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IV

Krischna und Rama mit dem Pflug

Der Heilige Vyasa sprach: »Vernehmt, ihr Panther unter den Heiligen, in Kürze will ich euch verkünden, wie Vischnu auf die Erde herabstieg, sie von ihrer Last zu befreien. Immer wenn Unrecht überhand nimmt und Recht verfällt, dann teilt der Gott, der ›Quäler der Menschen‹, den eigenen Leib in zwei und steigt hernieder – die Guten zu schützen und Ordnung des Rechten aufzurichten, die Bösen und wer sonst den Göttern feind ist, zu strafen und die Geschöpfe zu schützen, wird er Weltalter um Weltalter geboren.

Vorzeiten ward die Erde von gewaltiger Last bedrückt. Da ging die Erde hin und warf sich auf dem Weltberge Meru im Rate der himmelbewohnenden Götter vor Brahma und allen Göttern ehrfürchtig nieder und erzählte ihnen mit leidvoll klagender Stimme alles, was sie anging.

Die Erde sprach: ›Der Gott des Feuers ist des Goldes väterlicher Beschützer, ein anderer Beschützer ist der Sonnengott für die Kühe, mein väterlicher Beschützer ist Vischnu, allen Welten verehrungswürdig. Nun aber sind Kalanemi und andere Dämonen in die Welt der Sterblichen gekommen und plagen die Geschöpfe Tag und Nacht. Jener Kalanemi, der mächtige Widergott, den der gewaltige Vischnu einst erschlug, ist als Kamsa, Ugrasenas Sohn, unter den Menschen wiedererstanden. Arischta, Dhenuka, der "Mähnige", Pralamba und Naraka, der Widergott Sunda und Bana, Balis furchtbarer Sohn, und andere Böse sind voll großer Kraft in den Häusern der Könige erstanden – ich vermag sie nicht alle herzuzählen. Denn viele Heere gewaltig starker und kühner Dämonenfürsten sind auf mir, ihr Götter, meine göttliche Gestalt trägt sie. Aber der Druck ihrer schweren Last macht mir Qual, ich kann mich selbst nicht mehr tragen, ihr Herren der Unsterblichen, das tu' ich euch kund. Darum, ihr Großmächtigen, sorgt, daß mir die Last abgenommen werde, auf daß ich nicht von Schwäche überwältigt in den tiefsten Grund des Weltraums versinke.‹

Brahma vernahm die Rede der Erde und, von allen Göttern bestürmt, sie von ihrer Last zu befreien, sprach er: ›Was die schätzetragende Erde sprach, all das ist wahr, ihr Himmelsbewohner. Ich selbst und Shiva und ihr, Verehrte: Alles ist Wesen Vischnus. Aber unter den spielenden Wunderentfaltungen seines Wesens herrscht gegeneinander wechselnd Übermaß und Verebben, Bedrängnis und Bedrängen. Darum kommt, wir wollen zum erhabenen Ufer des Milchmeeres gehen, dort wollen wir Hari unsere Verehrung darbringen und ihm alles kundtun. Immerdar steigt er, das Allwesen, das die ganze Welt ist, um der Erde willen mit einem winzigen Teil seiner selbst auf die Erde hinab und schafft Bestand der rechten göttlichen Ordnung.‹ So sprach der Ältervater und ging hin mit den Göttern. Er sammelte seinen Geist und pries den Gott, der den Vogel Garuda im Banner führt:

›Anbetung dir mit tausend Gestalten und Armen, mit vielen Gesichtern und Füßen! Anbetung dir, Unermeßlicher, der ganz Entfaltung, Vernichtung und Bestand der Welt ist! Du übersinnlich-Feines Überfeines und an Maßen Großes, ehrwürdiger in deinem Wesen als die Hochehrwürdigen! Wurzel des Urgrunds, aus dem als erster Grund Geist sich entfaltete, danach Sinne und Sprache, du Wesen, das kein höheres über sich kennt, Erhabener sei uns gnädig! Hier kommt die Erde, Gott, zu dir, der höchsten Zuflucht aller Wesen, zu dem Ende ohne Ende – weil erdgeborene große Widergötter auf ihre Sehnen, die Berge, drücken, auf daß du sie von ihrer Last befreist. Hier sind wir, ich, Indra und alle Götter – sie warten hier, o Herr der Götter, die immer Makellosen, dein Geheiß zu empfangen. Was sie, was auch ich tun soll, das alles heiße uns Herr!‹

Als der Erhabene Herr mit solchen Worten gepriesen ward, riß er sich zwei Haare aus, ein helles und ein dunkles, und sprach zu den Göttern: ›Diese meine beiden Haare werden zur Ebene der schätzetragenden Erde hinabsteigen und die Erde vom Druck ihrer Last befreien. Und alle Götter sollen auch mit einem Stück von sich zur Erde niedersteigen und mit den großen Widergöttern, die vor ihnen erstanden sind, kämpfen. Dann werden alle Dämonen auf der Erde untergehen, das ist gewiß – zermalmt von Waffen vieler Art. Da ist die Gattin Vasudevas, Devaki, sie gleicht einer Göttin: ihre achte Leibesfrucht wird dieses mein Haar sein, ihr Götter. In ihren Leib zur Erde hinabgestiegen wird es Kamsa erschlagen, der aus Kalanemi erstand.‹

So sprach Hari und entschwand ins Unsichtbare. Da fielen die Götter ehrfürchtig vor dem Großen Wesen nieder in seiner Unsichtbarkeit, dann schritten sie zum Rücken des Meru und stiegen auf die Erde hernieder.

Und Narada, der erhabene Heilige, verkündete Kamsa: ›Die achte Leibesfrucht Devakis wird der ›Träger der Erde‹ – Vischnu in Gestalt der Weltschlange, die die Erde trägt – sein.‹ Als Kamsa dies von Narada vernahm, ward er zornig und nahm Vasudeva und Devaki in Gewahrsam. Und Kind um Kind, das geboren wurde, ward Kamsa angezeigt: ›Vasudeva hat wieder einen Sohn bekommen.‹ Es gab sechs Söhne Goldgewands, die hießen die ›sechsfache Leibesfrucht‹; auf Vischnus Geheiß senkte die Zauberschlaftrunkenheit einen nach dem anderen der Devaki in den Schoß. Zu ihr, der Yogaschlaftrunkenheit, der Großen Maya Vischnus, die als ›Unwissenheit‹ alle Welt wahnumfängt, sprach der erhabene Hari: ›Geh, Schlaftrunkenheit, auf mein Geheiß bring die sechsfache Leibesfrucht, die im Raume der tiefsten Hölle weilt, nacheinander in Devakis Leib. Wenn Kamsa sie alle getötet hat, wird ein makelloses Stück von mir, Schescha, die Weltschlange geheißen, mit einem Stück von einem Stück von sich als siebentes Kind in ihrem Leibe erstehen. Beim Hirtenvolk weilt Vasudevas Gattin Rohini, wenn für sie die Zeit zu gebären kommt, sollst du Devakis siebente Leibesfrucht in sie verpflanzen. ›Die siebente Leibesfrucht Devakis ist aus Furcht vor den Nachstellungen des Königs vorzeitig im Mutterleibe dahingefallen‹, werden die Leute sagen. Weil er als Leibesfrucht in eine andere Mutter gezogen ward (samkarschana), wird der Held, licht wie der Gipfel eines Schneeberges schimmernd, vor der Welt den Namen Samkarschana erhalten. Nach ihm werde ich im reinen Leibe Devakis erstehen, und du sollst unverweilt in den Leib der Hirtenfrau Yaschoda eingehen. Zur Regenzeit, im Regenmond, in der achten Nacht des abnehmenden Mondes werde ich ans Licht treten, und in der neunten Nacht wirst du geboren werden. Von meiner göttlichen Kraft geleitet wird Vasudeva mich in Yaschodas Bett legen, dich aber auf Devakis Lager, du Untadlige! Und Kamsa wird dich packen, Göttin, und gegen den Stein einer Felswand schleudern, aber du wirst in der Luft schweben bleiben. Dann wird sich der Götterkönig Indra hundertmal vor dir verneigen, aus Ehrerbietung vor mir, und wird, sein Haupt fußfällig vor dir beugend, dich zu seiner Schwester nehmen. Danach wirst du Schumbha und Nischumbha und andere Dämonen zu Tausenden erschlagen und durch viele Stätten, die dir heilig sind, rings die Erde schmücken.

Du bist Fülle und Demut, Ehre und Schönheit, Erde und Festigkeit, Scham, blühende Kraft und Morgenröte und was sonst an Göttlich-Weiblichem lebt, das bist du! Wer dich des Morgens früh und am Nachmittag geneigten Leibes verehren wird als ›Edle‹, als ›Durga‹, als ›Schoß der Veden‹, als ›Mutter‹, als ›Glückbringende‹, als ›glückbringende Kali‹, als ›Friedvolle‹ und ›Friedenverleiherin‹, dem wird durch meine Gnade alles zuteil werden, was er sich wünscht. Mit Darbringungen von Rauschtrank und Fleisch und mit Speise und Kost geehrt, wirst du alle Wünsche der Menschen gnädiger Erfüllung anheimgeben, und alle werden glücklich sein durch meine Gnade, daran ist kein Zweifel, kein Flecken – geh, Göttin, wie ich dir sagte.‹

Wie vordem der Gott der Götter sie hieß, so legte die Trägerin der Welt die sechsfache Leibesfrucht in Devakis Schoß und zog die andere aus ihrem Mutterleib. Als die siebente Leibesfrucht zu Rohini gelangt war, ging Hari, um den drei Welten zu helfen, in Devakis Schoß ein. Darauf erstand am selben Tage die Yogaschlaftrunkenheit im Leibe Yaschodas, so wie der Herr an höchster Stätte es gesagt hatte.

Danach schritt die Schar der Wandelsterne in ihrer Ordnung am Himmel dahin, und die Jahreszeiten entfalteten sich strahlend, als ein Stück Vischnus zur Erde gekommen war. Niemand vermochte Devaki anzublicken, die in übergroßem Glanze strahlte, und wer sie ansah, dem wankte der Sinn. Die von Männern und Frauen nicht angeblickt ward, priesen die Scharen der Götter, als sie Vischnu im Leibe trug, Tag und Nacht; – die Götter sprachen: ›Du bist der heilige Opferruf Svaha, du bist Lebenskraft und Weisheit, Trank der Unsterblichkeit bist du und Himmelslicht. Du bist, um alle Welt zu beschützen, auf die Fläche der großen Erde herabgestiegen; sei gnädig, Göttin, und bringe aller Welt Heil! Um der Liebe willen trage den göttlichen Herrn, der alle Welt trägt!‹

So von den Göttern gepriesen, trug sie den Gott in ihrem Schoße, den lotosäugigen Retter der Welten. Da war das Wunderwesen unerschütterlichen Glanzes zur Zeit der Morgendämmerung an Devaki offenbar geworden, um den Lotos der ganzen Welt zur Erkenntnis aufzuwecken. Um Mitternacht ward der ›Quäler der Menschen‹, der Träger des Alls geboren: sanft dröhnten die Wolken, und die Götter sandten einen Regen von Blumen herab.

Als er geboren war, schimmernd wie Blütenblätter einer aufgeblühten dunkelblauen Lotosblume, mit vier Armen und mit der Locke ›Glückskalb‹ auf der Brust, pries ihn Vasudeva und bedeutete ihn aus Furcht vor Kamsa: ›Erkannt bist du, göttlicher Herrscher über die Götter, der Muschelhorn, Wurfring und Keule in Händen hält. Raffe diese göttliche Erscheinung an dir gnädig in dich zusammen. Denn gerade jetzt quält Kamsa mich, weil er vernommen hat, du stiegest in mein Haus hernieder.‹

Devaki sprach: ›Der unendlich-gestaltig, allgestaltig sogar in meinem Schoße mit seinem Leibe alle Welten trägt, der Gott der Götter sei gnädig, der mit seiner Maya Kindesgestalt an sich selbst offenbart hat. Wesen des Alls, raffe diese vierarmige Gestalt in dich ein, auf daß nicht Kamsa deine Herabkunft erfahre, du Tod der Dämonen!‹

Der Herrlich-Erhabene sprach: ›Daß ich vorzeiten von dir gepriesen ward, als du dir einen Sohn wünschtest, das trägt dir jetzt Frucht, Fürstin – darum ward ich aus deinem Leibe geboren.‹ So sprach der Erhabene und schwieg. Vasudeva aber nahm ihn und schritt in die Nacht hinaus. Da waren die Wächter von der Yogaschlaftrunkenheit überwältigt und auch die Wachen am Tore der Stadt Mathura, als Vasudeva seines Weges kam. Und der regnenden Wolken Wasserschleier war dicht in der Nacht, und die Weltschlange Schescha umhüllte ihn mit ihren Hauben – so ging er dahin. Vasudeva durchschritt die tiefe Yamuna, von vielen Wirbeln erfüllt, Vischnu tragend, und sie reichte ihm nur bis ans Knie. Da gewahrte er am andern Ufer den Hirten Nanda und andere Älteste der Hirten, die waren gekommen, Kamsa ihren Zins zu entrichten.

Um dieselbe Zeit ward auch Yaschoda von der Yogaschlaftrunkenheit überwältigt und brachte jenes Mädchen, Vischnus Maya des Yogaschlafs, zur Welt, während die Leute rings von der Schlaftrunkenheit betört waren. Vasudeva aber legte den Knaben auf Yaschodas Lager nieder, nahm das kleine Mädchen und kehrte schnell heim in unermeßlich strahlendem Glanze. Und Yaschoda erwachte und erblickte den Knaben, der dunkel war wie Blütenblätter der blauen Lotosblume, und freute sich über die Maßen. Vasudeva aber brachte das Mädchen in sein Haus, legte es auf Devakis Lager nieder und tat, als habe er sich nicht entfernt. Da hörten die Wächter das kleine Kind schreien, erhoben sich schnell aus dem Schlafe und meldeten Kamsa, Devaki habe geboren. Kamsa kam schnell und packte das kleine Mädchen – Devaki wollte ihn hindern: ›Laß es los, laß es los!‹ rief sie, aber die Stimme blieb ihr im Halse stecken –, er aber warf das Kind gegen einen Felsenrücken. Aber es blieb in der Luft schweben, seine Gestalt wuchs ins Riesige und bekam acht Arme, die Waffen schwangen. Und hell auflachend sprach es voll Grimm zu Kamsa – die Yogamaya sprach: ›Was frommt es dir, daß du mich hinwarfest? – Geboren ist, der dich erschlagen wird, der All-in-Eins, der vor den Göttern war, der ist dein Tod. Das beherzige und bedenke geschwind, was dir frommt!‹ So sprach die Göttin und zog davon im Schmuck himmlischer Blumen und Wohlgerüche, indes der König ihr nachblickte und Selige in der Luft sie priesen.

Da rief Kamsa bestürzten Sinnes Pralamba, Keschin und andere stierstarke Widergötter zusammen und sprach zu allen großen Widergöttern: ›Ho, Pralamba, du großarmiger, Keschin, Dhenuka und Putana, Arischta und ihr anderen, hört meine Rede! Mich zu töten mühen sich die Unsterblichen, die Schlimmgesinnten – aber diese Kämpen, die meine Heldenkraft flammend verzehrt, zähle ich nicht. Aber Wunderbares, von einem Mädchen verkündet, gebiert sich, ihr Stiere unter den Widergöttern – Gelächter über mich gebiert sich, ihr Helden; auch mühen sich jene mit ganzer Macht Dennoch muß ich, ihr Dämonenfürsten, den Schlimmgesinnten mit noch größerer Gewalt zu schaden trachten, denn der Tod hat sich gegen mich erhoben, der über Gewordenes, Künftiges und Wesendes Gewalt hat. Eben das verkündete mir das Mädchen, das aus Devakis Schoß erstand. Darum forscht mit höchstem Eifer nach kleinen Kindern auf der Erdfläche: Wo in einem Kinde ungemeine Kraft steckt, das müht euch zu töten!‹

So wies Kamsa die Widergötter an, dann begab er sich in den Palast und sprach ohne Feindschaft zu Vasudeva und Devaki: ›Nun habe ich eure Kinder umsonst getötet, irgendein anderes Kind ist zu meinem Untergange erstanden. Darum genug des Leides! Die Kinder, die ihr fortan bekommt oder sonst wer, sollen das Leben nicht durch Gewalt verlieren.‹

So tröstete Kamsa die beiden, ließ sie frei zu ihrer Zufriedenheit und kehrte heim in seinen Palast.«

 

Im Weitergang des Weltspiels gewinnt das Dämonenwesen das Übergewicht; es hat sich, wie einst bei König Kartavirya, in den Übermut des Krieger- und Fürstenadels verlarvt, es lastet auf der Menschenerde, und, wie einst die Göttermutter Aditi, fleht die Mutter Erde um Hilfe. Das überweltliche Allwesen reißt sich zwei Haare vom Kopfe, ein helles und ein dunkles, sie werden genügen, als die Gottmenschen Rama und Krischna werden sie die Menschenwelt von der Übermacht des Dämonischen befreien. Und wie die Götter vormals bei Rama dem Mond mit Teilen von sich zur Erde niederstiegen, um ihm gegen die Unholde zu helfen, wird auch diesmal die Menschenwelt Schauplatz des Kampfes verlarvter Dämonen und Götterkräfte sein. Mehr noch: die göttliche Maya selbst, die selige Schlaftrunkenheit, mit der Vischnu den Traum des Weltspiels träumt, wird in seinen Gang eingreifen, die hohe Kraft des Yogazaubers, mit dem der göttliche Yogin das ganze Weltspiel als seine halluzinierte Schau hervorbringt und betrachtet, soll den mächtigsten Dämon überlisten. Einst, in kosmischen Schlachten der Götter und Dämonen hieß er Kalanemi, »Radfelge der tötenden Zeit«, und ward von Vischnu überwunden; jetzt heißt er sich Kamsa, König von Mathura, und aus seinem Geschlechte soll der Überwinder dämonischer Gewaltherrschaft kommen.

Indra

Narada, der zeitlose göttliche Heilige, an den Höfen der Götter im Rate geehrt und zu Haus wie bei irdischen Fürsten, Bote der Götter und vielwissender Zwischenträger aufregender Nachrichten und Geheimnisse, hat Kamsa gewarnt. So wütet er gegen alle Geburten der Devaki, deren achte ihm gefährlich sein soll. Im urdämonischen Triebe, sich ganz zu sichern, läßt er schon sechs, die voraufgehen, umbringen, aber es sind lauter Wiedergeburten von Söhnen Goldgewands, also selber hohe Dämonen, geborene Bundesgenossen im Kampfe gegen den kommenden Gottmenschen, deren er sich blindlings beraubt – so spottet die Maya des Gottes seiner Wut. Sie wirkt für die Erhaltung der rettenden Gottmenschen: Devakis siebente Leibesfrucht wird durch ein Wunder in den Leib einer anderen Mutter versetzt, in den Schoß einer anderen Frau ihres Gatten Vasudeva, die abseits bei Hirten lebt; sie erhält Rama als älteren Halbbruder Krischnas zum Austragen und Gebären. Die Maya rettet auch das todbedrohte achte Kind, Krischna selbst; sie umgibt die strahlende Geburt, in der sein göttliches Wesen sich den Eltern zeigt, mit dichtestem Dunkel, geleitet den Vater mit dem neugeborenen Heilandskinde durch die regenschwere Nacht über den geschwollenen Strom zu den Hirten abseits am anderen Ufer, die seiner und des Bruders warten sollen. Sie läßt den merkwürdigen Kindertausch gelingen, die Hirten wissen selber nicht, daß Yaschoda, die Frau ihres Ältesten Nanda, statt eines Mädchens, das sie gebar und das keiner sah, das Gottkind aufziehen wird – Yaschoda selbst ahnt es nicht. Aber dem rasenden Fürsten wird die Ohnmacht seiner mörderischen Wut enthüllt, als er das ausgetauschte Mädchen aus Devakis Armen reißt und zerschmettern will: es offenbart seine wahre Gestalt: es ist die Zauberkraft des höchsten Gottes selbst, die ihn überlistet hat und ihm lachend den Untergang kündet – die Maya Vischnus, ja, nach den Worten, mit denen der Gott sie als sein zweites Ich feiert und segnet, ist es die Große Göttin, Durga, die nach Vischnus Weltaltern an Schivas Seite zur Herrin der Welt aufsteigt und am Ende des mythischen Weltlaufs Vischnu, ja Schiva selbst überschatten wird.

Noch einmal geht es um die Dämonie maßloser Selbstbehauptung durch Blut und Frevel und wie die göttliche Maya ironischen Spieles darüber triumphiert. Herodes, der Vierfürst von Judäa, war, wie Kamsa, ein weitblickender, systematischer Kopf, der sich zu sichern wußte: er ließ die vielen kleinsten Kindlein von Bethlehem morden um des einen willen, von dem ihm die Weisen aus dem Morgenlande gesprochen hatten – aber dieses eine war schon entkommen, denn ein Engel war Joseph im Traume erschienen und hatte die Heilige Familie nach Ägypten entsandt.

Der griechische Mythos vom kalydonischen Könige Oineus und seiner Gattin Althäa, von ihrem Sohne Meleager und der kalydonischen Eberjagd lehrt vielfältig, wie das Rettende, die Sicherung, zum Werkzeug der Vernichtung wird. Allen schützenden Gottheiten der Weinberge, Kornfelder und Weidetriften bringt Oineus Opfer dar, daß sie alle drei Bereiche menschlicher Nahrung sichern, aber den vierten, dunklen Bereich vergißt er, die unmenschliche, ausgegrenzte Sphäre der Wildnis. Der Wald mit seinen Tieren und Gefahren, das Grauen, das auch verehrt und freundlich angesprochen sein will, auf daß alles beziehungsvoll beisammen wäre, begriffen als das Ganze, aus dem sich alles Leben lebt, bleibt abgespalten und vergessen. Da meldet es sich selbst und rächt sich; die göttliche Jägerin Artemis, Herrin der wilden Natur, lebenspendender Mond und Hekate, unterweltlichem Grauen gebietend, sendet aus ihrer Waldesnacht den reißenden Eber, der die Weinberge zerpflügt, die Saaten zerwühlt und das Vieh zerreißt. Die Helden von Kalydon, Althäas Brüder Toxeus und Plexippos, ja Meleager selbst, vom Ardonautenzuge siegreich heimgekehrt, vermögen nichts wider das göttliche Untier; da laden sie alle Helden Griechenlands zur kalydonischen Eberjagd. Jason und Theseus, die Dioskuren, Telamon und der Vater des Achill, Nestor in seiner Jugend und andere Helden griechischer Sage aus der Zeit vor den Kämpfen um Ilion und den Irrfahrten des Odysseus sammeln sich zur Jagd, unter ihnen auch ein Mädchen, die schnellfüßige Atalanta, Jungfrau und Jägerin wie Artemis, ihr Abbild unter den Menschen. Ihr Speer trifft im Gewirr des Kampfes das Untier ins Auge, sie hat den Eber gefällt – mindestens ist das Meleagers Entscheidung; er spricht dem Mädchen, das sein Herz entzündet hat, das Vlies des Ebers als Siegespreis zu. Aber seine Oheime nehmen es als Schmach, daß die Trophäe außer Landes gehen und künden soll, ein Mädchen aus der Fremde habe es Kalydons Helden im Kampfe zuvorgetan. Sie streiten mit Meleager, den Worten folgen Waffen, und Meleager erschlägt die beiden im Zorn.

Althäa empfängt die Schreckenskunde vom Tod der Brüder, kaum daß die Freudenbotschaft über den Erfolg der Jagd bei ihr angelangt ist. Wer soll die Schatten ihrer Brüder, deren Blut nach Sühne schreit, versöhnen, wenn nicht sie selbst? Sie begreift das Fürchterliche, das ihr vom Schicksal auferlegt ist, und begreift auch eine grenzenlose Ironie des Schicksals, das ihr vorzeiten zweideutig das Mittel in die Hand gab, Meleager auszulöschen, wie sie ihm das Leben schenkte. Als sie Meleager geboren hatte, traten die Parzen über ihre Schwelle, legten Holz ins Herdfeuer und kündeten ihr, der Neugeborene werde leben, solange das Holz nicht zu Asche verbrannt sei. Die Schicksalsgöttinnen entschwanden, Althäa sprang von ihrem Lager auf, riß ein brennendes Scheit vom Herde und löschte es im Wasser. Das war ihr Talisman für den geliebten Sohn, den großen Helden, der gen Kolchis zog und die Heimat gegen feindliche Nachbarn schirmte; jetzt aber ward ihm, was ihn vor jedem Tod bewahren sollte, zum Werkzeug seines notwendigen Unterganges. Das Rettende wird das Vernichtende und hat sich selbst nicht gewandelt, aber das unaufhaltsam kreisende Schicksal, das seinen Ring vollendet, zwingt Althäa, das Holz ins Feuer zu werfen, dem sie es entriß, auf daß, was in der Zeit seinen Anfang nahm, auch das Ende finde, das allem Zeitentsprungenen, Zeitverfallenen gesetzt ist. Das Holz verkohlt zu Asche, und Meleagers Leben schmilzt hin wie eine Kerze, die sich selbst verzehrt. Das Unterpfand des Lebens birgt in sich den Tod und muß ihn ausgebären; die Mutter, die das Leben schenkte und als Licht des eigenen Lebens hegte, wandelt sich in kreisender Notwendigkeit zum Genius des Todes und löscht es selber aus. Die dunkle Göttin aber, die zu ehren Oineus vergaß, rächt sich vernichtend an ihm in seinem anderen Ich, dem Sohne: indem Artemis, die Jägerin, ihr Ebenbild Atalanta als Retterin sendet, König und Land vom Ungeheuer zu befreien, nimmt sie als Preis dafür Zukunft und Herrlichkeit seines Geschlechtes hinweg.

So macht das Ganze, das aus Licht und Dunkel lebt, den Witz des einzelnen zunichte, der sich ans Lichte halten möchte und nur den Segensgenien nährender Fluren dient, indes der finstere Wald unbeachtetes Dunkel für ihn bleibt; so narrt das Leben, das Geburt und Tod wie Masken tauscht, die eifernde Liebe, die ihren Liebling durch Wundergunst der Schicksalsfrauen dem allgemeinen Los enthoben wähnt; in plötzlichen Verknüpfungen schlingt sich unversehens das Dunkelste ins Helle, auf daß, was fürsorgende Gebärde auf eine Weile wähnte einander fernhalten zu können, wieder zum ewig Ganzen göttlichen Spiels sich zusammenschließe.

Die Jugend der beiden Gottmenschen Krischna und Rama – wie Zeus' Kindheit abseits bei Hirten verbracht, fern vom Fürstenhofe des Tyrannen, den das Gottkind töten wird – spielt in zwiefacher Ironie: in immer anderen Masken langt das Dämonische vergeblich nach den beiden Knaben, sie zu vernichten und sich zu sichern; und immer neue übermenschliche Wundertaten erleben die Hirten an ihren Schützlingen, aber das Wesen der beiden bleibt ihnen unerkannt.

 

»Als Vasudeva freigelassen war, begab er sich zum Wagen Nandas. Er sah Nanda, der voll Freude war: ›Ein Sohn ist mir geboren!‹ und Vasudeva sprach zu ihm mit feierlichem Ernste: ›Heil, Heil, noch in deinen alten Tagen ist dir nun dieser Sohn geboren! – Du hast den allherbstlichen Zins dem Könige entrichtet, um den du hierhergekommen bist, darum sollst du Guter hier nicht bleiben. Das Geschäft, deswegen du kamst, ist getan, was verweilst du noch? Geh darum schnell zu deiner Kuhherde, Nanda, und meinen kleinen Sohn, der sich bei ihr befindet, den Rohini gebar, den hüte wohl, wie hier diesen deinen eigenen Sohn!‹ So sprach er, und Nanda und die Hirten zogen davon und führten Geschirr und Gerät auf ihrem Lastwagen mit.

Als sie wieder bei der Herde weilten, kam Putana, die kleine Kinder umbringt, und packte den kleinen Krischna zur Nacht und gab ihm die Brust. Jedes Kind, dem Putana zur Nacht die Brust gibt, dessen Leib wird flugs vom Tode getroffen. Krischna aber packte ihre Brust fest mit beiden Händen und drückte sie und sog ihr zornig zugleich das Leben heraus. Putana stieß einen gräßlichen Schrei aus, die Schreckliche stürzte mit zerrissenen Sehnen und Bändern sterbend zu Boden. Als die Bewohner der Hürde den Schall hörten, fuhren sie erschreckt aus dem Schlafe auf und sahen Krischna auf Putanas Schöße liegen, sie selbst aber war umgesunken. Erschreckt nahm Yaschoda Krischna auf und schwenkte einen Kuhschweif über dem Kinde und tat anderes, um Unheil von ihm abzuwehren, Nanda, der Hirt, aber nahm Kot von der Kuh und tat ihn Krischna auf den Kopf und erhob, einen Schutzsegen an ihm vollziehend, die Stimme:

›Es schütze dich der Ursprung aller Wesen, Hari, aus dessen Nabel der Lotos entsproß, dem alle Welt entward, von dessen Eberzahn getragen die Erde die Geschöpfe trägt! Der Gott, der Ebergestalt trägt, der Lockige, schütze dich, Geschlecht und Bauch schütze Vischnu dir, Schenkel und Füße der ›Quäler der Menschen‹, immerdar schütze dich, der in einem Nu Gestalt eines Knirpses annahm! Der mit drei Schritten die drei Welten durchschritt, mit funkelnden Waffen, Govinda schütze dein Haupt, deinen Hals schütze der Lockige! Dein Gesicht und beide Arme und Unterarme, deinen Geist und alle Sinne schütze Narayana dir, der Unvergängliche, dessen Herrscherkraft keinen Widerstand kennt! In allen Richtungen des Raumes schütze dich Vaikuntha, und in den Richtungen dazwischen der Töter des Madhu! Der ›Herr der Sinne‹ schütze dich im Luftraum, der ›Träger der Erde‹, Vischnu als Weltschlange Schescha, schütze dich auf der Erde!‹ So segnete Nanda das Knäblein und bettete es unter dem Wagen in einem Kinderbettchen. Als aber die Hirten den riesigen Leichnam der Putana erblickten, befiel sie gewaltige Furcht und Verwunderung.

