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3. Die Entstehung des Kriegsgottes

Der Dämon Taraka sprach: »Ihr Widergötter, hört mein Wort, sinnt auf unser Heil! Was liegt uns ob, zu tun? Die Götter rotten alle Dämonengeschlechter aus; ewige Ordnung unserer Art ist blühende unvergängliche Feindschaft mit jenen. Wir wollen gehen, die Götter zu bezwingen; an unserer Arme Kraft wollen wir uns halten. Aber nicht ohne Glut der Askese, denk' ich, begegnen wir den Göttern; darum will ich zuvor furchtbare Glut in Askese sammeln, dann wollen wir die Götter besiegen und uns im Besitze aller drei Welten freuen! Nur wer fest in seinem Plan ist, wird fest in seinem Glück sein; wer unstät ist, vermag das unstäte Glück nicht festzuhalten.«

Die Dämonen vernahmen seine Rede und riefen bewundernd: »Gut, gut!« Er aber stieg zur höchsten Schlucht des Pariyatraberges hinauf und trieb mächtige Askese, um Glut zu sammeln. Er fastete und saß zwischen vier Feuern, zu denen die Sonne als fünftes glühte, Blätter waren seine Nahrung, Wasser sein Trunk. Hunderte von Jahrhunderten übte er solche glutvolle Kasteiung, danach schnitt er sich Streifen um Streifen vom eigenen Leibe und opferte von seinem Fleisch im Feuer, bis er ganz fleischlos war. Als er ganz ohne Fleisch, ganz zu einem Haufen Glut geworden war, flammten alle Wesen rings um ihn von seinem strahlenden Glanze, und alle Götter erbebten in Furcht vor seiner Glutgewalt. Da ward Brahma hochzufrieden und ging, ihm eine Wahlgabe zu gewähren. Er kam und sprach zu Taraka mit holder Stimme: »Mein Sohn, laß es dir genug sein an Glut der Askese, nichts bleibt dir weiter zu vollbringen; wähle einen Wunsch, der deinem Sinn gefällt.«

Da neigte sich Taraka, legte die hohlen Hände aneinander und sprach: »Der du in Göttern und Wesen wohnst, weißt, worum deine Geschöpfe ringen: nach Vergeltung für Angetanes verlangen sie zumeist, Sieg wollen sie! Nach ewiger Ordnung unserer Art pflegen wir Feindschaft mit den Göttern; die Grausamen haben uns Dämonen um alles gebracht, nur die Pflicht der Feindschaft ließen sie uns. Ich will ihr Entwurzler werden, das ist mein Wille: unverwundbar für alle Wesen und Waffen und voll großer Kraft will ich sein – das ist der höchste Wunsch in meinem Herzen. Das schenke mir, Herrscher der Götter, kein anderer Wunsch gefällt mir.«

Da sprach der Herr der Götter, der die Welt entfaltend aus sich leert: »Höchster Dämon, leibliche Wesen ohne Tod sind nicht möglich; darum wähle dir den Tod von der Hand eines, den du nicht fürchtest.« Da besann sich der Dämonenfürst und wählte sich, von Hochmut verblendet, den Tod von der Hand eines Kindes, das sieben Tage alt wäre.

Als der Dämon aus seiner Askese wieder emportauchte, umringten ihn die Dämonenfürsten wie die Götterscharen im Himmel den tausendäugigen Indra. In gewaltiger Königsmacht stand Taraka, der Dämonensproß: leibhaft warteten ihm die Jahreszeiten auf, jede geschwellt von den Reizen ihrer Frist, samt den Welthütern; Anmut und Glanz, Stärke, Weisheit und Glück blickten auf ihn und scharten sich, von vielen Tugenden besät, um ihn in lückenlosem Kranze. Den Leib dunkel besalbt, unter hohem Diadem, die Glieder von schimmernden Reifen umwunden, saß er auf hohem Löwenthrone, die schönsten Himmelsfrauen fächelten ihm und wichen nicht von seiner Seite. Sonne und Mond dienten ihm als Lampen und der Wind als Fächer, der Totengott mit seinem Richterstab in der Hand schritt ihm als Trabant vorauf.

So verging lange Zeit, da sprach Taraka, übermütig dank der gewaltigen Wahlgabe, zu seinen Räten: »Was soll mir meine Königsmacht, solange ich den Himmel der Götter nicht unter meinen Fuß getreten habe? Wie soll Frieden in mein Herz einziehen, solange ich nicht meinen Haß gegen die Götter gelöscht habe? Noch verzehren die Unsterblichen in Himmelshöhen ihren Anteil an den Opfern, und Vischnu hält noch die Göttin des Glücks und steht ohne zu zittern. Die Gattinnen der Unsterblichen, von glücklichen Himmelsfrauen im Spiel der Eifersucht gequält, halten noch Lotosblumen in Händen und strömen berauschenden Wohlgeruch im Himmel auf ihren Lustpfaden. Wer, zur Geburt gelangt, als Mann nicht Heldentum bewährt, dem ward Geburt umsonst – da ist Nichtgeborensein besser. Wer nicht den Willen von Vater und Mutter tut und die Verwandten nicht von Harm befreit, oder wer sich nicht Ruhm erwirbt, der fleckenlos leuchtet wie Schnee, der dünkt mich tot, auch wenn er ins Leben geboren ist. Darum schirrt geschwind meinen achträdrigen Wagen an: zum Siege über die Stiere unter den Göttern und um die Göttin des Herrscherglücks über alle drei Welten an uns zu reißen! Rüstet das Heer, die Schar der unbesieglichen Dämonen, und mein Banner, mit Goldstoff bezogen, und meinen mit Perlennetzen umbundenen Sonnenschirm.«

 

Tarakas Reden enthalten ganz schlicht die Psychologie des Krieges, die den Kriegsgott unweigerlich zur Entstehung im Reiche der Erscheinungen bringen muß – das ganze Bündel geläufiger Motive: eingewurzelte Feindschaft, Drang nach Vergeltung, Wiedergewinnung verlorener Macht, Ausweitung errungener Größe ins Unbegrenzte mit wirklicher Demütigung der Feinde, schließlich die Anerkennung eines heldischen Daseins als Sinn des Lebens.

Der Dämon Grasana – »verschlingender Rachen« – rührt die Kriegspauke, und alles, was Welten und Überwelten an Kraft und prahlendem Prunk enthalten, tritt zum Weltkriege um die Macht an. Zehn mal zehn Millionen Dämonen unter den Feldzeichen ihrer Führer: der schwarzen ehernen Krähe Schumbhas, dem goldenen Ochsenfrosch des Büffelstiers Mahischa, unter Krokodils- und Eselsbanner, dazu die Wagen der Führer, von hundert Löwen, hundert goldbekränzten Tigern gezogen, mit Panthern und brunsttollen Elefanten bespannt. Ihnen entgegen sammelt sich das Heer der Götter und Himmelsgeister mit den Scharen der Kobolde, Unholde und Nachtgänger; Yama reitet auf einem Büffelstier, der Feuergott auf einem Ziegenbock, Varuna, der Herr der Wasser, auf der Weltschlange Schescha, Kubera, der Herr der Schätze, fährt durch die Luft einher auf einem Wagen, den menschengestaltige Kobolde ziehen. Varuna führte einen silbernen Schwan, mit Perlennetzen behängt, als Feldzeichen, der Feuergott eine Rauchsäule, Yama einen Wolf aus Gold und Kupfer, goldene Löwen waren die Zeichen von Sonnen- und Mondgott, und Indra führte einen goldenen Elefanten, mit Juwelen bunt besetzt und mit Yakschweifwedeln geschmückt. In Einzelkämpfen und Massenschlachten ohne Maß bedrängen sich die feindlichen Heere; unter der heldischen Wut und den Zauberwaffen der Großen schmelzen die namenlosen Scharen der Kleinen, die ihren Heerbann bilden, dahin wie Butter in Feuer, wie Menschenmassen und Völker in Visionen möglicher Zukunftskriege entfesselter Chemie und Technik. Nacheinander werden Yama und Kubera, Sonnen- und Mondgott und die reitenden Zwillingsgötter kampfunfähig, schon ist Indra selbst bedroht, und das Weltall gerät aus Angst um ihn in Aufruhr – da entrafft sich Vischnu, als er diesen Stand der Dinge sieht, seinem magischen Yogaschlummer auf der Weltschlange und eilt den Göttern zu Hilfe.

Sein strahlender Glanz lenkt die Dämonen von Indra ab; Vischnu bekämpft ihre heldischen Führer mit wechselndem Glück, aber er vermag die meisten nicht zu erschlagen und weiß um diese Grenze seiner Kraft. Zwar fällt er Grasana mit seinem Wurfring, der ihm den Hals durchschneidet; dem Stierdämon Mahischa stopft er den weitaufgerissenen Rachen mit Pfeilen, aber als er davon zu Boden stürzt, spricht Vischnu zu ihm: »Du bist toll, du verdienst nicht durch meine Pfeile zu sterben. Vorzeiten hat dir Brahma verkündet, ›ein Weib wird dich fällen‹ – mach' dich fort aus diesem Gemetzel!« – So mahnt er den Dämon Schumbha, als er ihm Haupt und Arme mit seinen Pfeilen durchbohrt hat, daß ihn das gleiche Schicksal erwartet: von Parvatis Hand zu fallen, »ein Mädchen wird dich fällen«; aber er selbst kann ihn nicht bezwingen: »Verlaß die Schlacht, nicht verdienst du, Toller, hier zu sterben, – was verlangst du Verblendeter umsonst nach Kampf?« – Zwei anderen Dämonen ist schließlich Vischnus Kraft nicht gewachsen: der Widergott Nimi trifft Vischnus Reittier Garuda mit der Keule aufs Haupt, und der Dämon Jambha schlägt Vischnu selbst mit einem Eisenriegel, der bunt wie eine Flut geschliffener Edelsteine glitzert, auf den Kopf; wie zwei mächtige Blitze stürzen die beiden von den grimmen Streichen getroffen zu Boden. Unterm Siegesjubel des Dämonenheeres entraffen sie sich ihrer Betäubung und fliehen abgewandten Gesichts aus dem Schlachtgetümmel.

Indra eilt dem Enteilenden nach und stellt ihn: »Was spielst du Gott mit diesen schlimmen Dämonen? Woher bei dir das Tun eines Mannes, dessen Schwäche böse Menschen zu nutzen wissen? Ein Gemeiner, den der Starke übersieht, mißt sich selber Kraft bei, darum wird ein Kluger den Gemeinen nicht gefahrlos gewähren lassen, vielmehr: dank der Herrlichkeit ihrer Vorkämpfer mögen Wagenhelden den Sieg erringen. Wer war dir in Urzeiten Kampfgefährte, als du den Dämon ›Goldaug‹ erschlugst, Gewaltiger? ›Goldgewand‹ prahlte mit seiner Kraft und blähte sich trunkenen Mutes – da geriet er an dich und erfuhr schmerzliche Verwirrung seines Bewußtseins. Auch die mächtigen Dämonenfürsten früherer Zeiten, die Götterfeinde, fielen alle dem Untergange anheim, wie Heuschrecken, die ins Feuer fallen; und Weltalter um Weltalter bist du ja der todbringende Endbereiter der Dämonen! So sei auch jetzt Schirm der Götter, die ertrinken!« – Aber Vischnu weist ihm die Grenze der Götterkräfte: »Die Dämonen können ein jeder nur seines eigenen Todes sterben, unbesieglich ist Taraka, allein ein Knäblein von sieben Tagen kann ihn töten. Einer hat erlangt, daß er von der Hand einer Frau stirbt, einem anderen wird ein Mädchen den Tod bringen. Jambha freilich ist reif zum Tode, darum erschlag dieses Fieber der Welt mit deiner göttlichen Heldenkraft! Kein Wesen kann ihn töten außer dir, darum reiß der Welt diesen Dorn heraus!«

Aber auch dieser Sieg, dem Götterkönig verheißen, gelingt ihm nur nach wechselvollem Kampfe und unter Aufgebot vieler Zauberwaffen. Göttliche und dämonische Maya streiten wider einander: Indra gebraucht den Zauber der Seligen Himmelsgeister, die Gandharvenwaffe: da ist der Raum rings erfüllt von strahlendem Glanz, von wunderbar gestalteten Burgen der Gandharven mit vielen Wällen und Toren, die nach allen Seiten Geschosse regnen; aber der Dämon entsendet die Zauberwaffe »Keulenhaft«: da ist die Welt im Nu mit ehernen Keulen erfüllt, die unwiderstehlich rings mit einem einzigen Schlage wirken und die Gandharvenstadt samt ihren Götterheeren zermalmen. Da gebraucht Indra die Waffe des »göttlichen Werkmeisters«, sie schafft Gerüste rings mit schützenden Dächern, an denen die Wucht der keulenregnenden Waffe erlischt. Aber Jambha schleudert die Felsblockwaffe: ein Regen klaftergroßer Steinblöcke bricht los und zerschlägt die zauberischen Gerüste der Werkmeisterwaffe. Eine magische Blitzkeilwaffe aus Indras Hand zerreißt wiederum den Platzregen der Steinblöcke, aber schon ist Jambha mit einer Schilfrohrwaffe zur Stelle, die das Heer der Feinde wie dürres Schilf in Flammen aufgehen läßt. Indra entsendet dagegen eine Feuerwaffe, um die Dämonen zu verbrennen, aber in flinker Geisteshelle gebraucht Jamba die Varunawaffe, die Flammen zu löschen: rings füllt sich der Himmel mit Gewitterwolken voll zuckender Blitze und tiefem Paukenrollen, dick wie Elefantenrüssel schießen die Wasserstrahlen herab – da schafft Indra die Windgottwaffe, deren Atem die Wolken zerweht, daß der Himmel wieder fleckenlos wird wie das Blütenblatt eines blauen Lotos. Um die Dämonen vor dem furchtbaren Sausen dieses Windes zu decken, wandelt sich Jambha in einen riesigen Berg, aber Indra sendet seinen demantenen Donnerstein auf diese Mayagestalt herab, daß rings die Schluchten und Wasserstürze am Bergleib des Dämonen zerstieben.

