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6. Knirps und Weltriese

Vorzeiten ward der Götterkönig Indra von seinem Thron vertrieben, und die Götter wurden aufs Haupt geschlagen – da sann die Göttermutter Aditi auf ihren Wiederaufstieg. Eintausend Herbste lang übte sie schwere grimme Askese, um Vischnus Gnade zu gewinnen, sie zwang ihre Stimme zu schweigen und lebte von Wind, als sie ihre Söhne von den Dämonen verjagt sah. ›Umsonst habe ich Söhne‹, dachte sie verzweifelt, neigte sich im Gebet vor Vischnu und pries ihn, zur höchsten Wahrheit erwachend, mit vollkommenen Worten.

Aditi sprach: »Anbetung dem Vernichter alles Leides, dem Lotosbekränzten, Schönsten der Allerschönsten, dem uranfänglichen Schöpfer! Anbetung dem Lotosäugigen mit dem Lotosnabel, dem Liebsten der Schri, dem Selbstbeherrschten, der den Selbstbeherrschten schaubar wird und die Wurfscheibe in Händen hält! Anbetung dem Ursprungsgrunde des lotosgeborenen Brahma, der sein eigener Mutterschoß ist, Anbetung ihm, der Muschelhorn und Schwert in Händen hält, sein Same ist Gold, er ist aller Eigenschaften, aller Unterschiede bar und trägt die Gestalt des Brahman. Die Welt ist fest in ihm gegründet und erschaut ihn nicht. Anbetung ihm: sinnlich greifbar und unsinnlich überfein ist der Gott mit dem Muschelhorn; die Menschen sehen ihn nicht, wenn sie gleich die ganze Welt sehen, er wohnt ihr unsichtbar im Herzen. Was lebend sich regt, ist ihm zu eigen, was lebend sich regt, vergeht in ihn, Anbetung ihm, der alles trägt, was lebend sich regt!

Anbetung ihm: er ist der uranfängliche Herr der ›Schöpfungsherren‹, höchster Herr der Herrscher, Herr der Götter; er ist der Schöpfer: die Welt entfaltend und auflösend feiert er sich mit seinen eigenen Taten als Zauberopfer. Er schenkt die Frucht der Seligkeit im Götterhimmel und Frucht der Befreiung von allem Dasein. Anbetung ihm, der die Keule trägt! Im Geiste erschaut, verscheucht er Unheil augenblicks, der Reine, Höchste! Alle Wesen, die in ihm den Herrn über die Götter der Götter erkannt haben, kommen dank ihrer Erkenntnis nicht wieder zu Geburt und Tod. Ihm wird beim Opfer mit höchsten Opfern geopfert, er selbst heißt ›das Opfer‹, das Opferwesen Vischnu bete ich an, den Mächtigen, den Herrn! In allen Veden von den Vedawissenden als ›Herr der Wissenden‹ besungen, wird er aus den Veden gewußt. Alles entstand aus ihm und löst sich wieder in ihn auf, alle heilige Überlieferung gründet sich auf ihn, Anbetung diesem großen Wesen. Er hat die ganze Welt hier ausgespannt, vom Weltgeist Brahma bis zum kleinsten Grashalm, ihn bete ich an, um das Netz seiner Maya zu überwinden! Der in Gestalt der Wasser das Ganze trägt, den ›All‹, den Herrn des All, Vischnu bete ich an, den Herrn der Geschöpfe! Wer seine Gnade gewinnt mit reinem Sinn, Wort und Werk, überwindet alles Befangensein in Welt und Ich.

In allen Wesen weilend spielt er als Tänzer unablässig in Kummer, Glück und Zorn und anderen Gebärden, die aus Lust und Leid entstehen. Sonne und Mond sind seine Augen, mit denen schaut er unablässig reines und unreines Werk aller Welt. Den Herrn, an dem alles wahr ist, was ich gesagt habe, und nicht unwahr, den Ungeborenen, Vischnu, Entstehen und Vergehen in einem, bete ich an! So wahr ich dieses wahr gesprochen habe und der ›Quäler der Menschen‹ mehr ist als all das – so wahr sollen alle meine Wünsche in Erfüllung gehen!«

Als sie ihn so gepriesen hatte, trat der erhabene Allgott, allen Wesen unerschaubar, in den Bereich ihrer Blicke und sprach: »Was du in deinem Sinn ersehnend hegst, Aditi, wirst du alles erhalten, dank meiner Gnade, du Fromme, zweifle nicht! Vernimm, du Hochbegnadete: Der Wunsch, der dir im Herzen ruht, den wünsche schnell – Heil wird dir geschehen! Denn mich zu schauen wird niemals fruchtlos sein.«

Aditi sprach: »Gott, du liebst, wer sich dir hingibt; wenn meine Hingabe dich erfreut, so sei mein Sohn Indra Herr über alle drei Welten! Die großen Widergötter entrissen ihm die Königsmacht, entrissen ihm seine Anteile am Opfer – dank deiner Gnade soll mein Sohn sie wiedererlangen! Nicht, daß meinem Sohne die Königsmacht entrissen ward, du Lockiger, schmerzt mich, aber daß dank der Kinder der anderen Frau des ›Schöpfungsherren‹, meines Gemahls –, daß dank der Dämonen das Vatererbe uns Göttern entsank, schafft mir Qual im Herzen.«

Der Herrlich-Erhabene sprach: »Ich erzeige dir Gnade, Göttin, wie du begehrst, und werde durch deinen Gemahl Kaschyapa in deinem Leibe zum Leben erstehen. Aus deinem Leibe werde ich hervorgehen und die Feinde der Götter niederschlagen – gib dich zufrieden, Tochter!«

Aditi sprach: »Sei gnädig, Herr über die Götter der Götter! Anbetung dir, der alles Werden hervorbringt! Nicht vermag ich dich, Gott, in meinem Leibe zu tragen, Lockiger! Auf dem das All gegründet steht, der selbst als Herr das All ist, dich vermag ich nicht in meinem Leibe zu tragen, den schwer zu Tragenden.«

Der Herrlich-Erhabene sprach: »Wahr sprachst du, Gesegnete: in mir steht diese ganze Welt gegründet, nicht vermögen die himmelbewohnenden Götter samt Indra mich zu tragen. Ich aber werde alle Welten samt Götter, Dämonen und Menschen, alles was geht und verwurzelt steht, und dich, Göttin, samt deinem Gemahl Kaschyapa – alle werde ich tragen. Heil dir, begib dich darum der Angst! Kein Schmerz und keine Müdigkeit wird an dich rühren, wenn ich in deinem Leibe weile, ich erweise dir Gnade, die andere schwer erlangen können. Wenn ich in deinem Leibe weile, soll, wer deinen Söhnen feind ist, den Strahlenglanz seiner Kraft verlieren. Fürchte dich nicht!«

So sprach der Herr und entschwand alsbald. Und als die Zeit sich erfüllte, empfing sie ihn als Frucht. Als er in ihren Leib eingegangen war, erbebte rings die Erde, die großen Berge erzitterten, die Meere wallten auf. Wohin auch Aditi ging und ihren lieblichen Schritt setzte, allüberall neigte sich die Erde erschöpft unter ihrer Last.

