Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XIII

Kalt und glasig dämmerte der Frühlingsmorgen. Diesberg hatte sich noch nicht zu Bett gelegt, er fand auf seinem Arbeitstische einen Brief Reginas, der mit der Nachmittagspost gekommen war, während er in Berlin weilte.

Aber er öffnete ihn nicht sogleich. Er nahm ihn in die Hand und las, anfänglich völlig gedankenlos, wiederholt die Adresse. Sein Blick huschte nur über das Papier. Dann schaltete sich mählich ein geordneteres Denken ein, die Phantasie wurde zu beweglicher Hilfskraft und schuf eine Bilderreihe voll lebendiger Farben. Das Kuvert trug den Aufdruck »Sanatorium Beausite. Clarens (Suisse)«, und da sah Erni wieder den großen Garten am Genfer See um sich mit seinen weißen Chalets und das kleine Haus unweit des Tennisplatzes mit seiner Feigenhecke und das Fenster oberhalb des Weinspaliers, an das er an jenem Abend nach seinem Irrgang in den Savoyer Bergen gepocht hatte wie einst Romeo an das Fenster der schönen Capulet. Und nun nahmen auch die Schriftzüge Reginas Gestalt an. So stand sie vor ihm, wie er sie zuletzt gesehen hatte, im Nachtgewand, in ihrer statuarischen Schönheit, aber erfüllt von warmem Leben und durchglüht von dem Glück der Stunde, die Arme um seinen Hals geschlungen und auf der Wölbung der Lippen den Abschiedskuß.

Das war zehn Wochen her, ein verschwindender Augenblick im Rasen der Zeit. Bei jedem Briefe Reginas tauchte so ihre Erscheinung vor ihm auf im Bilde der verspäteten Hochzeitsnacht. Aber was anfänglich leuchtende Pracht schönen Erinnerns gewesen war, hatte wunderlich an Schmelz und Farbe verloren, von Tag zu Tag mehr wie ein mählich verblassendes Pastell.

Dauernde Leidenschaft ist ein Drama des Lebens mit Sturzwellen der Gefühle und einem bunten Szenenwechsel des Begehrens. Und vielleicht hätte dies Phänomen der Leidenschaft währende Kraft behalten und in herzlicher Liebe seine Abklärung gefunden, wenn Regina dem Gatten gefolgt wäre. Aber ein Zusammenschlag zweier Herzen ist wie ein rasch zuckender Blitz, und nach ungeschriebenen Gesetzen verlangt der Übergang vom ersten Sturm der Begierde zur Sommerruhe der Ehe Zeit der Entwicklung.

In dem Trubel der Arbeit, der Diesberg daheim empfing und in den er sich leidenschaftlich stürzte, wurde die Erinnerung an die ferne Frau bald nur zu einem flüchtigen Augenblinzeln. Es war kein gewolltes Vergessen, es schwang zuweilen auch noch ein süßes Empfinden mit, ein verhallender Akkord, aber es war doch mehr ein Antrieb der Nerven als ein Sehnsuchtsgefühl von unwiderstehlicher Gewalt.

In den Stunden der Arbeit, draußen auf den Feldern, in den Ställen und Koppeln, gab es für Diesberg kein Grübeln. Eine grüblerische Natur war er überhaupt nicht, doch geneigt zu gelegentlicher Selbstschau. Es fiel ihm auf, daß er seltsam rastlos geworden war. Auch der gute Schlaf hatte sich verloren. Er wachte dann und wann mitten in der Nacht auf und spürte die Unruhe seines Herzens und eine Belastung der Seele. Er konnte zufrieden sein mit dem rapiden Aufschwung Bärwaldes, und doch nagte etwas Unbefriedigtes an ihm, eine geheime Freudlosigkeit, die er nicht begriff.

Das Morgengrau fiel in heller werdenden Schatten in das Gemach. Diesberg zog den Fenstervorhang dicht zu, damit man von draußen nicht sehen könne, daß er noch wach war, drehte dafür die elektrische Lampe des Schreibtisches auf, setzte sich und las den Brief Reginas:

»Clarens, in der Osterwoche.

Mein lieber Erni;

die Zeit Misericordias Domini naht, da kann auch ich mit einer Klage anheben. Ich finde, Du vernachlässigst mich. Nun ja, wenn man schon über zwei Monate verheiratet ist, ist es an der Zeit, neben dem Altar für die Frau einen zweiten für sich selbst zu errichten, mit einer Flamme zu beliebigem eigenen Gebrauch. Du wirst mir antworten, Du stecktest so wahnsinnig in Deiner Tätigkeit, daß Du nicht immer ein freies Stündchen erübrigen könntest, um mich durch ein paar liebe Worte zu erfreuen. Es braucht aber nur ein Viertelstündchen zu sein, und ein paar Worte genügen mir schon, wenn sie aus dem Herzen kommen. Ich schrieb Dir im Februar, der für mich der Honigmonat war, tagtäglich und schrieb Dir ellenlange Episteln. Deine Antworten habe ich aufgehoben und kann an ihrer Hand mit arithmetischer Genauigkeit verfolgen, wie allgemach die Freude, an mich zu denken, zu einem gewissen Zwange wurde, dem man schon aus anerzogener Höflichkeit des Herzens nachgibt, der aber doch nur zu den gesellschaftlichen Notwendigkeiten zählt. Zuerst standest Du sicher noch unter dem Einfluß jener Stunde des Abschieds, die mir das Buch des Lebens aufschlug und in der auch Du den Einklang zwischen Lust und Seele, die selige Lust der Vereinigung empfunden haben magst. Ein Lodern ging durch Deinen ersten Brief, ein Streicheln und Werben, ein Hauch der Sehnsucht; aus jedem Worte las ich eine Liebkosung, jeder Buchstabe war für mich ein Kuß. Das war noch die Erinnerung an die unvergleichliche Poesie unseres endlichen Sichfindens, und in diesem Erinnern, mein Freund, wurdest Du selbst zum Dichter. Ich glaube, es ist einer der schönsten Liebesbriefe, die je geschrieben wurden, und mir war er ein Nachhall unvergeßlichen Glücks.

