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IV.
Streit in der Liebe und Liebe im Streit.

Die Nachbarskinder.

Mitten im Dorf stand des Schultheißen Haus, an den rothen Jalousieläden und dem zweistöckigen Bau zu unterscheiden von den Bauernhäusern, auch wenn der Herr Schultheiß nicht gerade sein Pfeifchen unter dem Fenster dampfte. Er war nicht eben, was man einen Herrenschultheiß nennt, er stammte vom Dorf und war in seiner Jugend hinter dem Dungwagen einhergeschritten, so gut wie Einer, aber er liebte jetzt mit den Herrn der Oberamtsstadt auf vertrautem Fuß zu stehen, sein selbstgezogener Wein und die Strauben und Küchlein der Frau Schultheißin standen in gutem Geruch.

Neben des Schultheißen Haus stand ein sehr anspruchsloses Bauernhaus, einstockig, mit getheilter Thüre, dessen stattliche Scheune, in der der Dreschertakt noch bis Lichtmeß tönte, allein beurkundete, daß es einem »rechten,« das heißt, vermöglichen Mann gehörte. Hinter dem Haus lag ein Gärtchen, mit Salat und Krautsetzlingen bepflanzt, auch mit etlichen Sonnenblumen geschmückt, der Eingang aber führte zwischen einer Gülle und Dunglege zur Hausthür, wie das schon zu des Aehnes Zeiten gewesen war; zwar war »iabott« (jezuweilen) ein Kind des Hauses in die Gülle gefallen; weil aber noch keines darin ertrunken war, so dachte niemand daran, die Sache zu ändern, der jetzige Besitzer des Hauses am wenigsten. Seine Buben sollten aufpassen lernen und sein Töchterlein, die Lisbeth, war ein gesetztes und vorsichtiges Kind, dem nicht so leicht ein Unschick begegnete.

Des Schultheißen einziger Sohn hieß Georg, ein aufgeweckter Bursch, aber ein durchtriebener Schelm und so übermütig und mutwillig, wie nur je der Sohn eines Machthabers, zumal, wenn er der einzige ist. Wenn ihn die Würde seines Vaters auch nicht vor gelegentlichen Prügeln sicherte, so wäre er ohne diese Würde gewiß schon lange totgeschlagen worden; denn alle Streiche, die Simson vorzeiten den Philistern gespielt, sind nichs gegen die Possen, die er, wenn ihn seine tolle Laune ankam, an Freunden und Feinden verübte.

Was war nur das für eine Geschichte, als er an einem stillen Nachmittag, wo die Leute auf dem Felde waren, sämtliche Schweine losließ und von dem oberen Boden aus der blutigen Schlacht zusah, die es absetzte, bis jeder Eigentümer das seinige wieder gefunden hatte.

Und wie er's angegriffen hatte, der Frau Müllerin ihre Staatshaube mit den handfesten Rosenknospen und krebsroten Bändern zu stehlen, das weiß kein Mensch; aber aus dem Kamin des ärmlichen Häuschens, das die blutarme Schwester der Müllerin bewohnte, ragte eines schönen Morgens eine lange Stange mit einem Strohkopf, auf dem das obgedachte Prachtstück saß. Einem reichen Weingärtner hatte er im Herbst Fischlein in die Weinbütte praktiziert, was diesen in den schlimmen Verdacht brachte, daß er seinen Wein mit Flußwasser vermehre, und dem Bäcker eine Brille auf den Laden genagelt, damit man seine Wecklein dadurch sehen könne: – kurz, es gab wenige im Dorf, die nicht ein Stücklein von seinem Mutwillen erzählen konnten. Und doch war ihm im Grunde keiner feind, wohl aber stimmten alle darin überein: »Der stirbt keinen rechten (natürlichen) Tod.«

Lisbeth, seines Nachbars Kind, hatte nicht am wenigsten von seinem Mutwillen zu leiden, und doch trugen die Streiche, die er ihr spielte, stets ein gewisses chevalereskes Gepräge, freilich Chevalerie in ihren rohesten Uranfängen. Es war einmal Familienfest bei Schultheißens, das heißt, das große Schwein wurde geschlachtet. Lisbeth blieb zufällig unter der Hausthür stehen. »Willst ums Würstle singen?« rief ihr Georg herüber. Lisbeth trat beleidigt zurück; das sollte man ihr nicht nachsagen, das war Sache der Bettelkinder. Wie sie aber abends sich an die Kunkel setzen wollte, war ihr schönes rotseidenes Band gestohlen und die Kunkel dafür mit Bratwürsten umwunden. Als sie einmal ihr Vieh zum Brunnen treiben wollte, waren ihr andre zuvorgekommen und wollten nicht Platz machen; da bemerkte Georg ihre Verlegenheit und brach wie der rasende Roland mit lautem Geschrei unter das Vieh der andern, das wie toll nach allen Seiten hinaussprang, so daß durchs ganze Dorf ein Rennen und Zetergeschrei anging, und führte siegreich Lisbeths Kühe zum Brunnen. Er stahl auch der Frau Pfarrerin die schönsten Rosen, um sie Lisbeth zum Kirchgang zu bringen; diese aber, die den Diebstahl ahnte, wies das Sträußchen patzig zurück, und Georg warf zur Rache die Fenster ihres Kämmerleins mit den schönsten Aepfeln ein, die seine Mutter noch als Rarität gespart hatte.

Streit in der Liebe.

Die Kinder wuchsen zu Leuten heran, Georg als ein stämmiger, etwas untersetzter Bursch mit offenem, frischem Gesicht, Lisbeth als ein feines, sauberes Mädchen, schlank von Wuchs und gar pünktlich und sorgsam in ihrem Anzug, der aber um keine Linie die Kleiderordnung einer rechten Bäuerin überschritt. Wie die meisten Dorfkinder war sie sehr frühe in alle materiellen Interessen des Lebens eingeweiht worden und wußte den Wert des Besitzes als Kind schon gar wohl zu schätzen. Das Pfarrtöchterlein, deren Elternhaus nie leer von Gästen wurde, erzählte ihr einmal vergnügt: »Denk' nur, wir haben sechs Onkel.« – » Und mir hent sieben Säu,« rühmte Lisbeth dagegen, ihres Uebergewichts gewiß. Sie war nie mit andern Kindern herumgesprungen, um ja nicht Kleider und Schuhe zu zerreißen, und je älter sie wurde, desto mehr trat dieser praktische Sinn hervor. Man sagte ihr nach, sie gehe barfuß, sobald sie vor dem Dorfe sei, um ihre Schuhe zu schonen, und wo sie im Grasen gewesen, da sei der Boden wie vom Barbier rasiert.