Als der Madhutöter in ihrem Leibe weilte, schwand allen Dämonen der Strahlenglanz ihrer Kraft, wie der Höchste es verkündet hatte. Als Bali, der Herrscher der Widergötter, sie allen Glanzes bar sah, fragte er seinen Großvater Jubel: »Vater, glanzlos sind die Dämonen, wie von Feuer zu Asche verzehrt – warum sind sie jählings wie vom Stabe Brahmas getroffen? Ist das ein unheildrohendes Vorzeichen für die Dämonen, oder ist es Zauberwirkung, von Feinden geübt, zu unserem Untergange erstanden, daß die Widergötter ihren Glanz verloren haben?«

Auf die Frage des Enkels versank der weise Dämonenfürst lange in innere Schau, dann sprach er zum Dämonenkönige Bali: »Es wanken die Berge, die Erde verliert ihre eingeborene Festigkeit, alle Meere sind in Aufruhr, und die Dämonen verlieren ihren Glanz. Nicht schreiten die Wandelsterne wie ehedem im Aufgang der Sonne – ein großes Zeichen, Großarmiger, ist das! Herr der Dämonen, Bedränger der Götter, achte was ihm folgen wird nicht für gering!«

So sprach Jubel, der höchste der Widergötter, zum Herrscher der Dämonen. Von grenzenlos gläubiger Hingabe erfüllt ging er in seinem Geiste zu Vischnu, dem Herrn der Götter. Er versenkte sich in den Yoga hinreißender Gesichte und betrachtete suchend, wo der Gott weile. Da schaute er ihn im Leibe Aditis in winziger Gestalt: der uranfängliche Herr der Wesen trug alle sieben Welten in seinem Innern. Jubel schaute im Innern des Gottes die Scharen aller Götter, Himmelsgeister, Schlangen und Ungeheuer, er sah seinen Sohn Virotschana und Bali, das Haupt der Widergötter, samt allen ihren Fürsten, er sah sich selbst und Erde und Himmelszelt, Wind, Wasser und Feuer, die Weltmeere, Bäume, Ströme und Gewässer, zahmes und wildes Getier, Vögel und Menschen allzumal und kriechendes Gewürm, er sah Brahma, den Schöpfer der ganzen Welt, und Schiva, sah Wandelsterne und Sternbilder, Schlangen und die »Herren der Geschöpfe« vom Ältervater Dakscha an.

Er schaute, von Wundern durchdrungen. Nach einem Augenblick wieder ins gewöhnliche Dasein zurückgekehrt, sprach er zu Bali, Virotschanas Sohn: »Kind, alles hab' ich erkannt, warum euer Glanz dahin ist: der Gott der Götter, der Schoß der Welt, der ohne Mutterschoß uranfängliche Schöpfer der Welt, anfangsloser Anfang des Alls, der erwählte wunscherfüllende Vischnu, Höchster über Hoch und Nieder, Maß aller Maße, Brahmas heiliger Lehrer und Lehrer aller sieben Welten, der Mächtigste der Mächtigen, der ohne Anfang, ohne Mitte ist, der Erhabene, Unendliche ist hohen Wesens als Kind der Aditi in die Welt hineingestiegen, um mit einem Teil seines Wesens ihr Hüter zu sein. Mit einem Bruchteil, einem Sechzehntel seiner selbst, stieg der Allgott in die Welt, des wahre Gestalt nicht Schiva kennt noch der lotosentsprungene Brahma, nicht Indra noch Sonne und Mond, nicht ›Lichtstrahl‹ noch die anderen geistigen Söhne Brahmas. Mit einem Sechzehntel seiner selbst stieg der Herr des Alls in die Welt hinein, Heim und Zuflucht für den Geist aller Yogamächtigen, der vorzeiten mit einem Sechzehntel, halb Mann halb Löwe, meinen Vater erschlug. Zu ihm, dem Unvergänglichen, gehen die Vedawissenden ein, die ihn erkannt haben, Erkenntnis seines Wesens wischt alle Flecken ab; in ihn gehen sie ein und werden nicht wieder – ihn den Allgott, den Unvergänglichen, bete ich an!

Aus ihm erstehen die Wesen all, wie Wellen aus dem Meere, ohne Ende, in ihm, in der Auflösung, zerschmelzen sie wieder – den unausdenkbaren Allgott bete ich an! Gestalt und Kraft, Macht und Dasein des höchsten Wesens vermögen nicht Schiva noch Brahma noch die übrigen Götter zu erkennen; er ist Auge im Ergreifen der Form, Bewegender im Tasten, ist schmeckende Zunge, schallfangendes Ohr und Geruch, bestellt, Düfte zu erfassen. Der als Eber auf seines Hauers Spitze die Erde aus dem Weltmeer hob, die alle Berge trägt, ihn, in dem als Meer die ganze Welt ruht, bete ich an! Alle Sinne fassen ihn nicht, der Geist kann ihn ergreifen; er ist die Axt für den Baum des Samsara, des Kreislaufs zwischen Geburten und Toden – ihn bete ich an! Dieser Gott großen Wesens, Schoß der Welt, ist mit einem Bruchteil in den Schoß der Göttermutter eingegangen, König der Widergötter, er hat euch mit Macht eure strahlende Schönheit geraubt.«

Bali sprach: »Vater, wer ist's, der Vischnu heißt, von dem uns diese Gefahr kommt? Ich habe Dämonen zu Hunderten, die stärker sind als der Allgott, groß an Kraft und Heldenmut, imstand, die Last der Erde aufzuheben. Nicht mit der halben Heldenkraft jedes von ihnen vermag sich Vischnu zu messen.«

Als Jubel, der Stier unter den Dämonen, solche Worte seines Enkels vernahm, rief er »Schande! Schande!« über Bali, der verächtlich von Vischnu redete, und sprach: »Dem Untergange entgegenschreiten, glaub' ich, die Dämonengeschlechter, die an dir einen so vernunftlosen König, bar der Einsicht, haben. Wer außer dir, verruchten Sinnes, möchte so über den Gott der Götter, den hochherrlichen Allgott reden, den Ungeborenen, Weltentfaltenden? Alle Dämonensöhne und alle Götter samt Brahma, deren Welten beständig und grenzenlos sind, du und ich und die ganze Welt samt Bäumen, Strömen, Meeren, und die Welten aus Inseln und Meeren können sich nicht dem Lockigen Gotte vergleichen. Wer kann so von ihm sprechen, der mit einem Teil von sich die ganze Welt darstellt, preiswürdig für die Preiswürdigsten, allerfüllend und höchstes Wesen – außer dir, der du dem eigenen Untergange zueilst, einsichtslos, unvernünftig, ohne Selbstbezwingung, und die Lehren der Alten übertrittst? Ich bin zu beklagen, daß in meinem Hause dein elender Vater geboren ward, der dich zum Sohn hat, der den Gott der Götter schmäht. Fest stehe meine gläubige Hingabe an Vischnu, der alle im Kreisen zwischen Geburten und Toden aufgehäufte Schuld zunichte macht – aber auf mich blickst du wohl nicht? Mein eigener Leib ist mir nicht so lieb wie Vischnu voll großen Wesens, das weiß die ganze Welt, nur du nicht, Erbärmlicher! Wohl weißt du, daß Vischnu mir teurer ist als mein Leben, und schmähst ihn doch ohne Ehrfurcht vor mir. Virotschana ist mir durch sein Alter ehrwürdig, sein Älterer bin ich, und für mich und alles Lebendige ist Vischnu ehrwürdig-älter. Weil du ihn, den Älteren der Älteren, schmähst, wirst du bald von deiner Herrlichkeit herabstürzen.

Es sei: Ich mag dir verächtlich sein, aber mein ehrwürdig Älterer sei voll Liebe zu mir! Weil du den ehrwürdig Alten der drei Welten geschmäht und nicht auf mich geblickt hast, gebe ich dir meinen Fluch! So wahr dein Wort, das den Unerschütterlichen schmäht, mir schwerer wiegt, als hiebe man mir das Haupt ab, so wahr falle du dahin aus deiner Königsherrlichkeit!«

Als der Dämonenherrscher solch unliebes Wort des Alten vernahm, fiel er ihm wieder und immer wieder zu Füßen und begütigte ihn: »Sei gnädig, Großvater, zürne mir nicht! Ich war von Verblendung geschlagen, trunken voll Stolz auf meine Kraft, sprach ich solche Worte. Mein Erkennen war von Betörung umfangen, ich bin ein Übeltäter, wohlgetan hast du, daß du mich in meinem schlimmen Wandel verflucht hast. Zerfall meiner Königsmacht, Zerfall meines Glanzes steht mir bevor – aber das drückt mich nicht so, wie daß ich mich gegen dich verging, Vater! Die Herrschaft über die drei Welten oder eine andere Herrlichkeit sind nicht so schwer zu erlangen, schwer aber sind im Kreisen durch Geburten und Tode Ältere und Lehrer zu finden, die dir gleichen. Darum sei gnädig und zürne mir nicht, Beschützer der Dämonen! Dein Zornblick schafft mir glühende Qual, nicht dein Fluch.«

Jubel sprach: »Kind, Zorn hat mich verblendet, darum gab ich dir meinen Fluch. Verblendung raubte mir die Einsicht; hätte sie mir nicht die Erkenntnis verdunkelt, wie könnte ich – in allem und allem Vischnu erkennend – irgend etwas verfluchen? Der Fluch, den ich dir gab, wird sich gewiß erfüllen, aber sei darob nicht traurig: gib dich fortan dem Herrn der Götter, dem Unerschütterlichen, gib dich Vischnu gläubig anheim – er wird dein Retter sein. Du hast meinen Fluch und wirst meiner gedenken; wie du mein gedenkst, will ich für dich ringen um dein Heil« – so sprach der Weise zum Dämonenherrscher und verstummte.