Aber es blieb einsam in unserm Briefwechsel. Das mache ich Dir nicht zum Vorwurf, Erni, man singt nicht immer, auch die Nachtigall wird still, wenn der Morgen kommt. Doch blieb dieser Brief ein Dokument Deiner Liebe, so wurden die nächsten nur Stichproben Deiner Liebenswürdigkeit. Eine Frau, deren Herz sich nach Zärtlichkeit sehnt, hat ein seines Gefühl für die Echtheit des Ausdrucks. Daß Du mir nicht täglich antwortetest, war verständlich, und um Dich nicht zu ermüden, schränkte ich selbst meine Briefschaft ein. Nun aber habe ich seit zwölf Tagen keine Zeile von Dir erhalten. Und mit einer einzigen Zeile wäre ich zufrieden gewesen, wenn sie mir nur einen leisen Klang aus der Tiefe gebracht hätte. So sind wir Frauen – aus Egoismus, weil wir uns als Zentrum aller Liebe fühlen, vielleicht aus einem dunklen Empfinden, das die Entdeckung des Unendlichen in einem einzigen Wesen sucht.

Aber, Erni, ich zürne Dir nicht. Ich weiß, daß meine Liebe Dich hält, auch wenn ich fern von Dir bin. Ich weiß, daß zwischen Dir und mir sich eine Brücke baut, die fester ist als jedes geschriebene und gesprochene Wort. Erni, als ich nach dem Abschied von Dir aus kurzem Schlafe erwachte, begrüßte ich den Morgen als den ersten meiner Tage, als den Beginn eines zweiten Lebens. Ein Tag wird kommen, da das dritte Leben anhebt. Dann stehen wir auf der Höhe der Brücke, die ich zu Dir baute und die nicht brechen kann, so stark ist der stützende Pfeiler. Verstehst Du die Frauensprache? Schau' aus Deinem Fenster, jetzt wo der Frühling da ist. Bäume werden darunter grünen und in den Zweigen Nester liegen. Horch' auf das Zwitschern der Vögel, es ist wie die Frauensprache.

Du wolltest im Mai mich holen. Komm, sei es auch nur zu einem Besuch. Denn es ist möglich, daß ich noch länger hierbleiben muß. Wiesinger ist rührend in seiner Pflegschaft. Er wollte Dir schreiben und Dir auseinandersetzen, warum er es für zweckmäßig erachtet, mich noch unter seiner Aufsicht zu behalten. Aber ich bat ihn, den Brief zu unterlassen. Du könntest Dich unnötig sorgen, und das will ich nicht. Es liegt auch kein Anlaß zu Sorgen vor. Komm her und überzeuge Dich.

Ansonst, was soll ich Dir noch erzählen? Die Tage gleichen sich hier, Gäste gehen und treffen ein, es ist nicht langweilig, es ist auch kein großer Vergnügungszauber. Ich lese viel, und da es schon sommerlich ist, ersetzt mir tagsüber der Park das Zimmer. Zuweilen gehe ich wohl einmal in Begleitung ein Stückchen in die Berge hinein und versuche die Wege ausfindig zu machen, auf denen Du Dich damals im Dunkeln verirrtest, aber am liebsten bin ich unten am See auf meinem Lieblingsplätzchen, Rousseaus ›Heloise‹ in der Hand, in der ich übrigens nur langsam vorwärtskomme, die mich aber immer wieder fesselt, schon deshalb, weil ich dem Verfasser recht gebe, daß das größte Verhängnis für uns arme Weiber ein Zuviel an Gefühl ist. Wobei mir einfällt, daß Wiesinger die sogenannte Madame des Hauses entlassen hat, weil sie sich auch von einem Zuviel des Empfindens beherrschen ließ. Man tuschelte längst über ein Verhältnis, das sicher gar nicht bestand, und nun hat der Doktor als Vorbeugung eine Dame mit grauem Haar engagiert, der man schwerlich etwas nachsagen wird.

Aber ich komme ins Schwatzen und stehle Dir Deine Zeit. Was macht das Komteßchen auf dem Nebengut? Grüße Herrn von Otten und sei herzlich umarmt von

Deiner Regina.«

Diesberg ließ den Brief sinken und streckte sich, das Papier in der Hand, im Sessel aus. Hatte er in der Tat seit zwölf Tagen, o jetzt waren es schon vierzehn, nichts von sich hören lassen? Es war möglich, die Rennen standen bevor, er war viel in Berlin, er hatte gewaltig zu tun – dennoch, es war unhöflich. Er war auch wahrhaftig gegen sich selbst und gestand sich zu: das Schreiben wurde ihm schwer – ja, gerade das Schreiben an seine Frau. Die Vorwürfe, die sie ihm machte, waren berechtigt. Er nickte – gewiß, aber er konnte nicht anders. War sein erster Brief wirklich ein Dithyrambus der Leidenschaft gewesen, »einer der schönsten Liebesbriefe, die je geschrieben wurden«? Und du lieber Gott, erst wenig über zwei Monate war das her und nicht schon zwei Jahre und länger? ... Regina hatte ein seines Verständnis für die männliche Psyche, das einer klugen Frau, die aus dem eigenen Wesen den Gegenpart zu begreifen sucht. Es war völlig richtig, wenn sie schrieb, daß jener flammende Liebesbrief der letzte Nachhall einer Stunde schöner Leidenschaft gewesen war, getaucht in die Poesie der Erinnerung, eine Übertragung des Temperaments in dichterischer Form – ein »Liebesbrief«. Aber – und da Diesberg in seinem Gedankenspinnen auf dies widerstrebende Aber stieß, spürte er wieder den Seelendruck, der ihn häufig in schlaflosen Nächten belästigte: denselben Brief hätte er auch an irgendeine andere Geliebte einer glücklichen Schäferstunde schreiben können – er war wirklich nichts als der rhythmische Niederschlag eines beliebigen Liebesabenteuers, es war nicht ein Brief an die eigene Frau. Und wie im allgemeinen es flüchtige Männerart ist, eine Liebesfreude rasch zu vergessen – nicht ganz so, aber doch ähnlich war es auch in diesem Falle: für ihn wurde zu einer Episode, was für seine Frau der Beginn eines neuen Lebens war.

