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2. Rama der Mond

Wenn der Mythos mit dem Gott, dessen Spiel er ist, aus der Weite von Welt und Seele in den Tag des Menschen steigt, ergreift er nicht nur dessen Ordnungen und Spannungen, spiegelt sie und braucht sie als Zeichen, auch das Gerät, dessen Besitz den Menschen auf jeder Stufe seiner Kultur vom Tier unterscheidet und ihn der Natur als ihren Bezwinger gegenüberstellt, wird ihm Gegenstand und Sinnzeichen. Statt mit Fischschwanz und Schildkrötenschale, Eberschnauze und Löwenpranken belädt sich der Gott in Menschengestalt mit urtümlichen Geräten menschlichen Werkens: mit Beil und Pflug.

Rama, der Sohn Jamadagnis, führt das Beil, die beiden folgenden Ramagestalten Vischnus haben es mit dem Pfluge. Bala-Rama, der ältere Halbbruder Krischnas, heißt der »Pflug-träger« (halabhrit) und der »Pflug-bewehrte« (halayudha), seine urtümliche Kraft schwingt das Ackergerät als Waffe, wie Jamadagnis Sohn das Holzhauerbeil. Prinz Rama, der Raghuenkel, der in der Reihe der drei Ramas in der Mitte steht, scheint ursprünglich der verkörperte Genius des Pfluges zu sein, denn seine Geschichte dreht sich um Gewinnung, Verlust und Wiedergewinnung der Prinzessin Sita, die seine Gattin ist; »Sita« aber meint nichts anderes als die »Furche«. Bala-Rama, das ist »Kraft-Rama«, ist so unzertrennlich von seinem Pfluge wie Jamadagnis Sohn von seinem Beile, er trägt deutlich die Züge eines alten Kulturheros an sich: mit seinem Pfluge zieht er die Furchen für den nassen Reisbau, mit seiner Pflugschar packt er den widerstrebenden Fluß, der seines gewohnten Weges eilen will, reißt ihn aus seinem Bette und zwingt ihn dorthin aufs Land, wo er ihn brauchen will. Er ist der Schöpfer des nassen Reisbaus mit künstlicher Bewässerung der trockenen Erde in Rinnsalen und Kanälen, er schafft die hohe Kultur des geregelten Wasserhaushalts, der den Überfluß der Regenzeit und der Schneeschmelze im Hochgebirg zu stauen weiß für maßvollen Verbrauch, statt daß er überschwemmend sich ins Meer verschwendete oder nutzlos im Sonnenbrande versickerte. Prinz Rama, der Gemahl der Prinzessin »Furche«, verkörpert gegenüber dieser höheren und komplizierten Stufe der Ackerkultur die urtümliche heilige Kraft des Pfluges, mit der die Menschen allererst der Erde geordnete Saaten aufzwangen, Ernten abrangen, als sie sich über nomadisches Leben im Walde erhoben, das sich von Früchten des Wildwuchses nährt, und damit zu Dorf und Feldmark fortschritten.

Solange der Mythos im Kosmischen spielte, spiegelte er das innere All der Seele, aber die Bilder vom Weltall und seiner Entstehung, seinen wechselnden Schicksalen in Zusammenhang mit den menschlichen Tiermasken des Göttlichen waren zugleich Stücke einer symbolischen Embryologie und Entwicklungsgeschichte, sie stiegen vom Fisch über das Amphibium zum Warmblüter auf; in den Fruchtwassern des Alls begann es, und als von ihnen die Rede war, hätte der mythische Bericht auch auf das Urstück dieser Entwicklung zu reden kommen sollen, das von den Veden bis zu den »Alten Überlieferungen« immer wieder besprochen wird: das Weltei des Anfangs, der Goldene Keim, dem alles entsprang. In seinen kosmischen Kapiteln ist der Mythos so biologisch wie psychologisch, denn wo liegt die Grenzscheide zwischen Leib und Seele? – nur im forschend ordnenden Verstande, der diese Grenze setzt als Behelf begrenzter Einsichten, das Leben weiß nichts von ihr, und dem Mythos, in dem es sich selbst bebrütet, ist sie fremd. Steigt er nun endlich aus den Wassern aufs Trockene der Menschenerde, so gibt er sinnbildlich Embryologie und Biologie menschlichen Werdens: die Stufen der Kultur in Bild und Bruchstück. Geräte meinen Epochen; es ist sinnvoll, daß Rama mit dem Beil den beiden anderen Ramagestalten voraufgeht und daß diese beiden als Genius des Pfluges und als Schöpfer komplizierteren Ackerbaus ihm in dieser Steigerung nachfolgen.

Rama mit dem Beil haust als Einsiedel in der Wildnis. Er ist mit seinem Vater aus der Welt heimgekehrt in den Wald, zu jener ursprünglicheren Lebensform, die nicht Saat noch Ernte kennt, die wie die Tiere des Waldes von Wurzeln und Beeren, Blättern und Früchten des Wildwuchses lebt. Gerät und Waffe ist ihm das steinzeitliche Beil; mit ihm ist er der rasend gewordene Holzhauer, der mit urzeitlicher Wildheit den Wald von Kartaviryas Armen niederholzt und immer wieder den Stammbäumen der Kriegergeschlechter in die ragende Krone fährt. Rama, der Prinz, der Genius des Pfluges, ist in allem sein Widerspiel.

Von der Bearbeitung der Erde mit dem Pfluge kommt das große Wort Kultur, mit ihr erhob sich der Mensch über die Lebensordnung des Wilden, der vom Wildwuchs lebt, des Jägers, der seiner flüchtigen Beute nachschweift, des wandernden Viehzüchters, der nach der Jahreszeit die Weidetriften wechselt. Seßhaftigkeit im Dorf und seiner Ackergemarkung ist das Werk des Pfluges, sie scheidet – mindestens meint dies das Wort – Kultur vom Wilden; sie steht mitteninne zwischen dem schweifend Unbehausten und dem verstädterten Menschen, der als »civis« einer Stadt aus seinem Bürgertum den Begriff der Zivilisation abgeleitet hat.

Der Mensch erfindet das Gerät und meistert es; aber das Gerät, das ihm wahlverwandt gesellt ist, meistert geheim auch ihn und formt ihn: darin liegt die zeitlose Komik aller Stände und Berufe und ihre Hänselei untereinander, besonders bei den Handwerken, ihre gegenseitige Verspottung mit Gerät, Arbeitsübung und Angewohnheiten, die jedem als Opfer seines Berufes anfliegen, das Komisch-Verkümmernde, das jedem Menschen in seiner Vereinseitigung auf eine gewohnheitsmäßige Leistung anhaftet. So gehört der wütende Sohn Jamadagnis mit seinem ungeschlachten Beil zusammen, so der Prinz Rama mit dem Pfluge, dessen Genius er ist.

Wer dem Pfluge verfällt, schwört der Wildnis ab, er wird seßhaft in Dorf und Feldmark. Aus der allgemeinen Wildnis, dem Niemandsland des Dschungels, grenzt er sich mit dem Pfluge seine Flur, rodet sie, bricht sie um mit der Pflugschar. Die Feldmark tritt wie Haus und Stall unter den besonderen Schutz der Haus- und Dorfgötter, deren Macht bis an ihre Grenze reicht – jenseits ist das Dämonische ungebunden, wie die Tiere der Wildnis, wie Räuber und wilde Stämme im Busch. Im Bezirk, den die Grenzfurche des Pfluges umrissen hat, herrscht die Ordnung, die das Göttliche den Menschen gegeben hat, im Busch leben die aus ihr Vertriebenen, die Wilden, die nicht in sie eingegangen sind, und die Heiligen, die in asketischem Wandel einer höheren Ordnung jenseits der häuslichen Pflichten in Arbeit und Familie folgen. Die Grenzmark umzirkt den einigermaßen sicheren Lebensraum des Menschen, in dem ihm der Schutz seiner Götter gegenwärtig ist. Droht Gefahr aus dem Niemandsland ringsum, Fieber und Seuche aus dem Dschungel, so werden Götterbilder zur Abwehr rings auf die Grenzmark gesetzt, werden in beschwörendem Umgange rings auf ihr ums Dorf geführt. Ihre Furche ist der Festungsgraben, der das Menschendorf gegen die Angriffe des Dämonischen sichert, das im Dschungel lauert, sie reißt den unsichtbaren Abgrund auf, der Götter- und Menschenbereich von dämonischer Wildnis scheidet. Sie ist das Werk des Pfluges.

Wie der Pflug das Feld in seinem Inneren umbricht, Furche um Furche, zieht er auch seinen Umriß, zog er den ersten Umriß um die Siedlung der Menschen und grenzte sie gegen die Wildnis aus. Der Pflug stiftet menschlich-göttliche Ordnung, er schafft Acker und Dorf aus dem Nichts der Brache, aus dem Niemandsland, er bannt das Dämonische aus seinem Umkreise hinweg. Er wandelt aber auch den Menschen, der ihn zur Hand nimmt. Pflügen ist eine Kunst. Es gehört Besonnenheit dazu, eine feste, ruhige, aber auch wieder leichte Hand, es verlangt Stetigkeit und Geduld und einen schönen Blick für geraden, gleichmäßigen Fortgang, für Gleichlauf und Regelmäßigkeit der Furchen nebeneinander. Vor allem bedarf es der Überlegenheit über das Tier, es muß nicht nur geduldig seine Kraft hergeben, es muß willig, ja akkurat und verständnisvoll in seinem Dienste sein, wenn das Werk des Pflügers ansprechend ausfallen soll. Der Pflüger muß dem dumpfen Tiere nahe sein und seine Art verstehen, aber sein Dienst am Pfluge verlangt Selbstbemeisterung und einen schönen Ernst, er muß das Jähe, Dumpfe und Dämonische, das die Kraft des Tieres darstellt, ohne die er seine Aufgabe nicht bewältigen kann, in sich selbst bemeistert haben, um das Regelwerk der Furchen über den rohen Boden zu breiten. Er muß das Tier im Joche, seine blinde Scheu und Willkür, die auch in ihm selber sind, in sich gebändigt haben im Dienste des höheren Planes, den die Erfüllung der ihm vorgezeichneten Aufgabe ihm stellt, er muß im guten Sinne die eigene rohe Natur domestiziert haben, wie das Tier, das er lenkt, und den Boden, den er umbrechen will: das ist das Sinnbildliche an der Figur des Pflügers und am Gerät des Pfluges.

Im gleichen Sinne braucht Goethe in seiner Huldigung »Ilmenau« das Bild des Ackermannes im Gegensatz zum wild schweifenden Jäger des Waldes als das Zeichen, unter dem er Karl Augusts vollendete Reifung aus wirr stürmender Jugend feiert: die Selbstbemeisterung seines chaotischen Dranges zu staatsmännisch-landesväterlichem Wirken: »Wer andre wohl zu leiten strebt, muß fähig sein, viel zu entbehren«, und

»... streue klug wie reich, mit männlich stäter Hand,
Den Segen aus auf ein geackert Land;
Dann laß es ruhn: die Ernte wird erscheinen
Und dich beglücken und die Deinen.«

Überwindung der dämonischen Wildnis in der Welt ringsum durch die Schneide des Pfluges, der Fruchtlandschaft, geordnetes Wachstum nach dem Sinn des Menschen, Veredeltes, Hundertfältiges statt kümmerlichen oder geilen Wildwuchses – diese Überwindung dank der Überwindung des Tierischen in uns, dessen dämonischer Auftrieb allem Menschlichen eingepflanzt ist als die eigentliche Quelle seiner Kraft, um die Aufgaben zu meistern, die das Leben ihm stellt, ist der Sinn der Ramagestalt, die Sita, die »Furche«, zur Gemahlin hat. Aber lange Überlieferung hat Rama der alten agraren Ursprungssphäre seines Mythos mählich entfremdet; Valmikis Epos, das ihn feiert, das »Ramayana«, und seine vielfältige Nachfolge in Volkspoesie und Kunstdichtung wie in den »Alten Überlieferungen« hat ihn in die Sphäre des Höfischen, des Fürstenspiegels verpflanzt und ganz die sittliche und magische Bedeutung von Pflug und Pflüger in den Mittelpunkt gerückt: die Bezwingung des Dämonischen in der eigenen Brust und die Bannung der Dämonen in der Welt ringsum.

Rama ist die volkstümlichste Idealgestalt Vorder- und Hinterindiens; Heldenmut und Gehorsam, Milde und unerbittlicher Ernst sind in ihm zu idealer Einheit verschmolzen. Um ihn von Rama mit dem Beile und jenem Kraft-Rama, dem Halbbruder Krischnas, zu unterscheiden, nennt ihn die jüngere Zeit gern »Rama, den Mond«, aber dieser Beiname deutet auf keinen astralen Gehalt seiner Figur. Der Mond ist für den Inder der Inbegriff alles Erquickenden, Lebenspendenden, er ist der Herr der kühlenden Nacht, er »macht« die wolkenlose, wie die Sonne der »Tagmacher« ist. Er ist der Herr der Baum- und Pflanzenwelt, aller heilkräftigen würzigen Kräuter, die sein Strahl nach der sengend aussaugenden Glut des Tages erquickt. Er taut lebenspendende Feuchte, er ist das göttliche Gefäß, das den Nektar des Lebens birgt, den Trank der Todlosigkeit (amrita, ambrosia), von dem die Götter ihre Unsterblichkeit nähren. Als Quell überirdischen Lebens ist er die selige Stätte der abgeschiedenen Väter, wenn sie durch den Tod auf Zeit zu einem besseren Dasein von der Erde aufgestiegen sind, und aus ihm kehren sie mit dem fallenden Regen wieder zur Erde zurück in den Kreislauf der Vegetation und der Menschen und Tiere, die aus ihr leben. Als Gefäß des Trankes Todlos ist er ein sichtbares Unterpfand glücklichen Fortlebens nach dem Tode, das ist aber auch der Sohn für den indischen Vater, seine Gestalt bürgt dafür, daß der Vater nach seinem Hinscheiden samt den früheren Ahnen die Ahnenspenden erhalten wird, die sein Leben in der Väterwelt nähren, ohne die er dort »wiederum sterben« und ins bodenlose Nichts oder ein schlechteres Dasein absinken müßte. Prinz Rama ist der ideale Sohn, der erquickende Mond seines Vaters, Labsal und Augentrost aller Welt. Er dient seinem Vater, König Dascharatha, in unbedingtem Gehorsam über den Tod des Alten hinaus, auch wenn dieser Gehorsam den völlig unverdienten Verzicht auf seine ursprünglichsten Lebensrechte bedeutet; er erquickt alle Wesen, indem er die Welt vom Drucke dämonischer Willkür erlöst. Ganz vermenschlicht, ins Prinzlich-Höfische übersetzt, ist der alte Genius des Pfluges dem sittlich-magischen Gehalt seiner agraren Ursprungssphäre treugeblieben. Aus ihr ist ihm nur Sita, die »Furche«, als sprechendes Zeichen geblieben, und was Valmiki im »Ramayana« über ihren Ursprung und ihr Ende vermeldet. Sie ward nicht wie andere Mädchen von einer Menschenmutter geboren: ihr Vater, der einfach »Janaka«, der »Erzeuger«, heißt, fand sie in der Ackerfurche liegen, auf der offenen Schoßspalte der Mutter Erde. Er »pflügte sein Reich«, er »reinigte den Boden«, da kam sie unter seiner Pflugschar aus der Erde hervor, und davon hieß er sie »Furche«. Und wie die Erde sie gebar, nimmt sie ihr Kind am Ende seiner Bahn wieder in ihren Schoß zurück.

Mythen haben eine längere Geschichte, als die spätere Nachwelt zumeist erraten, ja nur ahnen kann. Von Shakespeare und Tigian bis ins Rokoko ist die Geschichte von Venus und Adonis ein pathetisches Liebesidyll mit ergreifender Totenklage, schon bei Ovid ist sie nicht viel mehr, die Auferstehung des vom Eber zerfleischten Jünglings als blutrote Blume weist eben noch auf seinen göttlich-unsterblichen Ursprung hin, auf seinen Ursinn als sterbend-wiedererstehender Vegetationsgott im sumerisch-semitischen Kulturkreis. Schon Tammuz im sumerischen Glauben erlag dem Eber, die Kananiter reichten ihn als Adoni, »den Herrn«, an die Griechen weiter, aus Ischtar ward Aphrodite und nachmals Venus, die Griechen erinnern noch ihre Unterweltsfahrt, wie sie um den Geliebten in den Hades niederstieg und mit Persephone um ihn rang, und wie Zeus entschied, er solle vier Monden der Totengöttin gehören und vier der Herrin des Lebens, die übrigen vier Monde aber frei sein, bei der Göttin des Lebens im Lichte zu weilen oder unter der Erde im Banne des Todes. Was ist von dieser alten Naturmythe bei Ovid und seiner Nachfolge unter anderen Himmelsstrichen geblieben?

Wenn Naturmythen sich vermenschlichen, indem ihre figürlichen Masken – Knaben und Frauen – zum Eigentlichen an ihnen werden, zu Gestalten, hinter denen verschwindet, was sich als alter Kern in ihnen kostümierte, werden sie frei zu epischem Spiel; nur kleine Züge, unwesentlich für die Handlung, ja manchmal fast störend, verraten noch etwas von der ursprünglichen Bedeutungsfülle. Die Ramasage, im Ramayana episch aufgeschwemmt, in den »Alten Überlieferungen« kürzer berichtet, reicht nur mit Sitas Namen, Ursprung und Ende einen dünnen Ariadnefaden her, der durch das Labyrinth ihrer Verwandlungen bis zu ihrem Ursinn heimführt: daß von diesem nur so wenig an ihrer uns greifbaren Gestalt durchschimmert, bezeugt, daß sie ein langes Leben und bewegte Schicksale hinter sich hat. Augenscheinlich liegt hier ein alter vorarischer Mythos vor, der, an die indische Erde gebunden, von der brahmanischen Mischkultur der arischen Sieger übernommen, weitergetragen und in der Form zu Ende gedichtet wurde, die uns vorliegt. So fand die uralte persische Königschronik in Firdusis Munde ihre bleibende Form, als Persiens Größe dem Ansturm des Islam erlegen war, und der arabisch-türkisch gewordene Orient mit Schah- und Mogulhöfen entzückte sich daran.

Der herrliche Markandeya sprach:

»Vernimm, o König, die herrliche glückbringende Selbstoffenbarung Vischnus, mit der er Ravana samt seinen Scharen erschlug, der den Göttern ein Dorn war.

Pulastya war ein geistentsprungener Sohn Brahmas, ein großer Heiliger. Sein Sohn war der menschenfressende Unhold Vischravasa, von ihm stammt Ravana – der ›Brüller‹ –, der große Held, der die Welt brüllen machte vor Schmerz. Dank gewaltiger Glut der Askese quälte er die Welten, besiegte Indra und die Götter, besiegte Himmelsgeister und Halbmenschen, Kobolde und Dämonen. Der Verruchte raubte die schönen Frauen der Götter und Wesen und ihre Juwelen von vielerlei Art. Trunken von Kraft schlug Ravana in der Schlacht Kubera, den schätzehütenden Gott, nahm sich seine Stadt Lanka und seinen himmelschwebenden Wagenpalast, den ›Blumigen‹. In Lanka nahm der zehnköpfige Herrscher der Unholde seinen Sitz. Er hatte viele Söhne von unermessener Kraft; Unholde groß an Kraft und Mut wohnten zu vielen Tausenden in Lanka, Tag und Nacht schlugen sie Götter und Ahnen, Menschen und Kobolde und Genien des Zauberwissens. Da bebte die ganze Welt, mit allem was ruht und sich regt, in Angst vor ihnen und ward von maßlosem Leid überwältigt.

Da gingen Indra und alle Götter, die großen Seher, die Verklärten und Genien des Zauberwissens, Himmelsgeister und Halbmenschen, Kobolde und Schlangenwesen und was sonst im Himmel wohnt, geschlagenen Mutes zum erhabenen Ufer des Milchmeers; Brahma und Schiva schritten ihnen vorauf. Dort verehrten die Götter Vischnu und standen bittend, mit hohl aneinandergelegten Händen, und Brahma verehrte Vischnu mit herrlichen Blumen, Wohlgerüchen und anderen Gaben, neigte sich vor ihm, hob bittend die hohlen Hände und pries den Allgott:

 

›Anbetung dir, der im Milchmeer ruht auf dem Schlangenlager, des göttlichen Fuß die Hand der Schri berührt! Anbetung dir, der im Yogaschlafe ruht und vom Yoga umgriffen wird! Du reitest auf dem Garuda und führst den gehörnten Bogen, die Dünung des Milchmeers spielt um deinen Leib! – Anbetung dem lotosfüßigen Vischnu mit dem Lotosnabel, dessen Füße gläubig ihm Geweihte verehren, dem Yoga lieb ist! Des Leib glückverheißend strahlt, dem Schönäugigen, Schönmähnigen mit der schönen Stirn, der den Wurfring trägt, Anbetung! Schön ist dein Gesicht, schön deine Ohren, Träger der Schri, schön deine Brust, schön dein Nabel – dir mit dem Lotosnabel, Anbetung! Herrlich Wesender, dein Leib ist zart, deine Zähne fein, du trägst den gehörnten Bogen, deine Hüften sind schlank, göttlicher Lockiger, Anbetung dir! Deine Nägel sind schön, schön deine erhabene Ruhe und dein Wissen, Träger der Keule! Anbetung dem Gott, der die ewige Ordnung liebt und als Knirps auf Erden wandelte, Anbetung ihm, der die Widergötter schlug, dem grimmen, der die Unholde schlug, die Beklemmung der Götter zunichte machte und fruchtbare Taten tut! Anbetung dir, Schirmherr der Welt, der du Ravana das Ende bringst.‹

So pries Brahma, der Gott an höchster Stätte, den ›Herrn der Sinne‹, und Vischnu empfand daran Genügen. Er offenbarte seine Gestalt den Augen der Götter und sprach zum Ältervater: ›Zu welchem Ende bist du mit den Göttern gekommen, Ältervater, sag an, was soll ich tun? Zu welchem Ende hast du mich gepriesen?‹ – so fragte der allgewaltige Vischnu, und Brahma mit allen Götterscharen gab zur Antwort: ›Der verruchte Ravana hat die ganze Welt zugrundegerichtet, der Unhold hat Indra und die Götter vielmals besiegt, die Unholde fressen die Sterblichen auf, und die Opfer sind geschändet, zu Hunderttausenden hat er die Göttermädchen geraubt. Ohne dich, Lotosäugiger, vermögen die Götter nicht Ravana zu erschlagen, darum vollbring' du seinen Tod!‹

So sprach Brahma, und Vischnu gab ihm zur Antwort: ›Hör zu, Brahma, und merke auf mein Wort, das Heil verheißt: Auf Erden lebt ein herrlicher König voll Heldenkraft, er entstammt dem Geschlecht der Sonne, sein Name ist Dascharatha – dessen Sohn werde ich mit einem vierten Teile meiner selbst, um Ravana zu töten. Alle Götterscharen aber sollen mit Teilen von sich in Gestalt von Affen zur Erdenwelt eingehen – so werde Ravanas Untergang von allen zumal vollbracht.‹

So sprach der Gott über Götter. Der Ältervater der Welten und die Götter neigten sich vor ihm und schritten hinweg zum Rücken des Weltberges Meru. Mit Teilen von sich stiegen sie in Gestalt von Affen auf die Erde hinab.

 

Dascharatha war kinderlos; da ließ er von Heiligen, die im Meere heiligen Wissens das andere Ufer erreicht hatten, ein Opfer ausrichten, das ihm helfen sollte, einen Sohn zu bekommen. Da erhob sich der Gott des Feuers, von Vischnu bedeutet, eine Spende Milchreis in goldener Schale haltend, hoch aus der runden Tiefe des Feueraltars, und unter beschwörenden Sprüchen nahmen die Heiligen die Speise aus seinen Händen und machten daraus zwei glückverheißende Klöße. Mit zauberkräftigen Sprüchen besprachen sie beide und gaben sie den beiden Hauptgemahlinnen des Königs, Kausalya und Kaikeyi, zu essen. Die beiden verzehrten die Klöße, aber sie gaben auch einer dritten Frau des Königs, Sumitra, je ein winziges Stückchen von ihren beiden Klößen, dann aßen die Königinnen sie, wie der Brauch es gebot.

Als sie die von den Göttern geschaffenen Klöße gegessen hatten, empfingen sie makellose Leibesfrucht; so erstand Vischnu, von Dascharatha her, in dessen drei Gemahlinnen mit Teilen seiner selbst; vierfältig teilte er sich zum Heile der Welt, als Rama und Lakschmana, als Bharata und Schatrughna. Kausalya gebar Rama, Kaikeyi Bharata, Lakschmana aber und Schatrughna waren Sumitras Söhne.

Die Heiligen vollzogen an ihnen alle Segensbräuche, die bei der Geburt und vorher wie nachher im Schwange sind; kraft der Zaubersprüche aber und der Klöße fanden sich die vier Söhne von kleinauf paarweise zusammen: Rama und Lakschmana waren unzertrennlich im Umherstreifen und waren, mit allen Segensbräuchen gesegnet, die Freude des Vaters. Sie wuchsen zu starken Helden heran und übertrafen, was der Ruhm von ihnen meldete. Bharata aber, das Kind der Kaikeyi, saß mit seinem Halbbruder im Palast und lernte die Vedalehren und die Waffenkunde.