Die Verwandlungskraft unbändigen Lebens in Gott und Dämon bleibt unerschöpflich: Jambha verwandelt sich in einen riesigen Elefanten, der die Heere der Götter zerstampft, Indra gebraucht die Waffe des Löwenmannes: Löwen zu Tausenden wimmeln aus ihr hervor, mit Pranken wie Sägen, und zeigen in wieherndem Lachen die schwarzen Zähne. Sie zerreißen den Elefanten, da wird der Dämon zur Giftschlange mit hundert Hauben, ihr Gifthauch verbrennt die Götter, aber Indra greift zur Garudawaffe, tausend Garudas fliegen aus ihr auf, diese Sonnenvögel, Todfeinde der Schlangen, zerfetzen das vielköpfige Ungeheuer. Wieder entgeht Jambha seinem Untergang: er verwandelt sich in Rahu, den Dämon, der Sonne und Mond bei ihren Verfinsterungen verschlingt, und das Heer der Götter strömt mit seinen Streitwagen und Elefanten in seinen Rachen, dessen Gaumen sich dehnt wie der Abgrund der Tiefe. Indra ist ratlos: »Was bleibt uns übrig, das flugs getan werden müßte? Woran sollen wir uns halten, wenn wir mit diesem Dämon kämpfen wollen?« Aber Vischnu spricht ihm zu: »Steh jetzt nicht kleinmütig und verzagt vom Kampfe ab, wachse schnell auf zu großer Maya gegen den Feind! Er ist von mir gezeichnet, meine Kraft ist der seinen gewachsen, gib dich keinem Wahn anheim, gedenke schnell meiner Waffe, o Fürst!« Da trifft Indra den Dämon mit der Narayanawaffe, die Vischnus Kraft als Urwesen enthält, ins Herz; ein Schwall von Blut, der das Schlachtgefild erfüllt, strömt aus dem Dämon, und seine Mayagestalt löst sich ins Unsichtbare auf.

Aber aus dem leeren Raume regnet er einen Schauer von Waffen, der die Götterscharen verstümmelt und erschlägt. Der Boden wird schlammig von Fleisch und Blut, zu Teichen staut sich das Blut mit wirbelnden Fluten, Leichenhaufen türmen sich bergehoch, Leichname tanzen ohne Kopf, Schakale und Geier mästen sich an den Toten, Leichendämonen berauschen sich am Blut und feiern ihr Festmahl auf dem Schlachtfelde. Umsonst zielen die Götter mit wunderbaren Waffen in den Luftraum, den unsichtbaren Dämon zu treffen, schließlich wendet Vischnus Rat ihre Not: »König der Götter, sinne auf die Brahmawaffe, die todbringende, der keiner entfliehen mag!« Da richtet Indra sein Sinnen auf diese Waffe, er verehrt den ewigen feindvernichtenden Pfeil und sammelt seinen Geist auf ihn, er legt ihn auf den unbezwinglichen Bogen, senkt seinen Geist in eins mit dem Zauberspruch, der die Kraft der Brahmawaffe in den Pfeil bannt, er richtet seine innere Schaukraft auf den Tod des Dämons und bringt, sein Innerstes anspannend, den Zauberspruch über seine Lippen. Er zieht den Pfeil auf der Sehne bis zum Ohre an und schießt ihn ab, mit aufwärts gerichtetem Blick folgt er seinem Pfad durch den Raum. Da verläßt der Widergott, als er die große Waffe auf sich gerichtet sieht, seine Maya und tritt auf die Erde: zitternden Gesichts, mit versiegender Kraft, den Leib von Beben erfüllt, empfängt er den tödlichen Schuß.

Sein Tod jagt die Dämonen in die Flucht: sie fliehen zu Taraka, aber nur um ihren Herrscher in die Schlacht zu ziehen. Der Unüberwindliche bringt die Entscheidung – das sieben Tage alte Kind, das ihn fällen könnte, ist ja noch nicht geboren. Vischnus unwiderstehlicher Wurfring zerschmettert an seinem Leibe wie eine Lotosblüte an einem Stein, Indras ehrfürchtig langgehegter Blitzkeil, auf dem seine Siegeshoffnung steht, zerbirst an seiner Brust strahlensprühend in hundert Stücke, der Stab des Todesgottes saust auf das Haupt des Dämons nieder, aber er spürt es nicht. Taraka springt von seinem Streitwagen und erschlägt die Götter zu Myriaden mit seinen Händen und Sohlen; von seinen Pfeilen kampfunfähig, werden ihre Fürsten seine Gefangenen. Er fesselt Indra, Vischnu und die anderen Welthüter wie ein Viehschlächter seine Opfer. Gepriesen von den Dämonen, aufgeheitert von Himmelsfrauen kehrt er heim in seine Stadt: Glück und Glanz der drei Welten ist bei ihm. Er setzt sich auf seinen Rubinenthron, auf einen Wink seines Hauptes meldet ihm der Türhüter: »die gefesselten Götter stehen am Tor – was soll mit ihnen geschehen?« Er gibt zur Antwort: »Wo es ihnen gefällt, mögen sie bleiben. Alle drei Welten sind mein Haus. Nur soll man ihnen unverweilt die Fesseln abnehmen.«

Die kosmische Oper martialischen Ringens ist verrauscht; was menschliche Vernichtungswut an grauenhaften Wirkungen, haarsträubenden Überraschungen in einer Kultur ohne Technik und Chemie ersinnen kann, den Feind zu überwältigen, hat in ihr getobt – ohnmächtig wandern die Entthronten durch ihr Herrschaftsbereich, das ihr allumspannendes Gefängnis ward. Sie nehmen ihre Zuflucht zu Brahma und preisen ihn; der Weltentfaltende, dem Streit der Welt entrückt, hört die Klage der Götter und setzt sie auf die Fährte künftiger Wendung ihres bitteren Loses: »Nicht zu erschlagen von allen Göttern und Widergöttern ist Taraka; wer ihn erschlagen wird, ist noch nicht geboren in allen Welten. Durch Gewährung der Wahlgabe ihm schmeichelnd wandte ich ihn ab von asketischer Glut, die alle Welten zu verbrennen kräftig war, und er wünschte sich den Tod von der Hand eines sieben Tage alten Knaben. Dies Kind von sieben Tagen wird dem Friedebringer entstammen, sonnengleich wird es leuchten, noch aber ist Schiva ohne ein Gemahl. Mein altes Wort: ›Die Göttin, die immer mit offen ausgestreckten Händen steht – offen ausgestreckt und Gabe verleihend ist immerdar ihre Hand‹ – diese Göttin wird die Tochter des Himalaya werden, aus ihr wird Schiva, wie der Feuergott aus dem Reibholz den Funken, den Knaben erzeugen, der Taraka angreifen wird. Ich schuf den Weg, denn so wird es seinen Lauf nehmen. Und was der Dämon sonst an Macht entfaltet hat, wird ihm in den Untergang folgen – nur einen Tropfen Zeit noch sehet ihm unbesorgten Sinnes zu!«

So sprach der Lotosgeborene zu den Göttern; sie fielen zu seinen Füßen nieder und machten sich auf zu Schiva. Als sie gegangen waren, gedachte der Ältervater der Welten in seinem Geiste der Nacht, seiner erstgeborenen Tochter: da trat die erhabene Nacht aufwartend vor ihn hin, er schaute sie an und sprach abseits in der Stille zu ihr:

»O Nacht, ein großes Werk steht den Göttern bevor; du mußt es wirken, Göttin, vernimm des Werkes Plan! Der Dämonenherrscher Taraka, ein feindliches Gestirn für die Götter, ist unbesiegt. Ihn zu vernichten, wird Schiva einen Sohn erzeugen, der wird ihm das Ende bringen. Aber die Tochter Dakschas, die Reine, die seine Gattin war, starb aus Zorn in einem früheren Geschehen. Sie, die Weltenfrau, wird die Tochter des Himalaya werden. Von ihr verlassen fand Schiva alle drei Welten leer, Glut in Askese sammelnd haust er in einer Schlucht des Himalaya und erwartet ihre Wiedergeburt. Aus beiden, die in voller Glutkraft glühen, wird der Starke kommen, der Taraka Vernichtung bringen wird.

Eben geboren, wird die Göttin klein an Einsicht sein und ein leidenschaftliches junges Weib. In ihrer Verlassenheit hebt sie sehnsüchtig die Kehle und verlangt inbrünstig mit Hara vereint zu sein. Wenn beide in voller Glut der Askese geglüht sind, werden sie sich vereinen, du Strahlenantlitz! Dann aber wird zwischen beiden sich ein kleiner Wortstreit erheben, und ungewiß scheint, was mit Taraka geschehen wird. Darum, wenn beide von Verlangen nach Liebeslust ganz voll sind, vernimm, wie du Störung zwischen ihnen schaffen sollst: während die Göttin noch im Leibe ihrer Mutter wohnt, färb' sie mit deinem Dunkel! Darob wird Schiva im Scherze von ihr ablassen, darüber erzürnt, wird die Reine ihn schelten und verlassen, um sich asketischem Glühen zu weihen. Der Sohn in unermessenem Glanze schön, den sie aus solcher Glut Schiva gebären wird, wird wahrlich der Töter der Götterfeinde sein.

