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5. Der Löwenmann

Vorzeiten, im ersten vollkommenen Weltalter, lebte der Dämon Hiranyakaschipu oder »Goldgewand«, er war der Herrscher der Dämonen und ihr uranfänglicher Ahn. Er sammelte große Glutgewalt in asketischer Selbstqual: zehnmal tausend Herbste und zehnmal hundert Herbste stand er im Wasser und hielt sein Gelübde mit Baden und Schweigen. Da fand Brahma Gefallen an seiner Ruhe und Selbstbezwingung, an seinem Wandel in entsagender Keuschheit, an der Glut seiner Askese und an der Bändigung seines Wesens.

Der erhabene Brahma selbst nahte sich ihm auf einem sonnenstrahlenden Luftgefährt, von Schwänen gezogen, und Götter und Wesen aller Arten geleiteten ihn. Er, der Ältervater von allem, was frei sich regt und was reglos ruht, der höchste der Brahman-Wisser, sprach, herrlich von allen Himmelsbewohnern umringt, zu dem Dämon: »Du Gelübdestrenger, ich finde Gefallen an der Glut deiner Askese. Wähle dir eine Gabe, du Hingebungsvoller, die dir lieb ist – erlange dein Verlangen, wie du es begehrst!«

Vischnu als Löwenmann

Da sagte Goldgewand: »Nicht Götter noch Widergötter oder selige Chöre, nicht Menschen noch Unholde, die das bluttriefende Fleisch ihrer Opfer fressen, sollen mich erschlagen, du höchster der Götter! Noch sollen mich Seher mit ihren Flüchen verwünschen können, Urältervater! – Wenn du, Erhabener, an mir Gefallen hast, wähle ich diese Gabe. Und nicht durch Waffe, die fliegt, noch durch Waffe, die schneidet, nicht durch Berg oder Baum, nicht durch Trockenes noch Feuchtes, nicht bei Tage noch bei Nacht soll ich sterben. Ich will Sonne sein und Mond, Wind und Feuer, Wasser und Luftraum, die Sternbilder und die zehn Richtungen des Raums. Ich will der Zorn sein und der Liebesgott und die drei Könige unter den Göttern: Varuna, Indra und Yama, und dazu Kubera, der Schätze schenkende Gott, der Herr über Kobolde und Halbmenschen!«

Brahma sprach: »Lieber, diese himmlischen Gaben sind dir von mir gewährt, diese wunderbaren. Alle deine Wünsche wirst du immer erfüllt finden, Kind, das ist gewiß.« So sprach der Erhabene und entschritt zur Brahmanstätte voll rings allhinstrahlender Kraft, wo die Seher des Brahman in Scharen ihm aufwarten.

Da traten Götter und Schlangen, selige Himmelschöre und Heilige vor den Ältervater hin, und die Götter sprachen: »Der Widergott wird uns erschlagen, dank der Gabe, die du ihm nach Wahl gewährt hast; darum sei uns gnädig, Erhabener: alsbald sei auch sein Tod erwogen!« – Der göttliche Herr der Geschöpfe vernahm ihre Rede, die aller Welt wohlgesinnt war; da brachte er mit den herrlich-kühlen Wassern seiner Worte die Götter zu befreiendem Aufatmen: »Unweigerlich, ihr dreimal zehn Götter, muß jener die Frucht seiner asketischen Glut ernten und verzehren, aber wenn es mit dieser Glut zu Ende ist, wenn er ihre Frucht aufgezehrt hat, wird der erhabene Vischnu ihn erschlagen.« – Die Götter vernahmen das Wort des Lotosentsprossenen und gingen von Freude erfüllt auseinander, an ihre himmlischen Stätten.

Aber der Dämon Goldgewand hatte kaum die Gabe seiner Wahl erhalten – da hub er an, alle Geschöpfe zu plagen. Die wahlverliehene Gabe machte ihn übermütig: in den Einsiedeleien kränkte er die heiligen Asketen voll gepriesener Gelübde, denen Wahrhaftigkeit und fromme Pflichterfüllung das Höchste war und die sich selbst bezwungen hatten, er besiegte die Götter in allen drei Welten völlig und brachte die Dreiwelt in seine Gewalt, er herrschte in der seligen Himmelswelt.

Vom Rausch seiner Wahlgabe überrieselt und angestachelt von der Ordnung der Zeit erklärte er die Dämonen für opferwürdig und nahm den Göttern die Opfer der Menschen weg. Da machten sich alle Götterscharen samt Kobolden, Verklärten, Brahmanen und großen Sehern zu Vischnu auf, um Rettung bei ihm zu suchen, und sprachen zu ihm: »Urwesen du, Hochherrlicher, die Götter suchen Rettung bei dir. Beschirme uns, erschlage den Dämonenfürsten Goldgewand, denn du bist uns höchster Schöpfer, höchster Älterer, du höchster Gott über Brahma und allen anderen!«

Vischnu sprach: »Laßt fahren eure Furcht, Unsterbliche, ich schenke euch Furchtlosigkeit. Wahrlich, es währt nicht lange, und ihr erlangt alle drei Welten wieder. Ich selbst erschlage den Dämon samt seiner Schar, der durch die Verleihung der Wahlgabe übermütig geworden ist. Den Fürsten der Dämonen, den die Fürsten der Unsterblichen nicht erschlagen können – ich erschlage ihn.«

So sprach der Erhabene und entließ die Götter, und der Herr sann auf Goldgewands Tod. Alsbald nahm sich der Großarmige die heilige Silbe OM, in der alles Weltgeheimnis beschlossen ist, zum Gefährten und schritt von ihr begleitet zur Stätte Goldgewands, an blendendem Glanze der Sonne gleich und an Liebreiz ein zweiter Mond. Halb schuf er sich den Leib eines Mannes und halb den Leib eines Löwen und legte, im Leib des Löwenmannes, die Hände zusammen. Da erblickte er den weiten göttlichen Palast Goldgewands: schimmernd barg er in sich Erfüllung aller Wünsche.

Hundert Meilen breit und anderthalb Meilen lang schwebte er frei im Luftraum und bewegte sich dahin, wie Verlangen ihm befahl. Alter, Schmerz und Ermattung blieben ihm fern; der Glückhafte schwankte nicht. Häuser und Bauten trug der Schöne und flammte förmlich vor Glanz. Vischvakarman, der aller Werke kundige Gott, hatte ihn geschaffen, mit Wasserbecken innen, mit Bäumen aus himmlischen Juwelen, die Früchte und Blüten schenkten, mit Baldachinen von Blüten in allen Farben und mit Gebüschen voller Blütenbüschel. Wie eine Schar weißer Wolken anzuschauen, war es, als schwämme er leuchtend einher, mit himmlischem Wohlgeruch die Sinne erfreuend. Voll angenehmer Dinge, und frei von Pein, war er nicht kalt und auch nicht glutstrahlend; wer zu ihm kam, empfand nicht Hunger noch Durst oder Mattigkeit. Mannigfaltig gestaltete, bunte hellstrahlende Säulen zierten ihn, aber sie trugen ihn nicht; er war wie für die Ewigkeit gebaut und trank alle Augen in sich. Aus sich selber leuchtend strahlte er auf dem Rücken des Himmels und überstrahlte Sonne, Mond und Feuersflammen – es war, als mache er die Sonne scheinen. Himmlische und irdische Freuden waren da allzumal im Überfluß, Speise und Mahl voll Wohlgeschmack und Fülle ohne Ende, Blumengewinde voll reinen Duftes, Bäume mit immerwährenden Blüten und Früchten, kühle Wasser im Warmen und warme Wasser im Kühlen, breitästige Bäume mit blühenden Zweigspitzen und frischen Blättern und Schoßen, überdeckt mit Baldachinen von Schlingpflanzen an Strömen und Teichen.

In diesem Palaste saß der Dämonenkönig Goldgewand, Tausende von Frauen in schimmerndem Gewand und Schmuck umgaben ihn, seine Ohrringe leuchteten mit Strahlenflammen unschätzbarer Juwelen und Diamanten, er saß auf einem schimmernden Götterthron, der mit himmlischen Stoffen bedeckt, viertausend Ellen maß und wie die Sonne glänzte. Da wehte ein lind-linder Wind und führte himmlische Düfte mit sich. Dämonensöhne zu Hunderten und Tausenden warteten ihm auf, dessen Tat ohne Beispiel war; die Redefrohen, die immerdar in frommer Pflichterfüllung wanderten, trugen Blumenketten; alle waren Helden, alle Wünsche erfüllten sich ihnen, alle waren todentrückt und alle verehrten Goldgewand, den Herrn voll großen Wesens, in ihren vielgestaltigen Palästen, die wie Feuer strahlten. Sie hatten Leiber wie der große Indra, Bergen vergleichbar und strahlend wie die Sonne, denn nie ward solche Herrscherkraft gesehen noch erhört, wie Goldgewand sie besaß.

Der Löwe sah den Dämon in seinem Palaste: da schimmerten die Bänke von Gold und Silber, da glänzten die Terrassen von erlesenen Juwelen, da strahlten die Fenster, künstlich aus edlen Steinen gefertigt, er sah den Dämon, dessen Leib mit Gold und makellosen Perlen geschmückt war und wie die Sonne in großem Glanze funkelte, und Hunderttausende von Dämonen warteten ihm auf.

Goldgewand hatte einen heldenhaften Sohn, der hieß Prahlada, das ist »Jubel«, der ersah das große Wesen, das im Leibe des Mannes und des Löwen verborgen war, wie Glut sich unter Asche birgt, und genaht war wie das zermalmende Rad der Zeit – mit göttlich-übersinnlichem Auge sah er im Löwen den Gott genaht. Auch Goldgewand und die übrigen Dämonen erblickten den Löwenmann, der wie ein Berg von Gold strahlte, sie sahen diese Gestalt, dergleichen sie nie zuvor gesehen hatten, und alle verwunderten sich.

Jubel aber sprach: »Großarmiger großer König, du Ursprung der Dämonen! Nie hörten wir je von solch einem Leib aus Mann und Löwen, noch sahen wir je dergleichen. Was naht sich diese göttliche Gestalt, dem Schoße des Unentfalteten entsprungen? Diese schreckliche Gestalt wird den Dämonen den Untergang bringen – so sagt mir mein Gemüt. In ihrem Leibe sind alle Götter, Weltmeere und Ströme, der Himalaya und alle Berggeschlechter, in diesem Leibe sind Mond, Sonne und Sterne, sind die Schatzgötter und ihr Herr, die drei Götterkönige Varuna, Indra und Yama, Windgötter, Himmelsgeister und Seher voll Glut der Askese, Schlangen, Kobolde, menschenfressende Wichte und Unholde voll schrecklichen Mutes, Brahma und Schiva, der ›Herr der Tiere‹, schwirren an seiner Stirn. Im Leibe dieses Löwenmannes kann ich alles erblicken, was am Boden verwurzelt ruht und frei sich regt – auch dich und mich und alle Dämonenscharen rings um uns, deinen Palast mit Hunderten ragender Häuser besetzt – alle drei Welten, o König, und die ewigen Ordnungen der Welten kann ich in diesem Leibe sehen, und so alle Welt. Da ist der weltschöpfende ›Herr der Ausgeburten‹, und da ist Manu, der erste Mensch, da sind die Wandelsterne und ihre Begegnungen, die Gewächse der Erde sind da und Schreckenszeit, von Vorzeichen verkündet. Da sind Festigkeit und Urteil, Lust und Wahrhaftigkeit, Glutgewalt und Bändigung, alle Götter und Seher zumal, Zorn und Verlangen, Freude und fromme Pflichterfüllung und Verblendung, und alle Ahnen sind in diesem Leibe.«

Als Goldgewand die Worte Jubels vernommen hatte, sprach er zu seinen Scharen: »Fangt mir diesen König der wilden Tiere, der Gestalt hat wie nie einer zuvor, und fesselt das Tier der Wildnis, wenn euch seinetwegen Zweifel und Bangen beschleichen!« – Froh warfen sich alle Dämonenscharen von allen Seiten auf den Löwen und schreckten ihn mit Macht, aber der gewaltige Löwenmann war unerschrockenen Mutes, er stieß sein Löwengebrüll aus und riß den Rachen weit auf – der war wie der Rachen des Todes –, und mit einem einzigen Prankenschlage zerbrach er den himmlischen Palast.

Als der Palast zerbrochen lag, rollte Goldgewand die Augen wild vor Zorn und schleuderte selbst Waffen gegen den Löwen. Alle ehrwürdigen Götterwaffen, die in Erfüllung seines Wunsches ihm zugefallen waren, entsandte er gegen ihn: den schrecklichen Wurf ring Schivas »Todbringende Zeit« und Vischnus erhabenen Wurfring Sudarschana, danach den großen fürchterlichen urväterlichen Untergangsbrand aller drei Welten und einen buntflammenden Blitz, einen dürren und einen nassen Blitzstrahl einander gepaart, und Rudras schrecklichen Spieß, er schleuderte Gerippe und Mörserkeule, sandte Verblendung und Verdorren und jammergeheulweckendes Geschoß voll sehrender Glut. Alle Waffen, in denen die Kräfte aller Götter wirksam sind, wirbelten wahllos in schneller Folge von seinen Händen: des Windes Wirbelquirl und des Kriegsgottes unwiderstehlicher Speer, die Waffe »Brahmas Haupt« und »Kühle«, die Waffe des Monds. Er sandte Zittern und Verwittern und die furchtbare Waffe des Weltzimmermanns, das Beil. Er schleuderte den unerschütterlichen Hammer des Gottes »Zeit«, die starke Waffe »Glut«, sandte einraffenden Untergang, Rausch der Betörung und das höchste Geschoß, das Maya wirkt. Er sandte »Lieb«, das Geschoß der seligen Himmelsgeister, und »Freude«, das Juwel unter den Schwertern, sandte Einschläferung und Verquirlung des Geistes und des Meergottes Waffe, die Schlinge.

Alle Götterwaffen warf Goldgewand gegen den Löwenmann, aber sie verzischten an ihm wie Spenden flüssiger Butter, die man ins flammende Opferfeuer gießt. Umsonst umhüllte er den Löwen mit flammenden Wurfgeschossen, wie die Sonne zur Zeit der Sommerhitze den Himalaya mit ihren Strahlen umhüllt. Da stand aus dem Feuer seines erbarmungslosen Zorns ein Heer von Dämonen auf, gewaltig wie ein Meer, und überflutete den Löwen in einem Augenblick wie das Weltmeer das Mainakagebirge – mit Lanzen, Wurfschlingen und riesigen brennenden Bäumen, mit Hämmern und Spießen, Feld- und Mahlsteinen und eisengestachelten glühenden Steinen, die »Hundert-Tod« heißen. Wurfschlingen in Händen stürmten die Dämonen wuchtig wie Indras Blitzkeil heran, reckten rings Arme und Leiber und hielten Schlangen als Wurfschlingen wie der dreiköpfige Schiva. Sie waren mit goldenen Kränzen geschmückt, seidene Gewänder hoben die Rundungen ihrer Leiber ab, ihre Achseln schimmerten mit Reihen von Perlenschnüren wie Schwäne mit breiten Schwingen. Wuchtig wie der Sturmwind kamen sie daher, und ihre Häupter strahlten wie Sonnen im Aufgang.

Der Löwe aber, eng von ihnen umringt und überschüttet von ihren Waffen, stand wie ein Berg, dessen Schluchten tief innen von unablässig regnenden Wolken und Wäldern in Dunkel gehüllt sind. Wohl trafen die Dämonenscharen vereint auf ihn in großer Kraft mit ihren Wurfgeschossen und umfingen ihn darin wie in Netzen, aber der Erhabene wankte so wenig im Kampfe wie der Himalaya in Sonnenglut nicht wankt, denn Eis ist sein Ursprung und sein Wesen. Da wichen die Dämonen voll Furcht mit windgeschüttelten Leibern vor seiner Löwenmannsgestalt zurück: er strahlte sehrende Glut, als wäre er Feuer, und sie wichen rings auseinander wie Wogen, die das Wasser des Weltmeers aufwirft.

Esel und eselsgesichtig die einen, mit Krokodilrachen und Giftschlangenmaul die anderen, mit Wolfsrachen und Eberschnauze, mit Gesichtern blendend wie die Morgensonne und mit Halbgesichtern wie der halbe Mond, mit aufgesperrten gräßlichen Mäulern, löwenrachig mit hängender Zunge und krähen- und geierschnablig, zweizüngig und krummköpfig, mit Gesichtern wie Feuerbrände himmlischer Meteore, andere mit Rachen großer Meerungeheuer – so sandten die Dämonen kraftgeschwellt und felsengroß ihren Pfeilregen von fern auf den unverwundbaren Löwenmann und brachten ihn nicht zum Wanken, ihre Geschosse zergingen in der Luft, wie Meteore auf Berge niederfallend erlöschen.

Da warfen sie schnell ringsflammende Wurfscheiben gegen den Löwen, davon sah der Himmel aus wie an Weltalters Ende, wenn Sonne und Mond und alle Wandelsterne zugleich am Himmel sichtbar sind und wirr durcheinanderkreisen. Aber all die sausenden feuerflammenden Scheiben verschlang der gewaltige Löwe: wie sie in seinen Rachen eingingen, glichen sie Sonne, Mond und Sternen, wenn sie aus den Rissen der Regenwolkenbäuche blinken.