Damals eben hub Vischvamitra, der große Asket, Vischnu ein Opfer zu opfern an, aber Unholde störten ihm vielfältig die Handlung des Opfers. Da kam Vischvamitra zum herrlichen Palast Dascharathas, sich Rama und Lakschmana zu holen, daß sie sein Opfer gegen die Unholde schützten. Der edle König sah ihn und erhob sich, ehrenvoll empfing er Vischvamitra mit Fußwasser, Willkommensgabe und allem, was der Brauch erheischte. Mit Ehren empfangen sprach der Heilige: ›Vernimm, König Dascharatha, zu welchem Ende ich gekommen hin; laß dir sagen, du Panther der Könige, um was es geht. Mein Opfer wird vielfältig von Unholden gestört, denen schwer beizukommen ist. Gib du mir Rama und Lakschmana, daß sie mein Opfer beschützen.‹

Als König Dascharatha Vischvamitras Wort vernahm, betrübte sich sein Gesicht, und er sagte zu ihm: ›Was willst du mit meinen beiden Söhnen anfangen, es sind Kinder; ich selbst will mit dir gehen und mit meiner Kraft dein Opfer beschirmen.‹ – Der Heilige hörte des Königs Wort und gab ihm zur Antwort: ›Fürwahr, auch Rama vermag alle Unholde zu vernichten – Rama vermag es, aber nicht du, o König. Darum gib mir Rama und sorge dich nicht.‹ – Auf diese Rede des klugen Vischvamitra blieb der König einen Augenblick stumm, dann sprach er zum trefflichen Heiligen: ›Nimm freundlich auf, was ich dir sage, hoher Heiliger, ich will dir Rama mit den lotosdunklen Augen und seinen Bruder geben, aber seine Mutter, Brahmane, würde sterben, wenn sie ihn nicht wiedersähe. Darum will ich mit vierfachem Heer, mit Elefanten, Reitern, Wagen und Fußvolk kommen und die Unholde erschlagen – so steht mir der Sinn.‹ – Vischvamitra erwiderte dem starken König: ›Nicht unwissend, hoher König, ist Rama – allwissend ist er, voll Gleichmut und Geduld. Das Urwesen und die Weltschlange Schescha sind deine beiden Söhne, das ist gewiß; die Bösen zu beugen und die Wohlgezogenen zu beschirmen sind beide in dein Haus herabgestiegen, o König, da ist kein Zweifel. Kein Stäubchen Kummer soll die Mutter betrüben und auch dich nicht, König – beide Söhne send' ich dir heil zurück.‹ So sprach der kluge Vischvamitra, und Dascharatha fürchtete, er könne ihm fluchen, wenn er nicht einwilligte; so sagte er: ›Nimm sie mit.‹

Da nahm der Heilige Rama und seinen jüngern Bruder, die der Vater nur mühsam ihm freigab, und brach auf zur Einsiedelei der verklärten Vollendeten. Dascharatha sah, wie er von dannen zog, ging ihm nach und sprach: ›Sohnlos war ich vormals, Brahmane; nun bin ich durch viel freiwilliges frommes Werk zur Erfüllung meines Wunsches und dank der Gunst der Heiligen in den Besitz von Söhnen gelangt; mein Herz aber wird es nicht ertragen, von ihnen getrennt zu sein, das weißt du gut, Heiliger, darum bring sie mir bald zurück.‹

So sprach der König, und Vischvamitra gab ihm zur Antwort: ›Ist mein Opfer vollbracht, bring' ich dir Rama und Lakschmana wieder. Ich schwör' es dir, du brauchst dich nicht zu sorgen.‹ Da ließ der König Rama und Lakschmana ziehen, widerwillig zwar, aber er fürchtete den Fluch des Heiligen.

Vischvamitra aber nahm die beiden und verließ gelassen Ayodhya. Einsam wandernd kam er mit ihnen ans Ufer der Sarayu, da gab er ihnen, aus Liebe zu ihnen, vorerst zwei Zauberwissen, ›Kraft‹ und ›Überkraft‹ samt ihren Zauberformeln und ihrem Inbegriff. Dann gab er ihnen zwei Zauberwissen, die Hunger und Durst vertreiben; danach lehrte er sie die ganze Waffenkunde. Er zeigte ihnen die göttlichen Einsiedeleien der Heiligen, die ihr Selbst bezwungen haben, und nächtigte mit ihnen an heiligen Stätten. Sie querten die Ganga und kamen ans andere Ufer der Schona. Wie er sie mit sich führte, bekamen Rama und Lakschmana Heilige, Fromme und verklärte Vollendete zu sehen; Seher gewährten den Prinzen Wünsche.

Da kamen sie in den grausigen Wald der Unholdin Tataka, der war wie der Rachen des Todes. Und Vischvamitra, der glutenstarke Asket, sprach zu Rama, des Wirken keine Minderung widerfährt: ›Rama, Rama, Großarmiger, in diesem Walde haust auf Ravanas Geheiß die Unholdin Tataka. Viele Menschen, Söhne von Heiligen und auch Tiere hat sie erschlagen und gefressen, darum töte sie, Bester!‹ – Auf dieses Wort gab Rama dem Heiligen zur Antwort: ›Wie sollte ich Mord an einem Weibe verüben, großer Heiliger? Todsünde klebt am Morde einer Frau, sagen die Weisen.‹ – Vischvamitra hörte sein Wort und sagte: ›Ihr Tod aber befreit alle Menschen auf immer von der Angst vor ihr, darum ist es verdienstlich, sie zu erschlagen.‹ Während der Heilige noch so sprach, kam die Nachtgängerin herzu, die Grausige riß den Rachen auf, der Heilige zeigte auf sie, daß Rama sie sah, wie sie mit aufgesperrtem Rachen, einen Arm zur Keule aufgereckt, herankam – ein Gürtelgehäng aus Eingeweiden von Menschen hing ihr um die Hüften. Rama sah sie, da ließ er seinen Widerstand, ein Weib zu töten, samt seinem Pfeil hinschießen, geschwind legte er einen Pfeil auf und zerspaltete ihre Brust. Da fiel sie hin und starb.

Als er ihren Tod gewirkt hatte, führte der Heilige die beiden weiter und gelangte zu seiner Einsiedelei der verklärten Vollendeten. An diesem göttlichen Ort inmitten der Vindhyaberge wohnten viele Seher, er war von vielerlei Bäumen und Schlingpflanzen bestanden und mit vielen Blumen geziert; reich an Wassern vieler Sturzbäche bot er Kräuter, Wurzeln und Früchte zur Nahrung.

Vischvamitra bestellte die beiden zur Wacht und unterwies sie genau, dann hub der große Asket sein Opfer an; der Heilige nahm die läuternde Eingangsweihe, dann ward das Geweb des Opfers entfaltet, und die Opferpriester verrichteten ihr Werk. Aber Maritscha und Subahu und viele andere Unholde nahten sich, von Ravana entsandt, das Opfer zunichte zu machen. Der lotosäugige Rama merkte, wie sie kamen, und schoß mit einem Pfeile Subahu zur Erde herab, mit einem Halbmondpfeil traf er Maritscha, daß er einen Blutstrahl regnete, und schleuderte ihn ins Weltmeer wie der Wind ein Blatt. Auch die übrigen Nachtgänger tötete Rama mit Lakschmana, so ward des berühmten Vischvamitra Opfer von Rama beschützt. Als er das Opfer ausgerichtet hatte, ehrte der Heilige die Priester, wie der Brauch befahl, ehrte auch die Gehilfen nach Gebühr; Rama und Lakschmana ehrte er liebevoll. Da ließ die Schar der Götter, zufrieden mit ihrem Opferanteil, einen Blumenregen auf Ramas Haupt herniederfallen.

Als er so die Gefahr der Unholde abgewehrt und dem Opfer zum guten Ende geholfen hatte, viele erbauliche Reden dazu vernommen, ward der Selbstbezwinger Rama mit seinem Bruder von Vischvamitra zur Stätte der Ahalya geleitet. Dank Zaubertrug des großen Indra, der in Gestalt ihres Gatten, des Heiligen Gautama, ihr buhlend genaht war, war Ahalya vorzeiten vom Gotte verführt und dafür vom Gatten verflucht worden: sie war zu einem Felsblock geworden. Aber dank der Begegnung mit Rama ward sie ihres Fluches ledig und kehrte zu Gautama zurück.

Da bedachte sich Vischvamitra ein Weilchen: ›Ich sollte den lotosäugigen Rama erst nach Hause führen, nachdem er eine Frau genommen hat.‹ So erwog er und zog mit den beiden, von vielen Schülern geleitet, nach Mithila. Da waren schon zuvor aus vielen Landen heldenhafte Königssöhne zum Hause König Janakas von Mithila gekommen und verlangten die Hand seiner Tochter Sita. Janaka sah sie und ehrte sie gastlich, wie sie es verdienten.

Sita war der gewaltige Bogen Schivas zuteil geworden; diesen Bogen verehrte der König mit Wohlgerüchen, Kränzen und anderen Gaben und stellte ihn feierlich auf eine große breite Bühne, die in sinnerfreuendem Glänze prangte. Und König Janaka sprach laut zu allen Königen: ›Wer diesen Bogen spannt, daß er bricht, ihr Königssöhne, dem gehört zu Recht Sita, die an allen Gliedern herrliche, als Gattin.‹ Als der großmächtige Janaka dies kundgetan hatte, nahmen die Freier einer nach dem andern den Bogen zur Hand und versuchten die Sehne aufzuziehen – aber alle wurden sie vom Bogen geschlagen, einer nach dem andern. Sie gaben es auf und traten von der Bühne ab, da schämten sich die Könige, Janaka aber stellte, als sie gebeugt waren, den Bogen Schivas wieder auf und stand dabei – der Held erwartete Ramas Kommen.

Da langte Vischvamitra in Mithila an und Janaka sah, wie er kam: Rama und Lakschmana waren bei ihm, Schüler waren sein Geleit. Er ehrte den Weisen, der den Weg der Seher ging, gebührend, ehrte Rama, den Anmut und Tugenden zierten, desgleichen Lakschmana voll Tugenden rechten Wandels und Wesens. Dann sprach er zu Vischvamitra, der von seinen Schülern umgeben bequem auf goldenem Throne saß: ›Was darf ich für dich tun?‹

Der Heilige hörte des Königs Wort und sprach zu ihm: ›Maharaja, Rama hier ist Vischnu leibhaft als ein König auf Erden. Er ist als Sohn Dascharathas geboren, die Welten zu beschirmen. Gib ihm Sita, sie ist ein Göttermädchen. Es ist geweissagt worden, daß bei ihrer Vermählung der Bogen gebrochen werden soll, darum schaff Schivas Bogen herbei und bezeige ihm deine Verehrung.‹

Der König sagte: ›So soll es geschehen‹, und stellte den wunder-mächtigen Bogen Schivas, an dem schon viele Könige zerschellt waren, auf, wie ihm geheißen war. Dann erhob sich auf einen Wink Vischvamitras der lotosäugige Rama im Kreise der Fürsten, verneigte sich vor den Brahmanen und Königen und nahm den Bogen zur Hand. Der Großarmige bog ihn und zog die Sehne auf und ließ die Sehne schwirrend erklingen. Dann zog er mit Macht die Sehne an – da zerbrach der große Bogen. Und Sita nahm einen schimmernden Blumenkranz und legte ihn Rama ums Haupt und wählte ihn vor den Augen des ganzen Fürstenadels in Selbstwahl zu ihrem Gemahl.

Davon geriet der ganze Adel in Zorn, und von allen Seiten stürmten sie auf Rama ein, Netze von Pfeilen entsandten die Starken und brüllten wie Donner. Rama gewahrte sie, flink ergriff er einen Bogen, und die Könige erzitterten vorm Schall der schwirrenden Sehne, vorm Schall seiner Handflächen. Da zerfetzte er die Netze ihrer Pfeile mit seinen Pfeilen, danach ihre Wagen; ihre Bogen und Banner zerfetzte er spielend. Der Herrscher von Mithila rüstete seine ganze Heeresmacht, stand dem Schwiegersohne im Kampfe bei und packte die Feinde an der Ferse; Lakschmana, der große Held, zersprengte die Könige und erbeutete ihre Elefanten und Pferde und viele Wagen. Sie ließen Wagen und Tiere im Stich und stoben fliehend davon, Lakschmana eilte ihnen nach, sie zu erschlagen, aber der Herrscher von Mithila und Vischvamitra geboten ihm Halt. Dann kehrte Janaka mit Rama dem großen Helden, dem Sieger in der Schlacht, und mit seinem Bruder in seinen Palast zurück und sandte einen Boten an Dascharatha. Aus dessen Munde vernahm der König alles und machte sich samt Frauen und Söhnen auf, mit Elefanten, Rossen und Wagen. Mit seinem Heer kam er geschwind nach Mithila und ward von Janaka feierlich empfangen. Janaka erhielt, wie es sich gebührte, den Preis für die Braut und gab seine Tochter an Rama; drei andere schöne, schöngeschmückte Töchter gab er mit den gehörigen Bräuchen an Lakschmana und die beiden anderen Brüder Ramas. So ward Ramas Vermählung gefeiert.

Mit den Brüdern, den Müttern und dem starken Vater weilte der Lotosäugige einige Tage daselbst bei reichen bunten Mahlen; als dann der König sah, es verlange Dascharatha mit seinen Söhnen, nach Ayodhya heimzukehren, übergab er Sita ihren Brautschatz, Rama gab er viele göttliche Kleinodien und prunkvolle Gewänder, Elefanten, Pferde und kunstfertige Sklaven, Sklavinnen und herrliche Frauen. Dann setzte der starke König seine schöne Tochter, die tugendreiche Sita, reichgeschmückt mit Juwelen, in ihren Wagen und geleitete sie unterm Schall von heiligen Vedasprüchen und Segenslauten mit viel glückbringendem Zeremoniell. Als er die göttliche Tochter geleitet und Dascharathas Sohne übergeben hatte, bezeigte er Vischvamitra seine Verehrung und kehrte heim; seine hohen Gemahlinnen unterwiesen die Tochter: ›Sei dem Gatten ergeben, du glückbringend Schöne, und den Schwiegermüttern‹, und kehrten heim in die Stadt.«

Diesmal raubt ein Unhold den Göttern die Macht, aber er ist, wie alles Dämonische, dem gleichen Urgrund entsprungen, dem sie selbst entstammen, sein Ahn ist ein geistentsprossener Sohn Brahmas. Und Brahma selbst macht sich zum Fürsprech der ohnmächtigen Götter beim Allwesen, das unangerührt von Streit und Gegensätzen der Welt im reinen Meere der Lebensmilch ruht. Er ruft Vischnu bei seinen vielen Namen und nimmt beschwörend vorweg, um was ihn die Götter bitten: er nennt ihn »der du Ravana das Ende bringst«. Vischnu verheißt seine Hilfe, er will als Mensch geboren werden, um den Unhold zu bezwingen, der in der Menschenwelt haust, die anderen Götter aber sollen in Gestalt von Menschenaffen zur Erdenwelt eingehen, um dem Gottmenschen ihre Hilfe zu leihen.

Hier glänzt zum ersten Male im Gange des Mythos die Idee auf, daß in allem Lauteren und Unholden des irdischen Weltlaufs sich Göttliches und Dämonisches der Überwelt verlarvt und in den Masken von Mensch und Tier und Unhold miteinander ringt: wir sind mit unserer Menschengeschichte nur Teil und Spiegelung eines größeren Geschehens, dessen obere Bühne sich unserem Blicke entzieht. So sah William Blake im Freiheitskampfe Amerikas gegen England und im Untergange einer älteren Welt durch die Französische Revolution die menschlich-irdische Spiegelung von Kämpfen kosmischer Dämonen, die er in den seherischen Gedichten »Die Französische Revolution« und »Visionen der Töchter Albions« festzuhalten sich mühte. Eine alte Vorstellung; in den Lehren Zarathustras und der Manichäer, später der Chassidim, ist sie zum Appell an den Menschen gesteigert: auf jeden einzelnen und auf jede Tat und Regung von ihm kommt es an, um den Sieg des Lichtes, die endliche Wiederherstellung seiner uranfänglich reinen Fülle herbeizuführen, die Menschenerde ist die wahre Stätte des Kampfes zwischen den Heeren des Lichts und der Finsternis, die Seele und ihre Taten sind der Raum der kosmischen Läuterung, hier muß der Triumph der reinen Mächte durch den gläubigen Menschen bereitet werden. Diese erhabene Idee – eine der kühnsten und edelsten Mythen der Menschheit – ist in der christlichen Welt mit der Vorstellung der Ecclesia militans auf Erden, der Ecclesia triumphans am Ende der Zeiten, lange wirksam gewesen; in Persien ward sie zuerst ausgebildet und zu Ende gedacht, aber sie hat Indiens Maya des Weltlaufs mit ihrer menschhaft und moralisch betonten Sinngebung alles Geschehens nicht wirklich zu durchtränken vermocht. In den kreisenden Läufen des indischen Weltspiels ist der alles bewegende, schier alles zerreißende Kampf des Göttlichen und Dämonischen nur ein inneres Ebben und Fluten des Gottes, der träumend in sich das All bewegt, der Mensch als Schauplatz kosmischer Krämpfe und Entspannungen empfängt von der Idee in ihn verlangter übermenschlicher Kräfte wohl ein sinnhaftes Tiefendunkel für seinen Stand zwischen Gut und Böse, nicht aber den Appell, auf ihm vor allen Wesen ruhe wahrhaftig die endliche Entscheidung im Ringen vielfältig verlarvter Mächte. Er ist ein Teil des Spiels, die Mächte blicken nicht auf ihn als Streiter oder Beute in ihrem Kampfe. Zwar ist der Weltlauf Kampf zwischen Göttern und Dämonen, aber so wie Leben Einatmen und Ausatmen ist, es ist kein Kampf, der die Welt zu einem sieghaft befriedeten Endzustand hinaufläutern soll. Die Welt der Maya widerstrebt einer einsinnig vermoralisierenden Deutung des menschlichen Daseins, aus der Fülle ihrer gestalten-tauschenden, vielfältig sinnblitzenden Tiefe wehrt sie solche erzieherisch -sittliche Verformelung unseres vieldeutigen Daseins ab; es ist wahr, daß Göttliches und Dämonisches am Menschen aufblitzt, also sich in ihn verlarvt wie in alle übrige Gestalt des Weltstoffs, wahr ist auch, daß es in uns miteinander ringt, und daß der Ausgang dieses unabsehbaren Kampfes unser Schicksal immer wieder neu bestimmt – wahr ist aber auch, daß zugleich alles ganz anders ist und von einer Sinnfülle dunkelt, in der auch diese leuchtende Formel für den Sinn unseres Lebens zerschmilzt wie eine Schneeflocke in Wasser.

Wenn sich der Kampf des Göttlichen mit dem Dämonischen auf die Ebene der Menschen begibt, so muß das Göttliche als Gott- oder Übermensch erscheinen, als begnadete Person. Es gibt sich als weiser Magier oder als Heros, als priesterlicher Verkünder eines Gottes, dessen Dienst das Dämonische bannt, oder als gotthafter Held, der kämpfend die Dämonen bezwingt. Die persische Religion hat den alten gemein-arischen Gegensatz von Göttern und Dämonen in der Lehre Zarathustras zum Austrag gebracht, ihr priesterlicher Verkünder gibt eine Lebensordnung, deren tagtägliche Übung die Bannung des Dämonischen bezweckt; die heldische Lösung ist Indien eigen und ist ihm mit Hellas gemein. Rama der Mond und Krischna sind ihre sinnbildlichen Gestalten. Nicht umsonst haben die Griechen in Krischna ihren Herakles wiedererkannt, den größten Gottmenschen ihres Mythos, der auf vielen Stationen seines Heldenganges die Welt von Ungeheuern befreit, deren Dämonie die Menschheit verstört. Wenn das Göttliche in Menschengestalt zum Kampfe gegen das Dämonische antritt, muß es sich als dämonenbannende, »exorzisierende« Kraft bewähren. Der Gottmensch hat die Macht, das Übermenschliche in seiner dämonischen Form zu besiegen und wegzubannen – so Rama beim Opfer Vischvamitras –, aber wie er Bann ausübt, indem er Dämonisches vertreibt, hat er auch die Kraft, Bann zu lösen, Verwunschene vom Banne eines verfluchten Daseins zu erlösen, worein ihre dämonische Leidenschaft sie gestürzt hat. So erlöst Rama die ehebrecherische Ahalya, die der Fluch ihres heiligen Gatten in einen Stein verwunschen hat. Vischvamitra, der um die exorzisierende Kraft des jungen Gottmenschen weiß, geleitet ihn selbst zur Stätte dieses Wunders und weist ihn an, die Unholdin Tataka zu fällen, um die Welt von ihrem Wüten zu befreien.

Vischvamitra und andere Heilige und Seher, denen er begegnet, wissen um Rama als den Gottmenschen, sie grüßen ihn als den Verheißenen, der die Welt vom Banne des Dämonischen löst. Sein Vater sieht in ihm sein Kind und bangt um ihn, die anderen Menschen sehen in ihm den schönen Helden ohnegleichen, wie er sich in Bogenprobe und Kampf der Freier bewährt – wie sieht er sich selbst? Er schreitet gelassen im Geheimnis der eigenen Maya dahin; seine Bahn vollendend, verlangt es ihn nicht, das Rätsel zu ergründen, das ihn so übermenschlich rein und stark macht. Zu Anfang ist er der Heldenknabe: die exorzisierende Gewalt des lauteren Kindes, die Magie des Auserwählten in früher Unschuld, der All-Entzauberer, der das Dämonische bannt, wohin er tritt. Von der gleichen magischen Macht des wahren Dichters in ihrem Stande als Kind sagt Hofmannsthal einmal: »Zuerst erlebt man alles naiv, man trägt den Priestermantel, als wär's ein Regenkleid; dann ahnt man überall Symbol«, und er ruft die Erinnerung an die Kindesstufe solcher Erwählung als Bild seiner Knabenzeit auf (im Gedicht »Der nächtliche Weg«):

»Ich ging den Weg einmal: da war ich sieben,
So arm und reich!
Mir war, ich hielt ein nacktes Schwert in Händen,
Und selbst die Sterne bebten meinem Streich.«

Es ist eine westlich-christliche Meinung oder Symbolik, daß die exorzisierende Kraft des jugendlichen Helden an parsifaleske Jungfräulichkeit geknüpft sei – wesentlich ist nur, daß er rein sei; »jungfräulich« ist nur die besondere christliche Formel dafür, nachdem das frühe asketische Christentum im Geschlechtlichen das Teuflische: Versuchung und Abfall, sah. Tertullian sprach es aus: Im Schoße des Weibes wohne der Satan – Indien ist diese Meinung fremd. Rama ist Gatte und Vater, und seine Geschichte kreist um die Wiedergewinnung der schuldlosen Gattin, die ihm ohne seine Schuld entrissen ward; was Rama jenseits des magischen Unschuldalters als Kind dämonenbezwingende Kraft verleiht, ist Reinheit, die ihn über die gemeinen Wesen erhebt, es ist seine Ichlosigkeit, sein idealer Gehorsam gegen den Vater, seine unbedingte Unterwerfung unter alles Ehrfurchtgebietende: Brahmanen, Heilige, Lehrer, Eltern – alles was in Indien »Guru« ist, ehrwürdig durch Alter und Wissen, Weihe und Wandel und eben dadurch leibliche Offenbarung göttlicher Ordnung.

 

»Als Rama mit seinem Heergefolge nach Ayodhya zog, vernahm das Rama mit dem Beil und verlegte ihm den Weg. Als die Mannen des Königs ihn sahen, wurden sie kleinmütig, und sogar Dascharatha ward samt Frauen und Gefolge von Leid und Kummer überschwemmt aus Furcht vor dem Enkel Bhrigus. Aber sein Hauspriester, der große Heilige Vasischtha, der im Brahman wandelnd Glut der Askese gewaltig in sich trug, sprach zu allen Leuten und zum bekümmerten König: ›Nicht ein Stäubchen Kummer solltet ihr haben um Ramas willen, nicht der Vater, nicht die Mütter, noch einer der Mannen. Denn Rama hier, o König, ist Vischnu, der leibhaft in deinem Hause geboren ist, die Welten zu schirmen, das ist gewiß. Wer nur seinen Namen preisend ruft, dem schwindet alle Lebensangst und -gefahr. Wie käme dem verleiblichten Brahman selbst Gefahr und Angst nahe? Wo nur die Geschichte von Rama erzählt wird, ist keine Angst vor Ungemach, noch unzeitiger Tod der Menschen.‹

So sprach er; da sagte der Bhriguenkel Rama zum Prinzen Rama, der vor ihm stand: ›Leg' du den Namen Rama ab oder kämpfe mit mir!‹ Dem Bhriguenkel, der ihm den Weg vertrat, gab der Raghuenkel zur Antwort: ›Wie legte ich den Namen Rama ab? Ich will mit dir kämpfen, halte dich gut!« – der lotosäugige Rama sprach's und trat zur Seite. Der Held ließ vor dem Helden seine Bogensehne klingen – da erhob sich das Vischnuhafte aus dem Leibe Ramas mit dem Beil, und vor aller sehenden Augen ging der strahlende Glanz in Ramas Antlitz ein.

Der Bhriguenkel sah ihn an, sein zorniges Gesicht ward mild und klar, und er sprach: ›Rama, Rama, Großarmiger, wahrlich du bist Rama, du bist Vischnu, auf Erden geboren – jetzt erkenne ich dich, Herr! Geh, Held, wohin du magst und vollbringe dein göttliches Werk, bring den Bösen den Untergang und leih den Wohlerzogenen deinen Schutz – geh, Rama, nach deinem Willen; ich gehe zur Waldeinsiedelei, in Askese zu glühen.‹

So sprach der Bhriguenkel, und die anderen erwiesen ihm Ehrfurcht als einem Heiligen; er ging zum Berge Mahendra und richtete seinen Sinn auf Glut der Askese. Dascharatha und die Seinen jubelten, und der König gelangte mit Rama nach Ayodhya.