Als Krischna unter dem Wagen lag, warf er einmal beide Füße in die Höhe und begann zu schreien, weil er die Brust haben wollte. Vom Stoß seiner Füße ward der Wagen umgeworfen und auf den Kopf gestellt, und Gerät und Töpfe, die in ihm waren, zerbrachen. Da kam das ganze Volk der Hirten und Hirtinnen herzu und rief ›Ha! Ha!‹ vor Staunen und sah das Kind frei daliegen, das Gesicht nach oben gekehrt. ›Wer hat den Wagen umgeworfen?‹ fragten die Hirten; da sagten die Kinder: ›Der Knabe da hat ihn umgestürzt. Wir sahen, wie er schrie und mit einem Stoß seiner Füße den Wagen umwarf, kein anderer hat es getan.‹ Da verwunderten sich die Hirten abermals aufs höchste, und Nanda nahm das Kind, höchsten Wunderns voll, und Yaschoda brachte, von Wundern ergriffen, dem Wagen mit seinem zerbrochenen Gerät und Geschirr Verehrung dar mit saurer Milch, Blumen, Früchten und rohem Reis.

Und der Brahmane Garga, von Vasudeva zur Herde gesandt, vollzog im geheimen bei den Hirten die heiligen Bräuche an den beiden Kindern. Als Garga, der Beste der Weisen, ihnen Namen gab, hieß er den erstgeborenen Rama, den anderen nannte er Krischna.

Schon nach wenig Zeit wurden sie ob ihrer großen Kräfte wohlbekannt und zerschunden sich Knie und Hände. Ihre Leiber klebten von Kuhmist und Asche, sie strolchten herum, und Yaschoda und Rohini vermochten sie nicht zu bändigen. Bald spielten sie mitten im Kuhpferch, dann waren sie wieder im Kälberhag und fanden den größten Spaß daran, eintagalte Kälber am Schwanze zu ziehen. Als Yaschoda die beiden in ihrem unstät-wilden Spiel nicht bändigen konnte, gürtete sie Krischna einen Strick um den Leib und band ihn, dessen Tun kein Hemmnis kennt, am Reismörser fest und sprach ungeduldig zu ihm: ›Geh, wenn du kannst, du Ungebärdiger!‹ Sprach's und wandte sich ihrer Hausfrauenarbeit zu. Wie sie ganz darein vertieft war, kam der lotosäugige Knabe daher, den Mörser hinter sich her schleifend, mitten zwischen einem Paar von Arjunabäumen. Wie er zwischen den Bäumen den Mörser, der quer lag, nach sich zog, brach er die Arjunazwillinge mit ihren ragenden Wipfeln um. Da kamen die Leute der Viehhürde, bestürzt, als sie das Krachen des brechenden Holzes hörten, herbei und sahen die beiden großen Bäume mit gebrochenen Stämmen und Zweigen zu Boden gesunken. Und sahen den Knaben, der erst ein paar Zähnchen im Munde hatte, wie er lachend zwischen den Bäumen stand, mit dem Strick fest um den Bauch (udara) gegürtet. Da bekam er, weil er mit einem Strick (dama) gebunden war, den Namen ›Strick-Bauch‹: Damodara.

Da beriet sich Nanda mit den älteren Hirten ängstlich, sie waren ganz erschreckt durch so große, unheilbedeutende Zeichen: ›Hier haben wir nichts verloren, wir wollen in einen anderen Wald ziehen. Hier erscheinen viele unheilkündende Zeichen, die Untergang meinen: Putanas Tod, daß der Wagen sich auf den Kopf stellte, daß die beiden Bäume ohne Sturmwind oder anderen Schaden umstürzten. Drum wollen wir unverweilt von hier in den Vrindawald ziehen, auf daß nicht ein großes Erdbeben die Herde treffe!‹

So entschlossen sich alle Bewohner des Pferchs weiterzuziehen und sprachen ein jeder zu seiner Familie: ›Geht schnell und haltet euch nicht auf!‹ Sie zogen alsbald mit Lastwagen und Vieh ab, herdenweis, und die Kälber in Reihen vor sich hertreibend, in einem Nu ward der Hirtenplatz von allem, was zu ihnen gehörte, reingefegt und von Krähen und ihren Weibchen bedeckt.«

Die Wunder der Kindheit beglaubigen den jungen Gott. Indem er in die Welt tritt, zieht er das Widergöttliche an, das seine eigene Niederlage von ihm erwarten muß; es will ihm den Garaus machen, ehe er herangereift ist. Aber wie Herakles in der Wiege die Schlangen erwürgt, die seine Feindin Hera ihm sendet, überwältigt Krischna die Dämonin Putana, die den kleinen Kindern heimlich nachts den Tod aus ihrer Brust zu trinken gibt, daß die Mütter sie am andern Morgen tot liegen finden. Er überwältigt sie nicht in Kampf und Abwehr, aber mit ironisch-überlegener Hingabe: er saugt ihr Gift mit seinem göttlichen Munde und saugt ihr dabei das Leben aus dem Leibe. Freilich, das Göttliche mag seine Art eindeutig offenbaren, die Welt, gerade die liebende Umwelt, wird seine Zeichen nicht verstehen: der Hirt Nanda spricht ängstlich einen Segen über das Kind und beschwört Vischnu mit vielen seiner großen Namen, das Kind – sich selbst – Glied um Glied in seinen Schutz zu nehmen. Und andere Wunder, mit denen das Götterkind spielend seine Kraft offenbart, erweisen den Hirten nur, ihr Lagerplatz sei nicht geheuer, sie ziehen eilig anderswohin und nehmen ahnungslos den Gast, der so bestürzendes Geschehen wirkt, mit sich.

 

»Der erhabene Krischna, dessen Tun kein Hemmnis kennt, betrachtete mit heiterem Sinn den Vrindawald und wünschte den Kühen Gedeihen. Da sproßte, obgleich die Sommerhitze besonders grausam war, wie zur Regenzeit überall frisches junges Gras. Da ließ sich das ganze Hirtenvolk im Vrindawalde nieder auf einem Lagerplatz, den sie mit Lastwagen und Einfriedungen halbmondförmig begrenzten.

Und Rama und Damodara wuchsen zu Jungen heran. Sie trieben sich in der Hürde der Kühe mit Knabenspielen herum, flochten sich Kränze aus Gräsern und Blättern und Gehänge aus wilden Blumen des Waldes, sie bliesen Hirtenflöten und machten sich Trommeln aus Blättern. Die beiden Jungen trugen ›Krähenflügel‹-Locken an den Schläfen wie Fürstensöhne, die heiligen. Lachend und spielend durchstreiften sie den großen Wald, bald lachten sie übereinander, bald spielten sie mit anderen. Mit den Söhnen der Hirten trieben sie sich, die Kälber weidend, herum, und wie die Zeit verging, wurden sie sieben Herbste alt. Die Hüter aller Welt hüteten Kälber im großen Pferch.

Dann kam die Regenzeit, die den Himmel ganz mit Wolkenfluten bedeckte, es war als schmölze sie alle Himmelsgegenden in eins mit ihren Wassergüssen. Die Erde strotzte von frisch aufsprießenden Blumen und war von rotweißen ›Indra-Schützling‹-Fliegen erfüllt: da war's als sei sie aus Smaragd gefertigt und mit Rubinen geschmückt. Die Wasser der Flüsse, wie der Sinn böser Menschen aus ihren Wegen weichend, prangten allerwärts in frischer Schönheit. Wenn der Abend einfiel, kehrten die beiden Starken, wie die Lust sie ankam, zur Hürde heim und spielten mit Hirten, die ihnen Freund waren, wie die unsterblichen Götter.

Einmal aber ging Krischna ohne Rama in den Vrindawald. Leuchtend mit Ketten wilder Waldblumen streifte er umher, von Hirten umgeben. Da ging er zur Kalindi, die mit strudelnden Wellen prahlt, Schaum hängt in Mengen an ihrem Ufer: es ist als lache sie allerwärts.

In ihr sah er den schrecklichen Schlund, in dem das Schlangenwesen Kaliya hauste, der war von den Feuertropfen des Schlangengiftes bedeckt und war sehr furchtbar. Die großen Bäume am Ufer waren vom Feuer des aufsteigenden Giftes verbrannt, und Vögel wurden verbrannt, wenn Wassertropfen sie trafen, die der Wind mit sich trug und verstäubte. Der erhabene Töter des Madhu schaute den fürchterlichen Schlund, der wie ein zweites Antlitz des Todes war, und bedachte sich:

›Hier haust der böse Kaliya, Gift ist seine Waffe. Er ist von mir besiegt, und wenn ich ihn freigelassen habe, ist er elend im Weltmeer verschwunden. Von ihm ist die ganze Yamuna, die zum Weltmeer zieht, unrein; nicht Menschen noch Herden, die Durst quält, trinken aus ihr. Darum muß ich den Schlangenkönig bezwingen, auf daß die in Hürden hausen und in ewiger Angst leben, glücklich und frei dahinziehen können. Das ist es, wozu ich in diese Menschenwelt herabgestiegen bin, daß ich die bösen Wesen strafe, die falsche Wege wandeln. Drum will ich den breitästigen Kadambabaum nahebei ersteigen und in den Schlund des Lebenvernichters hinabspringen.‹

Als er sich so bedacht hatte, schürzte er sein Lendentuch und sprang mit einem Schwunge in den Schlund des Schlangenkönigs hinab. Sein Sprung erschütterte die große Tiefe, und sie spritzte auf Bäume bis in die weite Ferne. Als die Glut des Wassers, das vom flammenden Gift der Schlange glühte, die Bäume netzte, gingen sie in Flammen auf, und der ganze Himmelsraum war von Flammen erfüllt. Da schlug Krischna den Schlangenschlund mit den Armen, und der Schlangenkönig kam hervor, als er den Schall vernahm. Seine Augen waren zorngerötet, seine Hauben blähten sich voll flammendem Gift, große rote Giftschlangen umgaben ihn und Schlangenfrauen zu Hunderten mit berückenden Perlenketten geschmückt; Glanz lief über ihre Windungen hin, als sie ihre schwingenden Leiber aufrichteten.

Da ward Krischna von den Schlangen mit den Banden ihrer Windungen umschlungen, und sie bissen ihn mit ihren Mäulern, die von flammendem Gifte trofen. Die Hirten sahen, wie er niedersank, von den Windungen umpreßt, gingen zur Hürde und klagten von Kummer überwältigt: ›Jetzt ist Krischna, wahnversunken, in den Wasserschlund des Kaliya gegangen, der Schlangenkönig frißt ihn auf – kommt unverweilt herbei!‹ Als die übrigen Hirten ihr Wort, das wie ein Blitzschlag war, vernahmen, gingen sie mit Yaschoda und anderen Hirtinnen eilends zum Wasserschlund. ›Weh, weh, wo bist du?‹ rief das Frauenvolk in höchstem Leid und schritt verwirrt, eilend und strauchelnd, mit Yaschoda dahin. Und Nanda und die anderen Hirten eilten mit dem mutigen Rama zur Yamuna, voll Sehnsucht, Krischna zu schauen. Dort sahen sie Krischna in der Gewalt des Schlangenkönigs, kraftlos geworden und von Schlangenwindungen umgürtet. Nanda und Yaschoda standen starr, als sie des Sohnes Antlitz sahen, die anderen Hirtinnen blickten weinend, schmerzentmutigt, und sprachen, voll Liebe stammelnd und zitternd vor Angst: ›Wir alle gehen mit Yaschoda in den Wasserschlund des Schlangenkönigs! Wir können nicht zur Hürde gehen; was ist der Tag ohne Sonne, was ist die Nacht ohne Mond, was sind Kühe ohne Milch, was ist die Hürde ohne Krischna? Sollen wir ohne Krischna sein, gehen wir nicht zur Herde zurück!‹

Der starke Rama hörte die Worte der Hirtinnen und sah die trauernden Hirten, sah Nanda ganz gebrochen, die Augen auf das Antlitz des Sohnes gebannt, und Yaschoda besinnungslos – da sprach er starren Blicks aus seinem Wissen um die göttliche Wunderkraft Krischnas: ›Göttlicher Herr der Götter, was entfaltest du dieses menschliche Wesen? Ist es so, daß du nicht um dein eigenes anderes Wesen weißt? Du bist der Nabel dieser Welt, du bist der Götter Halt; Schaffer, Wegraffer und Hüter der drei Welten bist du, aus den drei Welten bist du gebildet. Die Hirten – Verwandte von uns beiden, die wir in diese Menschenwelt herniederstiegen – und die Hirtinnen verzweifeln. Was achtest du der Verwandten nicht? Menschliches Wesen hast du gezeigt, Knabenspiele hast du gezeigt, darum bezwinge jetzt den bösen Zahnbewehrten!‹

So ward Krischna sich selbst in Erinnerung gebracht, und ein Lächeln spaltete den Kelch seiner Lippen. Klatschend schlug er auf die Windungen, die ihn fesselten, und löste seinen Leib aus ihnen. Und bog mit beiden Händen die mittelste Haube der Schlange nach unten, trat darauf und hub mit großem Schreiten auf dem herabgebeugten Haupt zu tanzen an.

Wunden gab es auf der Schlangenhaube vom Stampfen der Füße Krischnas, immer wenn die Schlange ihr Haupt hob, beugte er es ihr hinunter. Da schwindelte der Schlange vor Krischnas Stampfen, und sie verlor die Besinnung, steif wie ein Stock fiel sie hin und spie viel Blut.

Als sie den Schlangendämon mit verdrehtem Kopf und Halse liegen und viel Blut aus seinem Munde strömen sahen, wandten sich die Schlangenfrauen flehend zum Töter des Madhu und sprachen: ›Wir kennen dich, göttlicher Herr der Götter, Herr des Alls bist du, Höchster! Vom höchsten unausdenkbaren Himmelslicht bist du ein Stück, o höchster Herr! Den Starken, der keinem anderen als sich selbst entsprang, können die Götter nicht würdig preisen, wie sollten Frauen sein Wesen schildern? Das Brahman-Ei mit aller Erde und allem Raum, mit Wasser, Feuer und Wind ist nur ein Stück von einem kleinen Stück von ihm; wie sollten wir ihn preisen: So übe Gnade, Herr der Welt, mit uns Verzweifelnden: der Schlangendämon gibt sein Leben auf. Gib uns den Gatten frei, wir bitten um ihn!‹

Als sie so sprachen, faßte der Schlangendämon Mut, wiewohl sein Leib erschöpft war. ›Sei gnädig, Gott der Götter!‹ sagte er und sprach dann langsam: ›Dein ist achtfach entfaltete Herrschaft, o Herr, höchste, dem eigenen Wesen entsprungen, die alles Übermaß in Schatten stellt – wie soll ich dich preisen? Du bist das Höchste, des Wesen höher als Höchstes ist – wie soll ich dich preisen? Wie ich von dir geschaffen bin, nach Art und Gestalt als Herrscher und mit meinem Eigenwesen vereint, so hab' ich mich hier gebärdet. Bewegte ich mich auf andere Weise, o Gott über Götter, dann müßtest du mich zu Recht mit dem Stock der Strafe treffen, denn so ist dein Wort. Aber auch so muß ich den Stock der Strafe, mit dem der Herr der Welt mich getroffen hat, als höchste Wunscherfüllung ertragen, und keinen anderen Wunsch will ich daneben haben. Mit vernichtender Kraft, mit vernichtetem Gift bin ich von dir, Unerschütterlicher, gebändigt; schenke mir einzig das Leben und befiehl mir, was ich tun soll.‹

Der Herrlich-Erhabene sprach: ›Niemals sollst du hier weilen, Schlange, im Wasser der Yamuna; mit deinen Leuten und Gefolge geh in die Flut des Weltmeers. Und wenn der Feind der Schlangen, Garuda, der Sonnenvogel, meine Fußmale auf deinem Haupte im Weltmeer erblickt, wird er dich nicht angreifen.‹ So sprach der erhabene Hari und ließ den Schlangenkönig frei. Der verneigte sich vor ihm und zog zum Weltmeer. Alle Wesen schauten zu, wie er samt seinen Leuten, Nachkommen und Verwandten, begleitet von allen seinen Frauen, den Wasserschlund verließ. Als er gegangen war, umarmten die Hirten Govinda wie einen Toten, der ins Leben zurückgekehrt ist, und netzten sein Haupt mit den Wassern, die ihren Augen entströmten. Andere priesen ihn voll Wunderns und Freude, als sie den Strom sahen, wie sein Wasser nun heilbringend geworden war. Besungen von Hirtinnen, die ihn mit lieblichem Gebaren umgaben, gepriesen von den Hirten ging Krischna wieder zur Hürde.«

Krischna bezwingt das Schlangenwesen Kaliya, das als Genius der Wasser in der Yamuna haust und mit seinem glühenden Giftatem die Bewohner des Vrindawaldes an ihrem Ufer bedroht, er verweist es fernab ins Weltmeer und füllt die Stätte mit seiner eigenen segensvollen Gegenwart – in dieser Form gelesen ist die Begegnung Krischnas mit Kaliya ein kultgeschichtlicher Mythos: der menschgestaltete Gott Krischna, in einem geschichtlichen Augenblick indischer Religion ans Licht getreten, verdrängt in Vrindavana den urtümlich-zeitlosen Kult eines lokalen Schlangenwesens und prägt sich selbst dem Orte auf: Brindaban ist heute noch einer der hauptsächlichsten Wallfahrtsorte des Vischnuismus. So bezwang der himmlische Apoll in Delphi den alten Erddrachen Python und setzte sich an seine Stelle als orakelnde Gottheit über den Erdspalt, aus dem die Pythia ihre Eingebungen atmete: als pythischer Gott.

In der Kindheit des Gottmenschen ist die Bezwingung und Wegbannung Kaliyas die erste in jener Reihe exorzistischer Taten, um deretwillen das Göttliche mit einem Teil von sich in die Erdenwelt hinabgestiegen ist. Der Humor dieser Kindheit steigert sich, die Ironie des Nichtbegreifens wächst: Grausen und Fürsorge vertrieben die Hirten von dem unheimlichen Ort, an dem das Gottkind erste Zeichen seiner höheren Natur gab, die unverstanden blieben, aber das Aufregende zieht mit ihnen, die mayabefangenen Menschenkinder werden mit immer anderen Affekten genarrt: jetzt wird ihre liebende Ahnungslosigkeit durch den Todesschrecken geprüft, den sie um Krischnas schon sicheren Untergang leiden müssen, da sie sein Wesen nicht zu durchschauen mögen – ein Schrecken, der ihnen nichts anhaben könnte, wüßten sie, wer unter ihnen weilt.

Mit seiner gotthaften Ironie gegenüber dem eigenen Menschtum überwächst Krischna den mondhaften Rama, wie jener seinen Vorgänger mit dem Beil. Rama der Mond bleibt in der Maya seines Menschseins ganz befangen und erfüllt sie ganz; seine vorbildliche Größe ist, daß er sein menschlich-dämonisches Teil überwunden bat und sich als lauteres Gefäß weltordnender Gotteskraft bewährt; nach dem dämonischen Beilhelden und Berserker strahlt er das rührende Pathos, der vollkommene Mensch zu sein: des heldischen Exorzismus fähig, aber unkund seines göttlichen Wesens – in Krischna schnellt sich die Menschwerdung des Göttlichen zur Stufe vollkommener Bewußtheit ihres Doppelwesens auf: er ist der ironische Mayaspieler; mit seinen Gebärden, die Wunder sind, ist er unfreiwillig lehrhaft und bleibt freiwillig unbegriffen. Selten lüftet er die menschliche Maske und zeigt sich als Gott: den Eltern nach der Geburt, dann, wenn er sie wiederfinden wird, einem Gläubigen im Spiegel der Wasser, schließlich im Tode, wenn er sich entrückt. Gern aber spielt er mit ihr in seiner wissenden Überlegenheit; es ist, als wolle er die Menschen necken, indem er sie düpiert, er spielt auf ihrer Blindheit, auf der Skala ihrer wechselnden Empfindungen – anfänglich Schrecken, nachträglich Bewunderung bei den Hirten –, trotz allem was sie sehen und fühlen dürfen, finden die Menschen nicht das Reimwort auf sein Geheimnis.

Er übertreibt sein Menschentum, er gibt sich seiner Rolle ganz hin, scheint bereit, sich wie ein wirklicher Mensch von dem Schlangenwesen erwürgen und vergiften zu lassen, in dessen Abgrund er sich sieghaft-unverwundbar wie ein Halbgott warf. »Er ist von mir besiegt«, sagt er und nimmt den Ausgang des Kampfes vorweg. Der Gott, der das Ganze ist, gibt sich, wenn es ihm beliebt, Gestalt der Kreatur anzunehmen, so spielend ihrem grausen Untergange hin wie seinen heldischen Taten, er empfängt die Umschlingung des Todes so gleichmütig lächelnd als eine mögliche Gebärde, wie er ihn gelassen austeilt. Es ist ja kein eigentlicher Kampf zwischen Gott und Schlange, All und Geschöpf möglich, sowenig wie zwischen Vischnu und Bali – spielend traumhaft unterliegt der Gott, und spielend tanzend siegt er. Und auch seine Feindschaft ist Gnade, seiner Füße Abdruck auf dem Haupt des Überwundenen ist Glückszeichen und Beglückung, feit gegen den Tod.

Der Überweltliche spielt übertrieben gut, was bei allen mayabefangenen Wesen nur allzuecht ist, aber Balarama, der Bruder, das andere Ich, ruft ihn zur Besinnung, als er sich ganz im Spiele seiner Maske zu verlieren droht, seinem geheimen Gottwesen zu entgleiten droht. Wie eine höhere Stimme, zaubernd und beschwörend, spricht der helle Bruder, frei oben vom Ufer, zum dunklen zweiten Ich, das in den Schlingen der Erd- und Wasserkräfte gefangen liegt. Er reißt ihn aus der Versunkenheit in seine menschliche Natur, er ruft ihr zu: Du bist ja mehr als das, besinne dich, und alle Fesseln, die dich umschlingen, alles Gift, das dich durchtränkt, fällt von dir ab. – Daß wir sind, wie wir sind und uns gewahren, ist nur eine Seite unseres Wesens: allmächtige Wirklichkeit der Maya, die uns bindet; es ist die Seite, mit der wir uns selber zugewandt sind, von der wir angestrahlt und geblendet sind. Aber dieser helle Schein unser selbst quillt aus einem Jenseits in uns, wie die Weltfülle Gottes aus seiner überweltlichen Ruhe in sich selbst. Durch Gebet beschworen, in Andacht bebrütet, im Augenblick der Not ungerufen zur Stelle, spricht dieses Jenseits aus seinem Dunkel zu unserem Ich; so spricht Balarama zu Krischna ein Wort, das ihn weckt.

In den Geheimlehren der Veden heißt Aruni seinen Sohn Schvetaketu ein Stück Salz in Wasser werfen und begreifen; wie das Salz, im Wasser zerlöst, allgegenwärtig ist, so durchdringt die feinste Kraft des Lebens ungreifbar alle greifbare Gestalt, und diese feinste Essenz des Alls ist's, daraus das Weltall besteht: »Das bist du, tat tvam asi« – das heißt: du bist nicht, was du dir vorkommst und an dir greifst, was Menschen gemeinhin für ihr Wirkliches und Wesen nehmen, bist nicht dein Leib, nicht deine Sinnes- und Geisteskräfte, mit denen du in die Welt langst, nicht dein Seelenhaftes – in dir ist etwas, feiner als das Feinste, ungreifbar wie das Salzige im Wasser, allgegenwärtig bildet es die Welt: das bist du.

Aus diesem Wesen, so lehrte Yajnavalkya seine Frau Maitreyi, geht die Welt hervor mit ihrer Gestaltigkeit, wie Funken aus dem Feuer, wie Rauch aus der Flamme, wie Schall aus der Pauke. Dieses Wesen in uns und allerwärts stirbt nicht, wenn wir sterben, es überdauert alle Schalen – Person und Gestalt – als ihr Kern, nimmt spielend immer neue an, wie das Göttliche die Weltgestalt im Spiele seiner Maya. Es »wird nicht getötet, wenn der Leib getötet wird«, lehrt Krischna seinen Freund Arjuna in der Bhagavadgita, keine Waffe zerschneidet es, kein Feuer verzehrt es. Wer dies begreift, greift das Wirkliche: wie alle irdenen Töpfe nur Umformung von Erde sind, wie man an einem Stück Erz das Eherne von allen ehernen Geräten jenseits ihrer jeweiligen Form ergreift, so greift man mit ihm den unvergänglich göttlichen Stoff, aus dem alle vergängliche Gestalt wechselnd gebildet ist.

Der »Herr der Sinneskräfte«, der »innere Lenker« unseres Leibes, und »der das Ackerfeld des Leibes kennt« sind Namen Vischnus: mit ihm nennt Indien ein unanrührbares Teil in uns und allen Wesen, das dunkel glänzend hinter dem Wandelspiel der Verleihungen, Masken, Schicksale als Tiefe unserer Tiefe dämmert. Es geht sich selbst verloren, von der Lebensschlange umstrickt, von ihrem Todesatem angeweht, ganz Kreatur im Banne der Maya, wie Krischna, von Kaliya umdrosselt, unkund seiner göttlichen Entrücktheit. Da müßte es eine solche Stimme hören, die es in sein ihm selbst verborgenes Wesen einsetzte, es zu seinem tieferen Selbst erweckte. Wenn Krischna in den Windungen der Schlange hinzusterben scheint, spielt er, wie dieses Göttliche sich in den Banden der eigenen Maya, im vereinzelten Bewußtsein der Geschöpfe, selbst abhanden kommt und nur mehr wie eine Perle in verschlossener Muschel allerwärts in der Tiefe verborgen ruht. Aber kein Anlaß zu Schreck und Klage: ist der Götterknabe nicht in Schlangenbanden und im Gifthauch des Todes gleichmütig hingegeben, träumend selbstverloren, klaglos unbetroffen, und immer noch göttlich, auch in der Ohnmacht, und ist wachen Ohres, um die Stimme zu hören, die den im Spiel Verlorenen zu seiner wahren Natur erweckt? Indes das Kreatürliche, die Hirten, im Geschöpfe verzagt, tauscht das Überkreatürlich-Göttliche in der Doppelgestalt der Halbbrüder mit sich Erinnern seiner selbst, das alle Bande löst und Ohnmacht in zeremoniellen Siegestanz verwandelt.

 

»Als Rama und der Lockige wieder die Kühe hüteten, kamen sie im Walde umherstreifend an einen Hain von Talapalmen. Dort hauste ein Dämon mit Namen Dhenuka, der nährte sich mit Fleisch von Menschen und Kühen und hatte Eselsgestalt. Als die Hirten den Hain, der voller Früchte hing, sahen, bekamen sie Lust, die Früchte zu pflücken und sprachen: ›Ho Rama, ho Krischna, weil dieser Fleck von Dhenuka bewacht wird, wagt sich niemand an seine Früchte. Sieh die Früchte der Talapalmen, die duftenden, wohlriechenden! Wir möchten sie gern haben, laß welche herunterfallen, wenn du magst.‹

Als Samkarschana und Krischna das Wort der Hirtenknaben hörten, ließen sie Talafrüchte auf die Erde herabfallen. Der Dämon vernahm das Geräusch der fallenden Früchte und kam zornig in Eselsgestalt herbei. Mit seinen Hinterfüßen schlug er nach Krischnas Brust, der aber packte ihn an beiden Beinen, nahm ihn und schwang ihn im Kreise, daß ihm vom bloßen Schwingen in der Luft das Leben ausging, und warf ihn mit einem Schwunge gerade auf eine Palme. Da riß der Esel im Sturz von der Palme Früchte in Menge zur Erde nieder, wie ein Sturmwind Wolken mit sich reißt. Andere Dämonen in Eselsgestalt, seine Verwandten, kamen herzu, auch sie warf Krischna und Balabhadra spielend in die Wipfel der Palmen. In einem Nu war die Erde mit reifen Früchten geschmückt, schöner noch war sie mit den Leibern der eselgestaltigen Dämonen. Danach konnten die Kühe in diesem Haine behaglich und ohne Not im frischen jungen Grase weiden, wie sie vorzeiten dort geweidet hatten. Als der Esel-Dämon samt seinen kleineren Geschwistern zu Boden gestreckt war, dünkte der Palmenhain Hirten und Hirtinnen lieblich; da strahlten die beiden Söhne Vasudevas voll großen Wesens in ihrer Freude wie Stiere, denen die jungen Hörner wuchsen. Und weithin ließen sie die Kühe weiden und riefen sie mit Namen; sie trugen Halfter auf der Schulter und waren mit wilden Blumen geschmückt. Ihre Gewänder waren mit Goldstaub und schwarzem Schminkpuder geziert, sie schimmerten wie die Waffe des großen Indra, der Regenbogen; sie waren wie ein weißer und ein dunkelblauer Lotos. Sie spielten miteinander die alten Spiele, die der Welt bekannt sind – die Schirmherren aller Weltbeschirmer, zur Erde herabgestiegen. Sie fanden Freude an menschlichem Gebaren und ehrten das Menschentum. Mit Spielen, die den Eigenschaften ihrer Geburt als Menschen entsprachen, trieben sie sich im Walde herum; auf Schaukeln, in Ringkämpfen und mit Steinwürfen übten sich die beiden Starken.

Wie beide sich dort vergnügten, kam, sie zu packen, ein Widergott, Pralamba geheißen. Er barg sich in Hirtentracht: Pralamba, der große Dämon, mischte sich, menschliche Gestalt annehmend, der Nichtmensch, furchtlos unter die Hirten. Eifrig sann er, wie er eine Blöße an den beiden fände; er wollte Krischna und den Sohn der Rohini erschlagen. Da begannen alle mit Hari ein Spiel zu spielen, »Kinderspiel« genannt: zwei und zwei sprangen paarweis in die Höhe. Govinda sprang mit Schridaman, Bala mit Pralamba, und andere Hirten sprangen untereinander um die Wette in die Luft. Da siegte Govinda über Schridaman, und der Sohn der Rohini über Pralamba, und die Hirten von Krischnas Partei siegten über die anderen. Da ritten die Sieger auf den Besiegten und ließen sich von ihnen zum Stamm eines Bhandirabaumes tragen, dort kehrten alle um, die besiegt worden waren.