Georg dagegen war ein sorgloser, leichtsinniger Bursch, dem alles, was teuer war, am besten gefiel und am besten schmeckte, rasch, hitzig und unbedacht, ein »Schußbartle« nach dem Volksausdruck, und gescheite Leute meinten, er und Lisbeth passen nimmermehr zusammen, sie seien gar zu zweierlei; noch gescheitere fanden das eben gut: »Die können einander helfen; was er verthut, das kann sie hereinhausen.«

In Wahrheit konnten die zwei nicht voneinander lassen, wie oft sie sich auch gegenseitig erzürnten. Georg verhöhnte Lisbeth, wo er konnte, wegen ihrer Sparsamkeit. Einmal lud er ein Dutzend junge Bursche und Mädchen in ihrem Namen zum Karz (Spinnstube) ein. Lisbeth spann eben im Mondenlicht wie das Waldfräulein, aber nicht aus Romantik, sondern um Oel zu sparen; da polterten ihre unerwarteten Gäste herein und lachten hell auf, als nicht einmal Licht in der Stube war. Georg kam hinterdrein und klärte den Spaß auf; Lisbeth aber mußte, wohl oder übel, Licht anzünden und Aepfelküchlein backen.

Ein andermal kamen drei alte Weiber aus dem Armenhause und bedankten sich gar schön bei ihr für Speck und Fleisch, das sie ihnen geschickt hatte. Lisbeth wußte nicht, wie ihr geschah. Sie führte als einzige Tochter den Haushalt des verwitweten Vaters und hatte die bestausgestattete Rauchkammer im Dorfe; man behauptete aber, sie lasse den Vater, wenn er Kraut esse, nur riechen am Speck, und habe so den ganzen Winter an einer Speckseite; wie würde sie nun Bettelweibern Speck und Fleisch schicken! Tödlich erschrocken sah sie in der Rauchkammer nach – da war freilich eine bedeutende Lücke; – das hatte kein andrer Mensch als der Georg gethan! Nehmen konnte sie den Weibern das Fleisch nicht wieder, und so mußte sie mit sauersüßem Gesicht den Dank für ihre unfreiwillige Großmut hinnehmen.

Der Georg aber sollte es büßen, und als er nach einer Weile mit pfiffigem Lachen über den Zaun herüberblickte, da sagte sie ihm in geläufigem und lichtvollem Vortrag die Wahrheit umsonst über sein faules und nichtsnutziges Leben, und verhieß ihm ganz und gar keine lockende Zukunft.

Sonntags drauf wollte Georg auch trutzen, er schloß sich an des Adlerwirts Sohn an und zog an der Lisbeth Haus vorüber, andern Mädchen nach. Lisbeth war nicht vor dem Hause und nicht am Fenster zu sehen; daheim aber fuhr sie herum wie unsinnig, und als Georg spät am Abend nach Hause kam, da hatte sie scheint's noch Geschäfte im Hausgärtchen, sie sah ihn aber gar nicht, bewahre! »Guten Abend!« rief Georg hinüber. – Keine Antwort. »Warum bist nicht auch spazieren gegangen?« – »Hab' noch gar nicht Zeit gehabt nur zum 'nausgucken, meine Dote ist hier gewesen,« sagte Lisbeth kurz. – »Schön Wetter heut,« hub etwas verlegen Georg wieder an, der nicht recht wußte, wie er anknüpfen sollte. – »Freilich,« schnurrte Lisbeth; »wenn man mit so schönen Jungfern 'rumspaziert, ist 's Wetter alleweil schön.« – »So, ich hab' glaubt, du habst heut gar nichts gesehen; woher weißt du's denn, mit wem ich spazieren gegangen bin?« – »Ha, wenn des Schulzen Bub' des lumpigen Schuhmachers Mädle nachlauft, so kann man's erfahren, ohne zu gucken.« – »Ei, wenn du dich hättest sehen lassen, hättest du mit mir spazieren dürfen!« – »Ich mit dir? nicht mit einer Meßstang' möcht' ich dich anrühren.« – »Gelt, was man veracht', das hätt' man gern,« lachte Georg und ging ins Haus. Am selben Abend aber trug er ihr noch den Wasserkübel heim und half ihr die flüchtigen Hühner einfangen, und der Friede oder doch Waffenstillstand war für eine Weile wieder geschlossen.

Georg wurde zum Soldaten ausgehoben und gab nicht zu, daß sein Vater ihn loskaufe; Lisbeth hatte einmal gesagt, als ein schmucker Gardist durchs Dorf ging: »Da muß man doch Respekt haben!« – »Nun soll sie auch vor mir Respekt lernen,« dachte er und ließ sich nicht abhalten, obwohl die Leute meinten, so ein heißgrätiger Bursch tauge nicht unters Militär, wo man sich kuschen müsse. Er fügte sich wirklich zum Verwundern, und kleine Exzesse in Trunkenheit ausgenommen, hielt er sich vortrefflich als Soldat; sein Obermann, der je und je den Herrn Schultheiß besuchte, meinte: »Wenn wir Krieg hätten, so gäbe der einen General nichts desto Schöners.« Er war ein freigebiger Kamerad und teilte von dem Zuschuß zu seinem mageren Sold, den ihm der Vater reichlich zufließen ließ, den andern gern mit; so war er hoch angesehen unter den Kameraden.