Schrieb sie nicht so? Diesberg überflog noch einmal den Brief. Sie hatte hübsche Worte gefunden, sie vertraute auf die Kraft ihrer Liebe, die eine Brücke bauen sollte zwischen ihr und ihm – sie sprach auch von einem »dritten Leben« – was meinte sie damit? Sicher die endliche Gemeinsamkeit des Daseins im eigenen Neste, von der draußen unter den Fenstern die Vögel zwitscherten ...

Diesberg las nicht mit dem Herzen, sonst hätte er den Sinn ihrer schämigen Andeutungen verstanden. Er empfand nur wieder ein zartes Mitgefühl für die arme Frau, der ihre Liebe zu einer Schwester des Schmerzes wurde, und Bitternis erfüllte ihn, daß er diese Liebe nicht zu teilen vermochte. Und wenn seine Phantasie das Bild jener letzten Nacht in Clarens erneut um sich schuf, es lebte nichts mehr von dem süßen Feuer der Stunden in ihm und keine Freude in dem Gedanken, sie wieder an sich schließen zu können.

Er schaute abermals in ihren Brief. Was schrieb sie da: Wiesinger dringe darauf, sie noch länger im Sanatorium zu behalten? Aber besuchen sollte er sie ... ja, das mußte er schon, das verstand sich von selbst, das verlangte die Courtoisie – freilich, gerade in den Mai fielen die großen Rennen – immerhin, auf ein paar Tage kam es nicht an ... »Was macht das Komteßchen auf dem Nebengut?« las er weiter. Und da glitt unwillkürlich ein huschendes Lächeln um seinen härter gewordenen Mund. Bist du eifersüchtig, Regina? fragten seine Gedanken, Nein, dazu lag kein Grund vor. Auf das Komtessel vom Nebengut wartete schon ein anderer, ein guter lieber Freund, dem er in die Hand und auf Ehre und Pflicht versprochen hatte, die Kleine zu vergessen ...

Der Brief Reginas raschelte zu Boden, Diesberg bückte sich nicht, ihn aufzuheben. Er blieb gestreckt im Sessel liegen, im Auge Starrheit, das Gesicht ohne Bewegung, doch mit fiebernden Pulsen, in denen das Blut schnellte, O gewiß, er hielt dem Freunde sein Wort! Es kam zu keiner Anknüpfung mehr zwischen ihm und der Annelene, das war für immer vorbei – und war sie erst Frau von Otten und fort – und fort von hier, dann konnte wohl auch das Vergessen kommen ... Aber da war ihm, als tue sein Herz einen Sprung und als höre er eine rufende Stimme, wie einen Schrei der Frage ... War es erklärlich, daß in diesen stürmisch schlagenden Pulsen das Blut noch immer nach Annelene verlangte – war die andere da unten am Genfer See nicht schöner, würdevoller in ihrer Anmut, reicher an Geist, nicht begehrenswerter als dieser ewige Backfisch? –

Diesberg schüttelte sich wie unter einem Frostanfall, Ein aphoristisches Wort spielte durch sein Hirn: Die Liebe kennt keine Gerechtigkeit ... Er erhob sich und dehnte die Glieder. Er nahm den Brief Reginas auf und legte ihn auf den Schreibtisch. Du mußt ihr antworten, sagte er sich. Die Uhr auf dem Tische hob aus und begann in seinem Klingen zu schlagen. Schon fünf! Zu schlafen lohnte es sich nicht mehr, um halb sechs trat Gerrlich an.

Diesberg ließ sich von neuem nieder und nahm die Feder zur Hand. Antworten! Nein – in der Abendstunde wollte er ausführlicher schreiben, jetzt fehlte ihm die Muße dazu und die innere Ruhe – aber ein Grußtelegramm sollte sie bekommen. Er setzte es auf:

»Baronin Diesberg. Beausite. Clarens. Schweiz. Dank für letzten lieben Brief, der mich doch auch sorgend macht. Bitte Dich herzlich, ruhig auszuhalten bis völlig genesen. Besuch Dich im Mai. Schriftlich mehr. Stecke sehr in Arbeit wegen Derby der Dreijährigen und Landbestellung, daher schweigsamer als sonst, aber langer Brief soll folgen. Tausend Grüße Erni.«

Er löschte die Schreibtischlampe und zog den Fenstervorhang wieder auf. Dann wollte er ein Bad nehmen und sich umkleiden. Die Zimmeranordnung hier oben war geändert worden, der alte Fröbel hatte von seinem Recht als Raumarchitekt Gebrauch gemacht und viel Hübsches geschaffen. Das Ankleidekabinett Diesbergs mit seinen Wandschränken aus hellem Zirbelholz war englischer Geschmack. Fröbel schwärmte für die praktische Vornehmheit Englands. Nebenan herrschte Chippendale. Das war das Schlafgemach Reginas. Und plötzlich lüftete es Diesberg, dies Zimmer zu öffnen. Es lag im Dunkeln, die Markisen vor den Fenstern waren geschlossen, aber Erni ließ die Elektrizität spielen und blieb dann an der Tür stehen. Sein Blick schweifte gleichsam in Wellenlinien durch den reizenden Raum, ruhte einen Moment, glitt weiter über die warmen Farbentöne des Teppichs, die blitzenden Spiegelscheiben der Toilette, das Geriesel aus blauem Atlas, Spitzen und Damast der Bettdecke.