Der erhabene Vischnu ward in winziger Gestalt geboren. Als der Hüter der Welt, der Herrscher aller Unsterblichen, in die Welt hineingestiegen war, ließen Aditi und die Götter ihren Kummer fahren. Lind streifende Winde wehten einher, der Himmel strahlte in reiner Klarheit, und aller Wesen Sinn wandte sich zum rechten Wandel in ewiger Satzung. Frieden legte sich auf Menschenfürsten und Dämonen und alle Wesen, die auf Erden und in Luft und Himmel wohnen.

Brahma, der erhabene Ältervater der Welt, vollzog am Kinde, sobald es geboren ward, die heiligen Bräuche für Neugeborene und pries den Herrn über die Götter der Götter, indes die heiligen Seher ihm lauschten:

»Siege, uranfänglicher Herrscher, Unbesinglicher du, des Wesen Allwesen des Alls ist! Geburt- und Altersloser, Grenzenloser, Unerschütterlicher, siege! Sieg, Unermeßlicher, des beständiges Wesen unentfaltet ist, höchstes Wesenswesen, All-Erkenner, durch Erkenntnis Erkennbarer, dir selbst Entströmter! Siege, zuschauendes Auge über der ganzen Welt, Schöpfer, Ältester, Lehrer der Welt! Du bist der Endebringer für die Welt: siege, um ihr Bestehen zu schirmen! Du bist der Übrige, der nicht eingeht ins All, bist der ohne Übriges, denn nichts ist außer dir; der du in aller Herzen weilst, Anfang, Mitte und Ende, Gefäß des Allwissens, siege! Du wirst dank dir selbst erschaut und verleihst den Yogin Frucht der Erlösung; Selbstbezwingung und die Tugenden des Yogin sind dein Schmuck. Siege, du Übersinnlich-Feiner, schwer Erkennbarer, sinnlich Greifbarer: du bist die sichtbare Welt, Sinnlich-Übersinnlicher, bist jenseits der Sinne und mit Sinnen begabt. Du stehst in deiner Maya und ruhst auf den Windungen der Weltschlange, mit der äußersten Spitze eines Hauers hobst du die Erde aus dem Weltmeer, halb Mann, halb Löwe zerfleischtest du die Brust des Feindes, siege jetzt, Wesen des Alls als winziger Knirps! Siege, mit der Decke der eigenen Maya verhüllt! Deine Gestalt ist die Welt, zahllose Gestalten hast du und bist nur von einer Art! Wachse du, des Urform sich zu allen Verwandlungen auswächst! In dir, dem Herrn von allem Lebendigen, ruht die Wegspur ewiger Satzung!

Nicht ich, nicht Schiva noch Indra und alle dreiunddreißig Götter vermögen dich zu erkennen, nicht die Heiligen noch die Yogin; wer wird dich erkennen in dieser Welt, die von der Decke deiner Maya umhüllt ist – es sei denn durch deine Gnade? Wer deine Gunst gewinnt, Herr, des Angesicht von Gnade leuchtet, der weiß, dem Schein entrückt, um dich – sonst keiner. Wachse, du Winziger, entfalte dich mächtig, Allwesen des Alls, Großäugiger!«

Als der »Herr der Sinne« in winziger Gestalt so gepriesen ward, lachte er und sprach voll tiefen Ernstes zum lotosgeborenen Gott: »Schon vordem ward ich von Indra, den Göttern und Kaschyapa gepriesen und versprach euch, Indra solle über alle drei Welten herrschen. Auch von Aditi ward ich gepriesen, auch ihr verhieß ich, daß ich Indra die Dreiwelt frei von Dornen, frei von Feinden geben werde. Hier bin ich und will es schaffen: der tausendäugige Indra wird Herr der Welt – das sage ich euch in Wahrheit.«

Da gab ihm Brahma ein schwarzes Antilopenfell, Indras Hauspriester Brihaspati reichte, ihn zu gürten, die Opferschnur, geistige Söhne Brahmas und hohe Heilige gaben ihm Stab und Bettelnapf, einen Gebetskranz aus Fruchtkernen, ein Büschel aus heiligem Gras und ein weißes Ober- und Untergewand. Die heiligen Veden, vom OM-Laut geziert, warteten ihm auf, neben ihnen alle Lehren und Yogasprüche.

Mit geflochtenem Haar, seinen Stab, Sonnenschirm und Bettelschale in Händen, ging der Herr, der aus allen Göttern besteht, zu Balis Opferfeier. Wohin der Knirps seinen Fuß zu Boden setzte, überall wich die Erde, unmäßig eingedrückt, und es gab eine Tiefe. Stumpfen Schrittes ging der Knirps sanft dahin und brachte die ganze Erde samt Bergen, Meeren und Inseln zum Erbeben.

Als Bali die Erde samt Bergen und Wäldern wanken sah, legte er seine Hände hohl zusammen, fiel vor seinem Hausbrahmanen Uschanas, dem Reinen, nieder und fragte ihn: »Mein Lehrer, samt Meeren, Bergen und Wäldern kam die große Erde ins Wanken, und warum nehmen die Opferfeuer die Spenden der Widergötter nicht an?« Uschanas Kavya, auch Schukra geheißen, aus dem Bhrigugeschlecht, versenkte sich lange in inneres Schauen, dann sprach der Weise:

»Vischnu, der Schoß der Welt, ist hinabgestiegen ins Haus des Kaschyapa, das ewige Wesen der Welt hat Knirpsgestalt angenommen. Er kommt zu deinem Opferfest, Stier der Dämonen. Seiner Füße Schreiten schüttert: davon erbebt die Erde hier, es wanken jene Berge dort, und die Behausung der Meerungeheuer gerät in Aufruhr. Den Herrn alles Gewordenen vermag die Erde samt Göttern und Dämonen, Seligen und Kobolden, Unholden und Halbmenschen nicht zu tragen – er trägt ja alle Elemente und alle Geschöpfe vom ersten Menschen an. Das ist die unergründliche Maya des Grundes der Welt, daß er die Welt zusammendrückt im Spiel von Träger und Getragenem. Er naht: da sind Widergötter nicht mehr der Opferspenden wert, und die Opferfeuer nehmen ihre Spenden nicht mehr an.«

Bali sprach: »Gesegnet bin ich, Heiligkeit erwarb ich, daß der ›Herr des Opfers‹ selbst zu meinem Opferfest kam. Welches Wesen ist mehr als ich? Er, den die Yogin immerdar in Yoga angespannt zu schauen verlangen, das höchste unvergängliche Wesen, wird zu meinem Opfer kommen. Er ist Opferpriester und gibt Anteil am Opfer, ihn besingt der singende Priester – wer außer mir wird Vischnu, dem Herrn des Opfers, nahen? Wenn der höchste Herrscher des Alls zu meinem Opfer kommt, was hab' ich dann zu tun? – Das sollst du mich lehren, Kavya!«