Lisbeth hatte allerdings Respekt, als er in der feinen Uniform, die er sich aus eigenem Beutel angeschafft, zum erstenmal am Sonntag einen Besuch machte; sie sprach im Gärtchen lange mit ihm und gestattete, daß er sich zu ihr auf die Hausbank setzte. Aber doch war diese Militärzeit eine qualvolle für sie, weil sie beständig von Eifersucht verzehrt war. Wenn ihr Georg einen Gruß sagen ließ, so war ihre Antwort: »Dem wird's ernst sein mit Grüßen! man weiß ja, wie die Soldaten mit den Stadtmägden herumscharmuzen, wird auch eine haben, die ihm am Sonntag den Dreibätzner in den Sack gibt!« Durch ähnliche Suggestivfragen suchte auch Georg mutmaßliche Treulosigkeiten seiner Geliebten zu erfahren; – wenn er dann heimkam, so hatte er den halben Tag zu thun, bis er sein Schätzchen versöhnte, die wegen allerlei eingebildeter Unthaten seinerseits mit ihm trutzte. War das gelungen und sie begleitete ihn abends auf dem Rückweg zur Stadt, so fing sie schon wieder an: »Hättest noch nicht nötig, fortzugehen, wirst eine auf unterwegs bestellt haben.« Oft ward er's auch müde, den Unterthänigen zu spielen, eine Rolle, die ohnehin nicht für ihn paßte; ließ sein ungnädiges Lieb stehen und ging in den Adler. Lisbeth blieb dann in irgend einem Versteck, von dem aus sie auf das Wirtshaus sehen konnte, ließ sich aber nirgends finden, und in den nächsten Tagen ließ sie ihm durch einen Kameraden sagen, er solle sich nur nicht einbilden, daß sie ihn einmal nehme, lieber wolle sie ins Wasser springen. Dieser Groll dauerte bis zu seinem nächsten Besuch, wo er die Wolken vertrieb, um Raum für neue zu bereiten.

Georg beschloß, diesem Elend ein Ende zu machen, aber wie? Ans Heiraten konnte er noch nicht denken, und sie gehen lassen, das war vollends unmöglich. »Wenn ich ganz gewiß wüßt', daß kein andrer sie kriegt, so wollt' ich sie meinetweg mein Lebtag nimmer angucken,« sagte er den Kameraden.

Er freute sich unbändig auf die Kirchweih; Lisbeth war noch immer seine Tänzerin gewesen, so konnte sie ihm jetzt, wo er Soldat war, nicht fehlen; da wollt' er ihr einmal so recht in Güte sein Herz ausleeren.

Die Ballregeln auf dem Dorfe sind sehr einfach, und die zierlichen, goldeingelegten Büchlein am Gürtel, auf denen unsre jungen Damen ihre versagten Touren notieren, sind für Bauernmädchen ein entbehrliches Gerät. Wer ein Mädchen zum Tanz führt, hat für den ganzen Abend ausschließlich das Recht auf sie, und nur selten und ungern wird einem andern Burschen ein Tanz gestattet; bloß bei Markttänzen oder Hochzeiten herrscht mehr Freiheit. Diese Sitte, die uns sehr langweilig erscheint, verleiht dem Tanz etwas Stetes, Ehrenfestes und schneidet viel Gelegenheit zu Händeln ab.

Verlobung.

Georg hatte über die Kirchweih Urlaub genommen und war, um schneller nach Hause zu kommen, auf einem Wägelein heimgefahren; unglücklicherweise war Schuhmachers Gustel, ein sauberes Mädchen vom Dorf, die in der Stadt diente, auch am selben Tag den gleichen Weg gegangen, und Georg in seiner Gutmütigkeit hatte sie aufsitzen lassen. Das beleidigte Lisbeth, die es natürlich für Verabredung hielt, tödlich, und als Georg im schönsten Wichs sie zum Tanz laden wollte, gab sie ihm schnippischen Bescheid und ging mit ihrem Vetter Kaspar in ganz ungewöhnlichem Staat.

Georg kam ohne Tänzerin und setzte sich in eine Ecke des Saales mit seinem Wein, man hörte kein Wort von ihm als den Ruf an die Kellnerin: »Kätherle, noch einen Schoppen Fünfzehner!« Lisbeth sah anfangs spöttisch zu ihm herüber, aber sie erschrak vor seinen wilden Blicken und sprach lauter und lebhafter, als ihre Art war, mit ihrem Tänzer. Eben als sie mit Kaspar einen neuen Hopswalzer anheben wollte, stellte sich Georg in den Weg und streckte den Fuß aus, das tanzende Paar bemerkte es nicht und stürzte heftig zu Boden. Kaspar fuhr wütend auf und packte Georg an der Gurgel; es entstand ein allgemeines Handgemenge, Geschrei und Geprügel, Lisbeth war mit blutendem Kopf aufgehoben und heimgeführt worden. Der Wirt und der Schultheiß brachten mit vieler Mühe den Knäuel der Streitenden auseinander; Kaspar blutete aus der Nase, Georg hatte eine Beule an der Stirn, wo ihn Kaspars Faust getroffen, und der Wirt meinte, da es bei keinem von beiden einen edlen Teil getroffen, so werden sie sich im Frieden vergleichen können.

Lisbeth saß allein daheim und machte Umschläge um ihre Stirn, voll Zornes, wie sie glaubte, über den wüsten Georg, der sie so gezeichnet. Aber seltsam! eigentlich war sie viel besser aufgelegt als vor dem Tanz, wo sie so schön geschmückt mit dem Kaspar ausgezogen war. Freilich trug sie ein blutig Liebeszeichen an der Stirn, aber ein Liebeszeichen war es doch; Georg hatte mit keiner andern getanzt und des Schuhmachers Gustel nicht einmal angesehen! und ihr, ihr allein hatte er den Fuß gestellt, alle andern Paare waren ihm gleich, die hatte er ungehindert springen lassen. Aber doch sann sie darüber nach, wie sie ihm das recht vergelten könne.