Dann sandte Goldgewand einen kraftgeschwellten Flammenspeer, seine lautere Schneide leuchtete wie der Blitz. Der Löwe sah ihn heransausen, und mit einem bloßen Murren, einem fürchterlichen Kehllaut zerbrach er ihn, daß er schimmernd am Boden lag, wie ein funkensprühendes Meteor, das vom Himmel gestoben ist. Eine Reihe Eisenpfeile kam unweit dem Löwen nahe, im Flug erstarrend schwebte sie schimmernd wie eine Kette von Lotosblüten und -blättern. Er erhob ein Donnerbrüllen, wie es ihm anstand, und schritt aus, weit wie es ihm gefiel, und scheuchte das Dämonenheer vor sich hin, wie der Wind gemähtes Gras hinwirbelt. Da erhoben sich die Dämonen in die Luft und ließen einen Regen von Steinen niederprasseln, mit Felsbrocken groß wie Berge und mit hellstrahlenden Gipfeln. Der riesige Steinregen stürzte dem Löwen aufs Haupt und zerstob nach allen Windrichtungen wie ein Haufe Glühwürmer. Aber aufs neue umhüllten die Dämonenscharen den feindebezwingenden Löwen mit Fluten von Steinen, wie Wolken einen Berg mit Regenstürmen, aber die Wogen der Dämonen brachten den wahrsten der Götter nicht ins Wanken, sowenig das Weltmeer mit seinem fürchterlichen Anprall den Weltberg ins Wanken bringt. Als der Steinregen abprallte, hub rings alsbald ein Wasserregen an mit würfeldicken Strähnen; mit stechender Wucht schossen Ströme vom Himmel und verhüllten rings das Gewölbe, Ströme am Himmel überall und rings auf der Erde – aber sie berühren den Gott nicht, wie sie ohne Unterlaß herniederpeitschen. Sie regneten außen an ihm vorbei, aber nicht auf ihn nieder – denn dank seiner Zauberkraft stand nur ein Ebenbild des Löwen dort im Kampfe.

Als der Steinregen abgeschlagen, der Wasserregen versiegt war, brachte der Dämon eine Zaubergestalt hervor, aus Wind und Feuer in eins gewoben, aber der tausendäugige Indra löschte ihr Feuer im Verein mit den Wolken durch eine große Regenflut. Als dieser Zaubertrug abgewehrt war, schuf der Dämon rings ein fürchterliches Dunkel. Da war die Welt in Dunkel gehüllt, und die Dämonen standen mit erhobenen Waffen da, aber der Löwe strahlte, vom eigenen Glanze umflossen, wie die Sonne: die Dämonen sahen seine Brauen zu drei Flammenspitzen gerunzelt, als trüge er Schivas Dreizack als Zeichen mitten auf der Stirn, oder als flösse auf seiner Stirn die Ganga in drei Armen.

Als alle Zauberkräfte abgeschlagen waren, erbleichte das Dämonenvolk und floh zu Goldgewand. Der Dämon flammte vor Grimm, er brannte schier vor Strahlenglut, aber als er noch so ergrimmte, ward auf einmal die Welt ganz zu Finsternis, und sieben Winde standen auf: drohendes Urteil verkündend durchzogen sie den Raum, anwehend und vorwärtswehend, auseinander- und aufwärtswehend, rückwärts- und zusammenwirbelnd voll Kraft und Gewalt und herrlich ringsum wehend. Und die Wandelsterne, die beim Weltuntergang alle zugleich erscheinen, standen allzumal am Himmel und zogen kreuz und quer durcheinander, wie es ihnen gefiel. Der nachtwandelnde Mond ging seinen nächtlichen Pfad, ohne daß es Zeit seiner Begegnung war, samt Wandelsternen und Sternbildern. Der erhabene göttliche Tagbringer entfärbte sich am Himmel: als ein schwarzer riesiger Leichnam ohne Kopf schwamm er am Firmament. Und feuerflammend ließ der Erdkreis einen Schwarm von Funken stieben – und am Himmelszelt war jählings der Erhabene zu sehen.

 

Sieben rauchrote Sonnen zogen wie zur Zeit des Weltunterganges am Himmel auf, und die Wandelsterne traten zwischen die Hörner des Mondes und wirbelten durcheinander; der dunkelvertreibende Mond, der Gemahl der Vollmondnacht, stand still im Kreise der Sterne und drohte allem, was geht und steht, mit Untergang; ihn verlangte nicht, zu seiner Lieblingsgattin Rohini im vierten der Mondhäuser einzugehen, in denen er wechselnd den Kreis seiner Frauen allnächtlich besucht. Rahu, der Dämon, der den Mond zu Zeiten seiner Verfinsterung verschlingt, packte ihn, flammende Meteore schlugen ihn, und Himmelsbrände fuhren flammend, wie es ihnen gefiel, kreuz und quer in den Leib des Monds. Und der Himmel, der Gott der Götter, regnete Blut, Brände fielen, wie Blitze flammend, von ihm nieder mit großem Schall.

Zur Unzeit brachen alle Bäume und Blüten und Früchte auf, ja auch alle Schlingpflanzen hingen voller Früchte: sie kündeten den Untergang des Dämons an. Aus Früchten quollen Früchte, und aus Blüten quollen Blüten, sie öffneten sich und schlossen sich und lachten und weinten. Die Bildsäulen aller Götter schrien auf mit tiefem Laut, sie dampften und flammten und empfanden große Furcht. Getier und Vögel aus Dorf und Wildnis wimmelte durcheinander, und es hob das fürchterliche Morden unter ihnen an, das ihnen aufbehalten ist. Die Flüsse führten schlammtrübes Wasser stromauf, die Luft, von rotem Staube erfüllt, war ohne Sicht. Heilige Bäume, der Verehrung wert, fanden sie nirgends mehr, der Wind traf sie mit seiner Wucht, bog sie und brach sie. Um kein Wesen mehr drehte sich sein Schatten, denn die Sonne war zur Rüste gegangen beim Zeitaltersende der Welten, und Honig, die Speise der Unsterblichen in der Überwelt, troff nieder auf Goldgewands Palast, auf sein Schatzhaus und Zeughaus.

So wurden zum Untergange der Widergötter und zum Siege der Götter viele schreckliche Unheilszeichen sichtbar; vom Gange der Zeit hervorgebracht, zeigten sie den Untergang des Dämons an. Indes die Erde unter der Wut des Dämons erbebte, fielen Berge hernieder und mit ihnen vielköpfige, feuerspeiende Schlangen mit giftflammendem Rachen. Und der Schlangenkönig »Endlos«, der eine goldene Talapalme im Banner führt, Schescha, der die Welt auf seinem Haupte trägt, der Unerschütterliche, wankte. Auch die Berge, die feuerspeiend auf dem Grunde des Meeres ragen, brachte sein Zorn zum Wanken, und auch die Schlangen, die glanzflammend auf dem tiefsten Grunde der Welt hausen, erbebten. Goldgewand biß sich vor Zorn auf die zum Rund geschürzten Lippen und packte die Erde, wie einst der urzeitliche Eber tat, und die Ganga und alle Ströme und das Meer und die indische Erde, die juwelenreiche, wo Gold zutage und am Boden liegt, der Brahmaputra mit Bergen und Wäldern, viele Städte und Länder, Benares und die Burg des Sonnenvogels Garuda, die der allkundige göttliche Werkmeister hoch wie den Gipfel des Kailasa aufgerichtet hatte – alle gerieten ins Wanken. Das furchtbare Weltmeer »Röte« mit seinen roten Fluten, »Aufgang«, der hohe Berg, über den die Sonne heraufkommt, hundert Meilen ragt er auf und strahlt mit goldenem Gipfel, von Wolkenscharen umlagert, sonnengleich schimmernd mit goldenen Bäumen –, sie wankten. Der Berg Erzmund, von Mennig rot, das Malayagebirge, von Tamalahainen duftend, die Einsiedelei des Heiligen Agastya, seit alters unbetretbar, von Verklärten, Himmelschören und Geistern bevölkert, von vielen bunten Vögeln durchschwärmt und von blühenden Riesenbäumen beschattet, mit goldenen Zinnen ragend und tönend vom Gesang der Himmelsfrauen – sie wankten. Der reizende Berg »Blütenreich«, Raststätte für Sonne und Mond, brach aus der Tiefe durch das Weltmeer herauf und funkelte, von Meereswogen umspült, mit Strahlen wie von Sonne und Mond, als wolle er mit ihnen den Himmel aufritzen. Der herrliche »Blitzberg«, hundert Meilen lang, der die Blitze in Scharen auf sich herabzieht, die Berge »Stier« und »Elefant« und »Breitäugig«, der Berg der Schlangen mit ihrer Stadt »Windungsreich« gerieten unter der Wut des Dämons ins Wanken. »Frühlicht«, die schöne goldene Stadt, die der Dämon »Höllisch« bewohnt, der herrliche Berg »Wolke« mit wolkendonnertiefem Echo, sechzigtausend Berge und der Weltberg Meru, wie Morgenlicht leuchtend, in seinen Schluchten von Kobolden, Unholden und Himmelsgeistern belebt, »Goldschoß« und »Goldfreund« und Kailasa, der Fürst der Berge, gerieten unter dem Dämon ins Wanken. Der Einsiedelsee, von goldenen Lotosblüten bedeckt, der Manasasee voll Wildschwänen und Enten, der Dreispitzberg und der Mandaragipfel, von Schneestaub hoch bedeckt, der Berg »Stätte des Mondes«, der Götterwolkenberg, der Sieben-Seher-Berg und der »Rauchfarbene« und viele andere Berge, Länder und Völker und alle Ströme samt den Weltmeeren brachte die Wut des Dämons ins Wanken.

Keule und Spieß in Händen, schrecklich die Zähne bleckend, anzuschauen wie ein Wolkenwall, dröhnend wie ein Wolkenwall, donnernd wie ein Wolkenwall, stürmte Goldgewand wie eine Wolke wuchtig schnell heran – da machte der Löwe, dem die heilige Silbe OM gesellt war, einen Satz und zerriß ihn mit seinen scharfen Riesenpranken und erschlug ihn im Kampfe.

Erde und Zeit, Mond und Firmament, die Wandelsterne und die Sonne, alle Windrichtungen, Ströme, Berge und Weltmeere erfüllten sich mit Freude und Ruhe über den Untergang des Dämons. Götter und Heilige voll Glutgewalt priesen freudig den ewigen Urgott mit göttlichen Namen und sprachen: »Deinen Leib des Löwenmannes, den du dir schufest, werden die Menschen, die Fernstes und Nächstes wissen, preisen.«

Brahma sprach: »Du bist Brahma und Rudra, du bist der große Indra, bist der Götter höchster, du bist Bildner und Entbildner der Welten, bist ihr unvergänglicher Ursprung. Du heißt höchste Erfüllung und höchster Gott, höchster Spruch und höchste Spende, höchstes Gesetz und höchstes All, uranfänglicher erster Mann! Du heißt höchster Leib und höchstes Brahma, höchste Sammlung, höchste Stimme, höchstes Geheimnis und höchster Weg, uranfänglicher erster Mann! Du heißt allerhöchste Stätte, allerhöchstes Wesen, allerhöchstes Geheimnis, allerhöchster Hort, allerhöchste Läuterung, uranfänglicher erster Mann!«

So sprach der erhabene Ältervater der Welten preisend und kehrte in seine Brahmawelt. Danach kehrte Vischnu unterm Schall der Götterpauken und den Tänzen der Himmelsfrauen ans jenseitige Ufer des Milchmeeres heim. Er legte den strahlenden Leib des Löwenmannes ab und nahm seine uranfängliche Gestalt an und zog von dannen. Der Herr von unenthülltem Ursprung, der den Garuda im Banner führt, begab sich auf strahlendem Wagen mit acht Rädern, den Geister zogen, an seine Stätte.

 

Wie der Einsiedler Kandu seine langgestaute Glutgewalt unter der Lockung der Himmelsfrau in göttliche Jünglingsschönheit und unerschöpfliche Liebeskraft verwandelt, so münzt der Dämon Goldgewand den schier unermeßlichen Schatz asketisch gesammelter Kraft der Selbstqual in Erfüllung langgehegten Machttraums zur göttergleichen Pracht und Stärke seiner Weltherrschaft aus. Die Gewalt, die er in maßloser Selbstbezwingung und freiwilligem Leiden über die eigene Kreatur gewann, macht ihn zum Brennpunkt von Gewalt über alle Kreatur ringsum. In ihm erweist sich Yoga als Werkzeug dämonischen Machtwillens, der unter Menschen suggestive Wirkung, mediale Folgsamkeit des anderen und Herrschaft über sein Unbewußtes anstreben kann – im Dämon des ersten Weltalters langt er nach kosmischer Allmacht. Eine höchste Form des »Wirbelstaubs der Leidenschaft« und glühenden Begehrens (rajas), von dem sich Brahma im Verein mit bestialischer Dumpfheit (tamas) im Augenblick der Weltentfaltung bedroht sah, erhebt sich in gewaltiger Ballung, reißt alle Macht der göttlichen Kräfte an sich und gibt sich unbegrenzter Willkür seiner Machtgebärde hin. Das Prangen seines Palastes, der Überschwang seiner Scharen ist das Überschäumen lang gestauter Kraft des Dämons, die sich am Ziel der Wünsche sieht und sich im ungeheuren Selbstgenusse ihrer Fülle spiegelt und verschwendet. So fangen viele Mythen an: aus dämonischem Machtwillen entsteht immer wieder Stauung von Kraft, die zur Störung der göttlichen Weltordnung führt; diese Spannung gehört zum Rhythmus des Weltgangs, in immer anderen Dämonen begibt sie sich neu und führt zur Entthronung der Götter und allem Wirrsal, das ihr folgen muß. Wie Kraft physikalisch sich in Licht verwandelt, setzt ihre Fülle sich mythisch in welterfüllende Tyrannei und selbstbesessenes Prunken um – damit verzehrt sie ihren eigenen Schatz und gleitet unaufhaltsam, wenn auch mählich dem Augenblick erhabenen Umschwunges zu. Aber daß diese anscheinend unerschöpfliche Herrlichkeit trotz aller Sicherungen, die der Dämon sich für sie ausbedungen hat, ein Ende nehmen muß und endlich als Ohnmacht auf ein unbekanntes Stärkeres treffen muß, das sie nicht ahnte – dieses Urgesetz des Weltlaufs will die dämonische Selbstvergessenheit nicht wahrhaben, darum muß sie es als ihr eigenes bitteres Ende auskosten.

Im großen Kampfe des weltbeherrschenden Dämons gegen das überweltliche Göttliche, das ihn vernichten wird, steht Maya gegen Maya: alles was die Welt an Kräften und elementaren Stoffen umschließt, rafft der Dämon als seine Waffen auf, alle Gestalten der Weltenergie stehen ihm zu Gebote. Die Waffen der Götter, die ihre wirkenden Kräfte enthalten, und alle Elemente: die Steine der Erde, die Wasser des Himmels, Wind und Feuer, dienen seinem Willen, die Erde samt Bergen und Meeren erbebt unter seinem Grimm – umsonst: alle Kräfte der Schöpfung sind ohnmächtig gegen den Schöpfer, und das Geschöpf, das sich selbstherrlich gegen ihn bäumt, erliegt dem ersten Prankenschlage seiner Zaubergestalt. Aber es macht das Wesen des Dämonischen als des Selbstbesessenen und von sich selbst Verblendeten aus, dieses nicht zu sehen, ungläubig und phantasielos in seinem Wahne, durch maßlose Machtanhäufung und lückenlose Verträge sich sichern zu können, muß es zum Kampfe antreten, um an einem unverhofften Gegenspieler zu zerschellen, wie ein irdenes Gefäß an einem eisernen.

Gegen das übergewaltige All tritt das einseitige, prahlend in sich verkrampfte Dämonische an – dieser Kampf ist zu ungleich, als daß über seinen Ausgang ein Zweifel sein könnte. Der Sohn des Dämons sieht erleuchteten Blicks die Wahrheit, aber er bleibt einsam mit seinem Wissen, seine Stimme verhallt ungehört im Rausch der von sich selber trunkenen Kräfte. Goldgewands Sohn »Jubel« sieht in der Fabelgestalt des Löwenmannes den Allgott nahen, er sieht: der allumfassend Übergegensätzliche enthält auch alle Dämonen mit ihrer Herrlichkeit in seinem Leibe. Der schlafende Weltriese, der die Welt in seinem Bauche hält, ist aufgestanden aus seinem Schlummer im Milchmeer und trägt das All in seinem Leibe mit allen Göttern und Ungeheuern. Was sich von außen kämpfend gegen ihn spreizt, ist nur ein winziger Teil seines Inneren. Das Überweltliche ist die Welt noch einmal – die Welt noch vielmal in allen möglichen Facetten, Gebärden und Gestaltungen, ist sie unendlichfach nach Zahl und Stärke. Die Welt ist wie ein Tropfen aus diesem Meer, so wie das Individuum nur eine spielende Gebärde aus dem Reichtum seiner Erbmasse ist, und wie sein Lebensgang nur einen von vielen möglichen Reimen auf die Schicksalsrune seiner Möglichkeiten bedeutet, eine einzige Verwirklichung aus der Fülle keimhaft in ihm angelegter Möglichkeiten sich zu ereignen, sich zu erfüllen oder zu verfehlen. Oder wie jede Deutung eines Traumes nur einen Aspekt von seiner dunklen Tiefe abschöpft und sie nie ausschöpft und ihre Grenzen, Gewicht und Armut, mehr von dem erhält, der deutet, als von dem Dunkel, das den Traum gebar.