Schukra sprach: »O Widergott, nach der Richtschnur der Veden verzehren die Götter die Anteile am Opfer, du aber machtest die Dämonengeschlechter zu Verzehrern der Opferteile. Dieser Gott, in lichter Klarheit wurzelnd, schirmt den Bestand der Welt; wenn der Mächtige die Geschöpfe aus sich hervorgebracht hat, verzehrt er sie selbst als seine Nahrung. Begreife das, Großarmiger, müh' dich wie nie zuvor, gewähre ihm nichts, auch nichts von dem, was ihm gebührt. Verwerflich ist fruchtloses Begüten des Feindes. ›Ich kann dir nichts geben, Gott‹, soll deine Rede an ihn sein, der den Göttern zu helfen erstanden ist.«

Bali sprach: »Brahmane, wie sollte ich, wenn mich irgendwer bittet, sagen, ›ich habe nichts‹ – gar, wenn der Gott mich bittet, der die Flut des Samsara hinwegnimmt? Durch mancherlei Gelübde und Fasten empfängt man Vischnu – wenn er spricht: ›Ich bin leibhaftig‹, gibt es da etwas Höheres? Der Herr der Götter, um deswillen die Opfer geschehen, wird, reich an Darbringungen, begabt mit Kräften der Askese und Reinigung, zu mir sprechen: ›Ich bin leibhaft geworden‹ – wohlgetan sind meine Werke, wohlgewandelt bin ich in Entsagung, wenn der Herr der Herrscher selbst annehmen wird, was ich gebe. Soll ich sagen: ›Ich habe nichts, ich habe nichts‹, wenn er zu mir kommt? Betröge ich ihn, wenn er mir naht, wäre die Frucht dieses Lebens dahin. Wenn der Herr des Opfers mich bei diesem Opferfest bittet, gäb' ich ihm ohne Besinnen mein eigen Haupt. Wo ich anderen Bittenden niemals sagte: ›Ich habe nichts‹, wie soll ich sagen, was ich nie gewohnt war, wenn der Unerschütterliche kommt? Rühmlich ist für Edle, durch Schenken ins Elend zu geraten, Schenken, das nicht beklommen macht, bringt kein Glück. In meinem Reiche ist keiner unglücklich, keiner arm, kein Leidender, keiner ohne Schmuck – kein Trauriger, kein Unbekränzter, Ungezierter. Jubelnd und heiter, von Wohlgerüchen duftend und zufrieden, im Besitz aller Freuden ist all mein Volk, du Heiliger, und ich bin immer glücklich. Dank deiner Huld, du Tiger des Bhrigugeschlechts, ist dieses herrliche Gefäß, meine Gabe hineinzulegen, mir genaht, ist die Frucht dieser Schenkung aus meiner Saat mir gereift. Erkenn' ich das und fällt das Saatkorn meiner Gabe in das große Gefäß Vischnu – was hätte ich damit nicht erlangt, mein Lehrer? Nimmt der Herr meine Gabe an und verhilft den Göttern zu Größe, will ich meine Gabe aufs höchste preisen, weil sie zehnfältige Frucht trägt. Übervoll von Huld ist Vischnu gewiß für mich, durch mein Opfer erfreut; darum naht er – kein Zweifel! –, mich durch seinen Anblick zu begnaden. Oder naht er mir, der den Göttern ihr Teil am Opfer weigert, in Zorn und will er mich töten? – Höchst preiswürdig ist der Tod von der Hand des Unerschütterlichen. Aus ihm besteht das All, er, dem alles in Reichweite seiner Hände ist, kommt, mich zu bitten: es gibt keine Begnadung außer ihm. Der aus sich selbst entworden das All aus sich entfaltet und mit einem Gedanken wieder in sich hineinreißt – wie wird der ›Herr der Sinne‹ sich Mühe machen, mich zu töten! Solches bedenkend, mein Lehrer, hindere mich nicht, zu schenken, wenn der Hüter der Welt sich naht.«

Als er so sprach, war der Herr der Welt genaht; der Unausdenkbare, der aus allen Göttern besteht, trug die Mayagestalt eines Knirpses. Als die Widergötter, die in den Opferbezirk getreten waren, den Mächtigen erblickten, fielen sie, wie sie in der Halle saßen, von seinem Licht geblendet glanzlos von den Stühlen. Die Heiligen, die beim Opfer versammelt waren, murmelten Gebete, und Bali fühlte, sein ganzes Leben trage Frucht; in tiefer Erschütterung sprach er kein Wort, und jeder verehrte im Geiste den Herrn über die Götter der Götter. Als dieser den Herrn der Widergötter und die höchsten Heiligen sich ehrfurchtsvoll neigen sah, pries er, das zuschauende Auge der Welt in zwerghafter Gestalt, das Opferfeuer und Bali, den Opfernden, die Priester, die das Opfer ausrichteten und die ihm beiwohnten, und alles, was beim Opfer Verwendung fand – da ward augenblicks alles, was im Opferbezirk weilte, dem Knirpse wohlgesinnt. »Schön, o schön«, rief Bali der Held und, Wasser in Händen haltend, verehrte er Vischnu, und Freudenschauer überliefen ihn dabei.

Bali sprach: »Gold und Juwelen in Fülle, Elefanten und Pferde in unermeßlicher Zahl, Frauen, Gewänder und Schmuck, reiche Dörfer, all meine Habe, die ganze Erde oder was sonst du begehrst, schenke ich dir – wähle, wonach du verlangst, du lieber Knirps!«

Als der Herr der Dämonen dieses Wort, von Liebe trächtig, zu ihm sprach, sagte der Erhabene in Knirpsgestalt lächelnd mit tiefer Stimme: »O König, gib mir drei Schritte weit Landes für meine Feuerstätte – Gold, Dörfer und Juwelen gib solchen, die ihrer bedürfen.«

Bali sprach: »Was willst du mit drei Schritten Landes, Höchster aller, die auf Füßen schreiten? Schreite hundert und hunderttausend Schritte ab, Verehrter!«

Der Knirps sprach: »Sinn für das ewige Gebot, den Bittenden nichts zu weigern, genügt, mich zufriedenzustellen, Fürst der Dämonen. Anderen Bedürftigen wirst du Habe geben, die sie begehren.«

Als der Großarmige dieses Wort des Knirpses voll großen Wesens hörte, schenkte er ihm drei Schritte Landes. Dabei goß Bali, um die Schenkung bei dem eidhütenden Gotte des Wassers zu beschwören, eine Spende Wasser über die Hand des Beschenkten, kaum floß es, da ward der Knirps zum Unknirps und offenbarte augenblicks seine Gestalt, die aus allen Göttern bestand. Mond und Sonne waren seine beiden Augen, der Himmel sein Haupt, seine Füße die Erde. Seine Zehen waren menschenfressende Unholde, seine Finger Höhlenkobolde, die All-Götter waren an seinen Knien, andere waren seine Unterschenkel, Kobolde entstanden in den Nägeln, und Himmelsfrauen in den Linien seiner Haut. Die Sternbilder allzumal waren in seinem Blick, seine Haare waren Sonnenstrahlen, Sterne waren seine Poren, und die großen Seher die Härchen darin. Die Richtungen des Weltraums waren im Gehör des hohen Wesens, und die Richtungen dazwischen waren seine Arme, die beiden Zwillingsgötter zu Pferde waren seine Ohren, der Wind war die Nase des großen Wesens. Der Mond war seine müde Klarheit, und der Gott ewiger Satzung war in seinen Geist eingegangen. Die Wahrheit war seine Stimme, die flutenreiche Göttin der Rede war seine Zunge, Aditi sein Nacken, und die Wissenslehren die Hautfalten im Nacken. Die Scheitelöffnung seines Hauptes, das »Tor zum Himmel«, war Mitra eigen, der »Weltzimmermann« und Puschan, der Gott der Wege und der Herden, waren seine Brauen. Sein Mund war Feuer, die Herdflamme aller Menschen, seine Hoden war der Herr der Geschöpfe. Sein Herz war das höchste Brahman, sein Männliches der Göttervater Kaschyapa. In seinem Rücken waren die Schatzgötter, in seinen Gelenken die Sturmgötter, alle heiligen Strophen und die Himmelslichter waren seine fleckenlos strahlenden Zähne. In seiner Brust war Schiva, der Große Gott, in seiner unerschütterlichen Ruhe die Weltmeere, in seinem Bauche erstanden die seligen Geister voll großer Kraft. Lakschmi – Glück und Schönheit –, Festigkeit, Anmut und alle Wissenslehren waren an ihm Hüften und Gesäß. Alle Himmelslichter strahlten an ihm als festlichster Glanz, höchste leuchtende Glut ging vom Gott der Götter aus, seine Brusthälften und Leibesseiten waren die vier heiligen Veden, sein Bauch die großen Opfer, Spenden, Tieropfer und Bräuche der Brahmanen.