Die Bürger hatten die glückprangende Stadt ringsum mit himmlischem Glanze geschmückt und kamen unterm Schall von Muschelhörnern, Pauken und Musik dem einziehenden Rama entgegen, der eine Frau genommen hatte und unbesiegt geblieben war in der Schlacht. Sie sahen ihn, jubelten und zogen mit ihm in die Stadt. Vischvamitra sah Rama und Lakschmana glücklich heimgekehrt und übergab beide ihrem Vater und zumal ihren Müttern. Von Dascharatha gastlich geehrt, entschloß er sich, alsbald heimzukehren und ging unter vielen Abschiedsrufen lachend zur Einsiedelei der Verklärten, die ihm vor anderem lieb war.

Als der lotosäugige herrliche Rama eine Frau hatte, war er die große Freude seines Vaters und allen Volkes; er lebte in Ayodhya in Glanz und Herrlichkeit, fand Freude daran und vergnügte sich. Indessen verreiste sein Bruder Bharata mit Schatrughna zum Könige der Kekayas, dem Bruder seiner Mutter. Da betrachtete König Dascharatha seinen herrlichen Sohn, wie er jung, stark und klug zum Herrscher tauge, und erwog: ›Wenn ich ihn zum König geweiht und die Last der Herrschaft auf ihn gelegt habe, will ich mich mit aller Kraft mühen, zu Vischnus seliger Stätte aufzufahren.‹ Als der König sich bedacht hatte, widmete er sich ganz diesem Plan und entbot weise Diener, Könige und Räte in allen Weltrichtungen, daß sie eilends zu ihm kämen: ›Alle Dinge, die nach des Heiligen Vasischtha Wort zu Ramas Königsweihe nötig sind, bringt eilends zusammen und kommt, meine Diener!‹ – Auf sein Geheiß gingen Räte als Gesandte aus in alle Weltrichtungen und luden die Könige zusammen: ›Kommt eilends allzumal nach Ayodhya, zur Stadt, die in herrlichem Schmuck strahlt! Ihr Untertanen, freut euch allerwärts an Festen mit Tanz und Gesang, wisset, Ramas prächtige Königsweihe, Freude dem Volke der Stadt und lieb dem Volk auf dem Lande, wird morgen gefeiert.‹

Als die Räte das hörten, fielen sie vor dem Könige nieder und sprachen: ›Herrlich ist dein Entschluß, o König, den du uns kund tust. Ramas Königsweihe freut uns alle.‹ Als sie so sprachen, sagte Dascharatha weiter zu allen: ›Schafft schnell auf mein Geheiß alles zusammen, was die heilige Handlung erfordert, rings sei die herrliche Stadt mit allem geschmückt und der Opferbezirk bereitet!‹ Auf sein Wort machten sich die Räte eifrig ans Werk, und immer wieder angetrieben, wirkten sie alle, wie er befahl. Der König war voller Freude und sah dem glückbringenden Tage entgegen, Kausalya, Lakschmana und Sumitra und das Volk der Stadt jubelten in Begeisterung, als sie von Ramas Königsweihe hörten. Sita aber, ganz Gehorsam gegen Schwiegervater und -mutter, war von Freude erfüllt, als sie Ramas Glück vernahm.

Als aber die Königsweihe des Wesenwissers Rama für den nächsten Tag bevorstand, sprach eine bucklige Sklavin Kaikeyis, Manthara geheißen, zu ihrer Fürstin: ›Herrliche Königin, hör' mein Wort, das dir Glück bringt; dein Gemahl, der Maharaja, bereitet dein Verderben. Morgen wird Rama, Kausalyas Sohn, König werden. Aller Besitz, Rosse und Wagen und alle Schätze, die ganze Königsherrlichkeit, du Schöne, wird Rama nun gehören – Bharata aber gar nichts. Zudem ist Bharata in die Ferne gezogen zum Hause seines Ohms, weh, verwünschtes Schicksal! Unselig bist du, und durch die Feindschaft der Mitgemahlin tief ins Elend gestürzt.‹

Kaikeyi hörte der Buckligen Wort und sagte: ›Sieh, wie geschickt ich noch in dieser Stunde handeln werde, du scharfsichtige Bucklige; daß Bharata die ganze Königsmacht zufalle, Rama aber außer Landes verbannt in die Wildnis ziehe, das will ich jetzt erreichen.‹ So sprach sie zu Manthara und streifte sich allen Schmuck vom Leibe, legte Kleider und Blumen ab und warf sich in ein grobes Gewand. Abgewelkten Blumenschmuck nahm sie, beschmutzte ihren Leib und entstellte sich, beschmierte sich mit Asche und Staub und legte sich in Asche und Staub auf den Boden. Löschte, als die Dämmerung dunkelte, die Lampen aus in argem Schmerz, wand sich ein weißes Tuch um die Stirn und legte sich nieder.

Dascharatha hatte mit seinen Räten alles beraten, was zu tun war, dann hatte er mit Vasischtha und anderen Sehern Rama in die Halle geführt, in der alles zur Weihe bereit war, sie hatten sich in Segensprüchen und glückverheißenden Bräuchen ergangen, daß der kommende Tag ihm Glück bringe; der König selbst war in der Halle gestanden, in der, das Glück zu mehren, die Nacht durchwacht ward, indes auf allen Seiten Pauken dröhnten, Singen und Tanzen wogte, Muschelhörner und Trommeln tönten. Dann zog er sich zurück. Dascharatha ging zu Kaikeyis Haus und kam zu ihrer Tür, die von Greisen bewacht war. Er wollte ihr Ramas Königsweihe ansagen. Er fand Kaikeyis Haus in Dunkel liegen und fragte: ›Woher heut diese Dunkelheit in deinen Gemächern, Liebe? Auch die Niedrigsten meines Reiches achten Ramas Königsweihe als Anlaß, sich zu freuen, heut schmückt alle Welt die Häuser aufs schönste – warum du nicht?‹ So sprach der König, hieß die Lampen im Hause anzünden und trat ein.

Er fand Kaikeyi ungeschmückten Leibes zu Boden gesunken schlafend. Der König schlang seine Arme um sie, richtete sie auf und sprach zu ihr liebevoll: ›Hör, was mich ganz erfüllt: der dir allzeit mehr Ergebenheit als der eigenen Mutter bewies, Rama wird morgen zum König geweiht, du Schöne!‹ – Als der König so sprach, erwiderte die Schöne ihm gar nichts; nur immer wieder seufzte sie lang und heiß vor Zorn. Der König stand und hielt sie mit beiden Armen umschlungen und sagte: ›Kaikeyi, was ist die Ursach deines Leids, sag an, du Schöne! Was immer an Kleidern, Schmuck und Juwelen du Schöne begehrst, nimm es dir ohne Bedenken aus der Schatzkammer und sei fröhlich! Morgen wird dank meiner Schatzkammer Glanz und Fülle sein, wenn der lotosäugige Rama die Königsweihe empfängt. Die Tür meines Schatzhauses wird offen stehen und unverriegelt; es wird sich wieder füllen, wenn Rama der Königsherrschaft waltet. Erweise du der Königsweihe des edlen Rama Verehrung!‹

So sprach der herrliche König. Aber Kaikeyi, die mit Bosheit gezeichnet war, die Schlimmgesinnte, Erbarmungslose, Verruchte, sagte, von der Buckligen belehrt, zum Könige und Gemahl ein grausames, unendlich hartes Wort: ›Juwelen und alles, was du sonst besitzest, ist doch gewiß auch mein eigen. Aber jene zwei Wünsche, die du mir in Liebe einst freigabst, damals als Götter und Widergötter den großen Kampf auskämpften, die sollst du mir jetzt gewähren, König!‹ So sprach die unheilvolle Kaikeyi, und der König gab ihr zur Antwort: ›Dir gab' ich, auch was ich dir nicht gewährt, oder was ich keinem Menschen sonst gäbe; und gar was ich dir versprach, das ist dir von mir gegeben. Erheitere dich, du Schöngliedrige, laß fahren dein grundloses Grollen, teile den Jubel, den Ramas Königsweihe erregt, und sei vergnügt.‹ So sprach der König, aber Kaikeyi, gewohnt mit Streit zu quälen, sagte ein grausames Wort – es brachte dem König den Tod: ›Erfüllst du mir die zwei Wünsche, die du mir einst gewährtest, dann soll Rama, Kausalyas Sohn, morgen in die Wildnis hinausziehen und auf dein Geheiß zwölf Jahre im Dandakawalde hausen – Königsweihe aber und Königsmacht sollen Bharata zufallen.‹ Der König vernahm Kaikeyis furchtbares Wort, es war ihm weh – da fiel er besinnungslos zu Boden. Sie aber schmückte sich, freute sich den Rest der Nacht und sprach, als es tagte, zu Sumantra, dem Wagenlenker und Boten des Königs: ›Hol Rama her!‹

Rama weilte mitten in der Opferhalle, vom Schall der Muschelhörner und Pauken umwallt; Brahmanen hatten an ihm die Bräuche geübt, daß dieser Tag ihm glückbringend sei und es ihm wohlergehe. Da nahte ihm der Bote, trat vor ihn hin und fiel vor ihm nieder: ›Rama, Rama, Großarmiger, dein Vater entbietet dir: Steh schnell auf und komm zu deinem Vater!‹ So sprach der Bote zu ihm, Rama erhob sich geschwind, verabschiedete sich von den Brahmanen und ging zum Hause Kaikeyis.

Als er ihr Haus betrat, sprach Kaikeyi grausam zu ihm: ›Deines Vaters Willen verkünde ich dir: Geh in den Wald, Großarmiger, und lebe dort zwölf Jahre! Zieh heut noch aus, du Held, und weih' dich der Askese! Sinne auf keine Verzögerung, Kind, handle ehrfürchtig nach meinem Wort!‹

Als der lotosäugige Rama dies Wort seines Vaters vernahm, sprach er: ›So sei es‹, nahm das Geheiß an und verneigte sich vor beiden.

Rama verließ das Haus und holte seinen Bogen, verneigte sich vor Kausalya und Sumitra und schickte sich an, zu gehen. Als aber das Volk der Stadt davon hörte, ward es von Schmerz überschwemmt und geriet in Aufruhr. Lakschmana ergrimmte über Kaikeyi, Rama sah seine zorngeröteten Augen: da hielt der edle Sittenfromme ihn mit sittlicher Mahnung zurück. Dann neigte sich Rama vor den Alten und Heiligen, die zugegen waren, und bestieg den Wagen, dessen Lenker Sumantra leidgebeugt war, um wegzufahren. Alle Habe, die sein eigen war, schenkte der Königssohn in gläubiger Hingabe den Brahmanen, dazu viele Gewänder. Sita nahm Abschied von ihren drei Schwiegermüttern und dem Schwiegervater, der die Besinnung verlor, und vergoß aus beiden Augen Tränenströme, die ihr Schmerz gebar. Sie schaute sich rings um – dann stieg auch sie auf den Wagen.

Als Sumitra Rama und Sita auf dem Wagen wegfahren sah, sprach sie in ihrem Schmerz zu ihrem Sohne Lakschmana: ›Denk: Rama sei dein Vater, und Janakas Tochter wäre ich, denk: der wilde Wald sei Ayodhya – und zieh mit den beiden, du Tugendschatz!‹ – So sprach die Mutter zu Lakschmana, vor Mutterliebe schoß ihr die Milch aus den Brüsten und näßte ihren Leib; der sittenfromme Lakschmana neigte sich vor ihr und stieg zu Rama auf den schönen Wagen. So zog sein Bruder Lakschmana und die gattentreue Sita mit ihm.

Als die Priester, Räte und Ältesten der Bürgerschaft inne wurden, des lotosäugigen Rama Königsweihe sei durch Schicksalsfügung abgerissen, eilten sie ihm nach in großem Schmerz. Sie holten ihn ein auf seiner Fahrt und sprachen: ›Rama, Rama, Großarmiger, du darfst nicht von uns gehen, Strahlender! König, kehr wieder um; wo ziehst du hin und willst uns verlassen?‹ Als sie so sprachen, erwiderte ihnen Rama, fest in der Erfüllung gelobten Verzichts: ›Kehrt um, ihr Räte und Bürger, kehrt um, ihr Priester! Ich muß meines Vaters Geheiß erfüllen und will in die Wildnis ziehen. Zwölf Jahre lang erfülle ich das Gebot des Verzichts im Dandakawalde, dann kehre ich heim, des Vaters und der Mütter Füße zu grüßen.‹ So sprach Rama, in Wahrhaftigkeit der Erfüllung gegebenen Wortes geweiht, und fuhr weiter. Aber wie er davonfuhr, hängten sich die Männer in ihrem Schmerz von neuem an ihn und folgten ihm nach. Wieder sprach er: ›Kehrt um in die Stadt, zu meinen Müttern und dem Vater, zu Schatrughna und der Stadt. Bleibt alle dort, ihr Trefflichen, und beschirmt die Königsmacht und Bharata – ich ziehe in den Wald.‹ Dann sagte er zu Lakschmana: ›Übergib du Sita an ihren Vater Janaka in Mithila und bleib Vater und Mutter gehorsam – ich gehe.‹ – Der sittenfromme Lakschmana sprach in zärtlicher Liebe zum Bruder: ›Heiß mich das nicht, o Herr, du Schatzgrube des Erbarmens, wo du hingehen willst, dahin geh' ich wahrlich auch.‹

Als er so sprach, sagte Rama zu Sita: ›Geh' zu meinem herrlichen Vater, Sita, ich heiße es dich, kehr heim in Sumitras und Kausalyas Haus, du Schlanke, bis daß ich wiederkomme.‹ – Als Rama so sprach, hob Sita bittend die hohlen Hände und sagte: ›Wo du hingehst und im Walde wohnst, Großarmiger, dahin geh' ich mit dir und wohne mit dir, Bezwinger der Feinde! Trennung von dir, Getreuer, ertrage ich nicht; darum fleh' ich dich an, König, hab Mitleid mit mir! Herr, ich will mit dir kommen; wohin du gehst, da muß auch ich hingehen.‹ –

Rama sah, wie hinter ihm her, auf vielerlei Wagen und Tieren, Männer und Frauen in Scharen strömten, der Sittenfromme gebot ihnen Halt: ›Kehrt um, ihr Männer und Frauen, bleibt ruhig in Ayodhya; ich gehe in den Dandakawald und will mich der Askese weihen. In einigen Jahren kehr' ich zurück, so ist es, ich sage die Wahrheit.‹

Und Rama schickte das Volk nach Hause und fuhr mit seinem Bruder Lakschmana und seiner Gattin, der Prinzessin von Videha, zur Einsiedelei Guhas. Guha aber, der Häuptling eines wilden Bergvolks, war Rama ergeben und war aus sich selbst ein gläubiger Verehrer Vischnus. Die Hände becherhohl zusammenlegend, stand er: ›Was darf ich für dich tun?‹ – Guha sorgte für ein Boot, auf dem der Strahlende über die Ganga fuhr – über die Ganga, die der Heilige Bhagiratha vorzeiten durch große Askese vom Himmel zur Erde niedergelenkt hatte, die glückbringende Ganga, die alle Sündenschuld wegspült – viele heilige Männer wohnen an ihr, sie ist voll Fischen und Schildkröten, reich an Kränzen hoher Wogen führt sie kristallhelle Wasser.

Der erhabene Rama querte sie und kam zur glückbringenden Einsiedelei Bharadvajas. Wie es sich gebührt, badete er mit Lakschmana und Sita am heiligen Badeplatz Prayaga, dann rastete er in Bharadvajas Einsiedelei und ward von dem Heiligen gastlich geehrt. Als die reine Frühe tagte, nahm er Abschied von ihm und zog langsam den Weg, den Bharadvaja ihm beschrieben hatte, zum Berge Buntgipfel, der war von vielerlei Blumen und Schlinggewächs bedeckt und ein sehr heiliger Wallfahrtsort. Als er über die Ganga gegangen war, hatte er Tracht der Asketen angelegt. Dort sandte er den Wagenlenker heim und zog zu Fuß mit Gattin und Bruder weiter.

Ayodhya lag glanzlos und in Gram versunken; Dascharatha ward besinnungslos, als er aus Kaikeyis Munde das Wort vernahm, das ihm weh tat und Rama in die Verbannung trieb. Kaum daß er wieder zu Bewußtsein kam, heulte er: ›Rama, o Rama‹ – Kaikeyi aber sprach zu ihm: ›Weihe Bharata zum König. Sita, Lakschmana und der mondgleiche Rama sind in den Wald gezogen.‹ – Da schied König Dascharatha, von Leid um den Sohn überwältigt, in Gram aus seinem Leibe und ging zur Götterwelt ein. Und alle Männer und Frauen in seiner großen Stadt Ayodhya weinten um ihn von Schmerz und Kummer erfüllt. Kausalya, Sumitra und Kaikeyi, die Missetäterin, vereinten sich um den Toten und beweinten ihren Gemahl. Danach bettete sein Hauspriester Vasischtha, aller rechten Bräuche kundig, den toten Leib des Königs in ein Gefäß voll Sesamöl, beriet sich mit der Schar der Räte und sandte einen Boten zu Bharata und Schatrughna. Der langte an und berichtete alles, was sich begeben hatte, samt dem Tode des Königs, und kehrte mit beiden schnell nach Ayodhya zurück.

Auf dem Wege sah Bharata schreckliche Zeichen und fand in Ayodhya alles ins Trübe gewandt: Glück und Glanz war von der Stadt gewichen, sie war in Kummer und Gram versenkt. Er zog in Ayodhya ein – es war als hätte das Feuer ›Kaikeyi‹ die Stadt zu Asche verbrannt. Alle Leute, von Trauer erfüllt, sahen die beiden Prinzen und weinten laut: ›Weh, Rama, du Lieber, weh Sita und Lakschmana!‹ so klagten sie immer wieder.

Da weinten Bharata und Schatrughna vor Schmerz, und Bharata erzürnte sich alsbald, als er von Kaikeyis Wort vernahm: ›Bös bist du, bösen Sinnes, daß du Rama mit Lakschmana und Sita in die Wildnis verbannt hast! Welch unbedachte schlimme Tat verübtest du Unselige, daß du die drei vertriebst! Du dachtest, meinen Sohn soll er zum König machen, du Schlimme, und hast dein Heil verscherzt; ich aber bin der Sohn und bin unselig geworden. Weh mir, da mein Bruder Rama fehlt, will ich nicht König sein. Wo Rama ist, der Tiger unter den Männern, mit Augen dunkel und langgeschweift wie Lotosblütenblätter, der Tugendhafte, aller Lehren kundig, der die Verwandten liebt wie seine Kinder, wo Sita von Videha ist, die Gelübdestrenge und Gattentreue, die Herrliche, mit allen Zeichen der Vollkommenheit, wo Lakschmana ist, der große Held, der Tugendreiche, Bruderliebe – da will ich hingehen! Eine Todsünde begingst du, Kaikeyi! Rama, der Beste der Edlen, ist mein großer Bruder, er ist König, Verruchte, und ich bin allezeit sein Knecht.‹

So sprach er zur Mutter und weinte in heißem Schmerz: ›O König, Schirmherr der Erde, mich Unglücklichen hast du verlassen! Wo bist du hingegangen, Lieber, nun? Was tu' ich hier, sag' mir das! Wo ist mein großer Bruder, der mir wie ein Vater ist, der Mitleidvolle? Und Sita, die mir wie eine Mutter ist – wo ging sie hin, und Lakschmana?‹

So klagte Bharata mit seinen Räten; aber der erhabene Vasischtha, der wußte, wie Tat und Schicksal sich ineinander fügen, sprach: ›Steh auf, steh auf, Kind, du sollst dich nicht dem Gram hingeben. Nach dem Walten von Tat und Schicksal ist dein Vater zum Himmel eingegangen. Übe die Totenbräuche für ihn, du Guter! Rama aber ist Vischnu, der Herr der Welt, der mit einem Stück von sich zur Erde niederstieg, die Bösen zu vernichten und die Wohlgewiesenen zu schirmen. Wo Rama, durch dieses Geschehen hingetrieben, weilt, dort warten große Taten auf den erhabenen Helden und auf Lakschmana. Wenn er sie vollbracht hat, kehrt der lotosäugige Rama zurück.‹

So sprach der edle Vasischtha, und Bharata richtete die Totenbräuche aus, wie die Ordnung es will. Mit dem Feuer des Feueropfers verbrannte er nach dem Brauche des Vaters Leib und badete mit Schatrughna, den Müttern und Verwandten im Wasser der Sarayu und brachte dem Toten die Wasserspende dar. Als alle Totenbräuche vollzogen waren, brach Bharata mit Elefanten, Reitern, Wagen und Fußvolk, von den Räten begleitet, auf und zog Ramas Weg, Rama zu suchen.

Guha, der Rama ergeben war, sah ihn, den Rivalen Ramas, mit großer Kriegsmacht nahen und meinte, er sei Rama feind. Er formte sein Heer zum Rund, rüstete und panzerte sich, bestieg den Streitwagen und verlegte, von großer Heeresmacht umringt, Bharata den Weg: ›Meinen herrlichen Herrn Rama mit Bruder und Frau suchst du Böser im Walde und willst ihn töten, Verruchter! Kehr um, du Tor, mit deinem Heer!‹

Als König Guha so zu ihm sprach, erwiderte der wohlgezogene Bharata, betend die Hände zu Rama erhebend: ›Wie du Rama ergeben bist, bin ich ihm ergeben. Als ich in der Ferne weilte, hat Kaikeyi das getan, Edler. Um Rama heimzuholen, zieh' ich durch den großen Wald. Ich gebe dir mein Wort der Wahrheit, eh' ich weiterziehe – gib du mir den Weg frei, Guha!‹ – So gewann er sein Vertrauen.

Dann fuhr er auf Scharen von Booten über die Ganga, badete im Wasser der Ganga und langte bei der Einsiedelei des Heiligen Bharadvaja an. Bharata neigte sein Haupt vor dem großen Heiligen und erzählte ihm, was geschehen war, Bharadvaja aber sagte ihm, das Schicksal habe solches gewirkt: ›Du mußt dich jetzt nicht um Ramas willen betrüben; Rama, der wahrhafte Held, weilt am Buntgipfel. Wohl wird er, wenn du zu ihm gehst, nicht mit dir kommen; geh aber doch hin, und was er sagt, das tu! Rama weilt mit Sita in einem schönen Walde, Lakschmana aber, der große Held, späht wachend allzeit nach bösen Wesen aus.‹

Als der weise Bharadvaja so zu ihm gesprochen hatte, zog Bharata über die Yamuna und kam zum hohen Berge Buntgipfel. Dort stand Lakschmana und hielt Wacht, er sah den Norden in der Ferne von Staub erfüllt und berichtete es Rama. Auf sein Geheiß stieg der Kluge auf einen Baum und spähte eifrig aus, da sah er den großen Heerhaufen nahen mit Elefanten, Reitern und Wagen und sagte zu Rama: ›Großarmiger Bruder, sei standhaft an Sitas Seite, irgend ein mächtiger König ist's mit Elefanten und Reitern, Wagen und Fußvolk.‹ – Als Rama des edlen Lakschmana Wort vernahm, sprach der Held wahrhaften Mutes zum Helden: ›Gewiß kommt Bharata, uns zu besuchen, Lakschmana.‹

Während der Wesenwisser Rama noch so sprach, gebot der wohlgezogene Bharata dem Heer in der Ferne halt. Gefolgt von den Brahmanen, die seine Räte waren, nahte er weinend und warf sich Rama, Sita und Lakschmana zu Füßen. Die Räte, die Mütter, die Schar liebender Verwandter und Freunde umstanden Rama und weinten schmerzerfüllt.