Dies Zimmer wartete auf die Herrin. Es war für sie geschaffen worden. Diesberg lehnte gegen den Türpfosten. Wie sich vereinigen, sagte eine innere Stimme, wenn man eines ist? Um sich zu vereinigen, muß man zwei bleiben ... Einen springenden Augenblick lang faßte Diesberg wieder etwas wie ein aufschäumendes Gefühl von Rührung. Dann sah er auf dem Bett einen blonden lachenden Kinderkopf – und trat zurück, löschte das Licht und warf dröhnend die Türe zu.

Er war kindisch. Habe ich noch Ehre im Innersten? fragte er sich. Was schiert mich das Mädchen und ihr plapperndes Mäulchen? Ich habe eine Frau, und sie hat ein Anrecht auf mich. Ein erkauftes, ein erbeutetes, aber ich gab nach, und wir sind handelseinig geworden. Der Schacher hat Brief und Siegel. Weiß man nicht, daß es ein Schacher war? Drüben in Freilehningen habe ich Narr Herz und Seele auf den Tisch gelegt. Was hat mir die Annelene zwischen zwei Tänzen gesagt? »Sogar von der Möglichkeit einer baldigen Scheidung hast du gesprochen – ein Ehrenmann wie du! ...« Es sei nur eine Verkleidung der Gefühle gewesen, hatte die Kleine hinzugefügt, und das Wort hatte Otten ihr auf die Zunge gelegt – aber er wußte es besser. Es war alles so ekelhaft, es war wie ein wirrer Traum, ein Schattenspiel bei halb erloschenem Feuer ...

Gerrlich trat ein und erschrak, als er den Herrn angekleidet sah.

»Böh«, rief Diesberg. »Mach' nicht ein so dummes Gesicht, Alterchen! Ich bin nicht erst in die Klappe gegangen, lasse Wasser in die Badewanne und leg' meine Reitsachen zurecht ...«

*

Nach dem Frühstück begann er mit der täglichen Morgenarbeit, dem Besuch des Gestüts und der Erziehung der Gäule. Cullon, der Trainer Simmens', hatte sich bei ihm gemeldet und um Annahme gebeten. Die Schluderwirtschaft in Burgersroda paßte ihm nicht mehr, das war keine konstante Arbeit, da wanderten die Pferde hin und her, das war ein Kaufladen, aber weder Stall noch Zucht. Diesberg nahm den tüchtigen Mann auf der Stelle. Seine Pläne standen nun auf sicherem Boden; man lächelte über seine Nennungen für die Zuchtrennen und taufte ihn den »kleinen Trakehner«, aber er ließ sich nicht beirren. Die Perle seines Stalles war eine Mutterstute, er hielt sie wie eine Königin, die den Thronerben erwartet. Sie war tragend von dem in Freilehningen gekauften Hengst, und das Ungeborene hatte bereits seinen Platz in den Nennungen gefunden.

Von der geschlossenen Reitbahn aus, der Schulstätte der Jüngsten, ritt Diesberg auf die Felder, heute auf dem »Edelfried«, einem mittelmäßigen Vollblüter, dessen Verwertung zur Zucht nicht mehr lukrativ erschien, der aber für die geringer dotierten Altergewichtsrennen sich ausgezeichnet eignete. Er war das, was man einen Rückengänger nennt, das geborene Flachrennpferd mit leichtem, elastischem und raumgreifendem Gangwerk. Das Wetter hatte sich geklärt, unter blauem Himmel und Sonnenlachen lag aufblühender Frühling, die grünen Saaten dehnten sich, die Wiesen sprenkelten sich am Bachrand schon mit wilden Blumen, der Wachtelkönig meldete mit schnarrendem Schrei, daß auch er nun da sei und auf die Mäusejagd gehe, um das Land zu säubern.

Angesichts des Frohwaltens ringsum und einer Erntehoffnung, wie er sie nie für möglich gehalten hätte, weitete sich die Brust des Reiters, und die lachende Sonne suchte Spiegelung auf seinem Gesicht. Herrgott ja, nun lohnte sich doch die Mühe, nun war man wieder Herr auf seiner alten Scholle! Und sofort setzte eine fragende Mahnstimme hinzu: Wem dankst du das alles? – Der »Edelfried« trabte durch das Gelände, die Gedanken seines Herrn sprangen mit. Alles richtig – wäre Regina nicht gewesen, so säße der verlorene Sohn heute am Urwaldrand oder in der Prärie – und ohne die halbe Million, die der alte Lipsius für Meliorationen ausgeworfen hatte, wäre es gar nicht möglich gewesen, Bärwalde in einem einzigen Herbst einigermaßen emporzuwirtschaften. Alles richtig – man hatte die Freiheit der Entschließung dafür eingetauscht, ein Stückchen Herz verloren und alle Seelenatome durcheinandergeschüttelt zu einem Hexenbrei von Empfindungen – aber man ritt wieder über eigenes Land, man war auf seiner Erde! Danke schön, Regina! – Lenzduft wellte über die Felder, es war wie eine Rückkehr von Welt, Lust und Jugend, und da durchzitterte Diesberg in der Sturmjagd wechselnder Stimmungen abermals eine weich-rührsame Regung, ein elegisches Mitgefühl, und er sprach zu sich: Sie hat mich lieb, das ist ihre Rechtfertigung – also im Mai besuche ich sie, und dann kommt sie her, und hol's der Teufel, dann ist sie eben meine Frau! ...

