden, und wir sind die Reingefallenen. Ohne deine Wiesen ist an eine wirksame Fortführung des Gestüts nicht zu denken, jedenfalls an keine Vergrößerung. Ich werde natürlich meinen Stall nicht aufgeben, will ihn aber verkleinern. Nun habe ich noch die drei Gäule von dir in Pension. Da müssen wir uns erst mal auseinandersetzen. Einen Augenblick, ich hole die Bücher.«

Er wollte sich erheben, doch Diesberg hielt ihn am Arm fest.

»Laß heute die Rechnerei,« bat er, »ich habe nicht den Kopf danach. Also die Gestütsfrage ist erledigt?«

»Notgedrungen. Für den Stall behalte ich noch Cullon als Trainer und Stone für die Jockeirennen.«

»Und für die Herrenreiten?«

»Ich denke, da wirst du mir treu bleiben, old boy

»Ich denke nicht so. Früher war das etwas anderes. Da machten wir gemeinsame Sache. So etwas schwebte mir wieder vor. Aber ich merke, du zuppst zurück. Mir lag an einer Befestigung des Stalles, bei dir gehen die Tiere hin und her.«

»Falls ich auf diese Weise ein Geschäft machen kann, of course

»Diese Weise paßt mir eben nicht mehr. Wenn ich einen Gaul so eingeritten habe, daß er mir im Sattel die besten Chancen bietet, will ich ihn auch nicht wieder verlieren, weil es dir plötzlich einfällt, ihn zu verkaufen. Ich denke anders über die Tendenzen des Rennwesens.«

Mister Edward blies eine dicke Rauchwolke aus seiner Pfeife. »Du bist von gestern zu heute verflucht moralisch geworden«, antwortete er. »Übrigens hat sich mir Reitzenstein schon vor Wochen angeboten, auch Kronau, als ich seine Tuberose kaufte. Warum bist du so ausfallend? Ich weiß wahrhaftig nicht, was du willst. Du kannst doch mir keine Vorwürfe machen, daß dieser ekelhafte Geheimrat Bärwalde partout hat an sich bringen wollen. Ich bin mitgegangen, soweit ich es verantworten konnte. Frage den Wassergrafen. Na, und nun biete ich dir an, es bei dem alten kameradschaftlichen Verhältnis zu belassen. Du bist doch bisher mit deinen Gewinnritten auf meinen Gäulen zufrieden gewesen. Selbstverständlich stelle ich dir auch das Schloßvorwerk zur Verfügung, wenigstens ein paar Zimmer, die werden dir ja vorläufig genügen.«

»Natürlich genügen sie mir,« rief Diesberg erregt, »ich kann in einem Schuppen wohnen, wenn es darauf ankommt, das schiert mich nicht! Aber es handelt sich um etwas anderes. Ich muß mir eine neue Existenz zimmern. Drüben in Freilehningen wartet ein liebes Mädel auf mich. Die gemeinsame Gestütsgründung hätte Grundlagen für den Wiederaufbau schaffen können. Alles war verabredet, aber nun schnappst du. Daß die Bärwalder Wiesen eine Notwendigkeit sein sollen, ist eine plundrige Ausrede. Wir können uns unten am Fluß neue Wiesen anlegen. Du willst nicht mehr. Als Reiter möchtest du mich behalten, Seite an Seite mit deinem Jockei – dafür danke aber ich wieder, das ist nicht die Zukunft, die ich mir wünsche.«

Simmens quirlte mit dem Löffel in seinem Glase. »Mit dir ist nicht zu streiten«, erwiderte er. »Ich habe dir von vornherein erklärt, daß ich ohne Bärwalde mich auf eine Zucht in größerem Stile nicht einlasse. Dabei bleibe ich. Erni, nimm mir's nicht übel, du bist ein Narr. Pakisch hat dich an die Luft gesetzt, aber in Freilehningen hängt dein Herz noch fest. Wenn man gezwungen ist, alle Brücken hinter sich abzubrechen, räumt man auch mit unnötigen Sentiments auf. Du kannst verdammt bessere Partien machen als das Barfüßele da drüben. Mein lieber Bursche, du hast die Wahl: Amerika, die Kugel oder eine reiche Frau. Ich würde mich an deiner Stelle für das letztere entscheiden. Kapital verbleibt dir ja noch, verkaufe deinen Schloßplunder und gehe auf Reisen. In Sankt Moritz erwartet man vielleicht dich schon.«

»Danke schön für den guten Rat«, sagte Diesberg und erhob sich. Bei strömendem Regen fuhr er nach Bärwalde zurück. Am nächsten Morgen mußte er im Bett bleiben. Gerrlich telephonierte gegen den Willen seines Herrn an den Kreisarzt, der einen Luftröhrenkatarrh konstatierte und weitere Bettruhe in Verbindung mit feuchten Umschlägen verordnete. Nun hatte Erni genügend Zeit, über seine Lage nachzudenken. Mit Simmens war er fertig. Der war kein Helfer in der Not, sondern ein kühler Geschäftsmann. Er konnte sich Reitzenstein für seine Gäule heranholen oder den kleinen Kronau.