Als der edle Rama hörte, sein Vater sei zum Himmel eingegangen, nahm er an heiligem Badeplatz, der alle Befleckung tilgt, mit Lakschmana und Sita das Bad der Totenfeier und brachte dem Vater die Handvoll Wassers der Totenspende dar. Dann begrüßte er die Mütter, und wer mit ihnen gekommen war, und sprach zum schmerzerfüllten Bharata: ›Kehre schnell nach Ayodhya, edler Bharata, und beschirme die Stadt, die ohne König und Schirmherrn ist.‹ Als er so sprach, sagte Bharata zum lotosäugigen Rama: ›Wahrlich, niemals werde ich ohne dich von hier heimkehren, du Tiger unter den Männern! Wo du hingehst, dahin will auch ich gehen, wie Sita und Lakschmana tun.‹ Da sagte Rama wieder zu Bharata: ›Den Menschen, die in der ewigen Ordnung wandeln, die ihnen angeboren ist, gilt der große Bruder soviel wie ihr Vater; wie ich das Wort nicht übertreten darf, das aus meines Vaters Munde kam, darfst du mein Wort nicht übertreten, Guter! Geh fort von mir, beschirme du das Volk, zwölf Jahre währt der Wandel in Verzicht, den des Vaters Mund mir auferlegte. Hab' ich ihn in der Wildnis vollbracht, will ich wieder zu dir kehren. Geh und erfülle mein Geheiß und betrübe dich nicht!‹

Als er so sprach, füllten Bharatas Augen sich mit Tränen: ›Du bist mir wie der Vater, da ist kein Unterschied, nach deinem Geheiß muß ich handeln – gib mir deine beiden Sandalen. Im Dorfe Nandigrama will ich wohnen, und deine beiden Sandalen sollen die zwölf Jahre lang auf dem Throne stehen. Dein Kleid des Asketen soll mein Kleid sein, dein Gelübde des Verzichts sei mein großes Gelübde. Kehrst du aber nach zwölf Jahren nicht zurück, Edelster, will ich meinen Leib im Feuer verbrennen wie eine Spende Butter im Opferfeuer.‹

So verschwor sich Bharata in großem Schmerz, umwandelte feierlich den Bruder viele Male und verneigte sich vor ihm. Er legte seine Sandalen sich aufs Haupt und machte sich langsam auf. Er erfüllte des Bruders Geheiß und lebte dabei in Nandigrama als Asket voll Selbstbezwingung, fastend nährte er sich von Kräutern, Wurzeln und Früchten. Er trug das Haar am Kopfe aufgeflochten, kleidete sich in Baumrinde und lebte von der Kost des Waldes. Untadligen Wesens trug er, eingedenk Ramas Wort, die Herrscherlast der Erde unermattet auf seinem Herzen.«

 

Prinz Ramas aufsteigende Bahn durchkreuzt den bluttriefenden Schatten, den Rama mit dem Beil über alle Fürstenherrlichkeit wirft; zwei Verleihungen des Gottes in menschliche Gestalt begegnen einander drohend: ein eher seltener Vorgang im Reiche des Mythos, in dem doch das scheinbar einander Widerstrebendste sich spielend vollzieht – und wie sinnvoll ist diese Begegnung! Zwei Gebärden des Gottes, zwei Zeitalter lösen einander ab. Selbstsicher und herausfordernd vertritt Rama mit dem Beil dem jüngeren Gottmenschen den Weg – wer kann ihn bestehen? Nemo contra deum nisi deus ipse, nur Göttliches besteht den Gott, wie alles Dämonische in uns es ist, das rings um uns das Dämonische aufruft und uns zum Verhängnis ballt. Der Umstand, daß einige unter uns das Göttliche zu ahnen vermögen, setzt in ihrem Wesen eine Spur, eine Ahnung des göttlichen Wesens als Beimischung ihrer irdischen Natur voraus.

Die rasend rächende Gebärde des Übermenschlichen gibt sich überwunden und dankt ab angesichts der milden Kraft, die ganz Maß ist. Das Göttliche mit seinen in der Welt wirkenden Erscheinungen vollzieht in ihrer Abfolge die Läuterung seiner selbst aus streitbarer Kraft zu herrscherlicher Hoheit, bannender Größe; seine Verkörperung als Wirbel der Leidenschaft (rajas) wird überwachsen von stiller Lauterkeit (sattva). Indem beide Elemente des göttlichen Weltstoffs sich leibhaft gegenübertreten und einander anblickten, weicht die vischnuhafte Gewalt aus Rama mit dem Beil und geht zerschmelzend in die neue Gottesgestalt ein. Rama mit dem Beil wird von seiner Gottbesessenheit entzaubert, er wird ihres übermächtigen Bannes ledig, sein Antlitz, das nur Zorn und Drohung kannte, wird mild und klar, sein titanischer Krampf der Wut entspannt sich zu der höheren Stille, die Rama der Mond aus seinem Wesen exorzisierend auf ihn strahlt. Am älteren Rama erlöst der jüngere das Göttliche vom Banne seiner eigenen Dämonie; seine blutig Ordnung wahrende Gebärde hat ausgespielt, seitdem der neue Bringer göttlicher Ordnung zu seinem Amte herangewachsen ist. Wie Maßlosigkeit der Jugend gelassener Reife und Selbstbeherrschung im Leben des einzelnen weicht, folgen sie einander als Haltungen des Göttlichen in seinen menschlichen Verleihungen: die Zeitalter der Menschheit sind Kapitel im Entwicklungsromane des Göttlichen, soweit es sich seiner überweltlichen Ruhe begibt und mitspielend die Bühne der Menschheit betritt.

Nach den Siegen die Prüfungen. Das Leben hat Rama mit Gaben beschenkt, die seiner Kraft und Tugend würdig sind: die schönste Frau als Kampfpreis seiner überlegenen Stärke im Kreise ebenbürtiger Rivalen, die Liebe des Vaters und aller Menschen, die Anwartschaft auf die Macht. Seinesgleichen kann aus der Lauterkeit des eigenen Wesens nicht von sich aus in Leid geraten; die Lust und Notwendigkeit, mit der andere sich in Schuld stürzen und der Versuchung ihres dumpferen Teiles erliegen, ist ihm fern; kein Reiz von innen, der eine Lockung von außen an ihn zöge, kann ihn verstricken. Er muß von der Bosheit der Welt geprüft und durch Leiden geführt werden, damit er sich in seiner reinen Anlage wahrhaft ereigne und, was er an lauterer Größe in sich trägt, standhaltend vollstrecke und als Treue zu sich selbst entfalte.

Höchst wunderbar und von seltener Größe ist es für indisches Empfinden, daß Rama seine überraschende Entrechtung wortlos duldend erträgt, sich die Krone entgleiten läßt, die sein Vater ihm bestimmt hatte. Die böse Stiefmutter – wie vieles andere in der Ramasage – wirkt wie ein Märchenmotiv, aber sie ist alltägliche unheimliche Wirklichkeit in der Geschichte indischer Fürstenhäuser: die Lieblingsfrau an nachgeordneter Stelle, die über den alternden König mehr vermag als die Hauptgemahlin – die alles über ihn vermag und was dem Aufstieg ihres eigenen Kindes im Wege steht, erbarmungslos aus dem Hinterhalt beiseiteschafft. Ein Thronwechsel ohne offene und geheime Kämpfe bildet eher die Ausnahme in der Geschichte despotischer Dynastien, ein Blutbad in der fürstlichen Familie gehört zu ihrem Lebensstil: das gilt für Indien wie für Byzanz und Persien, für die muslimischen Reiche oder das Haus des Augustus. Das Blut von Brüdern, Halbbrüdern und Vettern oder anderen Thronanwärtern kittet die Krone am festesten auf das neue Haupt. Es ist ein hohes Wunder, daß Rama, das aufgehende Gestirn, mit allen Glückszeichen gesegnet, magisch bewährt und von allen vergöttert, nicht gegen den Vater aufsteht, der ihn entrechtet und durch den jähen Abbruch der schon begonnenen Weihe aufs grausamste reizt. Es wäre das Übliche, nur zu Verständliche, daß er den Alten vom Throne stieße, einkerkerte, vielleicht umbringen, wenigstens blenden ließe, und den Söhnen seiner Stiefmutter den Garaus machte.

Auch ohne daß ein Vater einen nachgeborenen Rivalen bevorzugt, droht ihm nach indischer Erfahrung vom Thronerben Gefahr, sobald der herangewachsen ist. Indische Staatsweisheit empfiehlt daher, den Sohn zum Jungkönig an die Seite des Vaters zu erheben oder zum Nachfolger bei Lebzeiten zu weihen unter völliger Abdankung des Alten, wie es Dascharathas Absicht war – nur um vorzubeugen, daß der Übergang der Krone auf den ungeduldig wartenden Prinzen blutig überstürzt werde. Verbannung des jugendlichen Thronerben, ehe er Mittelpunkt einer Palastintrige oder Verschwörung Ehrgeiziger werden kann, die sich Beförderung von ihm erwarten, Verweisung in die entfernte Provinz eines getreuen Satrapen, Gewahrsam in einer einsamen Grenzfeste zu Händen eines sicheren Mannes gelten als naheliegende Vorsichtsmaßnahmen des Vaters, sich gegen den Erben zu sichern.

Verbannung in die Wildnis, in den »Wald«, ist die übliche Form, Entrechtete unschädlich zu machen. Im Dschungel bergen sich Reste der Urbevölkerung, die von den siegreich vordringenden Ariern aus dem fruchtbaren Siedlungsland der breiten Flußebenen vertrieben sind; entrechtet und beraubt, sind sie dort zu Jägervölkern, Räuberstämmen geworden oder haben sich den Wilden im Busch gesellt und sind zwangsläufig zu ihrer dürftigeren Lebensform zurückgekehrt. Im Niemandsland zwischen Berg und Dickicht finden vertriebene Fürsten Zuflucht, wenn sie aus ihrem Reiche fliehen mußten. So wird es den Helden der Mahabharatasage auferlegt, als sie ihr Spiel um die Macht gegen ihre Vettern verloren hatten, für zehn Jahre in die Wildnis zu ziehen, so blieb König Nala mit seiner Gattin Damayanti als einzige Zuflucht der Dschungel, als er sein Reich an seinen jüngeren Bruder verspielt hat. Der Wald nimmt den Gealterten als Einsiedel auf, der seine Rechte auf Familie, Besitz und Erwerb in die Hand seiner Söhne gelegt hat. Er ist für Indien das Asyl aller Entrechteten, Vertriebenen: Freiheit und Preisgegebenheit in einem, Gemeinschaft mit wilden Tieren und Ungeheuern, mit einsiedlerischen Heiligen und verklärten Asketen und mit der Besinnung auf das gelebte Leben und den Sinn des Ganzen. Das alte Europa hat an seiner Statt für den politischen Flüchtling und Verbannten das Exil an fremdem Herd, in fremder Stadt, es hat Themistokles beim persischen Satrapen und Alkibiades in Sparta, Hannibal in Bithynien und Marius auf den Trümmern Karthagos, es hat Dante am Hofe Cangrandes in Verona, Victor Hugo auf Jersey und die Polen und Russen in Paris und der Schweiz.

Es wird der tugendreichen Vollkommenheit, der »lichten Klarheit« nicht gewährt, die erhabene Idylle, die sie aus sich selber strömt, ohne die Anfechtungen der Bosheit zu vollenden, die ihrem Wesen fremd ist. Wie Brahmas lichte Klarheit nicht in Ruh gelassen ward vom Wirbelstaub der Leidenschaft und dumpfem Dunkel, als seine Unschuld das demiurgische Werk vollenden wollte, zu dem die Lotosknospe ihn ans Licht hob, sowenig mag sich Rama seines Glückes freuen, das allen sein verdientes Schicksal dünkt und allgemeinsten Segen verspricht. Der Held, aus dessen Zügen der alte Genius des Pfluges blickt, hat den Acker seines Wesens ganz rein von dämonischem Wildwuchs bestellt, wohin er tritt, wirkt er als Pflüger, der die Wildnis bannt, aber eben deshalb muß er hinaus in die Wildnis. Das Wilde, Dämonische, das, verlarvt als Hof und Familie, auch im Menschenbezirke mächtig ist, langt nach ihm und stößt ihn in die unverschminkte Wildnis. Dort wird er den Tieren und Unholden begegnen: den Mächten. In immer neuen Opfern wird er völlig entblößt: Thronrecht und Herrlichkeit der Welt, der seinem Wesen angemessene Bereich, darin zu wirken, sind ihm genommen – noch bleibt ihm sein anderes Ich: Sita, die Frau, die unzertrennlich von ihm scheint. Die lautlos innige Einheit dieser beiden Menschen, die ihr Leben als mild leuchtende Atmosphäre umhaucht und alles Herzzerreißende ihrer Sage auf einen idyllischen Untergrund bettet, ist mit hoher Zartheit gegeben; alles, was Seelen in ihrem reinsten Aufschwunge mit der Idee der Ehe verbinden mögen, hat Indien in dieses Verhältnis von Rama und Sita eingeströmt. Darum langt das Unholde der Welt danach, es zu zerreißen.

Rama bleibt dem Wort des Vaters gehorsam, auch als sein Tod und das Flehen des Bruders ihn auf den Thron rufen könnten; die unbedingte Unterwerfung unter das einmal ergangene Gebot, Treue zur buchstäblichen Erfüllung, die nicht mit sich markten läßt und die Bitte überhört, die offenbares Unrecht sühnen will, weil sie Versuchung meint, leiten den reinen Helden.

»Von der Gewalt, die alle Wesen bindet,
Befreit der Mensch sich, der sich überwindet«,

aber die Überwindung, dank der er sich selbst befreit, überwindet diese Gewalt auch rings in der Welt: die Gewalt der Verfangenheit in die Maya des eigenen Ichs und des Besessenseins vom Banne seiner blinden Dämonen.

 

»Nachdem Bharata davongegangen war, lebte der lotosäugige Rama mit seinem Bruder Lakschmana und seiner Gattin wandernd im wilden Walde und nährte sich von Kräutern, Wurzeln und Früchten. Als er einmal mit Sita im Waldland des Buntgipfels weilte, hatte er seinen Kopf in ihren Schoß gelegt und schlief ein Weilchen, da kam eine böse Krähe, flog auf Sita zu und zerfleischte ihr die eine Brust. Dann flog der gemeine Vogel auf einen Baum und ließ sich dort nieder. Rama erwachte und sah Blut an Sitas Brust, der Lotosäugige sprach zu der schmerzerfüllten Sita: ›Woher kommt dieses Blut auf der einen deiner Brüste hier, Liebe?‹ – so sprach er, und die Wohlerzogene gab dem Gatten zur Antwort: ›Herr der Könige, sieh dort den tückischen Vogel auf dem Baumwipfel; der hat das angerichtet, während du Edler schliefest.‹

Rama sah die Krähe und ward von Zorn auf sie erfüllt; er besprach einen Rohrpfeil mit dem Zauber der Brahman-Waffe und schoß ihn auf die Krähe ab, sie aber entfloh, von Furcht erfüllt. Der Vogel war ein Sohn Indras und barg sich in Indras Welt, aber Ramas feuerflammende Waffe fuhr ihm auch dorthin nach. Und der König der Götter begriff im Kreise der Götter, was da vorging, er warf den Bösen, der an Rama gefrevelt hatte, hinaus. Von allen Göttern aus der Götterwelt vertrieben, flog er wieder zu König Rama und suchte Schutz bei ihm; ›Rette mich, Rama, Großarmiger – aus Unwissen hab' ich an dir gefrevelt.‹

Als er so sprach, antwortete ihm der lotosäugige Rama: ›Nie fehlend ist meine Waffe, darum opfere ihr ein Glied von dir, dann wirst du am Leben bleiben, Böser – großen Frevel verübtest du.‹ Als er so sprach, opferte die Krähe eines ihrer Augen, der Pfeil aber verbrannte das Auge zu Asche und kehrte zu Rama zurück. Seit damals sind alle Krähen einäugig, und davon blicken sie nur mit einem Auge aus beiden Augenlöchern.

Nachdem Rama lange am Buntgipfel geweilt hatte, wanderte er in den Dandakawald, der war von vielerlei Heiligen bewohnt. Mit Bruder und Gattin trug er Asketenkleid, der Starke führte den Bogen in der schönen Hand, dazu den Köcher. Da sah er große Heilige, die dort lebten und sich nur von Wasser nährten, andere lebten ganz von rohem Reis, den sie zwischen Steinen mahlten, manchen dienten ihre Zähne statt der Mörser, den rohen Reis zu enthülsen, andere gaben sich harter Askese hin und nahmen von vier Mahlzeiten nur eine. Rama sah sie und fiel vor ihnen nieder, und sie begrüßten ihn mit lauter Freude.

Als Rama den ganzen Wald besucht hatte, der ›Quäler der Menschen‹ in leibhafter Gestalt, brach der Edle mit Bruder und Frau wieder auf. Langsam dahinschreitend betrachtete er den Wald und zeigte ihn Sita, wie er strahlend in Blüte stand und voller Wunder war. Er begegnete einem gewalttätigen Unhold mit schwarzem Leib und roten Augen, der war mächtig wie ein Berg, seine Stimme war wie Wolkendonner und sein Haupthaar wie geballte Dämmerung der Nacht. Zornig legte er den Pfeil auf ihn an und verwundete ihn; mit Lakschmanas Hilfe erschlug er ihn und senkte den Riesen in eine Höhlung des Berges und bedeckte ihn mit Steinen. Weiter ging er zur Einsiedelei des Heiligen Scharabhanga, neigte sich vor ihm und fand an seinen Worten Erbauung. Dann zog er zur Einsiedelei Tikschnas und besuchte ihn, der wies ihm den Weg, und er kam zum Heiligen Agastya. Der gab ihm ein makelloses Schwert, einen Köcher, unerschöpflich an Pfeilen, dazu den Bogen Vischnus.

Dann zog Rama mit Bruder und Frau von der Fischeinsiedelei weiter und weilte am Ufer der Godavari im Lande der fünf Feigenbäume. Da kam der Geierkönig Jatayus zum lotosäugigen Rama, verneigte sich vor ihm, nannte ihm seine Abkunft und blieb bei ihm. Rama erzählte ihm seine Geschichte und sprach: ›Edler, beschütze Sita!‹ – auf diese Worte umarmte Jatayus Rama ehrfurchtsvoll. Wenn Rama sich in einem Vorhaben mit dem Bruder in eine andere Gegend des Waldes entfernte, sagte Jatayus: ›Ich beschütze deine Gemahlin, laß sie hierbleiben, du Herrlicher‹, und der König der Vögel flog auf einen Horst nahebei im Süden, wo viele Vögel hausten.

Als der schöne Rama, dem Liebesgotte gleich an Reiz, dort mit Sita weilte und viele Gespräche mit ihr pflog, kam einmal Ravanas jüngere Schwester ›Schaufelnagel‹ – sie hatte Nägel so groß wie geflochtene Worfschaufeln. Kraft ihrer Maya nahm sie eine schöne Gestalt an, voller Reize und Vorzüge; der Liebesgott hatte Einzug in ihr Herz gehalten, mit lieblicher Stimme ein Lied singend kam die Unholdin dahergegangen – da sah sie Rama mit Sita im Walde sitzen. Und die furchtbare Schaufelnagel in ihrer mayahaften reizenden Gestalt sprach ohne Scheu in ihrem verruchten Sinn zu Rama: ›Nimm mich, du Schöner, die Schöne – die Liebende hier, die dich nehmen will! Wer eine Frau, die genommen sein will und nehmen will, verschmäht, lädt große Schuld auf sich.‹

Als Schaufelnagel so zu ihm sprach, gab ihr König Rama zur Antwort: ›Ich habe eine Frau, du Törin – nimm dir meinen jüngeren Bruder.‹ – Als sie von ihm hörte: ›Ich habe eine Frau und kann dich nicht brauchen, sprach die Unholdin, die ihre Gestalt nach Wunsch wandeln konnte: ›Ich bin über die Maßen gewitzigt im Geschäft der Liebe, o Raghuenkel – laß diese Sita doch fahren, die weiter nichts davon versteht, und nimm mich Schöne!‹ – Als Rama diese Rede von ihr hörte, sprach er, dem die ewige Ordnung des Rechten über alles ging: ›Nie werd' ich eine fremde Frau berühren; geh' von mir zu Lakschmana, er hat keine Frau hier in der Wildnis, er wird dich nehmen.‹

Als er so zu ihr sprach, erwiderte sie dem lotosäugigen Rama: ›Gib mir ein Blatt von deiner Hand, daß Lakschmana mein Gatte werden soll.‹ Der hochgesinnte Rama sagte ja und schrieb auf ein Blatt: ›Schneid ihr die Nase ab und laß sie laufen!‹ und gab es ihr. Sie nahm das Blatt und ging voll Freuden fort, kam zu Lakschmana und reichte es ihm. Lakschmana sah die wunschgestaltige Unholdin und sprach: ›Von Ramas Wort darf ich nicht weichen; steh, Verworfene!‹ – er packte sie, schwang sein fleckenloses Schwert und schnitt ihr Nase und Ohren ab, als wären's Sesamzweige.

Als ihr die Nase abgeschnitten war, heulte sie in wildem Schmerz nach ihren Brüdern: ›Ha, Ravana, mein Bruder mit zehn Gesichtern, Zermalmer aller Götter! Ha weh ›Topf-Ohr‹, Unglück über Unglück trifft mich! Ha ha weh, hochgesinnter Vibhischana, Schatzgrube aller Tugenden!‹ so heulte sie jämmerlich und ging zu den drei Unholden ›Hart‹, ›Schädling‹ und ›Dreikopf‹, fand sie und erzählte ihnen, wie sie mißhandelt worden sei, und sagte, der starke Rama weile mit seinem Bruder an dem Orte ›Menschenstätte‹.

Als die drei von Rama hörten, gerieten sie in Zorn und hießen kraftgeschwellte Krieger, vierzehntausend starke Unholde, sich rüsten, sie selbst schritten ihnen als Führer vorauf; schon zuvor hatte Ravana ihnen den Auftrag gegeben. Von der großen Heeresmacht gefolgt, kamen sie zur ›Menschenstätte‹, zornerfüllt, als sie Ravanas Schwester mit abgeschnittener Nase weinen sahen, den Leib mit Tränen verklebt. Als Rama das Heer der starken Unholde kommen sah, hieß er Lakschmana zurückbleiben, Sita zum Schutze, und ging den ausgesandten kraftgeschwellten Unholden entgegen. In einem Augenblick streckte er mit seinen feuerflammengleichen Pfeilen die vierzehntausend Unholde, das große Heer zu Boden, tötete ›Hart‹ und den starken ›Schädling‹, in großem Zorne fällte er ›Dreikopf‹ im Streit. Als er alle schlimmen Unholde getötet hatte, kehrte Rama wieder in seine Einsiedelei.

Schaufelnagel aber begab sich heulend zu Ravana. Als er seine Schwester mit abgeschnittener Nase sah, sagte der Bösgesinnte zu Maritscha, dem Sohne Tatakas, er wolle Sita rauben: ›Auf meinem Wagen, dem ›Blumigen‹, flieg' ich mit dir zur ›Menschenstätte‹; dort hältst du dich auf, wie ich dir heiße: du nimmst die Gestalt einer goldenen Gazelle an und sacht, sacht bewegst du dich, deine Rolle spielend, dahin, wo Sita weilt. Sie wird dich, Mutterbruder, als goldenes Gazellenjunges sehen und dich haben wollen. Sie wird Rama nach dir aussenden, und wenn er auf ihren Wunsch auszieht, dann lauf dahin durch den dichten wilden Wald. Um Lakschmana von Sita zu entfernen, läßt du den Schrei einer Stimme ertönen. Dann komm' ich selbst, meine Gestalt durch Maya verwandelnd, auf dem ›Blumigen‹ Wagen in Lüften einher und entführe Sita. Nach ihr steht mir der Sinn.‹

Als Ravana so sprach, gab Maritscha ihm zur Antwort: ›Geh' du allein, Bösewicht, ich gehe nicht mit dir. Schon ehemals bin ich durch Rama in Not geraten beim Opfer des Heiligen.‹ – Auf diese Worte Maritschas ward Ravana starr, er gerann vor Zorn und wollte Maritscha erschlagen. Da sprach Maritscha zu ihm: ›Eh' ich den Tod von deiner Hand empfange, Held, will ich lieber durch Rama sterben. Ich will mit dir gehen, wohin du mich führen willst.‹

Da stiegen sie auf den ›Blumigen‹ Wagen und begaben sich zur ›Menschenstätte‹; dort nahm Maritscha die Gestalt einer goldenen Gazelle an und begab sich dahin, wo Sita weilte. Als die ruhmvolle Sita das goldene Gazellenjunge sah, sprach sie unter der Gewalt der Dinge, die geschehen wollten, zu ihrem Gemahl: ›Fang das goldene Gazellenjunge, o König, dann hab' ich es in Ayodhya in meinem Palast zum Spielen.‹ Als sie so zu Rama sprach, hieß er Lakschmana zum Schutze Sitas dableiben und ging selbst der Gazelle nach. Von Rama verfolgt lief das Wild durch den Wald, da schoß Rama nach dem Gazellenjungen einen Pfeil. Mit dem Schrei: ›O Lakschmana!‹ brach Maritscha zu Boden, er nahm seine wahre Gestalt an, wurde groß wie ein Berg, und verendete.

Sita vernahm seinen Jammerlaut und sprach zu Lakschmana: ›Geh schnell, Lakschmana, mein Kind, dahin, von wo dieser Laut erscholl! Fürwahr, ich höre einen Jammerlaut deines großen Bruders – wahrscheinlich wird Rama in Not sein, so ahnt mir.‹ Auf diese Worte sagte Lakschmana zu der Untadeligen: ›Nirgends gibt es für Rama eine Not, nirgends Gefahr.‹ Als er so sprach, sagte Sita ein sträfliches Wort, das die Gewalt der Dinge, die geschehen wollten, ihr entriß: ›Du möchtest, wenn Rama tot ist, mich haben – darum willst du nicht gehen!‹ Dies unliebe Wort ertrug der Wohlerzogene nicht; der Königssohn zog aus, Rama zu suchen.

Ravana aber, der Böse, gewandete sich als wandelnder Bettelasket, nahte sich Sita und sprach zu ihr: ›Der edle Bharata ist aus Ayodhya angelangt, im Walde dort weilt der Herrliche und bespricht sich mit Rama. Rama schickt mich zu dir, besteige diesen fliegenden Wagen, denn Rama ist von Bharata gewonnen worden und kehrt nach Ayodhya heim. Das Gazellenjunge zum Spielen für dich hat er gefangen. Du leidest, so lange Zeit in der großen Wildnis zu leben, aber dein Gatte Rama mit dem strahlenden Angesicht hat die Herrschaft übernommen, und neben ihm Lakschmana, der Wohlerzogene – so steig auf diesen Wagen!‹

Als der Mächtige so sprach, ging sie mit ihm, er führte sie, und sie stieg auf den Wagen, wähnend, sie werde geholt. Der Wagen erhob sich und entflog geschwind in südlicher Richtung. Da ward Sita von großem Leid beklommen und klagte verzweifelt; der Unhold aber rührte sie nicht an, wie sie im Wagen hoch in den Lüften weinte. Da nahm Ravana riesigen Leibes wieder seine wahre Gestalt an; als sie ihn mit zehn Köpfen und dem Riesenleibe sah, klagte sie in großem Schmerz: ›Ha, Rama, nun bin ich betrogen von einem grausigen Unhold, der seine Gestalt verstellt hatte – rette mich!‹ so rief sie angstbeklommen. ›O Lakschmana, Großarmiger, ein böser Unhold – komm schnell und rette mich vor ihm! – entführt mich Unglückliche!‹ so jammerte Sita mit lautem Schall.