Da hörte sie ein gewaltiges Rütteln und einen heftigen Stoß an die verschlossene Hausthür, und ehe sie aufgestanden war, um nachzusehen, stand Georg vor ihr. »Und du bist noch so frech und kommst in unsre Stube, nachdem du mich blessiert hast und in der Leute Mäuler gebracht? im Augenblick geh,« schalt Lisbeth, »oder ich schrei', daß es das ganze Dorf hört!« – »Du schreist nicht,« sagte Georg mit gepreßter Stimme und faßte sie am Hals mit beiden Händen, »ich will der Plage einmal los sein. Jetzt gleich im Augenblick schwörst mir, daß du mein Weib werden oder zeitlich und ewig verloren sein willst, sonst erwürg' ich dich, da auf dem Platz; ist mir all eins, wenn man mich nachher auch köpft, dann ist's doch Fried'.« – »Laß mich!« stöhnte zitternd das geängstete Mädchen, »bist ja noch Soldat und kannst nicht heiraten.« – »Das laß du mich ausmachen! Zu deinem Vater komm' ich schon, bei dir aber bin ich, und wenn d' mir's nicht versprichst, so mußt sterben.«

Todbleich mit bebenden Lippen versprach es Lisbeth, Georg forderte auch noch ein Ehepfand, sie gab ihm den silbernen Trauring der seligen Mutter. Kaum hatte ihn Georg am Finger, so stolperte der Vater auf dem Gang draußen; Georg stieg eilig durch das Fenster hinaus. »Ist denn noch jemand dagewesen?« fragte der Vater. – »Des Schulzen Relling (Kater) war in die Stube geschlichen,« sagte Lisbeth, »ich hab' ihn zum Fenster hinausgejagt.« Sie ging in ihre Kammer und legte sich zu Bett wie an allen Gliedern zerbrochen und von Fieberfrost geschüttelt, und doch murmelte sie vor dem Einschlafen in sich hinein: »Und so ist's noch keinem um sein Mädle gewesen, daß er den Kopf daran gerückt hätt'; ich möcht' nur wissen, ob er mich erwürgt hätte!«

Das war die Verlobung.


Es fiel Georg sehr schwer, wieder zum Militär zurückzugehen, wenn er auch seiner gewaltsam geworbenen Braut jetzt sicherer war als zuvor. Da starb unerwartet Lisbeths Vater, und man fand es natürlich, daß Georg sich vom Militärdienst losmache und die Waise heirate, die auf die förmliche Werbung des Schultheißen ihre Einwilligung gab. Ein feierlicher Handstreich wurde gehalten, bei dem mit der auf dem Dorf gewöhnlichen Offenheit die gegenseitige Mitgabe von Georgs Vater und Lisbeths Vormund in Gegenwart des Brautpaares besprochen wurde. Georg bekam sein Heiratgut in bar Geld, Lisbeth hatte ihr Vatererbe in Vieh und Aeckern; beide Partien vereinigten sich in Güte, und es herrschte zwanglose Heiterkeit an der Verlobungstafel. Dem Georg war alles recht, er war seelenvergnügt und mit der ganzen Welt versöhnt, dem Kaspar trank er einmal um das andre zu. Am Abend ging er noch mit Lisbeth in das Baumgut, das zu ihrem künftigen Besitz gehörte; er betrachtete sie freudetrunken, wie sie in der netten schwarzen Kleidung, in dem Häubchen, dessen breite Bänder ihr feines Gesichtchen einschlossen, an seiner Seite auch einmal freundlich und ohne Widerstreben ging. »Guck, fressen möcht' ich dich!« rief er stürmisch und umfaßte sie mit einer Gewalt, daß sie mit leisem Schauer jener Verlobungsnacht gedachte, und hob sie hoch empor, leicht wie eine Feder. »Laß mich!« schrie sie, »willst mich umbringen wie damals, als der Vater noch dazu kommen ist?« Das war keine gute Mahnung, Georg setzte sie schweigend zu Boden und ging mit ihr heim, ohne ein Wort zu reden.

Hochzeit.

Nach vier Wochen war die Hochzeit, und alten Leuten schien es bedenklich, daß während der Trauung ein schweres Ungewitter ausbrach, so heftig, daß der Donner fast die Worte des Pfarrers übertönte. Georg nahm das nicht so schwer. »Wenn wir wetterscheu wären, so hätten wir einander gar nicht genommen, gelt Schatz?« rief er nachher lachend der Lisbeth zu.

Als sie am Altare sich die Hände reichten, suchte Lisbeth die ihrige obenhin zu bringen; das gilt auf dem Land für ein Zeichen, daß man die Oberhand in der Ehe behalte. Georg hatte nicht daran gedacht, als er aber bei Lisbeth die Absicht merkte, so legte er die seine obenauf und bald wäre es zu förmlichem Ringen gekommen, wenn nicht ein ernster Blick des Pfarrers Einhalt gethan hätte. Die Stimmen der Zeugen konnten sich nicht darüber vereinen, welche Hand oben geblieben sei.

Lisbeth nahm den Regenschirm nicht an, den man ihr beim Ausgang aus der Kirche bot. »Aber daß die ihr schönes Kleid nicht dauert im Regen!« meinte eine der Brautjungfern. – »'s bedeutet ja Reichtum, wenn's der Braut in Kranz regnet,« sagte die andre. – »Ja so, dann glaub' ich's,« sprach die erste lachend.

Georg war glückselig beim Nachhausekommen. »So, jetzt mußt me erst hau (haben)!« rief er neckisch seiner Braut zu und wirbelte mit ihr in improvisiertem Walzer um den Hochzeittisch. Er war wieder gut Freund mit aller Welt und warf den Musikanten Geld zu wie Heu. Lisbeth war stiller; ob aber eines von beiden auch nur einen Augenblick die heilige Bedeutung des Tages erwogen, glaube ich kaum.

Der Hochzeittag verlief ohne weitere Störung, als daß Lisbeth hie und da scharfe Blicke zur Seite warf, wenn ihr schien, daß Georg mit den Brautjungfern zu freundlich thue. Georg ward immer seliger, eine Seligkeit, an der freilich der Wein auch Anteil hatte; er versicherte Lisbeth: »Guck, i bin a guter Kerle, der ällerbest' Kerle bin i, mit der Liebe da kann mer mi um en Finger 'rum wickeln.« Die Braut aber antwortete wenig auf diese tröstliche Verheißung.

Ehestand.

Ich weiß nicht, ob es einen Unterschied macht im ehelichen Leben, wenn die Frau den Mann einführt in ihr Haus, während sonst der Mann es ist, der das Haus gründet und das Weib einführt. Edle Seelen werden gewiß immer demütiger im Gefühl, viel gegeben zu haben, und es gibt solch angeborenen Adel in allen Ständen; Lisbeth hatte ihn nicht.