Der Dämon aber lud geschwind Samkarschana auf seine Schulter und machte nicht halt, sondern schritt voran wie eine Wolke mit dem Monde. Außerstand ihn zu tragen, wuchs der furchtbare Dämon aus Wut mit seinem Leibe gewaltig in die Höhe, wie eine Wolke zur Regenzeit. Als aber Samkarschana ihn sah – er war wie ein brennender Berg, sein Schmuck baumelte mit Blumenketten und Bändern an ihm herab, und sein Kopf wuchs sich mit einem Diadem aus, fürchterlich ward er mit Augen groß wie Wagenräder, und die Erde bebte unter seinen Tritten –, da sprach Balarama, von ihm entführt, zu Krischna die Worte: ›Krischna, Krischna, sieh doch, ich werde hier von einem berggroßen Dämon entführt, der sich in Hirtengestalt barg. Sag' mir, was ich jetzt tun soll, du Töter des Madhu – in großer Eile schreitet der Böse von dannen!‹

Krischna, der das Maß von Kraft und Mut am Rohinisohne kannte, sprach zu Rama, und ein Lächeln spaltete den Kelch seiner Lippen: ›Was hängst du dich offen an dieses menschliche Gebaren, du Wesen des Alls, des Wesen geheimer ist als das Geheime aller Geheimnisse? Herr aller Welt, Ursache, die vor Brahma, der Ursache aller Welt, west, erinnere dich an dein alleinsames Wesen und an ihn, der alleinsam in der Welt, dem alleinen Meere, ruht. Du und ich, du Wesen von allem, sind ja die einzige Ursache der Welt, um der Welt willen haben wir beide uns in Zwiefalt gesondert. Darum gedenke du unermeßlichen Wesens deines Wesens und schlag den Dämon! Häng' dich an menschliches Wesen nur, um Freunden Gutes zu tun!‹

So brachte Krischna großen Wesens Bala sich selbst in Erinnerung, der Starke lachte auf und drückte auf Pralamba, und die Augen rot vor Zorn schlug er ihn mit der Faust auf den Kopf. Von dem Schlage quollen dem Dämon beide Augen heraus, das Hirn drang ihm heraus, und Blut aus dem Munde speiend stürzte er zu Boden und starb. Als die Hirten Pralamba von Bala, dem Helden wunderbarer Taten, erschlagen sahen, freuten sie sich, lobten ihn, und von ihnen gepriesen kehrte Rama mit Krischna zum Pferche heim.«

 

Das Dämonische sendet seine Kräfte aus, die beiden Heilande noch in der Kindheit zu überwältigen. Der einzelne mag sich wohl zum Anschauen des Göttlichen erheben und sich darin erlösen – so geschah es Jubel und Bali –, aber das Dämonische als Ganzes und Wesen hat teil am Wesen des Weltganzen und lebt in dessen Dauer geborgen, es hilft sie ja mittragen. Es zeugt sich fort und gebiert sich immer wieder ungebrochen neu; die Welt als Ganzes ist keiner Läuterung fähig – sonst würde sie aufhören, wie Zarathustra, Mani und Johannes auf Patmos das verheißen haben. Sie läuft davon weiter in die Ewigkeit, daß ihre Maya von Ich und Welt in ihrer Selbstverkralltheit mit Lust und Angst ihren Kreaturen als tiefster Ernst und letzte Wirklichkeit erscheint. Dieses Spiel des Gottes, das Welt heißt und verzaubert und befangen hält, würde enden, und Er wäre nicht der Unendliche, nicht Gott, wenn das Böse, die tolle und ruchlose Gewalt in seiner Welt weniger werden könnte: Leben wäre nicht Leben, wenn es nicht den blinden Drang unauslöschlich in sich hätte, sich ohne Maß auszugebären, weiterzupflanzen und auszuwachsen, indem es sich selber verschlingt.

In immer anderen Gestalten langt das Dämonenwesen nach Balarama und Krischna; in Pralamba verlarvt es sich als unheimlicher Gespiele; gern entleiht es seine Masken den natürlichen Schrecken des Hirtenlebens, die seine Idylle dämonisch verstören: es kommt als tückisch gefährliches Widerspiel der Haus- und Herdentiere. Dem Wildesel Dhenuka folgt später der Wildstier Arischta, schließlich, von Kamsa entsandt, der mähnige wilde Hengst: alte geläufige Dämonenfiguren des engbegrenzten Hirtenlebens; sie bezeichnen das Störrische und Ungeratene, Unbändige und nicht Geheure, das immer wieder den Hirten an manchen ihrer Tiere zu schaffen macht und ein Dämonisches in ihnen verrät, das in der wilden Umwelt, dem Dschungel, gefährlich geistert und jählings in den Pferch der zahmen Herden zu brechen droht und Panik in sie wirft. Das ist die begrenzte, tierhaft dumpfe Dämonie, an der die Götterknaben, solange sie bei den Hirten weilen, ihre dämonenbannenden Kräfte messen.

Diesmal packt es Rama: auf den Schultern des Dämons reitend wird er augenscheinlich von der menschlichen Schwäche überwältigt, wie vorher Krischna in der Umschlingung Kaliyas. Rama ist so ganz vom Eifer des Kinderspiels als Hirtenknabe gepackt, daß er völlig seiner Maya, Menschenkind zu sein, verfällt. Indes der Dämon seine harmlose Kindermaske abwirft und sein ungeheuerliches Wesen auswächst, bleibt Rama in sich benommen und kommt gar nicht darauf, es ihm gleichzutun, ihn zu überbieten. Erst sein anderes Ich, das beiseite steht und unverflochten ist in dieses Spiel – Krischna – muß seine Stimme erheben und sein geheimes Wesen an Rama aufrufen, das alleinsam ist und unermeßlich: den allerfüllenden Gott, verborgen und verlarvt in der Tiefe der Kreatur.

Es ist, als spielten die beiden Knaben lehrhaft ironisch ihrer Umwelt eine Parabel von der Maya vor, als gefielen sie sich darin, ihren göttlichen Kern ahnen zu lassen, ihr übermenschliches Geheimnis in sprechenden Gebärden preiszugeben, weil sie der verdunkelnden Macht der Maya so gewiß sind und auf den stumpfen Blick der Kreatur vertrauen, daß er ihr Rätsel nicht durchdringt.

 

»Während Rama und der Lockige im Pferche weilten, ging die Regenzeit vorüber, es kam der Herbst, und die Lotosblumen blühten. Es kam die Zeit, wo der Himmel fleckenlos rein in klarem Sternenlichte prangt, und Krischna sah die Bewohner des Pferchs mit Zurüstungen zum Feste des Gottes Indra beschäftigt. Da sprach er voll Wißbegier zu den Alten: ›Was ist denn das für ein Fest, Indra zu Ehren, auf das ihr euch so freut?‹ – Nanda antwortete ihm ehrfürchtig: ›Der König der Götter voll hundert Kräften ist Herr der Wasser der Wolken, er treibt sie an, und sie regnen den wäßrigen Saft. Von der Frucht, die ihr Regen hervorbringt, nähren wir und andere Lebendige uns und leben und erfreuen opfernd damit die Götter. Die Kühe hier haben Milch, haben Kälber davon; von der Frucht, die er wachsen läßt, werden sie feist und froh. Nicht ist die Erde ohne Frucht, nicht ohne Schulden gegen ihn, nicht siehst du Menschen Hunger leiden, wo seine regenträchtigen Wolken zu sehen sind. Mit den Kühen der Sonne, mit ihren Strahlen, holt der Wasserspendende das Naß der Erde zu sich herauf, zum Gedeihen aller Welt regnet der Regengott auf die Erde. Darum verehren alle Könige frohen Sinnes den Herrscher der Götter zur Regenzeit als Gast beim Feste – wir und andere Lebendige.‹

Als er Nandas Worte über die Verehrung Indras hörte, sprach ›Strickbauch‹, um Indras Zorn zu erregen: ›Wir üben nicht des Pflügens Werk, noch leben wir von Handel. Die Kühe sind unsere Gottheit, weil wir in der Wildnis leben. – Betrachtung des Wesens der Dinge, das dreifältige heilige Priesterwissen, Erwerbskunde und Wissen um die Führung des Stocks gerechter Strafe, das ist die Vierzahl des Wissens. Von Erwerbskunde höre mir nun: Feldbau und Handel und als drittes, ihnen gleich, das Hüten des Viehs, das ist das glückbringende Wissen; in dreierlei Unterhalt wurzelt Erwerbskunde. Des Bauern Unterhalt ist Feldbau, vom Handel leben die Handelsleute, unser höchster Unterhalt sind die Kühe – so ist Erwerb dreifach verschieden. Die Wissenskunde, die ein jeder hat, ist ihm seine große Gottheit; die soll er ehren und verehren, denn sie steht ihm hilfreich bei. Der Mensch, der die Frucht der einen Wissenskunde ißt und eine andere verehrt, erlangt kein Heil, nicht in diesem Leben, noch wenn er ins andere hinübergegangen ist. Verehrt die Grenzen, die sich breiten, und den wilden Wald, den die Grenzen rings umschließen! Verehrt Wälder und Berge allzumal – und das sei uns der Pfad zum höchsten Heil! Darum wollen wir den Bergen Opfer darbringen und wollen den Kühen opfern – was geht uns der große Indra an? Kühe und Berge sind unsere Gottheiten. Den vedakundigen Brahmanen gilt Opfer mit heiligen Sprüchen als höchstes, und die Pflüger opfern dem Pfluge, unser Leben hängt an Bergen und Waldweiden, darum ist es uns gemäß, den Bergen und Kühen zu opfern. Verehrt darum den Berg Govardhana – ›Gedeihen der Kühe‹ – mit mancherlei frommen Bräuchen, ehrt ihn und schlachtet, wie es sich gebührt, reine Tiere, die zum Opfer taugen. Bringt unverweilt aus allen Hürden die Milch zusammen und richtet davon Brahmanen ein Mahl und wen sonst danach verlangt. Habt ihr den Berg verehrt, ihm das Opfer dargebracht und Brahmanen gespeist, dann sollen ihn die Scharen der Kühe mit Herbstblumen bekränzt umschreiten – das ist mein Gedanke, ihr Hirten. Wenn ihr auch daran Gefallen habt und solches tut, werden die Kühe und der Berg daran Gefallen haben und auch ich.‹

Als Nanda und die Bewohner des Pferchs diese Worte von ihm vernahmen, blühten ihre Gesichter vor Gefallen auf, und die Klugen sprachen: ›Gut, gut! Schön ist dein Gedanke, Kind. Was du uns da gesagt hast, das will ich alles tun. Das Bergopfer soll gefeiert werden.‹

So vollzogen sie das Bergopfer; sie brachten dem Berge Spenden dar mit saurer Milch und Milchreis, mit Fleisch und anderen Speisen. Und speisten Brahmanen zu Hunderten und Tausenden. Darauf umzogen die geschmückten Kühe, die rechte Flanke ihm verehrend zugewandt, den Berg im Kreise, und donnernd brüllten die Stiere wie regenschwere Wolken. ›Ich selbst bin leibhaftig der Berg‹, sprach Govinda und aß auf dem Haupte des Berges Speisen von vielerlei Art, die von den Hirten gebracht wurden. Krischna erstieg in seiner eigenen Gestalt mit den Hirten das Haupt des Berges und verehrte eine zweite Gestalt seiner selbst. Dann entschwand diese zweite Gestalt ins Unsichtbare, und die Hirten kehrten heim in ihren Pferch, als sie Erfüllung ihrer Wünsche gefunden und das Fest des Berges gefeiert hatten.

Aber Indra geriet in gewaltigen Zorn, als er sein Fest vereitelt sah, und sprach zu der Schar der Wolken, die ›Wirbel des Weltunterganges‹ heißen: ›Ho, ho, ihr Wolken! Vernehmt, was ich euch sage, und führt mein Geheiß unverweilt aus! – Nanda, der Hirt, der recht unkluge, hat, aufgeblasen durch die Kraft, die in Krischna sitzt, mit anderen Hirten mein Fest vereitelt. Was ihren Unterhalt, ihr Hirtendasein ausmacht – ihre Kühe sollen auf mein Geheiß von Regenfall bedrängt werden! Ich selbst will meinen ragenden Elefanten, der wie ein Berggipfel schimmert, besteigen und euer Gefährte sein, und die Winde sollen mit uns gehen!‹ Als der Götterkönig solches den Wolken befahl, ließen sie einen furchtbaren Sturmregen los, der die Kühe vernichten sollte. Da ward in einem Nu Erde und Berggipfel und Himmel in eins verwandelt, erfüllt von der großen Flut des Regengusses. Die Kühe wurden vom Regensturm, der sausend fiel, geschüttelt, sie gaben den Odem auf und lagen mit flach hingestreckten Mäulern und Hälsen, sie standen und deckten mit ihren Leibern die Kälber, andere hatten in der Wasserflut ihre Kälber verloren, und mit kläglichem Gesicht, die Nacken vom Winde geschüttelt, sprachen die Kälber in ihrer Not mit leisem Laut gleichsam: ›Schütz uns, schütz uns‹, zu Krischna.

Als Hari den ganzen Pferch voll Kühen, Hirtinnen und Hirten in großer Not sah, sann er auf Rettung: ›Das hat der große Indra getan, der uns feind ist, weil sein Fest zuschanden ward – nun muß ich den ganzen Pferch retten. Den Berg hier mit seinen breiten Felsflächen will ich mit meiner Kraft entwurzeln und werde ihn wie einen breiten Schirm über den Pferch halten.‹ Solchen Entschluß faßte Krischna und entwurzelte den Berg Govardhana und hielt ihn, mit einer Hand, spielend empor. Und der Schirmherr der Welt sprach zu den Hirten: ›Kommt alle hier unter ihn; es ist euch Schutz vor dem Regen geschaffen. Sitzet hier, wie es euch behagt, indes Land in allen Weltrichtungen ausgelöscht ist. Kommt herein und seid ohne Furcht, daß der Berg herabstürzt!‹

Da kamen die Hirten mit ihren Herden herein und die Hirtinnen mit dem Gerät, das sie auf Wagen geladen hatten – von der Flut bedrängt. Krischna aber hielt den Berg sonder Wank in die Höhe, und die Bewohner des Pferchs blickten ihn mit freudig staunenden Augen an. Gepriesen in seiner Tat vom jubelnden Hirtenvolk mit entzückten großen Augen, trug Krischna den Berg. Sieben Nächte lang regneten die großen Wolken, die Indra in Bewegung gesetzt hatte; als aber der Berg emporgehalten und der Pferch beschützt ward, gebot der ›höhlenzerspaltende‹ Indra, da, was er sich gelobt hatte, eitel geworden war, den Wolken Einhalt. Als der Himmel wieder wolkenlos war und der Herr der Götter um seine Mühe betrogen war, zog das Hirtenvolk freudig heraus und ging wieder an seine Stätte. Da gab auch Krischna den Berg Govardhana frei an seine alte Stätte – staunenden Angesichts sahen die Bewohner des Pferchs ihm zu.

Als Krischna den Berg Govardhana emporgehalten und das Hirtenvolk beschützt hatte, freute sich Indra an seinem Anblick, er bestieg seinen riesigen Elefanten Airavata und besuchte Krischna auf dem Berge Govardhana, den starken Helden, der Kühe weidete und Hirtengestalt trug: den Hirten aller Welt, der von Hirtenknaben umgeben war. Und Indra erblickte Garuda, den mächtigsten der Vögel, Vischnus Reittier, der unsichtbar in der Höhe schwebte und mit seinen beiden Schwingen Haris Haupt Schatten spendete. Da stieg Indra abseits von seinem Elefanten und sprach, indes seine Augen sich vor Freude weiteten, lächelnd zum ›Töter des Madhu‹:

›Krischna, Krischna, vernimm, weswegen ich zu dir gekommen bin, Großarmiger, und meine nicht, es sei anders! Um die Erde ihrer Last zu entledigen, bist du auf die Erde herabgestiegen, der du das Ganze trägst, höchster Herr! Ich war feind, weil mein Fest vereitelt ward, und entsandte die Wolken, die das Hirtenvolk vernichten sollten, und sie haben dies Unheil angerichtet. Du hast die Kühe vor Leid bewahrt und den großen Berg entwurzelt – an dieser deiner überwunderbaren Tat freue ich mich, du Held. Vollbracht ist nun, meine ich, Krischna, der Götter Vorhaben, und du hast mit einer Hand diesen herrlichen Berg getragen. Und angetrieben von den Kühen, die du beschützt hast, Krischna, bin ich hier zu dir gekommen – dein Tun bewog sie, mich zu bewegen: dich, Krischna, weihe ich hier, vom Wort der Kühe angetrieben, zum Über-Indratum! Ein ›Indra‹, ein ›Herrscher‹ der Kühe und der Hirten sollst du sein, ›Govinda‹ sollst du heißen!‹

Er ließ seinen Elefanten hinzutreten, nahm dessen Glocke und vollzog mit ihr, die voll heilig-reinen Wassers war, den Weiheguß. Indes die Weihe vollzogen ward, feuchteten Krischnas Kühe augenblicks die Erde mit ihrer Milch, die ihnen in Strömen entquoll.

Danach sprach Indra weiter voll Liebe und Ehrfurcht: ›Nach der Kühe Wort ist dies getan; vernimm noch ein anderes von mir, das ich dir sage, Großmächtiger, im Wunsche, die Erde ihrer Last zu entledigen. Ein Teil von mir, du Träger der Erde, ist auf die Erde herabgestiegen, ein Tiger unter den Männern, Arjuna ist er genannt – den schütze immerdar! Der Held wird dir Gefährte sein, wenn du die Erde von ihrer Last befreist, den schütze wie dein eigen Selbst, Töter des Madhu!‹

Der Herrlich-Erhabene sprach: ›Ich weiß um Arjuna, der im Stamme Bharata aus einem Teil von dir geboren ist, und will ihn schirmen. Solange ich auf Erden weile, soll niemand Arjuna im Kampfe besiegen! Wenn Kamsa und seine Dämonen erschlagen sind, hebt sich eine männermordende Schlacht an, in ihr wird der Erde ihre Last abgebürdet. Du aber geh und sorge dich nicht um deinen Sohn, solange ich da bin, wird kein Feind über Arjuna Macht gewinnen. Um Arjunas willen werde ich seine Brüder retten und sie, wenn der Kampf der Bharatas zu Ende ist, unversehrt ihrer Mutter übergeben.‹

Auf diese Worte umarmte der Götterkönig den ›Quäler der Menschen‹, bestieg seinen Elefanten und kehrte wieder in den Himmel. Krischna aber kehrte mit Kühen und Kuhhirten heim zum Pferch auf seinem Pfade, der rein und heilig ward durch die Blicke der Hirtinnen, die Um entlang blickten.«

 

Der Gottmensch Krischna, der sich seiner Gottnatur bewußt ist, erschöpft sein Wesen nicht, wie Rama der Mond, in der Erfüllung heiliger Ordnung; halb unwillkürlich und einfallsweis stiftet er unbefangen selbst neue Ordnung und weiß sie gegen die enttäuschten Gewalten des Alls zu beschirmen. Wie er Kaliya von seinem Fleck verwies, setzt er Verehrung der Kühe und Weidetriften als den Hirten gemäße Religion an Stelle des Dankopfers für den Götterkönig aus den Veden: ein simpler Hirtenkult statt komplizierten Priesterrituals; augenscheinlich bezweckt dieser Mythus vom Berg Govardhana die Heiligsprechung eines alten, vorarisch-lokalen Hirtenbrauches gegenüber der Feier des arischen Kriegshelden Indra, die von der brahmanischen Überlieferung gefordert war. In Krischna erhebt sich unbrahmanisch-vorarisches Volkstum mit alten Überlieferungen; er ist ja auch an Haut und Haar der »Dunkle«, wie sein Name Krischna sagt, die »schwarzen Leute« und die »dunkle Haut« sind geläufige Namen, mit denen die Veden der hellfarbigen Arier die eingesessene Bevölkerung bezeichnen, zu deren Herren sich die kriegerischen Einwanderer machten. Ein bezeichnender vorarischer Zug dieses Kultes ist die feierliche Prozession der Hirten und Herden um den göttlichen Berg, vergleichbar den feierlichen Umzügen bei Tempelfesten heut wie eh'; bezeichnend ist auch Krischnas Rolle beim Opfer, daß er leibhaft die Gottheit mimt, die Opferspeisen entgegennimmt und verzehrt, indes im brahmanisch-vedischen Ritual die aus dem Raum herbeigerufenen Götter ungreifbar bleiben im heiligen Opferbezirk und ihre Spenden durch die Vermittlung des Opferfeuers erhalten. Krischna verdoppelt sich durch seine Maya: ein Krischna spielt den Berggott, der andere führt die Hirten bei seiner Verehrung an; in der vorarisch alten Mütterreligion Indiens, die in der Tantraliteratur des späteren Hinduismus ihre Anerkennung findet, wie hier der vorarische Bergkult der Hirten, werden junge Mädchen erlesen, leibhaft wie Krischna, als Abbild der jugendlichen Weltmutter, der alles betörenden Maya und Kraft des höchsten Gottes, an Stelle ihres Kultbildes zu dienen und Schmuck, Verehrung und Andacht entgegenzunehmen.

In der Geschichte vom Berg Govardhana wie bei der Vertreibung Kaliyas und entsprechenden Stücken übt der Mythos kult- und religionsgeschichtliche Funktion aus: er verzeichnet nicht bloß als Chronik die Verdrängung eines Kultes oder einer Göttergestalt durch andere, die heiliggesprochen werden, er schafft vielmehr diesen Wandel selbst, er fertigt in seinem Berichte die gültige Urkunde aus, die Kaliya absetzt und Krischna an seine Stelle erhebt, er gibt der alten Berg- und Küheverehrung eine neue Rechtmäßigkeit. Denn Krischna oder der »Träger der Erde«, also die Weltschlange Schescha, mit anderen Worten Vischnu selbst oder die kosmischen Urwasser des Lebens, die alles tragen und die Welt aus sich hervorgebracht haben, heißen diese neue Form, das Göttliche zu ehren, gut, und der Berg Govardhana als Schirm über Hirten und Herden gehalten gegen das Zorngewitter, das sie wegspülen soll, bestätigt, wie die Versöhnung Indras mit Krischna, die Gültigkeit des unarischen Rituals.

In dem unvermeidlichen Zwist mit dem Götterkönige, der seinen kultischen Anspruch wahren muß, geht Krischna sehr achtungsvoll mit Indra um, sowenig dieser auch gegen ihn vermag. Es gehört zu seinem Maskenspiel, sich in den fließenden Grenzen eines übermenschlichen Heldentums zu halten. Da er in die Welt getreten ist, sie zu erretten, fügt er sich, einmal in den Rahmen seiner Traumwelt eingegangen, ihren Maßen, auf daß sie nicht an einer Gebärde, die seinem überweltlichen Wesen entspräche, zerspringt. Der friedliche Ausgleich mit dem Könige der Götter deutet nach den Wundern des Kindes mit erhabenerer Geste vorauf auf die Unbezwinglichkeit des Heilbringers im bevorstehenden Kampfe mit dem königlichen Dämon; die Besiegelung ihrer Versöhnung durch den Freundschaftsbund, den Krischna mit Indras Menschwerdung, dem Bharatahelden Arjuna knüpft, weist auf den Zusammenhang seines Mythos mit der Heldensage Mahabharata und gibt ihrem epischen Geschehen den mythischen Sinn: die große Schlacht Arjunas und seiner Brüder gegen die feindlichen Vettern, die Kauravas, deren achtzehntägiges Blutbad den ganzen indischen Kriegeradel hinwegrafft und sinnbildlich geballt die Selbstzerfleischung ihrer Herrlichkeit in Fehden bis zum Untergange aller darstellt – diese Schlacht ist Krischnas geheimes Werk, der Arjuna und die Seinen als Wagenlenker und Ratgeber zum trostlosen Siege führt, um die Erde von der dämonischen Last des tobenden Kriegeradels zu befreien. Er erfüllt damit die Aufgabe, um derentwillen er zur Erde niederstieg und vollendet, was Rama mit dem Beil auf seinen Streifzügen begann.

 

»Als Indra gegangen war, sprachen die Hirten zu Krischna, des Tun kein Hindernis kennt, nachdem sie gesehen hatten, wie er aus Liebe zu ihnen den Berg Govardhana emporgehalten hatte: ›Durch dich, Großarmiger, sind wir und die Kühe vor dieser großen Gefahr bewahrt worden, da du das Werk vollbrachtest, den Berg zu tragen. Nichts hält solchem deinem Knabenspiel die Waage, die Kühe zu hüten ist dir verächtlich. Und göttlich ist dein Tun, wie soll man davon sprechen? Kaliya hast du im Wasser gebändigt, Pralamba hast du gefällt und hier den Berg Govardhana getragen – voll fragenden Staunens ist unser Sinn. Wahrhaftig, wahrhaftig, es sind Vischnus Füße, denen wir uns in Ehrfurcht nahen, du Held unermessenen Schreitens! Denn wenn wir deine Heldenkraft anschauen, meinen wir nicht, du seist ein Mensch. Ein Gott bist du oder ein Dämon, ein Wunderkobold oder ein seliger Himmelsgeist. Was sollen wir darüber grübeln, Verwandter und Freund bist du uns – Verehrung sei dir dargebracht! Deine Liebe zum Pferch samt seinen Frauen und Knaben und diese Tat, du Lockiger, die alle Götter nicht vollbringen können, dein kindhaftes Wesen und deine übergewaltige Heldenkraft und deine glanzlose Geburt unter uns – wenn man all das bedenkt, o Krischna, du mit deinem unermeßlichen Wesen, dann weckt es fragendes Staunen.‹

Einen Augenblick schwieg Krischna, und Liebeszorn ergriff ihn ein wenig, als die Hirten so zu ihm redeten, dann sprach er: ›Wenn die Verwandtschaft mit mir euch Hirten nicht beschämt, wenn ich vielmehr euch preiswürdig bin – was wollt ihr dann grübeln? Wenn ihr mich lieb habt, und ich euch preiswürdig bin, dann ehrt mich mit Gastgeschenken, wie sie dem verwandten Freund geziemen, ihr Freunde, Verwandte! Nicht bin ich ein Gott noch ein Himmelsgeist, kein Wunderkobold noch auch ein Dämon. Als euer Verwandter bin ich geboren – denkt nichts anderes darüber hinaus.‹ Als sie sein Wort vernahmen, blieben die Hirten stumm. Sie gingen zu Bala, da Krischna in Liebeszorn war.

Krischna aber sah den wolkenlos klaren Himmel und den Mondschein des herbstlichen Mondes, sah die Lotosblumen in Blüte und alle Himmelsgegenden aufgeheitert, sah die Waldstreifen lieblich belebt von summenden Bienenscharen und richtete seinen Sinn auf Liebeslust mit den Hirtinnen. Mit Rama zusammen sang er süß und den Frauen überlieb, der Lotosfüßige nahm Liebeslust wie ein Gelübde auf sich. Als die Hirtinnen den Schall seines Sanges hörten, verließen sie ihre Hütten und kamen eilends dahin, wo der ›Töter des Madhu‹ weilte. Leise, leise sang eine Hirtin und ging mit Krischna im Takt seiner Schritte, eine andere richtete ihr Augenmerk ganz auf ihn und betrachtete ihn innerlich in ihrem Geiste, eine sprach ›Krischna! Krischna!‹ und stand schamübergossen, und eine andere trat vor Liebe blind und ohne Scham an ihn heran. Eine stand innen in der Hütte und sah draußen der Älteren einen, dem sie Verehrung schuldete, und mit geschlossenen Augen stellte sie sich, indes sie ihn ehrfürchtig grüßte, unter seiner Gestalt Govinda vor.

Von Hirtinnen umringt feierte Govinda die vom herbstlichen Monde verklärte Nacht; ihn verlangte nach der Stimmung des Rasatanzes. Und scharenweis folgten die Hirtinnen mit ihren Leibern Krischnas Gebärden, und wenn Krischna an eine andere Stätte weiterschritt, gingen sie mit in einen anderen Teil des Vrindahaines. Sie streiften umher, in Sehnsucht, ihn zu schauen, wenn sie seine Spur erspähten zur Nacht im Haine. Sie wandelten erregt bei Krischnas mannigfaltigem Gebaren selbander im lieblichen Haine umher, und wenn sie müde wurden und die Hoffnung aufgaben, ihn zu schauen, gingen sie zum Ufer der Yamuna und sangen von seinen Taten. Dann sahen sie ihn, wie er daherkam: sein lotosgleiches Gesicht war weit aufgeblüht, und die Hirtinnen erblickten den Hirten und Hüter aller drei Welten.

Eine sah Govinda an, wie er daherkam, und Freudenschauer überrieselten sie: ›Krischna, Krischna, Krischna!‹ sprach sie, und ihre Augen blühten weit auf, eine andere verzog die Brauen und blickte ihn an, dessen Stirn glatt wie ein Brett war, und mit ihren bienendunklen Augen trank sie an seinem lotosgleichen Antlitz. Eine andere sah ihn an und schloß beide Augen, innerlich schaute sie seine Gestalt, es sah aus, als sei sie in Yogaschau versenkt. Da gewann er die eine mit zärtlichem Wort, die andere mit Blicken und Verziehen der Brauen, wieder andere mit der Berührung seiner Hand.

Da ward der Sinn der Hirtinnen klar und froh, und Hari, voll erhabenen Wandels, spielte mit ihnen hingebungsvoll im Reigen des Rasatanzes. Wohl war der Hirtinnen Schar im Reigen des Rasatanzes aneinandergereiht, und doch schritt jede an Krischnas Seite und war nicht starr an ihre Stelle gebannt. Krischna nahm jede der Hirtinnen allzumal bei der Hand und bildete den Ring des Rasatanzes, und selig schlossen sie ihre Augen unter der Berührung seiner Hand.

Da hoben sie Lieder zu singen an, die den Herbst feierten, und lieblich tönte das Klingen ihrer schwanken Armringe darein. Krischna besang den herbstlichen Mond, der lotosholdes Licht und Lotosblüten verschwenderisch schenkt, die sich dem Mondlicht öffnen; aber die Schar der Hirtinnen sang wieder und wieder einzig den Namen Krischna.

Ermattend legte eine Hirtin, die ihr gleitender Gürtel störte, ihren lianenschlanken Arm auf seine Schulter, eine andere nahm schlau begeistertes Lob seines Sanges zum Vorwand und schlang ihre schimmernden, zitternden Arme um ihn und küßte ihn. Haris Arme berührten die Wangen der Hirtin, und im Schauer der Lust sträubten sich die Härchen auf ihnen und Schweißtropfen der Lust besäten sie dicht.

Während Krischna mit überheller Stimme den Sang des Rasatanzes sang, sangen die Hirtinnen ›Heil Krischna, Krischna!‹ im Zweiklang. Schritt er dahin, gingen sie ihm nach; drehte er sich im Kreise, so schritten sie mit ihm zugewandten Gesichts; hin und wieder wandelnd freuten sich die Frauen der Hirten an Hari.