Der Geierkönig Jatayus hörte sie und eilte herbei: ›Bleib stehen, Ravana, du Bösewicht, gib die Prinzessin von Mithila frei, gib sie auf der Stelle frei!‹ so rief der heldische Jatayus und kämpfte mit Ravana. Mit beiden Flügeln schlug er ihn auf die Brust, und an den Schlägen merkte Ravana, ›er ist stark‹; mit Schnabelhieben und -bissen brachte er ihn in arge Not. Da brachte der Böse geschwind das große Schwert ›Lachen des Mondes‹ hervor, damit schlug er den frommen Jatayus zu Tode.

Wie betäubt stürzte Jatayus zur Erde nieder und sprach zum Zehnhalsigen: ›Verruchter, nicht du hast mich erschlagen, ich sterbe von der Kraft des ›Lachen des Mondes‹, elender Unhold! Wer anders als du, verblendeter Tor, könnte, eine Wehr in Händen, einen Unbewehrten erschlagen? Wisse, böser Unhold: Sitas Raub bringt dir den Tod! Rama wird dich erschlagen, böser Ravana, das ist gewiß!‹ – Weinend und schmerzerfüllt sprach Sita zu Jatayus: ›Weil du, herrlicher Vogel, um meinetwillen den Tod findest, wirst du durch Ramas Gnade zu Vischnus Welt eingehen! Du sollst so lange am Leben bleiben, bis Rama dir begegnet, großer Vogel!‹ so sprach sie zu dem herrlichen Vogel, löste sich die Schmuckstücke, die sie trug, vom Leibe, knüpfte sie flink in ein Tuch und warf sie mit dem Rufe ›Geht in Ramas Hände‹ trauervoll zur Erde.

Als er so Sita geraubt und Jatayus tödlich zur Erde gestürzt hatte, begab sich der schlimme Nachtjäger geschwind auf seinem ›Blumigen‹ Wagen nach Lanka und setzte die Prinzessin von Mithila in einen Hain von Aschokabäumen ab; er wies Unholdfrauen mit verzerrten Gesichtern an: ›Hier bewacht diese Frau‹ – und der Herrscher der Unholde begab sich in seinen Palast Und die Einwohner von Lanka besprachen sich im stillen untereinander: ›Zum Untergange unserer Stadt hat der Verruchte die Frau hierher gebracht.‹ – Von mißgestalteten Unholdsfrauen rings bewacht weilte Sita dort kummervoll und dachte nur an Rama; ganz von Leid und Gram erfüllt weinte sie viel.

Vier Affen, Diener des Affenfürsten Schönhals, fanden von ungefähr ihren Schmuck, den sie in ein Tuch geknüpft und abgeworfen hatte, sie nahmen ihn eilends und berichteten ihrem Herrn: ›Im Walde tobte ein großer Kampf zwischen Jatayus und Ravana.‹

Als Rama Maritscha, der ihm mit Maya genaht war, getötet hatte, begegnete er Lakschmana, der zufrieden war, ihn zu finden; er kehrte mit ihm zur Einsiedelei zurück – sah aber keine Sita. Da weinte der Raghuenkel schmerzbeklommen. Auch der kraftstrahlende Lakschmana weinte von tiefem Schmerz erfüllt. Rama geriet ganz und gar außer sich, weinte und wälzte sich am Boden. Lakschmana hob ihn auf, tröstete ihn und sprach die rechten Worte zu ihm: ›Gib dich nicht übers Maß der Zeit dem Kummer hin, Maharaja, erhebe dich geschwind, Sita nachzujagen, o Herr!‹ so sprach der edle Lakschmana zum König; der Leidgebeugte richtete den Leidgebeugten auf. Da ging Rama mit dem Bruder in den Wald, Sita zu suchen. Alle Wälder klärte der Raghuenkel und alle Berge und all die vielen Einsiedeleien von Heiligen auf Bergeshöhen, in Gras und Waldesdickicht. An Flusses Ufer, in Feld und Höhle suchte der Herrliche sie und fand sie nirgends. Da traf er in seinem argen Leid auf den erschlagenen Jatayus: ›Ach, Edler, wer hat dich geschlagen, daß es so jämmerlich um dich steht? Bist du tot oder lebst du? Nun wird das Maß meines Schmerzes voll, daß ich von der Gattin getrennt bin und dich hier so finden muß.‹ Kaum daß er so gesprochen hatte, hob der Vogel mühsam mit süßer Rede an: ›Vernimm, o König, mein Geschick, ich sage dir alsbald, was ich sah und tat. Der Zehngesichtige verlockte mit seiner Maya Sita, seinen Zauberwagen zu besteigen, und hat sie entführt; nach Süden gewandten Gesichts fuhr er durch die Luft dahin, und Mutter Sita jammerte schmerzlich. Ich hörte ihren Klageruf und eilte herzu, mit meiner Kraft Sita zu befreien. Ich war in heißem Kampfe mit dem Unhold, da schlug er mich mit der Kraft seines Schwertes. Durch Sitas Wort blieb ich hier am Leben – nun, da ich dich gesehen habe, will ich zum Himmel eingehen. Sei nicht traurig, Rama – König, gib jetzt dem Bösen mit seiner ganzen Schar, die dem Schoß der Vernichtung entsprang, den Tod.‹ Als Jatayus so zu ihm sprach, antwortete ihm Rama kummervoll: ›Heil sei dir, edler Vogel, der Weg zum Höchsten sei der deine!‹ – Da schied Jatayus aus seinem Leibe und fuhr gen Himmel, auf herrlichem Götterwagen, von Himmelsfrauen umhuldigt. Rama aber verbrannte seinen Leib, badete und gab ihm die Handvoll Wassers der Totenspende.

Schmerzerfüllt zog er mit seinem Bruder von dannen. Da traf er auf seinem Wege eine Unholdin, die, fürchterlich mit aufgerissenem Rachen, Feuerschein aus dem Munde spie und alle Geschöpfe vernichtete. Rama streckte sie in Zorn zu Boden und kam in einen anderen Wald, da sah er einen mißgestalten Dämon, den kopflosen ›Rumpf‹ mit langen Armen und mächtiger Brust. Der war von einem Heiligen verflucht, diese Gestalt zu tragen, in der er ihn hatte schrecken wollen, bis Rama ihm beide Arme abgehauen hätte. Er sperrte Rama den Weg; der schlug ihm beide Arme ab und verbrannte ihn nach seinem Willen in einer Grube. Als er aber verbrannt war, nahm er göttliche Gestalt an und sprach, erlöst vom Fluche, zu Rama: ›Rama, Rama, Großarmiger, du Edler hast meine Mißgestalt vernichtet, Held, die ich vorzeiten durch den Fluch des Heiligen erhielt. Zum dritten Himmel fahre ich auf, gesegnet bin ich durch deine Gnade fürwahr. Sita wiederzuerlangen, geh zum Affenkönig Schönhals, erzähl ihm dein Schicksal und verbünde dich mit dem Sonnensohn. Geh zum Berge Rischyamuka, dort weilt er.‹ So sprach er und hob sich hinweg.

Rama zog mit Lakschmana weiter und kam zu einer Einsiedelei, die war von den Heiligen, die dort gewohnt hatten, verlassen – sie hatten sich verklärt. Aber er fand eine Asketin, die dort hauste, verweilte und tauschte Reden mit ihr. Es war Schabari, sie gehörte zu jenen hohen Heiligen, die sich verklärt hatten, und hatte allen Makel an sich durch frommen Dienst getilgt. Sie wartete dem Herrscher Rama mit Jujubenbeeren auf, verehrte ihn und erzählte ihm von sich, ihr sei verheißen, seiner zu harren, und wenn sie ihn gesehen hätte, zum Himmel aufzufahren. ›Du wirst Sita wiederfinden‹, sagte sie, stürzte sich ins Feuer und fuhr gen Himmel. – Als Rama ihr gen Himmel geholfen hatte, ging der einzige Herr der Welt mit seinem tugendreichen Bruder von dannen, schmerzerfüllt über die Trennung von der Liebsten.

Der Affenkönig Schönhals lebte mit seinem Bruder Valin in Feindschaft. Er saß in seiner Burg, von fern sah er die beiden nahen und sprach zum Affen Hanumant, dem Sohne des Windes: ›Wer sind die beiden da? Sie führen schöne Bogen und tragen Kleider von Baumrinde und blicken auf den lotosbekränzten göttlichen Strom. Sie können vielerlei Gestalt annehmen und haben sich als Asketen verkleidet – es sind Späher Valins, die da kommen‹ – so schloß der Sonnensohn und sprang furchtgeschreckt vom Rischyamukaberge auf und floh mit all seinen Affen in einen anderen Wald zur herrlichen Einsiedelei des Agastya. Dort machte er halt und sagte wieder zum Sohne des Windes: ›Hanumant, verkleide dich als Asket und frage geschwind, wer die beiden sind, wessen Söhne und wozu sie hierher gekommen; erkunde die Wahrheit und sag sie mir, edler Sohn des Windes.‹

Auf sein Wort ging Hanumant zum herrlichen Ufer der Pampa; als wandernder Bettelasket verkleidet sprach er zu Rama und Lakschmana: ›Wer bist du, Verehrter, sag die Wahrheit! Wo kommst du, Edler, her in menschenleerer grausiger Wildnis, und was ist dein Vorhaben?‹ – Als er so sprach, antwortete ihm Lakschmana auf Geheiß seines Bruders: ›Verkünden will ich dir – merk auf! – Ramas Geschichte von Anbeginn an. Es war ein König Dascharatha, auf Erden weitberühmt, dessen ältester Sohn ist Rama, mein großer Bruder. Seine Königsweihe war im Gange, da ward sie von Kaikeyi aufgehalten. Des Vaters Geheiß erfüllend verließ mein Bruder mit mir und seiner Gattin das Reich und kam in den Dandakawald, den viele Heilige rings bewohnen. Als der edle Rama hier an der ›Menschenstätte‹ weilte, ward ihm seine Gattin von einem Bösewicht im Walde geraubt. Auf der Suche nach Sita ist der lotosäugige Rama hierher gekommen, und du hast ihn getroffen – damit ist seine Geschichte erzählt.‹

Als Hanumant, der Sohn des Windes, die Rede des edlen Lakschmana vernahm, faßte er Vertrauen und sprach unverschminkten Wesens: ›Du bist mein Gebieter!‹ Er tröstete Rama und geleitete ihn zu Schönhals und ließ beide ein Bündnis schließen. Der Affenkönig Schönhals setzte sich des Wesenwissers Rama Lotosfuß aufs Haupt und sprach liebliche Worte: ›Fortan bist du mein Gebieter, Herrscher der Könige, ich aber bin dein Diener fürwahr mit allen meinen Affen. Fortan soll dein Feind mein Feind sein, dein Freund mein wahrer Freund, und dein Leid soll meines sein. Deine Freude aber soll meine Freude sein!‹ So sprach er und fuhr fort: ›Mein großer Bruder, Valin mit Namen, ist gewaltig an Kraft und Mut. Der Verruchte hat, toll von Liebe, mir meine Gattin geraubt; außer dir, du Tiger unter den Männern, ist keiner imstand, Valin zu töten. Töte du ihn, großarmiger Rama, Held des Raghugeschlechts!‹ So sprach der Affenfürst, und Rama gab ihm zur Antwort: ›Ich will ihn töten, und wenn ich ihn getötet hab', will ich dir deine Gattin geben und Valins Königsmacht.‹

Da sagte Schönhals, der Valins Kräfte kannte, um sein eigenes Zutrauen zu stärken – dabei bat er Rama um Vergebung: ›Wer mit einem Schusse zumal sieben Talapalmen fällt, der wird Valin töten, so ist verkündet von Männern, die um Altüberliefertes wissen.‹ – Um ihm ein Liebes zu erweisen, durchschnitt Rama sieben große Bäume zumal mit einem einzigen Pfeile, den er nur zur Hälfte anzog. Als er die großen Bäume durchschossen hatte, sprach Rama zu König Schönhals: ›Geh und kämpfe mit Valin, aber mach zuvor ein Zeichen an deinem Leib, daß ich dich von ihm unterscheiden kann.‹ Da machte er sich ein Zeichen und rang mit Valin; Rama folgte ihm und durchbohrte Valin mit einem einzigen Pfeile, und der heldenhafte Valin fiel zu Boden und starb.

Dann setzte Rama den Sohn Valins, Angada, den zuchtvollen und kampflustigen, der vor Angst erzitterte, neben Schönhals zum Jungkönig ein und übergab ihn und Valins Gattin, Tara, dem Sonnensohne. Der gerechte lotosäugige Rama sprach zu Schönhals: ›Kümmere dich um dein Königtum der Affen und dann komm wieder und setze alles daran, Sita aufzufinden, Herrscher der Affen!‹ Auf diese Worte sagte Schönhals zu Rama und Lakschmana: ›Jetzt ist die große Regenzeit herbeigekommen: solange Indra regnet, können die Affen nicht durch die Wildnis streifen. Aber wenn der Regen vorüber ist, Herr der Könige, und der makellos klare Herbst gekommen, will ich die Affen als Kundschafter in alle Weltgegenden aussenden!‹

So sprach der Affenherrscher zum mondmilden Rama und neigte sich vor ihm; dann begab er sich mit Tara zur Stadt Pampa und gab sich mit ihr den Freuden der Liebe hin. Der edle Rama aber richtete sich nach Asketenbrauch in der großen Wildnis auf dem Gipfel des Berges Blauhals mit seinem Bruder zum Bleiben ein. Kaum aber daß die Regenzeit vorüber und der Herbst gekommen war, sprach der Raghuenkel bekümmert ob der Trennung von Sita zu Lakschmana: ›Schönhals hat die ausbedungene Zeit überschritten‹, und zornig fuhr er fort, der Bruder liebend zum Bruder gewandt: ›Geh, Lakschmana, der arge Affenfürst ist nicht gekommen, er sagte doch, als er ging: ›Wenn die Regenzeit vorüber ist, will ich mit vielen Affen zu dir kommen.‹ Geh schnell zu ihm und schaff den argen Affenfürsten herbei mit seinem Heer. Wenn er sich mit Tara den Freuden der Liebe hingibt, bring' ihn schnell zu mir! Will Schönhals nicht kommen, da er Fülle des Glücks erlangt hat, so sollst du dem Wortbrüchigen sagen: ›Der Pfeil, der Valin tötete, du Falscher, ist auch jetzt noch in meiner Hand; das bedenke, Affe, und handle nach Ramas Wort, das ich dir bringe!‹

So sprach er, und Lakschmana sagte: ›So sei es‹ und neigte sich vor Rama. Er begab sich nach der Stadt Pampa, wo Schönhals weilte, er sah den Affenkönig und sprach zu ihm: ›Versessen darauf, dich mit Tara zu vergnügen, hast du dich abgewandt von der Pflicht, du Narr, die du gegen Rama hast. Hast du deine Zusage ganz vergessen: ›Sita will ich aufspüren, wo immer sie sei, und sie dir geben‹? Wer außer dir, tückischer Affenfürst, wagte wohl den geringzuachten, der Valin tötete und dir die Königsmacht schenkte? Im Angesicht von Wasser und Feuer und den Göttern versprachst du Rama, dem die Gattin entrissen ist: ›Dein Verbündeter will ich sein, deine Feinde, König, sollen meine sein, und deine Freunde immerdar die meinen, wahrhaftig: ich will mit vielen Affen zu dir kommen, Sita zu suchen‹ – wer spräche so und handelte dann anders, wo es um König Rama geht, als du Böser, Falscher? Du ließest ihn das Seine tun, tückischer Affe – nun merk' ich, daß der großmächtigen allwissenden Seher Wort, die das Treiben der Welt kennen, auf dich paßt: ›Ich finde keinen in der Welt, der vergilt, was man ihm Gutes tat, denn jeder wechselt seinen Sinn, wenn für ihn geschah, woran ihm gelegen war; sieht das Kalb die Milch versiegen, läßt es die Mutter allein.‹ – Auch große Sünder, lehrt die Überlieferung, können ihre Schuld sühnen, aber für den Treulosen, der vergißt, was für ihn geschah, gab es bislang keine Sühne, du tückischer Affe. Darum sei nicht undankbar und besinn' dich auf deine Zusage! Komm, komm, suche Ramas Gunst, der die Guten beschirmt! Kommst du aber nicht, so vernimm Ramas Worte: ›Ich werde Schönhals ins Haus des Todes schicken, wie ich mit Valin tat; der Pfeil, mit dem ich Valin tötete, ist mir noch zur Hand.‹

Als Lakschmana so sprach, trat Schönhals, von seinem Kanzler beraten, aus seinem Palaste, verneigte sich vor Lakschmana und sagte zu ihm: ›Hab' Geduld mit mir, aus Unwissen hab' ich mich vergangen. Ich will mich nicht über die Zusage hinwegsetzen, die ich damals dem unermessen kraftstrahlenden König Rama gab; samt all meinen Affen will ich wahrlich jetzt mit dir zu Rama gehen, Königssohn! Und was Rama mich heißen wird, will ich alles auf mein Haupt nehmen und ausführen. Ich habe Helden unter meinen Affen, wenn es gilt, Sita aufzufinden, die will ich in alle Weltgegenden aussenden.‹ So sprach der Affenkönig Schönhals, und Lakschmana antwortete ihm: ›Komm schnell, wir gehen gleich zu Rama; rufe dein Heer an bärengleichen und flinken Affen zusammen – wenn Rama sie sieht, wird er sich freuen.‹

So sprach der heldenhafte Lakschmana, Schönhals aber bedeutete den Jungkönig Angada, der ihm zur Seite stand, daß er hinausging und zum General und den Anführern der Heerhaufen sprach. Auf ihr Rufen sammelten sich große und kleine Affen zu Myriaden – Affen, die in Häusern leben, auf Bergen und auf Bäumen. Mit diesen Affen, die, groß wie Berge, voll gefährlichen Mutes ausschritten, kam Schönhals schnell zu Rama und bezeigte ihm seine Verehrung. Auch Lakschmana verneigte sich vor dem Bruder und sprach: ›Sei Schönhals gnädig, o König, ich hab' ihn wieder zum rechten Verhalten geführt.‹

Auf dieses Wort des Bruders sprach der Raghuenkel zu Schönhals: ›Tritt näher, Schönhals, großer Held, Heil sei mit dir!‹ Schönhals vernahm sein Wort und sah den König gnädig gesinnt, da hob er die hohlen Hände an sein Haupt und sprach zu Rama: ›Heil wird mit mir sein, o König, wenn die Königin Sita wieder in deinem Besitz ist, wenn ich sie gefunden und dir wiedergegeben habe – sonst aber nicht.‹

So sprach er, da neigte sich Hanumant, der Sohn des Windes, vor Rama und sprach zum Affenfürsten Schönhals: ›Hör mein Wort: Der König ist in tiefem Leid, ob der Trennung von Sita ißt er nichts, nicht einmal Früchte und andere Fastenkost. Von seinem Leid ist auch Lakschmana ständig voll tiefen Leides. Der jüngere Bruder Bharata hat vernommen, wie traurig es um die beiden steht, und ist auch voll Leid. Ob seinem Leid ist sein Volk in Leid versunken. Darum mach' dich auf, Sita zu suchen.‹ – Als Hanumant so gesprochen hatte, verneigte sich der strahlende Jambavant vor Rama und sprach, geschmeidigen Rates voll, zum Affenkönig das geschmeidige Wort: ›Wisse, es ist so wie der Sohn des Windes sagte. Wo immer Sita, Ramas ruhmreiche Gattin, weilen mag, da ist die herrliche Tochter Janakas von Videha dem Gatten treu, auch jetzt voll rechten Wandels – so sagt mir mein Geist. Denn niemand auf Erden vermag Sita in ihrem reinen, schönen Sinn zu überwältigen. Schönhals, sende alsbald die Affen aus!‹«

 

Wer in den Wald geht, dem begegnen die Tiere des Waldes. Es gerät aber jeder in den Wald und muß durch ihn hindurch: hineinverstoßen, wie vertriebene Könige Indiens ihre Ohnmacht im Dschungel bergen, oder verbannt, das Schicksal erhobenen Hauptes auf sich nehmend, wie der Gottmensch Rama tat, oder aber, wie die meisten Menschen auf dem Lebenswege unversehens hinein verfangen: »Auf der Mitte des Weges unseres Lebens fand ich mich wieder, fand mich in einem dunklen Walde, denn der rechte Weg war mir verlorengegangen«, mit diesen Worten hebt Dantes Wanderung durch Hölle und Läuterungen zu den höheren Sphären der Erkenntnis und des Anschauens Gottes an. Und das erste, dem er verirrt in weglosem Dickicht begegnet, sind die Tiere: der gescheckerte Pardel der Sinnlichkeit, der brüllende Löwe des Machttriebs und die hagere Wölfin des Geizes – drei Gestalten des triebhaft Dämonischen der eigenen Tiefe; in der Mitte seines Lebensweges wird er ihrer erstmals in ihrer ganzen Gefährlichkeit ansichtig, dazu ist er jetzt tief genug ins Dickicht seiner Seele, seines Lebens hineingelangt.

Dante begegnet den Tieren, die in ihm wie in jedem sind, weil sie Tiere der Wildnis sind, die jeder in sich trägt; man muß sich nur selbst in ihr wiederfinden, um ihrer ansichtig zu werden. Der Inder geht nicht nur bildlich in den Wald: in inneren Gesichten wie Dante, oder in Träumen, die uns beziehungsvoll umfangen, der Wald hat seinen Platz in der Tagwirklichkeit des Inders als besonderer Abschnitt seines sakramental geordneten Lebensganges. Dieser Platz liegt hinter der Mitte des Lebens, wenn es entschieden am absteigenden Ast seiner Bahn angelangt ist. Die Kindheit meint Lernen und Gehorchen, im zweiten Lebensstadium ist man Familien- und Hausvater, das Ackerfeld des Lebens wird in Ehe und Erwerb bestellt und abgeerntet; wenn seine Frucht – Kinder und Unterhalt – eingebracht ist, kommt das dritte Lebensalter als erste Hälfte des absteigenden Astes: der Verzicht auf Heim und Welt, der Gang in den Wald zum Stande des »im Walde Weilenden« (vana-prastha). Die Söhne sind herangewachsen, haben Frauen bekommen und übernehmen in Unterhalt und Fortpflanzung der Familie die Rollen des Vaters mit frischeren Kräften; für den Alternden ist im alten Lebenskreise nur schlechtere Wiederholung des schon Geleisteten möglich: ein immer Leererlaufen des Gewohnten. Hat er die Lebensmitte überschritten, soll er abdanken, sein Rückzug aufs Altenteil ist der Gang in den Wald. Mit Opfern, die er jahraus, jahrein brachte, hat er den Göttern genügt, mit Söhnen, die er zeugte, dem Anspruch der Ahnen, mit Arbeit dem Fortbestand der Seinen – jetzt sollen seine Söhne weitertreiben, was in ihm sinnärmere, kraftlose Wiederholung wäre. Nach der bewußten Erfüllung aller Pflichten kommt der neue, zweite Gang ins Unbewußte, dem er sich, der Kindheit entwachsend, entrungen hat; aus dem gehegten, wohlgepflegten Fruchtfeld sozial verbundenen Daseins in Familie, Dorf, Gilde geht der Gang ins Unbeschwerte, Losgelöste: in Wildnis und Einsamkeit.

Die Stadien der Kultur bedeuten eine mähliche Loslösung des Menschen aus unbewußter Naturhaftigkeit zu steigender menschhafter Bewußtheit; Verbauerung und Verstädterung bezeichnen nacheinander Stufen dieser Entwicklung; Rama mit dem Beil, Holzhauer und Einsiedel, ist im Walde zu Haus, Rama, der Genius des Pfluges, feiert sinnbildlich die dörfliche Stufe, sosehr die Abwandlung seiner Geschichte ihn schon in Stadt und Hof verpflanzt hat; mit Krischnas Hofleben und Herrschertum in burghafter Residenz erreicht der Gottmensch die Stufe der Verstädterung. Aber der Inder ist nicht wie der Europäer (schon in der Antike) endgültig verbauert und verstädtert, unausrottbar umzieht Dschungelwildnis Fruchtland und Stadt, bereit, ihr Ausgegrenztes wieder in sich zu schlucken. Rückkehr zur Natur – bei uns Erholung in Bergen und am Meer – bedeutet Heimkehr zu primitiverer Lebensform, Entspannung in unbewußterem Dasein, Belebung der tierhaften Tiefe am vermenschten Geschöpf. Was bei uns therapeutische Romantik ist: »Zurück zur Natur«, und nur gemeint, um im Rückgang auf die frühe Stufe neue Kräfte zu sammeln zur Bewältigung der komplizierten Anpassungen, die eine spätere von uns fordert, ist in Indien Gebot der zweiten Lebenshälfte. Aus dem Walde sind wir gekommen, haben aus der Wildnis Dorf und Stadt gemacht, aber der kreisende Rhythmus des Lebens will abbauen, was er aufgebaut hat: darum zurück in den Wald! Aus dem Umhegten und Gefügten, Erackerten zurück ins Preisgegebene, Schweifende, darbend Beschenkte! Das Abscheiden aus der Menschenwelt im Heimgang zur Wildnis ist die Vorstufe zum Abscheiden aus dem Leben ins Ungreifbare der Toten. Das Geborgensein in der Preisgegebenheit, das die Wildnis lehrt, ist die natürliche Schule der Loslösung vom Ich und den Gütern des Lebens, zu der die Alternden reifen sollen. Wer die Lehre des Waldes begreift, den heimelt sein Unheimliches an: das Dickicht mit dem unbestimmten Chor lockender drohender Stimmen, er ist in der Einsamkeit geborgen, die vielstimmig zu ihm spricht. Der Rigveda hat ein Lied an die Waldfrau, die Herrin der Waldeinsamkeit, die Mutter der Wildnis:

»Waldeinsamkeit, Waldeinsamkeit,
Was birgst du dich in Busch und Hang?
Ist dir der Weg zum Dorf zu weit,
Wird dir allein im Wald nicht bang?