Er hatte das Pferd nach vorwärts gesammelt und den Oberkörper etwas zurückgelegt, die Schenkel gaben hebenden Druck, und so sprang der »Edelfried« zum Galopp an. Es war ein langes Abkeschern und tat beiden gut, dem Gaul und dem Reiter. Erst als der gerodete Wald in Sicht kam, verkürzte Diesberg das Tempo, der »Edelfried« fiel in Trab und endlich in Schritt und schnaufte behaglich. Auf der umworfenen Halde ließ der Förster neu pflanzen, Otten stand neben ihm, ein Arbeiter hielt ihm das Pferd. Als er Diesberg sah, ging er ihm entgegen und schlug in seine Hand.

»Ausgeschlafen?«

»Überhaupt nicht geschlafen. Bloß die Kleider gewechselt.«

»Dunnerwetter! Bist du nicht tot?«

»Noch halb lebend, aber ein bißchen kreuzlahm.«

»Willst du ein Schnäpschen?«

Diesberg lachte. »Führst du immer eine Destille bei dir?« fragte er.

Otten zog ein kleines flaches silbernes Fläschchen aus der Tasche und reichte es ihm. »Jedenfalls immer einen Schluck guten Kognak – mehr als ein Schluck geht nicht in die Buddel, aber es genügt. Es ist das beste Auffrischungsmittel bei jeder Überanstrengung und hilft auch bei Hitzschlag und Sonnenstich. Also gieß den Labetrunk hinter die Binde und hierauf vernimm folgendes: Ich war vorhin in der Försterei, als es heftig am Telephon lärmte. Das älteste Komtessenfräulein aus Freilehningen suchte Anschluß bei mir. Sie gibt uns gegen vier die Ehre ihres Besuchs. Du hättest sie extra zu Kuchen und Schlagsahne eingeladen, sagt sie.«

»Aber doch nicht ausgesucht für heute«, rief Diesberg. »Warum hat sie es denn so eilig?«

»Das weiß ich nicht. Nun reite gefälligst nach Hause und schlafe noch ein paar Stündchen und sorge für Schlagsahne. Das Gelage muß im Schlosse stattfinden, die Häuslichkeit im Amtshause eignet sich nicht für junge Damen. Adieu, Erni.«

»Zu Befehl, Herr Wachtmeister. Sag' mal, kommt die Annelene eigentlich zu dir oder zu mir?«

Otten versuchte gar nicht, aus seiner Beglückung ein Hehl zu machen. »Ich denke mir, sie kommt bloß meinetwegen«, antwortete er. »Ich bin sogar davon überzeugt. Aber du darfst dabei sein, vorausgesetzt, daß du dich anständig benimmst. Doch erst schlafe aus. Du plierst mit den Augen und erweckst einen ungemein jämmerlichen Eindruck. Ich empfehle mich dir.«

Diesberg jagte davon. Der ist auch verrückt, dachte er. In der Brunstzeit schnappen selbst die Menschen über. Die Änneli ist keine leuchtende Flamme. Was liebt er an ihr? Was liebte ich denn an ihr? Die Erkenntnis geistiger Eigenschaften kann immer nur geistige Beziehungen zustande bringen, Achtung und Freundschaft. Davon ist hier nicht die Rede. Das ist meine Stellung zu Regina, aber Regina überragt auch die Annelene geistig um Haupteslänge. Und Otten, ist er nicht eine innerlich fest geschlossene Persönlichkeit? Kann ihm das Mädelchen nur einen Deut seines geistigen Wesens zurückgeben? Seelischer Kontakt, Harmonie des Bewußtseins – kommt mir nicht damit! Was ist die Liebe? Ein sich spreizender Dämon, sagt Hartmann. Eine Laune der Natur, sagt Chateaubriand. »Blödsinn«, rief Diesberg laut in kindischer Wut und gab seinem »Edelfried« einen ungerechten Hieb mit der Gerte. – –

*

Annelene klapperte am Nachmittag mit ihrem kleinen Ponywagen auf die Rampe. Sie fuhr allein, ohne Kutscher, auch ohne Fräulein von Hübner. Der Vater war anders geworden. Von Diesberg war weder etwas zu fürchten noch zu hoffen, der spielte nicht mehr mit, und Otten ... na, immerhin. Es waren Geschehnisse eingetreten, die es ihm nicht unlieb erscheinen ließen, wenn seine Älteste bald unter die Haube kam. Und als Annelene ihn fragte, ob sie nach Bärwalde fahren dürfe, die Herren hätten sie eingeladen, sich den Rummel einmal anzuschauen, da hatte er einfach erwidert: »Fahr' wohin du willst« und sich nicht weiter um sie gekümmert. Er hatte Wichtigeres in seinem alten Schädel.

Der Annelene merkte man die Tanznacht nicht an. Erni, Otten und Gerrlich standen auf der Rampe. Sie fuhr erst noch einmal um das große Rondell, um das Trabmaß ihrer Ponys zu zeigen, hielt dann und ließ die lange Peitschenschnur um die Beine der Pferdchen sausen. Sofort fielen die Ponys in die Knie.

»Zirkus«, rief Diesberg. Lachend sprang Annelene aus dem Wägelchen und gab Gerrlich die Zügel.

»Sie sollten euch nur ihre Reverenz erweisen«, sagte sie. »Sie sind gelehrig wie ein paar Pudelhunde. Sie steigen auf den Peitschenschlag und betteln mit den Vorderhufen ...« Kräftig schüttelte sie die Hände der Männer, März in den hellen Augen, das weiße Gebiß zeigend unter dem Rotschwung der Lippen ... »Herrschaften, was habe ich euch alles zu erzählen,« fuhr sie lebhaft fort, »ihr werdet kopfstehn, es ist ganz toll! Aber erst meine Schlagsahne.«

»Alles da«, erwiderte Diesberg und verneigte sich gastgeberisch.