So spielte der ›Töter des Madhu‹ liebend mit den Hirtinnen, und ein Augenblick ohne ihn war ihnen wie Myriaden Herbste. Ihre Väter, Gatten und Brüder wehrten ihnen, da trieben die lustfrohen Hirtinnen des Nachts ihre Liebesspiele mit Krischna. Und er, ein halber Knabe noch, ehrte ihr Verlangen, und der unermessenen Wesens voll ist, trieb Liebesspiele mit ihnen in den Nächten, der Vernichter der Bösen. In ihren Gatten, in den Frauen selbst und in allen Geschöpfen weilte der Herr, alles erfüllend – er, dessen Form die eigene Form des Allwesens ist. Wie in allen Geschöpfen die fünf Elemente: Raum, Feuer und Erde, Wasser und Luft und dazu das Ewige Wesen ist – so weilte er, alles erfüllend in allem.«

 

Der Gottmensch verschweigt sein Geheimnis; seine Taten zeugen davon, aber Fragen, die ihn ergründen wollen, erreichen ihn nicht, er biegt ihnen aus. Es ist genug, das Übermenschliche an ihm zu erfühlen und sich ihm hinzugeben; den Mayabefangenen sind als Spiegelung und Sinnbild seines unendlichen Wesens die Wunder gegeben, die das Maß des Menschhaften für Augenblicke sprengen, in ihnen blitzt der Grenzenlose, der Grenzen spottend, leibhaft auf. Aber die Fassungskraft des Denkens zu zersprengen, indem er ihm sein Geheimnis zu bedenken gäbe, kommt Krischna nicht in den Sinn. Darum schließt er sich den fragenden Männern nicht lehrend auf, aber er füllt das menschliche Gefäß, das ihn erahnt, bis an den Rand mit seligem Gefühl im Tanz und Liebesspiele der Hirtinnen.

Der Gott als Mensch bestimmt aus sich selbst, wie sein Werden und Vergehen, auch die Stunde seines Erwachens zum Manne. Nicht Mädchenblicke entzünden ihn, nicht Frauenliebe weiht den Knaben ein in die Geheimnisse des Geschlechts – der göttliche Knabe liest aus den Zeichen des Jahrkreises sich selbst die Stunde, die zur Liebe ruft, und offenbart sich in wissendem Spiel als Seelenführer des Geheimnisses, dessen Bräuche wie Gelübde einzuhalten sind und Stufen zum Erleben des Göttlichen bilden: zur Erfahrung der kosmischen Gotteskraft am eigenen Leibe.

Der sonnenwarme, windfrische Hirtenknabe als Verführer birgt in sich den Gott als Seelengeleiter zu seinem eigenen Geheimnis, das »Menschen im Herzen« ist. Im Reigen feiert Krischna die eigene Gottnatur: den Überschwang göttlichen Lebens, der den Grund der Welt bildet und aus seiner Fülle spielend Weltgestalt hervortreibt, die Einheit des Allwesens mit all seinen Erscheinungen in unablässigem Tanzen und Küssen, Umarmen und Hinschmelzen. Das gleichzeitige Verfallensein aller an den einen, der allen unerschöpflich und gegenwärtig ist, spiegelt das Ineinander aller Teile der Welt und des einen Überganzen der Welt: ihr gleichzeitiges von ihm Durchdrungensein, ihr Fürsichsein von ihm und ihre Aufhebung in ihm; es ist bis heute Vorbild und Sinnbild der demütigen Gottesliebe hingebend-frommer Seelen (bhakti), die sich Vereinigung mit dem Höchsten in reinem Auslöschen des Ich vor seiner Gnade ersehnt.

»Einmal aber, bei halbem Abenddunkel, als der ›Quäler der Menschen‹ dem Rasatanze frönte, kam Arischta in trunkener Wut und verbreitete Schrecken in der Hürde.

Er war wie eine regenschwere Wolke anzusehen und hatte scharfe Hörner und Augen wie Sonnen. Mit dem Schlag seiner Klauenspitzen zerriß er mächtig den Boden, heftig leckte er mit der Zunge beide Lippen, daß es klatschte, und warf im Zorn den Schwanz auf. Seine Sehnen und Schultern waren hart, die Wölbung seines Buckels ragte hoch, an Maßen war er unübertroffen. Sein Hinterteil war mit Kot und Harn beschmiert, er versetzte die Kühe in Schrecken. Mit vorgestrecktem Halse stürmte der stiergestalte Dämon geradewegs einher, sein Gesicht war gezeichnet vom Brechen der Bäume, er brachte den tragenden Kühen Fehlgeburt zur Unzeit. Immerdar schweift er durch die Wildnis, alles im Ansturm vor sich hinstreckend.

Als die Hirten ihn erblickten, schrien sie angstvoll nach Krischna; da erhob der Lockige sein Löwenbrüllen und klatschte in die Hände, und als der Stierdämon den Schall vernahm, wandte er sich geradewegs gegen ihn. Er richtete seine Augen auf Krischnas Bauch, senkte seine Hörner und stürmte auf ihn ein. Aber Krischna rührte sich nicht vom Fleck, ein verächtliches Lächeln spielte über sein Gesicht; als jener ihm nah kam, packte er ihn wie ein Krokodil seine Beute. Er stieß ihm das Knie in den Leib und hielt seine Hörner unbeweglich fest. Er brach ihm die Kraft seines Übermuts: ihn bei den Hörnern haltend, drehte er ihm den Hals um, wie man ein nasses Gewand auswringt. Er riß ihm ein Horn ab und schlug ihn damit, da spie der große Widergott Blut und starb.

Als der Buckelstier Arischta getötet war, kam der Heilige Narada zu Kamsa und erzählte ihm der Reihe nach alles, was sich an Wundern begeben hatte seit der Vertauschung der Leibesfrucht Yaschodas und Devakis.

Da geriet der Böse in Zorn über Vasudeva. Im Rat des Yadugeschlechts fuhr er ihn an und schalt auch die anderen. Er gedachte, ›solange Bala und Krischna noch ganz Knaben sind und noch nicht zu Kräften gekommen, will ich sie töten. Sind sie zur Mannheit aufgewachsen, kann ich sie nicht überwältigen. Die beiden Ringkämpfer Tschanura, voll Heldenmutes, und ›Fäustling‹, der große Kraft besitzt, sollen die zwei Törichttollen im Ring- und Faustkampf erschlagen. Unter dem Vorwande eines Opferfestes anläßlich der Bogenweihe laß ich die beiden holen – so will ich's machen, daß beide zugrunde gehen.‹

Er sprach zum Helden Akrura, dem ›Ungrausamen‹: ›Ho, ho, du Gebefreudiger! Tu' mir zulieb, was ich dir sage: Besteig' deinen Wagen und fahr zum Kuhpferch des Nanda. Dort wachsen zwei Söhne Vasudevas auf, die aus Stücken Vischnus entsprungen sind. Zu meinem Untergange sind die Schlimmen erstanden. Zur kommenden Vollmondnacht wird ein großes Opferfest der Bogenweihe sein, dazu sollst du die beiden herholen, und auch zum Ring- und Faustkampfe. Meine beiden Ringer Tschanura und ›Fäustling‹ verstehen sich auf den Kampf; wie die beiden mit diesen zweien kämpfen, soll alle Welt schauen! Der Elefant ›Blaulotoskranz‹ wird, vom Obertreiber angestachelt, die bösen Knäblein niederwerfen. Hab' ich die beiden umgebracht, werd' ich auch Vasudeva und Nanda, den tückischen Hirten, töten und meinen bösgesinnten Vater Ugrasena, dann werde ich allen schlimmen Hirten, die meinen Tod wünschen, all ihre Kühe und ihre Habe wegnehmen. Und alle vom Yadustamme hier, außer dir, sind mir verhaßt und feind – auch sie will ich nach und nach zu töten trachten, dann werde ich, ihrer ledig, meine ganze Königsherrschaft dank deiner frei von Dornen machen. Darum geh' mir zuliebe, Held, und gib den Hirten Befehl, daß sie geschwind Butter und saure Milch von den Büffelkühen als Geschenk herbeibringen.‹

Als Akrura solches Geheiß empfing, ward er von Liebe zum großen Erhabenen erfüllt. ›Morgen werde ich Krischna sehen‹, dachte er und sagte schnell: ›So sei es‹ zum König, bestieg eilends seinen Wagen, und der Liebling Mathuras verließ die Stadt.

Als Bote von Kamsa gesandt kam auch der ›Mähnige‹ kraftgeschwellt in den Vrindawald: es verlangte ihn, Krischna zu töten. Mit den Hufen riß er den Rücken der Erde wund, mit dem Schütteln seiner Mähne scheuchte er die Wolken, wieder und wieder setzte er über die Pfade von Sonne und Mond hinweg – so kam er zu den Hirten. Vor dem schallenden Wiehern des Dämons in Hengstgestalt packte alle die Angst, sie suchten Schutz bei Govinda. Als er ihr Geschrei vernahm, sprach er, und seine Stimme klang tief wie der Donner regenschwerer Wolken: ›Hört auf zu zittern vor dem Mähnigen, ihr Hirten! Was ist's mit diesem Schwächling, der wunders was gelten will? Mit diesem Saumtier im Heer der Dämonen, diesem Klepper, der daherhüpft? – Komm, komm, du Elender! Ich bin Krischna; wie der dreizacktragende Schiva dem Puschan tat, will ich dir die Zähne allesamt aus dem Munde schlagen!‹

Sprach's und schritt stracks auf den Mähnigen los, und der Dämon rannte ihm mit aufgesperrtem Maul entgegen. Der ›Quäler der Menschen‹ wölbte seinen Arm und stieß ihn dem bösen Hengste ins Maul. Da wurden ihm von Krischnas Arm die Zähne herausgerissen, als wären es Fetzen weißer Wolken. Im Leibe des Mähnigen hub der Arm zu wachsen an, wie eine Krankheit sich zum Verderb auswächst, wenn wer von ihr besessen ist, sie nicht beachtet. Mit zerrissenen Lippen spie der Hengst gewaltig Blut und Schaum und tat die Mundwinkel weit auf – sie klafften mit zerrissenen Sehnen. Er ging mit den Vorderhufen zur Erde nieder, ließ Kot und Harn, sein Leib troff Schweiß, ermattet gab er das Ringen auf. Mit aufgerissenem Maule stürzte der Fürchterliche zu Boden, von Krischnas Arm entzweigerissen wie ein Baum von der Gewalt des Blitzes. Mit zwei Füßen, halbem Rücken, halbem Schweif, mit einem Ohr, einem Auge und einer Nüster lagen da die beiden Hälften des Mähnigen auseinandergerissen. Krischna aber stand, umringt von den jubelnden Hirten, unermatteten Leibes da, als wäre nichts geschehen, und lachte. Alle staunten und priesen den Lotosäugigen.

Auf einer Wolke kam der Weise Narada eilends einhergezogen, und als er den Mähnigen erschlagen sah, ward sein Sinn voll Freude. Er sprach: ›Gut, gut! Du Schirmherr der Welt, daß dieser Mähnige von dir in reinem Spiel erschlagen ward, der den Göttern Beschwer schuf. Die hohen Taten, die du, zur Erde niedergestiegen, vollbrachtest, füllen meinen staunenden Sinn mit hoher Freude. Vor diesem Hengste, Krischna, war selbst Indra und den Göttern bange, wenn er das dichte Netz seiner Mähne schüttelte, wenn er wieherte und zu den Wolken aufblickte. Weil du diesen Mähnigen (Keschin) erschlugst, wirst du in der Welt besungen werden unter dem Namen ›der Mähnige‹ (Keschava). Heil sei dir! – Ich gehe jetzt; übermorgen, wenn du mit Kamsa kämpfst, werde ich dich wiedertreffen! Wenn du Ugrasenas Sohn und seine Leute gefällt hast, hast du die Erde von ihrer Last befreit, der du als Weltschlange die Erde trägst. Dann gibt es für mich mannigfaltige Kämpfe zu schauen, die du mit den Erdenfürsten führen wirst. Große Göttertat hast du vollbracht, ich bin von dir beglückt. Heil sei dir – ich wandere von hinnen!‹ – Als Narada von dannen war, ging Krischna unverwundert mit den Hirten zum Pferch – er das einzige Gefäß, an dem die Augen der Hirtinnen tranken.«

Nach dem Buckelstier Arischta – das ist »der nicht zu Schaden kommt«, aber Krischna bezwingt ihn spielend – kommt als letzter Dämon aus der Wildnis, die das Hirtenleben umfängt und bedroht, der mähnige Hengst. Von Kamsa entsandt, den Gottmenschen zu erschlagen, rast er in den eigenen Untergang: Krischna stößt ihm den Arm in den Schlund, und dieser Arm fängt an zu wachsen, bis er den Hengst vom Kopf zum Schwanze in zwei Teile zerreißt – eine mythische Münchhauseniade, eine Wirkung altertümlicher Mayakraft, nach Wunsch zu wachsen, zu verzwergen, unfaßbar zu werden in Größe oder Winzigkeit. »Ein Pferdehaar warst du damals, Indra!« singt ein vedischer Dichter vom listigen Götterkönig, als er sich den Blicken seiner Verfolger entzog durch einen plötzlichen Trick seiner Maya. Aber eine spielende Wandlung gleicher Art ist es für den Allgott, wenn er ein Weniges von sich zur Welt auswachsen läßt wie im Aufquellen eines Traumgebilds und es wieder zurück ins Unentfaltete saugt, und die Wirklichkeit der Welt ist so wahr, wie dieser zum Zerreißen wachsende Arm, und ist ebenso mayahaft.

In Kamsas splittriger Anschlägigkeit entlarvt das selbstbesessene Böse seine Selbstverblendung als Torheit, die auf den Unbeteiligten lächerlich wirken muß. So mischt sich in die Schilderung des Grausamen und Grausigen bei Kamsas Ende das Komische: er wird zum Narren. Bosheit, die unsicher wird, macht den Menschen dumm. Der Verzweifelte, dem alle Anschläge fehlgingen, sprudelt ein Übermaß von neuen hervor, mit denen er sich zu sichern wähnt, und achtet nicht darauf, wem seine Wut sie ausschwätzt; daß er in seiner Ohnmacht, das höhere, ihm feindliche Prinzip zu greifen, alle, die ihm dienen, in den Untergang der drohenden Gottmenschen hineinreißen will, vom eigenen greisen Vater und ihren Eltern bis zu den Hirten hinab, zeigt, daß er am Ende ist. Narada, der Zwischenträger zwischen den Sphären, weist ihm umsonst das Ohnmächtige seiner Selbstverranntheit auf, sie eben ist untrennbar von seiner Dämonie; aber dieser Heilige »Überall-Dabei« kann zu Krischna eilen und ihm den nahen Sieg verkünden.

 

»Akrura verließ die Stadt auf schnellem Wagen und begab sich, erfüllt vom Wunsche, Krischna zu schauen, zu Nandas Pferch. Er bedachte sich: ›Niemand ist gesegneter als ich, der ich das Angesicht des Gottes mit dem Wurfring schauen werde, der mit einem Stück von sich auf die Erde herabgestiegen ist. Jetzt trägt meine Geburt mir Frucht, und hellerleuchtet ist mir die Nacht, da ich Vischnus Antlitz schauen werde mit seinen Augen wie Blätter der Lotosblüte, wenn sie vom Schlummer erwacht ist. Vischnus Antlitz werde ich schauen, das von den Menschen ihr Böses hinwegnimmt, wenn es vorgestellt wird in geistigem Bilde – das Antlitz des Erhabenen: der Götter höchste strahlende Kraft, den Mund, aus dem die Veden und ihre Glieder hervorgingen. Den Herrn der Welt werde ich schauen, auf dem alles ruht, der als höchstes Mannwesen von den Männern mit Opfern beopfert wird als ein Opfer-Urmann; dem Indra hundert Opfer darbrachte, durch die er seinen Königsrang unter den Unsterblichen erlangte, ihn, den End- und Anfangslosen werde ich sehen, den Lockigen! Dessen Eigenform nicht Brahma, Indra, Rudra oder sonst ein Gott kennt, der wird mich jetzt berühren! Das Allwesen, der Überallweilende, der in allen Werdegeschöpfen ist, unvergänglich allerfüllend, den erblicke ich jetzt! Der dank Yogazauberkraft sich zu Fisch und Schildkröte, Eber und Löwe verwandelte und noch andere Gestalten annahm, der wird mich freundlich ansprechen!

Der Herr der Welt hat menschliches Wesen angenommen, der Unvergängliche, der Gestalt annimmt, wie es ihm gefällt, um im Pferche der Hirten zu weilen und nach dem Rechten zu sehen. Der als Weltschlange ›Endlos‹ die Erde trägt, die auf seinem Scheitel ruht, ist der Welt zuliebe in sie hineingestiegen und wird zu mir ›Akrura‹ sagen! Dessen Maya die Welt nicht von sich abzutun vermag – und Vater, Blutsverwandte, Freunde und Brüder, und Mutter und mütterliche Verwandte sind alle nur Gebilde seiner Maya –, Anbetung ihm! Wenn sie ihr Herz in ihn versenken, überwinden die Sterblichen ihr weitausgebreitetes Nichtwissen: diese Maya seiner Yogazaubermacht, die sie befangen hält – Anbetung ihm, des Wesen Wissen ist! In ihm, der Kraft und Größe der Welt, ruht und steht Sein und Nichtsein, er sei mir gnädig mit seinem vollkommenen gütigen Sein! Wer sein gedenkt, dem wird alles Glück, aller Segen zuteil – bei dem ältesten Wesen, dem ewigen, bei Hari suche ich mein Heil!‹

So bedachte Akrura Vischnu, und sein Geist neigte sich vor ihm in gläubiger Hingabe. Als die Sonne eben noch schien, kam er zum Pferch. Da sah er Krischna beim Melken, wie er sich unter den Kälbern bewegte. Sein Leib und seine Augen leuchteten dunkel wie Blätter aufgeblühter blauer Lotosblumen, und die Locke ›Glückskalb‹ zeichnete seine Brust. Seine Arme reichten lang herab, die Brust war breit und hochgewölbt, und seine Nase ragte frei auf. Sein Gesicht war wie eine Lotosblume, und um seine Lippen lag ein spielendes Lächeln. Seine Nägel waren gewölbt und rosig, mit beiden Füßen stand er fest auf dem Boden. Er trug gelbes Gewand und war mit Waldblumen geschmückt; seine Hände waren wie saftige dunkle Schlingpflanzen, und weiße Lotosblüten waren sein Ohrgehänge. Neben ihm schaute er Balabhadra, der war licht wie ein Schwan, licht wie der Mond, licht wie Jasmin und trug dunkelblaues Gewand. Hochgewachsen, mit gipfelgleich ragenden Armen und breitstrahlendem Lotosgesicht war er wie ein zweiter Berg Kailasa anzuschauen, dessen Schneegipfel ein Kranz dunkler Wolken umgibt.

Als Akrura die beiden erblickte, blühte des Großgemuten Lotosgesicht weit auf, und am ganzen Leibe sträubten sich ihm die Härchen in freudigem Erschauern: ›Der höchste Kraft ist und höchste Stätte, hat sich entzweigeteilt und steht vor mir; möge es meinen Augen Frucht bringen, daß ich den Erhalter aller Welt als Paar anschaue, und hohes Frohlocken.‹ Nun wird er mich berühren und mir seine Lotoshand reichen, des Gestalt die herrliche Weltschlange ›Endlos‹ ist, des Finger mit ihrer bloßen Berührung alle Sünde an den Menschen vernichten und sie zu höchster Vollendung verklären. In eben diese Hand reichen ihm die Götter freudig den herrlichen Wurfring, mit dem er den Herrscher der Dämonen erschlägt, daß sich die Dämonenfrauen die Augen ausweinen. In diese Hand goß Bali das Wasser, bei dem er seine Schenkung beschwor, und erhielt sinnbeglückende Freuden, und Indra erhielt eine Weltzeit lang die Obergewalt über die dreimal zehn Götter. – Nun wird er mich, den Schuldlosen, der durch Gemeinschaft mit Kamsa schuldhaft ward, seiner Achtung unwert meinen – weh mir, daß die Gutgesinnten mich von sich fernhalten! Aber: sein Wesen ist Erkenntnis, Häufung aller Klarheit und Güte ist er, makellos ewig klar ist er – was bliebe ihm in aller Welt hier unerkannt, der allen Menschen im Herzen weilt? Darum will ich, den Leib in gläubiger Hingabe neigend, hintreten vor das Stück des höchsten Wesens, das zur Erde herabstieg.‹ So bedachte sich Akrura über Govinda, trat auf ihn zu und sprach: ›Ich bin Akrura‹ und neigte sein Haupt zu Haris Füßen, der aber berührte ihn mit seiner Hand, die mit Fahne, Blitzkeil und Lotosblume gezeichnet war, zog ihn an sich und umschlang ihn zärtlich und eng.

Als Bala und der Lockige mit ihm Begrüßungsworte getauscht hatten, gingen sie mit ihm alsbald in ihre Hütte, da ward Akrura gastlich geehrt. Als er mit ihnen das Mahl eingenommen hatte, berichtete er ihnen, wie Vasudeva und Devaki von Kamsa, dem schlimmen Dämon, geschmäht wurden, wie Kamsa mit Ugrasena umgehe, und zu welchem Behuf er selber abgesandt sei. Der Erhabene vernahm das alles und sprach: ›Das ist mir ja alles bekannt, du Gabenfreudiger; ich werde tun, was hier Abhilfe dünkt, Gesegneter! Denke nicht anders hierüber: Wisse, Kamsa ist von mir erschlagen. Ich und Rama werden morgen mit dir gen Mathura ziehen, und die Ältesten der Hirten werden mit vielen Geschenken hingehen. Verweile hier die Nacht, o Held, und mach' dir keine Sorgen; ehe drei Nächte vergehen, werde ich Kamsa samt seinen Leuten erschlagen.‹ Darauf wies Akrura die Hirten an und ging mit den beiden ins Haus des Hirten Nanda und schlief dort zur Nacht. Als drauf die reine Frühe tagte, rüsteten sich Rama und Krischna, mit ihm nach Mathura zu ziehen.

Die Hirtinnen sahen es mit Trauern, schlaff fielen die Reifen an ihren Armen herab, sie seufzten und sprachen, von übergroßem Leid erfüllt, zueinander: ›Wenn Govinda in Mathura angekommen ist, wie wird er dann zu den Hirten zurückkehren? Sein Ohr wird den Honig zarter Rede der Stadtfrauen trinken; faßt sein Sinn erst Fuß in ihren spielend gewandten Redeweisen – wie wird er wieder zu den dörfischen Hirtinnen kehren? Raubt das Schicksal Hari, dann raubt es erbarmungslos und bös den Hirtenfrauen den Lebenssaft des ganzen Pferchs. Die Rede der Stadtfrauen mit liebeträchtigem Lächeln, ihr Gang voll lockenden Spiels und gar ihr Blick aus den Augenwinkeln – wenn unser dörfischer Hari in Ketten ihres lockenden Spiels gefesselt ist, dank welchem Wundermittel käme er wohl wieder an eure Seite, Freundinnen? – Da steigt der Lockige auf den Wagen und zieht nach Mathura, entführt von dem unseligen Akrura! Weiß der Elende denn nicht, daß wir ganz Liebe sind, daß er ihn, unsere unvergängliche Lust, Hari uns anderswohin entführt? Da fährt Govinda mit Rama auf dem Wagen von dannen, der ganz Erbarmungslose – eilt, ihn aufzuhalten! Was sprichst du nicht zu uns ein Wort, das du uns im Angesicht von Vater und Gatten sagen darfst? Was werden unsere Väter und Gatten tun, wenn uns die Glut des Trennungswehs verbrennt? Hier rüsten sich Hirten unter Nanda zum Gehen, kein einziger müht sich, Govinda aufzuhalten! Hell erleuchtet ist jetzt die Nacht der Bürgerfrauen von Mathura, ihre bienengleichen Augen können sich laben am lotoskelchgleichen Angesicht des Unerschütterlichen! Glücklich sind, die nichts zurückhält, daß sie Krischna, der von hinnen zieht, auf seinem Pfade schauen dürfen und ihren Leib ihm entgegentragen, von Wonneschauern überrieselt! Jetzt wird es ein großes Fest geben für die Frauen von Mathura, wo sie Govindas Antlitz schauen werden; wie bekämen die Glücklichen den Schlaf zu sehen, die ihn ungehindert mit weit geöffneten schönen Augen betrachten werden? Ach, uns Hirtinnen hier, die den herrlichen Schatz schauten, werden jetzt die Augen ausgerissen vom erbarmungslosen Schicksal; da Hari mit seiner Neigung zu uns erschlafft, hangen bald auch die Armreifen an unseren Handgelenken schlaff. Akrura treibt grausamen Herzens die Pferde an – wen faßte nicht Mitleid mit den Frauen, die solcher Schmerz erfüllt? He, he, Krischna, sieh den Staub der Räder, den dein Wagen aufwirbelt – ach, auch der Staub, der uns Hari entführt, ist schon nicht mehr zu sehen!‹

Krischna mit Hirtinnen

So geleiteten die Hirtinnen in übergroßer Liebe den Lockigen mit den Augen, und mit Rama verließ er den Erdenfleck des Pferches.

Sie fuhren im Wagen, den schnelle Renner zogen, dahin und kamen zur Mitternacht ans Ufer der Yamuna. Da sprach Akrura zu Krischna: ›Bleibt ihr beiden sitzen, derweil ich im Wasser des Stromes meine Andacht verrichte.‹ Sie sagten ›ja‹; darauf wusch sich der Großgesinnte und spülte sich den Mund. Er tauchte ins Wasser der Yamuna hinab und sammelte sein inneres Gesicht auf das höchste Brahman. Da sah er Balabhadra herrlich umkränzt mit tausend Schlangenhauben, sein Leib war weiß wie Jasmin, und seine Augen langgeschweift wie Blütenblätter aufgewachter Lotosblumen. Große Scharen junger Schlangen umwanden ihn, den Schlangenhaften, und priesen ihn. Er war mit Kränzen duftender Waldblumen geschmückt, trug ein weißes Gewand und zierliche Ohrgehänge und Armreifen. So sah Akrura den Trunkenen im Innern der Wasser stehen. Auf seinem Schoße sah er Krischna, dunkelblau wie eine Wolke, mit hellrot schimmernden langgeschweiften Augen, mit vier Armen und erhabenen Gliedmaßen, im Schmucke seiner Waffen. Er trug gelbes Gewand und bunte Blumenketten: so war er wie eine blauschwarze Regenwolke anzuschauen, die von Regenbogen und Blitzen bunt erhellt ist. Heilige samt Söhnen und Gefolge, die fleckenlos in Yoga Verklärung gefunden hatten, betrachteten ihn in ihrem Geiste, die Augen auf ihre Nasenspitze gerichtet.

Voll Wunderns erkannte Akrura Bala und Krischna wieder und dachte: ›Wie sind die so schnell hier ins Wasser gekommen?‹ – Er wollte sprechen, aber Krischna ließ ihm die Sprache erstarren. Da entstieg er dem Wasser, kehrte zum Wagen und sah die beiden, die auf ihm saßen: Rama und Krischna in ihrer vertrauten Tracht und in Menschengestalt. Da tauchte er wieder ins Wasser und schaute sie, wie er sie eben geschaut hatte: gefeiert von Himmelsgeistern, Heiligen, Verklärten und großen Schlangen. Da erkannte der ›Gabenfreudige‹, wie es in Wahrheit stand, und pries den Unerschütterlichen, der eitel Erkenntnis ist.

Akrura sprach: ›Dem allerhöchsten Wesen, dessen Form übersinnlich-feine, reine Das-heit des sinnlich Wahrnehmbaren ist, dessen Größe unausdenkbar ist, dem Allerfüllenden, vielfach und einfach Gestalteten, Anbetung! Erkennender Geist ist deine Gestalt, jenseits des Stoffes bist du, Herr, Wesen der Werdegeschöpfe und Wesen der Sinneskräfte und ebenso Wesen des Urstoffs bist du, fünffältig in den Elementen weilend. Sei gnädig, du Vergänglich-Unvergänglicher, der du in Brahma, Vischnu, Schiva und anderen Gestalten dich spielend entfaltest und gefeiert wirst. O Unaussagbarer in deines Wesens Eigenform, Unaussagbarer in deinen Zielen! Woran sich Name und Art und andere Gebilde, Herr, nicht finden, das höchste Brahman, ewig und unwandelbar, bist du, Ungeborener! Weil man um kein Ding wissen mag, es habe denn Gestalt an sich selbst, darum wirst du Unbegrenzter unter dem Namen Vischnu verehrt. Allwesen bist du mit solchen Bildungen; die Götter bist du; alles, was sich regt, bist du; du allein bist das Ganze! Wesen des Ganzen bist du, jenseits allen Wandels, spaltender Unterschiede bar. Denn in allem findet sich kein anderes, von dir verschiedenes. Du bist Brahma und Schiva, bist der Totenherrscher Yama; ordnender Weltentfalter bist du und tragender Welterhalter; du bist Indra, Wind und Feuer, und bist Varuna, der Herrscher der Flut, und Kubera, der Herr der Schätze, und der Endebringer Tod – alles bist du allein; zerteilten Wesens schirmst du alles Lebendige mit deinen göttlichen Teilkräften. Das Ganze strömst du aus dir hervor, und Gestalt der Sonne annehmend vernichtest du das Ganze; vor dir neige ich mich: Erkenntnis ist dein Wesen, du Seiender und Nichtseiender! OM! Anbetung dem Kinde Vasudevas und Verneigung dem Pflüger Balarama!‹

So pries Akrura, unter Wasser getaucht, Krischna und brachte dem Herrn des Alls in seinem Geiste Opfergaben dar: Räucherwerk und Blumen. Er zog den Geist von anderem Gehalt ab und senkte ihn ganz in ihn ein – er ward Brahma und verharrte so lange. Dann endete er seine Sammlung in innerer Schau. Wie einer, der vollbracht hat, was zu vollbringen ist, dünkte er sich, als er den Wassern entstieg und wieder zum Wagen kam. Da sah er Rama und Krischna, die wie vordem dort weilten, und Krischna sagte zu Akrura, dessen Augen sich verwunderten: ›Was Wunderbares hast du im Wasser der Yamuna erschaut, daß deine Augen vor Wundern wie aufgeblüht erscheinen?‹

Akrura sprach: ›Das Wunderbare, das ich dort im Wasser schaute, Unerschütterlicher, das seh' ich eben hier leibhaft gestaltet vor mir; das Große Wesen, des wunderbare Gestalt die ganze Welt hier ist: diesem höchsten Wunder, dir, Krischna, bin ich begegnet. – Wollen wir denn gen Mathura fahren, du Töter des Madhu! Ich habe Furcht, Kamsas wegen – verflucht sei seine Geburt! –, wegen dieses Sklaven, der sich von anderes Gnaden nährt.‹

Sprach's und trieb die windschnellen Pferde an; und als der Tag zum Abend ward, kam Akrura nach der Stadt.«

 

Akrura – das heißt der »Ungrausame« – trägt seinen Namen zu Recht: er ist ein aus der Art geschlagener Sproß des wilden Kriegeradels, dessen Geschlechter untereinander mit Fehden und gegen sich selbst mit Morden wüten; wie Jubel und Bali unter den Dämonen ist er der milde Vischnugläubige. Sein Verlangen, Vischnu zu schauen, findet wunderbare Erfüllung, als er andächtig ins Wasser taucht und seinen Sinn auf das höchste Göttliche, das Brahman, sammelt. Das Geheiß Vischnus an den Heiligen Narada: »Tauche dich unter ins Wasser, so wirst du um meine Maya wissen«, erfüllt sich bei ihm auf beglückendere Weise: nach der irdischen Mayagestalt der beiden Gottmenschen auf seinem Wagen erblickt er die verehrungswürdigen Göttergestalten der beiden Avataras des Urwesens in der Flut.