Freilich, in einem ist auch der Allgott gebunden, der das dämonische Geschöpf vernichten will: er darf es in keiner bekannten Gestalt anfallen, die des Dämons Phantasie ersinnen konnte, und in keiner Situation, die er sich ausdenken mochte, als er sich Sicherungen ohne Ende schuf. Aber die göttliche Maya, gestalten- und situationschaffende Phantasie, ist ohne Grenzen: da schafft er sich das nie gesehene Zwitterwesen von Mann und Löwen, und, da er den Dämon nicht bei Tag und nicht bei Nacht erschlagen darf, richtet er nichts Geringeres als einen Weltuntergang an. Die Welt scheint wirklich unterzugehen, die Wandelsterne laufen bahnlos durcheinander und sammeln sich zu unerhörten Stellungen um den Mond; die Sonne erlischt, aber sieben dunkel verglühende Sonnen sammeln sich zuhauf: sonst kreisten sie, durch sieben Ringe konzentrischer Weltrandgebirge voneinander getrennt, auf immer größeren Kreisbahnen um den Weltberg in der Mitte und erhellten die konzentrischen Ringkontinente, die durch Meere und Randgebirge voneinander geschieden die mittlere Sphäre, zu der Indien gehört, umlagern; jetzt aber scheint ihr Dienst zu Ende, von ihren Posten abgelöst, versammeln sie sich, denn die Welt wird jetzt zusammenstürzen. Der Berg »Blütenreich« in der Tiefe des Weltmeers, auf dem Sonne und Mond zu rasten pflegen, wenn sie auf unterseeischer Fahrt vom Untergang im Westen zum Aufgangsberge zurücklenken, bricht aus dem Grunde auf und ragt ins Himmelsgewölb; zugleich trieft Honig auf die Dächer des Palastes: die obere Seligen weit, wo unverderblicher Honig die Speise der Unsterblichen ist, wird leck und trieft – die Sphären schwinden ineinander und drohen zu unterschiedslosem Chaosbrei zu verteigen. Die Jahreszeiten verwirren sich, das Leben der Natur birst aus seiner Ordnung – aber das alles ist Maya, so wahr es sich begibt um den Weltstand heraufzuführen, in dem der Dämon zum Untergange reif wird.

Es bezeichnet die ungemessene Wucht seiner Kraft, die Selbstbesessenheit seines Trotzes, daß nichts den Dämon wanken macht, nicht die völlig unheimliche Gelassenheit des Ungeheuers, seine Ruhe im Wartenkönnen, indes alle Waffen des Dämons an ihm zerstäuben und verzischen, nicht die plötzlich einsetzende apokalyptische Zauberoper, deren Wirkungen die Ohnmacht aller vom Dämon ausgespielten Zauberkräfte zu verspotten scheinen und ihm zugleich geheimnisvoll und schnell den Boden entziehen, auf dem er seine Sicherungen pflanzte und selber für ewig fest zu stehen wähnte – es waren Sicherungen, die für die Welt und ihren Lauf, aber nicht für den Einbruch des Überweltlichen gemünzt waren, das sie auflöst. Es bezeichnet sein Kraftgefühl und die völlige Blindheit, die ihm entspringt, daß der Dämon den Vorboten seines Unterganges nur erderschütternde Wut entgegenbringt; aber wie groß ist seine Gewalt, daß es der unzeitigen Phantasmagorie eines Weltunterganges im ersten Weltalter bedarf, wo der Weltleib seinem wirklichen Ende noch fern ist, um dem Tode des Dämons den notwendigen Rahmen zu schaffen. Der Dämon ist, soweit ein Geschöpf der Welt es sein kann, nahezu ein wirklicher Gegenspieler des überweltlichen Gottes. Angesichts des Machtwillens, der sich selber maßlos Gewalt anzutun vermag und damit ungemessene Gewalt über die Welt gewinnt, bedarf es des wirklichen Eingreifens der überweltlich oberen Instanz, in spottendem Spiel und grausamem Ernst den Kampf des Weltleibes zu lösen.

Im ersten vollkommenen Weltalter sind die Menschen noch voll der göttlichen Ordnung; der zeitlose Kampf zwischen ichbesessenem Titanentum und den göttlichen Mächten, die der Weltordnung dienen, kann sich noch nicht auf der Ebene menschlicher Geschichte abspielen – er webt noch in kosmischen Räumen und übermenschlichen Gestalten.

Aus dem Vorbild andrängender Drohung dämonischer Heere gegen die unerschütterliche Gefeitheit des Gottes inmitten ihres Wirbels hat die Buddhalegende die Vision der nächtlichen Versuchung des Buddha unter dem Baume der Erleuchtung geschöpft: dem Morgenlichte der Erleuchtung entgegensinnend, durchharrt der Buddha die Sturmnacht toddrohender dämonischer Fratzen, deren Ansturm ihn aus der Yogahaltung der Versenkung unterm Baume aufscheuchen will; aber in sich selbst versunken, bleibt er gottgleich entrückt und unberührbar für alle Vernichtung, die ihn anbleckt, und die mit der Verlockung zur Furcht um sein vergängliches Ich die schon erloschene Flamme der Lebenslust, des Dursts zum Dasein, neu in ihm entfachen will.

Die Geschichte vom Dämon Goldgewand hat ihresgleichen schon im Mythos der Veden, mindestens mit der Bedingung, die er sich für sein Sterbenkönnen ausbedang. Die Veden erzählen von Vritra, dem gliederlosen Wolkenwurm, der auf den Bergen lagernd, die Wasser in sich beschlossen hielt. Die Wasser sind das Leben der Welt, der Lebenssaft ihres Leibes; aber in eigensüchtiger Behauptung seiner Gestalt sperrt der Wolkenwurm ihr kreisendes Fließen, sperrt den ewigen Reigen strömender Lebenskräfte: hinab, hinauf, gestaltend und zerlösend. Ihm ward vorzeiten der Wunsch gewährt, nicht bei Tage solle er sterben noch bei Nacht, wo doch Tag und Nacht beständig ineinander hinsterben und auseinander auferstehen, wo doch in ihnen mit myriadenfachem blitzschnellem Umschlagen immerfort ineinander hingestorben wird und auseinander geboren: in gegenseitigem Verzehren, in Umarmungen Liebender, in zeugendem Verströmen, kreißendem Verebben, in Einatmen und Ausatmen.

Aber nicht bei Tage noch bei Nacht sollte der Dämon sterben können, nichts Festes, nichts Flüssiges sollte ihn tödlich treffen dürfen. – Eine ältere Fassung dieses Mythos, die von diesem Pakt augenscheinlich noch nichts weiß, erzählt, daß Indra den Dämon mit seinem Blitzkeil erschlug; Indra, der Himmels- und Regengott, erschlug den Wolkendämon, denn Indra führt den Blitzkeil des alten Himmelsvaters Dyaus pitar, den Keil des Zeus pater, des römischen Diespiter-Jupiter. Er spaltete den Leib des Dämons, zerhieb ihn wie dürres Schilf, daß die Wasser strömten und der Reigen des Lebens nicht länger stocke. Aber wie gelang ihm das? fragt die spätere Form des Mythos, die den Pakt kennt, der den Dämon sicherte. Welche Gestalt mußte der alte mythische Blitzkeil und der Vorgang des Sieges unter dem Zwange des Paktes annehmen, um den Dämon zerreißen zu können? Es heißt: Als Indra den Dämon erschlug, da war nicht Tag, nicht Nacht – Dämmerung war, die Stunde zwischen beiden; und als Indra seinen Keil schwang, der den Dämon zerhieb, traf er ihn nicht mit Festem, nicht mit Flüssigem – seine Waffe war aus Schaum gebildet.

Schaum: das Ungefährlichste, Zerrinnende, Zerstäubende. Augenscheinlich ward dieser Schaum so todbringend, weil sich in ihm alle tödlichen Kräfte, die in allen Dingen als ihre dunkle Seite neben den lebenspendenden geschwisterlich ruhen, versammelt hatten und sich versammeln mußten, da der Dämon sie mit seiner Bedingung aus aller anderen Materie hinwegbeschworen hatte. Sie mußten sich im Schaum versammeln, der so harmlos scheint – der Dämon ließ ihnen gar keine andere Wahl –, denn sie mußten dem ewigen Gesetz des Reigens gehorchen, dem ausnahmslosen Gesetz des Wandels, das keine Verfestigung in Gestalt und Ich auf unbegrenzte Dauer leidet. Der Reigen, das Gesetz des Wandels, ist das unerbittlich schwingende demantene Rad, und wer sich ihm entgegenstemmt, über den rollt es zermalmend hinweg, eben weil er sich ihm entgegen stemmte, indes es den ihm Hingegebenen in rauschendem Schwunge trägt.

»Nimm die Gottheit auf in deinen Willen« – erkenne, was du bist: Geschöpf und Teil ihrer selbst, das in ihr auf und nieder wirbelt und in Verwandlungen ihr seliges Spiel, ihren wandelnden Leib bildet – den Leib, der tausendfach von Lachen und Schluchzen dröhnt wie eine Glocke oder wie der Leib der Liebenden und Gebärenden.

Der Schaum, der den Dämon überraschend fällte, erinnert an jene lächerliche Mistel, das grüne schwanke Kraut, das doch die Kraft hatte, Baldur zu töten, gerade als die Götter lachten und sich in Baldurs Unverwundbarkeit gesichert wähnten, als sie Felsen und Waffen gegen ihn warfen, um seiner Unsterblichkeit froh zu sein und im Besitze seiner ewigen Frühlingsgestalt die eigene Sicherheit vor dem Gesetze unerbittlichen Wandels zu genießen. Aber diese Mistel ist kein so reines und schlagendes Symbol wie Indras Keil aus Schaum; sie steht außerhalb der Sphäre des aufsteigenden und hinsterbenden Jahresgottes Baldur, dessen Lebensfrühling und -sommer die Götter verewigen wollten, auf daß nie mehr in ständigem Reigen die todesgleiche Winternacht die Welt befiele; die immergrüne Mistel, der magische Trost der Wintersonnenwende, ist nicht an Baldurs Aufstehen und Sterben gebunden, an dem alle anderen Wesen beteiligt sind, so daß sie sich willig verschwören mochten, Baldur nicht zu verwunden.

Das zeitlose Lebendige – im Seelischen: das Unbewußte – spottet aller Namen und Formen, denn alle sind ihm gleich nahe als seine spielenden Wandlungsgestalten, Masken oder Erscheinungsformen. Es lacht aller Verfestigungen und Versteifungen auf eine Seinsform wie auf einen Namen, die Dauer gewähren sollen und Schutz vor dem Hinsterben in ewig wechselnde Verwandlungen – Schutz vor den Schmerzen immer neuer Geburten und Abschiede und Übergänge ohne Ende. Wer diesem Reigen sich entziehen will, nicht flimmernder Tropfen sein will in seinem Wassersturz und Regenbogen, sondern in sich dauern möchte als eigenmächtige, selbstwillige Gestalt, der weiht sich dem Tode, wo er sich fester ins Leben zu krampfen meint. Mit eben der Bedingung und Grenze, hinter der er sich verschanzt, wird er erschlagen und verschüttet werden, aus der totalen Ironie und Spielfreude proteushafter Wandlungskraft des Allwesens. Denn so dreht sich der Reigen – und wie schnell! –, im kreisenden Umschwung der Dinge verkehrt sich alles in sein Widerspiel.

Wer Gebärde im Reigen zu sein vermag, ist geborgen; »wer sein Leben zu verlieren bereit ist, wird es gewinnen«, gegenüber zielsetzender Bewußtheit und Absichtlichkeit auf lange Sicht ist abgründige Ironie die Form, in der sich Wirklichkeit geschehen läßt. Und doch legt alle Moral und Lebensweisheit unser Handeln auf lange Sicht und Dauer an, auf Besitz und Erbe, Tradition und Verantwortung – wo wären wir ohne alles das über die Generationen hin und in der Gemeinschaft? Der Instinkt des Lebens selbst geht darauf aus, in den Gemeinschaften der Tiere, in der Vorsorge für die Brut, in den Staaten der Insekten – aber dagegen steht ein anderer Zug des Lebens, der es besser weiß und den Trieb zur Dauer ironisiert.

Worin einer sich sichern und sein Ich verfestigen will, damit gräbt er sich schließlich selbst die Grube, in die er sich stolpert; die Bedingung, durch die er sich in Gestalt und Ich auf Dauer zu sichern meinte, wird ihm gewährt – aus dem göttlichen Gelächter des zeitlos Ganzen, das für alles einzelne, das auf sich pocht und sich selbst bewahren will, nur die totale Ironie des Reigens gegen den Augenblick übrig hat. Es führt durch eben das, was gegen Wandel sichern soll, im Spiele seiner Maya den Untergang dessen herauf, der in seiner Verblendung meint, er könne dem Spiele des Ganzen entgehen, das ewiger Wandel in sich selbst ist: eben Leben. Der Strick, an dem sich einer aus der Flut zog, die ihn fortzuspülen drohte, legt sich schließlich, wenn er sich fest mit ihm umgürtet, auf daß kein Wirbel ihn mit sich führe, ihn trage oder verschlucke, als Schlinge um den Hals, die ihn erwürgt. Das ist der Untergang eines, der meint, in sich verkrampfender Versteifung auf sein geliebtes greifbares Teil könne er sein Ich gegen den Wandel aller Gestalt, gegen ihr Zerrinnen zu anderem Leben feien.

In keinem Augenblick der Weltzeit wird der Dämon Goldgewand sterben dürfen von Feindeshand; da ersteht die Maya eines Weltunterganges, der Mond steht still, die Sterne taumeln durcheinander, die Sonne schwimmt als Leichnam ohne Kopf am Himmel – es ist keine Zeit mehr, und die Welt vergeht. Kein Wesen in Mensch- und Tiergestalt konnte dem Dämon gefährlich werden; da wandelt das Verhängnis in nie gesehener Gestalt einher: halb Mann, halb Löwe, ein Monstrum, und zerreißt ihn. Indem er die Ordnung des Lebens mit seinem Pakt vergewaltigen wollte, ruft er selbst das Monströse, Unerhörte zum Ausgleich herauf – das Monstrum ist seine eigene Ausgeburt, seine Fratze im Spiegel des Göttlich-Ganzen.

Das Rettende wird das Vernichtende, das liegt im Rhythmus des Reigens. Wer in den Reigen eingreift und das Dauernde will, wo die Natur das Wandelnde meint und im immerwährenden völligen Wandel allein die reine Dauer erblickt, der wird von ihr zermalmt. Die alten Griechen des tragischen Zeitalters hatten einen großen Blick für die Ironie des Reigens, für das Katastrophale der Sicherung. Um den größten ihrer Siege zu feiern, den Untergang der großen Armada des Xerxes, spielte Äschylos seinen Athenern die »Perser«tragödie vor: wie im Spiegel zeigte er dem Siegesjubel und Kraftgefühl der Seinen die Vergänglichkeit ihres Aufstiegs, die Unsicherheit ihrer Glorie im Zusammenbruch des scheinbar unüberwindlichen Großkönigs. Es ist der hintergründige Sinn der Historien Herodots, das Spiel des Reigens zu lehren, den »Kreislauf der menschlichen Dinge, der immer kreist und nicht duldet, daß immer dieselben glückhaft sind«. Seine umfassende Chronik, Länderkunde und Geschichte vergangener Reiche, Glanz und Untergang von Medien und Babylon, Lydien und Ägypten, die im Rachen des Perserreiches als Satrapenprovinzen verschwinden, zeigt alle Vergänglichkeit auf, aus der sich Persiens Riesengröße schrittweis aufgebaut hat, um auf der Höhe ihres Wachstums am Widerstande des kleinen Hellas zu splittern, und heißt die Vergänglichkeit der eigenen jungen Größe erschauernd ahnen und sie hineinnehmen in das Hochgefühl der triumphalen Weltstunde: im Schwünge des Reigens ist diese Stunde nicht Epoche und Dauer, sondern nur der Augenblick, an dem die eigene Sonnenbahn durch den Gipfelpunkt ihres Mittags gleitet – wahrgenommen und bewußt ergriffen, ist er schon vorüber. Kroisos von Lydien ist bei Herodot das große Beispiel des lange Unbelehrbaren: er meint sein großes Glück, mit dem er prunkt, mit vielerlei Voraussicht sichern zu können gegen die Vergänglichkeit, die es zerstäubt. Er hält den Lieblingssohn und einzigen Erben seiner königlichen Kraft von Krieg und Jagd fern, um ihn vor dem Ende zu sichern, das ihm ein Traum geweissagt hat: er werde an einem Speerwurf sterben. Aber auf sein Drängen läßt er ihn doch auf die Eberjagd ziehen – wie könnte schließlich das zahnbewehrte Tier ihm den Tod bringen? – und vertraut ihn obendrein dem unseligen Gastfreund an, dem heimatlos Verfemten, der ohne es zu wollen, daheim seinen Bruder getötet hat und sich vom Schicksal gezeichnet weiß, Verhängnis zu sein, wohin er den Fuß setzt. Er ist es, der mit seinem unseligen Speer, den Eber verfehlend, den Königssohn fällt und alle sichernde Vorsicht des Vaters zunichte macht.

Ehe Kroisos den Krieg gegen Kyros unternimmt, um die aufstrebende Persermacht in der Knospe zu köpfen, will er über den Ausgang des gefährlichen Kampfes Sicherheit: er will einen bündigen Orakelspruch, der ihm den Sieg verbürgt. Aber auf welche Orakelstimme kann er sich verlassen? Er wird alle Orakelstätten, von denen er weiß, mit einer Vorfrage erproben, ehe er einen Spruch über den Erfolg seines Kriegsplanes einholen wird; er schickt Gesandte an alle, die hundert Tage nach ihrer Abreise bei jedem Orakel die Frage stellen sollen: »Was tut König Kroisos heut?« Keine der übrigen Antworten befriedigt ihn, nur die delphische Seherin erschaute das sonderbare Tun, das sich der König für diesen Tag als Rätsel ersonnen hatte, um die Stimmen weissagender Götter auf die Probe zu stellen: sie kündete ihm, daß er, allein in seinem Gemach, Schildkröten- und Lammfleisch in ehernem Kessel sott. Nun wähnte er sich gesichert, wenn er ihrem Spruche über den Ausgang des Krieges mit Kyros vertraute. »Wenn ein Maultier über die Perser herrsche«, sagte ihm der pythische Apollon, »solle er sich vor ihnen fürchten« und, »wenn er über den Halys zöge, der die feindlichen Reiche trennte, werde er ein großes Reich zerstören.« Er war nicht länger im Zweifel, daß Kyros' Reich gemeint sei, und wagte das seine; und indem er sich so gesichert wähnte, zerstörte er es und entging kaum dem Tode auf dem Scheiterhaufen; denn Kyros war in der Tat ein »Maultier«: er stammte aus zwei verschiedenen Völkern, Medern und Persern, und seine Mutter war von edlerer Abkunft als sein Vater, sie war die Tochter des Mederkönigs, dessen unterworfene Untertanen die Perser waren.