Die starken Dämonenfürsten schauten diese Gestalt Vischnus, die ganz aus Göttern bestand, und kamen ihr nahe wie fliegendes Getier der Flamme. Und der Weltentfaltende zerrieb alle mit Sohlen und Handflächen. Er ließ seinen Leib ins Gewaltige wachsen, bald lag die Erde unter ihm. Wie er mit einem Schritt die Erde durchmaß, standen Sonne und Mond ihm in Höhe der Brust. Wieder schritt er aus, und die beiden standen ihm am Schenkel. Als er zuletzt ein drittes Mal ausschritt in götterbeschirmender Tat, standen die Lichtspender ihm an der Kniewurzel. Alle drei Welten hatte er siegend gewonnen und die Stiere der Widergötter erlegt – da gab der weitschreitende Vischnu die drei Welten dem burgenzerbrechenden Indra. Aber die untere Welt, unergründliche Tiefe geheißen, auf der Unterseite der Erde, erhielt Bali vom erhabenen Vischnu.

Da sprach Vischnu zum Dämonenherrscher: »Weil meine Hand das Wasser nahm, das du mir gabst, wird dein Leben höchste Dauer haben und eine Weltzeit messen. Wenn eine Weltzeit um ist, die nach Manu, dem Sohn des Sonnengottes heißt, und eine andere da ist, die nach dem Sonnensohn Savarni heißt, dann wirst du Indra werden. Jetzt habe ich alle drei Welten dem Götterkönige gegeben; ich gab sie ihm für mehr als einundsiebziegmal vier Weltalter, und ich muß alle bändigen, die ihm widerstreben; er hat mich vorzeiten mit höchster gläubiger Hingabe erfreut. Nimm du, Bali, die untere Welt ›unergründliche Tiefe‹, die liebliche; weile dort und achte mein Geheiß. Götterwälder sind dort, Terrassen zu Hunderten, Teiche mit blühenden Lotosblumen, und lautere Ströme fließen dort. Mit Wohlgerüchen, Räucherwerk und Blumenkränzen, mit Gewand und Schmuck geziert, mit Blumenketten, Sandel und anderem Schönen erheitere dich und gib dich bei Gesang und Tanz vielen Freuden hin an Speis und Trank, großer Widergott! Weile dort auf mein Geheiß diese Zeit lang mit Hunderten von Frauen. Solange du mit Göttern und Weisen keinen Streit anhebst, wirst du all diese Herrlichkeiten haben, sonst aber werden dich die Schlingen des eidhütenden Varuna binden. Merke alles wohl, was ich dir künde: hebe keinen Streit an mit Göttern und Weisen, edelster der Dämonen!«

Als der gewaltige Gott solches gesprochen hatte, fiel Bali freudig vor ihm nieder und sagte: »Wohne ich dort in der untern Welt, Erhabener, auf dein Geheiß – was wird der Stoff sein, der solche Freuden mir verschafft?«

Der Herrlich-Erhabene sprach: »Schenkungen, die nicht nach der Ordnung geschenkt sind, und Totenspenden ohne einen vedakundigen Brahmanen dargebracht, was ohne Glauben ins Feuer geopfert ward: all das wird dir Frucht tragen; Opfer das ohne Opferlohn für die Priester blieb, heilige Handlungen, die nicht nach der Ordnung vollzogen sind, werden dir Frucht tragen und heilige Lehren, die ohne Gelübde gelernt worden sind.«

Als er Bali diese Gabe und Indra die Dreiwelt gegeben hatte, ging Vischnu mit seiner allerfüllenden Gestalt ins Unsichtbare ein. Und wie ehedem herrschte Indra, von allen drei Welten verehrt, und Bali genoß höchste Freuden in der unteren Welt.

Ein Winziges, unbedeutend und harmlos, wenn es zuerst bemerkt wird, reckt sich und wächst unheimlich, unwiderstehlich auf zu Drohung und Triumph, wirkend schwillt es vom Lächerlichen zum Gebietenden, Unwiderstehlichen an, allerfüllend droht es seine Welt zu zersprengen; liegt eine phallische Vorstellung auf dem Grunde dieses Mythos vom Knirps, der zum Riesen wird? – sie bleibt unangerührt.

Offenbar geht es – oder ging es mindestens ursprünglich – bei diesem Geschehen um Überlistung, Überraschung eines Starken, Besitzenden durch einen Klugen, Bedürftigen. Ein Schwacher, der nichts zu fordern hat, weil er nichts erzwingen kann, erbittet scheinbar, was man ihm nicht versagen darf, und wird dem arglosen Geber zum Verhängnis. Sein Rang, daß er Brahmane ist und seine Heiligkeit dem Beschenkenden Segen bringt, die Gelegenheit der Opferfeier, bei der zuschauende wie amtierende Brahmanen sich Geschenke vom Opferherrn erwarten dürfen, der königliche Glanz des Opferherrn, der ihn zu Freigebigkeit verpflichtet, sichern der tückischen Bitte im vornhinein Gewähr; so bat Dido, auf der Flucht von Phönizien nach Karthagos Küste getrieben, nur um soviel Land, wie eine Rindshaut lang ist, und der Königin, der Hilfeflehenden, war diese lächerliche Gabe nicht zu verweigern. Da schnitt sie das Rindsfell in fadendünne Riemen, die ein weites Feld umzirkten: so legte sie den Grund zur Herrscherin der Meere, vor der Rom bangte, bis es sie in einen Trümmerhaufen verwandelt hatte. Ein zwergenhafter Anspruch, nicht abzuweisen, verlarvt die Gewalt, die sich durch seine List erst die Möglichkeit triumphierenden Zugriffs schafft. Um seinen Hammer wiederzuerlangen, der in die Hände der Riesen fiel, verlarvt sich Thor als Freya und kommt als Braut zu den Riesen, er bringt sich selbst als Kaufpreis für seine verlorene Waffe, mit der die Riesen das Unterpfand der Allmacht und der Vernichtung der Götter in Händen halten. Aber die Riesen selbst legen triumphierend arglos dem verkleideten Gotte den Hammer in den bräutlichen Schoß. Da zermalmt er mit ihm die Betrogenen und rettet den Göttern die Herrschaft.