Auch du wirkst mit am Tode der Dämonen, die aller Welt kaum besiegbar sind; solange aber die Reine nicht Fülle alles Schönen an ihrem Leibe vereinigt hat, solange wirst du, ihr vereint, die Dämonen nicht erschlagen können. Ist's so vollbracht, hat die Weltentfaltende und Welteinraffende in Glut geglüht und ihr Gelübde erfüllt, dann wird sie ihre eingeborene Farbe erlangen. Und dein eingeborener Leib wird sie sein: einig und teillos, du aber wirst mit einem Teile deiner Gestalt in Uma sein. Als einig und teillos wird die Welt dich, Gabenschenkende, verehren! Vielgestaltig zerspalten allerwärts wandelnd bist du Wunscherfüllerin: als heilige Weise Gayatri, deren Angesicht der OM-Laut ist, verehren dich die Künder heiligen Wissens, als sieghaft überwältigende Kraft die langarmigen Könige. ›Du bist die Erde‹, sagt der Bauer und nennt dich seine Mutter, als Schivas Frau verehren dich die Unterworfenen. Unerschütterliche Ruhe bist du den Heiligen, all-liebendes Gefühl den Selbstbezwingern, Weltklugheit, in die alle Mittel und Wege zusammengemolken sind, bist du den schlangenhaft Klug-Gewandten. Du bist klare Sonderung des Sinns, bist Sehnen, das Atmenden im Herzen liegt; du bist Erlösung allen Wesen, bist der Gang aller Körperhaften, Ruhm der Ruhmreichen, Gestalt aller leibhaften Wesen. Du bist die Lust der in Liebe Entbrannten, bist Freude in denen, die beglückt ihr Liebstes schauen, bist Liebreiz der Geschmückten, bist Frieden der schwer Ringenden. Du bist schwindelnde Betörung All-erkennender, bist der Gang der Opferfeiernden, bist der Weltmeere große Dünung und die Anmut der in ihren Reizen Spielenden. Du bist Ursprung aller benannten Dinge, bist Bestand, der die Welten schirmt, und bist die Dunkelnacht des Todes, die alle Welten und Wesen vernichtet. Du schenkst, o Nacht, die Seligkeit der Umhalsung Liebender: so wirst du mit zahllosen Gestalten in der Welt verehrt. Die dich preisen, Gabenschenkende, oder dir Verehrung bezeigen, erlangen alles, was sie wünschen, das ist gewiß.«

Schiva, und die Göttin als Einheit

So sprach Brahma zur Göttin Nacht, und sie antwortete ihm »Ja« mit ehrfürchtig vereinten hohlen Händen. Sie eilte ins herrliche Haus des Himalaya und fand dort an einer juwelenen Wand Mena, die Gattin des Himalaya, sitzen. Ihre Haut spielte ins Weiße, sie saß ein wenig geneigt unter der Last ihrer steilen Brüste mit blau-dunklen Spitzen. Könige unter Zaubersprüchen, von starken Heilkräutern umringt, warteten ihr auf, als Leibwache bäumten sich große Schlangen empor. Juwelenlampen in Scharen erhellten mit ihrem Blitzen den Palast, Verklärte und geistgeborener Hofstaat erfüllten ihn rings. Als mählich der Tag entschwunden war, breitete die Nacht sich weit in Menas Palaste; die Männer schliefen zumeist, die Frauen des Gefolges überkam der Schlummer. Hell schien der Mond, Nachtvögel schwirrten, an Kreuzwegen sammelten sich nächtlich streifende Unholde, in enger Umhalsung hingen Liebende an der Geliebten: da drang die Nacht in Menas Mund hinein, und Menas Augen zitterten ein wenig. Überlang dehnte sich die Vereinigung der Nacht mit der künftigen Mutter der Weltenmutter, mählich drang die Nacht in die Tiefe ihres Leibes, und ihr war dabei, als ginge sie einer neuen Geburt entgegen: so färbte die Nacht die Haut der ungeborenen Göttin im Mutterleibe dunkel.

Sie ward geboren, und die Wesen aller Welten, was immer ruht und sich regt, wurden von Glück erfüllt. Auch Wesen in Höllenwelten empfanden hohe Freude, wie selige Welten sie kennen, und der Sinn grausamer Geschöpfe ward friedestill. Die Himmelslichter strahlten, die Gewächse der Wildnis standen vor Lust gereckt, Früchte füllten sich mit Süße, Blütenranken dufteten, und das Himmelszelt war fleckenlos klar. Lind strich der Wind, lieblich waren die Fernen, schimmernd in Fülle fruchtreicher Ernten, die Erde prangte reisbekränzt. Es war eine Zeit, wo langgehäufte Gluten selbstbezwungener Asketen endlich Frucht trugen, vergessene heilige Lehren wieder ans Licht traten, und die Wunderkraft bedeutender Wallfahrtsorte höchst heiligend wirkte. Im Luftraum schwebten Götter zu Tausenden in ihren Wagenpalästen einher und sandten einen Blumenregen auf den Himalaya hernieder, hohe Selige sangen, und Scharen von Himmelsfrauen tanzten. Leibhaft kamen von allen Seiten die gewaltigen Berge, der Weltberg Meru ihnen voran, und Ströme und Meere zum hohen Freudenfest mit Weihgaben in Händen.

Mählich wuchs die Göttin als Tochter des Himalaya heran; sie glich der Göttin der Schönheit und vereinte die Eigenschaften der Götter, Himmelsgeister und Schlangen mit den Kräften der Erde. Götter lenkten ohn' Ermüden ihr Reifen, ihr eigenes Wesen schritt ihnen voran.

Indes gedachte Indra in seinem Geiste Naradas, des göttergeliebten Heiligen, der Aufträge schnell vollzieht; der nahm sein Gedenken wahr und kam zu ihm. Indra sagte ihm: »Da ein Halm des Wohlergehens in der Dreiwelt erkeimt ist, sei unverdrossen, Heiliger, zu wirken, daß er Frucht trage. Zwar weißt du alles, doch macht es den Planenden hochzufrieden, wenn er, was ihn bewegt, den Freunden vertraut. Alle, die auf unserer Seite sind, sollten sich bemühen, die berggeborene Göttin und Schiva zu vereinen.«

Narada begab sich zum Himalaya, und der Berg empfing ihn gebührend. Auch Mena kam, im Wunsche, den hohen Heiligen zu sehen, mit ihrer Tochter und nur wenigen Begleiterinnen. Schamhaft und ehrerbietig neigte sie sich vor dem willensgewaltigen Heiligen und empfing seinen Segen; die göttliche Tochter schaute staunenden Sinnes den großmächtigen Seher, und »Komm näher, Kind«, sprach Narada zu ihr mit weicher Stimme, – sie aber schlang den Arm um ihres Vaters Hals und barg sich auf seinem Schoße. Die Mutter verwies sie: »Tochter, verehre den Ehrwürdigen, davon wirst du einen Gatten erlangen, wie er dir lieb ist!« Aber Uma bedeckte schamhaft ihr Gesicht mit dem Saum ihres Kleides, neigte ein wenig das Haupt und sprach kein Wort. Da sagte die Mutter: »Kind, verehre den göttlichen Seher, dann schenk' ich dir etwas Schönes, ein Spielzeug aus Juwelen, das ich schon lange für dich aufgehoben habe« – da ergriff die Tochter geschwind die beiden Füße des Heiligen und verehrte sie stumm, ihre Hände wie einen Lotoskelch zum Haupte führend.

Als sie den Heiligen verehrt hatte, drängte die Mutter sacht, durch den Mund einer Freundin vom Heiligen glückverheißende Zeichen am Leibe ihrer Tochter zu erfragen, aus Wißbegier und weil sie um ihrer Weibsnatur willen vorsorgende Gedanken um die Tochter im Herzen trug. Der Berg erkannte, was seine Gattin insgeheim bewegte, und meinte, dies füge sich erwünscht; und von der Freundin nach dem künftigen Gatten des Mädchens befragt, gab der Heilige lächelnd zur Antwort: »Nicht geboren ist ihr Gemahl, und dieses Mädchen, aller Zeichen bar, wird immerdar die Hände ausgestreckt halten und wird mit Strahlen, die ihre Füße umspielen, in ihrem eigenen Spiegelschimmer stehen – was ist da sonst viel zu sagen?« –

Diese Worte versetzten den Himalaya in große Bestürzung: »Du hast mir eine Fülle von Fehlern am Leibe meiner Tochter gesagt – oh, ich komme von Sinnen, ich verdorre, ich verwelke und gehe zugrunde, Narada! Du hast gesagt, ›nicht geboren ist ihr Gemahl‹ – dieses Unglück ist unwägbar, untragbar! Du sagst, ›sie wird die Hände ausgebreitet halten‹, aber das gilt doch für Hilfeflehende, nirgendwann aber für Schenkende, die in Herrlichkeit aufgestiegen und mit Gut gesegnet sind. Du sagtest, ›ihre Füße werden von ihrem eigenen Spiegelschimmer umspielt sein‹ – auch daraus glänzt mir keine Hoffnung auf Glück entgegen. Und was so andere Zeichen am Leibe sind, die im einzelnen Früchte des Lebens verheißen: Glück, Reichtum und Söhne, und die von der Länge des Lebens und dem Erlangen eines Gatten sprechen – aller dieser ist sie bar, sagtest du! Darum komme ich von Sinnen, und das Herz will mir zerreißen.«

Aber Narada tröstete ihn lächelnden Mundes: »Nicht geboren ist ihr Gatte, denn er ist Urstand alles Erstandenen, Wesenden und künftig Erstehenden, er ist Zuflucht, Lehrer und höchster Herr. Brahma, Vischnu, Indra und die Heiligen sind, mit Geburt, Alter und Tod geschlagen, allesamt Spielzeuge dieses Höchsten; seinem Willen entworden west Brama als Walter der Welten, ersteht Vischnu Weltalter um Weltalter riesigen Leibes in mancherlei Geburt. Was von Brahma zuhöchst hinab bis zu Halm und Stein ewiger Kreislauf des Lebens genannt wird, dreht sich willenlos um sich selbst, von Geburt, Tod und Leid beklommen; der Große Gott aber, unerschütterlich und starr, wird nicht geboren, noch zeugt er, alterslos: er, der fleckenlose Beschirmer der Welt, wird ihr Gemahl sein. Ich sagte, ›die Göttin ist der Zeichen bar‹ – vernimm die gültige Deutung meines Wortes! Ein Zeichen ist ein Mal vom Schicksal her, das an des Leibes Teilen haftet, es offenbart die Lebensdauer und das Maß von Gut und Glück. Für dieses Glück ohne Ende und Maß gibt es kein Mal am Leibe, das sein Zeichen wäre – darum findet sich keines an ihr. – Ich sagte, ›immerdar werden ihre Hände ausgebreitet sein‹: ausgebreitet, Gaben gewährend ist allzeit die Hand dieser Göttin; Göttern, Widergöttern und Heiligen wird sie Gaben nach Wahl gewähren. Wenn ich weiter sagte, ›ihre Füße werden von ihrem eigenen Spiegelschimmer umspielt sein‹ – vernimm was das meint: ihre Füße, die wie Lotosblüten schimmern und mit durchsichtig-hellen Nägeln strahlen, werden von den Juwelendiademen der Götter und Widergötter, die sich vor ihnen neigen, in vielerlei Farben glänzen, widerspiegelt im eigenen Schimmer, denn sie ist die Gattin des Höchsten in aller Welt. Gebärerin der Ordnung aller Welt, die alles Gewordene werden macht, erstand sie in deinem Reiche, um es zu heiligen. Darum richte du es gebührend, daß sie alsbald mit dem Gotte vereint wird, der den Bogen führt – Großes, Unermeßliches ist den Göttern daran gelegen!«

Als der Himalaya all das von Narada vernommen hatte, wähnte er sich neugeboren, er dankte dem Heiligen und pries ihn; Narada aber nahm Abschied von ihm, eilte zu Indra, berichtete ihm alles und gab ihm den Wink: »Nun ist der Augenblick für den Liebesgott gekommen.«

Widerwillig vernahm der Liebesgott Indras Befehl, das Herz Schivas mit seinem Blumenpfeile zu rühren; er ahnte, daß dieser Auftrag über seine Kräfte ging. Aber er mußte gehorchen; er nahm sich »Honigrausch«, den Lenz, und seine Gattin Rati, die »Liebeslust«, zu Gefährten und brach zum Gipfellande des Himalaya auf. Er kam zur Einsiedelei des Herrn aller Wesen, die, Lebenssaft aller Erde, von schlanken Fichten eingehegt war. Friedvoll ergingen sich dort die Geschöpfe, Tiere der Berge tummelten sich, Schlingpflanzen mit vielerlei Blüten spannen ihre Netze, ruhevoll weideten Stiere auf blaugrünen Hängen.

Der Liebesgott erblickte einen strahlenden, schönen Mann, der war wie ein Zwilling des dreiäugigen Schiva, es war Viraka, der »Heldenhafte«. Seine Mähne geflochtenen Haars war rotgelb wie Blütenfäden von Safran, als Torhüter hielt er gesammelten Sinnes ein Bambusrohr in Händen, grimme Schlangen umwanden ihn als Schmuck. Schritt um Schritt sich nähernd, erblickte der Liebesgott dann Schiva selbst. Er hielt die Lider gesenkt über seinen schlummerlosen Augen, die wie dunkelblaue Lotosblütenblätter schimmerten, und blickte starr auf seine Nasenspitze. Er strahlte rötlich unterm Feuer des Atems, der aus den Schlangen schnob, die sein Ohrschmuck waren. Die Fülle geflochtenen Haars hing ihm rings wie Flaschengurken um den vibrierenden Schädel, er saß in der Mitte der Ringe, zu denen sich der Schlangenkönig Vasuki zusammengerollt hat, um ihm einen Yogasitz zu bieten. Schlangenwesen waren sein Schmuck, sie standen aufrecht auf ihren Schwanzspitzen und hielten die Hände verehrend erhoben.