Ein anderer, der, nach Herodot, sich auch zu sichern verstand und dabei erfuhr, was es damit auf sich hat, war der Sohn des Kyros, der Großkönig Kambyses. Dieser glücklose, dumpfe und jähe Mensch hatte nichts Gewinnendes; aber da war sein jüngerer Bruder, der reizende Bardija Smerdis, dem flogen alle Herzen zu. Das nagte an der Ruhe des Kambyses; wie leicht konnte der Herrliche nach der Krone greifen – schien nicht alles ihm diese Lockung anzumuten? Kambyses hatte ihn nach Ägypten mitgenommen, als er das Land der Pharaonen unterwarf, in seinem Gefolge hatte er ihn ständig unter den Augen. Aber da hatten ihm die Äthiopen, zu denen er Gesandte schickte, sie auszukundschaften, einen Bogen gesandt und dazu die Botschaft: »Der König der Äthiopen rät dem Könige der Perser: nur wenn die Perser so große Bogen so leicht spannen wie wir, soll er mit unzähligem Kriegsvolk gegen die langlebenden Äthiopen zu Felde ziehen. Wenn nicht, soll er den Göttern danken, daß sie den Söhnen Äthiopiens nicht den Gedanken eingeben, zu ihrem eigenen Lande ein anderes dazu zu erobern.« Kambyses aber hatte diesen Bogen der Äthiopen, die man ihm als das höchstgewachsene und schönste Volk der Welt beschrieb, nicht zu spannen vermocht.

Auch kein anderer der Großen unter den Persern vermochte es, und waren doch alle große Bogenschützen, und ihre Könige, wie Artaxerxes, trugen Beinamen, die ihre langen, bogengewaltigen Arme feierten (Makrocheir, Megabazos, das heißt »Großarmiger«, wie indische Bogenhelden Mahabahu heißen). Nur Bardija Smerdis gelang es, den wunderbaren Bogen, den die Fischesser aus Elephantine von ihrer Gesandtschaft heimbrachten, zwei Finger weit zu spannen.

Die Bogenprobe aber ist ein magisches Ritual der bogenschießenden Völker, wie die alten Perser eines waren: wer den wunderbaren Bogen des Helden zu spannen vermag, ist der Berufene, vom Schicksal zur Herrschaft Erkorene. So ist im Wagnerschen Mythos, wer das Schwert Notung aus dem Baume zu reißen vermag, das der göttliche Wanderer hineinstieß, und wer seine Stücke neu zur Waffe schmiedet, der Held, der zur Weltherrschaft berufen ist. Darum wird der Streit der Freier um Penelope, die Ithakas Erde und Herrschaft verkörpert, mit dem Bogen des Odysseus, des verschollenen Königs und Helden, dem Penelope und Ithaka zu eigen sind, ausgetragen; so kämpfen die Helden des indischen Epos bei der Gattenwahl der Königstöchter mit Bogenproben um das fürstliche Mädchen, und Arjuna, der Freund der Götter, ersiegt im Mahabharata für sich und seine Brüder die Prinzessin Draupadi, Rama aber im Ramayana siegt und gewinnt Sita, indem er den Bogen spannt, den Schiva selbst, der göttliche Jäger und Bogenschütze, ihrem Ahn geschenkt hat, und ihn im Spannen gar zerbricht. – Deutete diese Probe mit dem Bogen der Äthiopen nicht darauf, Smerdis sei der wahrhaft Berufene unter den beiden Brüdern, sei zwar der Jüngere, aber er und kein anderer sei – durch seine Herrlichkeit schon insgeheim – nach dieser Probe aber offenbar zur Herrschaft bestimmt?

Kambyses konnte seinen Anblick nicht mehr ertragen, er sandte den Gefährlichen nach Persien heim. Da hatte er einen Traum: ein Bote käme aus Persien und meldete ihm, Smerdis säße daheim auf dem königlichen Throne und sein Haupt rage bis in den Himmel auf. Da sandte er ihm den Mörder nach, und man hat nie erfahren, ob Smerdis auf der Jagd ermordet worden ist oder im Roten Meer ertränkt. Kein Schatten fiel auf Kambyses' Hände; das Volk wähnte Smerdis am Leben, nur fern, irgendwo unsichtbar im weiten Weltreich Persien. Und Kambyses in Ägypten fühlte sich, wenn er nach Hause dachte, im Rücken gesichert.

In Ägypten geschah indes diese merkwürdige Geschichte mit dem Apisstier – eine eher lächerliche Angelegenheit. Kambyses kehrte von seinem unglücklichen Feldzuge gegen die Äthiopen heim – trotz der mißlungenen Bogenprobe hatte er sie bezwingen wollen –, von diesem Feldzuge, wo seine Soldaten in der Wüste vor Hunger das Los übereinander geworfen hatten, wer den anderen schlachten solle, damit nicht alle umkämen, und wo ein anderer Heerhaufen unter einem Sandsturm zwischen Oasis und Ammon begraben wurde; – Ägypten aber ertrank, dem geschlagenen Könige wie zum Hohn, in Freudentaumel und Festen. Dieses Volk der Priester und Toten, Tempel und Gräber vergaß den anwesenden Fremdherrscher und seine drückende Gewalt über dem wiedergeborenen Gott in Stiergestalt. Was ging hier vor? War dieses gefeierte Tier die leibhafte Erscheinung eines Gottes und bedrohte sein Erscheinen Kambyses? Glaube steckt an; Kambyses muß sich mit dem Wunder messen, muß sich sichern gegen die dunklen, vielleicht göttlichen Gewalten des fremden Landes, die plötzlich greifbar aufgestanden scheinen. Er tritt dem Stier gegenüber: ein kapitales Tier und ganz so makellos gebaut, wie unverständliche Vorstellungen des absonderlichen Volkes von der Erscheinung des Gottes fordern. Aber doch nur ein Stier wie andere; – Kambyses erweist es, indem er ihm sein Schwert in den Leib rennt. Freilich, der Hieb geht fehl, der Großkönig hat keine glückliche Hand mehr, immerhin, er verwundet das Tier am Schenkel. Der Stier verendete, und die Priester begruben heimlich ihren toten Gott.

Hier wäre wieder Sicherheit; aber Kambyses bedarf ihrer auch in Ägypten, denn in Persien, wo er sie geschaffen wähnte, ist sie hin. Persien hat Smerdis auf den Thron gehoben. Kambyses weiß – weiß es so gut wie kaum ein anderer –: Smerdis ist tot. Aber es scheint, auch andere haben es inzwischen in Erfahrung gebracht, und das hat dem Betrüger gleichen Namens den Weg zum Throne freigemacht. Daß er dem echten Smerdis ähnlich sieht, hat ihn an die Macht gebracht; freilich wäre das nie möglich gewesen, hätte Kambyses nicht den Bruder beseitigt Dieser falsche Smerdis ist wirklich ganz die reine Ausgeburt der Angstträume und Entschlüsse des Sicherungswütigen, ist völlig die fleischgewordene Nachtgestalt der Furcht, der Kambyses in seinen Taten nachgab. Gleichviel – Ägypten, der Rücken, ist frei; jetzt der Gefahr in Persien die Stirn geboten, die heraufkam weil wir uns sichern wollten, ehe wir von ihr bedroht waren. Eilenden Rittes geht's vom Nil nach Haus. Aber unterwegs, beim hastigen Aufsteigen aufs Pferd, löste sich der Knauf an der Scheide des Schwertes, und die nackte Schneide drang Kambyses in den Schenkel – an derselben Stelle, so will es die Erzählung, wo er damals den Gott der Ägypter getroffen hatte. Da muß er rasten, wo er eilen möchte, und hat trübe Vorahnungen. Aber eines ist Trost: Hat ihm nicht das Orakel zu Buto in Ägypten geweissagt, er werde in Agbatana sterben? Das meint doch Agbatana, seine medische Hauptstadt, und daß er dort als Greis im Mittelpunkte seines Reiches fürstlich sterben werde? Wie heißt denn dieser lächerliche Flecken, an dem ihn dieses Mißgeschick traf? Es ist – Agbatana in Syrien. Als ihm der Name des Ortes gesagt wurde, verstand er das Orakel und sprach: »An diesem Orte ist es Kambyses, Kyros' Sohn, beschieden, zu sterben.« Und so geschah es.

Die Angst vor dem Wandel, der aller Dauer spottet, vor dem ständigen Tode, der alle Gestalt immerfort auflöst, ist selbst schon Griff und Gang zum Tode. Der Schrei: »Verweile doch, du bist so schön!« – dem Augenblicke zugerufen, um einen idealen Moment zu verewigen, ist ja die Einflüsterung des Versuchers, des dummen Teufels, der einen Dummen sucht.

Die Haltung des Unbewußten gegenüber aller verfestigenden Formel, was unter allen Umständen gut und richtig sei, sichernd und erhaltend, ist die totale Ironie. Eins ist so wahr wie das andere, ist immer wechselnd wahr in jedem Augenblick des Reigens, und wie er in sich wiederkehrt, schlingt er sich in jedem Schritte unwiederholbar neu. Ihn wollen in gläubiger Hingabe und Selbstabdankung ist Weisheit indischer Gottesliebe (bhakti), die zum Reigen des Göttlichen spricht: »Ich bin er«, und dabei nicht nach der spielend geballten, spielend zerrinnenden Gestalt fragt, die »Ich« zu sich in uns sagt. Alles Wahre wird hier bald falsch, alle Weisheit wird Unsinn, sie gilt nicht mehr, wird taub und dumm, denn im Reigen hat sich alles völlig verstellt und die Plätze und Zeichen vertauscht. Aber aus dem Unbewußten, fließend Unverfestigten immer neu schöpfend leben, hieße aus dem Rhythmus des Reigens leben.

Darum gleicht das unaufhaltsame Unterfangen des Geistes, Balken ins Strömende zu bauen, dem Wunsche der homerischen Freier, das Hochzeitsgewand der Penelope endlich fertig und gültig zum Feste der Erfüllung zu sehen. Aber was Penelope tags gewoben hat, trennt sie nachts wieder auf; es galt nur für heute und nicht für morgen, und jeder Tag erneut die Enttäuschung und Erwartung über die zurückgeworfene und neu fortschreitende Mühsal.

Tithonos, der Menschensohn, sollte nicht sterben müssen, als Eos, die Göttin mit dem täglich-ewig erneuten Jugendreize der Morgenröte ihn sich zum Gemahl erkor. So erbat es die Rosenfingrige vom Göttervater. »Verweile doch«, sprach sie zur Lust seiner jugendlichen Umarmung, und wie jene indischen Dämonen, wie alle, erlangte sie Erfüllung ihres Wunsches: sie erlangte, Tithonos müsse nicht sterben. Aber dem einen konnte sie nicht wehren: daß er dem Los der Kreatur unterworfen blieb, daß er alterte und einschrumpfte, immer kleiner ward und dürrer, bis er an der Seite der jugendprangenden Göttin wie eine kleine vertrocknete Heuschrecke war. So teilte er zirpend das Lager der Reizenden, Wandellosen – es hätte beiden besser gefrommt, er wäre im Rausche der Jugend weggerafft worden, als daß er so ihr beiwohnte in der selbstgeschaffenen Hölle hoffnungsloser Ohnmacht und lächerlicher Ungleichheit des Paares –, da waren sie beide zu Narren geworden vor dem lautlosen Gelächter des Ewigen, und ihre Verbindung, ausgestoßen vom Reigen, zu einem Monstrum. Für Ovid ist Eos-Aurora Gram und Ärgernis der Liebenden, die glücklicher sind: erbitterte Frühaufsteherin – was sollte die hoffnungslos Enttäuschte ans Beilager des Gatten fesseln – kürzt sie den glücklicheren Paaren, die nächtliche Lust vereinte, mit ihrem unerwünschten Prangen die Stunden der Vereinigung. So wandelt sich Torheit in Bosheit, die an sich selber nagt.

Das ist die Ironie des göttlich Ganzen, die jeden seinem Gesetz widersprechenden Wunsch mit geheimem Lachen erfüllt, denn seine Erfüllung verkehrt sich in das Gegenteil des mit ihm Gemeinten, ganz natürlich, denn die Rechnung auf Dauer hat im Spiel völliger Wandlung immer ein Loch, und immer durch das, was begehrt und gewährt wird, ißt man sich selber schließlich die Speise der Verzweiflung, der man damit entgehen wollte, und ruft in Gestalt eines Monstrums vor sich auf, was man in gewohnter Gestalt des Lebens als Bedrohung von sich ausschließen wollte.

Gegen den Sinn des Reigens ist der Witz, der sich bewahren will, Narrheit und Gelächter: Aberwitz. Das große Ganze spottet jeder Formel, die es fangen will, und fängt jeden in eben der Schlinge, in der er es zu fangen meinte. Wer diesem göttlichen Wild nachjagt, ist wie der Schütze, der von der eigenen Kugel fällt. Da geht es zu wie im Mythos vom Freischütz und dem wilden Jäger. Der Schütz weiß nicht, welche der sieben Zauberkugeln, die wunderbar treffen, was er sich nur wünscht, dem Dämon gehört, der sie nach seinem eigenen Willen lenken darf: »Sechse treffen – sieben äffen!« Und natürlich lenkt der Dämon seine Kugel auf das Liebste, was der Schütz hat, auf eben das, was er durch diese Kugeln sich wunderbar erst ganz erringen wollte – oder aber die Kugel fährt dem Schützen selbst ins Herz, der sich um der Kugeln und ihrer Beute willen dem Dämon verkaufte.

Sicherheit ist nirgends als im Reigen, und sie ist das Bewahrtsein in der Preisgegebenheit – das ist die Weisheit des Unbewußten, der göttlich-zeitlosen Größe in uns, die über die Blüte unseres Ich, die es aus seinem Safte auftreibt, lächelt, wenn diese Blüte, Schönheit triefend und Empfänglichkeit duftend, wähnt, sie sei zu anderem bestimmt, als empfangend zu zerblättern und zu welken und Frucht zu treiben, neu zu keimen und wieder als eine andere zu blühen und zu welken in zielfreiem Spiel ohne Ende.

Wie man als Ich, das sich bewahren will, mit dieser Weisheit des Unbewußten im Rhythmus des Lebensreigens leben könne, ist eine immer offene Frage. Es ist die Aufgabe, die jeden Tag neu gelöst sein will, in einer immer anders erfühlten Gleichung zwischen dem Willen des Ich, das sich erhalten und sichern soll, und dem Rhythmus des Reigens, der gläubige Hingabe an seine immer andere Figur von uns fordert.

Das Unbewußte in uns, so bereit es allzeit ist, mit einem Wink uns in Gefahr zu leiten und zu retten, lacht lautlos über jede Formel, die es uns schenkt, über jede Erleuchtung aus seinem Dunkel, wenn wir sie an uns krampfen und meinen, nun hätten wir es, nun könne es uns nicht mehr fehlen, wir hätten den Schlüssel und dürften ihn nur unters Kissen tun und uns ruhig darauf schlafen legen, dem Wandelspiele rings draußen und seinem Alp entzogen. Es läßt uns gewähren, bis wir in dieser Verkrampfung steif und krank zum Sterben geworden sind, bis aus der Erleuchtung von einst unsere Dummheit von gestern und heut geworden ist. Denn ihm ist eine Weisheit wie die andre, gut zu ihrer Zeit, Wahn zu allen anderen, und was es einflüstert, raunt es für diesen Augenblick und keinen anderen zu, für diesen nächsten Schritt im Reigen. Was es uns so lehrt, sollen wir beherzigen, um es zu leben und darüber zu vergessen.

Das ist die totale Ironie, die über der Philosophie, sie überschattend, blitzt: zu meinen, man könne etwas ausmachen, das bleibe, verformelt dem Reigen enthoben; die Situation, aus der es entsprang und für die es gilt, schwindet unaufhaltsam dahin und kehrt so nie wieder im ewigen Verwandlungsspiel; dann steht die Erkenntnis von einst da: eine taube Formel, verdunkelte Hieroglyphe, an deren Sinn zu rätseln Danaidenmühsal ist, aber sie hat gar keinen mehr so, wie sie einst einen besaß. Wie sie die Situation erhellte, empfing sie Licht von ihr, die nicht mehr ist; nun ist sie nur mehr ein halbdunkler Hinweis auf einen verschütteten Sinngehalt, denn sie gilt nicht mehr so, wie sie gemeint war, in der verwandelten Figur des Reigens. Und was ist ein Sinn, der nicht mehr gilt? Freilich, er kann uns ein Gleichnis sein, ein Zeichen – und das genügt, aber nur wenn wir im Reigen schwingen. Sonst ist das flammende Meteor von einst, der erleuchtende Blitz, herabgefahren aus Himmelshöhen und aus dem Reigen wirkender Sterngestalten, ein kaltes dummes Stück Erz, das in den Lehm verzischte.