Diesberg ließ sich Schreibzeug und Briefpapier an das Bett bringen und schrieb an Simmens, er möge ihm seine Abrechnung schicken. Aus den paar Bleistiftnotizen in seinem Taschenbuch wurde er nicht klug. Die sehr höflich gehaltene Antwort traf umgehend ein. Danach schuldete er Simmens rund einundzwanzigtausend Mark. Die Aufstellung war eine ganz genaue, auch der Pensionspreis für die drei Pferde in Ansatz gebracht. Doch bot ihm Simmens den Ankauf der Gäule für siebzigtausend Mark an. Diesberg lachte. Lieber verschenkte er sie, ehe er sie dem Burgersrodaer ließ.

*

An dem Tage, da er zum erstenmal wieder aufstehen durfte, wurde ihm Herr von Otten gemeldet. Das war der neue Verwalter, jetzt ging die Geschichte im Galopp. Diesberg empfing ihn im alten Arbeitszimmer seines Vaters. Er wollte sehr kühl und förmlich sein, aber Auftreten und Erscheinung des Mannes war so, daß er sofort eine sympathische Regung spürte. Auf einem hünenhaften Körper saß ein Kopf von aristokratischer Prägung mit einem höchst eindrucksvollen, besonnenen, wohlmeinenden Gesicht, energisch, fast heroisch im Schnitt der Züge, doch mit einem liebenswürdigen Lächeln um den Mund.

»Verzeihung, Herr von Diesberg,« sagte er, »ich höre vom Diener, daß Sie krank gewesen sind. Wenn ich heute störe, spreche ich ein andermal vor.«

»Sie stören nicht, Herr von Otten, es war nur eine leichte Erkältung, die mich ein paar Tage an das Bett fesselte. Hat man Ihnen denn einen Wagen an die Station geschickt?«

»Ich habe mir da selbst einen Bauernwagen genommen, ich bin ja eigentlich noch nicht zuständig, denn die Auflassung ist noch nicht erfolgt. Aber Fräulein Lipsius war der Ansicht, daß ich Ihnen in dieser Zeit des Übergangs vielleicht dienlich sein könnte, und so hielt ich mich nicht weiter an die Formalität.«

Diesberg wurde fast ein wenig verlegen. Er bot Herrn von Otten einen Stuhl an und erwiderte: »Selbstverständlich, daß diese Formalitäten bei mir ebensowenig mitsprechen. Ich betrachte mich nicht mehr als den Besitzer von Bärwalde, wenn auch die Auflassung an den neuen Herrn noch nicht stattgefunden hat.«

»Sie wird aufgeschoben werden müssen, da Geheimrat Lipsius unpäßlich ist. Jedenfalls hat sein Fräulein Tochter mich ausdrücklich beauftragt, Sie zu bitten, das Schloß nach wie vor als Ihr Eigentum zu betrachten, da es zu andern Wohnzwecken doch nicht benutzt werden soll. Und wenn ich Ihnen im übrigen irgendwie hilfreich oder nützlich sein kann, so bitte ich nur über mich zu verfügen. Ich bin in ähnlichen Verhältnissen wie die Ihren sozusagen groß geworden, verstehe mich auf die Behandlung von Gläubigern arischer und semitischer Abkunft und habe in Chile sogar einmal den Abgesandten eines römisch-katholischen Bischofs verprügeln müssen, weil er bei meiner damaligen Wirtschafterin den Seelenfang allzu realistisch betrieb.«

Herr von Otten sagte dies alles wie beiläufig, aber der etwas kratzige Humor seiner Äußerungen wirkte auf Diesberg erheiternd.

»Sie waren in Südamerika?« fragte er.