Da ging der Liebesgott ins Summen der Bienen ein und drang mit diesem wunderbaren Geschoß durchs Tor des Ohres in Schivas Sinn. Als der Friedebringer den süßen Laut vernahm, in dem der Liebesgott sich barg, gedachte er liebeentzündeten Sinnes der Tochter Dakschas. Da zog sich die fleckenlose Sammlung völligen Versunkenseins mählich von ihm ab, seine Sammlung nahm die augenfällige Gestalt seines Wunschziels an; dann ward er ganz zu diesem Wunschbild: er bestand aus ihm, und sein Inneres war von Störung bedeckt. Aber dank der Willensgewalt, mit der er sich selbst besaß, ward er sich dieses Wandels bewußt, in dem der Liebesgott wirkte. Leis erfüllte ihn Zorn. Er hielt sich an seine Stetigkeit, hüllte sich ganz und gar in die Maya seines Yoga, um die Gegenwart des Liebesgottes zu vertreiben. Da faßte den Liebesgott flammendes Feuer, als Schivas Maya ihn durchdrang, aber er rettete sich: er floh aus Schiva hinaus und nahm draußen seinen Stand, sein herzlieber Freund »Honigrausch« trat ihm zur Seite. Er sah ein liebliches Blütenbüschel vom Mangobaum, das ein linder Wind herabwehte, das schoß er als betörenden Pfeil auf Haras Brust. Vom Blumenbogen fuhr der große Pfeil, scharf, schlank und betörend, in Schivas reines Herz. Ins Herz getroffen ward Schiva wirr an seinem Leibe, und, wenn auch stät wie ein Berg, ward er der Liebe geneigt. Aber Herr seiner Gefühle, geriet er nicht in Erregung. Er wandte sich der äußeren Vielfalt zu, aus der die Störung kam, drohend ging von seinem Munde ein Murren, das dem Feuer seines Zorns entquoll, und sein drittes Auge, das fürchterlich die Welt im Weltbrand-Ende zusammenrafft, schwoll Glut. Weit riß er das Auge gegen den Liebesgott auf, der vor ihm stand, und – die himmelthronenden Götter schrien vor Entsetzen auf! – traf ihn mit einem Strahl seines Auges: da verbrannte der Gott, der die Liebenden keck macht, in einem Augenblick zu Asche.

Das Feuer, das aus Schivas Auge sprühte, drohte die ganze Welt zu verzehren, aber um der Welt willen verteilte er es auf Mango, Honig und Mond und andere freundliche Gottheiten, auf die Bienen und die Gesichter der Kokilvögel. Dies scharfe Feuer, das den Liebesgott suchte und ihn verbrannte und das Schiva durchdrang, verteilt sich aufwühlend in aller Welt und breitet sich unwiderstehlich aus, innerlich strömend, von Leidenschaft und Neigung entflammt. Wenn es das Herz der Liebenden erreicht, das Zärtlichkeit durchtränkt, flammt es furchtbar Tag und Nacht: unheilbar, ganz zehrender Mund.

Als die »Liebeslust« den Liebesgott zu Asche verwandelt sah, klagte sie bitter um ihn mit »Honigrausch«. Sie bestäubte sich den Leib mit seiner herzlieben Asche und fiel anbetend vor Schiva in die Knie, pries ihn und beschwor ihn: »Schenke mir Ruhmesfülle des Liebesgottes, wieder leben soll der Gott der Liebe! Wen Liebevollen unter allen, denen Leben lieb ist, gibt es außer dir in allen Welten? Herr der geliebten Frau, Ursprung alles Lieben, der Fernstes und Nächstes in kreisendem Wandelspiel führt – du ganz allein bist der Beschützer der lebendigen Welt; mitleidsvoll entwurzelst du die Angst deiner Gläubigen!«

Da blickte Schiva sie mild an und verhieß ihr: »Und er wird wieder da sein, dein Liebesgott – es wird nicht lange währen; leiblos wird er wieder erstehen und als der ›Leiblose‹ in allen Welten berühmt sein.« Auf diese Worte neigte die Liebste des Liebesgottes ihr Haupt verehrend, dann ging sie in ein liebliches Wäldchen des Himalaya; an lieblicher Stätte weinte die trauernde Rati viel, aber ihr Entschluß, zu sterben, war durch Schivas Verheißung ausgelöscht.

Indes schmückte der Himalaya, angetrieben durch Naradas Worte, seine Tochter bräutlich und machte sich auf mit ihr, sie dem ›Berggelagerten Gott‹ zu bringen. Er schritt mit ihr durch Wälder und Haine, da fand er an einem Hange eine weinende Frau von unglaublicher strahlender Gewalt, kein Weib war ihr an Schönheit gleich: es war Rati. Auf seine Frage nach ihrem Kummer erzählte sie ihm vom flammenden Zorn des göttlichen Asketen, da wandte sich der Berg angsterschreckt, nahm seine Tochter bei der Hand und wollte umkehren. Aber seine Tochter riß sich los und rief: »Was tu' ich mit meinem unglückseligen Leibe? Wie wird solch ein Glück erlangt, daß er mein Gatte wird? Durch Glutgewalten erlangt sich Ersehntes, nichts ist unerlangbar für den Glühenden. Unnütz gibt sich die Welt mit Unglücklichsein ab, es gibt ja den Weg des Vollbringens. Besser als das unselige Leben eines, der keine Glut in Askese schafft, ist es, zu sterben. Ich aber werde leben – da ist kein Zagen –, mit Entsagungen laß ich meinen Leib dorren. Hier will ich Glut in Askese schaffen – hab' ich sie erreicht, bin ich schwer zu erlangen!«

Der König der Berge ward von Zärtlichkeit beklommen und sprach mit zitternder Stimme zu ihr: »O nicht! – u ma – du ungestümes Kind, dein Leib hält asketische Gluten nicht aus; künftige Dinge muß man reiflich erwägen, wir wollen nach Hause gehen, dort will ich nachdenken.« – Sie wollte ihm nicht folgen, und er drang in sie – da erscholl eine Stimme vom Himmel: »Weil du zu deiner Tochter sprachst: ›O nicht – u ma –‹ soll ihr Name Uma sein. Und die Vollendung, auf die sie sinnt, wird sie leibhaft an sich vollenden.«

Auf dieses Wort vom Himmel ward der Berg blaß wie hellweißes Riedgras, ließ der Tochter ihren Willen und begab sich nach Hause. Sie aber ging zu einem Berg, der selbst Göttern unzugänglich war, von vielen Gesteinen und Erzen geschmückt, dort sah sie einen breitästigen Baum mit grünem Laube, der zu allen Jahreszeiten blühte und wie hundert Wunschbäume strahlte. Unter ihm legte sie Gewand und Schmuck ab, hüllte sich in ein Bastkleid und flocht sich einen Gürtel von Gräsern. Dreimal des Tages badend, nur vom wilden Reis der Regenzeit sich nährend, brachte sie dort einhundert Herbste zu, hundert Herbste lebte sie nur von einem dürren Blatt, hundert blieb sie ohne Nahrung: so ward sie ein Hort aller asketischen Glutgewalten.

Da gerieten alle atmenden Wesen außer sich vor dem Feuer ihrer Glutkraft Indra aber gedachte der Sieben Heiligen, da kamen sie und fragten nach seinem Begehr; er gab ihnen den Auftrag: »In furchtbarer Askese glüht die Tochter des Himalaya; ihr sollt den Wunsch, den sie im Herzen hegt, erfüllen.« Da flogen die Sieben Heiligen zur Göttin und fragten sie: »Tochter, Lotosäugige, hast du einen Wunsch bei dir beschlossen?« – Parvati schwieg, aus Ehrfurcht erst, dann aus Scham, schließlich bekannte sie: »Erhabene, Ihr erkennt, was geistig in atmenden Wesen liegt. Ich verlange das Unmögliche, ich habe mich darauf gesammelt, Schiva zum Gatten zu bekommen, der, schon von seinem Wesen her unnahbar, jetzt noch in glühende Askese versunken ist. Götter und Dämonen können ihn nicht ergründen, und jetzt hat der Verlangenslose auch noch den Liebesgott zu Asche verbrannt – wie könnte meinesgleichen Gunst finden bei seinesgleichen: bei Schiva dem Herrn?«

Die Heiligen antworteten ihr: »Zweierlei Seligkeit nur, o Tochter, wird in den Welten erfahren, dank der Freuden dieses Leibes und in erlösender Ruhe des Geistes; Schiva aber – so ist sein Wesen – ist in den leeren Raum gewandet und furchtbar. Er schläft auf Leichenplätzen, die Schädelschale in der Hand geht er bettelnd und nackt, er ist mißschaffen mit seinen drei Augen und ist starren Tuns. Er gleicht einem Trunkenen und Tollen, alles Abstoßende vereint er in sich. Welchen Nutzen erhoffst du dir von diesem Asketen, dem leibhaften Unnutzen? Verlangt dich nach Freuden deines Leibes? – Wie kämen sie dir von dem Fürchterlichen, der Ekel schafft? Er schmückt sich mit Schädeln, die von Blut und Hirn triefen, grausig ist sein Schmuck aus grimmen, schnaubenden Schlangen, und fürchterliche Quirlgeister sind sein Gefolge.«

Die Heiligen priesen ihr Vischnu und Indra, Wind und Feuer oder den Gott der Schätze als Gatten, sie aber sprach mit zornroten Augen und sprühenden Lippen: »Welch Gefallen liegt im Ergreifen des Wesenlos-Unwirklichen? Wer sandte die zum Verkehrten raten auf den Pfad des Guten? Meint Ihr, ich sei so arm an Einsicht, so töricht, das Wesenlose zu ergreifen und hinzutreten, wo kein Stand ist? Ihr seid allschauend, wißt Ihr nicht um den ewigen Gott: ungeboren, unentfaltet, unermessen im Aufgang seiner Größe? Ich will nicht rühren an die wunderbare Verkündung des wahren Wesens seiner Eigenschaften, auch die Herrscher der Götter, Vischnu und Brahma, wissen nicht um sie. Was aber aus seiner Kraftentfaltung von selbst erstand, zu Wesen und Welten sich auftat, allen Wesen offenbar – wißt Ihr auch darum nicht? Wessen Leib ist das Himmelsgewölbe, das Feuer und der Wind? Wessen die Erde und das Weltmeer, wessen Augen sind Sonne und Mond? Wessen Lingam verehren Götter und Widergötter voll gläubiger Hingabe in ihren Welten, wen nennen Brahma und Indra, Götter und Seher den ›Herrn‹? Fürwahr, ihr Gesegneten, mich verlangt nicht nach der himmelbewohnenden Götter einen, die allesamt nicht lauter sind und recht arm an Fülle des Seins – es sei denn nach dem bogentragenden Schiva. Zu ihm habe ich meine Zuflucht genommen, und dieser mein Entschluß gilt auf lange und ist jenseits seines Widerspiels. Geht von hinnen oder bleibt nun hier, ihr Heiligen, und verfügt über mich.«

Als sie so sprach, füllten sich die Augen der Heiligen mit Tränen des Glücks, sie schlössen die Glühende in ihre Arme und priesen sie dankerfüllt: »Um die Festigkeit deines Entschlusses zu prüfen, sind wir gekommen; nicht lange mehr, und dein Wunsch wird sich erfüllen. Wie wäre die Sonne ohne Strahlenkraft, Juwelen ohne Schimmer – wie wärest du ohne den ›Berggelagerten Gott‹? Wir gehen, ihn auf vielfältigem Wege zu bitten, denn auch uns webt dieses Ziel mächtig im Herzen. Du allein aber hast es erkannt und weisest den Weg, darum wird der ›Friedebringer‹ gewiß vollziehen, was geschehen muß.«