Frag nur und glaub, was du vernimmst – tu und vergiß es. Hältst du es aber fest, so ziehst du dir selbst damit die Grenze, in der du erstarren mußt, über die du stolperst und stürzest. Behaupte dich in deinem dir greifbaren Teile Lebens als dem Ganzen und Steten – das ist schon dein Weg, dir abzusterben. – Dschelal eddin Rûmi sang es, und Rückert sang es ihm nach:

Wer die Kraft des Reigens kennet, lebt in Gott,
Denn er weiß, wie Liebe töte.

Eben die Mythen und Märchen enthalten wie die Träume in ihren Gestalten und Vorgängen die vollkommene Möglichkeit, das Leben in seiner völligen Vieldeutigkeit mit schlagender Sinnfülle abzubilden. In ihnen kann jeder Vorgang und Gegenstand, alles was vorkommt, als Zeichen nicht bloß für das Verschiedenste, nein schlechthin für das Entgegengesetzte auftreten und es mit gleichem Recht bezeichnen, je nach dem Zusammenhang, darin es steht, nach seinem Ort in der Abfolge der Zeichen, nach seinem Stellenwert im Schwünge der Kurve. So ist es im Leben: offenbarer Erfolg kann faktisch den Bankerott verlarven: übertünchte Gräber, in denen Nattern und Skorpione hausen. Die offenbare Erniedrigung kann unter Umständen die einzig angemessene Form der Erhöhung sein, die vollständige Niederlage der vollkommenste Sieg. Beides trifft auf die Erhöhung Christi am Kreuze zu, und dieses Paradox ist über die Jahrtausende richtig gelesen worden, gerade als sinnreiches Paradox hat es seine erzieherische Gewalt über wechselnde Geschichtsräume und immer neue Geschlechter entfaltet.

Das unerkannte Vorübergehen kann das Siegel des »Gesandten« sein, das Zeichen der Berufung und der schicksalsvollen Sendung. So ist es von Hoffmannsthal im »Turm« gestaltet worden: »Gebet Zeugnis, ich war da, wenngleich mich niemand gekannt hat«, ist das letzte Wort des sterbenden Sigismund, der die sinnbildliche Figur des »notwendigen« Menschen ist, der in die Not einer Weltwende, sie zu wenden getreten ist bei seiner Geburt mit allen Zeichen der Ausgestoßenheit gezeichnet, die eben die Zeichen seiner Erwählung sind.

Verkanntsein kann das Siegel des Gesandten sein, aber auch die Feier eines großen, stillen Abschieds, vom Erleuchteten vollbewußt geschenkt, von Menschen und Göttern feierlich entgegengenommen: das Erlöschen des Buddha im Haine, zu dem die Erde erbebt und die Himmelsgärten ihre Blüten auf sie niederregnen, bei dem sieben Fürstenhäuser in ritterlichem Streit entbrennen um die Reste des Heiligen, um Knochen und Asche eines Scheiterhaufens – auch alles das ist das Siegel der Berufung.

Was jeweils was bedeutet im Leben, ist Geheimnis – kann aber offenbar werden. So auch in Mythos und Traum, es kann immer neu und bedeutender sich offenbaren. Denn alles was geschieht, ist Chiffre; es gilt, sie zu lesen. Wer den Gesamtsinn der fortlaufenden Chiffrenreihe seines Lebens erriete, den jede einzelne Chiffre der Reihe an ihrer Stelle jeweils in neuer Abwandlung entfaltet, in neuer Situation abwandelt, der begriffe den materialen Bestand und Ablauf seines Lebens und alles Lebens als sinndeutige Figur und wäre jenseits des Zufalls getreten.

Um alle Mythen und Träume bis auf ihren Grund zu verstehen, müßte man alles gewesen sein, in aller Natur und allem Schicksal drin gestanden sein – und irgendwie ist man das wohl auch, wo unser tieferes Unbewußtes alle mögliche Situation in sinnbildlicher Form in sich zu erinnern und zu bewegen vermag –, aber welches Bewußtsein darf dieses Erbe antreten und in sich verwalten. Die Tiefe wirft die Mythen und Träume aus, und unser Begreifen spielt in guter Stunde mit solcher Ausgeburt wie mit etwas Eigenem. Es käme darauf an, in Mythen und Träumen zu leben wie jener fabelhafte Landschaftsmaler, von dem die chinesische Kunstgeschichte berichtet, in seinem Gemälde. Der Kaiser schickte ihn in die ferne, neueroberte Provinz, daß er sie in Bildern für ihn aufnähme. Er reiste dort lange umher, kam aber schließlich ohne Bild und Skizze heim. Er ließ sich im Palast eine große leere Wand anweisen und malte darauf das ganze Land, das er durchwandert hatte. Der Kaiser kam, das Bild zu sehen, und war des höchsten Lobes voll, wie der Maler, einen Stab in der Hand, ihm die Landschaft im einzelnen erläuterte. Dann aber trat der Maler auf die Landschaft zu, wo ein kleiner Pfad aus ihrem Vordergrunde in den Raum zu münden schien, er betrat diesen Pfad und schritt in die Landschaft hinein, er wandelte tiefer in sie hinein, eine Biegung des Weges entzog ihn den Blicken – er verschwand, und zugleich verschwand die ganze Landschaft, die er gemalt hatte, und ließ die Wand so weiß und rein zurück, wie sie gewesen war.

 

Goldgewands frommer Sohn ist mit seiner gläubigen Hellsicht, die den Allgott in seiner Maske erschaut, das ideale Gegenbild zum ichverblendeten Vater, der sich selbst zum Allgötzen auf wirft; darum rückt sein Schicksal in den Mittelpunkt des Mythos, getragen von der Erbaulichkeit seiner Gestalt. Wie von der Vorsehung bestellt, wird er zum Stein des Anstoßes, an dem sein Vater zerschellt.

Als Goldgewand die Fülle seiner Macht entfaltet und lange Zeit genossen hatte, fragten Indra und die Götter in ihrer Ohnmacht den aller Lehren kundigen Brihaspati, der sich auf Anschläge wohl verstand: »Hoher Heiliger, sag uns geschwind, wie Goldgewand, der alle drei Welten an sich riß, zugrunde gehe? Wie wir ihn töten mögen?« Der weise Rat und Zauberpriester Indras gab ihnen zur Antwort: »Hört mein Wort, ihr Götter, um eure Stätten wiederzuerlangen: der große Dämon Goldgewand hat schon den größten Teil seiner Herrlichkeit verzehrt, aus dem Gange der Zeit und aus Vorzeichen ersehe ich seinen Untergang, und alle Weisen, wo immer sie weilen, werden unweigerlich sagen: ›Nicht lange mehr währt es, und der Dämon wird an euch zugrunde gehen‹, und verkünden höchste Fülle des Glücks für die Götter, daß sie ihre Sitze wiedererlangen. Die Vögel künden mir seinen Untergang – darum geht unverweilt zum jenseitigen Ufer des Milchmeeres, wo der Lockige Gott in Schlummer liegt, und preist ihn: alsbald wird er euch gnädig sein, und gnädig wird er euch künden, wie der Dämon getötet werden kann.«

So sprach er, und die Götter riefen: »Gut, gut!« und machten sich jubelnd auf den Weg. Der Mond stand günstig, und die Sonne trat in ein glückbringendes Zeichen des Tierkreises, der Heilige gab ihnen Heil und Segen auf die Reise und richtete ihnen glückliche Vorzeichen aus. Dann machten sie sich auf, zum Untergange des schlimmen Dämons und zum eigenen Aufstieg. Schiva schritt ihnen voran zum jenseitigen Ufer des Milchmeers. Als sie dort ankamen, priesen alle Götter Vischnu mit vielfältigen Preisstrophen und warteten ihm verehrend auf, der erhabene Schiva aber sammelte seinen Sinn in eine Spitze auf ihn und pries den erhabenen »Quäler der Menschen« aus all seiner Kraft mit seinen heiligen Namen. Er pries ihn mit allen göttlichen Namen, die es für ihn gibt, mit all seinen Taten und Wunderkräften, mit seinen Waffen und Reizen und allem Lichten und Gewaltigen, das an ihm ist. – Da gab sich Vischnu den Göttern leibhaft zu schauen und sprach zu ihnen: »Ihr habt mich mit der Vollzahl meiner glückverheißenden Namen gepriesen, ihr Götter, darum bin ich euch wohlgeneigt. Was soll ich für euch tun?«

Die Götter sagten: »Gott der Götter! Herr der Sinne, Lotosäugiger, du weißt es ja – warum fragst du uns?« – Der herrlich Erhabene sprach: »Alles weiß ich um euer Kommen, ihr Vernichter der Widergötter: auf daß ich Goldgewand den Untergang bringe, bin ich vom Friedebringer Schiva gepriesen worden. Mit meinen hundert heiligen Namen pries er mich – wer immer aber mich mit diesen Namen preist, die du Weiser ausgesprochen hast, verehrt mich immerdar so, wie du mich eben verehrt hast. Ich bin zufrieden und erfreut; kehr heim, du Gott, zu deinem strahlenden Gipfel des Kailasa! Wie du mich priesest, werde ich Goldgewand töten. Geht jetzt, ihr Götter, und wartet noch eine Weile, bis ihm ein weiser Sohn erwächst, Prahlada, ein gläubiger Verehrer meiner Größe. Wird der Dämon ihm Leid antun, dann werde ich den Dämon töten, den seine Wunschgaben schützen, daß Götter und Dämonen ihn nicht zu töten vermögen.«

Als Vischnu so zu ihnen sprach, neigten sich die Götter vor ihm und gingen von dannen. – Und irgendwann damals zog Goldgewand in die Wildnis hinaus, um in glühender Askese neue Kraft zu sammeln: da geriet von seiner Glut der Himmelsraum in Brand, und die Erde erbebte. Seine Verwandten, Gefolge und Freunde, die es gut mit ihm meinten, hielten ihn zurück: »Unheilverkündende Vögel haben sich gezeigt, o König, und diese Zeichen hier bedeuten nichts Gutes. Du bist Herrscher aller drei Welten, alle Götter sind besiegt, keine Gefahr droht dir – warum glühst du in Glut der Askese? Mit all unserm Scharfsinn finden wir keinen Zweck, denn nur wer unerfüllte Wünsche hat, weiht sich dem Wandel in asketischer Glut.« So wollten sie ihn zurückhalten, aber toll vom Rausche seiner Kraft ging er, nur von zwei oder dreien seiner Freunde begleitet, zum Gipfel des Kailasa in die Einsamkeit. Aber während er dort Glut glühte in schier unvollbringbarer Askese, entstand im lotosgeborenen Weltentfalter sorgendes Sinnen: Brahma bedachte sich: Was tu ich? Wie wird der Dämon von seiner Glut ablassen?

Indes er so unstät und von Sorge erfüllt war, trat einer seiner geistgeborenen Söhne, der Heilige Narada, aus seinem Leibe hervor, neigte sich vor ihm und sprach: »Warum quälst du dich, Vater? Deine höchste Zuflucht ist doch Vischnu, das Urwesen! Wer ihn in seinem Herzen trägt, braucht sich nicht zu betrüben. Ich will den glutglühenden Dämon dazu bringen, von seinem asketischen Glühen abzulassen; der urwesende Herr der Welt wird mir das Rechte dafür eingeben.«

So sprach er und verneigte sich vor seinem Vater, dann richtete er seinen Sinn auf Vischnu und ging, begleitet vom Heiligen Parvata, von dannen. Sie verwandelten sich in zwei Sperlinge und begaben sich zum Kailasa, wo der Dämon mit seinen Begleitern saß. Dort reinigte sich der Heilige durch ein Bad, schwang sich auf den Ast eines Baumes und sagte erhabenen Sinnes immer wieder mit tiefer Stimme, daß der Dämon es hören mußte: »Anbetung dem urwesenden Vischnu!« – Dreimal sprach Narada dieses Gebet und verstummte. Aufmerkend lauschte Goldgewand auf die Worte des Sperlings, da packte ihn Zorn, und er spannte seinen Bogen, legte einen Pfeil auf die Sehne, aber indes er ihn abschnellte, schwangen sich Narada und Parvata von ihrem Aste auf in die Luft. Zorn umfing da Goldgewand am ganzen Leibe, er verließ seine Einsiedelei und kehrte wieder in seinen Palast zurück.

Seine Gattin aber, Kayadhu mit den schönen Hüften, hatte die Zeit ihrer Unreinheit, danach nahm sie ein Bad und nahte sich dem Fürsten, und als sie in der Nacht mit ihm allein war, fragte sie ihn: »Herr, als du aus dem Hause in die Wildnis zogst, Glut in Askese zu häufen, sagtest du, ›zehntausend Herbste soll meine Glut währen‹ – warum hast du dein Gelübde fahren lassen? Aus Liebe frag' ich dich, sag' mir die Wahrheit, Herr!«

Goldgewand sprach: »Höre, du Feingliedrige, die Wahrheit, wie mein Gelübde zunichte ward, sie schafft mir maßlosen Zorn und mehrt die Freude der Götter. Als ich auf dem Gipfel des Kailasa im Haine ›Lust‹ weilte, waren da zwei Vögel, die sprachen zwei- und dreimal das Wort ›Anbetung dem urwesenden Vischnu!‹ – Davon wuchs in meinem Gemüt ein furchtbarer Zorn, ich legte einen Pfeil auf den Bogen, aber indes ich ihn entsandte, entflogen die beiden voll Furcht. Ich aber ließ meine Gelübde fahren und kehrte heim unterm Zwange kommenden Schicksals.« – So sprach er und ließ seine Kraft in den Schoß der Frau strömen. Da aber für sie gerade die Zeit der Empfängnis war, empfing sie einen Sohn, und wie die Frucht in ihrem Leibe reifte, ward daraus dank Naradas überirdischer Unterweisung ein gläubiger Anhänger Vischnus: Prahlada, von Geburt an Vischnu fromm geweiht, ward dem Dämon als Sohn geboren. Fleckenlos wuchs er im befleckten Geschlechte des Dämons auf. Als Kind mit seinem kleinen Leibe entfaltete er großen Wesens strahlend gläubige Hingabe an Vischnu. In Kinderspielen bei ausgelassenem Treiben mit anderen Kleinen sprach er, wenn ihr Gerede es nahelegte, den Namen Vischnus aus, denn sein Wesen war vom Gott erfüllt, und so klein er war, wollte er Wunderbares verrichten. So wuchs er auf in ständigem Gedenken an den Gott und nach seiner Unsterblichkeit verlangend.

Einmal sah der schlimme Dämonenfürst im Kreise seiner Frauen das Kind mit dem Lotosgesicht und den langgeschweiften Augen, wie es vom Hause des Lehrers kam; erfreut rief er sein Söhnlein herbei, hätschelte es und sprach: »Kind, deine Mutter rühmt ihren Sohn immer, er sei so gescheit, also sag' mir, was du alles im Hause des Lehrers gelernt hast; überlege, was Freude macht, und sag, was passend ist!« – Da sagte Jubel, der geborene Verehrer Vischnus, begeistert zu seinem Vater: »Ich neige mich anbetend vor Vischnu, der allen drei Welten verehrungswürdig ist, und will dir sagen ...« – Als er den Sohn seinen Feind preisen hörte, geriet der Schlimme im Kreis seiner Frauen in Zorn, aber um Jubel irrezuführen, tat er erfreut, lachte laut auf, umhalste ihn und sagte: »Kind, hör ein Wort, das dir frommt! Alle Wesen, die anbetend ›Rama! Govinda! Krischna! Vischnu! Madhava! Gatte der Schri!‹ rufen, sind meine Feinde. Aber sie sind von mir unterjocht – woher hast du dieses Wort vernommen?« – Jubel, klug und furchtlos, hörte den Vater an und sagte: »Verehrter, sprich nicht so! Wer den Spruch, der Allherrschaft verleiht und rechten Wandel und alle Lebensgüter mehrt, wer ›Krischna!‹ spricht, erlangt den Stand jenseits von Furcht und Gefahr, aber das Unheil, das aus der Schmähung Krischnas erwächst, ist ohne Ende; dein eigen Wesen zu heiligen, bewege immer die Anrufungen ›Rama! Madhava! Krischna!‹ in deinem Sinn! Auch meinem Lehrer sage ich das, denn es bringt höchstes Heil. Nimm deine Zuflucht zum Herrscher des Alls, der alle Sündenschuld zunichte macht.«

Da schalt der Götterfeind seinen Sohn in unverhohlenem Zorn: »Wer hat dem Kinde diesen weibischen Sinn eingegeben? Fluch und Weh über dich argen Sohn – mit welcher Schuld habe ich das verdient? Komm her, komm her, du Missetäter, Elender, gemeinster aller Menschen!« – damit blickte er sich nach dem Lehrer um und rief: »Grimme Dämonen grimmen Mutes sollen ihn fesseln und vor mich schleppen!« – Die Dämonen hörten sein Wort und brachten den Lehrer vor ihn; der Kluge sprach zum schlimmen König: »O Tod der Götter, bedenke: in spielendem Sieg errangst du mehr als einmal alle drei Welten, nicht im Zorn – willst du dich über meine Kleinigkeit erzürnen?« – Der Dämon vernahm den besänftigenden Spruch des Brahmanen und gab ihm zur Antwort: »Du Schuft lehrtest meinen kleinen Sohn Preislitaneien Vischnus aufsagen!« Sprach's und wandte sich begütigend zu seinem fleckenlosen Sohn: »Welche Blödheit haben bei dir, meinem eigenen Kinde, Brahmanen angerichtet, die es gewiß mit Vischnu halten – die Schelme! Halte dich von ihnen fern! Meide den Umgang mit Brahmanen, er bringt kein Glück. Sie haben die unserm Geschlechte eigene Majestät verdunkelt. Wem einer sich gesellt, des Art nimmt er an, wie ein Kristall die Farbe seiner Umgebung annimmt; drum soll ein Kluger zum Heile seines Geschlechts sich in der Herde von seinesgleichen halten. Meinem Sohne ziemt es, die Anhänger Vischnus zu meiden und zu vernichten; schämst du dich nicht, daß du selber Vischnu verehrst? Ich bin der Herrscher des Alls, du wardst mein Sohn – und verlangst nach einem anderen Beschützer? Höre, Kind, wie die Welt wirklich ist: Es gibt keinen geborenen Herrn der Welt, aber wer Held ist, erringt sich Glanz und Herrlichkeit und genießt sie, er ist Herr und großer Herrscher, er ist der Gott, dessen Blick alles regiert, wie ich, der alle drei Welten siegend gewann. Mach' dich von deiner Blödheit frei, zeig Heldensinn, wie er deinem Geschlechte ziemt. Sonst werden andere dich erschlagen und sprechen: ›Dieser Widergott, der die Götter preisend verehrt, ist wie ein Kater, der Mäuse, oder wie ein Löwe, der Schlangen verehrte – fürwahr das ist ein Zeichen, das auf nichts Gutes deutet.‹ Toren sind's, die eine große Macht erben und gedankenlos werden wie hier mein Sohn: selbst verehrungswürdig, verehrt er die Verehrenden, als wäre er selbst ein Geringer! – Du Narr, siehst meine Herrlichkeit und sprichst vor meinem Angesicht von Vischnu? Lächerlicher Schwindel ist es, Vischnu zu preisen, der sich nicht mit mir vergleichen läßt!«

So sprach der Herrscher zornig zu seinem Sohn, dann sah er den Lehrer schief an und sagte vor Zorn bebend zu ihm: »Fort, fort, du Vieh von einem Brahmanen, und lehre meinen Sohn!« – »Sei gnädig!« gab der Diener des schlimmen Königs ihm zur Antwort und ging nach Haus. Er wandte sich von Vischnu ab und folgte dem Dämon – was tut einer, der an seinem Wohlsein hängt, nicht, um sich zu fristen?