»Ja. Mein Vater besaß eine Herrschaft in Ostpreußen und ging dort koppheister. Weniger durch eigene Schuld als durch betrügerische Manipulationen eines sogenannten Freundes. Damals war ich erst neunzehn Jahr, lernte aber die Schlechtigkeit der Menschen bereits zur Genüge kennen. Das ekelte mich an, und so wanderte ich denn aus.«

»Ich trage mich mit ähnlichen Absichten«, sagte Diesberg, und sofort fiel Herr von Otten ein:

»Bei Ihnen liegt doch noch alles anders, Baron Diesberg. Soweit ich die Sachlage überschauen kann, ist es die Absicht des Geheimrats Lipsius, Ihnen keinerlei Schwierigkeiten zu bereiten – im Gegenteil, sie Ihnen nach Möglichkeit aus dem Wege zu räumen. Er würde es gern sehen, wenn Sie hierblieben, wenn Sie auch mittätig sein wollten in der Betreuung des Guts. Wobei ich hinzufügen möchte, daß für mich selbst das natürlich ungemein erfreulich sein würde, ich bin ein alter Praktikus und gewissermaßen Spezialität in der Aufwirtschaftung devastierter Besitzungen – verzeihen Sie die Offenherzigkeit –, aber ich kenne hier Land und Leute noch nicht und würde es sehr dankbar begrüßen, wenn Sie, sagen wir, mich einführen wollten. Daß wir uns bei gemeinsamer Tätigkeit gut vertragen würden, dafür glaube ich bürgen zu können.«

Erni unterdrückte ein Lächeln. Jetzt spricht Dame Regina, sagte er sich. Sie möchte sich doch noch als guter Engel bewähren. Sie hat mit ihrem Vater ein Palaver gehabt, sie hat diesen Herrn von Otten bearbeitet, sie will mich zurückführen zur reinen Tugend und auf die Wege des Guten. Alle Welt will mich »Arbeit lehren«.

»Der Geheimrat selbst schlug mir Ähnliches vor«, antwortete er. »Aber sein Stimmklang war mir zu unmusikalisch. Sie kennen den Herrn?«

»Ich habe ihn nie gesprochen und nie gesehen. Mein Engagement erfolgte durch den Rechtsanwalt Detmold, mit dem ich weitläufig verwandt bin. Er hat mir auch die nötigen Aufklärungen gegeben und als Vertreter des Geheimrats Lipsius eine Bescheinigung zu meiner Legitimierung, die ich Ihnen vorlegen möchte.«

Er zog seine Brieftasche und öffnete sie. Doch Diesberg verwahrte sich dagegen. »Ist nicht nötig,« sagte er, »ich bitte Sie, lassen Sie stecken, Herr von Otten; für die nächste Zeit bin ich allerdings gezwungen, noch hierzubleiben, und da bin ich denn natürlich auch gern bereit, Ihnen nach Möglichkeit zur Hand zu gehen. Es ist vieles vernachlässigt worden, es muß manches geändert werden.«

»Dazu wurde ich genötigt, wohin ich kam. Es ist mir auch immer eine besondere Freude. Je verwahrloster der Besitz ist, auf dem ich Ordnung schaffen soll, um so lieber ist es mir. Dann kann ich vom Fundament aus anfangen.«

»Das Fundament ist das Wackligste«, entgegnete Diesberg. »Seine letzte Stütze war eine brüchige Säule ...« Er klingelte und befahl Gerrlich, Isenau zu rufen.

»Isenau ist schon vor drei Tagen ausgerückt«, meldete Gerrlich.

Diesberg fluchte, und Herr von Otten lachte. »War Isenau der Inspektor?« fragte er.

»Ja – ein versoffener Satansbraten.«

»Seien Sie froh, daß er fort ist. Ich soll seine Wohnung übernehmen.«

»Das geht nicht so schnell. Ich muß mich erst umtun, wie es da aussieht. Gerrlich, die Mamsell soll für Herrn von Otten das gelbe Fremdenzimmer herrichten. Herr von Otten nimmt auch mit mir die gemeinsamen Mahlzeiten ein. Gib mir vom Schreibtisch die Bücher des Inspektors. Dann kannst du wieder gehen ... Herr von Otten, wenn es Ihnen recht ist, gehen wir nun einmal die Rechnungsbücher, die Inventarlisten, die Leutejournale durch und was da noch vorliegt. Ich gebe Ihnen zu den einzelnen Punkten die nötigen Erklärungen. Nachher können wir durch die Ställe gehen. Viel ist da freilich nicht mehr zu sehen.«

»Wir werden sie wieder auffüllen.«

»Reparaturen sind überall nötig. Nur die Paddocks sind neu. Dabei eine Frage. Ich hatte es aus Liebhaberei mit einer kleinen Gestütsanlage versucht, beim drohenden Zusammenbruch aber die letzten Zuchtpferde – es sind noch drei – bei einem Nachbar untergebracht. Gelten diese Gäule als mein persönliches Eigentum oder zählen Sie die mit zum Inventar des Guts?«

Herr von Otten schob den Kopf ein wenig zur Seite. Er hatte sehr hübsche stahlfarbene Augen, die manches zu verbergen wußten, jedenfalls nicht immer gleich alle Seelenhintergründe entschleierten. Jetzt aber trugen sie sichtlich den Ausdruck heiterer Verschmitztheit.