So sprachen sie und eilten zu Schiva. Sie durften ihm nahen, als er am Abend seine Versenkung beendete und zur Ganga baden ging; sie priesen ihn und sprachen: »Jetzt sind wir wirklich am Ziel, nun wird der Götterherrscher der Freier sein; ein Mädchen wird seinem Gatten übergeben werden, die Frucht seiner Glutgewalt ward vom lauteren Wasser deiner Gnade getränkt! Heil dem Himalaya um seines Kindes willen! Taraka, der alle Götter Entwurzelte, erlebt seine Ernte; wenn er den Sohn erblickt, der von dir kommen wird, muß er aus seinem Leibe scheiden! Du wirst wirken am Haupt der lebendigen Welt mit der Kraft, die lebendige Wesen wirkt: du wirst zeugen – davon wandeln wir stolz wie Indra einher!«

Schiva lauschte ihren verehrenden Worten und gab ihnen lächelnd zur Antwort: »Ich weiß, was wahrhaft in der Not der Welt getan sein will, weiß, was mit der Tochter des Himalaya geschah, und weiß um ihren Willen. Wahrhaftig alle recken sehnsuchtsvoll die Hälse, die um die Sache der Götter sich mühen, eilends regt sich ihr Sinn – aber es gilt zur Tat zu machen, was Wunsch ist. Die hohen Weltüberschauenden aber sind es, die den gängigen Wandel der Welt befolgen sollen; weil sie der geltenden Ordnung dienen, wandeln die anderen ihrem Beispiele nach.«

Da eilten die Heiligen zum Himalaya und meldeten ihm: »Leibhaftig verlangt der Dreizacktragende Gott deine Tochter zur Frau, heilige dich selbst, indem du sie ihm schenkst! Daß dies geschehe, beschäftigt die Götter schon lange; um die Welt aus ihrer Not zu reißen, geschehe das große Beginnen!«

Als sie so zu ihm sprachen, befiel den Berg ein Freudenschauer, und er brachte kein Wort hervor. Aber Mena, liebevoll um ihr Kind besorgt, sprach beklommen: »Eben weswegen man sich die Geburt einer Tochter nicht wünscht, mag sie gleich große Frucht bringen, das steht uns nach dem Gange der Dinge jetzt bevor. Einen Freier aus gutem Hause, jung und schön, reich und glückhaft, soll man zu sich rufen und ihm die Tochter geben, ohne daß er zuvor darum bat, so heißt es – wie soll da die Tochter zu dem Fürchterlichen gehen, der alle Art von Askese auf sich häuft?« – Aber die Heiligen, voll erhabenen Sinnes, besänftigen ihr Weibsgemüt: »Erkenne die höchste Herrschergewalt des ›Friedebringers‹ daran, daß Götter und Widergötter höchstes Genügen darin finden, seine Füße zu verehren. Eben wie es ihm angemessen ist, glüht dein Kind, um ihn zu erlangen, lange schon in furchtbarer Askese, und eben auf diese Weise wird sie selige Erfüllung finden.«

So sprachen sie und holten Uma ins Haus ihres Vaters. Dort meinte die Reine, von betörender Sehnsucht nach Schivas Anblick verzehrt, die Nacht währe zehntausend Jahre. Der nächste Morgen schon sah die Hochzeit der beiden, sie setzte Götter und Wesen in freudigen Aufruhr. Indes die Götterfrauen mit glückhaften Bräuchen, Schmuck und Geschenken um die Braut bemüht waren, warteten Götter und Heilige, Kobolde, selige Geister und Schlangen Schiva auf dem Berge »Duftberauscher« auf; Brahma knüpfte ihm mit eigener Hand die Mondsichel ins geflochtene Haar, Indra reichte ihm ein Elefantenfell mit brunstschweißbedecktem Lotosgesicht und schmertriefenden baumelnden Füßen, der Windgott schmückte seinen milchweißen Bullen Nandin, indes Yama dem Gotte silberhelle Asche von Scheiterhaufen als Schminke bot. Die sieben Weltmeere traten als Spiegel vor ihn hin, und Vischnu kniete vor ihm nieder und sprach: »Schön bist du in deiner Gestalt, die alle Welt mit Seligkeit beschenkt!« Die Muttergöttinnen sandten die Göttin »Liebeslust« zu ihm, die des Wittums Zeichen trug, und da sie an den Zurüstungen sahen, »die Zeit ist da«, sprachen sie voll Eifer mit lachendem Antlitz: »Rati, die Liebeslust, steht vor dir, nicht scheint sie vom sinneberauschenden Liebesgotte verlassen.«

Aber Schiva wehrte sie von sich ab und gab mit den Fingern der Linken ungeduldig das Zeichen zum Aufbruch: ihn verlangte, das Angesicht der Bergestochter zu schauen. Dann trieb er den großen Bullen, der weiß wie die Schluchten des Himalaya war, mit sanften Peitschenschlägen an, das laute Gewimmel seiner Scharen hing gebannten Blickes an ihm, und die Berge erbebten unter ihm, wie von Blitzen getroffen. Vischnu zog ihm schnellen Schrittes vorauf, Götter und Wesen folgten ihm rauschenden Zuges zum Palast des Himalaya. Als die Stadt des Herrschers der Berge des einziehenden Schiva ansichtig ward, geriet die festlich geschmückte in Aufruhr, ihre Straßen wimmelten von Volk, die Fenster der Häuser waren von Augen der Götterfrauen erfüllt wie von Ketten dunkelblauer Lotosblüten, alle wollten Schiva sehen, und als sie ihn erblickten, sprachen sie: »Herrlichste Frucht trägt ihre Geburt der Bergestochter, daß der ›Friedebringer‹ sich ihr naht!«

Der König der Berge neigte sich ehrfürchtig vor Brahma und begrüßte die Götter, die mit ihm kamen; dann vollzog Brahma selbst ohne Fehl vor dem Feuergotte als Zeugen mit den üblichen heiligen Sprüchen und Bräuchen die Feier des »Handergreifens«, in der Schiva die Hand der Göttin nahm. Der König der Berge war der ›Gebende‹, der die Braut dem Gatten übergab, Brahma mit den vier Gesichtern war der Priester, Freier war Schiva, Braut war die Göttin: das Quirlholz, aus dessen Schoß das Feuer des Alls quirlend erzeugt wird. Und alle Wesen gaben das Hochzeitsgeleit.

Danach erhob sich Schiva, der Allverzehrer, langsam und vollzog mit seiner Gattin das Zeremoniell der Heimführung, wie es Brauch ist: vom Himalaya mit der Gastgabe beschenkt, von den Götterscharen unterhalten, verbrachte er daselbst mit seiner Gemahlin die Nacht; am anderen Morgen weckten ihn die Götter mit Preisliedern, Gesang der Himmelsgeister und Tanz der Himmelsfrauen. Im Morgenlichte nahm er mit Uma Abschied vom Könige der Schneegipfel und begab sich mit seiner Gattin auf seinem windschnellen Stier zum Berge Mandara. Als er aber von dannen zog, fanden der Berg und die Seinen keine Freude – denn wo in der Welt wäre wohl ein Brautvater nicht sorgenvollen Sinnes?

Auf dem Berge Mandara entließ Schiva die Unsterblichen, die ihn geleitet hatten, und betrat seine Stadt, die – lang nach seinem Sinn entworfen – mit Toren aus Bergkristall, von Gold und Juwelen prangte. Dort weilte er mit Uma in lieblichen Lusthainen und abseits gelegenen Wäldern, das Herz hochrot von Lust, mit der Göttin vereint; der Liebesgott, der den Delphin im Banner führt, schritt ihnen vorauf. So verging viel Zeit, da verlangte die Bergestochter nach Söhnen. Im Kreis ihrer Freundinnen trieb sie ihr Spiel mit Kinderpuppen; einmal, als sie den Leib mit duftendem Öl eingerieben und, um ihn zu reinigen, mit Puder bestreut hatte, nahm sie, was beim Abreiben der Glieder entstand, und formte ein Männlein mit einem Elefantenkopf daraus. Zum Spiel legte sie die Puppe ins Wasser der Ganga, die Schivas Gefährtin ist – da wuchs der kleine Mann und erfüllte die Welt mit seinem riesigen Leibe. »Sohn« sagte die Göttin zu ihm, und »Sohn« sagte die Ganga, und als »Kind der Ganga« ward der Elefantenköpfige Gott von den Göttern verehrt. Und Brahma machte ihn zum Herrn über alle Widrigkeiten und Hindernisse.

Abermals trieb die schöne Göttin ihr Spiel, um einen Sohn zu bekommen, sie pflanzte einen lieblichen Aschokasproß und zog ihn auf unter glückbringenden Bräuchen. Da kamen Brihaspati und Indra mit Göttern und Heiligen und wollten ihr dieses Spiel verweisen: »Hohe Herrin, zum Glück der Welt erstanden! Die selige Himmelswelt, welche die Frucht eines Sohnes ist, wird zumeist dank Söhnen und Enkeln erlangt, und wenn jemand ohne Söhne bleibt, scheint das meist vom Schicksal so verhängt. Jetzt solltest du auf deinem Wege eine Grenze setzen, – was wenden dir Bäume als künstliche Söhne frommen?« Aber lusterfüllten Sinnes gab Uma ihnen die eigensinnige Antwort: »So ist es: schafft ein Kluger an wasserloser Stätte einen Brunnen, wird er für Tropfen um Tropfen seines Wassers ein Jahr im Himmel wohnen; zehn Brunnen gleich ist ein Teich, zehn Teichen gleich ein See, zehn Seen gleich ist ein Sohn – das hab' ich als meine Grenze bestimmt, die der Welten Werden in sich birgt.« So sprach sie, da nahmen Götter und Heilige ehrfürchtig von ihr Abschied und kehrten zu ihren Behausungen heim.

Schiva aber nahm die Bergestochter bei der Hand und führte sie sacht durch das perlenkettenbekränzte Tor ins Innere seines Palastes, dort setzten sich die beiden zum Würfelspiele nieder; am Spielbrett aus lauterem Saphir saßen sie glücklich in Lust am Zeitvertreib, weil sie das Beieinander ihrer Leiber gefunden hatten. Indes sie spielten, erhob sich ein großes Geräusch im Bauche des Hauses, verwundert und voll Wißbegier fragte die Göttin: »Was ist das?« – und Schiva gab ihr zur Antwort: »Das hast du noch nie gesehen, das sind meine lieben ›Herren der Scharen‹, die immer hier auf dem Berge spielen. Wer vormals in Glut der Askese, mit Wandel im Brahman, durch Gelübde oder Pilgerschaft vor mir Gnade fand, zählt zu den höchsten Menschen, und solche gelangen in meine Nähe und sind meinem Herzen lieb. Gestalt nach Wunsch, große Gewalt und Schönheit sind ihnen eigen, ich selbst verwundere mich über die Werke der Kraftprahlenden. Sie sind imstand, die Welt zu entfalten und einzuraffen; von ihnen immer umringt bin ich froh, nie bin ich von ihnen getrennt. Sie sind meinem Herzen lieb, die auf dem Berge spielen.«

Da trat die Göttin verwundert an eines der runden Fenster und blickte staunend hinaus: wieviele waren sie! Hagere und lange, kurze, stämmige und großbäuchige, mit Tier- und Elefantengesichtern die einen, andere Widder- und bocksgestaltig. Mit Flammengesichtern, schwarz und rotgelb, in Seide und Leder gewandet die einen, nackt und mißgeschaffen die andern, mit Kuh- und Elefantenohren, mit vielen Gesichtern, Augen und Bäuchen, vielen Beinen und Armen. Sie trugen göttliche Waffen, Blumenketten und vielerlei Panzer. Da fragte die Göttin: »Wieviele ›Herren der Scharen‹ lassen sich zählen, wie sind ihre Namen, wie ist ihr Wesen? Nenne sie mir nacheinander!«

Schiva gab ihr zur Antwort: »Myriaden zählen sie, ungezählt sind sie, von deren Heldenkraft viel erzählt wird. Die Welt ist voll von ihnen. Auf den Gefilden der Verklärten, an Kreuzwegen, in verfallenen Hainen und Häusern wohnen sie, in Leibern von Dämonen und bei Blöden und Tollen nehmen sie Hausung und leben von vielerlei Nahrung. Sie trinken Glut und trinken Schaum, trinken Rauch, Honig und Blut und essen alles, trinken Wind und nähren sich von Wasser; Gesang und Tanz ist ihre Speise, sie lieben den Klang vieler Musikinstrumente – da sie unendlich sind, kann man ihre Eigenschaften nicht aussagen.« – Die Göttin fragte weiter: »Wie heißt jener dort, der immer wieder den Gesängen der Scharen sein Ohr leiht? Auf seinem reinen Leibe trägt er ein Gazellenfell mit einem Gürtel von Gras, mit Mennig hat er sein Gesicht rot bemalt und sich mit Lotosblumen bekränzt – der Liebe mit seiner süßen Gestalt! Er spielt mit Steinklötzchen und aufgestülpten Messingglöckchen.« – Schiva sagte: »Das ist Viraka, allezeit meinem Herzen lieb und geehrt von den Scharen, ein Gefäß vieler wunderbarer Eigenschaften.« – Da sagte die Göttin: »Solch einen Sohn möchte ich haben – wann werd' ich einen solchen, Seligkeit schenkenden Sohn erschauen?« – Schiva gab ihr zur Antwort: »Er soll dein Sohn sein, der deinen Augen Seligkeit schenkt, und durch dich als Mutter soll Viraka glücklich sein.« – Da ließ die Göttin Viraka holen, nahm ihn auf ihren Schoß, herzte und küßte ihn und behängte ihn mit ihrem Schmuck und schickte ihn wieder hinaus zu seinen Gespielen.