Die Wasser sind die Gegenwelt zur trockenen Sphäre des wachen Tages, in die das Auge nach außen blickt, in ihnen spiegelt das verborgene Wesen der Erscheinungen sich vor der gesammelten inneren Schau; so gibt der Traum das Geheimnis zu sehen, das sich dem Tagesbewußtsein verschweigt, und seine Deutung holt das Verborgene am Wirklichen aus seinem klaren Dunkel. Hinab ins Wasser meint hinab ins Wissen. Die alterslosen Wasser, in allen Gestalten der Natur als ihr Leben kreisend, wissen alles, sie waren von Anfang an dabei und bewahren in ihrer kühlen Lebendigkeit alles – nichts wird vergessen. Darum sind sie für Indien seit alters das Element des Eides und werden bei jedem Gelöbnis, jeder Schenkung als Zeugen ihrer Unwiderruflichkeit ausgegossen. In ihnen webt die eidhütende Gottheit Varuna: allgegenwärtig und schlummerlos schaut er, was die Menschen wachend und träumend tun, und ob sie von der Wahrheit weichen, der sie sich durch Eide angelobten.

Akruras Gesicht im Wasser offenbart das Geheimnis Balaramas: er ist ein menschgewordenes Stück der Weltschlange Schescha, die das All trägt als Tiergestalt der Urwasser, auf denen Vischnu, ihre Menschgestalt, ruht. In der Einheit Vischnus, des arischen Gottes, der die Welträume ausschreitend ermißt, mit dem großen Schlangenwesen, dem vorarischen Träger der Welt«, sind zwei hohe Wesen der beiden Sphären zusammengeflossen – so schmelzen vorarisch-indische und vedisch-brahmanische Elemente im Laufe indischer Kulturgeschichte ineinander. – Akrura nennt den Gott »vergänglich-unvergänglich«: das aber ist das Leben, seine Unvergänglichkeit besteht im unablässigen Vergehen all seiner Gestalten, und sein Sinnbild ist die Schlange, die sich in sich zum Kreise schließt, die aus der alten Haut schlüpft und im Wechsel dieses Kleids unsterblich scheint. Akrura ruft Krischna mit den Namen aller Götter; der Gott, der sich im All von Welt und Leben offenbart, muß so viele Gesichter zeigen, wie das Leben selbst vom Schrei und Schmelz des Neugeborenen bis zum letzten Hauch des dürren Alters, so viele Gesichter wie alle Geschöpfe in Luft und Meer und auf der Erde.

Akrura ist nicht erstaunt, daß ihm das göttlich-höchste Wesen, auf das er seine Andacht richtet, das Brahman, in Gestalt der beiden Gottmenschen erscheint, wenn es aus seiner Gestaltlosigkeit in die Mayasphäre innerer Schau tritt; die beiden sind ihm innen wie außen so gegenwärtig, daß ihr Bild sich fast unausweichlich einstellen muß, wenn er seine innere Schau darauf richtet – ihn wundert nur, daß sie, die eben noch menschenhaft neben ihm auf dem Wagen saßen, fast zugleich ihm gotthaft in den Wassern entgegenscheinen. Sind sie ihm so schnell voraufgeeilt in die göttliche Tiefe und haben sich verwandelt und sind nicht mehr in der menschlichen Oberwelt, wo er sie eben verließ? – Er taucht empor: am Wagen ist alles unverändert, da sitzen die beiden Helden und warten – nichts ist geschehen. Er taucht wieder unter: augenblicks sieht er sie wieder in ihrer göttlichen Glorie. Das Göttliche offenbart sich überall: vielfältig und zugleich – was besagt es, daß es leibhaft in Menschengestalt als Heilbringer sich greifen läßt? Das Überweltliche ist leibhaft in die Welt getreten, aber diese Wirklichkeit ist auch nur eine Phantasmagorie, aufblitzender Reflex im Spiegel der Welt: Krischna und Rama auf dem Wagen, die greifbaren lebensvollen Helden deren Nähe Akrura überwältigend erfüllt, sind nicht wirklicher als das ungreifbare Bild ihrer göttlichen Natur in den Wassern, sie lassen sich geschehen als aufblühendes herrliches Leben, vollbringen unvergleichliche Taten, und doch geschieht das alles wie ein schnell hinwehendes Spiel von Wolkenschatten, wie diese innere Vision, die sich auftut und entzieht; es schneidet nicht ein mit jener schmerzhaften Schärfe einmaliger Verwirklichung, wie wenn der Gott des Alten und Neuen Testaments seinen einzigen Sohn aus der Reinheit der Himmel im Schlamm und Blut der Welt hineinopfert, daß er die Sünder entsühne und mit den Verbrechern gehenkt werde. Der indische Heilbringer ist Wunder höchster Ordnung, aber sein Hineinsteigen in die Welt ist nicht etwas Ungeheuerliches, eigentlich Unannehmbares, so unerbittlich und unwiederholbar in seiner Gnade, daß die davon Betroffenen schaudern muß vor diesem Geschenk, das sie tiefer verpflichtet, als sie zu tragen vermögen – eine Gnade, die gläubig hinzunehmen und auf sich zu beziehen es des Wunders einer zweiten Gnade bedarf, die unermeßlich läuternd den Glauben an die erste schenkt und ihr die Schärfe nimmt. In Indien dagegen nur Herrlichkeit und Wunder: daß Gott sich als Mensch offenbart, ist nicht Opfer, aber gelassenes Spiel seiner Fülle; die Welt ist wohl das Dumpfe, aber nicht das Ärgste, Fürchterlichste, denn wie sie ist mit ihren Dämonen und sich selbst zerfleischenden Gewalten, ist sie unmittelbar aus Gott; er greift in ihr wildes Wirrsal: das ist eine Wundergebärde des wunderbaren Wesens, aber nicht der unheimliche Griff, der allen Zeitlauf in ein Vor- und Nachher zerreißt wie den Vorhang des Allerheiligsten.

»Als Akrura Mathura erblickte, sagte er zu Krischna und Rama:

›Geht zu Fuß, ihr beiden Helden, ich will allein zu Wagen hineinfahren, so dürft ihr nicht in Vasudevas Haus gehen. Denn wegen euch beiden wird der Alte von Kamsa verworfen.‹

So sprach er und fuhr in die Stadt, Rama und Krischna gingen zu Fuß auf der Königsstraße hinein. Von Frauen und Männern freudigen Blickes betrachtet, schritten die Helden in lässiger Anmut einher, wie zwei junge Elefanten ihres Weges gehen. Umherstreifend gewahrten sie einen Wäscher, der Farben bereitete, und baten ihn um leuchtend gefärbte Gewänder. Der aber – es war Kamsas Wäscher und Färber – ward durch ihr freundliches Gebaren zu Dünkel gereizt und überschüttete beide mit lauten Schmähungen. Da hieb Krischna ihm mit einem Schlage der flachen Hand den Kopf herunter, daß er zu Boden flog. Dann nahmen die beiden sich gelbe und blaue Gewänder und gingen fröhlich zum Hause eines Kranzwinders.

Mit weit aufgerissenen Augen blickte der Kranzwinder staunend die beiden an: ›Zu wem gehören die? Woher kommen sie?‹ dachte er, als er die Reizenden in gelbes und blaues Gewand gekleidet sah, und kam zu dem Schluß: ›Zwei Götter sind es, die auf die Erde gekommen sind.‹ Wie Lotoskelche, die sich auftun, strahlten ihre Gesichter, als sie ihn um Blumen baten – da legte er die Hände auf den Boden und berührte mit dem Kopfe die Erde: ›Mit gnädig heiterem Gesicht betretet ihr schützenden Herren mein Haus! Gesegnet bin ich, ehrfürchtig will ich euch willkommen heißen!‹ Dann schenkte er ihnen strahlenden Gesichts vielerlei schöne Blumen nach ihrem Wunsch und drängte ihnen mehr auf. Immer wieder verneigte sich der Treffliche und beschenkte sie mit duftenden, makellosen Blumen; voll Huld gab Krischna ihm einen Segen: ›Die Göttin des Glücks, deren Stätte bei mir ist, soll dich nie verlassen, du Guter! Nicht soll dir Kraft noch Besitz schwinden, du Gütiger! Solange Erde und Sonne bestehen, soll dein Geschlecht mit Söhnen und Enkeln dauern! Wenn du Freuden in Fülle gekostet hast, sollst du am Ende dank meiner Gnade Erinnerung und Erkenntnis meiner finden und in die himmlische Welt gelangen! In frommer Pflichterfüllung soll dein Sinn alle Zeit feststehen, und wer deinem Geschlechte entstammt, soll ein langes Leben haben!‹

So sprach Krischna und verließ mit Rama das Haus des Kranzwinders, der ihnen seine Verehrung darbrachte. Da sah Krischna auf der Königsstraße ein buckliges Mädchen in der Jugendblüte, das mit Salbgefäßen des Weges kam. Er fragte freundlich: ›Holde, wem bringst du diese Salbe? Sag die Wahrheit, du Lotosäugige.‹ Als er sie so voll Liebe ansprach, antwortete die Bucklige voll Neigung zu ihm und blickte ihn an, ohne daß sie es wollte: ›Lieber, woher weißt du nicht, daß ich von Kamsa angestellt bin, Salbe zu bereiten, und daß ich "Doppelgesicht" genannt werde? Kamsa mag nämlich keine Salbe, die von anderen gerieben ist, und ich bin ein besonderes Gefäß seiner Gunst und Gaben.‹ – Krischna sprach: ›Wohlriechend ist diese Salbe, eines Königs würdig und lieblich, du liebliches Antlitz! Gut paßt sie zu unser beider Leib, gib uns die Salbe!‹ – Sie hörte es und sagte ehrerbietig: ›Nimm!‹ und gab ihnen Salbe, die zu ihren Leibern paßte. Da zeichneten sich die beiden Stiergleichen ihre Leiber mit Salbenstrichen und schimmerten wie Indras Regenbogen und strahlten wie eine weiße und eine dunkle Lotosblume. Dann faßte Balarama, der sich aufs Zärtlichsein verstand, das Mädchen zärtlich am Kinn und schaukelte es auf zwei Fingerspitzen hin und her, indes zog Krischna es an beiden Füßen: da machte er die Krumme gerade. Als die Bucklige gerade ward, war sie die schönste aller Frauen.

 

Lieblich mit lockendem Gebaren und schwer von der Last aufkeimender Liebe faßte sie Govinda am Kleide: ›Komm mit mir nach Haus!‹ – ›Ich werde in dein Haus kommen‹, gab ihr der Lockige zur Antwort und schickte sie fort – lachte hell auf und blickte Rama ins Gesicht.

Mit bunten Salbenstrichen am Leibe, in blauem und gelbem Gewand betraten sie die Halle des Bogens, die mit Malereien und Blumengewinden geschmückt war. Sie drangen ein und fragten die Wächter nach dem herrlichen Bogen; die gaben Auskunft, und schnell hatte Krischna den Bogen ergriffen und füllte, ihn spannend, sein Rund. Er spannte ihn ganz, da brach der Bogen und machte ein Getöse, das ganz Mathura erfüllte. Als er zerbrochen lag, drangen die Wächter mit Fragen in die beiden, sie aber entledigten sich ihrer und verließen die Halle.

Als Kamsa vernahm, Akrura sei gekommen und der Bogen sei zerbrochen, sprach er zu Tschanura und Fäustling: ›Zwei Hirtenjungen sind gekommen, die sollt ihr vor meinen Augen im Faustkampfe erschlagen, denn die beiden trachten mir nach dem Leben. Bringt ihr sie im Kampfe um, bin ich zufrieden und gebe euch, was ihr euch wünscht – so soll es sein, ihr Starken! Nach der Regel oder gegen die Regel sollt ihr die beiden, die mir nichts Gutes bringen, erschlagen; tötet ihr sie, sollt ihr die Königsmacht mit mir teilen.‹

So wies er die beiden Athleten an, dann rief er den Elefantenwärter und sagte laut zu ihm: ›Bring den brunsttollen Elefanten "Blaulotoskranz" ans Tor der Halle, er soll die beiden Hirtenjungen erschlagen, wenn sie zum Kampfring kommen.‹ Er sah darauf daß allerwärts erhöhte Sitze herbeigebracht waren; dann erwartete Kamsa, dem der Tod genaht war, den Sonnenaufgang.

Auf allen Sitzen versammelte sich das Volk der Stadt und auf Thronsitzen die Herrscher der Erde samt ihrem Gefolge, und Kamsa versammelte in der Mitte des Ringes die Kampfrichter um sich. Er setzte sich auf einen hohen Thron, da waren Sitze für die Haremsfrauen bereitet und Sitze für die schönsten Hetären, wieder andere für die Frauen der Stadt, und auf anderen fanden Nanda und die Hirten Platz; Akrura und Vasudeva setzten sich an eine Ecke. Mitten unter den Frauen der Stadt saß Devaki, voll Verlangen nach ihrem Sohn: ›Wenn auch in seiner Todesstunde, ich werde das Antlitz meines Sohnes schauen!‹

Musik erscholl, Tschanura tat gewaltige Sprünge: ›Ha, ha!‹ rief hingerissen das Volk, und Fäustling schlug sich klatschend auf die Arme; da traten Baladeva und der ›Quäler der Menschen‹ in den riesigen Ring, wie Löwen unter eine Gazellenherde. Sie hatten ›Blaulotoskranz‹, den sein Lenker angestachelt hatte, erschlagen, und ihre Leiber waren mit seinem Brunstschweiß und Blut gesalbt, sie schwangen die herrlichen Zähne des Elefanten als Waffen und blickten stolz und reizend drein. Großes Geschrei erhob sich auf allen Bänken: ›Das ist Krischna! Das ist Balabhadra!‹ rief das Volk bewundernd, ›er ist es, der die schreckliche Putana, die nächtliche Unholdin, erschlagen hat, der den Lastwagen umwarf und das Paar der Arjunabäume zerbrach. Er ist es, der – noch ein Knabe – auf den Schlangendämon Kaliya trat und auf ihm tanzte, der sieben Nächte lang den großen Berg Govardhana gehalten hat, der Arischta, Dhenuka und den bösen Keschin spielend erschlug – der Unerschütterliche ist hier zu sehen! Und hier schreitet Baladeva, sein älterer Bruder, vor ihm her in lässiger Anmut, Sinn und Augen der Frauen erfreuend. Von ihm erzählen die Weisen, die den Sinn alter Mären betrachten: der Hirt wird das versunkene Geschlecht der Yadavas wieder in die Höhe heben; er ist ein Teil des allwesenden Vischnu, der auf die Erde herabgestiegen ist, um der Erde ihre Last zu nehmen.‹

So pries das Stadtvolk Rama und Krischna, und alsbald ward es Devaki heiß um die Brust, und vor zärtlicher Liebe tropften ihr die Brüste. Wie ein großes Festgepränge betrachtete Vasudeva seine beiden Söhne, sein Alter fiel von ihm ab, und er fühlte sich wie ein Jüngling. Mit weit offenen Augenpaaren blickten die Frauen des Harems und die Bürgerfrauen die beiden an und mochten nicht aufhören. Die Frauen sprachen: ›Freundinnen, schaut Krischnas Gesicht mit den Lotosaugen, wie es mit Schweißtröpfchen geschmückt ist von der Kraftleistung im Kampfe mit dem Elefanten: es ist wie ein aufblühender Lotos, der mit Tautröpfchen besät ist, und macht alle Worte zuschanden; Frucht tragen soll die Geburt dem, der ihn schaut! – Sieh, Liebe, diese Brust des Knaben, mit der Locke ›Glückskalb‹ gezeichnet, strahlende Kraft und Hort der Welt ist sie: Vernichtung der Feinde – und sieh das Paar seiner Arme! Sieh, wie Fäustling mit seinen Sprüngen, Tschanura und die anderen Balabhadra ein leichtes Lachen entlocken! Freundinnen, schaut Tschanura, da schreitet Hari, jugendlicher Kraft entgegenreifend, mit seinem zarten Leibe gegen den großen Widergott an, dessen Leibesfülle hart wie Demant ist! Da schreiten die beiden Lieblichen voll Jugendschmelz im Ringe, und die dämonischen Ringer unter Tschanura sind überfürchterlich! Arg verletzen die Kampfrichter die Ordnung, daß sie gleichmütig die Mitte wahrend dem Kampf der Jugendlichen mit den Starken zuschauen!‹ Während das Frauenvolk so sprach, regnete der erhabene Hari, die Erde erschütternd, Freudenschauer im Übermaß auf das Volk; auch Balabhadra setzte, sich auf die Arme klatschend, in spielenden Sprüngen einher – da war es ein Wunder, daß nicht bei jedem seiner Schritte die Erde barst.

Dann kämpfte Krischna voll unermessener Heldenkraft mit Tschanura, und Fäustling, der kampfgewandte Dämon, mit Baladeva. Ein großer Kampf erhob sich zwischen Hari und Tschanura, sie sprangen aufeinander und schüttelten sich ab, sie warfen einander beiseite und arbeiteten mit Faustschlägen, mit ›Spaltkeil-‹ und ›Wurfkeilhieben‹, mit Fußtritten und ›wischenden‹ Streichen. Der waffenlose Kampf der beiden war schrecklich und erbarmungslos, sie entfalteten ihre Leibeskräfte und Lebenshauche zum Kampfe angesichts der Festversammlung. Immer länger kämpfte Tschanura mit Hari, immer mehr schwanden die Kräfte, und er fand keinen, der ihm beistand, Krischna aber, der die ganze Welt ist, kämpfte mit ihm in bloßem Spiel. Erschöpft winkte Tschanura mit der Hand, über Kamsa erzürnt, daß er ihm einen Ausweg schüfe; und Kamsa, da er sah, wie seine Kräfte schwanden und Krischnas Kräfte wuchsen, gebot zornig der Musik, zu schweigen. Als sie verstummte, erklang im selben Augenblick vielfältig Musik der Götter in der Luft. ›Siege, Govinda! Lockiger, erschlag Tschanura, den Dämon!‹ So preissangen die Götter jubelnd im Unsichtbaren.

Lange hatte der ›Töter des Madhu‹ mit Tschanura gespielt, jetzt entwurzelte er ihn von der Erde, wirbelte ihn durch die Luft und setzte seine Kraft darein, ihn zu töten. Hundertfältig wirbelte er den Dämonringer umher und, als ihm in der Luft das Leben ausgegangen war, ließ er ihn klatschend auf die Erde prallen. Auf die Erde geprellt, ging Tschanura in hundert Stücke, er deckte die Erde als ein Schlamm von Blutgerinnsel. Gleichzeitig kämpfte Baladeva mit Fäustling; er traf ihn mit der Faust an den Kopf und mit dem Knie vor die Brust, streckte ihn auf die Erde und zermalmte den Leblosen. Krischna streckte danach Toschalaka, den starken König der Ringer, mit einem Streich der linken Faust zu Boden. Da stürmten alle Ringer heran, aber Krischna und Samkarschana sprangen beide im Ringe umher und zogen fröhlich mit Gewalt die gleichaltrigen Hirten in den Ring.

Kamsa aber rief mit zornroten Augen seinen kampfgeübten Mannen: ›Die beiden Hirten sollen hinaus – braucht Gewalt! Fangt auch den schlimmen Nanda und fesselt ihn! Auch Vasudeva soll eines Todes sterben, der seines Alters nicht wert ist, ebenso die Hirten, die hier mit Krischna herumspringen! Nehmt ihnen die Kühe und was sie sonst besitzen!‹ Als er solches befahl, lachte ihm Krischna ins Gesicht, er machte einen Satz und sprang zu seinem Thron hinauf, packte Kamsa im Sprunge und riß ihn an den Haaren herab, daß sein Diadem zu Boden rollte, und warf ihn zu Boden und sich selbst über ihn. Als er sich – mit der Schwere des Trägers der ganzen Welt – auf ihn warf, entwichen ihm die Lebenskräfte. Da packte Krischna den Leib des toten Kamsa bei den Haaren und schleifte ihn in die Mitte des Ringes, und mit seiner gewaltigen Last machte der Leib, den er mächtig daherschleifte, eine tiefe Furche.

Da brachen alle Zuschauer ringsum in Rufe der Bewunderung aus, als sie sahen, wie Krischna so geringschätzig den König von Mathura erschlug. Er selbst mit Baladeva faßte geschwind die Füße Vasudevas und Devakis; diese beiden aber hoben den ›Quäler der Menschen‹ auf und gedachten der Worte, die bei seiner Geburt gesprochen waren.

Vasudeva sagte: ›Sei uns gnädig, Herrscher der Götter, ältester, höchster Gott, wie du uns mit deiner Gnade aus der Not gehoben hast, Lockiger! Daß du, Erhabener, gnädig in mein Haus herniederstiegst, um Wesen bösen Wandels ein Ende zu bereiten, davon ward unser Geschlecht heilig und rein. Voll Leugnen ist mein Sinn, daß dies alles wirklich an dir geschieht, und daß du aus Liebe Devakis Sohn seist, ist unendliche Betörung; du bist der Schöpfer aller Wesen und ihr anfangloser Untergang, Erhabener! Wo soll da meine Menschenzunge ›Sohn‹ zu dir sagen? Herr der Welt, dem diese ganze Welt entworden ist, dank welchem Wundergriff wärest du ohne Maya aus uns erstanden? In dem alle lebendige Welt festgegründet steht, wie wird der innen im Schoße ruhend von Menschen geboren? Sei du uns gnädig, höchster Herr, schirme das All, indem du immer wieder niedersteigst mit einem Stück von dir; mein Sohn bist du nicht. Alle Welt, von Brama bis zum Grashalm, betörst du, Herr der Welt – warum, du höchstes Selbst? Da deine Maya meinen Blick betörte: ›dies ist mein Sohn‹, und mich heiße Furcht vor Kamsa befiel, kamst du durch mich zum Volk der Kühe und wuchsest auf zum Gedeihen für mich, den Feindesfurcht verstörte, und zu der Kühe Gedeihen. Taten, die alle Götter nicht vollbringen, haben wir geschaut: da bist du, Herr, um aller lebendigen Welt zu helfen, zu uns gekommen, und vollkommene Betörung hat uns umfangen.‹

Als Hari sah, wie in Devaki und Vasudeva Erkenntnis sich entfaltete, da sie seine Werke gesehen hatten, breitete er wieder, um den Kreis der Yadus zu betören, seine vischnuhafte Maya aus und sprach: ›O Mutter und Vater, nun sehe ich euch, nach denen ich mich, in Furcht vor Kamsa, lange Zeit mit Rama gesehnt habe. Die Zeit, die verstreicht, ohne daß man Vater und Mutter verehrt, gilt den Guten als verloren und bringt ihnen Leid. Wer Lehrer, Götter, Brahmanen und Vater und Mutter verehrt, dem trägt seine Geburt Frucht. Darum verzeih' uns all das, was wir deiner nicht achtend taten, Vater, vor Kamsas Kraft und Zornesglut waren wir fremdem Willen Untertan.‹

So sprachen sie und verneigten sich vor beiden, dann neigten sie sich der Reihe nach vor den Alten der Yadus; so erfüllten sie den Sinn des Stadtvolks mit Zärtlichkeit.

Dann umringten Kamsas Frauen den Toten, der am Boden lag, und salbten ihn schmerzüberflutet. Auf vielerlei Art tröstete Hari die Fassungslosen, die dem Toten nachtrauerten; ihm selbst standen die Augen voll Tränen. Darauf befreite er Ugrasena aus dem Kerker und weihte ihn neu zum König, und Ugrasena übte die Totenbräuche an seinem Sohne und den anderen, die erschlagen waren.«

Glückhafte und erhabene Wunder sind das Element, das Krischnas Geschichte trägt, wie immer schwerere, groß bewältigte Prüfungen die Sage von Rama dem Monde in ihrem Grundzuge bestimmen. Die Vorsehung in Gestalt der Maya, die den Neugeborenen beschirmt, die Wunderkraft, die den Knaben zum Überwinder der Dämonen macht, kann nicht von ihm weichen, die Göttin des Glücks – Schri-Lakschmi – ist Krischna im großen und kleinen hold, sie ist ja Vischnus Gemahlin. So ist die Bewältigung der Aufgaben, die dem vollendeten Gottmenschen zufallen, im Grunde ein spannungsloser Verlauf, wie der Aufgang der Sonne zu immer strahlenderer Kraft und Herrschaft; diesem Siegeszuge folgt das gläubige Auge, seine Andacht erbaut sich an den spielenden Variationen der allbezwingenden, alles meisternden Gebärde.

Die beiden jungen Hirten brauchen für die Hauptstadt und das Fest angemessene Gewänder: schon läuft ihnen der Färber des Königs selbst in den Weg und muß sie ihnen lassen. Daß er dem Zauber der beiden nicht erliegt, sondern widerstrebt, büßt er mit einem nahezu schmerzlos überraschenden Ende durch eine fast beiläufige Handbewegung des Helden; wie diese auslöschende Geste ohne Belang für Krischna ist, bleibt sie ohne Aufsehen und Folgen. Was sie brauchen, finden die Helden auf ihrem Wege: die Blumenkränze, die Salben, und es sind eben für den Todfeind, den Dämontyrannen, bestimmte Gewande und Salben, mit denen ihre Keckheit sich schmückt. Was sie drohend erwartet und noch auf Fallen für sie sinnt, liegt in ihrem übermütigen Einherschreiten schon bezwungen zu ihren Füßen. Wenn Halbgötter unerkannt in ihrem Wesen durch die Menge der Menschen wie ihresgleichen gehen, liegt das Wunderbare nicht so sehr bei ihnen – es ist die Luft, die sie atmen – als etwa bei dem einen oder anderen, der sie gewahrt und jählings das Göttliche in ihnen ahnt, wie der Kranzwinder, oder einfach in Liebe ihrem Zauber verfällt, wie das bucklige Mädchen. Erleuchtet werden trotz der verschleiernden Maya, dem Göttlichen entgegenblühen und sich öffnen, ist hier das Wunder; Unangerührtbleiben ist das Selbstgericht, das der in sich Verstockte an sich selbst vollzieht.

Die auferlegten Heldenproben, bei denen der Dämon die Gottmenschen zu fällen hofft, sind nur ein Spiel, die weltbefreiende Tat, ihm den Garaus zu machen, wird zum Kraftstück mit urwüchsig-possenhaften Zügen, die Bogenprobe, das ritterliche Hauptstück, an dem sich der indische Held erweist, fällt ganz aus: Krischna spannt und bricht den gewaltigen Bogen wie Rama, aber nicht in feierlichem Wettkampf vor den bewundernden Blicken aller und um des schönsten Preises willen – vielmehr beiläufig und im vorhinein, wie um das Zeremoniell des Festes und seines Heldenlebens um die feierliche Durchführung dieses Rituals zu kürzen. Im Gegensatz zu Rama, dem seine Aufgabe zeitweilig als kaum zu lösen gegenübersteht, spricht der vollendete Gottmensch Krischna von den Taten, die er vollbringen wird, gern als vollzogen und vergangen: »Wisse: Kamsa ist von mir erschlagen«, sagt er zu Akrura, als sie noch bei den Hirten sind. So spricht sonst nur der Allgott im Milchmeer, wenn er den Göttern seine Hilfe verheißt, aber Krischna ist wie er in Maya verleibt, jenseits der Maya des Geschehenden und jenseits der Mayadimensionen von Raum und Zeit; Vergangenes und Künftiges ist ihm gleich nah, liegt gleicherweise unter seinen Füßen. Darum bewältigt er es spielend und hält die Maya des Lebensernstes spielend aufrecht: in der Art, wie er sich in das allgemeine Zeremoniell der Trauer um die Toten einfügt, und wie er das wissende Wort des Vaters, das den Schleier seiner Maya lüftet, durch die vollkommen konventionelle Unterwürfigkeit des Kindes für die zuhörende Welt auslöscht und übergeht.

Krischna kehrt in den Schoß seiner Familie heim: so verschmilzt der Mythos des Gottmenschen mit geschichtlichen Erinnerungen an Kämpfe und Siege, letzten Aufstieg und Untergang des Yadugeschlechtes, das durch seinen geschichtlichen Helden Krischna zu neuer Größe kommt und mit seinem Tode hinschwindet. Mythos und Heldenepos durchdringen sich; Arjuna, der Freund Krischnas, gibt die Verbindung zum geschichtlichen Sagenkreise des Mahabharata, das Erlöschen seiner Herrlichkeit mit Krischnas Ende bildet den Epilog zu seinem Mythos und zum Heldenzeitalter indischer Kriegerfürsten: die Erde ist nun wirklich von der Last ihrer Maßlosigkeit befreit.

Krischna setzt den Ältervater Ugrasena wieder auf den Thron und spricht zu ihm das stolze Wort: »Wenn ich deinem Throne zur Seite stehe, magst du den Göttern Befehle erteilen – von Menschenkönigen zu schweigen.« So heißt er den Windgott Indra ausrichten: »Du hast an deiner Hoheit genug, schenke Ugrasena deine Thronhalle der Götter ›Sudharma‹ – es ziemt sich, daß die Yadus in ihr tagen!« – und Indra erfüllt seinen Wunsch. Aber neben der Gebärde, die den Göttern groß gebietet, bleibt die Unterwerfung des menschgewordenen Gottes an die Maya seiner irdischen Erscheinung vollkommen: wie er nicht selbst die Königsherrschaft ausübt, sondern sie dem Ältesten des Geschlechtes überläßt, beugt er sich mit Rama dem allgemeinen Lebensritual: die Allwissenden werden Schüler und lernen alle Wissenszweige, die ihrem Stande gemäß sind, vor allem die Kunst des ritterlichen Bogenschießens. Nur in Wundertaten, die unwillkürlich als spielende Äußerungen ihres Wesens aufblitzen, verrät sich ihre wahre Art: ihr Lehrer in der Schießkunst wünscht als Lohn für ihre Unterweisung, daß sie ihm seinen Sohn wiederbringen, der am heiligen Badeplatz Prabhasa im Meere umgekommen ist, ein Dämon in Muschelgestalt, Pantschajana, »Fünfmann« genannt, hat ihn in die Tiefe entführt. Krischna steigt ins Meer hinab und befreit den Knaben, der in Martern lag, und bringt ihn leibhaft, wie er im Leben war, dem Vater zurück. Aus den Knochen des Dämons, den er erschlägt, stammt seine Muschel Pantschajanya: wenn er sie bläst, entweicht vor ihrem Schall den Dämonen ihre Stärke, den Göttern wächst die strahlende Kraft, und aller Frevel gegen die göttliche Weltsatzung wird zunichte.