Ob sie es mit der Liebe versucht hat, die laut Georgs Verheißung solche Wunderdinge an ihm thun konnte, weiß man nicht. Sie las zwar, wie es bei ihrem Vater der Brauch gewesen, jeden Tag einen Morgen- und einen Abendsegen, in denen gar oft von Liebe die Rede war; mit diesem Lesen hielt sie aber ihre Christenpflicht vollkommen erfüllt und lebte dazwischen nach eigenem Gutdünken. Veränderlichkeit hatte Georg ihr nicht vorzuwerfen; denn sie plagte ihn als Weib ebenso mit Eifersucht und griffigen Reden, wie sie als Braut gethan hatte.

Niemand hat je gehört, daß das Ehepaar einmal einerlei Meinung gehabt hätte. Lisbeth hatte die Stube gelassen, wie sie zu des Vaters Zeiten gewesen war: im Hintergrund der gewaltige Kachelofen mit dem württembergischen Wappen, an den Wänden festgenagelt die hölzerne Bank, davor ein weiß gefegter Tisch mit Fußbänkchen, eine Wanduhr in langem Gehäuse, ein Milchkasten, ein kleiner Spiegel, der alle Köpfe zu spitzen Chinesenköpfen verzog; an Gemälden das über Jesum ergangene Bluturteil, eine Darstellung des jüngsten Tages und ein Doktor Luther; dazu zwei hölzerne Stühle mit künstlich gewundenen Schlangenrücken, das war die ganze Einrichtung, die Lisbeth zu jeder Zeit sauber erhalten hatte. Georg, des Schultheißen Sohn, dem der Herr Oberamtmann versprochen hatte, einmal bei ihm einzukehren, hätte gern eine hübschere, moderne Einrichtung gehabt: ein Kanapee, einen hartholzenen Tisch, gepolsterte Stühle; ein paar kolorierte Bilder mit dem Herzog Ulrich und Sturmfeder hatte er als ledig schon angeschafft. Lisbeth willigte durchaus in keine Neuerung, und als Georg dennoch sich wenigstens einen Lehnstuhl anschaffte, stellte sie den beharrlich in die fernste Ecke der Schlafkammer, und er mußte ihn jedesmal selbst herbeischleppen, wenn er sich drauf setzen wollte.

Georg konnte tüchtig schaffen, wenn's ihn ankam; nur hatte des Schulzen Sohn eben gearbeitet, was er wollte und wann er wollte. Von dem Bauern aber erwartete sein Weib, die selbst bei keiner Arbeit zurückstand, daß er alles und zu jeder Zeit arbeite. Lisbeth hatte den eigentümlichen Erbhaß gegen Dienstboten, der sich je und je bei Frauen aller Stände findet und das Unglück mancher Haushaltung ist. Nach ihrer Ansicht waren alle Dienstboten ein abgefeimtes Diebsvolk, alle Taglöhner »faule Freßsäck«, so sollte so viel wie möglich allein gearbeitet werden. Nach Georgs Geschmack war das nicht, bei ihm war morgen auch ein Tag; Lisbeth hatte aber ein unerreichtes Talent, ihm am Feierabend oder nachts alles aufzuzählen, was hätte geschehen sollen und nicht geschehen sei, und das ist eben keine wesentliche Beförderung der Gemütsruhe. Dadurch, daß Lisbeth beständig wegen der Feldarbeit keifte, hatte sie dieselbe in Georgs Augen zu ihrer Sache, nicht zu einer gemeinsamen gemacht, und er dachte nimmer daran, daß es sein eigener Schade sei, wenn er dem Weibe zum Trotz die nötigste Arbeit liegen ließ.

»Grob kann ich sein und das rechtschaffen,« hatte er Lisbeth einmal versichert, »aber trutzen, das kann ich nicht.« Trutzen konnte dagegen Lisbeth meisterlich und mit seltener Ausdauer; sie übte diese Kunst reichlich: kein Wunder, wenn Georg auch Gebrauch von der seinigen machte und grob wurde und das rechtschaffen. Lisbeth kam sich die brävste und die unglücklichste Frau von der Welt vor, wenn sie den ganzen Tag sich's hatte sauer werden lassen, und der Mann, der gethan hatte, was er mochte, noch am Abend ins Wirtshaus ging. Georg trank, wie man zu sagen pflegt, keinen »bösen Wein«, er kam als der »best' Kerle« vom Adler heim; aber sie verstand es, ihn mit spitzigen Reden am Ende in eine wahre Berserkerwut zu bringen. Dann tobte er wohl wie rasend, warf Schüsseln und Teller klirrend zu Boden, daß Lisbeth zitternd und regungslos in der Ecke saß; aber nie, im heftigsten Zorne nie, hat er Hand an sie gelegt, obwohl die Mißhandlung eines Weibes nach Dorfgesetzen für kein großes Vergehen gilt.

So konnte es im Dorf nicht verborgen bleiben, daß das Glück des Paares nicht so groß sei; wehe aber denen, die sich irgendwie einmischen wollten! Georg duldete nicht die leiseste Anspielung auf sein böses Weib, und Lisbeth wußte andern Weibern, die etwa ihr Los beklagten und den Georg tadelten, ihre Männer in einer Weise zu charakterisieren, daß sie keine Lust zu Fortsetzung des Gesprächs hatten. War Georg krank, so pflegte sie ihn mit einer Sorgfalt, einer Weichheit beinahe, wie sie auf dem Dorf sonst selten ist, selbst ihre Sparsamkeit trat dann in Hintergrund; sie nahm keine Ausgabe, keine Versäumnis der Arbeit schwer, wenn es um seinetwillen nötig war. Georg konnte nie sehen, wenn sie sich mit zu harter Arbeit plagte; freilich that er wenig, ihr die Sorge dafür abzunehmen, aber er hätte gern zehn Taglöhner gehalten, um ihr die Mühe zu ersparen, und wenn er ihr mit einem schweren Grasbündel begegnete, so nahm er ihn von ihrem Kopfe und trug ihn heim, eine für einen Bauern fast unerhörte Galanterie.