Leise tat dann das Dunkel der Nacht gähnend über der Welt sich auf, wie Schwärze im Herzen eines Bösen, die seinen Sinn verdunkelt. Das Lager der beiden schimmerte wie Mondschein und täuschte im Glanz vieler Juwelen Indras Regenbogen vor, Perlengehänge, breit wie Pfauenschweife, flossen an ihm herab, rings war es von einem schwebend-bewegten Baldachin umfaßt Schiva stand, indes die Bergestochter ihre Lianenarme um seinen Nacken schlang, und füllte rings den dunklen Raum mit dem Schein der Mondsichel, die seinen Scheitel schmückte. Uma aber, mit dunklen Augenwinkeln, die Haut dunkel wie blaue Lotosblüten und mit der Göttin Nacht verschmolzen, war wie aus tiefstem Dunkel gebildet. Da sprach zu ihr der Gott in Scherz und Necken: »An meinem weißen Leibe schimmerst du Schlanke dunkel, wie eine schwarze Schlange, die einen weißen Sandelbaum umschlingt Wie die Nacht, dem Licht des abnehmenden Mondes verschmolzen, tust du meinen Augen weh ...« so sprach er und lachte laut. Da färbten sich die Augen der Göttin rot vor Zorn, ihr Gesicht verzog sich unter gerunzelten Brauen, und sie sprach: »Jedermann läßt sich von der Stumpfheit überwältigen, die er sich selbst gewirkt hat. Wer bedürftig ist und sich beklagt, geht unweigerlich unter den Leuten zu Bruch; wo ich durch lange glühende Askese mein Ziel erreicht habe, ist mir solche Geringschätzung auf Schritt und Tritt beschieden. Ich bin ja nicht krumm, Schiva, ich bin ja nicht uneben, und du wardst gerühmt daß dir die Sinnenwelt etwas Wirkliches sei, und offenbare Fehler hängen dir an in Menge. Ich bin nicht Puschans Zähne, noch Bhagas Augen, die du ausschlugst, und der erhabene Sonnengott weiß wohl Bescheid! Wie ein Spieß sticht es mich durch den Kopf, wenn du mich mit deinen eigenen Mängeln schmähst und mich ›schwarz‹ nennst, der du selbst als ›Maha-Kala‹ als der ›Große Schwarze‹ weitbekannt bist! Ich will zum Berge gehen und mich in glühender Askese von mir selber abtun. Was hab' ich zu schaffen, daß ich am Leben bleibe, wo ich von einem Schelm betrogen bin!«

Als Schiva ihre Worte vernahm, deren Silben der Zorn schärfte, sprach er – und Liebe schwang in seiner Stimme, in die sich ein Erschrecken drängte: »Du kennst dein eigen Wesen nicht, Bergestochter; nicht bin ich darauf aus, dich zu schmähen. Wenn du erzürnt bist, will ich nicht wieder in Worten mit dir Scherz treiben, laß deinen Zorn fahren! Ich neige mein Haupt vor dir und hebe meine hohlen Hände zu dir auf; wer in Zärtlichkeit Geringschätzung und Tadel erfährt, wandelt darum nicht seinen Sinn; deshalb soll einer, den Scherz anrührt, sich nicht erbosen.«

Aber tödlich verwundet, ließ die Reine in ihrem scharfen Zorne sich nicht beschwichtigen. Sie riß ihr Gewand, das Schivas Hände hielten, an sich, schüttelte ihre Locken und wollte davonstürmen – da sprach er abermals zu ihr: »Wahrlich, an allen Teilen bist du die Tochter, die ihrem Vater gleicht! Dein Geist gleicht den Gipfelhörnern des Schneebergs, von Wolken eingesponnen und erfüllt – so ist auch dein Herz unergründlich wie seine Schlüfte. Die Härte hast du von seinem Fels, von seinen Wäldern das Vielhin-Schweifende, den krummen Sinn von seinen Pfaden und die ungesellige Kälte von seinem Schnee. In allem und jedem geht der König der Schneeberge mit dir zusammen!«

So sprach er, da zitterte der Bergestochter der Kopf vor Zorn, und ihre Lippen zuckten, als sie ihm zur Antwort gab: »Schmäh' du nicht alle anderen Tugendreichen, indem du ihnen Fehler leihst; auch auf dich ist, da du mit Schlimmem dich bemengst, alles Schlimme davon übergegangen: von den Schlangen die Doppelzüngigkeit, von der Asche, mit der du dich beschmierst, daß du an Weichem, Hingebendem klebst, die dunklen Flecken deines Herzens hast du vom Monde, die Störrigkeit von deinem Bullen – wozu da viele Worte? Genug der Rede und der Plage! – Weil du auf Leichenplätzen haust, bist du ohne Furcht, weil du nackt gehst, ohne Scham, weil du die Schädelschale trägst, ohne Erbarmen, – Mitleid flieht dich seit langem!«

Damit stürmte die Göttin davon. Da erhoben Schivas Scharen ein Klagegeschrei: »Wo gehst du hin, Mutter, und läßt uns allein?« – So weinten sie und liefen ihr nach. Viraka umschlang ihre Füße und stammelte unter Tränen: »Mutter, was ist das? Wo gehst du hin, Zorn im Herzen? Ich will dich begleiten, und leidest du es nicht, stürz' ich mich vom Berg herab, wenn du, auf Glutgewalt erpicht, mich verläßt!« – Die Göttin hob sein Gesicht mit der Rechten auf, die Mutter sprach zu Viraka: »Sei nicht traurig, mein kleiner Sohn! Du darfst dich nicht vom Berge stürzen, aber du kannst mich auch nicht begleiten – ich will dir sagen, warum. Schiva hat mich die ›Schwarze‹ genannt und die Untadlige getadelt. Ich will Glut in Askese sammeln, daß ich davon erlange, ›Gauri‹, die ›Lichte‹, zu werden. – Aber der Gott ist weibslüstern; solange ich fort bin, mußt du den Türhüter spielen und immer durch einen Spalt hineinspähen, daß keine Frau zu ihm eingeht. Wenn du eine andere Frau bei ihm siehst, sag' es mir, mein kleiner Sohn! Ich aber will schnell an mein Werk – unverweilt, wie es geboten ist.«

Auf ihrem Wege begegnete Uma einer Göttin, die eine Freundin ihrer Mutter war und die Schutzgottheit des Berges. Sie erzählte ihr alles und bat sie: »»Gib fein acht, daß keine andere Frau das Haus betritt, wache geheim unablässig über den Berg! Kommt eine zum ›Dreizackträger‹ hinein, mußt du mir es ansagen, dann werde ich unverweilt tun, was geschehen muß!«

So sprach sie, und jene sagte es ihr zu. Uma aber fuhr in den Himmelsraum auf, wie ein Lichtstrahl in eine Wolkenkette fährt, und eilte zum Lusthain des Vaters. Dort legte sie ihren Schmuck ab und kleidete sich in Baumrinde. Im heißen Sommer glühte sie zwischen Feuer und in Sonnenglut, zur Regenzeit stand sie im Wasser, und in den Winternächten lag sie auf nacktem Boden: so harrte sie in asketischer Glut ihrer Vollendung entgegen.

Indes bemerkte ein willensgewaltiger Dämon, daß die Göttin fern von ihrem Gatten weilte – es war Adi, ein kühner Sohn des Dämon Blindling, den Schiva vorzeiten erschlagen hatte. Er gedachte an seines Vaters Tod und lauerte, allen Göttern furchtbar, unablässig auf eine Gelegenheit, Schiva zu nahen. Er kam zu seiner Burg, sah aber Viraka das Tor bewachen; da dachte er an die Wahlgabe, die Brahma ihm vorzeiten gewährt hatte: als sein Vater Blindling erschlagen lag, sammelte Adi in tiefer Askese fürchterliche Glutgewalt, und Brahma nahte ihm und gewährte ihm einen Wunsch. Da wünschte er sich Todlosigkeit, aber Brahma sprach: »Kein Wesen findet sich, das des Todes ledig wäre, alles Leibhafte muß den Tod erleiden.« Da gab ihm der löwenhafte Dämon zur Antwort: »Wenn ich meine Gestalt vertausche, soll es Tod für mich geben – anderwegen will ich unsterblich sein.« Damit war Brahma zufrieden und gewährte ihm: »Wenn du zum zweiten Male deine Gestalt vertauschst, wird es den Tod für dich geben – anderwegen nicht!« – Dieses Umstands entsann er sich jetzt, dann nahm er, um Virakas Blickpfad zu meiden, die Gestalt einer Schlange an und kroch durch einen Spalt ins Haus. Unbemerkt vom »Herrn der Scharen« gelangte er hinein, da streifte er seine Schlangengestalt ab und nahm, verblendeten Sinnes, zum zweiten Male die Gestalt tauschend, um Schiva zu täuschen, Umas Gestalt an. Mit seiner Maya schuf er sich die unausdenkbar sinnberückende Gestalt der Göttin, vollkommen an allen Teilen, mit allen Zeichen, an denen Uma zu erkennen war, dazu schuf er sich demantgleiche Zähne mit scharfen Spitzen – in seiner Verblendung war er gewillt, den »Berggelagerten« zu töten.

In Umas Gestalt trat er vor Schiva hin; als der ihn erblickte, umschlang er freudig den großen Widergott. An allen Gliedern dünkte es ihm die Bergestochter zu sein, und er fragte: »Bist du das wirklich, Bergestochter, ist es kein täuschendes Trugbild? Hast du mein Herz erkannt und bist wiedergekommen? Ohne dich dünkten mich alle drei Welten leer – da bist du wieder, heiteren Angesichts, das sieht dir gleich!«

So sprach er; lächelnd und zögernd sagte der Dämon – er wußte nicht die Zeichen, an denen Schiva vor allen Uma kannte: »Ich ging, unvergleichliche Glut in Askese zu sammeln, um dir lieb zu werden, aber ich fand keine Lust daran; darum bin ich wieder zu dir gekommen.« – Dies Wort weckte in Schiva leisen Verdacht, und er ging ihm nach, sein Herz spannte sich in Sammlung. Lachenden Gesichtes bedachte der Gott: »Zornig auf mich war die Schlanke, ihr Wesen ist Treue zu den Gelübden, die sie auf sich nahm. Ohne ihren Wunsch erlangt zu haben, wäre sie wieder zu mir gelangt? – Was ist das? Das macht mich wundern.« Er wollte ein Zeichen, daran er sie kannte, finden, aber er sah an ihrem Leibe nicht das Lotosmal auf der linken Seite, statt seiner fand er einen Haarwirbel. Da merkte der Gott den dämonischen Trug. Und er schlang die Gestalt in seine Umarmung, legte die Waffe des demantenen Blitzkeils in sein steiles Geschlecht und zerriß den Dämon.