Auf Seiten der eddischen Riesen wie der indischen Widergötter ist die unbändige Kraft, den Göttern hilft überlegene List. Wie Vischnu sich nach der Quirlung des Milchmeers in ein schönes Weib verwandelte, um den Widergöttern den Trank der Unsterblichkeit abzugewinnen, den keine Drohung ihnen entreißen könnte, stiehlt er sich als Knirps in die Welt, um sie von der Herrschaft der Dämonen zu befreien, naht sich als waffenloser Brahmane von winziger Gestalt, um den mächtigen Dämon zu überlisten. Die göttliche Kraft der Maya, Gestalt zu tauschen nach Lust und aus ihrer Larve überraschend zu siegen, dieses eigentliche Geheimnis des Göttlichen in seiner Grenzenlosigkeit triumphiert über die Sicherheit, in der prunkend entfaltete Kraft sich wiegt. So war es beim Löwenmann, der überraschend aus der Säule bricht und jeder vermeinten Sicherheit spottet: aus dem Unerwarteten bricht das Schicksal – Rettung und Untergang –, aus dem scheinbaren Nichts wächst die Gewalt, die ihre Welt verwandelt, zum Alleserfüllenden. In Dachkammern des Exils, verfolgt und ohnmächtig, schmieden Unbekannte die politischen Waffen, die das Gesicht eines Erdteils wandeln; im Hinterzimmer eines unbeachteten Lokals stecken sich Köpfe zusammen, finden sich Willen, und das heiße Herz eines Einsamen sprüht die Funken einer Glut, die ein Volk entzündet Aber diese naturhafte Ironie im Gang der Dinge, die Sicherungen und Erwartungen mattsetzt und das scheinbar Phantastische so schnell wie gelassen Ereignis werden läßt, dieser Witz der Maya ist hier nur Stoff und Hintergrund, nicht mehr geistiger Kern des Mythos. Dieser ewig alte, immer unheimlich neue Witz ist nicht mehr der Sinn, auf den der sehr alte Mythos im Munde unserer Überlieferungen abzielt, die sich im Hinblick auf die verdämmernde Herkunft ihrer Stoffe die »Alten« nennen dürfen. Zum Wesen des überlistenden Knirpses muß es ursprünglich gehört haben, daß er sich völlig unbemerkt in die Welt stiehlt, die er dem Dämon entreißen will – hier aber begleiten kosmische Erschütterungen, eindeutige Zeichen das hohe Wunder, daß der Allgott, der die Welt als Blüte seines Nabels aus sich hervortreibt, seine überweltliche Unendlichkeit in die Grenzen seiner Schöpfung zwängt und, mit seiner Maya sich noch einmal völlig verzwergend, als Frucht im Schoße der Göttermutter Raum findet. Sein Kommen bleibt kein Geheimnis, der erleuchteten Schau seines Frommen, der Yogaversenkung des feindlichen Priesters ist es so offenbar wie dem ahnenden Erschauern, der sichtbaren Veränderung, die alle Kreatur überläuft.

Einst war Vischnus Tat die List überlegener Maya; von Indra heißt es im Veda, daß er auf der Flucht vor seinen Feinden sich in ein Pferdehaar verwandelte, das sie nicht gewahren konnten; anderwärts wird erzählt, daß er sich in ein Atom hineinflüchtete und in ihm ein Weltall fand, an dessen Beherrschung er sich's selbstvergessen lange Zeit genügen ließ – so hat sich einst Vischnu in diesen Knirps verwandelt, um sich unerkannt in die Welt zu stehlen, in der alles dem Dämon gehorchen muß. Der »Weithin Ausschreitende«, wie er im Veda genannt wird, schritt dann, als ihm drei Schritte Landes gewährt waren, dreimal aus, aber, zum Riesen wachsend, erfüllte er schon mit zwei Schritten die ganze Welt – wohin den letzten setzen? Er hatte ihn sich ausbedungen, und er war ihm gewährt, das band ihn nun selber, er mußte ihn tun: unausweichlich – willentlich und gebunden – setzte er ihn auf das Haupt des Dämons und trat ihn zermalmend in die tiefste Unterwelt.

Aber schon diese Gestaltung vom Mythos des »Weithin Ausschreitenden« ist kaum die älteste, ihr vorauf liegt eine andere Vorstellung: tanzend oder schreitend wie Vischnu, schaffen andere Götter, die der Veda nur eben noch erinnert, die Welt: wohin sie treten, wird Sphäre und Raum. Sie tun das gleiche wie tanzende Priester und Zauberer alter Zeiten, die Regen tanzen, Fruchtbarkeit der Saaten oder Heilung und Austreibung von Dämonen, die Ekstase tanzen und sich selbst durch den Rausch ihrer Bewegung ins Übermenschlich-Mächtige verwandeln, die sich aus sich selbst hinaus den Übermächten entgegentanzen, bis sie ihrer ansichtig werden und sie bestehen. So schuf der »Weithin Ausschreitende« anfänglich mit seinen drei Schritten das All in Gestalt der drei Welten: Erde, Himmel und was dazwischen liegt. Insbesondere der höchste Punkt des Weltalls, der Zenit am äußeren Rücken des Himmelsgewölbes, wird seit alters »Vischnus Fußstapfe« genannt: es ist die Stätte seines dritten Schrittes, den er, den Himmel als dritte Welt schaffend, über seinen oberen Rand hinaus tat ins Überweltliche.

Ganz fern ist der Mythos in den »Alten Überlieferungen« dieser alt-urwüchsigen Vorstellung von der Weltentstehung. Einzig, daß er die Welt hervorbringt, ist Vischnu geblieben; die Idee des weltschaffenden Tänzers aber hat sich dem anderen Großen Gott, Schiva-Mahadöh, vermählt, dem »König der Tänzer«, dem Nataraja. Sein Tanz ist der Wirbel der Welt, das Stampfen seiner Füße, das Wehen seiner Arme, die rasende Bewegung seines Leibes ist das Hinstürzen der Welt durch die Zeit, seine fliehenden Gebärden sind der Strudel ihrer Geschöpfe. An Schiva haftet die Idee, daß die Maya der Welt ein Tanz des Göttlichen sei, das trunken von der eigenen Fülle sich selbst in ihm genießt: Schivas Gemahlin, die Devi, die »Göttin« schlechthin – seine heilige Kraft und Maya –, gebart sich in ihrem berauschten Tanze als die Welt.

Von Vischnu ist alles dies so abgefallen, wie der Sieg überlegener List. Ehe er dem Dämon naht, hat er bereits gesiegt: kaum daß er in die Welt getreten ist, haben die Dämonen ihre strahlende Kraft verloren. Ihr König ist für seine lästerliche Rede vom frommen Großoheim verflucht: seine Herrschaft ist schon verwirkt, unwiderruflich dem Untergange geweiht, ehe der Gott ihm genaht ist. Der Gott braucht nur zu vollstrecken, was ohnehin reif geworden ist, zu geschehen – freilich nicht ohne sein Erscheinen, und was sich nur durch ihn vollziehen kann. Wozu kommt er verlarvt, wie einst als Löwenmann, jetzt als Knirps? Seine Maske ist durchschaut, aus der verhängnisvollen Geringschätzung des »kleinen Mannes«, der sich als gewaltiger erweist, als alle ahnen, ist das ergriffene Wissen um das Nahen des Allgottes geworden, die feindselige Begegnung wird zur hohen Feier des höchsten Gastes, und der Kampf der überlegenen List gegen den vermessenen Wahn, vor allem gesichert zu sein, wird zu gläubiger Hingabe und versöhnender Begnadung.

Für Bali bedarf es keiner Maske beim Gegenspieler, keiner List, ihn zu überlisten, er ist selig, sich selbst und alles an den Allgott hinschenken zu dürfen, diese Verkörperung dämonischer Weltherrschaft und Machtlust ist aus ihrer ursprünglichen Haltung schon ganz abgelenkt in die Richtung gläubiger Hingabe. Das Überraschende am Knirps, der Riese wird, ist ausgeprägter als das am Löwenmann, der, wenn er durchs All einhergeschritten kommt, unmißverständliche Drohung ist von Anfang an, ganz wandelnde Gefahr und Grauen; die jähe Verwandlung des Knirpses ist ein wirkungsvollerer Theatercoup, als wenn der Löwenmann aus der Spiegelsäule bricht, es ist die sprechendste Hieroglyphe überraschender Demaskierung, die sich ersinnen läßt – aber dieses Theater, dieses Schauspiel wird von allen Mitspielern als solches begriffen und bewundert. Aus Kampf unter Gegnern und wirklicher Überwältigung ist ein Zeremoniell unter Liebenden, sich Verstehenden geworden. Sie scheinen jenen alten mythischen Vorgang voll grausamer Ironie nur mehr zeremoniös zu vollziehen, weil er nun einmal der herkömmliche Gehalt ihrer eigentümlichen Bewegung ist und ihnen durch ihre Situation und die wunderbare Maske so vorgezeichnet wird. Aus dem ungeheuren Ernst einer überraschend entscheidenden Tat, die der Welt ihr gestörtes Gleichgewicht rettet, ist die rituale Feier ihres Vollzuges geworden, die niemandem mehr wehe tut noch wehtun soll. So ist bei alten Opfern in späterer Zeit an die Stelle des ehemals wirklich hingeschlachteten Menschen ein Tier getreten oder ein Bild des Menschen, oder man begnügt sich, seine Opferung nur zu erzählen und zu berichten, durch welches Ereignis ihr wirklicher Vollzug aus dem Ritual verbannt worden ist.