Trotz dieser jeweiligen Zärtlichkeit sank aber doch das Glück des jungen Hausstandes zusammen, noch ehe es recht aufgebaut war, und zu derselben Zeit wankte auch des Schultheißen Haus und that einen großen Fall. Es war von dem Tode seines Weibes an, die kurz nach Georgs Hochzeit starb, rasch mit ihm abwärts gegangen. Er hatte gern den Herrn gespielt, ein Haus gemacht, was auf dem Lande manchmal noch mehr kostet als in der Stadt, wo viel mit dem Schein abgemacht wird, und wollte immer für reicher gelten als er war, was das sicherste Mittel ist, immer ärmer zu werden. Als der Schaden herauskam, ward seine redliche Amtsführung verdächtigt; – er ward abgesetzt und sein Vermögen reichte eben zur Deckung des Restes und für seinen notdürftigen Unterhalt hin.

Einen solchen Fall mit Gleichmut oder gar mit Großmut zu tragen, wäre auf dem Dorf, wo der Besitz die ganze Lebensstellung des Menschen bedingt, fast zu viel verlangt. Lisbeth wollte ihrem Mann nicht eben dies Unglück vorwerfen, aber es sollte ihn nach ihrer Ansicht fleißiger, sparsamer, demütiger machen. Georg aber aus falscher Scham wollte jetzt gerade zeigen, daß er doch noch der Mann sei, und nahm jeden Tadel Lisbeths als Vorwurf wegen seines Vaters Mißgeschick auf. »Du bist die Bäuerin,« sagte er, wenn sie ihm seine Verschwendung und Faulheit vorhielt; »mich geht dein' Sach' nichts an, ich bin nur so ein Lumpenbub'.«

Mehr als alles aber wurde Lisbeth von einer maßlosen Eifersucht verzehrt, zu der ihr der Mann in Wahrheit nie Grund gab; ihm waren andre Weiber gleichgültig; wenn er mit ihnen scherzte, so war es seinem Weib zum Trotz oder um sie zu reizen. Sie aber stand oft noch um Mitternacht von ihrem Lager auf und schlich sich vor das Fenster des Wirtshauses, um zu spähen, ob er der Wirtin oder Kellnerin nicht schön thue; er, um Auftritte im Ort zu vermeiden, suchte immer lieber sein Vergnügen auswärts.

Natürlich ging es unter diesen Umständen mehr und mehr rückwärts mit dem Besitzstand, was auch Lisbeth thun mochte, um ihn zusammenzuhalten. Sie wurde darüber immer erboster, immer griffiger, und er im Trotz des bösen Gewissens immer heftiger; keine gute Stunde zog mehr herauf über das gottverlassene Haus.

Scheidung.

Einmal schien es doch, als ob Georg sich fassen wollte; er blieb ein paar Abende daheim, bekümmerte sich mehr um die Feldarbeit und rüstete sich, am nächsten Markttage Frucht in die Stadt zu fahren, weil sie eben hoch im Preise war. Lisbeth sah es nie gern, wenn er in die Stadt ging, doch wußte sie, daß ihr Widerspruch nichts ändere; daher begnügte sie sich nur mit Anspielungen, wieviel von dem Geld wohl in Wirtshäusern bleibe und was für schöne Jungfern er unterwegs werde aufsitzen lassen. Er erwiderte nichts und machte sich fertig. Vor dem Abfahren ging er noch hinauf, Lisbeth hatte sich hinter den Kücheladen gestellt, um ihn gehen zu sehen; aber als er kam, rumorte sie in der Küche, als wäre sie in vollster Arbeit. Georg ging hinein und bot ihr die Hand zum Abschied; das war lange nicht geschehen, und Lisbeth sah ihn erstaunt, fast traurig an, eine seltsame Bewegung zuckte durch sein trotziges Gesicht. »B'hüt di Gott, ich komm bald wieder,« sagte er. – »Ja, wenn's g'wiß ist,« sagte Lisbeth halb im Scherz; »wenn d' um elfe noch nicht da bist, will ich eben in den Chausseegräben nach dir gucken lassen.« Das war eiskalt Wasser auf sein aufwallendes Herz; er wandte sich trotzig um und fuhr ab mit lautem Peitschenknallen, ohne auch nur einmal sich nach dem Haus umzusehen, wo Lisbeth noch lange hinter dem Kücheladen stand und ihm nachschaute.

Georg kam am Abend nicht zurück, auch nicht am folgenden Tag. Lisbeths Bruder ging in die Stadt, um nach ihm zu fragen. Er hatte seinen Dinkel verkauft, Wagen und Pferde aber im Wirtshaus zurückgelassen nebst einem Brief an sein Weib. Niemand wußte, wohin er gegangen.

Der Bruder brachte Lisbeth diese Kunde und den Brief; sie zitterte so, daß sie ihn nicht öffnen konnte, er mußte ihr ihn vorlesen; Georg war immer gut in der Feder gewesen. Der Brief lautete:

 

»Geliebte Elisabeth!

»Ich gehe fort in die weite Welt, vielleicht wirst Du nichts mehr von mir hören. Verzeih' Dir's Gott, daß Du mich so hinaustreibst, denn es ist von Deinetwegen, daß ich fort muß und kann's nimmer aushalten daheim. Es ist mir wohl bewußt, daß ich meinerseits auch den Fehler gemacht habe, aber das weiß Gott, daß ich Dir hätte alles zulieb thun können, wenn Du mich mit Liebe behandelt hättest. Ich will mich jetzt allein in der Welt fortbringen, daß ich mir nicht mehr von meinem Weib darf das Essen vorwerfen lassen. Einen andern kannst Du nicht nehmen, denn wir sind doch noch Mann und Weib, und ich glaub's auch, daß Du Dich mit keinem einläßt, ich hab' jederzeit mehr Zutrauen gehabt zu Dir als Du zu mir. Wenn Du in eine Not kommst, so laß mich's wissen; dem Wirt in Senzheim, bei dem ich eingestellt hab', will ich's vermelden, wo ich hingehe. Und leb' wohl, ich trag' Dir nichts nach.