Viraka begriff freilich nicht, daß es der Dämon war, der zerrissen ward, und auch die Göttin des Berges schälte nicht den Kern Wahrheit aus dem trügerischen Geschehen, sondern gab durch den Wind, den schnell eilenden Boten, der Göttin Kunde. Uma vernahm sie aus dem Munde des Windes, ihre Augen wurden rot vor Zorn, und sie verfluchte Viraka: »Weil du deine liebevolle Mutter verrietst und insgeheim anderen Frauen Gelegenheit bei Schiva schafftest, soll rauher, herzensbarer und salzgleicher Stein deine Mutter sein.« Als ein Zeichen ward das Viraka kund, als ein Stein vor ihm aus der Erde aufwuchs, und mählich begriff er das seltsame Geschehen.

Kaum war Uma dieser Fluch entflohen, da trat aus ihrem Munde gewaltiger Zorn in Gestalt eines Löwen hervor: zähnebleckenden Rachens, mähnewallenden Nackens hob er peitschend den Schweif. Mit lechzender Zunge und hageren Flanken begehrte er Fraß, die Göttin sann, womit sie ihn sättige – da eilte Brahma, der ihren Gedanken erkannte, zu ihrer Einsiedelstätte und sprach mit klarer Stimme: »Tochter, was wünschst du dir? Was Unerlangbares schenke ich dir? Steh ab auf mein Geheiß von dieser beschwerlichen Glut!« – Da sagte die Göttin: »Dank schwer vollendbarer Askese habe ich den ›Friedebringer‹ zum Gemahl erlangt; er hat mich die ›Schwarze‹ genannt – von goldener Erscheinung will ich sein und mit meinem Liebreiz ihm gefallen! In den Leib meines Gatten will ich eingehen, wie ein Glied an ihm will ich eins mit ihm sein!« – »Sei wie du begehrst«, gab Brahma ihr zur Antwort, »und nimm hinfort den halben Leib deines Gatten ein!«

Da tat sie den dunklen Leib, der wie dunkelblauer Lotos war, von sich ab und ward strahlend hell an ihrer Haut. Danach sprach Brahma zu der anderen, lotosdunklen Gestalt: »O Nacht, du hast verrichtet, was dir aufgegeben war durch mein Geheiß, da du dich mit dem Leib der Bergestochter verquicktest – allein und ohne Teil an ihr wirst du nun sein. Der Löwe hier, der dem Zorn der Göttin entsprang, soll dein Reittier sein und in deinem Banner stehen! Geh hin zum Vindhyagebirge, dort wirst du Gutes wirken!«

So sprach er, und die Eulen-Göttin »Nacht« ging zum Vindhyagebirge, Uma aber kehrte zu Schiva heim. Als sie aber zu ihm hinein wollte, wehrte ihr Viraka, den goldenen Rohrstab in der Hand, den Eintritt Zornig sprach er zu ihr, die ihm wie ein Weib, das Abenteuer sucht, erschien: »Du hast hier nichts verloren, geh weg, sonst wirst du zerschlitzt. Ein Dämon, der die Gestalt der Göttin trug, drang ungesehen hier ein – den hat der Gott getötet. – Meine Mutter ist die Bergestochter, die ihre Kinder zärtlich liebt, keine Frau gelangt hier hinein!«

Da erkannte die Göttin ihren Irrtum, daß sie Viraka in ihrem Zorn verflucht hatte; beschämt gab sie sich ihm zu erkennen und tröstete ihn: »Ein Fluch läßt sich nicht umkehren, aber bald wirst du von ihm erlöst sein.« Dann trat sie ins Gemach des Gatten, und Schiva erblickte »Gauri«, die »Lichte«, die mit ihrer sinnbetörenden Gestalt wie ein brunsttrunkener Elefant einherschritt. Ihr Gesicht war wie der volle Mond, sie war schlank, aber fest und schwer an Hüften, Schenkeln und Brüsten; schmächtig um die Leibesmitte troff sie vom Nektar ungeschmälerten Reizes, voll Schmuck am ganzen Leibe wirkte sie wie Rausch und Wahnsinn. Verlangensvoll zweifelte der »Grauenhafte« an ihr, der furchtbar Heldenhafte zagte; Mitleid, Lachen und Ekel, von allen Gefühlen ein wenig, verriet er. Willens sie zu töten, schuf er sich einen furchtbaren Leib – aber auch sie ward, dem Gotte gleich, furchtbar an Gestalt; tausend Gestalten sah Schiva an ihr. Die Tausend verschlangen eine die andere, dann ließ sie die Gestalt der Strahlend-Rettenden an sich sehen: da ward der »Friedebringer« des Zweifels bar. Als er sie aber als die erblickte, die aus der ganzen Welt besteht: als seine höchste Maya – da vereinte er sich mit ihr in Liebeslust Da war ihm das Liebesspiel lieb, als er die Tochter des Schnees wiedererlangt hatte, die Gattin, die in Sehnsuchtsschmerz die Kehle aufbog. Da währte das Liebesspiel der beiden, die im Verborgenen weilten, fort und fort: eintausend Jahre lang in mannigfachem Gebaren.

Am Tor stand Viraka und sandte ehrerbietig die Götter heim, die Schiva zu sehen verlangten: »Keine Möglichkeit, ihn zu sehen, ihr Götter – mit der Göttin spielt der ›Stier-Affe‹.« – Als aber eintausend Jahre um waren, trieben die Götter voreilig den Feuergott, zu erkunden, was Schiva treibe. Der gelangte in Papageiengestalt durch einen Fensterspalt hinein und sah auf dem Lager Schiva in Liebe der Bergestochter vereint. Der Große Gott sah ihn auch in Papageiengestalt und, leise von Zorn bewegt, sprach er zu ihm: »Zur Hälfte ist mein Same in die Gattin ergossen, Papageiengestaltiger – aus Scham hat die Göttin aufgehört – trinke du die andere Hälfte, Feuer! Weil du uns gestört hast, gebührt sich das für dich.«

Da trank der Feuergott, demütig die hohlen Hände aneinander legend, die dargebotene Kraft; mit ihr, wie den Opferspenden, die er ihnen zuträgt, füllte er die Götter an: einzeln Leib für Leib. Da zerriß die Kraft des Großen Gottes den Göttern den Bauch, brach leuchtend heraus wie glühendes Gold und breitete sich in der Einsiedelei des Friedebringers aus: es entstand in ihr ein großer lauterer Teich, viele Meilen lang, von goldenen Lotosblüten bestanden.

Als die Göttin davon hörte, ging sie neugierig zum Teich mit den goldenen Lotosblüten, wo goldene Bäume die weite Flut umstanden. Sie badete und spielte in der Flut und setzte sich einen Kranz von Lotosblüten aufs Haupt, dann ließ sie sich mit ihren Gespielinnen am Ufer nieder und verlangte seine süße Flut mit den Lotosblüten zu trinken. Da sah sie die sechs Göttinnen des Siebengestirns, die sich darin gebadet hatten und wie sechs Sonnen strahlten, sie hatten das Wasser in einem Lotosblatt gefangen und wandten sich nach Haus. Vor Lust erschauernd sprach sie: »Ich sehe die Flut in dem Lotosblatte stehen.« Da antworteten ihr die Sterngöttinnen: »Wir wollen sie dir geben, wenn die Frucht, die daraus in deinem Leibe entstehen wird, auch unser Sohn sein und unseren Namen tragen soll! In allen Welten soll er gepriesen sein!« Da sprach die Bergestochter: »Wie könnte er, aus meinem Leibe entsprossen und vollkommen an allen Gliedern, euer Sohn sein?« Die Sterngöttinnen sagten: »Wir werden ihm herrliche Häupter schaffen!« Da gab ihnen die Berggeborene zur Antwort: »So sei es« – und jene gaben ihr freudig die Flut, die im Blatt stand, und sie schlürfte sie langsam.

Als sie die Flut getrunken hatte, den herrlichen Teich, durchbrach ein wunderbares Kind die rechte Flanke der Göttin und trat, alle Welten weit erhellend, aus ihrem Leibe hervor. Von lichthafter Erscheinung wie die Sonne, leuchtend wie Glanzgold, hielt es Speer und Spieß mit funkelnd erhobener Spitze in Händen: mit sechs Gesichtern erstand »Kumara«, der Gott »Königsknabe« – goldhäutig, flammend, den Dämonen Tod zu bringen. Und die linke Flanke der Göttin spaltend, trat abermals ein Sohn ans Licht: ein kleines Kind. Weil der Same in den Mund des Feuergottes sprang, ward es »Skanda«, der »Springer«, genannt, und weil die Göttinnen des Siebengestirns – sechs Zweige eines Stammes – sich verbunden hatten und an ihm zu sechs Gesichtern sich verzweigten, ward er mit seinen sechs Gesichtern »Vischakha«, der »Verzweigte«, genannt und als »Sechsgesicht« und »Kind des Siebengestirns« berühmt.

In der Neumondnacht des Frühlingsmondes Tschaitra kamen die beiden starken, sonnengleichen Knaben im weiten Schilfröhricht zusammen, in der fünften Nacht des zunehmenden Mondes machte Indra aus den beiden einen einzigen Knaben – zum Heile der Götter hatte er sich bedacht. In der sechsten Nacht des Tschaitra empfing der Knabe die Königsweihe von allen Göttern, sie brachten ihm Blumen, Wohlgerüche und Räucherwerk dar, Spielzeug, Yakschweifwedel, Sonnenschirme, Schmuck und Salben. Brahma vollzog, mit Wasser ihn besprengend, die Königsweihe am »Sechsköpfigen«, Indra gab ihm seine Tochter mit Namen »Götterheer« zur Frau, Vischnu gab ihm seine Waffe zur Gattin, der »Herr der Schätze« schenkte ihm zehnmal hunderttausend Kobolde, strahlende Kraft schenkte ihm der Feuergott, sein Reittier, den Pfau, schenkte ihm der Wind, und der »alle Werke kundige göttliche Werkmeister« schenkte ihm als Spielzeug einen Hahn, der Gestalten nach Wunsch annehmen konnte. Und alle Götter schenkten dem sonnengleich strahlenden einen unvergleichlichen Hofstaat und priesen ihn auf den Knien. Er blickte sie mit klaren Augen an und sprach: »Ich werde die Feinde erschlagen, seid frei vom Fieber der Furcht! Sprecht frei: welchen Wunsch soll ich euch gewähren, wenn euer Herzenswunsch auch unerfüllbar ist!«

Da neigten die Götter ihre Diademe und sprachen, ihren Sinn auf ihn richtend, allzumal: »Der Herrscher der Dämonen, Taraka, bringt allen Göttergeschlechtern den Tod, stark und böse ist er, schwer zu besiegen und unmäßig zornwütig – töte ihn! Das ist das Ding, das uns im Herzen liegt, du Furchtvernichter!«

Auf diese Worte sprach der »Königsknabe«: »Ja«, und von allen Göttern gefolgt und gepriesen, zog er aus, Taraka zu erschlagen, der ein Dorn im Fleische der Welt war. Da er Hilfe gefunden hatte, sandte Indra einen Boten zum Löwen der Dämonen, der barsche Worte sprach: »Indra, der Herrscher der Götter, der Herr des Himmels, spricht zu dir, Bannerträger der Dämonen, – hast du sein Wort vernommen, dann müh' dich mit deiner Kraft, wie es dir gefällt –, Indra spricht: die Schuld, die du, die Welt in Splitter schlagend, auf dich ludest, werde ich jetzt an dir strafen, denn König aller drei Welten bin ich.« – Als Taraka das Botenwort vernahm, wurden seine Augen rot vor Zorn, und, indes seine Macht schon fast zunichte war, sagte er zu dem Boten: »Ich wies dir meine Heldenkraft, Indra, in Schlachten hundertfach – da Ehrfurcht dir fehlt, kennst du keine Scham, du Narr!« So sprach er, und der Bote ging; der Dämon aber besann sich: »Nicht ohne daß er Hilfe gefunden hätte, wagt Indra so zu reden, und nicht von ungefähr hat der Besiegte Hilfe gefunden.«

Da erblickte der Schlimme Vorzeichen, die schlimm waren: es regnete Staub, Blut fiel vom Himmel, Arm und Auge zuckten ihm unheilbedeutend, der Mund trocknete ihm aus, der Sinn schwindelte ihm, er sah die lotosgleichen Angesichter seiner Lieblingsfrauen welken und schaute fürchterliche Wesen, die ihn bedrohten. Aber er achtete aller Zeichen nicht und entschlug sich augenblicks aller Sorge, bis er, auf der Terrasse seines Palastes stehend, das Heer der Götter anrücken sah: im Glockenlärm der Elefantenscharen, in gelbroten Staubwolken der Pferdehufe, überfunkelt von ragenden Bannern auf schwanken Streitwagen, von Schmuck überblitzt, von Gesang durchtönt, blinkend von Waffen und Panzern. Da sorgte er sich, ein wenig erschüttert in seinem Sinn: »Wer könnte dieser Kämpe – nie zuvor erschienen – sein, den ich noch nicht besiegt habe? Da hörte er aus dem Gesang des Heeres, was ihm das Herz zerriß:

»Siege, Goldener du, im Glanze unvergleichlicher Kraft! Du Stürmischer in wilder Schlacht mit bambusfesten Armen! Du Mond, unter dessen Strahlen der Lotosblütenhain der Göttergesichter aufblüht! Siege, du Königsknabe, du zehrendes Feuer der Tiefe im Meer des Dämonengeschlechts! Sechsköpfiger, der auf dem süß schreienden Pfau einherfährt, an deinem Throne schleifen die Götterdiademe die Nägelsprossen deiner Füße! Siege, aller Welten Erretter, Feldherr des Götterheers, Kind der ›Lichten Göttin‹, der spielend alle Feinde mäht, du Endebringer Tarakas, des großen Dämons, siege, du Kind von sieben Tagen, du machst das Leid aller Welten zunichte!«

Als der Dämon diese beschwörenden Strophen aus dem Munde der Göttersänger vernahm, entsann er sich Brahmas Wort: Tod drohe ihm von einem Kinde; heiße Feuchte brach ihm aus allen Gliedern, schnell trat er kummerverzehrten Sinnes aus seinem Palast. Die Dämonen erschraken vor seinem Ungestüm, ein jeder rief überrascht seinen Heerbann: »Eilt, ihr Krieger, greift zu den Waffen und sammelt euch!«

Als Taraka den »Königsknaben« erblickte, sprach er, fürchterlich anzuschauen: »Du Kind willst kämpfen? Spiele Ball! Da du noch keine Dämonen sahst, wie furchtbar sie in Schlachten sind, ahnt dein Kindsverstand nicht, was wirklich ist.«

Der »Königsknabe«, der den Seinen voraufzog, antwortete ihm und erweckte den Jubel der Götter: »Hör, Taraka, auch dir wird jetzt das Wirkliche gelehrt; Krieger, furchtlos in der Schlacht, erkennen nicht das Wirkliche, das in den Lehren lebt: verachte nicht meine Kindhaftigkeit, kindhaft ist auch die todbringende Schlange Zeit, schwer anzuschauen ist die kindhafte Sonne im morgendlichen Aufgang – so bin ich Kind schwer zu besiegen. O Dämon, funkelt nicht auch ein Zauberspruch von wenig Silben blitzend.«

Als der »Königsknabe« solches gesprochen hatte, warf der Dämon einen Hammer gegen ihn, aber der Gott zerspellte ihn mit seinem Wurfkeil voll nie fehlender Kraft. Einen ehernen Wurfspieß, den der Dämon schleuderte, ergriff das ›Kind des Siebengestirns‹ mit der Hand; der Sechsköpfige wirbelte eine Keule gegen den Dämon, von ihr getroffen wankte der Dämon, es war, als wanke der König der Berge. Da begriff der Dämon, der Gott sei schwer zu besiegen, und sorgte bei sich: »Die Todesstunde ist gekommen, das ist gewiß.«

Indes stürmten die übrigen Dämonenfürsten gegen den zornigen »Königsknaben« an, er aber blieb von ihren Streichen unberührt. So vergeblich sie sich an ihm plagten, so todbringend ward den übrigen Göttern die Dämonenschlacht. Als der »Königsknabe« sie bedrängt sah, wehrte er das Heer der Dämonen ab mit seinen Geschossen, gegen die keine Wehr half, daß es sein Antlitz vom Kampfe wandte, nach allen Seiten auseinanderlief und erschlagen ward. Da trieb Taraka mit pfauenfedernbeschwingten Pfeilen die Götter aus der Schlacht und traf den Pfau, auf dem der »Königsknabe« ritt, mit halbmondspitzigen Pfeilen. Als der »Sechsköpfige« die Götter fliehen und sein Reittier bluten sah, griff er zum funkelnden, goldgeschmückten Speer und sagte geschwind die beschwörenden Worte zu Taraka: »Steh, Verblendeter! Sieh rings die Welt der Lebenden – erschlagen bist du jetzt von mir mit diesem Speer! Sei gewahr der Waffe, die ich zu führen lernte!«

Sprach's und entsandte den Speer gegen den Dämon; vom Klange seines Armgeschmeides begleitet, entfuhr er seiner Hand und zerspaltete das demantharte Herz des Dämons. Taraka stürzte leblos zu Boden wie ein Berg im Weltuntergang, sein Diadem und Scheitelschmuck verstreuten sich, rings löste sich sein Schmuck von ihm.

Als er erschlagen lag, feierten die Götter ein Freudenfest: da war kein Geschöpf traurig, auch kein Verdammter in Höllenwelten. Den »Königsknaben« preisend und mit den Götterfrauen spielend, zogen die Götter zu ihren Palästen in großer Herrlichkeit und voll Verlangen.

Der Kriegsgott »Königsknabe«, dessen Entstehung so mühselig und vielbedroht ist, wie unentbehrlich für den Weltlauf, ist dem brahmanischen Mythos der Veden fremd; seine sechsköpfige Figur entstammt der vorarisch-altindischen Formenwelt, sein Zeichen und Reittier, der Pfau, ist eingeboren indische Pracht, und die elefantenköpfige Gestalt seines Halbbruders Ganescha, des »Herrn der Hindernisse«, ist, wie die Menschenaffen der Ramasage und die Papageiengestalt des Feuergottes, eine Ausgeburt des zeitlosen altindischen Dschungels.

Ein Mythos reich an Dunkel in seinem verwickelten Geschehen: die wunderbare Empfängnis des Gottes, die nach so viel Schwierigkeiten schließlich mißrät und endlich doch gelingt, die Göttinnen des Siebengestirns als hegende Muttergenien neben der lichten Weltmutter, die den Keim empfing, dem Ungeborenen sechs Häupter und beziehungsvolle Namen schenkend; dazu das Schilfröhricht, der fruchtbare Sumpf schoß vermischter Geburten, der die beiden Knaben zum siegenden Heldenkind verschmilzt – all das wird erzählt, ohne eigentlich dabei zu verweilen: es ist untilgbare heilige Überlieferung, sinnbeladen, aber sich selbst schon so selbstverständlich wie anderen altersdunkel geworden, aus seinem Ursprungsraum in eine jüngere Sphäre geglitten, eigentlich nicht mehr dazu bestimmt, weiter bedacht und mit neuem Sinn aufgelichtet zu werden.

Einprägsam deutlich bleibt, daß dieser vorarisch alte Götterknabe berufen ist, von Schiva ins Leben gebracht, die großen Götter des vedischen Pantheons aus ihrer Ohnmacht zu erlösen: von Schiva geführt, steigen die alteingeborenen Gewalten des indischen Lebensraumes im letzten Weltalter sieghaft auf; die vom vedischen Kulte entthronten und weltalterlang beschwiegenen sind mählich wieder zu Waltern des indischen Schicksals geworden.

Es ist der alte, sich immer wiederholende Krampf des Weltleibs, daß ein Machtwille nach dem Ganzen langt und ein Sicherungstrieb das Gewonnene gegen den Fluß der Zeit, der Wandel schaffen muß, vermauern will, aber diesmal reicht keine spielende Mayagebärde Vischnus aus, den dämonischen Weltkrampf zu lösen, der abseitige große Asket muß ins Spiel. Seine maßlose Kraft, in glühender Selbstversenkung verdichtet, muß sich der Glut der Göttin einen, die an Eigensinn und der Lust, um der eigenen Größe willen sich selber Gewalt anzutun, dem Großen Gotte ebenbürtig ist. Die Ironie, daß der weitblickend Gesicherte sich in der Schlinge seiner winzigen Bedingtheit fängt, ist selbstverständlicher Hintergrund: ausgebreitet im Schicksal Tarakas, episodisch zugespitzt mit erotischem Witz im Untergange des Dämon Adi, wie ein Listiger überlistet wird: Umarmung, die sich mit lustgewährendem Scheine schenkt, verbirgt die demantscharfen Zähne, die den ermattenden Liebhaber zerfleischen wollen, aber aus dem Lustschenkenden, das zu innigster Verschmelzung drängt, fährt zerreißend der tödliche Blitzkeil. Das eigentliche Thema ist nicht so sehr die komplizierte Entstehung des Kriegsgottes und der schließlich selbstverständliche Untergang des Dämons – es ist die Größe der Göttin, die sich Schiva unverlierbar erringt und mit ihm zur beherrschenden Gestalt des Pantheons aufsteigt. Im Krischnamythos erschien sie als hilfreich dienende Kraft Vischnus: als seine Schakti und Maya; der Gott verhieß ihr, als er sie zum Truge des Kindertausches beschwor, die künftige Größe, die sie jetzt mit allbezwingender Glutgewalt an sich verwirklicht. Vom Großen Gotte unzertrennlich und nur durch ihre eigene Unbedingtheit immer wieder auf Zeit von ihm getrennt – daß sie um ihn gekränkt in den Tod gegangen war, und daß ein scheinbar absprechendes Scherzwort aus seinem Munde ihre Einheit mit ihm in Frage zu stellen vermag –, erlangt sie durch die Glut, die sie um seinetwillen glüht, auf immer leibhaft unzertrennlich von ihm zu sein: sie verschmilzt mit ihm zur halbweiblichen Doppelgestalt (Ardhanari), deren linke Hälfte sie einnimmt. In dieser zweigeschlechtigen Gestalt des Göttlichen, die Brahma im Mythos von seinem fünften Haupt als Hüter und Verkörperung vedisch-arischer Gottesvorstellungen nicht wahrhaben wollte, bricht das geheim Weibliche des Allwesens, das die Welt in seinem Bauche trägt und aus sich treibt, mit dem späten Triumphe der vorarischen Weltmutter und dem Kult der Muttergöttinnen, in sieghafter Selbstoffenbarung an den Tag.

Anfangs ist die Göttin nur die Tochter des Himalaya, auf der eine große Verheißung ruht und die eine pathetische Vergangenheit umspielt, aber Brahmas Mayakraft – ein dunkles Double von ihr –, seine Schakti und Tochter, die Göttin Nacht, geht in sie ein zu wunderbarem, schwerverständlichem Wirken, und sie selbst offenbart ihr ungeheures Wesen in ihren großen Entschlüssen und der Unbedingtheit, mit der sie zu ihnen steht. Das mythische Farbenspiel, das die Tochter des Schneegipfels, die firnweiß strahlen sollte, dunkel färbt, wird durch ihre asketische Glut in zwei Gestalten aufgelöst: in die »lichte Göttin« (Gauri) und die dunkle Herrin des Vindhyagebirges (Vindhyavasini), in die helle Herrin des schneeglänzenden Himalaya im Norden und die dunkle Göttin des anderen, schneefreien Hochgebirges im indischen Süden; beide sind zwei ortsgebundene alte Göttinnen, die als Erscheinungen derselben Weltmutter und der weiblichen Seite des Großen Gottes begriffen sein wollen. Sie sind spielende Facetten der allerhöchsten Kraft, und der Mythos geleitet die vorarisch-alten Gestalten als deren Verleiblichungen auf Ehrenplätze im hinduistischen Pantheon. Schiva selbst erkennt Gauri staunend und beglückt als seine eigene Schakti, als sie heimkehrend die begrenzte Mayakraft des Dämons mit dem Trugbild ihres bloßen Liebreizes weit hinter sich läßt und wie Rausch und Wahnsinn die Allheit göttlicher Kräfte und Gebärden vor ihm entfaltet: Schivas eigene Allheit.

Schiva, mit der Göttin in einen Leib zusammengeschmolzen, offenbart die Einheit der Gegensätze, die das Wesen des Göttlichen und der Wirklichkeit bildet; so spricht er als Lehrer durch Paradoxe. Mit ihnen führt er die Menschen, die sich verbissen und glühend ans Gegensätzliche im Einen-und-Anderen halten, über das Widerspiel der Gegensätze hinaus und erlöst sie von den Grenzen der Erscheinungen und des Denkens.


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