Er hatte die Halle heizen lassen. Da stand jetzt die Bibliothek, über den Bücherreihen hingen Familienbilder, Geweihe und Waffen. »Ah,« rief Annelene, »du hast umgeräumt! Vorbereitung für den Empfang der Herrin ...« Sie schnupperte neugierig umher und blieb vor dem Kaffeetisch stehen, der auf dem Podest vor dem tief eingebauten Fenster sich seiner Herrlichkeit brüstete. Dreierlei Kuchen, Streuselkuchen, Napfkuchen, Spritzkuchen und in der Mitte eine große Schale mit dem Schneeweiß geschlagener Sahne.

Sie schlug die Hände zusammen. »O du mein Magen«, sagte sie. Dann setzte man sich, und sie bewies, daß sie den Magen nicht fürchtete. Der Riesenmensch Otten fand das entzückend. Das war physische Produktivität, das war gesund. Es gab nichts an ihr, was er nicht entzückend fand. Am liebsten freilich sah er sie in ihrer Barfüßigkeit und dem dazugehörigen Freiluftkostüm. Er schob den Kreis der Kuchen um ihre Tasse und stellte den Schlagrahm in Greifnähe. Sie trank und kaute und erzählte dazwischen:

»Ihr Herrn, was hat sich begeben? In Freilehningen wird ausgeräumt. Um elf Uhr heut vormittag, etwas früh nach einer Ballnacht, rollt eine Karosse vor das Schloß. Wer steigt aus? Ratet! ...« Man riet es nicht ... »Zwei junge Herren,« rief Annelene, »Wolfram Gaedechens und Hanskarl Protzen!«

»Aha«, meinte Otten. »Siehste wie du bist«, sagte Diesberg.

»Sie hatten sich verabredet,« fuhr Annelene zwischen zwei Spritzkuchen fort, »einzeln hatten sie's mit der Angst, da kamen sie in Formation, beide in Frack und weißer Binde, als hätten sie eben den Ball verlassen. Sie wollten Vatern sprechen. Der war gerade bei den Schweinen, und da hatte das eine über Nacht den Rotlauf gekriegt. Und nun denkt euch: die befrackten Jungherrn im großen Schweinestall – Erni, du kennst ja Vaters Hofkostüm – und hielten feierlich um Mieze und Lotti an. Vater hatte den Kopf mit dem Rotlauf voll, der ist verdammt ansteckend, die Ställe müssen desinfiziert werden, es gibt allerhand Scherereien – Vater sprach immer abwechselnd mit den Jünglingen und dem Schweinemaster, und dann schrie er nach Mieze und Lotti. Mieze war beim Melken, nun ging's in den Kuhstall. Mieze melkte ihren Liebling selbst und saß im Kopftuch und in rotem Friesrock vor ihrer Simmenthalerin und genierte sich fürchterlich – und ihr Hanskarle blubberte ein paar Worte, und dann fielen sie sich um den Hals, und die Simmenthalerin guckte sich verwundert um, weil sie mit ihrer Milchlieferung noch nicht fertig war. Inzwischen hatten sich Lotti und Herr Wolfram bei den Puten gefunden – die Puten sind Lottis Sache. Da ist nun aber ein bösartiger Truthahn darunter, ein kalkuttisches Vieh, schauderhaft, mit nackligem Halse und roten Warzen, aber famos für die Zucht – also der erschrickt vor der fremden Erscheinung und geht auf den Wolfram los, jähzornig und streitsüchtig wie er ist, fliegt ihm gegen die Brust, hackt mit dem Schnabel auf ihn ein, und mein Wolfram kneift aus – und die Lotti wie besessen hinterdrein. Vor der kleinen Remise haben sie sich wieder zusammengefunden, und dann kamen auch Mieze und Vater dazu, und ich habe den vieren als Älteste der Generation mitten auf dem Hofe meinen Segen erteilt. Ich glaube, so eine Freiwerbung war noch nicht da, von den ältesten Völkern an ...«

Die Herren amüsierten sich königlich über diese närrische Hof- und Liebesgeschichte, sprachen ihre Glückwünsche aus, und dann fragte Diesberg: »Also dein Vater war jedenfalls gleich einverstanden mit der Doppelverlobung?«

»Ja, Erni. Er war wohl auch schon vorbereitet. Morgen folgt nun die Aussprache mit dem alten Herrn über die sogenannte Mitgiftsfrage, die für Vatern keine Frage ist. Gesträubt hat er sich gar nicht. Er ist nicht mehr so wie früher. Wir wachsen ihm über den Kopf. Wir protestieren heftig gegen die hygienische Tyrannei. Eine Strumpfrevolution war in Vorbereitung. Er kann doch auch seine sechs nicht ewig bei sich behalten! Aber er ist bekümmert, daß der Abbruch nicht ordnungsmäßig von oben herab erfolgt. Ich glaube, jetzt möchte er mich auch ganz gern loswerden.«

»Da müßte man ihm eigentlich hilfreich entgegenkommen«, wagte Otten zu sagen.

Annelene lachte harmlos. »Nun ist es zu spät, in nächster Woche ist das Verlobungsfest, und dann wird auch bald geheiratet. Messieurs, ich schlage vor, die Ställe zu besichtigen, ehe es dunkel wird. Es ist grade noch Zeit. Ich muß mir auch die Beine vertreten, ich habe zu viel gefuttert.«

»Oh,« sagte Otten gefällig, »doch bloß wie ein Vögelchen ...« Dann brach man auf. –

*

Als Diesberg am nächsten Tag um die Mittagsstunde nach Otten fragte, hieß es, er sei fortgefahren. Wohin, wußte man nicht.

Otten hatte über Nacht einen Entschluß gefaßt. Er fuhr nach Freilehningen, nicht in Frack und weißer Binde wie die jungen Freiwerber von gestern, immerhin in dunkler Kleidung und mit einer Miene, die dazu paßte.