Gezwitscher spinnt das Grün entlang
Und dumpfes Brüllen dröhnend hallt:
Waldeinsamkeit, mit Zimbelklang
Und Pauken fährst du durch den Wald.

Wie Kühe schimmert's auf der Halde,
Und wie ein Haus winkt es uns zu,
Wie Wagen knarrt es nachts im Walde,
Waldeinsamkeit, sag: das bist du?

Es klingt, als riefe wer sein Vieh
Oder als fällten sie einen Baum,
Als ob nachtschlafen einer schrie,
Waldeinsamkeit, bei dir im Traum.

Waldeinsamkeit hält wohlgeborgen,
Wer friedvoll weilt in ihrer Welt,
Sie beut ihm süße Frucht am Morgen,
Schlaf zur Nacht, wo es ihm gefällt.

Die salbenduftend, duftumschwungen,
Ohne Pflug Frucht spendet alle Zeit,
Dir habe ich mein Lied gesungen,
Waldeinsamkeit, Waldeinsamkeit.«

Die alte indische Lebensordnung legt Wert darauf, dem Menschen eine gute Beziehung zum Walde zu erhalten, die Bewußtseinskultur Europas hat diese Nabelschnur vertrocknen lassen, und seine Zivilisationsstufe der Verbauerung und Verstädterung kennt nur mehr Forste, Gehege, Naturschutz-Enklaven. Darum fühlt sich der Stadtpatrizier Dante aus den steinernen Gassen von Florenz im dunklen wilden Walde ganz verirrt und begegnet in seinem Dickicht lauter Bestien, ihr furchtbarer Anblick läßt ihn völlig verzagen, den Ausweg nach oben je zu finden, die Gnade und die Liebe muß aus Himmelswelten sich seiner Not annehmen und ihm den Mentor schicken, der ihn leitet: Vergil. Der indische Held bedarf eines solchen Mentors nicht, er ist im Walde daheim, die Wildnis wird unter seinem Blick und Schritt beglückendes Idyll. Er ist auch nicht allein, der Genius seines Herzens, die Gattin, ist bei ihm; und wenn sie ihm entrissen ist, steht ihm sein anderes Ich, sein kleinerer Halbbruder, aus gleichem Stoffe gebildet, wachsam und tröstend zur Seite. Überhaupt ist er, den Schrecken der Wildnis preisgegeben, zugleich immer in »bester Gesellschaft«: auf Schritt und Tritt begegnet er Heiligen in ihren Einsiedeleien, und sie begrüßen den Prinzen in Asketentracht als ihresgleichen. Der Heilige Agastya schenkt ihm wunderbare Waffen, die Heilige Schabari, die, schon verklärt, zum Himmel auffahren könnte dank ihrer in Askese errungenen überirdischen Reinheit, erwartet den verheißenen Gottmenschen, wie jener fromme Simeon bei Jesu Darbringung im Tempel, von dem es im Evangelium heißt: »Ihm war eine Antwort worden von dem Heiligen Geist, er sollte den Tod nicht sehen, er hätte denn zuvor den Gesalbten des Herrn gesehen.« Ehe sie sich in die Flamme wirft, die sie gen Himmel entführt, grüßt sie den Helden mit der Verheißung, er werde Sita wiederfinden; aber der gleiche Trost klingt ihm als Rat auch aus dem Munde des Ungeheuers »Rumpf« entgegen, das er vom Fluche seiner Mißgestalt erlöst hat. Ein herrlicher Vogel entbietet sich, sein Liebstes zu bewachen und opfert sein Leben im Kampfe dafür.

Freilich, auch Ungeheuer begegnen ihm auf Schritt und Tritt – ohne sie wäre es ja nicht der wilde Wald. Seine Begegnungen mit ihnen wie mit den Tieren verlaufen anders als bei Dante, er besteht sie furchtlos und fraglos. Die Unholdin »Schaufelnagel« naht ihm als Versuchung sinnlicher Lust; zerfleischende Gewalt in Liebreiz gewandet, ist sie das vollkommene Sinnbild der Untergründigkeit der Sinnendämonie. Der Unhold mit schwarzem Leib und roten Augen ist leibhaft Schreck und Grauen. Aber Rama überwindet alle Schrecken der Wildnis, ja, er erlöst sie exorzisierend von ihrem Fluche, Ungeheuer sein zu müssen, er entzaubert das Höhere aus ihnen, das im Banne ihrer wüsten Maske gefangenlag, und er weiß im vorhinein, daß ihr bleckendes Grauen nichts über ihn vermag. Beim Dämon »Rumpf« ist das Dämonische im Banne seiner eigenen Bosheit und Wut und will erlöst sein: Bosheit ist Selbstbesessenheit. Rama kommt zu ihm als der verheißende Erlöser wie zur verwunschenen Ahalya. Freilich gibt er sie nicht billiger als um den Preis des Todes mit einem sieghaften Gnadenstreich, aber der eben ist die Gnade und bringt im Tode die alchymische Verwandlung zuwege, die den Verwunschenen verklärt. So ist ja auch der Tod der Arzt verfehlter Leben, Zerbrecher vieler Bande, Befreier von den Grenzen und unüberwindlichen Unzulänglichkeiten der jeweiligen Individuation. Und wird darum wie Rama gesegnet, wenn er sein mitleidlos barmherziges Werk schmerzhafter Befreiung vom Banne an ein dämonisches Dasein übt.

Was bringt der Wald: Versuchungen, Drohungen, gesegnete Waffen und Verheißungen und die Hilfe der Tiere – Begegnungen ohne Zahl. Aber wer rein wie Rama ist, braucht den Wald und seine Schrecken nicht zu fürchten, sowenig wie die Welt draußen, die das Abbild seines Dunkels im Licht des Menschentages ist. Nur wer wie Rama angelegt ist: als ein Ganzer und bestimmt, sich ganz zu vollenden, wird überhaupt ihnen allen begegnen und sie bestehen in Abwehr, Überwindung, Segnung und Bündnis. Weil Rama groß ist, begegnet ihm das alles; allein dem zu hohem Schicksal Erwählten fällt das Schwere zu, von Schatrughna, dem kleinen schicksalslosen Halbbruder, ist in keinem Sinne etwas zu vermelden. Begegnungen sind Einweihungen, mindestens birgt jede von ihnen die Möglichkeit dazu in sich. Aber nur der Berufene ergreift sie.

Der Mythos psychologisiert das nicht wie der moderne Roman, er sagt nicht, was Rama bei alledem empfindet und erfährt, was er an diesen Begegnungen gewinnt, wie sie ihn wandeln. Er psychologisiert nicht, er symbolisiert, und setzt dabei ein Vermögen unmittelbaren Begreifens im Hörer voraus, das den meisten heutigen Menschen abgeht. Sie bedürfen der Deutung, um hintennach zu verstehen, was der alte indische Hörer, im Mythischen schwimmend, alsbald empfand, wenn ihm Bericht und Bild geboten wurden. Er empfand es, ohne es sich zu sagbarer Bewußtheit zu erheben, ohne ein Gegenüber zu deuten. Von seinem reinen Daraufhinschauen, das ist: von seiner »Intuition«, wurde es unmittelbar verschluckt und einverleibt: das Mythische im Ohr zum Mythischen im Herzen.

Aber den Helden, der allem gewachsen ist, überfällt der schlimmste Verlust: Sita wird ihm geraubt. Das Unholde, das zu bekämpfen der Gottmensch ins Leben trat, langt ins Innerste seines Lebens. Sita ist das Idealbild der indischen Frau. Die vollkommene Gattin fürchtet den Schlummer ihres Herrn zu stören, der, seinen Kopf in ihrem Schoße, ruht, sie rührt sich nicht, auch wenn ein böser Vogel ihre Brust zerfleischt. Sie duldet klaglos das Leid der Verbannung, die Not der Wildnis, denn ihr Platz ist zu den Füßen ihres Mannes. Aber bei all ihrer ergebenen Liebe kennt sie den Herrn ihres Herzens so wenig in seinem Kern, daß ihr Weibssinn und ihr geheimes Wünschen der Vorspiegelung Glauben schenkt, er könne, ehe die Zeit erfüllt ist, zu Reich und Thron heimkehren. Eine läßliche Irrung, so scheint es, und wie bitter muß sie sie büßen! Augenscheinlich genügt es nicht, die schweren Forderungen des Lebens pünktlich zu erfüllen, ohne daß man sich mit ihrem Sinn durchdringt. Erfüllen und Dulden genügt nicht, auch die geheimen Wünsche, die es anders meinen, das Ich, das sich im stillen noch nicht darein ergeben hat, sein stummer Anspruch: sie alle wollen auch noch überwunden sein.

Der Inder hat viel Sinn für Opfer, für stumme und selbstverständlich gebrachte, von denen keiner weiter Notiz nimmt; sie sind der dunkle Einschlag im Gewebe jedes Lebens: lautlos einsame Opfer, von jedem an seiner Stelle des Lebensganges immer wieder gebracht, wenn er als Vater, Gattin, Kind sein Liebstes darbringt, sich selber hinschenkt oder ablöst. Daher sind Rama und Sita die volkstümlichsten Gestalten Indiens: unschuldig leidend und aufgeopfert, opferbereit und ohne Empörung, wenn ihnen geschieht, was von der Welt abzuwehren der Gottmensch in sie getreten ist, und was ihr Tägliches ist: Unrecht.

Unschuldig leiden, ohne zu verzweifeln, ist Indien in sich selbst gewohnt, in dieser Gefaßtheit jenseits sich selbst auflösender Wut und Selbstpreisgabe wie tauber Erstarrung liegt die Stärke seines uralten Rassengemischs, das mehr erlitten hat, als es erinnern kann, das Völkerstürme mit Triumph und Untergang in sich erfuhr, ehe überm europäischen Theater der Vorhang des geschichtlichen Schauspiels sich teilte. Lange harren können in scheinbarer Aussichtslosigkeit, ohne Selbstvorwürfe, Beschuldigungen anderer oder Anklagen wider das Schicksal, ist indisch. Darin lebt eine ausgeprägte natürliche Würde gegenüber Aberwitz und Tücke des Schicksals, tierhaft weiser und von härterer Geduld als die denkerisch anerzogene Gefaßtheit des stoischen Weisen, insektenhafter und engelhafter zugleich: »Seelenkraft« – nach Gandhis Wort – als Waffe der Unbewehrten.

Rama wird von allem entblößt: das ist der Gang seiner Geschichte. Diesem Schicksal standzuhalten, in ihm sich unerschütterlich und tätig, frei von Trotz wie Verzweiflung zu bewähren, ist der vorbildliche Sinn seiner Gestalt. Er hat das Vertrauen, das nicht fragt, den Glauben, daß er in einer Ordnung steht, die ihm wohl Schwerstes auferlegen mag, aber ihn nicht wirklich ins hodenlose Nichts des Unsinns fallen lassen kann: er trägt ja diese Ordnung selber in sich als sein Wesen und strahlt sie mit jeder Erfüllung ihrer Gebote in die Welt.

Die Unschuld des Kindes, das noch in sich selber magisch-dämonisch ist, war in Rama den Dämonen ringsum gewachsen, weil sie die Unschuld eines Wesens war, das von Natur berufen ist, zeitlebens frei von Schuld zu bleiben, unverstrickt ins triebhaft Dämonische der eigenen Person. Rama braucht in sich selbst nichts Niederes als herrschend anzuerkennen und kann darum nicht verzweifeln, wenn das Unholde der Welt ihn mit scheinbarer Allmacht anfällt; er trägt die ideale Ordnung des Kosmos wie der Menschenwelt in seiner Brust: das bannt das Chaos ringsumher und ruft die abenteuerlichsten Kräfte zu wunderbarer Hilfe auf. Seine heldischen Taten, die mit Dämonen aufräumen, alte Verwünschungen lösen und in Segensworte wandeln, sind der selbstgenugsame, hellstrahlende Widerschein der in ihm wirkenden Selbstbezwingung. Ohne ihre fortlaufende ideale Linie bräche seine Zauberkraft dämonenbannender Tat im Nu zusammen.

Unter allen indischen Heldengestalten verdient Rama am ehesten den Namen des »göttlichen Dulders« – aber alles, was ihn von Odysseus trennt, bezeichnet den ganzen Gegensatz griechischen und indischen Wesens. In der Entblößtheit von allem, was den Sinn seines Lebens bildet, befällt ihn tiefe Ohnmacht: wie soll er Sita wiedergewinnen, die eine unbekannte Gewalt entführt hat? In welcher Ferne sie suchen? Auf Odysseus' Irrfahrt durch die Wildnis der Welt voll Schrecken und Ungeheuern, in die ihn Poseidons Zorn fern von Frau und Königreich verbannt hat, sind es immer wieder übermenschliche Frauen, halbe Göttinnen, die der Zauber seines Wesens zwingt, ihm weiterzuhelfen: die magische Kirke, die meerische Leukothea, schließlich die Königstochter der göttergleich leichtlebenden Phäaken und ihre gebietende Mutter – bei Rama sind es die Tiere der Wildnis. Der Geierkönig läßt sein Leben, um Rama das Herzstück seines Lebens zu retten, mit seinem letzten Hauche weist er ihm die Fährte der Entschwundenen, und die Affen bringen ihm wirklich Hilfe.

Mit den Menschenaffen, denen die zwei Menschenhelden ihresgleichen dünken: verkappte Späher des feindlichen Affenfürsten, berührt der Ramamythus seinen urzeitlichen Grund: die Epoche des vorderindischen Kontinents, wo seine Wälder, mindestens im Vindhyagebirge, noch von Menschenaffen, »bärengleichen, groß wie Berge«, gewimmelt haben müssen, wie sie der Urwald hinterindischer Inseln heute noch birgt: die Orang-Utans, die »Wald-Menschen«. Noch im Sanskrit der später eingewanderten Arier heißt der Affe »vanara«, das ist der »Waldmensch«, zusammengeflossen aus »vana-nara«. Mit den Affen berührt der Ramamythos seinen alten vorarischen Ursprung aus indischer Erde, jene Sphäre beiderseits des Wendekreises, deren südliche Tier- und Pflanzenwelt den aus Norden einwandernden Ariern fremd war. Der eingesessenen dunkleren Bevölkerung des indischen Altertums sind die Menschenaffen brüderlich vertraut, Waldbewohner und Waldaffe finden sich im gleichen Kummer zusammen. Der Affenfürst Schönhals teilt ja das Schicksal des Menschenprinzen: er hat sein Reich verloren, und seine Gattin – sein anderes Ich: Kraft und Trost – ist ihm geraubt. Aber in all seiner Ohnmacht und Not hat Rama immer noch selbstlose Kraft, anderen zu helfen; das hilft ihm selbst.

Wie die Ameisen oder Bienen im Märchen dem feinen Kinde, das ihnen selbstlos und achtsam aus der Not geholfen hat, ihrerseits zu Hilfe kommen, wenn es vor den unlösbaren Aufgaben zu versagen droht, die eine tückische Macht ihm gestellt hat und die es zum Heile vieler zu lösen gilt, um die Welt vom Banne dieser Macht zu erlösen – wie diese Winzigen und Geringen dem Kinde, das ihnen hold war, mit ihrer tierischen Geschicklichkeit das Unmögliche bewältigen helfen, so fliegen die Affen für Rama als seine Späher und Boten durch weite Räume, so bauen sie ihm die Brücke übers Meer zur fern unnahbaren Insel und helfen ihm, ein kampflustiges Heer, das Heer der Unholde, bezwingen.

Es geht nicht ohne die Tiere, der Wald in uns muß uns beistehen gegen die Unholde, die verlarvt dahersausen, Zauberwaffen führen und die wehrlose Welt bedrängen – ohne die Tiere sind Heldentum und Reinheit ohnmächtig. Wenn der Mensch sich selbst entrissen wird, wenn er grausam und unversehens der Hälfte seiner selbst, seiner weiblichen Seele, beraubt ist, wenn das liebste Traumbild unserer Seele, ihre innigste Wirklichkeit, uns genommen ist, und eine Wiedervereinigung mit diesem inneren Lichte unseres Lebens mehr als fraglich scheint, helfen nicht die Götter – ihnen zu helfen ist ja Rama gekommen, denn das obere Prinzip der Welt ist ja gerade entmachtet durch die Unholde – helfen nicht die Menschen, auch nicht der Bruder, das verkleinerte Double aller bewußt geübten Tugenden, aber die merkwürdigen Affen helfen: das geile, vergeßliche Geschlecht, das animalische Double unserer Menschengestalt, das uns verspottet, wenn wir uns unserer höheren Artung bewußt sein wollen und uns auf unsere Distanz zum Tierhaften etwas zugute tun. Die haarige Karikatur des Menschen mit dem Ausdruck unergründlichen Tiefsinns im Gesicht, der den meisten Menschen unerreichbar bleibt, unser animalisches Konterfei, neckend, reizbar und gleichmütig-hilfsbereit, sind sie der wahre Genius unseres inneren Waldes, sein sprechendes Symbol. Anschlägig, feurig und nimmermüde sind sie den Unholden gewachsen an Verschlagenheit und Tücke, an krallender, zähnefletschender Wut. Einmal auf die Spur gesetzt, sind sie kühn und heldisch in ihren Sprüngen, sie eilen voraus und drängen nach, und ihre Zahl ist Legion wie das Heer der Unholde. Sie sind der wahre Trost, in völliger Ohnmacht nicht allein zu sein. In ihrem Gewimmel steht der Wald leibhaftig auf und wimmelt über das Meer.

»Wie er so sprach, freute sich der Affenfürst Schönhals und befahl den Affen, Ramas Gattin gen Westen zu suchen, Myriaden Affen befahl er, Sita im Norden zu suchen, anderen Affen befahl der kraftstrahlende Affenkönig, Ramas schöne Gattin im Osten zu suchen – so gab er den Affen Auftrag. Zu Angada, Valins Sohne, aber sprach der kluge Schönhals: ›Geh' du gen Süden und suche Sita; Jambavant, Hanumant, Mainda und Divida, der ›Blauschwarze‹ und andere Affen groß an Kraft und Mut werden dich auf deinem Gange begleiten, die ruhmreiche Sita werdet ihr geschwind nach Stand und Gestalt, zumal nach ihrem Wesen, erkennen. Find' heraus, wer sie entführt hat und wo sie weilt, dann komm wieder, mein Sohn!‹

Als der gewaltige Affenfürst, sein Vaterbruder, so zu ihm sprach, erhob sich Angada geschwind und nahm sein Geheiß aufs Haupt. Da hieß Jambavant die übrigen Affen beiseite treten, und der Geschmeidige sprach abseits zu Rama und Lakschmana, Schönhals und Hanumant geschmeidige Worte: ›Hört mein Wort zur Suche nach Sita, und wenn es dir gefällt, Königssohn, so greif es auf: Ravana hat die Arme von der ›Menschenstätte‹ entführt, Jatayus sah sie und kämpfte mit allen Kräften um sie, er sah, wie sie ihren Schmuck zur Erde warf, den fanden wir und haben ihn Schönhals übergeben. Entnimm, o König, aus Jatayus Wort, daß all dies wahr ist. Also Ravana, der großarmige Unhold, hat Sita entführt, und sie befindet sich auf Lanka. Dort weilt sie, dort gedenkt sie deiner und ist durch dein Leid um sie in tiefes Leid versenkt. Auch dort wahrt Janakas Tochter voll Eifers reinen Wandel; allein dein Bild vor ihrem innern Auge gibt der Holdseligen die Stärke, ihre Lebenskräfte festzuhalten, aber fast ganz und gar ist die Fürstin Sita nichts als Leid. Ratsam war es, o König, und möglich, übers Weltmeer hinwegzusetzen; dem Sohne des Windes, Hanumant, solltest du den Auftrag dazu geben! Auch du, Schönhals, solltest ihm den Auftrag geben, denn außer bei Hanumant wird sich bei keinem Affen die Kraft finden, übers Weltmeer zu gehen – das ist meine Ansicht. Handelt schnell nach meinem Wort, glückbringend und wegsam ist es uns immer.‹

Auf diesen Rat Jambavants, in knappen Worten vorgetragen, erhob sich schnell der Affenkönig von seinem Sitze, trat zum Sohne des Windes und sprach zu ihm: ›Held Hanumant, Sohn des Windes, höre mein Wort: Dies ist der kraftstrahlende König Rama, Stirnzeichen des Geschlechtes Ikschvakus. Er nahm den Befehl seines Vaters auf sich und kam mit Gattin und Bruder in den Dandakawald, leibhaftig ganz der ewigen Sittenordnung genügend. Er ist das Wesen des Alls, Herrscher aller Welt, Vischnu in Menschengestalt. Ihm hat jener tückische Böse die Gattin geraubt, und leidbeklommen ob der Trennung von ihr sucht er sie von Wald zu Wald. Du bist dem herrlichen Helden schon früher begegnet, du trafest ihn und schlössest unseren Bund; er hat meinen Feind, den starken Valin, getötet, mit seiner Gunst hab' ich jetzt die Königsherrschaft erlangt. Und ich versprach, ihm als Verbündeter zu helfen; dieses Wort will ich wahr machen dank deiner Kraft, Sohn des Windes. Schwing' dich über das Weltmeer, Held, und besuche Sita, die Makellose. Außer dir hat sonst kein Affe die Kraft, übers Meer zu gehen; du Edler verstehst dich auf den Auftrag deines Herrn, du bist stark, geschmeidig und geschickt zum Boten werke.‹

Als der großmächtige Schönhals so zu ihm sprach, antwortete Hanumant: ›Wie täte ich solches nicht für meinen Herrn – was sprichst du da?‹ So sagte der Sohn des Windes, und der großarmige Rama, die Augen voll Tränen, sprach, Sitas gedenkend, von tiefem Leid beklommen – der Feindbesieger sprach, wie das Schicksal gebot: ›Schönhals legt dir die Last auf, übers Weltmeer zu gehen und andere Gefahren zu bestehen; er selbst soll bei mir bleiben, Edler – du aber, Hanumant, entschließe dich und geh dorthin, mir zuliebe und aus Liebe zu deinen Verwandten, besonders aber um Schönhals' willen. Gewiß ist meine Gattin, Janakas Tochter, von dem Unhold entführt, darum geh, Held, dorthin, wo Sita sich befindet. Vielleicht wird sie dich fragen, wem ich gleichsehe, und will in allem wissen, wie ich aussehe, darum schau mich und auch Lakschmana gründlich an, auf daß du alle Zeichen unserer Leiber ganz wissest, denn sonst wird Sita dir kein Vertrauen schenken – das ist mein Gedanke.‹

Auf diese Worte Ramas erhob sich der starke Sohn des Windes, trat vor ihn hin und sprach, die hohlen Hände ehrfürchtig erhebend: ›Ich kenne alle Zeichen, zumal die euren; ich gehe jetzt mit den Affen, du aber betrübe dich nicht. Gib mir aber noch ein anderes Erkennungszeichen, auf das deine Fürstin Sita mir vertrauen kann, lotosäugiger König!‹ So sprach der Sohn des Windes, und Rama zog einen Ring vom Finger, der die Zeichen seines Namens trug, und gab ihm den. Hanumant nahm ihn, umkreiste Rama, Lakschmana und den Affenkönig in verehrendem Schreiten, dann schwang er sich mit einem Satze in die Luft.

Als Schönhals hörte, die Affen seien zum Aufbruch bereit, gab er ihnen seine Befehle, die sie, keck vor Kraft, erwarteten: ›Hört, all ihr Affen, mein Geheiß, das ich euch sage: Haltet euch nicht auf bei Bergen und Tälern, geht stracks eures Wegs, und wenn ihr die makellose Gemahlin Ramas, die Herrliche, gefunden habt, kommt wieder! Ich werde hier bei Rama bleiben. Sonst laß ich euch Ohren und Nasen abschneiden!‹

Mit diesem Befehl sandte der Affenkönig die Affen aus. Die aber gingen nach allen Himmelsrichtungen, auf alle Höhen und Häupter der Berge, an die Ufer aller Flüsse und in die Einsiedeleien der Heiligen, in alle Schluchten, Wälder und Wäldchen, zu Bäumen und Dickicht, zu Höhlen und Felsen, westwärts zu den Hängen des Sahyagebirges, ostwärts zu den Flanken des Vindhyagebirges und des Meeres, gen Norden ins Himalayagebirge und in die Lande, wo die Halbmenschen hausen – in alle Menschenlande gingen sie und in die sieben Schichten der Unterwelt; in die Länder der Mitte gingen die Starken und nordwärts hinauf bis Kaschmir; in alle Lande des Ostens: nach Kosala und Assam, zu allen Wallfahrtsstätten und der Küste des Westens. Aber nirgendwo sahen sie Sita. Da kehrten sie um. Sie kehrten heim und neigten sich zu Füßen Ramas und Lakschmanas, zumal aber vor Schönhals: ›Wir haben die lotosäugige herrliche Sita nicht gesehen‹, sagten sie und standen wartend.