Aus dem vernichtenden Tritt aufs Haupt des düpierten Feindes, der ihn in den Abgrund des Nichts hinunterstampft, ist die feierliche Belehnung mit einer unterirdischen Herrlichkeit geworden, die der oberen in Erdenwelt und Götterhimmeln an Weite und Wundern nichts nachgibt. Der überwundene Dämon wird schadlos gehalten; der Gott, der das All ist, schafft aus seiner Fülle den Ausgleich, der den Göttern wiedergibt, was ihr eigen war, ohne daß der es ihnen raubte, dabei leerer ausginge. Daß der Dämon die Welt an sich riß, gehört zum Spiel des Allgotts, das Weltlauf heißt, ebenso gehört dazu, daß sie ihm wieder genommen wird; aber in dieses Spiel gehört auch die Verheißung, er werde in einem kommenden Weltalter der Gott sein, dem die Weltherrschaft rechtens gehört, als dem Könige der Götter. Da der Weltlauf ein Spiel ist – das ist hier die Meinung –, sind die Rollen in ihm auf die Länge vertauschbar; die Kinder der Göttermutter und ihrer Rivalin, der Mutter aller Dämonen, sind ja Stiefgeschwister vom Vater her, sie stammen aus einem Quell, wie Brahma dem Nabel, Madhu und Kaitabha den Ohren des einen Gottriesen entsprangen; die Intermezzi dämonischer Siege, die den göttlich verwalteten Weltlauf unterbrechen, rhythmisieren ihn, wie die Reihe der Nächte die Herrschaft des Tageslichtes.

Die Gebärde des Überlistenden wird zeremoniell vom Gotte gewahrt, der nicht mehr ein Glied der Götterpartei ist – ihr listigstes, mayareichstes –, sondern der allumfassende Quell alles Göttlichen und Dämonischen geworden ist; seine Zwergenmaske ist zur Anpassung des Unendlichen an die Spielwelt geworden, deren Endlichkeit wieder ins Gleichgewicht zu setzen er sich verlarvt hat. Aber nicht nur Vischnu, zum Allgott geworden, ist den Maßen des alten mythischen Vorganges entwachsen; wie ungleich ist Bali seinem Ahn Goldgewand! Mit seinem Großohm Jubel ist ein verstehend-auflösendes Element in die Sphäre des Dämonischen geflossen, ihr altes eindeutiges Wesen spricht noch aus dem Munde ihres Beraters und Zauberpriesters, der ein Mensch ist, aber sein Wort verhallt ungehört. Bali überwindet die Maya seines eigenen Wesens: ganz der zu sein, der er sich und anderen dünkt, ganz Dämon. Er öffnet sich in Hingabe dem Gott, der das Ganze ist – da überschreitet er die Grenze, die angeborene Art seinem Wesen zog, er überwindet und zerbricht sein Wesen. Wer sich wahrhaft auf das Göttliche zu beziehen vermag, transzendiert das menschhafte oder dämonische Teil an sich selber. Die angeborene Natur, die angewordene Rolle wird zur Maske im göttlichen Spiel der Welt, es geht nicht mehr darum, sie festzuhalten als das Selbst und Wesen, das sie nicht ist, aber darum, sie dem Gotte darzubringen, wenn er begnadend erscheint, sie einzufordern. Dem Gotte bleibt an Bali nichts zu bezwingen; ehe er kommt, ist sein Geschöpf über sich selbst hinausgewachsen in die Unendlichkeit der Hingabe an den Unendlichen. Das spielende Zeremoniell der Bezwingung ist eine Feier des Wissens, das verwandelt. Aus listigem Raub wird überströmendes Schenken, aus tödlichem Zusammenprall ein erhabenes Schauspiel, in dem Schöpfer und Geschöpf, ein jedes in Erfüllung seines Standes, einander begreifend sich finden.

Keine Schuld bleibt zu begleichen, keine Strafe zu vollziehen; daß Bali die Götter entthronte, ihre Ordnung zerfetzte, ist im Sinne des kreisenden Weltspiels – nur wenn er dem Augenblick seiner Herrlichkeit unbegrenzt Dauer angemaßt und sich gegen das göttliche Gesetz des Wandels gestemmt hätte, wäre er der notwendigen Gebärde verfallen, die ihn auslöschen müßte. Aber im Laufe der Entwicklung dieses alten Mythos ist Bali ein Wissender geworden, darum geht der Schlag, der einst als Überraschung eines Blinden gemeint war, an ihm fehl – vielmehr er wird zur schwebenden Geste, in der das Allwesen die Weltfülle, die es als Kind im Mutterleibe dem Seherblick Jubels zu schauen gab, am Leibe des Weltriesen entfaltet; aus dem vernichtenden Wachsen des Knirpses wird die Selbstoffenbarung des Urwesens, das allen Bestand der Welt als Glied seines Leibes zur Schau gibt. Ein begnadendes Wunder, dessen Phantasmagorie als göttliche Weltwirklichkeit den gläubig Wissenden entzückt, aber nicht überraschend zerschmettert: es macht das Wesen der Wissenden aus, daß sie nicht überrascht noch verwundert werden können, und sie bedürfen keiner Sicherung, weil sie sich in dem geborgen wissen, was mit dem Anschein der Bedrohung auf sie zukommt.

Mit seinem Wissen um sich selbst in seiner Beziehung auf das Göttlich-Ganze hat das Dämonische sich von sich selbst erlöst – wie Indien Erlösung versteht: als Überwindung des naturhaften Hängens an sich selbst, an seinem Ich und seiner Welt als fragloser Wirklichkeit – Überwindung des unwillkürlichen Vollstreckens der angeborenen Maya, die alle Geschöpfe anfangslos befängt.

Die große Maya des Weltlaufs: der unerbittliche Ernst des Kampfes zwischen Göttlichem und Dämonischem enthüllt sich dem Wissenden als Spiel, als Schauspiel, das der Gott mit sich selber spielt. Im versöhnenden Zeremoniell verstehender Begegnung erhebt der zum Mitspieler verlarvte Gott seinen dämonischen Gegenspieler, die Zuschauer und Hörer des mythischen Geschehens zum Bewußtsein des Mayahaften. Hier ertrinkt der Ernst des mythischen Geschehens als sinnbildlicher Gestalt des Weltlaufes mit seinen Begebnissen in der Flut, die seine Lotosblüte aus sich getrieben hat, es löst sich mit seinen Figuren und Spannungen im allumfassenden, allentspannenden Göttlichen auf, wie ein Traum im tieferen Schlafe seines Träumers versinkt und zergeht, oder wie der Bann eines Traumes sich löst, der sich selbst als Geträumtes durchsichtig wird. In dieser von gläubigem Wissen durchtränkten Gestalt des alten Mythos verwandelt sich die Absicht des Gottes, die Welt, die aus den Gelenken ist, wieder einzurichten, in die lehrhafte Schaustellung, die der Welt Erleuchtung über ihr eigenes Wesen schenkt, daß sie Maya sei.