Auf Kamsas Tod folgt eine Zeit schwerer Kämpfe für die Yadavas. Um den Erschlagenen zu rächen, zieht sein Schwiegervater, der König von Magadha, am Unterlauf der Ganga, den Strom von Osten herauf gen Mathura. Gegen seine Übermacht rufen die beiden Helden ihre göttlichen Waffen sich vom Himmel herab, Krischna Wurfring und Keule und seinen Bogen mit den unversieglichen Köchern, Rama die Pflugschar und den Reisstampfer. Sie wehren den Feind ab, aber er kehrt achtzehnmal mit immer neuen Heeren wieder, aufs neue zurückgeschlagen entrinnt er allemal dem Untergang. Ist der unentschiedene Ausgang der zähen Kämpfe nicht ein Einwand gegen die Götterstärke der beiden Helden? Oder ist die augenscheinliche Endlichkeit ihrer Kraft ein Spiel ihrer Maya? Der Mythos schließt den Bericht dieser Kämpfe mit der Betrachtung: »Das ist das Spiel des Herrn der Welt, der sein Wesen menschlicher Ordnung bequemt, daß er Geschosse von vielerlei Gestalt auf die Widersacher losläßt. Der rein mit seinem Geist die Welt aus sich hervortreibt und wieder in sich einrafft, entfaltete der wohl große Kraft, wenn er der Feinde Schar vernichtet? Dennoch gilt ihm menschliche Ordnung, und er wandelt in ihrer Bahn: mit den Starken schließt er Vergleich, die Schwächeren kämpft er nieder, Verhandeln in Güte und Dreingeben, aber auch Entzweiung der Gegner stellt er dar, übt Strafvollzug am Feinde und hie und da sogar Flucht vor ihm – so bequemt er sich dem Gebaren sterblicher Menschen; das Spiel des Herrn der Welt entfaltet sich, wie es ihm gefällt.«

Eine andere Gefahr hat Krischna selbst in seinem Übermut heraufbeschworen, er hat den Brahmanen Gargya beschimpft, und die Yadavas haben ihn verlacht. Gargya geht wütend in die Einsamkeit und glüht in Askese, um einen Sohn zu erlangen, der die Yadus in Not bringen soll. Um Schivas Gnade zu gewinnen, schlingt er zermahlenes Erz, und nach zwölf Jahren Askese gewährt ihm Schiva seinen Wunsch. Ein König der Yavanas ließ, da er selbst von seinen Frauen keine Kinder bekam, den Asketen ihnen beiwohnen, damit sie ihm einen Sohn schenkten: so entstand »Schwarz-Yavana«, der dunkel wie Bienen schimmerte, seine Brust war hart wie ein Demantkeil. Sein Vater weihte ihn zum König und zog sich selbst in die Waldeinsamkeit zurück, der Sohn aber, trunken vom Rausche seiner Kraft, fragte nach starken Königen auf Erden, die er besiegen könne, und der Heilige Narada nannte ihm die Yadavas.

»Yavana«, die indische Wiedergabe des Namens der Ionier, ist für Indien seit der Berührung mit Alexander dem Großen die allgemeine Bezeichnung für die Barbarenvölker, die aus dem Nordwesten über den Kyberpaß das Land mit ihren Kriegszügen bedrohen: mit einem riesigen Heer, einer Völkerwanderung, bedroht »Schwarz-Yavana« das Land von Mathura. Krischna sichert die Seinen, indem er eine neue Stadt gründet: Dvaraka am Ufer des Westmeers – der Ozean gibt ihm zwölf Meilen Raum für die uneinnehmbare Feste, deren Ruinen noch heute ein Wallfahrtsort der Krischnagläubigen sind. Dann schreitet er dem Feinde unbewehrt entgegen und lockt ihn, indem er vor ihm zu fliehen scheint, in die Höhle des vorzeitlichen Muschukunda. »Schwarz-Yavana« stört den Schläfer auf und wird durch den ersten Blick des Erwachten zu Asche verbrannt, sein führerloses Heer wird vernichtet.

Nach diesen Kämpfen, die den Bestand der Yadus sichern, zieht es Rama, den ländlichen Heros, aus der städtischen Pracht fürstlichen Lebens heim zu den ländlichen Freuden der Hirten:

 

»Als aller Kampf erloschen war, begab sich Baladeva zu Nandas Kuhpferch, voll Sehnsucht, die Verwandten wiederzusehen. Der Feindebezwinger grüßte Hirten und Hirtinnen verehrungsvoll und mit Liebe wie in alter Zeit. Manche umschlangen ihn, andere umschlang er, mit Hirten und Hirtinnen lachte er zumal. Vielerlei Liebes sagten ihm die Hirten, manche Hirtinnen führten, von Liebe erheitert, eifersüchtige Rede, andere fragten:

›Geht es Krischna, dem Liebling der Stadtfrauen, gut, der vom Safte kraftvoller Zärtlichkeit überströmt? Lacht er nicht etwa über unser Gebaren und tut den Reizen der Stadtfrauen allzuviel Ehre an – er mit seiner Augenblicksliebe? Gedenkt er wohl noch, wie wir seinem Sange nachwandelten? Wird er auch wenigstens einmal herkommen, seine Mutter wiederzusehen? – Aber genug solcher Reden; von anderen Dingen wollen wir sprechen: Was wird aus uns ohne ihn werden? Und was aus ihm ohne uns? Vater und Mutter, Bruder und Gatten, alle Verwandten haben wir um seinetwillen verlassen – aber gedankenlos undankbar ist er! Und doch; wird Krischna wohl sich wenden, selbst hierher zu kommen? – Sprich du das Wort, das unsterblich Leben uns verleiht! Er, der ›Strickbauch‹, der ›Herrscher der Hirten‹ hat seinen Sinn an die Stadtfrauen gehängt, seine Liebe zu uns entfloh, so dünkt uns – schwer werden wir ihn wiedersehen!‹ Als die Hirtinnen ihn so mit ›Krischna‹ und gar mit ›Strickbauch‹ herbeiriefen, lachten sie hell auf, von Hari in ihren Gedanken hingerissen. Mit zarten und süßen Botenworten von Krischna, die voller Liebe und ohne Hochmut waren, tröstete Rama die Frauen – sie klangen überlieblich. Und mit den Hirten, die in Scherz und Lachen entzückend waren, tauschte er auf den Weiden liebevoll wie früher Reden.

Als er hohen Wesens mit ihnen in der Waldwildnis weilte – er: Schescha, der Träger der Erde, in Menschengestalt sich bergend –, sprach Varuna, der Gott des Meeres, zu Varuni, der Göttin berauschenden Trankes, um ihn zu erquicken, nachdem er Taten weit entfaltet hatte – er, der durch Tat in die Welt hineinsteigt; Varuna sprach: ›Immer bist du, Berauschende, Rama erwünscht in seiner großen Stärke. Zur Erquickung und Freude des ›Endlosen‹ geh, du Strahlende!‹ Auf sein Wort ging Varuni in die Höhlung eines Kadamabaumes ein, der am Ufer des Vrindawaldes stand. Und Baladeva witterte umherstreifend des Rauschtrankes schwer aufsteigenden Duft und spürte uralte Lust danach. Da sah der ›Held mit dem Pfluge‹ aus dem Kadambabaume jählings einen Strahl berauschenden Saftes springen und freudig trank er, indes Hirten und Hirtinnen ihn, kundig in Gesang und Saitenspiel, lieblich umsangen.

Vor Mattigkeit funkelnd mit Perlen, kleinen Schweißtropfen ohne Zahl, sprach er taumelnd: ›Komm her, Yamuna, ich will baden!‹ – Aber der Strom achtete seine Rede gering als Wort eines Trunkenen und kam nicht. Da langte der Pflugträger ergrimmt nach seinem Pfluge, packte ihn und zog die Yamuna samt dem Ufer, im Rausche schwankend, einher. ›Du Böse, du kommst nicht? – Geh einen anderen Weg nach meinem Willen!‹ Jählings von ihm geschleift, verließ der im Tiefen strömende Fluß seinen Pfad und schwemmte über den Wald hin, wo Baladeva weilte. Leibhaft gestaltet trat alsdann die Yamuna vor ihn hin, und ihre Augen schwankten vor Angst hin und her, als sie zu Rama sprach: ›Sei gnädig! Gib mich frei, du Held mit der Mörserkeule!‹ – Er sagte: ›Achtest du Heldentum und Kraft an mir gering, werd' ich dich mit meinem Pfluge in tausend Stücke zerschmettern.‹

Da besänftigte die Flußgöttin ihn, der furchtbar zitterte, und auf dem überschwemmten Lande gab Bala die Yamuna frei. Als er danach gebadet hatte, kam Liebreiz über ihn im hohen Walde. Einen blauen Lotos nahm er sich zum Schmuck des Ohres und einen schönen Ohrring dazu, und einen Kranz von unverwelklichen Lotosblumen, von Varuna geschenkt, nahm er für den Hals; dunkelblaues Gewand, des Meergottes würdig, schenkte ihm die Göttin der Schönheit. So geschmückt trieb Rama Liebesspiele im Pferche, und nach zwei Monden kehrte er nach Mathura zurück.«

 

Balarama reißt mit seinem Pfluge die Fluten des Stroms, der dem Fruchtland vorbeifließt, auf den Boden hinauf, daß er ihn tränke, wo der Held es will. In seiner trunkenen Tat – durch seine Lust zu baden in ihrem ursprünglichen Sinne verschleiert – spiegelt sich augenscheinlich Erinnerung an die mythische Tat des »Pflugträgers« als Kulturheros, der die Wasser der Flüsse zwingt, durch die Kanäle, die er furcht, die Reisfelder zu überschwemmen. Die Waffen, die der mythische Schöpfer vorderindischer Reiskultur führt, bezeichnen Anfang und Ende an ihr: der Pflug bereitet den Boden, der Reisstampfer enthülst das geerntete Korn. Balarama, der den Fluß aufs Land furcht, bedeutet für das vorarische Altertum Indiens das gleiche, was der mythische Yü unter den Kulturheroen der Frühzeit Chinas ist. Yü dämmt die wilden Wasser des Gelben Flusses ein und zieht als erster Kanäle; er rettet das Volk vor Überschwemmungsnot, die der Strom, durch Schneeschmelze in den Bergen geschwellt, alljährlich mit sich bringt, und bändigt seinen Überschwang zum Nutzen des Feldbaus. Freilich im Wesen der beiden Kulturheroen – welch Unterschied! – bezeichnend für beide Kulturen. Dort der heilig-nüchterne Patriarch konfuzianischer Idealzeit, der weitblickende getreue Vertraute des mythischen Kaisers – hier der ländliche Kraftkerl, der Liebe und des Rausches froh. Yü schafft angesichts der Wassersnot das große Werk, sichert menschliches Dasein und hebt es auf eine höhere Stufe; Rama fordert übermütig den friedvollen großen Strom heraus und überwältigt ihn mit rauschgesteigerter Kraft. Sein Baden ist ein jüngerer Anlaß seines wunderbaren Tuns, sein Rausch ist eine altertümliche Voraussetzung mythischer Großtaten. So wird auch der Indra der Veden durch Rauschtrank in seinem heldisch-sieghaften Wesen geschwellt, daß er die Dämonen erschlägt. Wenn er auch der königliche Krieger der Götter ist und den Blitzkeil des Himmels als Waffe schwingt, bedarf er doch, wie Helden alter Zeiten, einer Trunkenheit, um angesichts weltbewegender Kämpfe der eigenen Kraft recht unwiderstehlich inne zu werden. Rauschtrank zum Morgen, Mittag und Abend ist das Opfer, das er von den Menschen heischt, die in sein Wesen eingeweiht sind; immer berauscht ist er immer in die Fülle seiner gewaltigen Natur hinaufgesteigert: toll an Mut, Gewalttätigkeit und Gebefreude. Der besonnene Held kühlen Blutes gehört, wie Rama der Mond, einer anderen Sphäre an, ist das Wunschbild einer späteren Epoche, kein Ideal dämonischer Frühzeit voll Drang und Grauen. In dieser Frühzeit liegt Balaramas mythischer Ursprung.

Der bäuerliche Kulturheros spendet dem Boden die Feuchte, deren die Reissaat bedarf. Der Flur die Feuchte zu spenden ist das segensreiche Amt der Schlangenwesen, die in den Gewässern der Erde walten. Balarama ist zwiefach zu Recht der berufene Schutzpatron des Reisbaus, da sich ein Schlangenwesen in ihm verlarvt. Steinbilder von Schlangengottheiten (Naga), die noch heute vom Landvolk bei Mathura und Brindaban verehrt werden, heißen nach Krischnas Bruder »Dau-ji«, das ist »der ältere Bruder«, oder »Baldeo«: Baladeva.

Den Mythos überschattet Familiengeschichte und regnet ihre Namen, ihre Episoden in ihn: die Namen der Lieblingsfrauen Krischnas: Rukmini, Satyabhama und sechs andere, zu schweigen von der namenlosen Schar der Schönen in seinem Harem: sechzehntausend, und den vielen Namen seiner Kinder und Enkel und der Menschen, die sie in ihr Leben verstrickten. Von Rukmini allein hat Krischna zehn Söhne und eine Tochter, unter ihnen den Helden Pradyumna, in dem ein Stück des Liebesgottes menschliche Gestalt gewann. Von ihm stammt Aniruddha, sein Sohn wieder ist Vajra, der Urenkel Krischnas, der als einziger – noch ein Kind – die blutige Selbstvernichtung des ganzen Yadugeschlechtes überlebt und seinen Stamm ins letzte, heldenlose Weltalter hinüberpflanzt. Als Ramas Gemahlin wird Revati genannt, sie gilt als die Tochter eines König Raivata; aber sein Name ist deutlich aus dem ihren abgeleitet, seine Figur scheint ihr entsprungen, nicht die Tochter dem Vater ihr mythisches Leben zu verdanken. Revati ist ein geläufiger Name der Yamuna, die Rama mit seinem Pfluge bezwingt und aufreißt, an ihren Ufern wird er als segenspendendes Schlangenwesen verehrt. Der Naga und die Flußgöttin sind ein mythisches Paar lokaler Wassergenien, das in seiner fürstlichen Standesehe menschliche Masken trägt.

Krischnas erhabenes Spiel auf Erden feiert das zwiespältige Wesen alles Lebendigen: daß es in die Maya irdischer Erscheinung eingebettet ist und Anteil hat an der Überwelt in und jenseits ihrer Grenzen. Seine menschliche Gebärde erfüllt noch einmal großartig den Stil der kriegerisch-fürstlichen Epoche, der er den Untergang bringt, und langt zugleich immer wieder in Götter- und Dämonensphären, die seine übermenschliche Kraft anrufen oder herausfordern.

Das Leben altindischer Kriegerfürsten ist ein ständiger Kampf um Vorrang und Macht; Ehen verbünden die Familien und sind Anlaß immer erneuten Zwists, Brautraub von der Hochzeit weg ist eine Form ritterlichen Streits um Geltung. Nach Art »menschenfressender Unholde« raubt Krischna sich Rukmini, die ihn liebt, die der Wille des Vaters und Bruders aber einem anderen bestimmen, ihr Bräutigam fällt auf dem Rachezug gegen den Entführer. Gattenwahl und Hochzeit sind adlig-gesellschaftliche Ereignisse, Feste, die fröhlich-blutigen Ausgang versprechen; kein Held, der etwas gelten will, wird dabei fernbleiben. Wie Hirsche kämpfen sie um die Frauen, und der Stärkere fühlt sich groß im erkämpften Besitz des reizendsten, adligsten Rudels. So will sich das fürstliche Blut in der Auslese der Stärksten erhalten, und so rottet es sich selber aus in Verschwendung seiner Kräfte, in spielenden Fehden ohne Maß. Tod im Kampfe ist das einzig gemäße Ende adligen Heldenlebens, Gefahr von seinesgleichen ist sein Element. Stolz, Übermut und Händelsucht schaffen immer neue Gefahr, man sucht Gelegenheiten, die den unbedenklichen Einsatz von Person und Besitz fordern, ständiges Wagnis aus Trotz und Gleichmut ist dem Krieger, der »vom Schwerte lebt«, gemäß, aus langer Völkerwanderung und siegreicher Landnahme trägt er den Rausch der Gefahr mit jähem Wechsel des Geschicks, Preisgabe des Errungenen und glückhaftem Drang ins Unbekannte in seinem Blute.

Samba, ein Sohn Krischnas, raubt eine Tochter Duryodhanas, der Arjunas großer Gegenspieler im Kampf der Bharatas ist, von ihrer Gattenwahl weg, aber er wird besiegt und gefangen. Balarama fordert seine Freigabe, aber der bäuerliche Held mit dem Reisstampfer als Waffe wird höhnisch abgewiesen. Da schlägt er seine Pflugschar in die Ringmauer der feindlichen Stadt und reißt zornig an ihr, daß die ganze Stadt zu wanken beginnt. Eilig bittet man um Schonung und gibt ihm den Gefangenen und das Mädchen frei.

Zum Kampf um Reiche und Weiber gehören die Würfel – Glücksspiel mit Kälte, List und Schnelligkeit, in dessen Rausch Länder und Frauen verspielt werden. Mit Betrug, der zum Gewinn führt, und Spott, der den Verlierenden übergießt, mündet das Würfelspiel unweigerlich in die erwünschten Händel, Herausforderungen und blutigen Feindschaften, die das Um und Auf des ritterlichen Alltags sind. Ein Würfelspiel schürzt den Knoten der alle vernichtenden Feindschaften im Mahabarata, über lange Jahre des Hasses wird es zum Vorspiel seiner Vernichtungsschlacht. Wen man im Kampfe nicht bestehen mag, will man im Spiel zugrund richten; Rama, der starke, rauschfrohe Held, ist Spielertücken nicht gewachsen, er ist der Bauer bei Hofe, aber er rächt sich für Spott und Betrug, indem er den Spieler, der ihn zu prellen suchte, mit dem Spielbrett erschlägt und dem Spötter die Zähne ausbricht, die er lachend blitzen ließ, und beider Freunde mit einem goldenen Pfeiler der Spielhalle niedermacht.

Dämonen- und Göttergeschichten schlingen ihre Maya in die irdische: wo immer sich das Göttliche verleibt, zieht es die Spannungen aller Sphären auf sich. Sechs Tage, nachdem Rukmini Pradyumna zur Welt gebracht hat, wird er vom Dämon Schambara entführt; der wußte: »Pradyumna wird mich töten.« Er warf das kleine Kind ins Meer, in den grausigen Schoß der Meerungeheuer. Ein Fisch verschlang es, aber davon starb es nicht; es war eine Wiedergeburt des Liebesgottes, dessen Leib Schiva mit einem Zornblick seines Stirnauges zu Asche verbrannte, und blieb wunderbar im Bauche des Fisches bewahrt. Der Fisch ward gefangen, die Fischer brachten ihn, wohl weil er besonders stattlich war, König Schambara dar. Seine Frau war Mayavati, die »Zaubertrugkundige«, sie waltete untadlig über sein ganzes Haus und seine Küche. Der Fisch ward aufgeschlitzt, sie sah den lieblichen Knaben. »Wer ist das? Wie ist er in den Bauch des Fisches gekommen?« fragte sie sich, und der Heilige Narada, der wie die Stimme des intuitiven Wissens in diesen Mythen auftritt, erzählte ihr des Kindes Herkunft und Schicksal und sagte: »Hüte getrost dies Kleinod von Mann!«

Das zarte Kind in seiner unvergleichlichen Schönheit entzückte sie; sie zog es auf; und als Pradyumna groß war, hatte sie Verlangen nach ihm. Sie war ihm mit Herz und Auge verfallen und schenkte ihm alle ihre Zauberkräfte. Als sie sich an ihn hängte, fragte er: »Warum bist du nicht mehr wie eine Mutter zu mir?« Und sie gestand ihm: »Du bist nicht mein Sohn; Vischnus Sohn bist du, Schambara hat dich entführt, aus dem Bauch des Fischs bekam ich dich, aber deine liebe Mutter trauert und weint noch jetzt um dich.« Da nahm er ihre sieben Zaubermächte an sich und verschmolz mit der achten, durch sie erschlug er Schambara und sein Dämonenheer und flog mit Mayavati durch die Luft zur Stadt seines Vaters. Als er sich dort ins Frauenhaus niederschwang, freuten sich Krischnas Frauen bei seinem Anblick, Rukmini konnte die Augen nicht von ihm wenden und sprach: »Selig die Mutter, die diesen reizenden Sohn hat; so groß wäre jetzt mein Sohn Pradyumna, wenn er lebte; irgendeine Mutter machst du glücklich, mein Kind – aber nein: meine Liebe zu dir ist wie deine schöne Gestalt, gewiß bist du Haris Sohn.«

Derweil kam Narada mit Krischna daher und sprach voll Freude: »Dies ist dein Sohn, er hat Schambara erschlagen, der ihn vorzeiten entführte, und dies ist Mayavati, deines Sohnes Frau; Schambaras Gattin war sie nie – höre, wie das geschah! Als der Liebesgott zugrunde ging, betörte sie mit ihren berauschenden Blicken Schambara durch eine Maya-Truggestalt. In den Freuden der Hochzeit und später spiegelte sie dem Dämon eine schöne, aus Maya gefertigte Gestalt vor. Der Liebesgott aber nahm Erdengestalt an in deinem Sohne, und sie ist seine Gattin, die Göttin ›Lust‹.« Da freuten sich Rukmini und Krischna und die ganze Stadt über die Heimkehr des langverlorenen Sohnes.

Ein Mythos vom unabwendbaren Schicksal, wie Ödipus' Geschichte und die Anekdote von Kambyses: was Schambara von sich fernhalten will, zieht er mit seiner abwehrenden Gebärde an sich, was er dem Meer zum Fraße hinwarf, bringt ihm das Tier des Meeres im Bauche verborgen in sein Haus. Der Fisch, das Requisit der Polykratesanekdote, ist das Tier des Liebesgottes, er führt den Fisch im Banner. Die Göttin der Lust aber ist wirklich vor allen Götterkräften die »mayavati«, die »mit Maya Begabte«, die Zaubertrugkundige mit vielen Kräften: Lust gießt ihren verklärenden Schimmer über die Erscheinungen, daß sie reizend und begehrenswert werden, die Lust rettet den Liebesgott Kama, das Verlangen, aus dem Rachen des Todes in ein neues Dasein, hilft ihm aus Unsichtbarkeit in neue Verleiblichung. Lust als Gattin und Kraft, als »schakti« des Liebesgottes, ist die weltschaffende Phantasie, die dem Ich ins Grau die leuchtend-lockende Welt malt, der es am innigsten verfallen ist.

 

»Danach kam Indra zu Krischna, und sein Elefant Airavata schritt brunsttrunken hinter ihm drein; er berichtete Hari von den Untaten des Dämons Naraka und sprach: ›Schirmherr der Götter, du hast, wiewohl in menschlichem Wesen weilend, alles Unheil zur Ruhe gebracht; da der Wink deines stabgleichen Arms die Dreiwelt schirmt, essen die himmelbewohnenden Götter beim Opfer die Spenden und werden davon satt. Vernimm, weshalb ich jetzt zu dir komme, und mühe dich, etwas dagegen zu tun: Ein Sohn der Erde, Naraka – ›Hölle‹ – genannt, tut allen Wesen Abbruch. Göttern und anderen Wesen raubte dieser Widergott die Mädchen und schloß sie bei sich ein, den königlichen Sonnenschirm Varunas, der triefend Wasser spendet, den Juwelengipfel des Mandaraberges hat er geraubt, die Ohrringe, die den Trank ›Todlos‹ träufen, hat er meiner Mutter Aditi genommen, und jetzt verlangt er nach meinem Elefanten.‹ – Als Krischna das vernahm, lächelte er, nahm Indra bei der Hand und erhob sich von seinem Thron. Er bestieg den Garuda, den sein bloßes Gedenken herbeirief, hob seine Gattin Satyabhama zu sich hinauf und flog zur Stadt Narakas. Sie war hundert Meilen im Umkreis mit furchtbaren Schlingen versponnen, um Feindesheere fernzuhalten, aber Vischnus Wurfring zerschnitt sie, seine feurige Schneide verbrannte den Dämon Mura, der sich mit siebentausend Söhnen wider ihn erhob, wie Heuschrecken. Er bezwang die Dämonen ›Pferdehals‹ und ›Fünfmann‹, dann trat ihm Naraka mit seinem großen Dämonenheer entgegen. Der Sohn der Erde regnete Messer und Pfeile gegen ihn, aber Krischna schleuderte seinen Wurfring und schnitt Naraka mitten durch und erschlug seine Heere.

Als Naraka erschlagen lag, wartete die Erde Krischna ehrfürchtig mit den beiden Ohrringen auf und sprach: ›Herr, als du in Ebergestalt mich aus dem Weltmeer hobst, entstand aus der Berührung mit dir in meinem Leibe dieser Sohn. Du warst es, der ihn mir gegeben hat, du bist es, der ihn zerfällt hat. Nimm die beiden Ohrringe hier, und nimm sein Geschlecht in deinen gnädigen Schutz! Um mich von meiner Last zu befreien, bist du gnädig mit einem Stück von dir in diese Welt gekommen; Herr, du schaffst und entschaffst, raffst vernichtend in dich zusammen und bist der unvergängliche Ursprung! Diese ganze Welt ist deine Gestalt – was preise ich dich da, du Unerschütterlicher! Allerfüllend und Allerfüllter bist du, Werk, Wirkender und Erwirkbares bist du, alles Gewordenen Wesens-Wesen – was soll ich dich preisen? Sei gnädig und verzeih, was Naraka tat; um ihn von Schuld zu reinigen, hast du meinen Sohn gefällt.‹

›So sei es‹, sprach der Erhabene und nahm die Schätze aus Narakas Haus. Die Mädchen, Elefanten und Pferde ließ er nach Dvaraka schaffen, den königlichen Sonnenschirm Varunas und den Juwelenberg lud er auf den Garuda und flog mit Satyabhama zur Stätte der Götter, um Aditi die Ohrringe zu geben. Vorm Tor der Himmelswelt blies er sein Muschelhorn, da warteten die Götter ihm mit Gastgeschenken in Schalen auf. Von Schakra geleitet trat Krischna ins Haus der Göttermutter, das einem weißen Wolkengipfel glich; er neigte sich vor Aditi, schenkte ihr die herrlichen Ohrringe und verkündete ihr den Untergang Narakas. Da pries die Mutter der Welten freudig den Erhalter der Welten und sammelte andächtig ihren Sinn auf ihn. Sie sprach: ›Anbetung dir, Lotosäugiger, der von Furcht befreit, wer sich ihm ergibt! Mit den Gestalten deines Wesens, die Brahma, Vischnu und Schiva heißen und Maya sind, ist die ganze Welt erfüllt; im Wesenlosen Wesen zu sehen, das ist deine Maya, du Wesenbedränger! Von ihr her sagen Geschöpfe ›ich‹ und ›mein‹, das ist das Gebaren deiner Maya im Samsara. Aber Menschen, die ganz in Erfüllung ihrer frommen Pflichten aufgehen und dich verehren, die überqueren diese ganze Maya und gelangen zur Erlösung ihres Wesens. Alle Götter von Brahma an, Menschen und Tiere sind im Strudel der Maya Vischnus vom blinden Dunkel des Wahns befangen; dich verehren sie und erlangen Erfüllung ihrer Wünsche, daß ihr ewiges Werden ein Ende finde. Die Menschen sind durch deine Maya, Erhabener, in ihrer Fußspur gebunden, und ich verehrte dich, um einen Sohn zu erlangen, der die Feinde vernichtet, aber nicht um der Erlösung willen – denn solches ist das Spiel deiner Maya. Auch daß vom Götterbaum, der himmlische Gewebe und die Erfüllung aller Wünsche an seinen Zweigen trägt, von den Frommen meist nur ein Lappen begehrt wird, ihre Blöße zu decken – solches Fehlgreifen rührt von ihrem eigenen Ermangeln her. Darum sei gnädig, du Wahnschaffer der Maya aller Welt, vernichte das Nichterkennen, du, des Wesen Erkenntnis ist! Ich schaue deine Gestalt, mit sinnlich greifbaren Zeichen geschmückt – nicht weiß ich um das an dir, was jenseits von ihr ist, sei mir gnädig!‹

Als Aditi ihn mit solchen Worten pries, lachte Vischnu auf und sprach zu ihr, deren Schoß die Götter wie Funken dem Reibholz entsprungen sind: ›Mutter bist du uns, Göttin! Sei uns hold und gewähre einen Wunsch!‹ – Aditi sprach: ›Es soll sein, wie du wünschst: Göttern und Widergöttern wirst du allzumal unüberwindlich sein in der Welt der Sterblichen!‹ Und Aditi segnete auch Satyabhama, die sich vor ihr und allen Göttinnen anbetend neigte, und schenkte ihr ewige Jugend.