Schnell führten Dämonen den Sohn ihres Fürsten, dessen Zier seine Hingabe an Vischnu war, ins Haus seines Lehrers; dort lernte er alle Wissenszweige, und der Yogin ward darüber mit der Zeit zum Jüngling. Meist schießt bei den Menschen, wenn sie ins Jünglingsalter treten, Unglaube und schlechter Wandel auf; bei ihm aber fand sich Gleichgültigkeit gegen alles Äußere und ein Wunder von Hingabe an den ungeborenen Gott. Als er alle Wissenslehren vollkommen innehatte, ließ der Dämonenherrscher ihn einmal vor sich bringen und sprach zu Jubel, der sich vor ihm neigte: »Gut, du Götterzermalmer, daß du der Kindheit ledig bist, dieses Schatzes der Unwissenheit. Nun strahlst du wie die Sonne, wenn sie aus dem Nebel hervorgeht. Als wir selbst ein Kind waren, sind wir wie du von den Brahmanen zu Törigkeit verblödet worden, aber als unser jugendliches Alter zunahm, wurden wir gewitzigt, mein Sohn. Darum will ich jetzt auf dich wie auf ein Lasttier die dornenreiche Last meiner Herrschaft legen, die ich lang getragen habe, und will in Behagen deinem Glanze zuschauen. Wenn ein Vater Klugheit am Sohne bemerkt, wird er der Sorge ledig und genießt hohes Behagen. Dein Lehrer rühmte mir, du seiest ungewöhnlich klug; das wundert mich nicht zu hören – ich wünschte mir, es zu hören. In unseren Augen das Elend unserer Feinde, in unseren Ohren Preislieder unserer Sänger, auf unseren Leibern die Narben aus Schlachten sind ein hohes Fest uns Herren der Maya!«

Als der Yogin Jubel diese Worte des Dämonenherrschers voll gemeiner Klugheit vernahm, sprach er furchtlos, vor seinem Vater sich neigend: »Maharaja, Preislieder sind wahrlich ein hohes Fest für die Ohren, aber bedenke ich's recht, sind das nur Worte zu Vischnus Preis und keine anderen. Sprüche von rechtem Wandel und Weisheit, Geschichten, Dichter- und Seherworte soll man zu hören geben, in denen Vischnu gefeiert wird, der Dschungelbrand, der alle Leiden des Samsara verzehrt – solche, in denen der Unausdenkbare mit gläubiger Hingabe gepriesen wird, der gläubig Hingegebenen gewährt, was sie verlangen. Was nützt die hohe Kunst der Politik, lieber Vater, angesichts des Kreislaufs der Geburten, der sich fort und fort bewegt – was frommt es, sich mit der Lehre zu mühen, die nur das innerste Selbst ertötet? Wer sich Erlösung verlangt von den Leiden des Daseins, soll immerdar Worte, die von Vischnu künden, zu hören geben und pflegen, sonst wird er niemals glücklich sein.«

Als Goldgewand diese Worte vernahm, flammte er zornig auf, wie flüssige Butter von Wasser erhitzt; Jubels heilige Rede, die dem ziellosen Kreislauf der Wesen ein Ende setzt, ertrug er so wenig wie eine armselige Eule das Sonnenlicht. Er blickte um sich und sprach zornig zu seinem Gefolge: »Schlagt den Verlogenen mit grimmen Schwertstreichen! Schneidet ihn allerwärts, wo es ihn tödlich trifft, und Vischnu selbst mag ihn retten! Mag er jetzt sehen, welche Frucht ihm sein Preisen Vischnus trägt! Und teilt seinen Leib den Raben, Reihern und Geiern zum Fraße aus!«

Brüllend bedräuten die Dämonen mit geschwungenen Waffen den Liebling des Unerschütterlichen und schlugen ihn auf ihres Herrn Geheiß; aber Jubel neigte sich vor dem Herrn im Gebet und schuf sich rings ein Verhau, indem er sich in innere Schau des Gottes versenkte. Und der erhabene Vischnu, der seine Frommen von Leid befreit, beschirmte seinen Getreuen, der voll ungekünstelter Neigung zu ihm in unerschütterlicher Schau verharrte. Da fanden die Waffen der Dämonen keine Stätte an seinem Leibe, wie Blätter blauer Lotoskelche fielen sie zerschlissen nach allen Seiten – was vermögen weltliche Waffen gegen einen, der Vischnu lieb ist? Die Flut aller Leiden des Daseins mit ihrem ganzen Schwall bebt ja vor solch einem zurück, und Krankheiten, Dämonen und Unholde plagen die Menschen nur so lange, als ihr Sinn Vischnu nicht zu finden vermag, der übersinnlich fein in verborgener Höhle ruht. – Die Dämonen aber wurden von den Trümmern ihrer Waffen, die von allen Seiten auf sie zurückprallten, getroffen – so brachten sie ihnen alsbald Vergeltung – und kehrten sich ab; das kann Wissenden nicht seltsam dünken, nur Ahnungslose kann es verwundern.

Als der König die Kraft Vischnus gewahr ward, packte ihn Furcht, aber der Böse sann weiter darauf, wie er Jubel töte. Er rief große Giftschlangen herbei und befahl ihnen: »Dieser, der Vischnus Freude ist, soll sterben, aber nicht durchs Schwert; darum tötet ihr ihn geschwind mit eurer Waffe, dem Gift!« – Als die Schlangen Goldgewands Wort hörten, nahmen sie freudig sein Geheiß auf ihr Haupt und warfen sich zu Hunderten und Tausenden flugs voll Zorn mit ihren von flammenden Giftzähnen starrenden Rachen auf den Liebling Vischnus – denn sie dienen nicht Vischnus Gottheit, sie sind sich selber die Gottheit, der sie dienen. Aber durch sein stetes Gedenken an Vischnu war Jubels Leib unverwundbar; die Giftschlangen vermochten nicht einmal ein Stückchen Haut an ihm zu durchbeißen: sie bissen geradezu auf Vischnus Leib und bissen sich daran die Zähne aus. Ihre Körper wurden matt vor Blutverlust, mit zerbrochenen Zähnen kamen sie zu dem Dämonenfürsten und sprachen schnaufend mit wankenden Hauben: »Herr, wir wandeln Berge in Asche, aber wir sind ohnmächtig gegen diesen; wir verdienen den Tod, daß wir, bestellt, deinen gewaltigen Sohn zu töten, an ihm unsere Zähne eingebüßt haben.« So sprachen die Zweizüngigen grimmig und zogen, vom Gebieter entlassen, unverrichteter Dinge ab und grübelten sehr verwundert, woher Jubel diese Kraft käme.

Da besprach sich der Herrscher der Widergötter mit seinen Räten, und da er fand, sein Sohn sei durch Strafen nicht zu bezwingen, rief er ihn vor sich und sprach versöhnlich zu ihm, der fleckenlos-heiligen Sinnes sich vor ihm neigte: »Jubel, ich habe Erbarmen mit dir; du bist zwar schlimm, aber da du mein leiblicher Sohn bist, sollst du nicht sterben.«

Da kamen die Hauspriester des Dämonenkönigs eilig herbei; diese verblendeten Brahmanen sagten mit flehend aufgehobenen Händen: »König, alle drei Welten beben gewaltig, da du voll Leidenschaft bist. Jubel, der winzige, vermag dich in deiner Größe nicht zu erkennen, laß darum ab von deinem göttlichen Zorn und übe Erbarmen. Ein Sohn kann sich verfehlen, Vater und Mutter aber nie.« So sprachen die Dämonenpriester verschlagen und schlau zum Dämon und führten Jubel auf sein Geheiß ins Haus des Lehrers zurück.

Allwissend und reinen Sinnes am Unerschütterlichen hängend, lebte Jubel im Hause seines Lehrers, er war wie taub gegen alles äußere Geschehen, unablässig schaute er die Welt, wie sie aus dem unendlichen Gotte gebildet ist. Die Knaben, die mit ihm im Hause des Lehrers wohnten, kamen einmal, des Lernens müde, zusammen und fragten ihn: »Wunderbar ist dein Gebaren, Königssohn, daß du gar kein Verlangen nach den Freuden der Welt hegst. Irgend etwas bewegst du in deinem Herzen, und ohne Unterlaß überrieseln dich Freudenschauer – sag es uns, wenn es kein Geheimnis ist.« – Da gab er den Söhnen der Räte, weil er alle Welt wie seine Kinder liebte, zur Antwort: »Ihr Söhne der Götterfeinde, hört wohlmeinend, was ich auf eure Frage erwidere: Nichts anderes erfüllt mich. Diese Fülle des Lebens, die lockend strahlt mit Schätzen und Menschen und dem Spiel schöner Frauen – prüft sie wohl: ob Kluge sich ihr ergeben sollen oder schnell weit fort von ihr fliehen! Erwägt als erstes, wieviel Leiden die Wesen im Mutterleibe erdulden, wenn sie, von seiner Hitze geplagt, mit ganz verkrümmten Leibern vielerlei früherer Leben gedenken. Wie ein Sklave im Gefängnis war ich von der Eihaut gefesselt im Hause von Kot, Würmern und Harn. Verwünschung scheint es mir, daß man im Mutterleibe nicht ein einzig Mal der Lotosfüße Vischnus gedenkt; darum gibt es kein Glück, solang man im Mutterleibe ruht, nicht in der Kindheit, noch in Jugend und Alter. So ist das Leben aus Leiden gemacht; wie sollte ihm ergeben bleiben, wer ein Erwachter ist? Wie Wild in diesem Dasein umhergejagt, gewahren wir nicht den Fetzen eines Stück Glücks, und je richtiger wir es zergliedern, desto ärger finden wir es. Darum fliegen die Wahren nicht auf dieses Leben, das so lieblich anzuschauen und eine Schatzgrube von Leiden ist; vielmehr die groben Toren, die von der Wirklichkeit nichts wissen, fliegen darauf, wie Insekten in eine Flamme, die schön anzusehen ist. Wenn nichts anderes da wäre, wo das Glück zu suchen bliebe, dann ginge es an, auf diesen Schein von Glück zu fliegen; wenn Hungernde keinen Reis bekommen, versteht es sich, daß sie Reishülsen und die Ölkuchen ausgemahlener Früchte essen. Aber es gibt das Ungeborene, Uranfängliche, Grenzenlose, und wer die beiden Lotosfüße des Gemahls der Schri verehrt, kann es erlangen. Wer unverfangen in Welt und Ich dies hohe Glück, das sich erlangen läßt, preisgibt und nach anderem Glück verlangt, gleicht einem, der seine Königsherrlichkeit aus der Hand gibt, um kläglichen Sinnes, ein arger Tor, als Bettler wandernd seinen Unterhalt zu suchen. Die beiden Lotosfüße des Herrn der Schri verehrt man nicht durch kostbare Stoffe und Schätze oder durch Mühsal; nichts anderes als ihn im Gemüte hegend, preist man ihn mit dem Rufen seiner Namen ›Lockiger! Madhava!‹ Erkennt das Leben: es ist aus Leiden gemacht, und weiht euch Vischnu; so mag der Mensch erreichen, daß seine Geburt ihm Frucht trage, sonst aber stürzt er tief und tiefer ins Meer des Daseins. Darum trag' ich inmitten dieses Daseins den unendlichen verehrungswürdigen Gott, der Muschelhorn, Wurfring und Keule hält, gedenkend in meinem Herzen; durch den Yoga gläubiger Hingabe an ihn bin ich aller Weltwünsche bar, und aus Erbarmen mit eurer Ungläubigkeit sage ich euch, im Meer des Daseins stehend, dies Geheimnis; denn zu allen Wesen soll man Freund sein, Vischnu lebt ja in allem und jedem.«

Die argen Dämonensöhne sprachen: »Jubel, du Kluger, da wir unmündige Kinder sind, finden du und wir keinen besseren Lehrer und Freund als den unseren; wo hast du das gelernt? Sag uns die ausgeschälte Wahrheit.« – Jubel antwortete: »Als mein Vater in die Wildnis ging, um Glut in Askese zu sammeln, kam Indra und belagerte seine Stadt, er meinte, Goldgewand sei tot. Er raubte meine Mutter und zog vom Feuer des Liebesgottes entflammt mit ihr davon. Aber als er unterwegs war, bemerkte Narada göttlich alldurchdringenden Blicks, daß meine Mutter mich im Leibe trug; er kam und rief Indra an: ›Verblendeter, gib die gattentreue Frau frei! Das Kind in ihrem Leibe ist der frömmste aller Vischnuverehrer!‹ – Als Indra Naradas Rede vernahm, fiel er meiner Mutter zu Füßen und ließ sie aus Verehrung für Vischnu frei und ging heim an seine Stätte. Der fromme Narada aber führte meine Mutter in seine Einsiedelei und lehrte sie, was ich euch gelehrt habe um meinetwillen; ich aber vergaß es nicht, auch nicht unter der Gewohnheit kindlicher Jahre, dank Vischnus Gnade und weil es Narada war, der mich belehrte.«

Eines Nachts streifte der Dämonenherrscher vermummt als sein eigener Späher durch seine Hauptstadt, da hörte er Vischnu preissingen »Heil Rama!« und begriff, dahinter stecke sein Sohn. Blind vor Zorn rief er seine Priester: »Ho ho, ihr elenden Brahmanen, ihr Klugen, seid ihr toll geworden? Jubel spricht Lügenworte und lehrt sie andere nachsagen.« So schalt der König die Brahmanen und kehrt wutschnaufend in seinen Palast. Keinen Augenblick wandte er seinen Sinn von der Tötung des Sohnes ab, die ihm selbst den Tod bringen sollte. Dem Tode nahe, erwog er einsam und erbarmungslos, wie er die Untat täte. Er rief die Dämonen zu sich und wies sie im geheimen an: »Fesselt den bösen Jubel diese Nacht, wenn er im Schlafe liegt, mit starken Schlangenbanden und werft ihn mitten in den Ozean!«

Sie nahmen sein Geheiß auf ihr Haupt und gingen zu Jubel; sie fanden ihn, der die Stille der Nacht liebte, in Sammlung versenkt: wach glich er einem Schlafenden. Die Unholde der Nacht fesselten ihn, der Leidenschaft und Verlangen und alle anderen starken Fesseln des Lebens zerschnitten hatte, mit ohnmächtigen Schlangenstricken – die Toren banden mit Schlangen den Verehrer Vischnus, der doch selbst den Garuda im Banner führt, den fressenden Todfeind aller Schlangen. Sie schleppten den Liebling des Gottes, des Lager der Ozean ist, zum Ozean und warfen ihn hinein. Die starken Dämonen häuften Berge auf ihn und brachten ihrem Könige schnell die erwünschte Botschaft, und er belohnte sie dafür.

Jubel lag auf dem Grunde des Meeres, aber die großen Meerungeheuer wichen scheu vor ihm zurück, der mit Vischnus Strahlenglanz flammte, als wäre er ein unterseeischer Vulkan: noch einmal das Zornfeuer des Heiligen Aurva, das einst alle Welt zu verzehren drohte und darum in die Tiefe des Weltmeers versenkt ward. – Inmitten eines Meeres ununterbrochener reiner Seligkeit des Geistes ward Jubel, in sich gesammelt, nicht gewahr, daß er gefesselt inmitten des Salzmeers lag. Als der Heilige so in sich selber, in einem Ozean todentrückter Flut des Brahman schwamm, geriet der Ozean in Aufregung, als sei ein zweiter Ozean in ihn hineingetreten: Wogen auf Wogen trugen Jubel, als sollten sie Makel auf Makel abstoßen, ans Ufer des Meers – sie waren wie heilige Worte des Meeres. Der erhabene Ozean trug Jubel, der in innerer Schau Vischnu geworden war, an sein Gestade und kam selbst mit Juwelen als Gaben, um ihn zu sehen. Indes nahte auf Vischnus Geheiß der schlangenfressende Garuda und fraß Jubels Fesseln und ging wieder fort.