Da sprach der Affenherrscher zum traurigen Rama: ›Sita wird sich im Süden befinden, in der Wildnis, und der kluge, löwengleiche Sohn des Windes kann sie dort erblickt haben. Hanumant wird wiederkommen und Sita gefunden haben, daran zweifle ich nicht. Sei standhaft, großarmiger Rama, ich spreche die Wahrheit.‹ Auch Lakschmana sprach ein Wort, das ein glückliches Vorzeichen war: ›Ganz gewiß wird Hanumant heimkehren und hat Sita gesehen‹ – so trösteten Schönhals und Lakschmana Rama und blieben bei ihm.

Die Affen aber, die unter Angadas Führung ausgezogen waren, voll Eifers, die ruhmreiche Gattin Ramas zu suchen, fanden sie nirgends. Sie wurden müde, und es ward ihnen elend zumut; es mangelte ihnen an Nahrung, der Hunger plagte sie arg. In dichter Wildnis hinstreifend trafen sie irgendwo eine verklärte Vollendete, Suprabha: die ›Strahlende‹. Die Makellose war die Frau eines Sehers und hauste in einer Höhle. Sie sah die Affen ihrer Einsiedelei nahen und fragte sie: ›Wes seid ihr, Kömmlinge, woher kommt ihr, und was ist euer Zweck?‹ – Der edle Jambavant antwortete der Verklärten: ›Wir dienen Schönhals, du glückverheißend Strahlende, und sind auf der Suche nach Sita, der Gattin Ramas, hierhergekommen, Untadelige! Ach, vor Mangel an Nahrung sind wir zu Luft geworden und haben die Tochter Janakas nicht gefunden.‹

Als Jambavant so sprach, antwortete ihm die Glückbringende: ›Ich weiß von Rama und Sita, auch von Lakschmana und dem Herrscher der Affen; eßt hier bei mir die Speise, die ich euch biete, Affenfürsten; da ihr um Ramas willen kommt, seid ihr mir wert wie Rama selbst‹. So sprach die Asketin und gab ihnen dank ihrer Yogazauberkraft den Trank der Unsterblichkeit als Kost, speiste sie nach ihres Herzens Lust und sagte weiter zu ihnen: ›Wo Sita weilt, weiß Sampati, der König der Vögel, er haust hier im Walde auf dem Berge Mahendra. Hier ist der Weg, auf dem ihr zu ihm gelangt. Sampati wird euch von Sita künden, denn dieser Vogel schaut in weite Ferne. Den Weg, den er euch weist, geht weiter, gewißlich wird der Sohn des Windes Sita, Janakas Tochter, finden.‹ Als sie so zu ihnen sprach, waren die Affen hocherfreut; entzückt, einen Menschen zu finden, der ihnen weiterhalf, verneigten sie sich vor ihr und brachen auf.

Die heldenhaften Affen gingen den Mahendra entlang, suchten den Vogel und fanden Sampati in seinem Horst. Da sprach der Vogel Sampati zu den Affen, die zu ihm kamen: ›Wer seid ihr, daß ihr kommt? Oder wes seid ihr, sagt an geschwind!‹ Die Affen sagten ihm nacheinander, wie es um sie stand: ›Wir alle sind Boten Ramas, ausgesandt vom erhabenen Affenkönig Schönhals, Sita zu suchen. Auf das Wort einer Verklärten sind wir hierhergekommen, dich zu sehen, o Vogel: sag uns Edler, wo Sita weilt.‹

Als sie so sprachen, spähte der Falke fern gen Süden und erblickte Sita auf Lanka im Hain der Aschokabäume: ›Dort lebt sie‹, sagte er. ›Aber dein Bruder Jatayus ist gestorben‹, sagten die Affen zu ihm. Da badete er und brachte die Handvoll Wassers der Totenspende dar, dann versenkte der Edle sich in Yoga und streifte die Hülle des Leibes ab. Danach verbrannten die Affen seinen Leichnam und brachten ihm die Handvoll Wassers der Totenspende dar.

Sie sahen das Weltmeer und sprachen einer zum andern: ›Sicher hat Ravana Ramas Gattin entführt; durch Sampatis Rede ist jetzt alles klar geworden. Wer aber von uns Affen hat die Kraft, daß er über die Salzflut spränge, in Lanka eindränge, Ramas ruhmreiche Gattin sähe und das Meer rückkehrend querte, ihr Herrlichen, sagt?‹ – Auf diese Reden sprach Jambavant: ›Alle Affen vermöchten das. Sollte aber die Aufgabe, das Weltmeer zu queren, einem anderen zufallen? Dazu ist Hanumant geschickt wie kein zweiter, das ist meine Meinung. Verlieren wir keine Zeit, ein halber Monat über die uns gesetzte Zeit ist verstrichen; kehren wir Stiere unter den Affen aber heim, ohne Sita gefunden zu haben, schneidet der Affenherrscher uns Ohren und Nase ab und verstümmelt unsere Leiber. Darum wollen wir den Sohn des Windes mit Bitten gewinnen.‹

Hanumant

So sprach er; die anderen Affen stimmten dem alten Affen zu und wandten sich bittend zum Sohne des Windes, zum weisen Hanumant, der wohlgeschickt zu allen Taten war: ›Geh' du, du bist in Ramas Dienst, und Ravana wird dich fürchten, hilf unserem Geschlecht der Affen!‹ – So sprachen die Affen, der Sohn des Windes sagte: ›Ich will es.‹

Und in Ramas Auftrag, von seinem Gebieter und den Affen angeeifert, schickte der kluge Hanumant sich auf dem Mahendraberge an, über das Meer zu springen.

Auf der Fahrt nach der von Ravana entführten Sita suchte er im weiten Meere, Varunas Machtbereich, einen Fleck, den Fuß im Sprunge zu ruhen. Betend hob er die hohlen Hände zum Gesicht und verehrte ihn, der aus dem Schoße seines Selbst entsprang, samt seinen Scharen, verehrte im Geiste Rama und Lakschmana, die großen Wagenhelden, der Affe neigte sein Haupt vor Meer und Flüssen, umschlang seine Verwandten und umschritt sie verehrend zum Abschied. – ›Frei von Fährnis sei der Pfad, den du gehst, von heilig-reinen Winden bedient, daß du wieder zu uns kehrest!‹ sprachen die Affen voll Ehrfurcht zu ihm. Da richtete der Held, auf seinen Pfad hinschauend, den Blick in die Ferne und auf die Höhe und durchdrang sich mit Schnelligkeit und Heldenmut. Und als der Starke sich gleichsam zu einem ganz Vollen aufgeschwellt hatte, sprang er vom Gipfel des Berges hoch empor in den Raum, Berg und Luft unter sich drückend.

Wie der kluge Sohn des Windes auf dem Wege des Vaters dahinfuhr, ganz Rama zu dienen bedacht, hieß der Ozean den Berg Mainaka aus der Salzflut aufsteigen, daß Hanumants Fuß darauf raste. Der große Affe erspähte ihn, trat ihn nieder im Schwunge, grüßte ihn ehrfürchtigen Wortes und schnellte sich wieder empor. Da geriet der Held in den Rachen der Unholdin Simhika, der Mutter Rahus, der zu Zeiten der Verfinsterungen den Mond verschlingt – er verschwand in ihrem Rachen, aber in seinem Schwunge glitt er wieder hinaus: der kraftstrahlende Sohn des Windes fuhr ihr hinein und hinaus und setzte hinweg über den Raum des Weltmeers und landete am schönen Dreispitzberg auf Lanka im Wipfel eines Baumes.

Tagsüber blieb er auf dem herrlichen Berge; als der Tag sich neigte, verrichtete Hanumant seine Abendandacht und machte sich sacht nach der Stadt Lanka auf. Er überwältigte die Schutzgöttin, die ihren Namen trug, und betrat die Stadt, die von Juwelen strahlte und voll wunderbarer Dinge war. Die Unholde lagen im Schlaf; der kluge Sohn des Windes schlich sich in Ravanas Zauberpalast: da sah er Ravana auf einem großen Lager ruhen. Seine zwanzig Nasenflügel blähten sich wie Segel und stießen die Luft mit fürchterlicher Gewalt aus, da lag er mit seinen zehn zahnbewehrten Rachen, schmuckübersät und von Frauen zu Tausenden umgeben. Aber wie dort der Herr der Unholde inmitten seines Harems schlief, konnte Hanumant Sita in Ravanas strahlendem Hause nicht finden. Der Sohn des Windes war betrübt, aber er gedachte an Sampatis Wort und ging zum blütenprangenden Aschokahaine, den der sandelduftende Wind der Malayaberge mit seinem Wohlgeruch durchstrich.

Er trat ein und erblickte Janakas Tochter, die Gattin Ramas, unter einem Schimschapabaum, wohlbewacht von Frauen der Unholde. Er kletterte auf einen blühenden Aschokabaum mit honigreichen Zweigen, dort setzte sich der Affe hin und dachte bei sich: ›Das ist Sita.‹

Während er so im Wipfel saß und Sita betrachtete, kam Ravana daher, von seinen Frauen begleitet. Er kam und sprach zu Sita: ›Erhöre deinen Liebhaber! Laß dich schmücken und vergiß Rama.‹ Als sie ihn so reden hörte, verbarg sich Sita im Grase und sprach zitternd und stammelnd: ›Geh, Ravana, du Bösewicht, auf die Frauen anderer versessen – nicht lange und Ramas Pfeile sollen dein Blut auf dem Schlachtfeld trinken!‹

Als sie ihn so schalt, sprach der Unhold zu den Unholdfrauen: ›In zwei Monden macht ihr mir dies Menschenweib gefügig! Wenn Sita dann nichts von mir wissen will, sollt ihr das Menschenweib fressen!‹ So sprach der böse Ravana und ging wieder in seinen Palast.

Da sprachen die Unholdfrauen vor Furcht zu Janakas Tochter: ›Gib dich Ravana hin, dem Schätzereichen, und sei glücklich, du Schöne!‹ Aber Sita antwortete ihnen: ›Ramas Heldenmut wiegt nicht gering. Er wird Ravana samt seinen Scharen im Kampf erschlagen und mich befreien. Ich will niemandes anderen Gattin sein, als Ramas allein! Er wird kommen und den Zehnhals erschlagen und mich in seinen Schutz nehmen.‹

Als die Unholdinnen diese Worte hörten, sahen sie Gefahr: ›Erschlagt sie, erschlagt sie!‹ schrien sie, ›freßt sie, freßt sie auf!‹ – Da erzählte ihnen die Unholdin Trijata, die Sita wohlgesinnt war, was sie im Traume geschaut hatte: ›Hört, ihr Unholdinnen, ich sah ein schönes glückverheißendes Traumgesicht, es brachte Ravana den Untergang; samt allen seinen Unholden brachte es ihm den Tod, Rama aber und seinem Bruder Lakschmana schenkte es den Sieg, und Sita gab es den Gatten wieder.‹ Als die Unholdinnen Trijatas Rede vernahmen, wichen sie alle vor Sita zurück und ließen sie allein.

Da stieg der Sohn des Windes vom Baum und erzählte Sita alles, was sich mit Rama begeben hatte, überreichte ihr Ramas Ring, besprach mit ihr alle Kennzeichen Ramas und Lakschmanas und gewann ihr Zutrauen. ›Der Affenfürst Schönhals hat ein großes Heer, ihm verbündet, wird Rama, dein Gatte und Herr, und dein Schwager Lakschmana, der große Held, hierherkommen, du Schöne – er wird Ravana und die Seinen erschlagen und dich mit sich fortführen.‹

So sprach er, da faßte sie Mut und fragte den Sohn des Windes: ›Wie bist du hierhergekommen, Held, über das große Meer?‹ Und der Affe antwortete ihr: ›Wie über die Lache in der Fußspur einer Kuh bin ich übers Weltmeer gesprungen, du Schöne; ›Rama, Rama‹, flüsterte ich – da wird das weite Meer zur Lache. – Du bist in Leid ertrunken, Tochter von Videha, sei standhaft, schönes Angesicht, bald wirst du Rama wiedersehen, ich sage die Wahrheit.‹ So sprach er der reinen Sita, Janakas Tochter, Trost zu.

Dann verneigte sich der Affe vor ihr und brach auf; der Held entschloß sich zu gehen. Er überlegte, dann zerknickte er den ganzen Lusthain, schwang sich auf das Tor und rief laut: ›Sieg Rama, dem Helden!‹ Dann erschlug er viele Unholde, Heere und Heerführer, danach den Prinzen Akscha, Ravanas Sohn, samt Wagen und Wagenlenker. Aber Indrajit, dessen Bruder, fing ihn und brachte ihn vor Ravana. Da hub er an, Rama und Lakschmana zu preisen und Schönhals, den großen Helden. Man wand ihm ölgetränkte Lappen um den Schwanz, zündete sie an und führte ihn so durch die Stadt, aber er entsprang und steckte fliehend ganz Lanka in Brand, schmähte Ravana, sprach noch einmal mit Sita und schwang sich wieder übers Meer, der Heldenhafte, und gelangte zu den Seinen.

Er verkündete ihnen, er habe Sita gefunden, und die Affen bezeigten Hanumant ihre Verehrung. Er zog mit ihnen zum großen Honigwalde, dort schlug er die Wächter nieder und gab den Affen den Honig zu trinken. ›Sauermilchmund‹, den obersten Wächter, Schönhals' Ohm, brachte er zu Fall, trunken vor Freude schnellte er mit allen Affen auf in die Luft und langte zu Füßen Ramas und Lakschmanas an. Er neigte sich vor ihnen und vor Schönhals zumal und berichtete, vom Anfang ausholend, wie er übers Meer geflogen und was ihm danach begegnet sei. Er erzählte Rama: ›Wahrlich, ich habe Sita gesehen, im Aschokahaine sitzt die Fürstin Sita in tiefem Leid, von Unholdfrauen umgeben, immer dein gedenkend. Deine Gattin mit dem schönen Antlitz hat die Augen voll Tränen; aber rein ist Wesen und Wandel der Tochter Janakas auch dort, allerwärts suchend fand ich die Gattentreue. Ich sprach mit Sita und tröstete sie; ihren Schmuck, dieses herrliche Juwel, sendet sie dir, o Herr!‹ so sprach er und reichte Rama ihr herrliches Stirnjuwel, ›und vernimm das Wort, das die Herrin durch mich dir sendet: ›Denke an die Gewalt, o König, die der Vogel mir antat, als du auf dem Buntgipfel in meinem Schöße eingeschlafen warst, Gelübdestrenger. Was du, o König, an dem Vogel tatest – und sein Vergehen war doch nur klein –, das vermögen Götter und Widergötter dir nicht nachzutun, damals schleudertest du die Brahmanwaffe – wie solltest du Ravana nicht besiegen?‹ – Solches und vieles dazu sagte Sita und weinte. So ist Sita leiderfüllt, sie zu befreien mühe dich!‹

So sprach der Sohn des Windes. Rama vernahm Sitas Worte und sah ihren strahlenden Schmuck, da weinte er und umarmte den Affen. Dann brach er langsam auf.

Als Rama das Schicksal der Geliebten vom Sohne des Windes vernommen hatte, zog er mit den Affen, die ihn weithin umgaben, ans Gestade des Meeres. Schönhals blieb am herzerfreuenden Ufer des Ozeans stehen, das von Palmenhainen schimmerte, und blickte mit seinem klugen Neffen auf den ›Gemahl der Flüsse‹ hinaus. Jambavant und zahllose Affen umringten ihn freudetrunken, wie die Sterne den Mond.

Da kam der weise Vibhischana, Ravanas jüngerer Bruder, mit Räten Ravanas, die in den Lehren des Rechten bewandert waren, daher. Ravana hatte ihn auf Lanka im Rate geschmäht, weil er geraten hatte, Sita freizugeben. Er war von unerschütterlicher Hingebung zu Rama durchdrungen, zu dem Großen Gotte, dem Löwenmann, der die Schri auf seinem Schoße hält und wie Kinder liebt, wer sich ihm ergibt. Er kam und erhob bescheiden die hohlen Hände und sprach zu Rama, des Wirken keine Minderung widerfährt: ›Rama, Rama, Großarmiger, Gott der Götter, Quäler der Menschen, ich bin Vibhischana, nimm mich gnädig auf, ich suche Schutz bei dir!‹ So sprach er und fiel mit erhobenen Händen Rama zu Füßen. Als Rama seine Geschichte erfuhr, hieß er den Edlen aufstehen und besprengte den Helden Vibhischana mit Wasser aus dem Meer: ›Dein sei die Königsherrschaft über Lanka‹, mit diesen Worten weihte er ihn zum König. Er stand auf und besprach sich mit ihm, und Vibhischana sagte: ›Du bist Vischnu, Herr der Welten und Wesen – der Wasserschoß soll dir einen Weg freigeben, wir wollen die Gottheit erweichen.‹

So sprach er, und Rama legte sich mit den Affen ans Meeresufer; mit Ausharren wollten sie den Meergott zwingen. So vergingen drei Nächte, indes Rama dort lag in unermeßlichem Glanze. Dann ward der Herr der Welt, der lotosäugige Rama, zornig und legte die Waffe des Feuergottes auf seines Bogens Sehne, um die Wasser zum Austrocknen zu bringen. Aber Lakschmana erhob sich und sprach zum Zornerfüllten: ›Dein Zorn wird die Welt in Untergang auflösen, darum laß ihn fahren, Edler! Du bist in die Welt herabgestiegen, die vergänglichen Wesen zu schirmen, darum hab' Geduld, Gott-Herrscher der Götter!‹ so sprach er und hielt den Pfeil fest.

Als die drei Nächte vergangen waren, sah der Meergott Rama in seinem Zorn und fürchtete sich vor der Feuerwaffe; da kam er leibhaft hervor und sprach zu Rama, dem großen Gott: ›Erbarme dich meiner, des Missetäters! Nun geb' ich dir einen sicheren Weg frei, baue einen Damm. Von Nala, dem Helden, ist gesagt, er werde ihn bauen, gib ihm den Befehl.‹ Da befahl der Raghuenkel den weiten Bau des herrlichen Damms; unter Nalas Leitung bauten die Affen mit unermeßner Kraft den großen Damm, und Rama zog hinüber. Er kam zum Berge ›Schön-Ufer‹, dort machte er mit den Affen halt.

Angada sah den bösen Ravana in der Halle seines Palastes stehen und sprang auf Ramas Geheiß zu ihm, zum Botendienste geschickt wie keiner; im Zorn aber versetzte er Ravanas Haupt einen Fußtritt, und staunend blickten die Götterscharen auf den gewaltigen Helden. Als er Ramas Herausforderung überbracht hatte, kehrte er wieder zum Berge Schön-Ufer; dann umzingelte der Unerschütterliche die Stadt Lanka mit zahllosen Affenheeren.

Ravana ließ durch Boten die Streitmacht des Raghuenkels auskundschaften und tat, obschon er die Affen fürchtete, als wäre er ohne Furcht. Der Zehnköpfige verteilte die Unholde zur Verteidigung der Stadt Lanka und sprach, nachdem er sie in allen Himmelsrichtungen eingesetzt hatte, zu seinen Söhnen ›Rauchauge‹ und ›Rauchatem‹: ›Kämpft, Unholde, für meine Stadt, bindet die beiden Sterblichen mit Stricken! Auch mein Bruder ›Topf-Ohr‹, der heldenhafte Todbringer der Feinde, ist vom Schall der Kriegspauken aus seinem Schlaf erwacht!‹

Die starken Unholde, die Ravana eingesetzt hatte, nahmen seinen Befehl aufs Haupt und hüben an, mit den Affen zu kämpfen. Myriaden an Zahl, kämpften die Unholde mit all ihrer Kraft und fanden durch die Affen ihren Tod. Da setzte der Zehnhals andere Unholde voll unermessener Kraft an ihre Stelle; am Osttore brachten ihnen Affen, die ›Blauschwarz‹ führte, den Tod, und die Unholde, die Ravana im Süden verwandte, wurden allesamt von den Affen zerrissen und wanderten zum Todesgott; im Westen wurden Unholde, gewaltig wie Berge, von Angada und stolzen Affen, die er anführte, ins Haus des Todes gesandt, und die Unholde, die Ravana im Norden aufgestellt hatte, die furchtbaren, wurden von Mainda und anderen Affen erschlagen.

Dann sprang eine Schar Affen über die steile, hohe Stadtmauer Lankas und erschlug die kraftvollen Unholde, die innen standen, und zog sich geschwind wieder auf das Hauptheer zurück. Als all die Unholde erschlagen lagen und ihre Frauen um sie weinten, erschien der Zehnköpfige selbst; starr, wie geronnen war er vor Zorn. Von vielen Unholden umringt, stand er am westlichen Tor und sprach, kraftstrahlend, den Bogen in Händen: ›Wo ist Rama?‹ – von seinem Streitwagen sandte er einen Pfeilregen auf die Affen und zerschnitt ihnen die Glieder mit seinen Pfeilen, daß sie flohen.

Als Rama die Affen fliehen sah, fragte er: ›Wovon sind die Affen gebrochen? Welche Gefahr kam ihnen nah?‹ Vibhischana hörte seine Frage und sagte: ›Vernimm, großarmiger König, Ravana ist jetzt erschienen. Von seinen Pfeilen zerschnitten, fliehen die Affen.‹ Auf diese Worte erhob Rama zornvoll den Bogen und füllte die Luft nach allen Weltrichtungen mit dem Schall der schwirrenden Sehne und dem Schall der Handflächen.

Da kämpfte der lotosäugige Rama mit Ravana; Schönhals, Jambavant und Hanumant, Angada und Vibhischana, die Affen, und Held Lakschmana gingen Ravanas Heer an, das alle Waffen auf sie regnen ließ – die Kraftvollen schlugen es nieder samt Elefanten, Rossen und Wagen. Da hub ein fürchterlicher Kampf an zwischen Rama und Ravana, alle Waffen zu Hieb und Stich, die Ravana entsandte, zerschnitt der starke Raghuenkel mit seinen messergleichen Pfeilen. Mit einem Pfeil erschoß er den Wagenlenker, mit zehnen die gewaltigen Pferde, mit einem Halbmondpfeil zerschnitt er Ravanas Bogen, mit fünfzehn Pfeilen zerspaltete und zerschnitt er sein Diadem, dann traf der Held mit zehn goldspitzigen Pfeilen seinen Schädel.

Da kam der Zehnköpfige vor Ramas Pfeilen in arge Not, von seinen Räten geführt, kehrte der Götterzermalmer in seine Stadt zurück.

Aber vom Schall der Kriegspauken und vom Schritt der Kriegselefanten in Herden erwachte Ravanas Bruder ›Topf-Ohr‹ – er hatte Ohren groß wie Töpfe – langsam aus dem vieltausendjährigen Schlaf, der ihm als Frucht glühender Askese zugefallen war. Er setzte über die Mauer und stand draußen riesig aufgetürmten Leibes, stark und furchtbar anzuschauen. Von Hunger erfüllt, schritt der Schlimme einher und verschlang die Affen; Schönhals sah ihn, sprang in die Luft und traf ihn mit dem Spieß in die Brust, riß ihm mit beiden Händen die Ohren ab, biß ihm die Nase ab; Rama aber schlug mit den Affenkönigen rings die übrigen Fürsten der Unholde, die von allen Seiten ankämpften, nieder und zerschnitt mit scharfen Pfeilen ›Topf-Ohrs‹ Nacken. – Vischnus Reittier, der göttliche Vogel Garuda, kam ihm leibhaftig zu Hilfe, auf ihm reitend besiegte er Ravanas Sohn Indrajit, den ›Indrabesieger‹; da strahlte Rama mit Lakschmana, von den Affen umringt, in hellem Glanze.

Als Indrajit dahin war und ›Topf-Ohr‹ gefällt am Boden lag, sprach der Herrscher von Lanka voll Zorn zu seinen Söhnen ›Dreikopf‹, ›Überleib‹ und ›Riesenleib‹, die Göttern und Menschen den Garaus machten: ›Meine herrlichen Söhne, erschlagt die beiden Menschen im Kampfe!‹ Der Zehnhals sandte sie aus und sagte weiter zu seinen Söhnen: ›Ihr beiden, ›Großbauch‹ und ›Großseite‹, rüstet euch und geht mit diesen Starken, die Feinde in der Schlacht zu erschlagen!‹ Lakschmana sah sie kommen, wie sie die Feinde in der Schlacht niederkämpften, und sandte sie mit sechs scharfen Pfeilen ins Haus des Todesgottes, und die Menge der Affen erschlug die übrigen Nachtgänger: der kraftstolze Unhold Kumbha ward von Schönhals erschlagen, Nikumbha, ein Dorn für die Götter, von Hanumant; Vibhischana schlug den kämpfenden Virupakscha mit der Keule nieder, die Affenfürsten Bhima und Mainda erschlugen den ›Hundsherrn‹, Angada und Jambavant andere Nachtgänger. Rama aber kämpfte in der Schlacht und erschlug Myriaden, die Regen von Pfeilen sandten.