Danach besahen sich Krischna und Satyabhama den Götterhain ›Freude‹ und andere Lusthaine. Als aber Satyabhama, deren Name meint: ›ihre strahlende Leidenschaft ist wahr‹, den Götterbaum erblickte, der beim Quirlen des Göttertranks aus dem Milchmeer kam, sprach sie zu Krischna: ›Warum nimmst du diesen Baum nicht mit nach Dvaraka, Krischna? Wenn wahr ist, was du mir sagtest: ›Ich habe Satya über die Maßen lieb‹, so nimm den Baum, daß er bei meinem Haus im Garten stehe! ›Ich habe Rukmini nicht so lieb wie dich, Satya‹, dies liebe Wort hast du mir manches Mal gesagt; wenn es wahr ist und du's nicht bloß, um mir zu schmeicheln, sagtest, soll dieser Parijatabaum meines Hauses Zierde sein! Ein Blütenbüschel von ihm im Haar, will ich unter meinen Mitgemahlinnen strahlen – das wünsch' ich mir!‹

Da lachte Hari hell auf und hob den Baum auf den Garuda, aber die Wächter des Haines sagten: ›Ehrwürdiger, Schatschi ist die Hauptgemahlin des Götterkönigs Schakra, der Baum ist ihr eigen, du darfst ihn nicht wegnehmen! Er kam beim Quirlen des Tranks ›Todlos‹ hervor, auf daß Schatschi sich mit ihm schmücke; nimmst du ihn, kommst du nicht heil davon! Unweigerlich schreitet Schakra zu deiner Vernichtung, den Blitzkeil in erhobener Hand, und hinter ihm die Unsterblichen. Laß ab vom Kampf mit allen Göttern, nicht preisen Kluge die Tat, die bitter schmeckt, wenn sie gar wird.‹

Da sprach Satyabhama in großem Zorn: ›Was geht den Parijatabaum Schatschi an oder Schakra? Aller Welt gehört er, wenn er vorzeiten beim Quirlen des Milchmeers entstand, wie Rauschtrank und Mond und die Göttin des Glücks – woher nimmt Indra ihn für sich allein? Eilt und kündet Schatschi mein Wort: Solche Rede führt Satyabhama im Stolz auf ihren Gatten: Bist du deinem Gatten lieb, dann laß ihn meinen hindern, den Baum zu rauben! Ich weiß, dein Gemahl ist Indra; ich weiß um den Herrscher der Götter – dennoch laß ich, ein sterblich Weib, den Götterbaum dir rauben!‹

Die Wächter vermeldeten ihr Wort, und Schatschi reizte Indra, mit Krischna um den Götterbaum zu kämpfen; wirklich kam es zu einer furchtbaren Schlacht, in der alle Götter mit ihren vielfältigen Waffen sich an den menschgewordenen Allgott wagten. Umsonst! Schließlich stand Indra mit dem Blitzkeil in der Faust Krischna allein gegenüber, der den Wurfring gegen ihn schwang. Da schrien alle Welten vor Entsetzen Wehe, aber Krischna hielt den Wurfring fest und fing den Blitzkeil, der ihn treffen sollte, mit der Hand. Da wandte sich Indra zur Flucht, aber Satyabhama rief ihm bei diesem Anblick reuig nach: ›Flieh nicht, Herr der drei Welten! Was wäre dir deine Königsherrlichkeit, wenn du nicht wie vormals Schatschi schautest: schimmernd von Blumengewinden des Götterbaumes in Liebe dir genaht? Genug des Ringens, du brauchst dich nicht zu schämen – hier nimm den Baum, die Götter sollen ruhig sein! In ihrem Stolz hat Schatschi mich keines Blicks gewürdigt, als ich verehrungsvoll ihr nahte; ich bin ein Menschenweib und nicht verehrungswürdig, meines Gatten Ruhm ist mir das Höchste, darum fing ich Streit mit dir an. Genug vom Parijatabaum, ob er anderen gehört oder entführt wird – welche Frau hätte nicht ihren Stolz an ihrem Reiz und Ruhm?‹

Da kehrte der Götterkönig um und sprach zu ihr: ›Genug des Drängens, du Wilde! Freundin! Ich schäme mich nicht mehr, daß ich besiegt ward vom Allgestaltigen – wie brächte es Schande, von ihm überwunden zu sein? Alle Wesen sind seine Gestalt, aber seine kleinste, ungreifbar feine erkennt nur, wer alle Veden weiß – kein anderer. Den Ungeschaffenen, der nach seinem Willen seiner Welt zu helfen kommt, den Uranfänglichen – wer könnte ihn besiegen?‹ – So gepriesen lachte Hari und sprach mit gerührter dunkel-tiefer Stimme: ›Du bist Indra, der König der Götter; wir sind Sterbliche, Herr der Welt! Übe Geduld, wenn ich mich gegen dich verging. Nimm hier den Parijatabaum und setz ihn wieder an seine Statt. Ich nahm ihn, weil ein Wort mich dazu trieb, dessen Wahrheit ich erweisen mußte. Und hier nimm deinen Blitzkeil: Opfergabe ist, was du entsandtest. Dein ist ja diese Waffe, die Feinde zermalmt.‹

Indra sprach: ›Du verwirrst mich, Herr – was sagst du, ›ich bin ein Sterblicher‹? Wir kennen dich aus unserm Wissen um das selige Glück des Erhabenen-Unendlichen. Du bist der du bist: bei der Entfaltung der Welt als ihr Schirmherr bestellt und ziehst der Welt die Wundpfeile aus, Töter der Widergötter! Nimm hier den Parijatabaum nach Dvaraka; er wird nicht auf Erden bleiben, wenn du die Welt der Sterblichen verläßt.‹ – Da sagte Hari ›Ja‹ und kehrte unter Preisliedern der Himmelsbewohner zur Erde zurück.

Jäh zog er dahin, stieß ins Muschelhorn und hielt über Dvaraka; er pflanzte den Götterbaum in den Garten: vor ihm erinnert sich jeder Mensch seiner früheren Leben, von seinem Duft ist die Erde drei Meilen weit durchduftet. Da sahen die Yadus übermenschliche Wesen, die wie Götter dufteten, ihre Gesichter im Baume zeigen.

Danach nahm Krischna die Beute aus Narakas Besitz sich zu eigen; zu glückverheißender Zeit vermählte er sich mit den Mädchen aus Narakas Palast, die von überallher zusammengeraubt waren. Er faßte, wie der Hochzeitsbrauch es heischt, ihre Hände: alle Hände zumal in gesonderter Gestalt, wie es seiner Art gemäß ist. Sechzehntausend und einhundert waren die Frauen, ebenso viele Gestalten schuf sich der Madhutöter, und eines wie das andere meinten die Mädchen: ›Meine Hand hat Govinda gefaßt.‹ Und in den Nächten weilte der Entfalter der Welt in ihren Häusern: in aller Häuser weilte der Allgestaltige zumal.«

 

Der Dämon »Hölle«, ein Kind der Erde unten, hat den Himmlischen oben geraubt, woran ihre Unsterblichkeit hängt: den königlichen Sonnenschirm des Wassergottes Varuna, der den Saft des Lebens trieft, die Ohrringe der Göttermutter, die den Trank Todlos triefen, den Gipfel des Juwelenberges, auf dem ihre Herrschaft festgegründet stand. Er hat die Mädchen aller Sphären entführt und hält sie gefangen: die Jugend und wandelnde Unsterblichkeit aller Wesen, aus deren Schoß ihr Leben neu hervorgehen kann. Es fehlt ihm noch der Airavata des Götterkönigs, ein magischer Lebenspender wie alle Elefanten: wo sie weilen, fällt Regen. Elefanten sind den Königen gesellt zu Prunk, Krieg und Regenzauber, und dieser Höchste ist das Sinnbild des göttlichen Weltregiments. Raubt der Dämon ihn, sind Indra und die Götter entthront, zugleich ist die ganze Welt der Vernichtung geweiht, denn was ihr magisch Leben spendet, ist dann im unterirdischen Verliese eingeschlossen. »Hölle« (Naraka) meint nicht einen Ort der Strafen, aber den höchsten Schrecken nach dem Tode: den Abgrund der Vernichtung, den Schoß des Nichtseins (Nirriti) als Gegenpol zum Schoß der Göttermutter Aditi, der »Ungebundenen«, aus dem das Leben in Göttergestalten sich entbunden hat. Der menschhafte Allgott rettet den Weltlauf vor völligem Stocken und Versiegen, indem er die Kleinodien des Lebens und die Mädchen, aus deren Schoß es neu erstehen wird, dem unterirdischen Verliese entreißt.

Die hohen Götterfrauen, die Erde und Aditi, wissen um Vischnus Maya; in der Gestalt, die sie ihnen gibt, beugen sie sich vor ihrer Allmacht; ihre Selbstbefangenheit strahlt von demütiger Erkenntnis und ist doch außerstand, sich aufzulösen und das Geschöpf vom Bann der Maya freizugeben, die es in sich selbst befängt. Das ist das »Ermangeln« der Kreatur, daß sie sich wünschen muß, was innerhalb der Maya liegt, und ihr Jenseits nicht ergreifen mag, darin sie sich auflösen würde.

Auch Krischna – so scheint es – erliegt auf Augenblicke fast der Maya, die er spielend durchwaltet: Satyabhamas Rangstreit mit Indras Frau reißt ihn in die selbstbefangene Unbesonnenheit hinein, daß er, der Allgott, seine Waffe gegen Indra schwingt und das Geschöpf seiner Maya mit seiner grenzenlosen Übergewalt zu vernichten droht. Ein rechter Weiberstreit bringt die Welt durcheinander, aber alles endet gut, da Vischnu selbst in ihn verwickelt ist und die Götter nicht so verblendet ichbesessen sind wie die Dämonen: Indra begreift die eigene und die allgemeine Maya, in der das Allwesen sich gefällt. Die Götterkönigin hat die Gattin des rettenden Helden, das Menschenweib, gar nicht angeschaut, als Satyabhama ihr verehrend nahte: das reizt Krischnas Liebling, ihr zu zeigen, wessen Gemahl herrlicher ist. Aber sie läßt es sich an seiner allmächtigen Herrlichkeit genügen, und wenn Krischna den Götterbaum schließlich doch auf Zeit zur Erde verpflanzt, ist das kein kränkender Raub mehr. Der alle Wünsche gewährende Baum, der dem Meer der Lebensmilch entstammt, ist unter den Bäumen, was Indras Wunschkuh unter den Rindern ist; der Baumkult vorarischer Volksreligion feiert sich selbst in ihm, wie der rindzüchtende arische Einwanderer in jener Wunschkuh vergöttert, was ihm Nahrung und Dasein gibt. Es gehört zur immer volleren Entfaltung des ganz gottmenschlichen Daseins auf Erden, daß immer mehr göttliche Dinge der irdischen Verleihung des hohen Wesens zuströmen: nach der Halle Sudharma und den Wunderwaffen Vischnus jetzt die Beute der Unterwelt und die Zier des Götterhimmels: prunkender Schein um die sieghafte Scheingestalt, der sich mit ihr entrücken wird.

Der Untergang des Dämons »Hölle« hat ein Nachspiel: ein mächtiger Affe, Dvivida, war der Freund des Dämons und wollte ihn rächen. Er wüstete in der Menschenwelt, störte die Opfer und verbrannte das Land. Er zermalmte Dörfer und Flecken zu Staub, entwurzelte Felsen und warf sie ins Meer, dann wieder trat er mitten hinein und regte das Weltmeer auf, daß es überschwemmend aus seinen Grenzen stieg. Er schuf sich Gestalt, wie die Lust ihn ankam: in Riesengestalt plünderte er die Saaten, tobte in ihnen und zerstampfte sie. Alle Welt geriet in Wirrsal; ohne Vedalehre, ohne Opfersegensruf ward sie in Leid versenkt. Rama zechte seinen Rauschtrank am Ufer der Revati, bei ihm war seine Gattin Revati und andere Frauen, die ihn mit ihren Liedern feierten. Da kam der Affe herbei, packte Pflug und Reisstampfer und verspottete Baladeva, indem er ihn nachahmte. Er lachte den Frauen ins Gesicht, bedrohte Rama und warf die Krüge voll Rauschtranks um, daß sie zerbrachen. Da erhob sich Rama voll Zorn und langte nach dem Reisstampfer, aber der mächtige Springer warf einen Fels gegen ihn. Rama zerspellte ihn in der Luft mit dem Reisstampfer, da sprang der Affe hoch auf und stürzte sich auf ihn, aber Rama traf ihn mit der Faust an den Kopf, da stürzte er blutspeiend zu Boden und gab sein Leben auf. Die Götter regneten Blumen vom Himmel auf Rama herab und priesen ihn, daß er die Welt von diesem Plagegeist befreit hatte.

Der bäuerliche Kulturheros ist der Schutzpatron von Dorf und Feldflur; die Wildnis, die ins Menschenwesen einbricht, verkörpert sich in den großen Menschenaffen altindischer Frühzeit: in ihnen wird die Dämonie des Dschungels leibhaft. Von ihrer zerstörerischen Bosheit befreit der Genius, der die Menschen lehrt, dem Dschungel das Fruchtland abzuringen, das Werk, das er geschaffen hat.

Die Heiligen sprachen: »Wie kam es zwischen Schiva und Krischna zum Streit um Uscha, die Tochter des tausendarmigen Bana, und wie vernichtete Hari Banas Arme?«

Vyasa erzählte: »Uscha, die Tochter Banas, sah einmal Schiva und Parvati in ihrem Liebesspiel vereint, da empfand sie selbst hohes Verlangen danach. Da sprach Parvati, die alle Gedanken weiß, zu der Leidenschaftglühenden: ›Genug der Glutenqual, auch dich wird dein Gatte glücklich machen.‹ – So sprach sie, und ›Wann?‹ dachte jene, und ›Wer wird wohl mein Gatte sein?‹ Und wieder sprach Parvati zu ihr: ›Der dich in der zwölften Nacht des zunehmenden Mondes im Lenzmond Vaischakha im Traume überkommt, wird dein Gatte sein.‹ – In jener Nacht überkam sie ein Mann im Traum, wie es die Göttin verkündet hatte, und sie ward voll Leidenschaft für ihn. Als sie erwachte und ihn nicht sah, sprach sie voll Verlangen: ›Wo bist du hin?‹ – Ohne sich zu schämen, sagte sie es zu ihrer Freundin. Bana hat einen Rat Kumbhanda, des Tochter war die ›Bildermalende‹, sie war Uschas Freundin und fragte sie: ›Von welchem Mann sprichst du?‹ Da wollte sie schamerfüllt nicht mit der Sprache heraus, aber die Freundin gewann ihr Vertrauen und erkundete alles von ihr, und Uscha sagte: ›Ganz wie es die Göttin sagte, ist es eingetroffen; hilf mir jetzt, wie du kannst.‹

Da malte die Bildermalende Götter, Dämonen und Himmelsgeister auf ein Stück Stoff und Menschen danach und zeigte sie ihr. Uscha aber überging Himmelsgeister und Schlangenwesen, Götter und Widergötter und heftete ihren Blick auf die Menschen und unter diesen auf die Yadus. Als sie Krischna und Rama sah, wurden ihre Augen weit vor Schämen, als sie Pradyumna erblickte, schaute sie verwirrt, aber als sie seinen Sohn Aniruddha sah, tat sie ihre Scham beiseite und rief: ›Der hier ist der meine!‹ Die Freundin sprach ihr Mut zu und begab sich mit Yogazaubermacht nach Dvaraka.

Bana aber fiel indes vor Schiva nieder und sprach: ›Gott, mein Tausend Arme ist mir leid ohne Schlacht. Wird einmal ein Kampf kommen, der meinen Armen Frucht zu bringen verleiht? Was fang' ich mit ihnen an, ohne Kampf sind sie mir eine Last.‹ – Schiva sprach: ›Wenn dein Pfauenbanner zerbricht, wirst du eine Schlacht bekommen, die den fleischfressenden Dämonen Lust sein wird!‹ – Da verneigte sich Bana froh, und heimkehrend sah er sein Banner vom Hause herabgebrochen, da erschauerte er vor Lust.

Zur selben Zeit brachte die ›Bildermalende‹ mit Wunderkraft ihres Yogawissens Aniruddha herbei. Wie er sich mit Uscha in den Mädchengemächern der Liebe freute, überraschten ihn die Wächter und zeigten es dem Dämonenkönige an. Aber Aniruddha erschlug die Trabanten, die der Gewaltige entsandte, mit einem eisernen Türriegel. Da kam Bana selbst, ihn zu töten, ward aber vom Helden aus dem Felde geschlagen, doch, durch Zaubersprüche neugestärkt, überwand er ihn und band ihn mit der Schlangenzauberwaffe.

In Dvaraka vermißten die Yadus Aniruddha; Narada verriet ihnen, wo er gefangen lag, da verschworen sie sich gegen Bana, und Hari bestieg mit Rama und Pradyumna den Garuda, der auf sein bloßes Gedenken herbeikam, und zog gegen Banas Stadt. Sie überwanden ein Heer von Quirlgeistern, die Schivas Gefolge sind, dann trat ihnen dreiköpfig, dreiäugig der Dämon Fieberbrand entgegen, der Schiva entstammt; die sehrende Glut, die von der Aschenschminke seines Leibes strahlte, als er Krischna zu Leibe ging, traf Rama, daß er die Augen schloß. Aber aus Krischnas Leib trat ihm der Vischnu-Fieberbrand entgegen und überwältigte ihn. Als der weltwaltende Brahma sah, wie er, vom Schlage Vischnus gequetscht, ins Straucheln kam, rief er: ›Verschon' ihn!‹ – Da sagte der Madhutöter: ›Er sei verschont!‹ und schmolz den Vischnu-Fieberbrand wieder in seinen Leib zurück. Und der Schiva-Fieberbrand sprach zu ihm: ›Die Menschen, die meines Kampfes mit dir gedenken, sollen des Fiebers ledig werden!‹ und ging von dannen. Dann besiegte der Erhabene die ›Fünf Feuer‹ und zermalmte das Heer der Dämonen zu Staub – es war ihm ein Spiel. Da traten Bana und Schiva selbst und sein Sohn, der Kriegsgott, gegen ihn zum Kampfe an.

Haris Kampf mit Schiva war furchtbar, alle Welten wankten, von ihren Waffen vielfältig verwundet. ›Der Untergang aller lebendigen Welt ist hereingebrochen‹, dachten die Götter, da verhängte Govinda mit der Zauberwaffe des Gähnens über Schiva den Gähnkrampf, da gingen Dämonen und Quirlgeister rings zugrund, indes Schiva in Gähnen gebannt in seinem Wagen niedersaß, unfähig mit Krischna zu kämpfen. Und vom Garuda am Arm verwundet, von Pradyumnas Geschoß getroffen, durch ein zornschnaubendes Brummen Krischnas seiner Kraft beraubt, zog der Kriegsgott davon. Da entbrannte der Kampf Banas mit Krischna Mann gegen Mann, sie zerspalteten einander die flammenden Rüstungen, Krischna zerschnitt die Pfeile, die Bana gegen ihn sandte, mit den seinen und indes Bana den ›Lockigen‹ verwundete, durchbohrte ihn Krischna. Als alle Waffen zerschlagen und verschossen waren, langte Hari nach seinem Wurfring, der leuchtete, als wäre in ihm die Glut von hundert Sonnen zusammengeflossen. Als er ihn entsandte, Bana zu vernichten, erstand vor ihm die magische Zauberwissenskraft der Dämonen: ein nacktes Weib. Er sah sie vor sich stehen und schloß die Augen, so entsandte er den Wurfring, daß er dem Feinde den Wald seiner Arme abschneide, und schnell hieb er die Arme Banas ringsum ab, geschwinder als ein Pfeil fliegt.

Schiwa erkannte, daß Krischna den Wurfring aufs neue entsenden wollte, um Bana den Garaus zu machen, da sprang er auf und sprach sänftigend zu ihm, als er Bana aus den Stümpfen seiner Arme, die wie Stöcke waren, Blutströme regnen sah: ›Krischna, Schirmherr der Welt! Ich erkenne dich als höchstes Urwesen ohne Beginn und Ende; dein Gebaren, das aussieht, als brächtest du den Dämonen Tod, ist dein göttliches Spiel, des Wesen ist, Leiber von Göttern, Tieren und Menschen anzunehmen. Darum übe Gnade: Ich schenkte Bana als eine Wahlgabe meinen Schutz; du darfst mein Wort nicht unwahr machen. In gläubiger Ergebenheit zu mir wuchs der Dämon zu seiner Größe und hat nicht gegen dich gefehlt – darum begütige ich dich.‹

Da heiterte Govinda sein Antlitz auf und sprach voll Erbarmen mit dem Widergott zu Schiva: ›Da du ihm diese Wahlgabe gewährtest, soll Bana leben, aus Ehrfurcht vor deinem Wort laß ich meinen Wurfring umkehren. Den Schutz, den du ihm schenktest, schenke ich ihm. Erschau' dein eigen Wesen: von meinem ist es nicht verschieden. Der du bist, der bin ich und diese ganze Welt samt Göttern, Widergöttern und Menschen – nur wer von Nichtwissen betört ist, sieht Unterschied.‹

Dann begab sich Krischna zu Aniruddhas Gefängnis; die Schlangen, die seine Fesseln waren, verdorrten vor dem Gluthauch des Sonnenvogels Garuda. Er hob Aniruddha mit seiner Gattin auf den Garuda und kehrte mit den Seinen heim nach Dvaraka.«

Abseits vom Weltgewirr mit Göttern und Dämonen, das Vischnu Mal um Mal vor dem Äußersten bewahrt, sitzt Schiva, der Asket, in sich versunken. Er ist den Dämonen näher als den Göttern: ihnen gab er das »Wissen, das Tote belebt«, und die Götter mußten sich zum Ausgleich den Trank »Todlos« quirlen; er trank das dämonische Weltgift. So ist er der Schutzpatron des Dämons Bana mit den tausend Armen. Der Wald seiner Arme ist Bana eine Last, da er nicht weiß, woran ihre Kraft wenden. In Bana verkörpert sich die Schwermut maßloser Leibeskraft, die in sich dumpf, keines geistigen Lichts und keiner Ziele fähig, unwillkürlich nach dem eigenen Untergang verlangt, weil er den Rausch verheißt, sich kämpfend endlich einmal maßlos auszuströmen. Bana begrüßt das unheilkündende Zeichen, daß sein Pfauenbanner gebrochen ist: es kann ja nur das nahe Ende seiner Herrlichkeit bedeuten, aber er wünscht sich nicht ruhigen Bestand in Grenzen, sondern grenzenlose Entladung von der Überfülle seiner Kräfte; so zieht er den Gegenspieler auf sich, der sie ihm einzig schenken kann. Wenn ihm sein Blut aus tausend Armstümpfen schießt, muß dieser Schmerz für ihn von einer Wollust sein, wie bei den Liebenden.

Banas Tochter erschaut im Traum das Liebesspiel Schivas und Parvatis: das höchste Weltgeheimnis im Licht des Schivaglaubens; es ist das Spiel des überweltlich Einen mit seiner Kraft oder »Schakti«, die als Maya Entfaltung der Welt, Bestand und Untergang wirkt: die selig zweieinige Umschlingung des überweltlich ruhenden Gottes und seiner die Scheinwelt wirkenden magischen Yogakraft, deren Abbild auf Erden die Gemeinschaft der Gatten sein soll. Daran entzündet sich der Wunsch des Mädchens nach einem Manne.

Schivas Kräfte stehen seinem Schützling bei: die Quirlgeister, die sein Gefolge sind, der Fieberbrand, dreiäugig und mit der Asche von Scheiterhaufen gesalbt, wie der Gott selbst, und sein Sohn, der Kriegsgott. Der Zauber des Gähnkrampfs senkt Schiva in hypnotische Starre, und Banas letzte Rettung bleibt, daß er seine Kraft, seine eigene Maya als nacktes Weib aus sich hervortreten läßt: der Held Krischna darf seine Waffe nicht gegen ein Weib richten und die Nackte nicht anblicken, da sendet er geschlossenen Auges den Wurfring, und die göttliche Waffe vollzieht ihr Werk. Aber Versöhnung ist das Ende: die beiden größten Götter, die Herren der Maya, können nicht aneinander irre werden und meinen, die Zweiheit und der Widerstreit ihrer Erscheinungen sei mehr als Mayaschein. So finden sie sich scheidend in der geheimen Einheit ihrer zwei Gestalten: der zwei Gesichter des Erhalters und Vernichters, die das Eine Wesen dem mayabefangenen Auge als gegensätzlich zeigt.

Das Groteske, die unfreiwillige Karikatur ist der leichte Schlagschatten, den das göttliche Wunder auf seinem Erdengange hinter sich wirft. Paundraka, der König von Benares, dünkt sich selbst das höchste Allwesen in menschlicher Verleibung, und sein Volk spricht zu ihm, von Nichterkennen betört: »Du bist Gott, auf die Erde herabgestiegen.« Da fertigt er sich verblendet alle göttlichen Zeichen und Waffen Vischnus und sendet einen Boten an Krischna: »Laß fahren deinen Wurfring und die anderen Zeichen! Mein sind sie und sollen nicht dein sein; tu sie ab, wenn du dein Leben retten willst, komm und neige dich gläubig vor mir.« Da lachte Krischna und sprach: »Mein angeborenes Zeichen, den Wurfring werde ich auf dich fahren lassen!« und verhieß ihm, zu kommen. Der König von Benares zog ihm mit seinem Heere vor die Stadt entgegen, Hari sah ihn von fern, wie er auf herrlichem Wagen stand, mit Wurfring, Muschelhorn und Keule in Händen, auch einen Lotos hielt er in der Hand. Sein Banner zeigte den Garuda. Hari sah, daß er sich die Lockenzeichnung »Glückskalb« auf die Brust gesetzt hatte – da lachte er aus Herzensgrund tief auf. Das Heer des Königs war bald vernichtet, da sprach Krischna zum verblendeten Paundraka, der seine eigenen Zeichen trug: »Dein Wort: ›Laß fahren deine Zeichen‹, erfülle ich dir jetzt! Hier laß ich meinen Wurfring fahren, hier entsende ich meine Keule, und meinem Garuda befehl' ich, er soll sich auf dein Banner setzen.« Da ward Paundraka vom Wurfring zerrissen, von der Keule zermalmt und sein Garudabanner vom Garuda zerbrochen. Krischna schnitt ihm mit Pfeilen das Haupt ab und warf es nach Benares hinein. Der Sohn des Toten wollte ihn rächen und gewann durch seinen Hauspriester Schivas Gunst; der gewährte ihm, daß sich auf seinem Opferplatze aus der Feuerstelle, die den Mächten der Vernichtung geweiht ist, ein dämonisches Zauberweib erhob, das Entsetzen verbreitend mit flammendem Antlitz und lohendem Haar Krischna nachzog, ihn zu morden. Aber Krischna verscheuchte es durch seinen flammenden Wurfring, es floh zurück nach Benares, aber die Waffe eilte ihr nach und verbrannte die heilige Stadt.

Zum Ende aller dämonischen Könige, von deren Last Krischna die Erde befreit, kommt der Untergang des indischen Kriegeradels in der brudermörderischen Schlacht der Bharatas, die nach achtzehntägigem Ringen mit dem Siege Arjunas und der Seinen über die feindlichen Vettern endet. Ein sinnbildliches Ende der zügellosen Herrlichkeit aller: ein großes Morden unter Blutsverwandten und die Entfesselung aller Dämonen der Rachsucht und des Siegeswillens um jeden Preis; nur durch immer erneuten Verrat an Heldenbrauch und ritterlichen Kampfregeln kommt Arjuna zum Siege, und Krischna heißt jede List gut. Vom Heer der Feinde, das unbesieglich schien mit seinen Helden und Scharen, entrinnen nur drei; sie rasten auf der Flucht unter einem Feigenbaum, da sieht der eine, indes die beiden anderen schlafen, über sich im Luftwurzelgezelt des Baums eine riesige Eule mit lautlos schnellem Morden fürchterlich unter ihren Feinden hausen: unter den Krähen, die dort oben zu Tausenden schlafend im Gezweig hocken. Er begreift das Zeichen: die großen Toten, die durch Hinterlist gefallen sind, durch ein nächtliches Blutbad im Lager der Sieger zu rächen. Die schauerliche Tat gelingt, nur Arjuna und seine Brüder entgehen dem Tode, da sie nicht im Lager sind; aber was nützt es ihnen, daß sie am Leben bleiben, ja daß sie überhaupt gesiegt haben, alle ihre Nachkommen liegen tot, wer wird die Herrschaft, die Frucht des bluttriefenden Sieges ernten? Einzig ein ungeborener Enkel im Mutterleib wird ihr Geschlecht in die heldenlose Zeit weiterpflanzen. Krischna hat dieses Ende angestiftet: als Arjuna angesichts des feindlichen Heeres vor der Schlacht verzagen wollte, in der er gegen das heilige Haupt des verehrten Großoheims und gegen den eigenen Lehrer in den Reihen der Verwandten drüben die Waffe erheben sollte, verkündete er ihm die »Lehre des Erhabenen« (Bhagavad-gita): Alle Gestalt und Person ist nur Gewand, das der Unvergängliche Gott, mit seiner Maya vielfältig sich teilend, anlegt und spielend wechselt, wenn es verschlissen ist. Er tötet nicht und wird nicht getötet, wenn Leiber und Menschen vergehen. Wie Gott sich der Maya der Welt fügt und sie am Laufen erhält: ziellos zweckfrei, ein vollkommenes Spiel, so gut es für den Helden, unbeteiligten Herzens die angeborene Pflicht zu erfüllen, kämpfend und sterbend seine Kriegerehre, seinen Heldenruhm zu wahren. So genügt er der Maya, indes er sie durchschaut.

So leitet Vischnu das letzte große Morden unter den Kriegerfürsten ein und führt es, als Wagenlenker an Arjunas Seite, mit seinen Einflüsterungen zu dem blutigen Ende, in dem das dritte Weltalter versinkt; aber Schiva, der Herr des kommenden letzten Kali-Alters, wirkt das große Aufräumen im nächtlichen Mord der Schlafenden: der Held, der es vollbringt, begreift, daß es ihm nur gelingen kann, wenn er sich selbst zuvor Schiva, dem Herrn aller Todeskräfte, als Opfer darbringt. Er stürzt sich, ihn anbetend, ins Feuer, da nimmt Schiva ihn gnädig an, schenkt ihm das Schwert für sein Mordwerk und geht selber in ihn ein, daß er sein Würgengelamt vollziehen kann. Bislang hat Schiva die sieghaften Helden unter Krischnas Huld beschützt, jetzt weiß er ihre Zeit gekommen: der Wandel der Zeit macht ein Ende mit ihnen, und ihr Mörder, der sich ihm weiht mit dem Preis des eigenen Lebens, ist ihm so lieb wie Krischna – leibhaftig schreitet er mit dem Würger durchs Lager der Schlafenden und wandelt es in eine Leichenstätte.

 

Vyasa sprach: »So richtete Krischna mit Rama zum Heile der Welt das Morden der Dämonen und der schlechten Könige aus. Und im Morden aller Heere befreite er, mit Arjuna, die Erde von ihrer Last. Dann raffte er sein eigenes entfaltetes Geschlecht in Untergang vernichtend zusammen – unter dem Schein eines Fluches, den Heilige darüber sprachen. Krischna ließ Dvaraka fahren, der Wesenhafte legte sein Menschtum ab und ging wieder zur angestammten Stätte ein, die Vischnu ist.«

Die Heiligen sprachen: »Wie raffte er sein eigen Geschlecht in Untergang vernichtend zusammen unter dem Scheine eines Fluchs, den Heilige darüber sprachen? Und wie verließ der ›Quäler der Menschen‹ den menschlichen Leib?«

Vyasa sprach: »Am großen heiligen Badeplatze Pindaraka sahen die Knaben des Yadugeschlechts die großen Heiligen Vischvamitra, Kanva und Narada. Da verkleideten sie, von Jugend trunken und angetrieben von künftig sich erfüllendem Geschick, einen von sich, Samba, als Frau. Sie fielen vor dem Heiligen nieder und sprachen: ›Diese Frau wünscht sich einen Sohn. Was wird sie gebären?‹

Die gelübdestrengen Heiligen voll göttlicher Erkenntnis, die das Verborgene durchdringt, sprachen, durch ihren Spott erzürnt, einen Fluch über die Knaben, der ihnen Verderben brachte. ›Eine Mörserkeule wird er gebären, die dem ganzen Geschlecht der Yadavas den Untergang bringen wird.‹

Die Knaben berichteten Ugrasena alles was sich zugetragen hatte, und aus Sambas Bauche ward eine Mörserkeule geboren. Ugrasena ließ sie zu Erzstaub zermahlen und den Staub ins Meer streuen, daraus ging ein Schilfgras ›Eraka‹ auf. Als aber die Keule zermahlen ward, konnten sie ein Stück davon, das die Form eines Spießes hatte, nicht zermahlen, das ward auch ins Meer geworfen, und ein Fisch schnappte es. Und als Netzfischer ihn zerlegten, nahm der Jäger ›Altern‹ es sich. Der Erhabene, der das verborgene wesenhafte Geschehen in alledem erkannte, wollte selbst nichts an dem ändern, was da vom Schicksal zusammengeballt ward.