Als die Frühe tagte, neigte sich der Ozean mit seiner göttlichen Gestalt vor Vischnus Liebling, der in Sammlung versenkt war, und sprach mit tiefem Schalle: »Heiliger, vischnugläubiger Jubel, ich bin das Weltmeer; schau mich an mit deinen Augen und heilige mich, der dir bittend naht!« – Als Vischnus Liebling die Stimme des Ozeans vernahm, schlug er plötzlich die Augen auf und sagte: »Wann bist du gekommen, Erhabener?« – Da antwortete ihm der Ozean: »Yogin, du weißt nicht, was mit dir geschehen ist, was dir die Widergötter angetan haben. Sie haben dich mit Schlangen gefesselt und in mich geworfen, da habe ich dich schnell ans Ufer getragen, und der große Garuda hat die Schlangen aufgefressen. Heiliger, sei mir gnädig, der deine reine Nähe sucht, und nimm diese Juwelen von mir an, denn du bist mir so verehrungswürdig wie Vischnu selbst. Kannst du sie aber nicht gebrauchen, so gebe ich sie dir doch; du Frommer wirst sie dem Sonnengott als Lampen weihen: in furchtbaren Nöten bist du von Vischnu selbst gerettet worden, solche hohen Reinen wie du sind so selten wie die Sonne. Wozu viele Worte? Ich bin am Ziel meiner Wünsche: daß ich hier bei dir sein und einen Augenblick lang zu dir reden darf – konnte mein Dasein mir edlere Frucht tragen?«

Als der Ozean ihn mit solchen Worten pries, wie sie Vischnu selbst gebührt hätten, ward Jubel von Scham und Freude überwältigt. Er nahm die Juwelen und sprach liebevoll zum Ozean: »Du hohes Wesen, auf dir ruht der Herr schlummernd in vollkommenem Glück; wenn die Weltzeit endet, schlingt er, der die Welt ist, alle Welt in sich ein und, zum alleinen Meer geworden, schläft er auf dir, du großes Wesen. Ozean! Mit meinen beiden Augen möchte ich den Herrn der Welt schauen, du Begnadeter schaust ihn allezeit, verhilf du mir dazu!« So sprach er und neigte sich zu den Füßen des Ozeans. Der aber hob ihn schnell auf und sagte: »Du Fürst der Yogin schaust ihn allezeit in deinem Herzen; willst du ihn jetzt mit deinen Augen sehen, so preise ihn, der seine Frommen wie seine Kinder liebt.« So sprach der Ozean und trat in seine eigene Flut zurück. Als er gegangen war, blieb der Dämonensohn einsam in der Nacht zurück, aber er glaubte nicht, es könne Wirklichkeit werden, daß er den Gott mit seinen Augen erschaute.

Jubel sprach: »Feuerflammen der Weltentsagung bedarf es, die angefacht werden vom Wind aus hundert Sprüchen letzter Vedaweisheit, sie müssen rings das Gemüt ausglühen und es völlig reinigen, daß es reif werde, den Hohen zu schauen – wie käme er je in meinen Gesichtskreis? Mein Sinn ist blind und ganz in Fesseln geschlagen von diesen sechs Starken und Schlimmen: Ichsucht, Zorn und Lust, Gier, Torheit und Hochmut; immer wieder verfalle ich ihnen – wo bin ich, daß Vischnu zu mir käme? Nur mühsam gelingt es Brahma und den Göttern, ihn zu schauen, wenn sie in ihren Nöten nach seiner Hilfe verlangend ans Ufer des Milchmeers ziehen und ihn mit den höchsten Preisstrophen feiern – was erwarte ich mir da?« So dünkte er sich unfähig, den Herrn zu schauen, und entmutigt, daß ihm sein Anblick versagt sei, ertrank sein Geist in einem Meer von Schmerz und Kummer; Tränenströme entstürzten ihm, und er sank ohnmächtig zu Boden.

Aber im selben Augenblick offenbarte sich der Ozean des Erbarmens: der allgegenwärtige vierarmige Gott mit glückverheißender Gestalt, der seine Frommen unvergleichlich liebt, umschlang den Betrübten mit seinen Nektararmen. Als er seinen Leib berührte, erlangte Jubel die Besinnung wieder, er tat die Augen auf und erschaute ihn jählings: sein Gesicht voll heiterer Gnade, die langgeschweiften Lotosaugen, die langen Heldenarme, den Leib dunkelblau wie die Wasser der Yamunâ – den Unermeßlichen, aus erhabenem Strahlenglanz gebildet, im Schmuck seiner Zeichen Keule, Wurfrad, Muschelhorn und Lotos. Er sah den Herrn, der ihn umschlungen hielt, und erbebte vor Wundern, Furcht und Entzücken. »Das ist ein Traum«, dachte er, »im Traume schaue ich Vischnu und bin am Ziele meines Sehnens.« Damit ertrank sein Geist in einem Meer von Entzücken, und abermals erstarrte er vor Beseligung in Ohnmacht. Da setzte sich der Herr auf die Erde, der unvergleichliche Freund der Seinen nahm Jubel auf seinen Schoß, fächelte ihm sanft mit der zweigschlanken Hand, rührte ihn immer wieder an und umschlang ihn wie eine Mutter. Da tat Jubel endlich die Augen auf: Angesicht zu Angesicht, und blickte den Herrn der Welt staunenden Sinnes an. Lange betrachtete er ihn andächtig, dann ward er inne, daß er auf dem Schoße des Gottes saß, jäh sprang er auf voll Angst und Bestürzung und warf sich zu Boden, um sich vor ihm zu neigen, und er sagte nur immer wieder: »Sei mir gnädig!« Dem Vielwissenden fiel vor Bestürzung kein anderes Wort der Verehrung ein.

Aber der Herr, der Keule, Muschel und Wurfrad trägt, hob ihn mit der Gebärde »Fürchte dich nicht« vom Boden auf; der Ozean des Erbarmens stellte Jubel auf seine Füße, unter der Berührung seiner Lotoshand zitterte er und vergoß Tränen der Seligkeit. Und ihn noch mehr beseligend sprach der Herr beruhigend zu ihm: »Laß ab von deiner Verwirrung und Angst, mein Kind, die deiner Ehrfurcht entspringen; du bist mir der liebste meiner Frommen, sei voll selbstvertrauender Hingabe zu mir! Mir sind immer alle meine Wünsche erfüllt, und ich habe viele Naturen, um meinen Frommen alles zu schenken, was sie sich wünschen, darum sag: Was ist dir lieb?« Da neigte sich Jubel mit zusammengelegten Händen vor Vischnu und sagte, indes er unersättlich mit weitaufgeblühten Augen sein Antlitz betrachtete: »Jetzt ist doch keine Zeit, eine Gabe zu gewähren; sei mir gnädig, mein innerstes Selbst vermag sich nicht am Nektargeschmack deines Anblicks zu sättigen. Ich schaue dich, Herr, den Brahma und alle Götter nicht leicht zu sehen bekommen; da wird mein Gemüt nicht satt, auch nicht in hundert Myriaden Weltaltern! So ist es doch nicht: denn wer dich schauen durfte und sich an deinem Anblick gesättigt hat – was wünscht der sich noch?«

Da erfüllte der Herr der Welt ihn zärtlich und immer zärtlicher mit Nektarströmen seines Lächelns, gab ihm das Glück der Erlösung zu kosten und sprach: »Kind, das ist wahr, nichts anderes als mein Anblick ist dir lieb. Aber ich möchte dir etwas schenken, wünsche es dir mir zulieb.« – Da sagte der hellsichtige Jubel: »Gott, laß mich auch in anderen Leben dein Sklave sein, so wie der Garuda hingebungsvoll dir dient.« – Da gab ihm der Herr zur Antwort: »Ungangbares tatest du: ich wünschte, selbst dir etwas zu schenken; du aber wünschest, mir Diener zu sein. Wähle dir andere Gaben, du kluger Sohn des Dämonenherrschers!« – Jubel aber sagte wieder zu Hari, der seinen Gläubigen ihre Wünsche erfüllt: »Sei mir gnädig, Herr, aber so soll meine gläubige Hingabe zu dir sein: voll lauterer Klarheit und Beständigkeit, in ihr will ich allezeit mich vor dir neigen und vor dir tanzen!«

Da sprach der Erhabene erfreut und zufrieden zum Liebes Redenden das liebe Wort: »Kind, was immer du dir wünschest, sei dein! Sei glücklich! Und wenn ich jetzt von dir hier entschwunden bin, betrübe dich nicht, du Hochgemuter – aus deinem Gemüt werde ich nicht entweichen, sowenig ich vom Milchmeer, das mir vor vielem lieb ist, weiche. In zwei oder drei Tagen wirst du mich wiedersehen, wenn ich komme, den Unhold zu töten: um den Bösen zu schrecken in einer Gestalt, wie sie zuvor noch nie offenbart worden ist, halb Mann halb Löwe.«

So sprach der Herr, und indes Jubel sich vor ihm neigte und in unstillbarem Sehnen ihn mit den Augen verschlang und nicht satt ward, entschwand er kraft seiner Maya. Als Jubel ihn wider Willen nirgends mehr erblicken konnte, weinte er laut auf, von Tränen überschwemmt, und pries ihn lange.

Als er dann rings Geräusche der wieder erwachten Menschen um sich vernahm, erhob er sich vom Gestade des Meers und machte sich auf in die Stadt. Kraft seines Erinnerns schaute er lange Zeit überall nur ihn; Hari in allem, was da war, vollkommen schauend langte er, von beseligenden Schauern überrieselt, mählich beim Hause seines Lehrers an.

Als die Dämonen Jubel kommen sahen, staunten sie sehr und meldeten es ihrem Herrn; Goldgewand vernahm, daß, der ins große Meer geworfen ward, wohlbehalten wiedergekehrt sei, und verwunderte sich sehr. »Ruft ihn her!« sagte er; sein Zorn gab ihn in die Gewalt des Todes. Die Dämonen schleppten Jubel heran, und gotthaft-alldurchdringenden Blicks sah er den Dämonenkönig vom nahen Tode gezeichnet, wie er in seinem Herrscherprunke thronte: sein leuchtender Schmuck verschwand in rubinrotem Glühen, in das sich blauschwarze Strahlen mengten; wie eine von Qualm verwölkte Flamme saß er auf seinem hochragenden Throne wie auf einem Scheiterhaufen, und seine Dämonen mit grimmen Hauern und wolkendunklen Leibern umringten ihn wie Höllenschergen des Todesgottes, ihm den Weg in den Abgrund zu weisen.

Von fern verneigte er sich vor dem Vater und erhob die hohl aneinandergelegten Hände, aber der Schlimme, ohne Anlaß erzürnt, schalt laut den Sohn, den Liebling des Erhabenen – es war, als dränge er sich in den Tod –: »Du Narr, vernimm mein Wort: es ist mein letztes und gilt unerschütterlich, danach werde ich nicht mehr zu dir reden, vernimm es und tu wie dir gefällt!« Sprach's und riß sein wunderbares Schwert »Lachen des Mondes« aus der Scheide, und voll jähen Erschreckens starrten alle ihn an, indes er fortfuhr: »Und wo ist dein Vischnu, du Narr? Der mag dich jetzt retten! Du sagst ja, er sei überall, warum erscheint er nicht in dieser Säule? Wenn ich diesen Vischnu jetzt in dieser Säule innen erblicke, will ich dich nicht töten, sonst wirst du in zwei Stücke gehauen!«

Jubel aber blickte »Ja!« und richtete seine Schau auf den Höchsten Herrn, er gedachte an seine Worte und neigte sich vor ihm und hob zu ihm die hohlen Hände. Da sah er ihn: die Säule splitterte, und er barst aus ihr hervor. Es war eine Säule von Eisen, die als Spiegel für den Dämon dastand: in ihrem Innern erschien eine Gestalt, viele Meilen groß, furchtbar, riesigen Leibes, schreckerregend für die Dämonen. Augen und Mund, Zähne und Arme waren gewaltig, gewaltig waren die Pranken und Füße, das Gesicht flammte wie Feuer des Weltuntergangs, der fürchterliche Rachen war bis zu den Ohren aufgerissen. Solche Löwenmannsgestalt schuf sich Vischnu, der mit drei Schritten den Weltraum durchmißt.

Da trat der Löwenmann aus der Säule hervor und stieß sein Brüllen aus. Als die Dämonen es vernahmen, umringten sie ihn; er aber erschlug sie alle, ausschreitend mit seiner Heldenkraft, und zerbrach die herrliche Halle Goldgewands. Da traten große Krieger dem Löwenmann entgegen und hielten ihn auf, aber er erschlug sie in einem Nu. Da regneten sie Waffen auf den Kraftstrahlenden. Der Erhabene aber in seiner Kraft erschlug diese Streitmacht in einem Augenblick, er brüllte sein großes Brüllen und erfüllte alle Welträume mit seinem Schall. Da schickte Goldgewand achtundachtzigtausend Bewaffnete aus, sie nahten sich dem Gott und schlossen ihn von allen Seiten ein – da zerschlug er abermals die strahlende Halle Goldgewands. Als der große Widergott gewahrte, daß seine Scharen getötet waren, entsandte er andere, aber sie alle erschlug der Löwenmann im Kampfe, und kämpfend brüllte er. Als Goldgewand gewahr ward, daß auch sie erschlagen waren, trat der Starke mit zornroten Augen hervor und sprach zu den kraftprahlenden Dämonen: »Tötet ihn, tötet ihn! Packt ihn, packt ihn!« – Aber vor seinen Augen, indes er so sprach, erschlug der Löwenmann die kämpfenden großen Widergötter in der Schlacht und brüllte dazu; da stob, was von ihnen übrigblieb, nach allen Windrichtungen auseinander.

Indes die kämpfenden Dämonen zu Myriaden und Tausenden vom Löwenmann erschlagen wurden, ging die Sonne zur Rüste, da packte der starke Löwenmann Goldgewand, der Regen von Geschossen und Waffen auf ihn zu schütten wußte, geschwind mit großer Macht: im Augenblick der Dämmerung stand er auf der Schwelle des Hauses und warf seinen Feind quer über die eigenen Schenkel und zerriß mit seinen Krallen seine demantharte Brust, als wär's ein zarter Blütenschoß. Da rief der Widergott: »Meine Brust, an der unzerbrechliche Keulenzähne von Elefanten in Schlachten zersplitterten, an der die Schneide der Axt des bogengewaltigen Schiva stumpf ward, zerreißt jetzt der Löwenmann mit seinen Klauen – wenn das Schicksal seine Tücke offenbart, mag ein Grashalm verspotten, was übermächtig war!«

Indes der Dämonenkönig so sprach, riß der Löwenmann sein Herz entzwei wie ein Vogel ein Lotosblatt. Die beiden Stücke verschwanden in den Spalten unter den Nägeln seiner Klauen, da ward der Gott sehr verwundert: »Wo ist der Schlimme hingeworden?« – Er blickte rings umher, »umsonst geschah meine Tat«, so dachte der gewaltige Löwenmann. Er reckte beide Pranken hoch in die Luft und schüttelte sie: da fielen die beiden Stücke aus den Nägelspalten zur Erde nieder und waren wie Körner Staubes. Als er das sah, lachte der Höchste Herr in großem Grimme. Und die Götter regneten einen Blumenregen auf das Haupt des Löwenmannes und kamen alle samt Brahma freudig herzu. Sie brachten dem Löwenmann als höchstem Herrn ihre Verehrung dar, und Brahma weihte Jubel zum Könige der Dämonen. Alle Wesen wurden von Liebe zum rechten Wandel erfüllt, und Indra ward mit allen Göttern von Vischnu wieder im Himmel eingesetzt, und als Löwenmann ward der Erhabene zum Heile aller Welt auf dem Gipfel des Kailasa von den Göttern verehrt.

Im wunderbaren Schicksal Jubels triumphiert gottselige Hingabe an das Allwesen (bhakti) über Gefahr und Bedrohung ohne Maß; die mildere Luft jüngerer Heiligenleben bricht in den Raum des frühen Weltalters, wo heißer Blutrausch des tierverlarvten Gottes der unmenschlichen Kälte des Dämonischen den Garaus macht. Fromme Demut und titanische Überhebung, die Geister verschiedener Weltalter prallen aufeinander, und die jüngere Gebärde richtet die frühere. Jubels Rede, daß »Leben aus Leiden gemacht« sei, seine wunschlose Askese, die im Anschauen des Gottes schwimmt und Ich und Welt zerlösen möchte, setzt sich gegen die glühende Selbstqual dämonischer Ichbesessenheit, die sich Weltlust asketisch versagt, um sie desto unbegrenzter zu erringen und alle Welt mit der geballten Glut ihrer Allmacht zu quälen. In Jubels Losung »Freundschaft mit allen Wesen« gewinnt das weltverbundene Eingeschmolzensein des Gläubigen in den Allgott zum ersten Male mythische Sprache; Jubel ist das mythisch frühe Vorbild aller heilig Gott-Hingegebenen, aller Pilger, Sänger und Tänzer vor Gottes Antlitz, deren indische Heiligengeschichte gedenkt. Er schlägt, als jüngere Generation des Dämonischen, eine Brücke zum Menschlichen und deutet vorauf in die Stunde des Weltentags, wo das Göttliche sich in menschliche Gestalt verlarven wird; Jubels Gestalt bedeutet die einsam gotterleuchtete Vorwegnahme eines menschlichen Ideals ichloser Hingegebenheit, das für die dämonische Selbstbesessenheit titanischer Frühzeit noch unterm Horizonte liegt.