Dein getreuer

Georg.«

 

Als Lisbeth den Brief gehört und begriffen hatte, daß ihr Mann nicht wiederkomme, warf sie sich wie sinnlos auf die Erde und schrie zum Verzweifeln. Verwandte und Nachbarinnen sammelten sich, um sie zu trösten; der geeignetste Trost schien ihnen eben die Schlechtigkeit ihres Mannes: »Sei doch froh, daß er fort ist! dein Sach' wär ja voll hin gewesen bei dem Verthuner.« Endlich stand Lisbeth auf, und sie, die bis dahin nie geklagt, brach nun in eine Flut von Klagen und Schmähungen über ihren Mann los, daß selbst die beredtesten unter seinen Feinden dagegen verstummten. »So, jetzt hab' ich euch meine Meinung gesagt,« schloß sie, »ihr alle aber haltet 's Maul über ihn! Meine Sache ist's allein, er hat keinem nichts zuleide gethan als mir.« Lisbeth suchte vergeblich, von dem Wirt ihres Mannes Aufenthalt zu erfahren; er gab vor, ihn selbst nicht zu wissen. Ihr Bruder bestand darauf, eine Scheidungsklage einzuleiten; sie weigerte sich lange und ließ es erst geschehen, als sie hörte, daß sich Georg dann selbst stellen müsse. Er wurde in den Zeitungen aufgerufen, sich zur Bereinigung der Sache persönlich einzufinden, widrigenfalls er wegen böswilliger Verladung geschieden werde.

Drei Tage vor dem festgesetzten Termin saß Lisbeth in ihrer Kammer, es war Nacht und gar still; Lisbeth blieb immer lange auf, sie hatte nur wenig Schlaf in den letzten Monaten. Da hörte sie das Bellen eines Hundes; den Ton kannte sie, es war der Sultan, Georgs treuer Hund. Das Haus war verschlossen, aber das Fenster noch offen bei dem warmen Wetter; in tödlichem Schreck sah sie Georgs Kopf am Fenster, im Augenblick darauf hatte er selbst sich hereingeschwungen. Lisbeth stieß einen durchdringenden Schrei aus, so daß der nebenanwohnende Bruder eiligst herüberkam; er fand sie zitternd und bleich, wie sie die Hände vor sich ausstreckte und immer schrie: »Bring' mich nicht um, bring' mich nicht um!« Georg aber stand ruhig am Fenster und sagte: »Was ist das für ein G'schrei? ich hab' ja nur fragen wollen, ob's der da«, auf Lisbeth deutend, »ernst sei mit dem Scheiden.« Lisbeth schwieg, der Schwager aber hub an und hielt dem Georg sein Sündenregister vor, so bündig und nachdrücklich, daß dieser nicht viel darauf erwidern konnte. Er that es auch nicht, nur als der Schwager zu Ende war, rief Georg zu Lisbeth hinüber: »Dich frag' ich, du willst dich scheiden lassen? du?« Er schritt auf sie zu, sie schrie aber wieder: »Er bringt mich noch um!« Endlich aber sagte sie trotzig: »Du hast angefangen mit dem Scheiden, wo du fortgegangen bist; ich bleib' dabei.« – »So thu' ich's auch,« sagte Georg und ging. Er blieb bei seinem Vater, der ein elendes Kämmerlein bewohnte; Lisbeth fürchtete sich und schlief die Nacht bei der Schwägerin.

Nach drei Tagen war Lisbeth vor das Oberamtsgericht beschieden; sie machte sich früh am Tage auf, das Körbchen am Arm, ohne das eine Bäuerin nie über Feld geht, wenn auch die Zeiten längst vorüber sind, wo eine »Schmierale« für den Beamten darin lag. Wer sie seit ihrem Hochzeitmorgen nicht mehr gesehen, hätte sie kaum mehr gekannt: schlaflose Nächte, kummervolle Tage und ein friedeloses Gemüt hatten diese Furchen in dem noch jungen Gesicht gezogen; doch aber war sie mit ihrer aufrechten Haltung, ihrem sauberen wohlgeordneten Anzug noch eine stattliche Bauersfrau zu nennen; sie sprach mit niemand, und ihr Gesicht verriet keine Art von Bewegung, wie sie so geradeaus in stetem Schritt ihres Weges ging. Noch war sie nicht weit gegangen, als sie hinter sich fragen hörte: »Wo 'naus so früh?« Die Stimme war ihr nur zu wohl bekannt, sie brauchte sich nicht umzusehen, zumal da auch der Sultan an ihr in die Höhe sprang. – »Nach Senzheim,« erwiderte sie kurz. – »Ist's auch erlaubt, daß man mitgeht?« fragte Georg, der sie eingeholt hatte. – »Der Weg ist breit, ich hab' ihn nicht im B'stand (gepachtet),« sagte sie kurz angebunden. So gingen sie des Wegs zusammen, sie hüben und Georg drüben; aber wie das so ging, vor Verlauf einer Viertelstunde wandelten sie dicht nebeneinander. »Horch,« fing Georg an, »so, wie ich b'richtet bin, scheid't man einen nicht, wenn zwei voneinander wollen, eins von beiden muß den schuldigen Teil machen.« – »Das wird gut finden sein, wer bei uns der schuldige Teil ist,« sagte Lisbeth schnippisch. – »Den schuldigen Teil heißt man den, der nicht mit dem andern hausen will.« – »Wenn dann ich aber wieder will?« – »So will ich nicht,« sagte sie heftig. – »Ja siehst, dann wirst eingesperrt, das ist nichts für ein Weibsbild; da will lieber ich der Schuldige sein, mir macht's so viel nicht aus.« Lisbeth schwieg. Georg fragte nach dem Vieh, den Gütern, sie gab Antwort, und wer die zwei des Wegs dahingehen sah miteinander, der hätte gedacht, ein einträchtiges Ehepaar besorge seine Geschäfte zusammen.

Sie kamen an einen kleinen Bach am Weg, der vom Regen hoch angeschwollen war; Lisbeth wollte Schuhe und Strümpfe ausziehen. »Ach, was braucht's den Umstand!« sagte Georg, nahm sie auf die Arme und trug sie hinüber.

So kamen sie zur Oberamtsstadt, betraten miteinander das Gerichtsgebäude und setzten sich nebeneinander auf die eine Bank in dem Partienzimmer. Lisbeth wurde auf einmal sehr blaß. »Was hast?« fragte Georg, »ist dir's weh?« – »Der Schlaf ist mir, glaub' ich, in Magen gefallen,« sagte sie halblaut. Georg sprang ins nahegelegene Bäckerhaus und holte alten Wein und Wecken, was sie wieder zu Kräften brachte.