Hinter dem Schleusenwerk traf er das kleine Kabriolett aus Burgersroda, Simmens saß neben dem Kutscher, mit gelbem Gesicht und grämlichem Ausdruck und rührte kaum die Hand, als Otten ihn grüßte. Schön, dachte Otten, heben wir den Grüßfuß auf, Mister Edward! Was ist dem denn in die Krone gefahren? spintisierte er weiter, der sieht ja aus, als sei ihm eine Wanze über die Leber gelaufen ... Aber er hatte an Nötigeres zu denken, er überlegte, wie er dem Wassergrafen gegenüber sein Anliegen in gutklingende Worte kleiden könne – und als es so weit war, sagte er ganz etwas anderes.

Pakisch war zufällig im Schlosse, er rechnete mit seinem Rentmeister und schickte den Mann hinaus, als Otten sich melden ließ.

»Sieh da, Herr von Otten,« begrüßte er ihn, »was wollen Sie heute kaufen? Ei nein,« – und er musterte die Würde des Anzugs – »Bratenrock und schwarze Hosen und im Angesicht so ernst wie ein Gesalbter des Herrn. Mann Gottes, wollen Sie vielleicht auch eine meiner Töchter haben?«

»Ich bin so frei«, erwiderte Otten. »Ich liebe die Komteß Annelene.«

Der Wassergraf setzte sich und schlug mit der Hand auf seinen Schenkel. »Es ist nicht zu sagen,« rief er, »das geht ja auf einmal wie beim Bäcker die Semmeln! Wissen Sie, wen ich eben hinausgesetzt habe? Herrn Simmens. Der hielt auch um die Annelene an und meinte, er liebe sie schon seit drei Jahren. Da hab' ich ihm geantwortet, er möchte noch drei Jährchen warten uns dann abermals antreten, falls die Annelene da noch zu haben sei. Der Simmens fehlte mir gerade! Kein Mensch kann ihn leiden – potzkotz, wie hat er sich dem Erni Diesberg gegenüber benommen – und überhaupt! Frechheit! Ich will's der Annelene gar nicht erzählen, die bringt die Geschichte gleich wieder im ganzen Kreise herum – nee, das möchte ich nicht ... Also, nu sagen Sie bloß – sind Sie sich denn sicher, daß die Annelene Sie auch nimmt?«

»Das käme auf die Frage an«, antwortete Otten.

»Ja natürlich. Setzen Sie sich. Da auf den Stuhl – schmeißen Sie die Akten auf die Erde. Verständigt haben Sie sich noch nicht mit ihr?«

»Ich hielt es für richtiger, erst mit dem Vater zu sprechen«

»Ganz meine Ansicht. Ja – nun – mein lieber Herr von Otten, ich habe nichts gegen Sie. Aber ehe wir weiter gehen, möchte ich doch der Klarheit halber betonen: ich gebe jeder meiner Töchter –«

»Sechstausend Mark Rente«, fiel Otten geschäftsmäßig ein, »und die nötige Ausstattung, aber keine Mitgift.«

Der Wassergraf machte große Augen. »Woher wissen Sie denn das?« fragte er.

»Gott, Herr Graf, es gibt Geheimnisse, die jeder kennt. Darf ich mir nun gehorsamst erlauben, Ihnen auch meine Verhältnisse ganz kurz klarzulegen?«

Pakisch schmunzelte. »Ist nicht nötig. Sie haben rund eine halbe Million in guten Papieren auf der Deutschen Bank und bei der Diskonto-Gesellschaft liegen. Mit hunderttausend Mark sind Sie bei der Maschinenbau-Aktien-Gesellschaft in Erfurt beteiligt, die letztjährig fünfzehn Prozent Dividende gezahlt hat, und mit fünfzigtausend bei der Zuckerfabrik Glauchau, auch ein rentables Unternehmen.«

Jetzt machte Otten große Augen. »Sie sind gut orientiert, Herr Graf«, sagte er.

Pakisch nickte. »Es gibt Geheimnisse, die keine sind«, antwortete er. »Ich habe mich bei meinem Auskunftsbureau über Sie erkundigt. Ich sah ja doch, daß Sie Ihre Absichten mit der Annelene hatten. Also über materielle Fragen brauchen wir uns nicht weiter zu unterhalten. Wir wissen gegenseitig Bescheid. Aber noch etwas. Sie wollen bei der Landwirtschaft bleiben?«

»Es ist mein Beruf. Ich will mich ankaufen.«

»Ganz einverstanden. Bis dahin warten wir noch. Inzwischen bringe ich die Mieze und die Lotti aus dem Hause.«

Otten wagte eine Einwendung. »Wäre es nicht ein Aufwaschen,« sagte er, »wenn gleich eine dreifache Hochzeit stattfände?«

»Es käme billiger, man sparte viel, aber ich möchte gern, daß Sie erst Ihre Scholle haben. Ich will keine Verlobung, solange Sie noch drüben in Bärwalde sitzen. Das wird dann ein ewiges Hin- und Hergerudere – und der Diesberg hat das Zusehen ... na ja, ich bitte mich nicht mißzuverstehen, der ist ja nun verheiratet, wenn auch immer noch sozusagen in absentia – aber alte Beziehungen können nachwirken, man muß an alles denken. Es kommt ja auch auf ein paar Wochen nicht an. Und haben Sie erst Ihre Klitsche, dann wird verlobt und dann geehelicht, gleich hintereinanderweg, so wie ich es mit der Mieze und der Lotti halte. Bloß keine lange Zadderei. Die Annelene bleibt Ihnen, haben Sie keine Angst. Die nimmt jetzt jeden – entschuldigen Sie, das soll keine Kränkung für Sie sein, bewahr' mich der Himmel – ich meine nur, die hat's nun auch verflucht eilig, aus dem Hause zu kommen ... sie möchte nach der Doppelhochzeit auf einige Zeit zu einer Freundin, die bei ihrer Mutter im Grunewald wohnt – das kann sie ja, ich habe nichts dagegen, und inzwischen suchen Sie sich Ihr Gut, und die Geschichte ist abgemacht ...« Er zog an seiner Nase ... »Dann bleiben mir noch drei,« nölte er weiter, »die Annefrede ist sechzehn, hat aber auch schon so einen Weltguck in den Augen, und die Annetreu soll im nächsten Jahr konfirmiert werden, und ob ich das Heranwachsen der Anneliese noch erlebe – na, das muß man abwarten. Otten, bloß nicht sechs Mädel! Lieber sechs Jungen!«