Im Besitz seiner heißerrungenen Wahlgabe treibt der Dämon die Götter aus ihren Ämtern und Würden, richtet sein Weltregiment auf, heißt alle Wesen ihn als einzigen Herrn vergötzen und zwingt mit seiner allerfüllenden Widerordnung die Geschöpfe, denen die göttliche Ordnung geraubt ist, zum Bösen. Seine lang gesammelte Kraft entfaltet sich als prahlende Tyrannei, und die ohnmächtigen Götter warten im Verborgenen, daß sie sich schließlich im Spiel der Willkür erschöpfe, wie jenes Einsiedels Kandu gottähnliche Kraft in maßlosem Genusse. Der überweltlich ruhende Gott verheißt ihnen Befreiung vom Alp des Dämons – indes fühlt Goldgewand selbst, daß seine Herrlichkeit in ihren Nachmittag getreten ist, und geht, sie neu zu stärken, in die Einsamkeit. Aber es läßt sich nichts wiederholen; das Rad der Zeit, den Schwung des Reigens, die nicht zu halten sind, schwingt keine Hand zurück: Vorzeichen haben schon gesprochen, und nun genügt ein Nichts, um den aus seiner Bahn zu schleudern, der vormals unaufhaltsam einherzog.

Die ganze Welt muß den Tyrannen vergötzen, ihn als All und Einzigen verehren; aber insgeheim beraten die entrechteten Mächte des Alls die Stunde der Erlösung, insgeheim fühlt er selbst die Endlichkeit seiner Allmacht, und indes er verbissen sie festzuhalten sucht im unaufhaltsamen Flusse der Zeit, pfeift es ein Spatz vom Baume, daß es mit seiner Herrlichkeit nicht so weit her ist, als er sich selbst und allen anderen in dämonischer Verkrampfung einreden möchte. Ein Vögelein zwitschert, daß alles ganz anders ist: das Allwesen allein ist anbetungswürdig – von Goldgewand, der sich als Götze statt der Götter Verehrung anmaßt, ist im Gezwitscher dieses Kleinsten nicht die Rede.

Das setzt den Dämon in solche Wut, daß er das erste Erfordernis kraftstauender Askese: Seelenruhe, die sich an keine Regung verschwendet, fahren läßt. Von Wut überwältigt zerbricht er seine Sammlung durch den Griff nach dem Bogen, bricht seine Übung ab und stürzt nach Haus. Sich selber ganz entstürzend verschäumt er seine Kraft in den Schoß der Frau. Der Sohn, der ihm geboren wird, heißt »Jubel«, aber er bringt seinem Vater keine Freude. Von klein auf ist er ganz gläubige Verehrung Vischnus und bekennt sie allerwegen. Der Vater verwarnt ihn, straft ihn für diese Lästerung der eigenen Größe, schließlich heißt er ihn im Meer ertränken, aber ehrfürchtig bettet die Flut den gefesselten Knaben ans Ufer – wie könnte sie ihn verschlingen, den sein Glaube entrückend im Allgott birgt.

Die Rechnung auf Allmacht und Alldauer hat ein Loch: der Sohn vom Vater ersehen, als sein anderes Ich seine Gebärde in die Zukunft zu tragen, verweigert's von Geburt an. Die ungleichen Söhne sind die ironische Schicksalsklippe der tyrannischen Väter, an der ihr selbstbesessenes Planen zerschellt. Was der Vater aus sich und seiner Welt verdrängt, die Anerkennung eines anderen, das seinen Anspruch, All zu sein, beschränkt, tritt ihm in diesem anderen Ich naturhaft entgegen und verhöhnt ihn arglos aus den Zügen, in denen er verjüngt sich selber lesen möchte, nur sich selber – aber alles an ihnen ist verstellt: aus kindlichem Aug und Mund mit verheißendem Schein der Gleichheit bricht völliger Verrat in aller Unschuld. Im Wechsel des Lebensfadens, den die Zeit von Vätern zu Söhnen stückelnd aneinanderknüpft, verhöhnt sie selbst die Dauer, die sie schenkt, es ist ihre eigene, nicht die Dauer der Geschöpfe, und ihre Form ist Wechsel, wie alles Spiel der Zeit, und narrt das ihr preisgegebene Geschöpf, das Dauer für sein Ich ertrotzen will.

So hilft dem Dämon kein Gelöbnis des Weltgeists, daß keine Gefahr, die er nennen kann, ihn bedrohen mag; seine Wut, die seine Schwäche, seine unbewußte Ohnmacht hinter selbstverkrampftem Kraftgefühl verrät, beschwört ihm selbst das Ungeheure herauf, das ihn vernichtet. Im wohlbewachten Palast, den keiner unversehens betritt, ruft er, im Gericht über den Sohn, den allgegenwärtigen Überwinder sich selber zum Gericht in den Spiegel der Säule, die gewohnt ist, seine eigene Hoheit zu spiegeln. »Nicht drinnen, noch draußen«, so bedang er sich's aus, sollte er seinem Feinde erliegen, darum reißt ihn der Löwenmann auf die Schwelle seines Palastes, um ihm den Garaus zu machen; er legt ihn sich quer über die Schenkel – hatte sich der Dämon vielleicht auch ausbedungen, daß er nicht am Boden noch in Lüften sterben dürfe? So wurden die Schenkel des Gottungeheuers seine Schlachtbank, dieselben Schenkel, zwischen denen Vischnu vormals Madhu und Kaitabha zerrieb, als die beiden, töricht wie Goldgewand, sich auch gesichert wähnten mit der Bedingung, nur dort sterben zu dürfen, wo noch keiner gestorben sei, und dabei nur an die ganze Welt ringsum gedacht hatten, die freilich an jeder Stelle ihrer Weite nichts anderes ist als ein ständiges Sichverschlingen von Leben und Vergehen.

So sicher wähnt sich auch Macbeth, als die Zeichen längst gegen ihn sind und viele Verheißung der Hexen ihn trog, als der Birnamwald schon aufgestanden ist wider seine Burg, und die Kraft, die ihn ratend und befeuernd trieb, seine »schakti« Lady Macbeth, sich selbst geendet hat – er wähnt noch, er könne nicht fallen, auch nicht von Macduffs rächender Hand:

»Denn keiner, den ein Weib gebar,
Bringt Macbeth je Gefahr«,

– aber Macduff ward nicht aus seiner Mutter Leib geboren, er ward vor der Zeit aus ihr geschnitten, und Macbeths Sicherheit ist ein Wahn.

Der Versuch des Einzelnen, Begrenzten, seine Willkür zur Herrschaft des Ganzen zu machen, seine Vergänglichkeit eigenständige Dauer anzumaßen, indeß was als Geschöpf im Lotoskelch der Welt lebt, an der Nabelschnur des Lotosstengels hängt, ist »widergöttlich«: dämonisch. Die Welt als Ganzes ist nicht abgenabelt von Gott, und wenn ein Geschöpf, im Mutterleib des Gottes befangen, sich gegen den Allumfangenden, wie Jubel ihn erschaute, empört und wähnt, ihn auslöschen zu können, aus dem es sich nährt – muß es in Wut und Wahnsinn enden.

Die Gabe der Allmacht in endlichen Händen zwingt, wen ihr Fluch befiel, selber das Wort zu sprechen, das ihn vom Zauber aller Wunscherfüllung erlöst; Tod und Hölle müssen ihm schließlich Befreiung dünken von dieser Verzauberung, dieser Gefangenschaft in die Unmenschlichkeit, die, alles seine Wünsche krönend, sein Leben schal, starr und undurchdringlich dunkel macht. Die Russen haben eine kleine Geschichte hierzu: »... In die Stube trat ein kleiner grauer Mann. Sein Gesicht ist trocken und dunkel, und die Augen sind scharf. ›Ich werde‹, sagt er, ›deine Seele holen kommen, wenn du mich selbst rufst. Jetzt geb' ich dir einen Apfel. Wenn du ihn ißt, lebst du aufs neue. Aber merke dir: Ich werde dir nichts sagen, aber dein Tod kann nur durch mich kommen. Leb wohl ...‹ Und er verschwand. Der Bauer zittert und schaut immer den Apfel an. Er denkt: So werde ich bis zum Ende der Welt leben, werde ihn aber selbst nicht rufen. Und er aß den Apfel. Und er war auf einmal reich und schön, aufs beste gekleidet und hatte einen vollen Geldbeutel. Und von dem Tage an begannen seine Leiden. Anfangs fürchtete er immer, das Gold und die Kraft zu verlieren, als er aber merkte, daß sein Geldbeutel sich niemals erschöpfte, fing er an, sich allerlei süße Sachen zu verschaffen. Anfangs befriedigte er nur seinen Bauch und seine Wollust, aber sehr bald fing er an, Menschen zu peinigen und zu töten. Dann aber wurde seine Seele schwach, und er konnte all das Süße nicht mehr aufnehmen. Sein Leben wurde schwärzer als die Nacht. Nur dem Teufel zum Trotz bewahrte er noch seine Seele. Aber als er das Äußerste erreichte, rief er den Tod. Der Graue kam am Abend, und nun ist sie in der Hölle bis ans Ende der Zeiten.«

In Goldgewand stellt sich einer auf sein Ich, soweit er es in Lust begreift; von ihm besessen, will er die Welt nach seinen Maßen. Er verfolgt in den Tod, was er nicht gelten lassen mag, aber auch nicht vernichten kann, denn es ist ungreifbar, aber ein Vogel singt's vom Zweig, ein Kind weiß es nicht anders; das treibt ihn vollends in die Sackgasse der Selbstverranntheit. Das Andere neben ihm ist ausgelöscht, mit ihm Gegensätze, Gleichgewicht und Maß. So stimmt nichts mehr; was ist noch was? Ein unschuldiges Kind ist todeswürdiger Verbrecher, alles wird zugleich sein Gegenteil, man taumelt in der selbstgeschaffenen Welt umher als im vollkommenen Irrgarten. Da ist kein Widerpart, der einzig lehren könnte, was man nicht aus sich selber wissen kann und eben darum brauchte, um ganz zu werden. Ein Blinder tappt im Dunkel seiner selbst herum, sucht einen Schuldigen, schreit »Halt ihn« nach allen Seiten und packt sich immer selbst am Arm. Das ist die selbstgeschaffne Hölle; zu ihr gehört, daß sie selbstgewirktes Dunkel ist, Vexierraum, Spiegelkabinett, in dem man nur sich selbst begegnet. – »... selbst dir eigne Hölle zu sein!« ist der Bann, den die Geisterstimme auf Byrons Manfred herabwünscht. Da starrt man sich selber an wie Dorian Gray sein eigenes Bild, das alle Gemeinheit in sich sog, die der Schöne wohl leben mochte, aber nicht auf sich nehmen – das ist er selbst, er ganz allein in diesem Bilde, und doch ein Teufel, der unerträglichste Teufel seines Lebens, weil er ihn aus sich ganz allein geschaffen hat in allen Lastern seiner Nächte, aller Herzlosigkeit und Heuchelei seines Tags. Da starrt's ihn an: sein wahres Ich im Spiegel, der Schatten seines lichten Scheins. Kann er von etwas in der Welt nicht loskommen, ist's dieser Schatten im geheimen Zimmer – sowenig wie der allgewaltige Dämon vom Schatten seiner Ohnmacht, den ein Blick seines Kindes heraufbeschwört. Der Schatten ist sein wahres Wesen, ist ganz, fürchterlich ganz, indes er selber, Dorian Gray, nur die zeitlos holde, schicksalslose Hülse dieses entsetzlichen Kerns ist, perlmuttern schimmernde Schale für die Welt und die Freunde.

Er kann nicht los von diesem Bilde, seinem wahren Ich, und hält es doch nicht aus. Das eben ist Hölle. Da gräbt er wütend das Messer in die gemalte Brust – und rennt es sich in den eigenen atmenden Leib. Die maßlose Spannung, daß eben all das doch wirklich ist, was er nie wahrzuhaben brauchte, ja daß er nur mehr dies und gar nichts anderes ist, nichts Reines und Liebenswertes, das nicht in ein Verlogenes, Heuchlerisches sich verkehrte, zersprengt ihn, wie er sich über diesen dunklen Spiegel beugt im Brunnen seines Ichs: da stürzt er sich wütend auf die Fratze unten, auf sein wahres Ich, beide stürzen ineinander, aufklatschend verschwinden Ich und Schattenbild im bodenlosen schwarzen Wasser.

Das ist das verzweifelte Ende des Dämons, daß ihm die Wirklichkeit, die er im maßlosen Krampfe seiner Kraft rings um sich auslöschen will, und das Umsonst dieses Krampfes aus dem Munde der Kleinsten entgegenschallt, daß er die unbeirrten Stimmen nicht zum Schweigen bringen kann, die alles anders wissen, als er will – ein Gleichnis der Ohnmacht des Ichs, das seine eigene Über- und Unterwelt nicht wahr haben mag.

Der moderne Seelenmythos vom Bildnis des Dorian Gray hat sein Geschwister in einer Idee der altpersischen Religion in ihrem Bilde der »Daena«, dem mädchenhaften anderen Ich des Menschen, das nicht mit ihm zur Erde niedersteigt, wenn er geboren wird. Die Daena weilt an himmlischer Stätte, indes der Mensch auf Erden wandelt, aber sie ist seinem Erdenschicksal nicht enthoben. Sie ist an den Menschen geknüpft als die sinnbildliche Gestalt seines sittlichen Schicksals, wie er es gestaltet. Sie nimmt die Züge seines Wollens und Versäumens an, sie wandelt sich zu einer strahlenden Weibsgestalt voll Duft und Schönheit, Reiz und Reinheit, oder zu einem Greuel: Hexe und Hure in einem, Gemeinheit und Gestank in jeder Faser, wandelnde Unzucht und Verlockung zum Schmutz.

Wenn die Seele sich vom Leibe scheidet und auf der Wanderung ins Jenseits ist, über die messerklingenschmale Brücke des Richters, kommt dem Verstorbenen dieses andere Ich entgegengewandelt, sein schattenhaftes, aber wahres, an dem er unablässig bildete mit Gedanken, Worten und Werken. Wie es in einem alten englischen Weihnachtsliede heißt:

»Ein Rasenstück unterm Haupt, o Mensch,
Und eines zu Füßen dir,
Und alle deine Taten, so bös und so gut,
Dort oben begegnen sie dir.«

Dieses Geister-Ich, ihm selber ungewußt, tritt vor ihn hin und grüßt ihn, aber er erkennt es nicht. Der Mensch macht ja im ganzen von seinem eigenen moralischen Charakter im Guten wie im Schlimmen nicht soviel Aufhebens, als wenn er einem anderen zuschaut und ihn richtet; es gehört zur seelischen Robustheit, sein Moralisches im Halbschatten des Unbewußten zu belassen – wieviel Irregang und Selbsttäuschung birgt auch moralische Selbsterforschung! –, darum erkennt der Abgeschiedene die Gestalt nicht, die ihm begegnet. Aber er kann sie, fremd und nahe, wie sie ist, nicht an sich vorüber lassen. »Wer bist du?« fragt er, und sie sagt ihm, was sie sei: seine Erwählte, das Herz seines Herzens. Sie war die lebenslange Braut seines Ich, ihr hat er gedient, wie er sie geformt hat; nun ist sie sein auf ewig in der innigsten Verschmelzung jener leiblosen Sphäre, die nur die völlige Durchdringung der Geister kennt, die füreinander bestimmt sind. Der Abgeschiedene wird mit seiner Daena eins, wie Dorian Gray mit seinem Bilde, denn der Tote mit dem Messer in der Brust trägt ja bei Wilde die grauenhaften Züge im Gesicht, die sein Bild so lange für ihn gesammelt und aufbewahrt hat; seine Diener, die ihn tot finden, erkennen ihn erst nicht, sie meinen, da liege ein fremder Herr – »erst als sie seine Ringe ansahen, erkannten sie, wer er war«.

Was das alte Lied und die Schilderung dieser Begegnung mit der Daena anrührt, ereignet sich in keiner fernen Stunde des Gerichts – es kann, wie an Dorian Gray, in jedem Nu geschehen. Wird es in den Himmel oder ein Jenseits verlegt, so meint das: es geschieht nicht im greifbaren Bereich des Bewußtseins; Über- und Unterwelt sind Symbole einer Bildersprache, die das bewußte Ich als die Welt begreift und was in uns jenseits von ihm in seine Sphäre hineinwirkt, als ein oberes und unteres Jenseits anschaut. Das eben ist das Gericht, daß etwas jenseits vom bewußten Ich über es vollzogen wird, daß ein Urteil ergeht aus einer Sphäre jenseits in uns, die Gewalt hat, zu binden und zu lösen. Ungefragt hält sie den Stein des Sisyphus, das Faß der Danaiden für das Ich bereit und schickt es durch den dunklen Wald, in dem Dante verirrt Vergil als Führer fand – den Wald, von dem Parci-val, auch Perce-forest genannt, den Namen hat, da er ihn durchdrang und zum Grale fand. Mythische Kosmologie ist der tiefste, inhaltsmächtigste Jargon, den menschliche Psychologie sich schuf, und wie ihre makrokosmischen Zeichen zugleich aus mikrokosmisch-physiologischer Erfahrung sinngespeist sind, enthalten sie Winke für eine Physiologie von durchgehend psychologischer Bedeutung.

In der Gestalt des Dämonenknaben Jubel bricht sich die selbstherrliche Dämonie des Weltstoffs zur Unterwerfung unter den göttlichen Urgrund, diese Gebärde und das Wissen, dem sie entsprang, kann der Welt nicht mehr verlorengehen, sie wirkt die wunderbare Entscheidung im Mythos vom nächsten Hineinsteigen Vischnus in die Welt, wenn abermals Übermacht des Dämonischen seine rettende Erscheinung herabzieht.


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