Da bestieg Indrajit einen Wagen, den er sich mit Zaubersprüchen geschaffen hatte, und sandte einen Pfeilregen auf alle Affen; da sah Jambavant, als es Nacht ward, das ganze Heer und Rama selbst, von seinen Pfeilen durchbohrt, reglos hingestreckt liegen. Er sandte Hanumant aus, und der Sohn des Windes holte mit seiner Heldenkraft zaubermächtige Heilkräuter und richtete Rama und die Affenscharen, die am Boden lagen, wieder auf. Und mit denselben Affen, die wie Meteore flammten, setzte Rama noch in der Nacht Lanka in Brand samt seinen Elefanten, Rossen, Wagen und Unholden, und erhob mit dem Bruder ein Wolkendonnergebrüll.

Da lagen die Unholde, deren Werk es gewesen war, Opfer, Gebete und heilige Handlungen zu stören, mit Söhnen, Freunden und Verwandten erschlagen, Zehnhals aber trat zornig aus Lankas Tor hervor: ›Wo ist jener Rama?‹ rief er, ›der Mensch, der sich als Asket gebart, der Krieger mit dem Affenheer?‹ und kam auf buntglänzendem Wagen mit wuchtigen, wohlgezogenen Pferden dahergefahren. Rama sah den Herrscher der Unholde nahen und rief dem Zehngesicht zu: ›Hier bin ich, Rama, komm her zu mir, verruchter Ravana!‹ – da sagte Lakschmana zum lotosäugigen Rama: ›Ich will mit diesem Unhold kämpfen, bleib' du hier, Starker!‹ Und Lakschmana fuhr los und sperrte Ravana den Weg mit Regen von Pfeilen. Aber aus zwanzig Armen sandte der Zehnhals Waffen zu Hieb und Stich auf Lakschmana und hielt ihn kämpfend auf.

Da entbrannte ein gewaltiger Kampf zwischen beiden, die Götter schauten aus ihren fliegenden Wagen oben vom Himmel her dem Starken zu: Lakschmana zerschnitt mit seinen scharfen Pfeilen Ravanas Geschosse, tötete seinen Wagenlenker und auch die Pferde mit mondsichelscharfen Pfeilen. Der Held zerschnitt mit scharfen Pfeilen Ravanas Bogen und Banner und traf ihn selbst in die breite Brust. Da warf sich der Unholdfürst vom Wagen und langte im Zorn geschwind nach einem Speer, der von Schellenklang klingelte: seine Zunge flammte wie Feuerflammen, er strahlte wie ein großes Meteor. Den warf er mit fester Faust auf Lakschmanas Brust, der Speer riß sie auf und fuhr hinein – da erzitterten die Götter oben im Raume.

Als Rama sah, wie Lakschmana fiel, kam er geschwind mit dem weinenden Affenfürsten leidvoll herzu und sprach: ›Wo ist Held Hanumant, mein Freund? Vielleicht ist mein Bruder noch am Leben und nur zu Boden gesunken.‹ Als er so sprach, sagte Hanumant, die hohlen Hände aneinanderlegend: ›Hier steh' ich, Herr, gib mir deinen Auftrag.‹ Rama sagte: ›Großer Held, ich brauche ein heilendes Zauberkraut; mach meinen Bruder schnell wieder heil, starker Freund!‹

Da schwang sich der Affe mit einem Sprunge in die Luft und begab sich zum ›Trog‹berg, pflückte geschwind das Kraut, brachte es und heilte augenblicks Lakschmana vor den Augen Ramas und der Götter.

Danach erschlug der lotosäugige Rama, der Herr der Welten, alsbald was von Ravanas Heer an Unholden samt Elefanten, Rossen und Wagen übrig war; er stand von Affen umringt und zerfetzte mit seinen scharfen Pfeilen Ravanas Leib. Der Zehnköpfige ward davon besinnungslos, aber wie er mählich wieder zu Bewußtsein kam, richtete er sich zornig auf und erhob ein Löwengebrüll – die Schar der Götter erzitterte droben im Himmel, als sie den Laut vernahm.

Da aber nahte Agastya, der große Heilige – er hatte Ravana Feindschaft geschworen – und schenkte Rama einen siegverleihenden Zauberspruch, ›Herz der Sonne‹ genannt. Rama flüsterte den siegverleihenden Spruch, wie der Heilige ihn vorgesagt hatte, und bezeigte dem unvergleichlichen starken Bogen Vischnus, den der Heilige ihm geschenkt hatte, seine Verehrung. Der Starke zog die Sehne auf und bekämpfte mit goldspitzigen scharfen Pfeilen den Unholdkönig, kraftglühend zerfleischte er ihn an tödlichen Stellen.

Als die beiden furchtbar Starken miteinander kämpften, strömten sie Feuer gegeneinander aus, die Lohe wuchs und stieg aus ihrem Kampf gen Himmel. Wie der Kampf währte, kämpfte Held Rama unaussagbaren Mutes zu Fuß, da sandte ihm der Götterkönig seinen großen weltberühmten Wagen, den göttlichen, den tausend Pferde zogen, samt seinem Wagenlenker Matali. Von den hohen Göttern verehrt, bestieg der mondgleiche Rama den Wagen und gab Matali seinen Befehl; und mit der Brahmawaffe erschlug der gottgleiche Rama den grimmen Feind, den verruchten Zehnköpfigen, dem Brahman einst die Wahlgabe gewährte.

Als Ravana, der Feind, samt seinen Scharen erschlagen lag, sprachen Indra und alle Gottheiten zueinander: ›Vischnu ward Rama und erschlug Ravana im Kampfe, unseren Feind, den keiner zu töten vermochte; darum wollen wir herniedersteigen und den Unendlichen, Unbesiegten, der den Namen Rama trägt, verehren!‹ So sprachen die Himmelsbewohner und kamen auf vielen herrlichen Götterwagen zur Erde herabgeflogen. Rudra, Indra und sein Gefolge, der Mondgott und alle anderen Götter umringten den ewigen Schöpfer und Walter, Vischnu den siegreichen, des leibhafte Erscheinung alle Welt ist, den unvergänglichen Rama samt seinem jüngeren Bruder und verehrten ihn und warteten ihm auf. ›Dies ist Rama, seht, ihr Götter, und hier steht Lakschmana, hier ist Schönhals, der Sonnensohn, und hier steht der Sohn des Windes, und hier sind Angada und all die anderen‹, so sprachen die Himmelsbewohner. Ein schimmernder Blumenregen aber fiel auf Ramas und Lakschmanas Häupter aus den Händen der Götterfrauen, er erfreute den Kreis aller Weltrichtungen mit seinem Duft, und Bienenschwärme drängten sich auf seiner Spur.

Dann nahte Brahma auf seinem Wagen von wilden Schwänen gezogen und pries Rama mit dem Preislied, das unfehlbar heißt: ›Du bist Vischnu, Anbeginn aller Werdewesen, Unendlicher, dem Erkennen erschaubar, du bist das ewige Brahman, das im "Ende des heiligen Wissens" als das Höchste gewußt wird. Indem du jetzt Ravana, den ›Brüller‹, erschlagen hast, der alle Welten brüllen machte, hast du dem Wirken der Götter in allen Welten Bahn geschafft.‹

So sprach der aus dem Lotosschoß Entsprungene. Schiva aber, der ›Friedebringer‹, der Herr des Todes, neigte sich gütig vor Rama und ließ ihn König Dascharatha, seinen verklärten Vater, sehen. Beide sahen einander, dann zogen die Götter von dannen und riefen preisend: ›Sita ist rein!‹ – So ward Sita von allem Makel entsühnt. Rama hieß den Sohn des Windes die geschmückte Tochter Janakas, deren Leid zu Ende war, auf den herrlichen ›Blumigen‹ Wagen heben, indes die Affen und sein Bruder ihr huldigten.

In höchster gläubiger Hingabe zu Schiva setzte er den Großen Gott mit seinem Willen auf der Mitte des Dammes, der Indien mit Lanka verbindet, zum Hüter ein, und davon heißt der Große Gott, der den Bogen führt, ›Rameschvara‹, ›der dessen Herr Rama ist‹. Wer ihn nur schaut, entsühnt sich von Mord und allen Sünden wider das Leben.

Als Rama sein Gelöbnis, des Vaters Geheiß zu erfüllen, eingelöst hatte, begab er sich in Liebe zu Bharata nach Ayodhya, der herrlichen Stadt, und erwies Bharata die Huld, um die er warb, und ward daselbst von Vasischtha und den Brahmanen zum Könige geweiht. Opfer und was die ewige Ordnung an ständigen frommen Werken verlangt, übte Rama mit seinen Bürgern und stieg am Ende zum Himmel auf.

Dies ist die Geschichte von Ramas Erdenwallen, o König, in Kürze erzählt; allen, die sie mit gläubiger Hingabe rezitieren oder anhören, verleiht Rama, der Herr der Welten, daß sie zu seiner himmlischen Stätte eingehen.«

 

Das Affenwesen entfaltet sich; anfangs stockend, anscheinend vergeßlich und ohne Verlaß, in sich selber verbuhlt und verloren, dann um so entschiedener und bereiter. Es entfaltet sich in Palavers seiner Großen, die mit der gleichen konventionellen Grandezza und zeremoniellen Ehrfurcht verlaufen, wie ein Kriegsrat unter Göttern oder Menschenfürsten. Man wechselt zartfühlende, respektvolle Reden in Gegenwart des hohen Freundes, des bedrohlich verstimmten Helfers, der selbst der Hilfe bedarf; sie sind bestimmt, Balsam in sein Ohr zu träufeln, indes sie Mitgefühl und Hilfsbereitschaft seiner Bundesgenossen unterstreichen.

Das Affenwesen tummelt sich; großartig schwärmt es nach allen Richtungen der Himmelsrose, überschwemmt es alle Lande indischer Erdkunde, um seinen grenzenlosen Eifer darzutun. In der verheißungsvollsten Richtung brechen die stärksten und kundigsten Kräfte auf, unter ihnen Hanumant, das ist der »Kinnbacken-Bewehrte«; er verkörpert die unwiderstehliche Kraft der Urmacht des Waldes mit mythischen Zügen. Ihn schreckt keine Ferne, federnden Sprunges reißt er sich in sie hinein und ist – Bote und Späher – inmitten des Unholdwesens kundig daheim. Seine gesammelte Andachtskraft zwingt den vulkanischen Grund des Meeres, aus seiner Tiefe mittwegs den Berg heraufzuwölben, auf dessen Inselgipfel Hanumant in der absteigenden Bahn seines Riesensprunges den Fuß rasten kann, um sich erneut von ihm in die Höhe abzuschnellen zum zweiten Sprunge, der ihn zur Insel der Unholde trägt. Es ist, als ob sein Fuß überm Abgrund des Wogenden, Verschlingenden nur nach dem Fußbreit festen Grundes zu tasten brauchte, damit die Tiefe der Wasser – eigentlich nichts anderes als die Tiefe des wogenden Waldes, in dessen Dickichtgeheimnis er selbst zu Haus ist – ihm diesen Fußschemel aus ihrer kreißenden glühenden Tiefe entgegenhöbe. Die nachtwandlerische Sicherheit naturhaften Ahnens, das allerwegen unwillkürlich zu Haus ist, hat die beschwörende Kraft, im Bodenlosen, Wogenden das für den Augenblick Weitertragende zauberhaft heraufzubeschwören; wohin sie ihren Fuß setzt, wird Boden, die unterseeischen Gewalten, die verheerende und schöpferische Glut speien, Inselwelten aufwölben und wieder in sich schlingen, werden für sie zu dienenden Geistern.

Verklärte und fürstliche Vögel helfen den Affen auf die Spur, wie vormals dem Menschenhelden; aber ein Ungeheuer sperrt Hanumants Luftweg, es sperrt den Rachen weit auf, um ihn zu verschlingen. Valmikis »Ramayana« erzählt dieses Reiseabenteuer ausführlicher und in doppelter Gestalt: Hanumant fährt der Unholdin Simhika, der »Löwigen«, die sich riesenhaft aus dem Salzmeer erhebt und ihren Riesenschatten auf ihn wirft, um ihn zu fangen, jählings wie ein Blitzkeil in den Rachen, nachdem er vergeblich selbst ins immer Riesigere gewachsen ist, um sie zu überwachsen, die wie eine Wolkenwand unermeßlich schwellend ihm entgegendrohte; er zerreißt ihr Inneres und trifft ihr Herz und entspringt dem Rachen der Sterbenden. So ist er vor ihr der Mutter der Schlangen begegnet; eine Wahlgabe gewährte dieser seit langem, daß der Sohn des Windes ihrem Rachen nicht entgehen solle, wetteifernd wächst sie mit ihm zu immer riesigerer Größe, da macht er sich in einem Nu daumenklein, tritt in ihren Riesenrachen und entschwingt sich ihm wieder: so ist der Wahlgabe Genüge geschehen, er selbst aber ist gerettet und setzt seinen Weg fort.

Ein riesiger Schatten fällt wachsend über die Bahn des Helden, der am Himmel dahinfliegt, und verschlingt ihn, aber der Held entringt sich ihm sieghaft und zieht weiter auf seiner Bahn; ein meerisches Ungeheuer erhebt sich wie eine Wolkenwand und nimmt den Wanderer am Firmament in seinen Rachen: das ist das weltweit-mythische Schicksal des Sonnenhelden mit den periodischen Verfinsterungen seines Strahlenleibes und mit seinem täglichen Untergang im Meer der Nacht.

Die Nachtmeerfahrt der Sonne vom Untergang im Westen, rückläufig durch die Häuser der Unterwelt, zum morgendlichen Wiederaufgang, Jonas drei Tage und drei Nächte im Bauche des Fisches: dem Herrn widerstrebend, wird er verschlungen, zum willigen Künder seiner Botschaft gewandelt, wird er dem Lichte neu geschenkt, die Wiederauferstehung des Osiris, seine Neugeburt als Horus, das Wunder um Adonis, Christus niedergefahren in den Rachen der Hölle, am dritten Tage wieder auferstanden von den Toten, das Mysterium der Natur und Alchymie, »Stirb und Werde« – das ist hier nur spielender Durchgang eines unerschrockenen Voltigeurs, ist kaum ein Aufenthalt.

Hanumant tritt in den Höllenrachen und Unterweltsleib des Ungeheuers, wie der Mond durch eine Wolke gleitet: unangefochten, unaufhaltsam. Der anderwärts zentrale und pathetische Mythos von Tod und Auferstehung des göttlichen Helden ist an ihm zu einem Reiseabenteuer, einer Episode verschrumpft, die beiläufig vermerkt wird. Aber so eben kennzeichnet der Vorgang die Gefeitheit und Furchtlosigkeit der tieferen Natur in uns, der Gewalt des zeitlosen Waldes gegenüber dem Problem des individuellen Todes, der Vergänglichkeit in der Zeitlichkeit. Die Preisgegebenheit aller Kreatur, deren tragisches Pathos der frühe Mensch im Schauspiel der sterbenden Tagsonne und in ihrer Verfinsterung anschaute, um in ihrem Wiederaufgang aus dem Rachen des Todes sich gleicher Hoffnung nach dem Tode zu getrösten, ist jener Tiefe in uns, deren Sinnbild der Wald ist, kein Gegenstand, dabei zu verweilen.

Der behende Affe ist jenseits der Sphäre verblutender Sonnen, wechselnder Monde, kreisenden Jahrlaufs. Was anderwärts kosmische Götteroper ist, herzzerreißend sinnvolles Schauspiel, darin das Lebendige Todesschauer und Wiedergeburtsahnung gewahrt und spiegelt, ist nur ein vorüberhuschender Schatten, der keinen Schauer von Vergänglichkeit strömt. Die Macht der Tiefe in uns blickt gelassen auf die Verdunklung unserer greifbaren Lichtgestalt im Bauch des Todes.

Diese Gestalt des Mythos vom sterbenden Sonnen- oder Jahresgott, zum Schnörkel verkürzt, zur Pirouette in Hanumants Luftsprung geschlungen, bezeichnet die Unwiderstehlichkeit der Macht, der Rama sich verschwistert hat, als er die Gunst der Kräfte des Waldes gewann. Wäre er auch nicht Vischnu selbst, leibhaft Mensch geworden – über den Ausgang seines Kampfes mit den Unholden könnte kein Zweifel walten. Hanumant passiert den Rachen des Ungeheuers wie ein Tor, das sich unversehens in seine Flugbahn aufreckt, wie etwas schon aus vielen Untergängen Vertrautes. Es ist darin etwas von der Ereignislosigkeit, mit der ein Orientale sich zum Sterben hinlegen kann: jetzt wird wieder einmal, da die Situation es unausweichlich bringt, schnell gestorben; wieder einmal wird das Kleid gewechselt, die Individuation getauscht, die Kontinuität des Bewußtseins, Erinnern, was einer war, tat und litt, reißt dabei ab, dieser Identitätspaß der Person, das Notizbuch ihres Gedächtnisses bleibt gleichsam im alten, zerschlissenen Kleide zurück, mindestens findet keiner sie im neuen Kleide leicht wieder. Aber die christliche Frage: »Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?« stellt sich für die Macht des Waldes nicht, dieser Triumphlaut des auferstehungsgewissen Gläubigen ist wesenlos für sie. Diese Macht weiß einfach nichts von Sterben, sie kennt die wunderbaren Heilkräuter, die auf fernen Gipfeln sprießen und holt sie im Fluge herbei, um die schon todgeweihten Freunde auf dem Schlachtfelde wieder ins Leben zurückzurufen. Indes die Götter zuschauend um den Ausgang des Kampfes bangen, ist das Affenwesen rastlos tätig in Kampf und wunderbaren Hilfen.

Aus der angeborenen Unüberwindlichkeit: daß er die unverwüstliche Dschungelkraft selber ist, die nichts von Not und Tod weiß in ihrer wuchernden Gewalt, schöpft Hanumant den Schwung für sein furchtloses Boten- und Spähergeschäft. Der Anblick des großen Unholds schreckt ihn nicht: für ihn ist es ein lächerlicher Wüterich, wie er da liegt mit seinen zehn Köpfen und Hälsen und schnarcht, daß seine Nasenflügel sich wie Segel blähen. Die Schutzgöttin der Stadt vermag sowenig wider ihn, wie die Unholde, die ihn für Schabernack und Herausforderung strafen wollen: was sie ihm antun, kehrt sich gegen sie selbst.

Ramas Sieg ist unaufhaltsam, da ihm das Affenwesen hold ist. Kaum hat es sich an die Küste getastet, naht auch – ein glückliches Vorzeichen und Ankündigung des inneren Zerfalls der Unholdsmacht – der jüngere Bruder des Unholdkönigs und bietet huldigend seine Hilfe gegen ihn an. Der Gegenkönig und Thronerbe ist schon gefunden, ehe der Krieg begonnen hat. Das Meer weicht der drohenden Beschwörung des Helden, die Affen aber bauen ihm den wunderbaren Damm zur Insel des Feindes.

Der Kampf endet mit dem Tode des Unholdes; Ravana bleibt seiner dämonischen Unbändigkeit bis zum letzten Augenblicke treu, wie Goldgewand, Madhu und Kaitabha, und wie Rama selbst seiner selbstbeherrschten Festigkeit. Er ist der maßlose Gegenspieler des selbstbezwungenen Gottmenschen, als Widerspiel des Menschenhelden ins tierhaft Rohe gezerrt. Mit Rama überwindet Indien symbolisch die blinde Besessenheit der Menschenwelt von den Dämonen, die es so vielgestaltig und furchtbar beweglich ausgeprägt hat, wie kaum eine andere Kultur. Der zweiarmige Gottmensch, ganz irdischer Prinz, unkund seines überirdischen Ursprungs, überwindet den Unhold, der mit der Zehnzahl seiner Köpfe und Hälse alle vier Richtungen des Raums samt den vier Zwischenräumen und Zenit und Nadir beherrscht: der rings das All erfüllt mit seiner Willkür und Gewalt: der milde, furchtlose Held, der sein ganzes Wesen der göttlichen Ordnung unterwirft und opfert – Indiens klassische Prägung des Helden –, rettet die Welt und ist ihr geborener Herrscher.

Valmikis »Ramayana«, die klassische Gestaltung der Sage von Rama dem Mond, führt über die glückliche Wiedervereinigung der Gatten hinaus: ein Anhang erzählt, daß sie nicht beisammen bleiben dürfen. Nicht im Genuß des noch so schwer verdienten Besitzes liegt der Sinn des gotthaften Daseins, aber in der unbedingten Erfüllung der göttlichen Ordnung. Kein Makel darf an den Höchsten der Welt haften, die wandelnde Erfüllung der allgemeinen Ordnung sind und, sie vorbildlich aus sich strahlend, mit ihr die Welt durchtränken sollen. Rama und Sita müssen sich selbst, ihre Einheit opfern, um ganz zu vollbringen, wohin Geburt und eingeborene Größe sie geführt haben. Der Gottmensch verwirklicht klaglos das vorbildliche Leben und ist mit jedem Atemzug die erfüllte ewige Ordnung, wie Rama mit dem Beil ihr zürnender Wiederhersteller war. Die Welt ist immer noch da und ist dieselbe geblieben, wenn auch den Unholden der Garaus gemacht ist; die Welt erträgt es nicht, daß Rama die Frau wieder zu sich nimmt, die ein anderer so lange in Händen gehabt hat, sie zweifelt daran, daß es lohnte, Sita aus den Krallen des Unholds zurückzuholen, sie klatscht aus der unwillkürlichen Einbildungskraft der eigenen Art, Sita sei in Ravanas Gewalt wohl auch nicht rein geblieben. Die Leute sehen in Ramas Verhalten ein schlimmes Beispiel, denn »was der König tut, danach handeln die Untertanen«. Rama begreift, daß sein Amt, an höchster Stelle die Menschenordnung zu wahren, keinen mißdeutbaren Zug verträgt, der ein zweifelhaftes Beispiel gäbe, er entschließt sich, die geliebte Frau, die er kaum wieder in Armen gehalten hat, zu verstoßen. Lakschmana muß sie an die Grenze des Reiches, in die Einsiedelei des Heiligen Valmiki geleiten. Dort bringt sie das Zwillingspaar der Söhne zur Welt, die vom Heiligen Valmiki die Sage ihres Vaters lernen.

Als sie herangewachsen sind, feiert Rama ein großes Opfer; unter den Heiligen, die zum Opferplatz zusammenströmen, befindet sich auch Valmiki mit seinen Schülern. Zwei unter ihnen tragen die Ramasage vor, und Rama erfährt, die beiden seien seine Söhne. Er schickt zu Valmiki, er solle Sita bringen, damit sie sich vor der Opferversammlung durch einen Schwur rein spreche. Valmiki verkündet, Sita sei rein, und Rama erklärt, er glaube ihm. Da nahen sich alle Götter, um der feierlichen Versammlung beizuwohnen, in der Sita sich verschwört, sie sei rein:

»Als Sita alle versammelt sah, legte sie die hohlen Hände zusammen und sprach geneigten Hauptes und gesenkten Blicks: ›So wahr ich keinen anderen im Sinne trage als Rama, soll die Göttin voller Süße sich auftun und mir Raum geben! So wahr ich Rama in Gedanken, Tat und Wort verehre, soll die Göttin voller Süße sich auftun und mir Raum geben! So wahr dies von mir wahr gesprochen ist und ich um keinen anderen als Rama weiß, soll die Göttin voller Süße sich auftun und mir Raum geben!‹ – Als sie sich so verschwor, geschah ein Wunder: ein herrlicher Götterthron erhob sich aus der Erde, gewaltige Schlangen trugen ihn auf ihren Häuptern, die von göttlichen Juwelen funkelten. Auf ihm ergriff die Göttin Erde Sita mit beiden Armen, begrüßte sie mit Willkommwort und setzte sie auf den Thron. Vor aller Augen saß und sank sie auf ihm in die Tiefe hinab, indes ein ununterbrochener Blumenregen vom Himmel sich über sie ergoß und Beifallsrufe der Götter sich jäh erhoben.«

So kehrt Sita, die »Furche«, in den Schoß der Mutter Erde heim, aus dem sie ans Licht gestiegen ist. Das Hohe, Reine, in der Welt vereinsamt, begreift sich nicht von den vielen: das ist die Preisgegebenheit des Göttlichen auf dem Markt der Welt, aber in seinem Verkanntbleiben steht es bewahrt vor Griff und Blick; es scheidet aus ihr, wenn es seine Bahn durch sie ohne Abirren vollendet hat, heimkehrend in sein mütterliches Element. Das vorbildliche Menschenpaar vollendet seine eingeborene Größe mit immer höheren Opfern an Glück in der vorbildlichen Erfüllung der göttlichen Ordnung. Es ist uns nichts zu selbstverständlich unschuldigem Besitz gegeben – das ist schon Wahn, der zwar noch nicht Schuld, aber schon Betörtheit ist, die der Urgrund alles Weltseins ist und uns in Leiden verstrickt. Auch die glücklich Liebenden, die endlich einander wiedergefunden haben und alles Recht aufeinander empfinden, haben sich gleichsam nur geliehen zu eigen, wie alles nur geliehen und auf Zeit zu eigen ist, indes wir es anders vermeinen.

Sitas Gestalt in ihrem unschuldigen Leiden, mit ihren vorbildlichen Frauentugenden, Reinheit und Geduld, erfüllt das indische Herz mit immer neuem Entzücken, neben ihr steht schwesterlich im Mythos die Königstochter Savitri: die Frau, die um ihren Gatten mit dem Tode ringt, wie Rama um Sita mit dem Unhold, und deren Hingabe und Reinheit das Unmögliche erzwingt, daß der Tod den ihm Verfallenen freigibt.


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