»Wollen sehen, was sich machen läßt, Herr Graf«, erwiderte Otten. »Da wären wir also im reinen. Es ist nicht alles so, wie ich es mir dachte – immerhin, ich bin zufrieden und danke Ihnen herzlichst für Ihr Entgegenkommen. Diesberg weiß, daß ich mich ankaufen will, zum ersten Juli kündige ich ihm, bis dahin kann ich gefunden haben, was ich suche. Und bis dahin bleibt alles beim alten – es sei denn, es wolle mir irgend jemand in die Quere kommen. Simmens haben Sie selbst schon hinausgefenstert – da hätte ich gern mitgeholfen – und ein anderer, ich wüßte nicht, wer es sein könnte, ich würde ihn jedenfalls mit aufgekrempten Hemdsärmeln begrüßen. Ich boxe auf chilenische Art – moler a palos sagt man da unten – auf deutsch verbleuen.«

Der Graf ließ ein kurzes Meckern in Kehltönen hören. »Potzkotz,« meinte er, »mit Ihnen ist nicht gut Kirschen essen, wenn es drauf ankommt, mein lieber Otten. Aber beunruhigen Sie sich nicht, die Annelene ist Ihnen sicher. Ich weiß sie bei Ihnen auch in liebevoller Hand – ein bißchen herumerziehen werden Sie ja noch an ihr müssen – sie ist wie ein junges Füllen, das mannigmal den Martingal und die Trensenkandare braucht. Aber sonst – ist sie meine Tochter.«

»Und grade das schätze ich, Graf Pakisch«, erwiderte Otten ernst. »Unter Ihrem Kaltwasser ist sie gesund geblieben, unter Ihrer Anleitung ein praktisches Landmädel geworden. Sie hat die Arbeit gelernt, sie hat sie auch liebgewonnen. Das, was ihr fehlt, weiß ich – es ist das, was sie aus dem Hause drängt – ich will einmal sagen: die kulturelle Befruchtung. Nun bin ich ja freilich ein halber Wildwestler, aber was mir das Trampleben immer doppelt anziehend machte, war doch auch wieder der europäische Einschlag, gewissermaßen der Wechsel von Joppe und Frack, von Muskelspannung und Empfänglichkeit des Geistes ... Annelene erzählte uns,« fuhr er lächelnd fort, »ihre Schwestern seien beim Melken und im Putenhof durch ihre Anbeter überrascht worden, und fand das sehr komisch. Ich entziehe mich der drolligen Wirkung des Augenblicks nicht, aber ich sehe darin doch auch eine Art Symbol, das für die jungen Männer eine Freude gewesen sein muß, eine Illustration zu dem Dichterwort: Tages Arbeit, Abends Gäste – ich will nicht weiter zitieren, es fehlt ja auch das Gegenbild. Und, lieber Graf, dies Gegenbild soll die Annelene keineswegs vermissen – die Hausfrau soll nicht die Dame verdrängen und die Schürze nicht die Toilette und das Ausgabebuch nicht das Allerneueste vom Markte des Schönen ... ich meine damit: was hier in ihrem spartanischen Vaterhause noch ihr kleines und großes Sehnen war, das soll sie an meiner Seite finden – auch das. Verzeihen Sie die längere Expektoration, sie war vielleicht unnötig, aber sie klingt sicher klarer als die übliche Versicherung, mir Mühe zu geben, das Fräulein Tochter über die Maßen glücklich zu machen. Denn das versteht sich von selbst.«

Der Wassergraf zwinkerte mit den Augen. Das war hübsch gesprochen, das gefiel ihm. Der junge Protzen und der junge Gaedechens hatten gestottert und gestammelt, und dazwischen hatte der Schweinemaster auf die Nutzlosigkeit der Ferkelimpfung geschimpft und von einem neuen Mittel gegen den Rotlauf erzählt – und nachher hatten der alte Protzen und der alte Gaedechens noch über die fehlende Mitgift gemäkelt, und der eine hatte vier Fohlen extra haben wollen und der andere einen Hausumbau und eine bessere Ausstattung ... Aber bei diesem Otten wußte man doch gleich, woran man war, da gab es kein langes Hin und Her, da war alles klipp und klar ... Pakisch schob seine Brille auf die Stirn und fuhr mit dem gekrümmten Zeigefinger über die Augen.

»Sie sind ein braver Mensch, lieber Otten,« sagte er bewegt, »wie heißen Sie doch gleich mit dem Vornamen?«

»Klaus, wenn ich bitten darf. Vorne mit einem K, nicht mit C.«

»Mein lieber Klaus, ich begrüße Sie als meinen künftigen Schwiegersohn, vorläufig noch in aller Heimlichkeit, aber ich will Ihnen einen Kuß geben, der sei das Sigillum unter meinem Einverständnis.«

Damit breitete er die Arme aus und küßte ihn nach slawischer Sitte auf beide Wangen, und hierauf hielt Otten sich zu derselben Gegenäußerung verpflichtet. Aber er dachte dabei an Annelene.


 << zurück weiter >>