»Da ich den Auftrag habe,« entgegnete er, »Ihnen in jeder Weise entgegenzukommen, so möchte ich Ihnen die Entscheidung überlassen. Ich übernehme Ihre Vierbeiner auch gern zu einem zivilen Preise – die Paddocks sind ja doch einmal angelegt, und Pferdezucht in vernünftigen Grenzen rentiert sich immer.«

»Das ist auch meine Ansicht, aber der Geheimrat will nichts davon wissen.«

»Ist mir unbekannt. Ich habe zudem völlig freie Hand in allen Bewirtschaftungsfragen. Nur unter dieser Bedingung habe ich die Stellung akzeptiert. Also, Herr von Diesberg, nun wollen wir uns einmal mit Ihren Büchern beschäftigen. Zunächst die Inventarverzeichnisse, wenn ich bitten darf ...«

Am Mittagstische saßen sich die beiden gegenüber. Der Keller Diesbergs war noch gut gefüllt. Rubinfarbiger Haut-Brion leuchtete in den Gläsern.

»Auf Ihr Wohl, Herr von Otten«, sagte Diesberg. »Vorläufig kann ich Sie ja noch als Gast begrüßen. Oder nein – wir sind Gäste des Geheimrats Lipsius, so ist es. Gleichviel. Jedenfalls freue ich mich, daß er Sie zu der Verwaltung bestallt hat. Bärwalde liegt nun in guten Händen.«

»Es fällt Ihnen sehr schwer, es fortgeben zu müssen, nicht wahr?«

»Ich dachte rascher darüber hinwegzukommen. Aber es ist die alte Heimat. Vielleicht vergesse ich das schneller, wenn ich erst transatlantisch geworden bin.«

»Lieber Herr von Diesberg, lassen Sie doch Ihre argentinischen Pläne. Ich erzähle Ihnen gelegentlich, wie es mir in Chile ergangen ist. Das Leben da unten ist ein beständiger Faustkampf. Bleiben Sie ruhig auf der väterlichen Scholle.«

»Als ewiger Gast eines Fremden – nein.«

Herr von Otten hielt sein Glas gegen das Licht. Dann nippte er und stützte in sinnender Gebärde den Kopf in die Hand.

»Ich schaue noch nicht klar in die Verhältnisse hinein«, entgegnete er. »Detmold sagte mir, der Geheimrat habe Bärwalde aus alter Freundschaft für Ihren Herrn Vater ersteigert. Das hat wohl seine Richtigkeit, denn er verzichtet darauf, sich hier sässig zu machen. Auch sein Fräulein Tochter. Und es wäre schon möglich, daß dies Fräulein Ihnen späterhin den Rückkauf erleichtert.«

»Aber, Herr von Otten,« rief Erni, »ich bitte Sie, wenn Fräulein Lipsius mir auch weitgehende Erleichterungen gewährt – ich muß doch bezahlen, bezahlen! Und wovon? Sie vergessen, daß ich ein armer Deubel bin.«

»Sie sind noch unverheiratet, jung, hübsch, Freiherr.«

»Versteh' schon. Die berühmte gute Partie. Dazu hat mir erst vor ein paar Tagen mein Nachbar Simmens geraten. Fräulein Regina Lipsius, nicht?«

»Es wäre die beste Lösung.«

»Nachdem mich der Vater ...« Er stürzte den Wein in die Kehle ... »Phantasien, Herr von Otten. Die Leute wissen ganz genau, was sie wollen. Außerdem – bin ich gebunden.«

Herr von Otten schaute ihn interessiert an. »Schon verlobt?«

»Gebunden«, wiederholte Diesberg.

»Reich?«

»Nee.«

Herr von Otten wurde wieder sinnend. Seine Augen tieften in die Röte des Bordeaux.

Diesberg zwang ein Lächeln um seine Lippen. »Ich weiß, was Sie denken«, sagte er. »Daß ich ein Dummkopf bin, denken Sie.«

»Nein,« antwortete sein Gegenüber, »ich dachte, daß der Detmold, mein Vetter Detmold, doch ein ziemlicher Esel ist. Aber es ist schon am besten, wir lassen das Thema fallen. Also morgen geht's über die Felder. Der letzte Dung muß schleunigst in die Erde, ehe der Frost beginnt. Und Ihren verflossenen Isenau, den bringen wir vor den Staatsanwalt ...«


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