Und von den Göttern gesandt kam ein Bote, fiel vor ihm nieder und sprach zu ihm im geheimen: ›Ich komme als Bote der Götter, Erhabener; sie sprechen zu dir: ›Die Erde von ihrer Last zu befreien, bist du, als wir deine Gnade fanden, auf über hundert Herbste zu ihr hinabgestiegen. Die Dämonen sind erschlagen, die Erde ist von ihrer Last befreit, die Götter mögen unter deinem Schutz zur Himmelsherrschaft aufsteigen. So ist mehr als ein Hundert Herbste vergangen, Schirmherr der Welt! Geh jetzt zum Himmel ein, wenn es dir gefällt. Zwar lassen die Götter solches den Gott wissen, aber wenn du Lust am Erdenleben hast, magst du so lange verweilen, wie die deinen von dir verlangen.‹

Schiva im Lingam

Der Herrlich-Erhabene sprach: ›Alles was du sagst, Bote, weiß auch ich bereits. Denn schon begonnen ist von mir auch der Untergang der Yadavas. Eine allzugroße Last trägt die Erde an ihnen, wenn sie nicht zu Boden geschmettert werden. Ehe sieben Nächte vergehen, werde ich die Erde von dieser Last befreien. Wie ich Dvaraka aus dem Meere hob, werde ich die Stadt wieder entrücken; die Yadavas raff ich in Untergang vernichtend zusammen und werde zur Stätte der Götter gehen. Menschlichen Leib tat ich von mir ab, und mit Rama vereint bin ich schon bei ihnen angelangt – so sollen die Götter von mir denken! – Die Last aller Könige, die erschlagen wurden, ging auf die Yadus über, darum will ich diese gewaltige Last der Erde abnehmen und aufsteigen, die Welt der Unsterblichen zu schirmen – das sage ihnen!‹

So sprach er zum Götterboten, der sich vor ihm verneigte und sich auf dem Himmelspfade zum Götterkönig begab.

Der Erhabene aber schaute bei Tag und bei Nacht drohende Vorzeichen am Himmel, auf Erden und in der Luftwelt, die den Untergang von Dvaraka verkündeten. Er sprach zu den Yadavas: ›Seht diese fürchterlichen Unheilzeichen – um sie zu versöhnen, wollen wir unverweilt nach dem heiligen Orte Prabhasa wallfahren.‹

Da fiel der große Gläubige des Krischnaglaubens, Uddhava, Hari zu Füßen und sprach zu ihm: ›Erhabener, was ich tun soll, laß mich wissen! Denn ich glaube, der Erhabene wird dieses ganze Geschlecht in Untergang zusammenraffen; ich sehe, daß die Zeichen dem Geschlecht Vernichtung bedeuten.‹

Der Herrlich-Erhabene sprach: ›Geh auf dem Himmelspfade, den meine Gnade dir entriegelt, zur heilig-reinen Einsiedelei der Gangaquelle, nach Badari am Berge ›Duftberauscher‹, zur Stätte meiner Urgestalt, die der Erde heilige Reinheit schenkt. Mein gedenkend wirst du dort dank meiner Gnade Vollendung erlangen. Ich werde in den Himmel gehen, wenn ich das Geschlecht vernichtend in Untergang zusammengerafft habe, und das Meer wird Dvaraka überfluten, wenn ich die Stadt verließ.‹ – Da fiel Uddhava vor ihm nieder und ging hinweg, wie er geheißen war.

Da bestiegen die Yadavas ihre schnellen Wagen und zogen mit Krischna nach Prabhasa. Dort feierten sie mit Eifer und Lust ein Rauschgelage, und Vasudevas Sohn hieß es gut. Wie sie da tranken, gerieten sie aneinander, das Feuer der Zwietracht flammte unter ihnen auf und brachte ihnen den Untergang. Mit Waffen, die Schicksalsgewalt schuf, schossen sie aufeinander und töteten sich, und als ihnen die Waffen ausgingen, langten sie nach dem Erakagras, das dort nahebei wuchs. Als sie die Halme ergriffen, schienen sie in ihren Händen zu Wurfkeilen zu werden, und unter erbarmungslosen Streichen erschlugen sie einander damit. Krischna wollte sie aufhalten, und die Yadavas hielten ihn auf, alle meinten, er wolle den anderen beispringen – so erschlugen sie einander. Da ergrimmte auch Krischna über sie und nahm eine Handvoll Erakagras: zu ihrem Tode ward diese Faustvoll eine Keule mit ehernem Griff. Mit ihr erschlug er mörderisch die Yadavas bis auf den letzten; so erschlugen auch andere sich gegenseitig, jählings gegeneinander angehend.

Dann ward, vor den Augen des Wagenlenkers Daruka, in Meeres Mitten der Wagen des wurfringtragenden Gottes geschwind entrückt samt seinen Rossen; Wurfring und Keule, der gehörnte Bogen und die beiden Köcher, Muschelhorn und Schwert, die göttlichen Waffen, umkreisten Krischna ehrfürchtig, Abschied von ihm nehmend, und gingen davon auf dem Pfade der Sonne. In einem Nu war da der Untergang der Yadavas geschehen, nur Krischna, der Großarmige, und Daruka, sein Wagenlenker, waren übrig.

Wie beide hin und wider schritten, sahen sie Rama; er saß an der Wurzel eines Baumes, eine große Schlange kroch ihm aus dem Munde. Mit Riesenwindungen kam das Schlangenwesen aus seinem Munde und wandte sich, von Verklärten und Schlangen gepriesen, dem Meere zu. Da kam das Meer dem Schlangenwesen entgegengeschritten, ein Gastgeschenk in Händen, und die Schlange ging in seine Flut ein, von herrlichen Schlangen ehrfürchtig begrüßt.

Als der Lockige Balas Heimgang gesehen hatte, sprach er zu Daruka: ›Dieses alles verkünde du Vasudeva und Ugrasena: Baladevas Heimgang und den Untergang der Yadavas. In Yoga verharrend werde auch ich diesen Leichnam von mir tun. Und allem Volke, das in Dvaraka wohnt, verkünde: ›Das Meer wird die Stadt überfluten, darum erwartet mit angeschirrten Wagen die Ankunft Arjunas. Bleibt nicht in Dvaraka, wenn Arjuna die Stadt verlassen hat, zieht mit ihm fort, wohin er geht.‹ Und geh und sag Arjuna mein Wort: ›Schirme mit deiner Kraft mein Volk und die Schar meiner Frauen.‹ Mit Arjuna vereint nimm das Volk von Dvaraka und zieh von dannen. Und Vajra wird König der Yadus sein.‹ So sprach Krischna zu ihm; Daruka fiel ihm immer wieder zu Füßen und umschritt ihn ehrfürchtig zum Abschied viele Male. Dann ging er hin und tat wie er geheißen war. Er richtete alles in Dvaraka aus, holte Arjuna herbei und machte Krischnas Urenkel Vajra zum König.

Und der erhabene Govinda erhob seine höchste Gottwesenheit in das Brahmanwesen und ließ sie fest in alle Geschöpfe eingehen. Das Brahmanenwort ehrend, das einst der Heilige Durvasas sprach, verharrte er in Yogahaltung angespannt, die Füße kreuzweis mit den Knien verschränkt. Da kam dorthin der Jäger mit Namen ›Altern‹, er trug den unvergleichlichen Wurfspieß aus dem Erze, das von dem Mörserstößel übriggeblieben war. Er sah einen Fuß Krischnas, der wie ein Gazellenleib aussah, da traf er ihn mit seinem Spieß. Und trat herzu und sah einen Mann mit vier Armen. Und fiel vor ihm nieder und sagte immer wieder: ›Sei mir gnädig! Ohne zu wissen tat ich das; ich dachte, es sei eine Gazelle. Verzeih' mir und verbrenne mich nicht mit dem flammenden Fluchstrahl deines Zornes – mich, den der Brand der eigenen Schuld verzehrt‹. Da sagte der Erhabene zu ihm: ›Du hast nichts zu fürchten; vielmehr folge mir nach, kraft meiner Gnade, zur Stätte himmlischer Herrschaft, Jäger!‹ Kaum hatte er sein Wort geendet, da senkte sich ein Götterwagen aus der Luft hernieder, der Jäger bestieg ihn und fuhr kraft seiner Gnade gen Himmel.

Als er von dannen war, vereinte der Erhabene sein Wesen mit dem höchsten Wesen, dem brahmahaften Unverweslichen, dem unausdenklichen Allgotthaften, das ohne Flecken, Geburt und Alter ist, unvergänglich, unermessen: mit dem Wesen des Alls. Und tat seinen menschlichen Leib von sich ab und ging zum Himmel ein.

Da suchte Arjuna die Leichen Krischnas und Ramas und vollzog an ihnen die Totenbräuche, wie sie bei anderen üblich sind. Von acht Hauptgemahlinnen wird erzählt, die sich seinem Leib gesellten und ins Feuer des Scheiterhaufens eingingen. Revati umschlang Ramas Leib – die vollkommenen Frauen! – und ging in die entfachte Glut, sie war ihr kühl in der Freude, mit ihm vereint zu sein. Auch Ugrasena, als er es vernahm, und Vasudeva, Devaki und Rohini bestiegen den Scheiterhaufen. Als sie die Totenbräuche nach der Ordnung geübt hatten, zog Arjuna mit allem Volk von dannen und nahm Vajra mit; da verließen die Frauen Krischnas Dvaraka zu Tausenden; die Halle Sudharma, die Krischna in die Welt der Sterblichen herabgeholt hatte, stieg wieder zum Himmel auf, so auch der Parijatawunderbaum. Am selben Tage, da Vischnu die Erde verließ und in den Himmel ging, stieg Kali, das letzte Weltalter, schwarzen Leibes zur Erde hernieder. Und der Ozean überflutete die leere Stadt Dvaraka; einzig den Palast der Yadus überflutete das Meer nicht. Auch heute übersteigt das Meer ihn noch nicht, denn immer ist dort der erhabene Lockige Gott zugegen. Wer diese heilige Stätte, die alle Todsünde zunichte macht, von Vischnus Spiel erfüllt schaut, wird alles Bösen ledig.

Im Fünfstromlande, reich an Korn und Schätzen, schuf Arjuna allem Volke Wohnung. Da erstand Gier unter den Dasyus – den nichtarischen Unterworfenen –, als sie sahen, wie er als einziger Bogenheld all die Frauen dahinführte, deren Gatte tot war. Gierverblendet kamen die Abhiras, ein wilder Hirtenstamm unreinen Wandels, zusammen und berieten sich, trunken von Übermut: ›Da führt der Bogenheld Arjuna ganz allein das Frauenvolk, dessen Herr tot ist, dahin und schreitet stolz über uns weg – verflucht! Wir wollen ihm Gewalt antun! Von Stolz geschwellt, weil er so viele Helden erschlug, achtet er die Kraft der Dörfler nicht. Andere Männer, die Stärksten, besonders aber Dörfler, alle, alle verachtet er – wieviel mehr euch!‹

Da stürmten diese Wilden mit Knütteln und Erdklumpen zu Tausenden gegen das Volk, dessen Herrscher tot war. Arjuna kehrte sich um und sprach zu den Abhiras – es war, als lache er: ›Kehrt um, die ihr um gottgesetzte Menschenordnung nicht wißt, wenn ihr nicht auf der Stelle sterben wollt!‹ Sie achteten nicht auf sein Wort und langten nach den Schätzen und dem Frauenvolk. Da wollte Arjuna an seinem göttlichen Bogen Gandiva die Sehne aufziehen – der starke Held vermochte es nicht. Mühsam gelang es ihm schließlich die Sehne aufzuziehen – da ward der Bogen wieder schlaff. Er entsann sich auch nicht der Pfeile, ob er gleich seinen Sinn auf sie richtete.

Er sandte seine Pfeile bis auf den letzten freudig gegen jene, aber sie rissen keine Wunden; das war das Ende der unvergänglichen Pfeile, die ihm der Feuergott geschenkt hatte – das war das Ende Arjunas, als er mit den Kuhhirten kämpfte. Da bedachte er sich, ›Krischnas Kraft war es allein, mit der ich unter Pfeilschauern die mächtigen Könige besiegte‹.

Da wurden die herrlichen Frauen von den Abhiras weggeschleppt, und manche gingen verlangend freiwillig zu ihnen – Arjuna konnte nur mit den Lidern dazu blinzeln. Als er mit seinen Pfeilen zu Ende war, hieb er mit der Bogenspitze auf die Wilden ein, aber die lachten über seine Streiche. Vor seinen Augen nahmen sie die herrlichen Frauen und zogen mit ihnen ab. Da sprach der ›Siegreiche‹ leiderfüllt: ›Jammer! Weh, der Erhabene hat mich verlassen!‹ und weinte.

Arjuna sprach: ›Mein Bogen hier und diese Pfeile, der Wagen hier und meine Pferde – alles ist auf einmal wertlos und dahin, wie eine Gabe, die man einem Brahmanen gibt, der nicht in das heilige Wissen eingeweiht ist. Ach und übergewaltig ist das Schicksal ohne Ihn, den Wesenhaften, daß ich der Ohnmacht verfallen von Niedrigen überwältigt hin. Hier sind meine beiden Arme und dies ist meine Faust, hier meine Kraft und hier bin ich: Arjuna – wie ohne Reinheit ist ohne Ihn alles kraftlos, wertlos. Daß ich Arjuna bin und mein Bruder Bhima der Held Bhima ist, darum ist es wahrlich geschehen, da ich ohne Ihn von Wilden besiegt worden bin. Wie könnte es anders sein?‹ So sprach der ›Siegreiche‹ und zog nach Haus und machte Vajra zum König.

Dann suchte er Vyasa auf, der im Walde wohnte. Wie er sich zu seinen Füßen verneigte, blickte der Heilige ihn eindringlich an und sagte: ›Warum bist du so völlig des Glanzes bar? Hast du mit einer Ziege Unzucht getrieben oder einen Brahmanen erschlagen? Bist du voll Leids, daß Hoffnung auf Sieg dir zerbrach, daß dein Glanz von dir wich? Oder hast du Brahmanen, die heiraten wollen nur um der Nachkommenschaft willen, und andere, die eine Gabe von dir heischten, abgewiesen statt ihnen zu geben, wessen sie bedurften? Oder bist du in Lust einer Frau verfallen, der du nicht nahen darfst, daß dein Glanz von dir wich? Hast du Brahmanen ein Mahl geboten und dabei auserlesene Speise für dich allein verzehrt? Oder hast du Bedürftigen ihre Habe weggenommen, Arjuna? Hat dich der Sonnenwind angeweht? Bist du vom bösen Blicke getroffen – wie wärest du sonst so glanzlos? Oder bist du von Wasser mit Nägelschnitzeln darin berührt worden oder von Wasser aus irdener Wasseruhr und hast davon allen Schimmer eingebüßt? Oder bist du von Niedrigen im Kampfe besiegt worden?‹ – Da seufzte Arjuna: ›Vernimm, Erhabener!‹ und berichtete seine Niederlage.

Arjuna sprach: ›Was unsere Stärke war und unser Glanz, was unsere Heldenkraft und unser Mut und was der Schimmer unserer Herrlichkeit war: Er, Vischnu, hat uns verlassen und ging von uns. Wie von einem anderen großen Ich, das lächelnd zu uns sprach, sind wir von ihm verlassen worden, Heiliger – das macht uns schwach wie Gras. Die leibhaftige Kraft meiner Waffen und Pfeile und des Bogens Gandiva: Er, das höchste Mannwesen, ging von hinnen. Solange sein Blick auf uns ruhte, wichen Glanz und Sieg, Glück und Aufstieg nicht von uns; er, Govinda, verließ uns, der Erhabene ging von hinnen. Durch seine Gewalt sind alle unsere Feinde in der großen Schlacht wie von Feuer verzehrt worden; er, Krischna, hat die Erde verlassen. Der Jugend bar, des Glanzes beraubt, als sei ihr Strahlenschimmer abgestreift, dünkt mich die Erde, Vater – nicht bin ich allein in diesem Verlassensein von ihm, der die Wurfscheibe trägt. Dank seiner Macht kamen unsere Feinde durch mich um wie Heuschrecken im Feuer – ohne Krischna ward ich jetzt von Hirten besiegt. Dank seiner Macht ward mein Bogen in allen drei Welten berühmt, aber ohne ihn ward er von den Abhiras mit ihren Knütteln beiseite geschlagen. Viele Tausende herrenlose Frauen sind, trotzdem ich kämpfte, von den Wilden entführt worden, die Knüttel als Waffen hatten. Daß ich glanzlos bin, dünkt mich nicht seltsam – daß ich lebe, ist ein Wunder. Schmutz der Verachtung Niedriger klebt an mir, schamlos bin ich, o Ältervater!‹

Vyasa sprach: ›Als ich solche Rede von ihm vernahm, sprach ich zum leidvollen und niedergeschlagenen Arjuna: ›Hör auf, dich zu schämen und betrübe dich nicht. Begreife: Solches ist der Gang der Zeit bei allen Werdewesen. Die Zeit bringt Werden der Werdewesen und ihr Entwerden. Wisse, alles dies hier hat seine Wurzel in der Zeit, daher mach' dich fest in deinem Wesen, Arjuna! Ströme, Meere und Berge und die schätzetragende Erde, Götter, Menschen und Tiere, Bäume und kriechende Schlangen sind aus der Zeit hervorgebracht, durch die Zeit gehen sie wieder zugrunde. Erkenne: Zeit ist der Wesenskern von allem hier, und erlange Frieden! Wie du vom Geheimnis der Wundergröße Krischnas sagtest, so ist es darum bestellt – um die Erde von ihrer Last zu befreien, stieg er zu ihr hernieder, er richtete aus, was ihm zu tun oblag: die anderen Könige wurden erschlagen und sein eigenes Geschlecht vernichtend zusammengerafft. Nichts weiter blieb dem Unvergänglichen auf Erden zu tun, da ging er von dannen, wie es ihm gefiel.

Hervorbringen übt der Gott der Götter in der Hervorbringung der Welt, Bestand in ihrem Bestehen, am Ende ist er der Meister von Glut, Leid und Tod, in deren Flammen alles vergeht – wie er eben jetzt sie geübt hat. Darum quäle dich nicht, daß du überwältigt warst; in Zeiten aufsteigenden Werdens geschehen Heldentaten der Männer, so erschlugst du ganz allein so viele Helden in der Schlacht. Dein Sieg über sie entwuchs der Zeit, darum ist er nicht geringer. Wie du sie dank Vischnus Kraft überwandest, entspringt auch deine schließliche Niederlage durch die Wilden aus seiner Kraft. Der Gott geht in andere Leiber ein und schafft Bestand der Welt, und am Ende schafft der Herr der Welt Vernichtung aller Werdewesen. Im aufsteigenden Werden war der ›Quäler der Menschen‹ dir Gefährte, am Ende der Werdensbewegung schaut der Lockige gnädig auf deine Widersacher. Wer möchte es glauben, daß du alle deine Feinde erschlagen hast – und wer möchte es glauben, daß du von den Abhiras überwältigt worden bist! Das ist das spielende Gebaren Vischnus in allen Werdewesen, daß jene vor dir in Nichts zerstoben und du von Wilden besiegt worden bist. Und daß die Frauen, die du beschütztest, von den Wilden geraubt wurden, auch das will ich dir erklären, wieso das geschah.

Vorzeiten lebte der Heilige Aschtavakra, der ›achtfach Krumme‹; er war durch einen Fluch seines Vaters im Mutterleibe verwünscht, achtfach krumm zu bleiben, wie er im Mutterleib zusammengekrümmt gelegen hatte. Ihm war es das Höchste, asketisch im Wasser zu weilen; dort pries er das ewige Brahman viele Jahre lang. Als die Widergötter besiegt waren, fand auf dem Weltberg ein großes Fest statt, und Götterfrauen, die sich dorthin begaben, sahen den Heiligen auf ihrem Wege und priesen ihn. Sie neigten sich vor ihm, der, von der Last geflochtenen Haares gekrönt, bis an den Hals unter Wasser war. Sie priesen und priesen den hohen Brahmanen, daß er ihnen gnädig und immer gnädiger war und schließlich sagte: ›Ich bin euch gnädig, ihr Gesegneten, wünscht euch alles von mir, wonach euch verlangt, ich werde es euch schenken, auch wenn es schwer zu erlangen ist.‹

Die Himmelsfrauen sprachen: ›Wenn du uns gnädig bist, was hätten wir dann nicht erlangt?‹ – Andere aber sagten: ›Wenn du uns gnädig bist, dann wünschen wir uns, Vischnu zum Gatten zu bekommen!‹ – ›So wird es geschehen‹, sprach der Heilige und entstieg dem Wasser. Da sahen die Frauen, daß er mißgestalt war, achtfach verkrümmt, sie kämpften mit dem Lachen, und manche brach in Gelächter aus. Die verfluchte der Brahmane zornübermannt: ›Weil ihr mich mißgestalten Leibes findet und mit Lachen höhnt, verfluche ich euch: dank meiner Gnade habt ihr Vischnu zum Gatten erlangt – mit meinem Fluch geschlagen werdet ihr alle in die Hände von Wilden fallen.‹ Als sie den Heiligen so sprechen hörten, besänftigten sie ihn, und wieder sprach er: ›Und danach sollt ihr in die Welt des Götterkönigs heimkehren!‹ – So kamen die herrlichen Frauen, nachdem sie den Lockigen Gott zum Gatten erlangt hatten, durch den Fluch des Heiligen Aschtavakra in die Hände der Wilden.

Darum betrübe dich darüber kein bißchen, Arjuna; all das hat der Schimmer des Alls zum Untergange vernichtend in sich eingerafft. Von ihm, der euren Untergang bereitet, ist Kraft und Strahlenglanz an euch, Heldentum und Wunderwesensgröße vernichtend in ihn eingerafft.

Allem Geborenen ist der Tod bestimmt und Fall der Erhebung, der Trennung Ende aber ist Vereinigung, und aus Fülle wird Versiegen – mit solcher Erkenntnis verfallen Weise nicht in Kummer, nicht in Jubel; von ihnen lernen andere ihr Gebaren und sind ihresgleichen. Darum, du herrlicher Mann, laß, wenn du das erkannt hast, mit deinen Brüdern die Königsmacht fahren und geh in die Waldeinsamkeit, Glut in Askese zu sammeln. Geh und verkünde deinem älteren Bruder, dem ›König göttlichen Rechtes‹, mein Wort: mach' dich übermorgen mit deinen Brüdern auf den Weg, du Held!‹

Als Arjuna solches vernommen hatte, ging er hin zum Könige göttlichen Rechtes, sagte es ihm und erzählte ihm alles, was er gesehen und erlebt hatte. Und alle seine Brüder hörten Vyasas Wort, das Arjuna ihnen kündete, setzten Arjunas Enkel Parikschit zum Könige ein und gingen in die Waldeinsamkeit.

So hab' ich euch, ihr hohen Heiligen, in Breite erzählt, was Vischnu tat, als er im Yadugeschlechte geboren ward.«

 

Es ist die Gebärde des göttlichen Menschen, die Herrlichkeit, die er heraufgeführt hat, selbst aufzulösen und zu enden. Er spricht kein »Verweile doch, du bist so schön!« zur Gipfelung der eigenen Bahn, alle Erfüllung ist ein Schon-Vorüber, nur der Krampf der Mayabefangenen kann wähnen, dem hohen Augenblicke ihres Ich und seiner Welt Dauer leihen zu können. Die Götter, die sein Niedersteigen in die Welt erflehten, senden ihm den Boten, sein Werk sei vollbracht, aber er antwortet ihm: »Alles was du sagst, weiß ich schon selbst.« Er weiß um das schon angesponnene Verhängnis und wehrt ihm nicht, er segnet insgeheim den Untergang und hilft ihn mit eigener Hand vollenden. Indiens gotthaft idealer Mensch ist ganz dem kreisenden Laufe des Weltleibs hingegeben, wie das ungeborene Kind dem mütterlichen Kreislauf; er staut ihn nicht, um dem eigenen Vergehen Halt zu gebieten, sich Dauer anzukrampfen, vielmehr er löst den dämonischen Krampf, der das Fließende stockt, und geht im Fließenden dahin. Er gibt sich dem eigenen Untergange vertrauend hin, wie einer sich bewußt in den Schlaf gibt, der ihm Ich und Welt in den Wassern traumloser Tiefe zerlöst.

Krischna, der Gottmensch, ist die Gestalt des Mythos, die den indischen Menschen sinnbildlich über sich selbst erleuchtet. Er wandelt als Mensch durch die Welt und birgt in seiner Brust das Geheimnis seines überweltlichen Wesens. In Wundertaten blitzt es aus ihm auf, aber er sorgt, daß es die Welt nicht zerreiße, die er zu erhalten kam. Er weiß sich in der bodenlosen Tiefe der Weltwasser geborgen, die sein überweltlicher Leib sind, indes er die Lotosblüte, die auf ihnen schwimmt, die Welt, durchzieht und aus dem Krämpfe löst, der ihren Leib mit verfrühtem Untergange bedroht. Er stellt das Doppelwesen der Kreatur dar: ein selbstbefangenes Ich, in Raum und Zeit gebunden, über einem alterslosen wissenden Grunde. Überweltlich und innerweltlich zugleich ist er das Mütterliche der nährenden Wasser, der weltumfangende Leib des Gottes in seinem jenseitigen Ruhen und Träumen als »der All«, und ist zugleich ein Kern der Frucht, die sich im Mütterlichen nährt, ein Geschöpf der Lotosblüte, die an der Nabelschnur ihres Stengels blüht. Aus dieser innigen Verbindung des Mütterlichen mit der Frucht, aus dem Wissen um die Einheit beider in ihrem Kreislauf, quillt seine furchtlose Gelassenheit: die Ruhe des indischen Menschen inmitten des furchtbaren Umschwunges allen Lebens, die Weisheit, nicht sich selbst zu wollen in Allmacht und Verewigung des Ich, aber, vom Spiel des Ganzen getragen und es tragend, aufzusteigen und unterzugehen.

Auch den Helden des Abendlandes, Achill, mahnt eine Götterstimme an das nahe Ende seiner Bahn. Als Achill seinem Zorn entsagt hat und den Streitwagen wieder in die Schlacht lenkt, die ihm den selbstgewählten frühen Tod bringen muß, sprechen seine Götterrosse zu ihm vom unausweichlichen nahen Ende. Aber der Held erwidert »in großem Zorn«: »Xanthos, was weissagst du mir den Tod? – das brauchst du nicht. Wohl weiß ich es selbst, daß es mein Schicksal ist, hier umzukommen, fern vom lieben Vater und der Mutter ... dennoch werd' ich nicht ablassen, ehe ich die Troer mit Kampf in den Hades gesandt habe.« Der Sohn der Thetis ist ein halber Göttersohn, aber die Unsterblichkeit der göttlichen Mutter ward ihm versagt, weil der sterbliche Peleus statt des Göttervaters selbst sie zur Gattin nahm; da erkauft er sich um den selbstgewählten frühen Tod statt langen Lebens den »Ruhm, der nie erlischt« – die Unsterblichkeit unter den Menschen, da ihm das Schicksal den Platz an der Tafel der Götter verweigert. Eben um das Fortleben der Person, wenn nicht im Götterhimmel, so am Sternenzelt des Ruhms, um das Fortleben im »großen Namen«, diesem Schatten des Ich im Reiche des Schalls, kreist Achills übermenschliche Seele. – Ironie: Thersites ist so unsterblich wie er. – Daß Achill dem unauslöschlichen Ruhme die natürliche Lebensfülle opfert, seine Dauer mit der ihren erkauft, macht ihn in seiner heroischen Selbstbesessenheit zum Sinnbild europäischen Heldentums. Er haßt den Tod, wie alle Griechen des tragischen Zeitalters, aber er will ihn – das ist die großartige Spannung seiner Seele. Dagegen lebt Krischna weltordnend und weltliebend aus gelassener Ironie zu Person und Menschenwelt, und grenzenlos gleichgültig zu dem, was diese beiden über den Tod hinaus miteinander verbindet: zum »Ruhm, der nicht erlischt«.

Die Stimme indischer Gelassenheit ist die Ausnahme im Westen. Brünhild in der »Götterdämmerung« durchdringt sich zwar mit ihrer Weisheit,

»Alles, Alles,
Alles weiß ich ...«

– aber sie steht an Siegfrieds Bahre und sieht die Herrlichkeit der Götter in Flammen vergehen, Weltuntergangsstimmung erhebt die Stimme in ihr, Brünhild spricht nur aus, was rings um sie als Weltstunde schon geschieht – weil es überwältigend allsichtbar ward, erfaßt es ihr Gemüt, aber dem Inder der Mythen wird es in allem Sichtbaren zu jeder Stunde unsichtbar allgegenwärtig. Aus Brünhild bricht es als tragischer Sang, aber das Allgegenwärtige sollte leidlos erklingen – etwa wie in Georges seltener Erhebung über sich selbst und den kreisenden Gang der Zeit:

»Ich sah die nun jahrtausendalten Augen
der Könige aus Stein, von unsren Träumen,
von unsren Tränen schwer ... sie wie wir wußten:
mit Wüsten wechseln Gärten, Frost mit Glut,
Nacht kommt für Helle – Buße für das Glück.
Und schlingt das Dunkel uns und unsre Trauer:
Eins, das von je war (keiner kennt es), währet,
Und Blum' und Jugend lacht und Sang erklingt.«

Die Verleibungen Vischnus in Tier- und Menschengestalten, die »Herabstiege« (Avataras) des überweltlichen Allgotts ins Weltinnere, durchwalten die Weltalter bis ins dritte: mit Krischnas Ende bricht das letzte an, die Kalizeit steigt schwarzen Leibes zur Erde hernieder: abgleitend sinkt die Welt in ihren späten Nachmittag, der dunkle Schatten Schivas fällt wachsend über ihr Gesicht. Seinen Mythos wiederum überwächst die Gestalt der Großen Göttin, seiner Gattin. In ihr wirft das Göttlich-Mütterliche, dem Indien sich verbunden und verfallen fühlt, die Maske des Männlichen ab, die es vom vedischen »Herrn der Ausgeburten« her an sich trägt bis zum Vischnu, der, riesig in den eignen Fluten träumend, mütterlich die Welt in seinem Leibe trägt und ihren Lotos aus dem Nabel treibt.


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