Einen besonderen Raum in diesem Mythos wie in vielen anderen nehmen die Gebete und Preisstrophen ein; ihr hymnisches Element hält an Umfang dem erzählenden die Waage, diese zwei sind die beiden Füße, auf denen der mythische Bericht, abwechselnd ruhend, sich vorwärtsschiebt Dieses Beieinander beider entspricht seiner lehrhaften Absicht und dem Lebensraume seiner Überlieferung: die Mythen sind gern an Kultstätten und Wallfahrtsorte geknüpft, deren Wesenheit sie begründen und zu denen der Fromme kommt, um die besondere Erscheinung des Gottes, die diesem Orte seine eigene Wunderkraft schenkt, in ihrer Gnadenwirkung zu erfahren. Dort schaut er, wie Kandu in Puri, das Bild des Gottes und die Schildereien seiner Taten im plastischen Schmuck der Heiligtümer, dort vernimmt er aus dem Munde der amtierenden Brahmanen die kosmischen Großtaten oder das Erdenwallen des Gottes. Die hymnischen Gebete der mythischen Berichte bieten dabei seiner Andacht Formelschatz und Leitbahnen, sie sind innerhalb der mythischen Vorgänge, in denen sie auftreten, beglaubigt als Vorbild, wie man den Gott rufen und zu ihm sprechen soll. Alles Wesentliche im Umgang mit den geheimnisvollen Mächten der Welt haben nach der Anschauung der Veden die Götter den Menschen zuvorgetan, zuvor gefunden: sie sind die Schöpfer alles gültigen Opfer- und Zauberrituals, alles wahrhafte Wissen um magische Bewirkung geht auf ihr vorzeitliches erhabenes Vorbild zurück.

Daher lehren Erzählungen von mythischen Begebenheiten und Reden die Menschen, es recht zu machen, indem sie es den Göttern nachtun; Magie, Theologie und Philosophie finden sich dabei in einer dem Volke eingängigen bildhaften und magisch klangtiefen Form zueinander. Der Fromme nimmt Kandus Flüstergebet vom »Anderen Ufer des Brahma« aus seiner Geschichte zum unmittelbaren eigenen Gebrauch hinweg, wie er die genaue Beschreibung der göttlichen Erscheinung nach Waffen, Schmuck und Farben sich einprägt als Vorbild seiner Andachtsschau. Preisstrophen aus Götter- und Heiligenmund vermitteln in Form von Namenslitaneien die wahre Anschauung vom Wesen des Göttlichen; Namen und große Formeln, die in erleuchtenden Durchbrüchen Sehern und Heiligen erstmals aufgegangen sind, werden lichtspendende Zeichen auf den Wegen aller. So war es schon beim Veda im indo-arischen Altertum, dessen Götter rufende, beschwörende und bannende Strophen und Sprüche, von Sehern »geschaut«, den Inbegriff alles wesenhaften Wissens bilden, das den Menschen durch diese Welt und in höhere leiten kann. Die Anrufungen und Litaneien in den Mythen der »Alten Überlieferungen« sind die legitime Nachfolge des erhabenen Schatzes vedischer Hymnen und Sprüche. Aus diesen Gebeten und Beschwörungen, an hohe und höchste Mächte gerichtet ließe sich eine Psychologie der Verzauberung und Seelenführung ablesen, denn wie alle diese Mächte im höchsten Gotte eines sind und ihm entspringen, sind sie auch Inhalt und Ausgeburt unserer Wesenstiefe. Sie wollen erweckt sein wie dieser Gott aus seinem Schlummer und jener aus seiner überweltlichen Teilnahmslosigkeit an Streit und Not der greifbaren bewußten Welt. Mit immer neuen Namen, die ihr Wesen einkreisen und fassen, werden sie gepackt, mit jedem anderen Anruf wird ein neues Stück ihres Wesens ihnen zu Bewußtsein gebracht; Glied um Glied werden sie geweckt und aufgerufen, werden sich gewissermaßen aus dem Unbewußtsein ihrer Fülle selber neu geschenkt und greifbar gemacht: endlich sind sie ganz, sind all-wach, ganz von sich selbst in ihrer tiefen Vielfalt erfüllt – wohlig in ihrer Fülle. Da sind sie gnädig und bereit, wenden sich aus ihrer tiefen Unbewußtheit um die Welt ihrem Drängen und Hilfeschrei zu, treten greifbar für das Greifbare in Erscheinung: jetzt werden sie wirken als die sie gefeiert und sich selber neu geschenkt worden sind.

Diese Beschwörung, die den Gott sich selber bewußt macht und zu wirken veranlaßt, ist das gleiche Zeremoniell, das der Inder wie viele frühe Kulturen übt, sich in den Stand zu setzen, jeweils das zu sein und zu können, was die Notwendigkeit einer Situation von ihm fordert: ein Kämpfender oder ein Jagender – Held und Jäger – zu sein, ein Kunstfertiger oder auch ein Liebender, Zeugender – zu alledem bedarf es, wie im Yoga, eines Rituals der Selbstanschirrung, Selbstverzauberung, einer einleitenden Heraufbeschwörung der entsprechenden Kräfte, die in der Tiefe schlummern; einmal aufgestanden, gehen sie dann mit der hemmungslosen Kraft göttlich-dämonischer Gewalten ans vorgezeichnete Werk.

Rama mit dem Beil

Beide Vortragsformen des mythischen Berichts: Erzählung und Gebet, sind einander im Stil verwandt. Die Erzählung läuft ohne Unterstreichungen, ohne Zuspitzungen in sich verfließend, hebt Wichtiges nicht oft hervor. Manches ist voller instrumentiert, breiter gesetzt, aber die stärkere Tongebung ist nicht planvoll eingesetzt, ihr wechselndes Auftreten begreift sich eher aus der uns verschollenen Geschichte der Zusammenstückung und Überlieferung des Ganzen aus mannigfachen Vorformen. Wichtiges kommt beiläufig zur Sprache, ist schon in anderem einbegriffen, klingt tonlos auf, es wird nicht zielvoll angesteuert. Wer im Stoff zu Haus ist, wird bei manchen außerordentlich aufglänzenden Formeln vom Glücksgefühl jähen Dankes überschauert: sie waren vielleicht zu erhoffen, nicht zu erwarten, denn nichts wies auf sie hin, wie sie, wunderbar erhellend, sinngesättigt, auftauchen und traumhaft vorübergleiten. Nichts ist entscheidend abgesetzt und gegliedert, sich ballend und lösend zieht es vorbei, Form und Formulierung wirkt nicht als Erlösung. Wie mit den Bildern und Vorgängen steht es mit den Namen und Formeln in Gebet und Beschwörung; wie ein Bergbach sein Geschiebe wälzen sie das Visuelle und Abstrakte durcheinander, das Bunte und Kleinliche, Vordergrundhafte neben dem Weitgespannten, Tiefdringenden, Letzten. Ihre Sinnzeichen und Bilder scheinen nicht geschaffen, um zu dauern, nicht gegeben, um bewahrt zu werden. Sie stoßen aneinander, um sich aufzuheben, um ineinander zu vergehen. Als gegensätzliche Paare Stirn wider Stirn gesetzt und aneinander zerschellend, das Bedeutungsarme im gleichen Atemzuge dem tiefen Wort auf die Ferse tretend, sein Ausschwingen übertönend, bilden sie einen Wirbel, der die Seele in sich saugt in seine formlose Tiefe mit den Gebilden, die er schillernd, zerplatzend aufwirft. Tiefdeutende Formel und buntes Bild büßen aneinander den Unterschied an Würde und Mächtigkeit ihres Gehaltes ein, beide sind Brechungen des Namen- und Formlosen auf der Spiegelfläche der Maya, beide gleich nah und fern vom wahrhaft Wirklichen, das, ungreifbar, gleich verschieden von beiden bleibt. Ihr Aufwirbeln und Verwehen im kreisenden Gesange gibt im hymnischen Stil das Spiel von Form und Entformung zu lesen, das den Inhalt der mythischen Begebnisse als spielende Selbstverwandlungen des Göttlichen im Gestaltentausche seiner Maya ausmacht.

Name und Gestalt sind Maya; Gebet und Vorgang des Mythos lehren das gleiche: eben dieses; darum sind sie im gleichen Stile geschnitzt. Ihr Stil lehrt unmittelbar das Wesen des Göttlichen, wie Indien es sieht, er spielt in diesem Wesen: Wort und Bild als Formen von der göttlichen Maya zu zeugen, deuten mit ihrer sich selbst auslöschenden Gebärde auf den überweltlichen Quell der Maya, der seine namen- und gestaltlose Wirklichkeit in ihrem verblassenden Aufleuchten andeutend verschweigt.


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