Sie hatten lange zu warten; endlich rief der Oberamtsrichter den Amtsdiener: »Ist die Elisabeth Walter draußen, deren Scheidungsklage anhängig ist, und hat sich der Ehemann eingestellt?« – »Draußen ist kein streitiges Ehepaar, Herr Oberamtsrichter, zwei Leute sitzen in großer ›Liberität‹ beisammen; wird wohl ein Brautpaar sein, das Sporteln zahlen will.«

Zu großem Erstaunen des Dieners fand sich doch, daß das einträchtige Paar die streitigen Eheleute waren, und wer die beredte Schilderung der Lisbeth über das Elend ihres Ehestandes und die Unthaten ihres Mannes anhörte, konnte auch daran nicht zweifeln. Georg konnte nicht viel widersprechen, es war alles wahr; nur einmal meinte er, »wenn man ›falsch‹ zornig. werde bei so einer ›Giftkugel‹, so sei's kein Wunder«. – »Habt Ihr von Anfang an einen Widerwillen gegen die Verbindung mit Eurer Frau gehabt?« fragte der Richter. – »I, o nein, sell net! o wie oft hab' ich g'sagt: Bethle, wenn i di no fressa könnt! Hätt' i se selbigsmol no g'fressa!« setzte er mit einem schweren Stoßseufzer hinzu. – »Ihr habt Euer Weib freiwillig und heimlich verlassen und verweigert auch jetzt noch die Fortsetzung der Ehe?« – »Ja, das thu' ich, ich glaub' nicht, daß ich's wieder prestieren könnt', wenn ich auch wollt'.« – »Und Ihr, Elisabeth Walter, besteht auf der Fortsetzung der Ehe?« – »Ich, bestehen! ja lieber in Neckar springen!« schrie diese erbost, »ich werde ihm noch nachlaufen; jawohl da!«

Vergebens suchte sie Georg durch Winke und Blicke zu bedeuten, daß das ja nur der Form wegen nötig sei, sie konnte sich durchaus nicht dazu verstehen. Da nun beide Ehegatten auf der Scheidung bestanden, so konnte nach unsern Gesetzen der Scheidungsprozeß nicht voran gehen und der Richter entließ sie mit einer nachdrücklichen Ermahnung zur Versöhnung, die ihm bei dem unverkennbaren Interesse beider für einander nicht unmöglich schien.

Da Lisbeth sich lange nicht entschließen konnte, ihrerseits auf dem Zusammenleben zu bestehen und Georg ebensowenig sie als den sogenannten schuldigen Teil ins Gefängnis gehen lassen wollte, so zog sich der Prozeß lange hinaus. Gar manchmal wanderten die zwei noch zusammen vor Amt, und immer trug Georg die Lisbeth über den Bach, trug ihr den Korb, bog die Zweige auseinander, die hätten ihr Gesicht streifen können, und hütete sie vor jeder Gefahr, die ihr etwa auf dem Weg begegnen konnte, und staunend und kopfschüttelnd sahen die Leute vom Dorf dem seltsamen Paar nach.

Liebe im Streit.

Es kam endlich doch zur Scheidung; die Geschwister Lisbeths hatten alles gethan, sie zu fördern, und Georg that nichts, sie zu hintertreiben, »'s ging nimmer,« versicherte er, wenn gute Freunde ihm zuredeten, er solle doch nicht so dumm sein und von einem Weibe gehen, die »Sach g'nug« habe; »'s geht nicht, ich werd' nimmer anders und sie vollends gar nicht; 's ist besser, wir sind voneinander.«

Als sie vom letzten Gange vom Sitz des Gerichtshofs, wo die Scheidung vollzogen worden war, zusammen heimkehrten, sagte Lisbeth spitzig: »So, jetzt kannst nehmen, wen du willst.« – »Erst nicht,« sagte Georg, »ich bin der schuldig Teil, ich darf nicht heiraten ohne deine Erlaubnis.« – »Ich heb' dich nicht,« schnauzte sie mit glutrotem Gesicht. – »Du darfst heiraten, wenn d' willst,« sagte Georg, »aber,« indem er sich mit geballten Fäusten vor sie hinstellte, »guck, tot schlag' ich dich, maustot, wenn d' einen andern nimmst.« Schweigend zogen sie miteinander nach Haus, bis sie sich trennten vor Lisbeths Thüre.


Georg hatte nichts von seinem Weibe anzusprechen, er hatte nicht viel beigebracht und noch weniger etwas errungen. Er hatte immer besonders gut mit Pferden umgehen können und verdingte sich nun als Kutscher zu einer Herrschaft in der Stadt. Ehe er ging, nahm Lisbeth, die karge Lisbeth, drei Wochen die Näherin ins Haus und ließ ihn mit Weißzeug neu ausstaffieren. In der Nacht nahm er noch Abschied von ihr und sein letztes Wort war wieder: »Tot schlag' ich dich, wenn d' einen andern nimmst.«

Georg war fort und bald erfuhr man, er sei mit seinem Herrn nach Frankfurt. Lisbeth, die einigemal heimlich vor seiner Abreise in der Stadt gewesen war, hatte das zum voraus schon gewußt; sie hatte auch erfahren, daß der Herr außer seinem Kutscher noch einen jungen Burschen zur Bedienung mitnehme.

Durch allerlei Schleichwege, befreundete Mägde u. dgl. wußte sie dessen Bekanntschaft zu machen, sie versprach ihm jährlich ein reiches Geschenk, wenn er ihr immer von Zeit zu Zeit Nachricht über den Georg gebe, über alles, was er thue, und besonders wenn er weibliche Bekanntschaften mache; nur die bestimmte Versicherung, die ihr der Junge darüber gab, konnte sie etwas beruhigen.

Dem Georg fiel das Heirathen nicht ein, obwohl ihn Liesbeth mit rastloser Angst bewachte oder bewachen ließ. So oft er in die Gegend kam, kehrte er bei ihr ein und brachte alle Zeit, die er von seinem Dienst abwesend sein konnte, bei ihr zu. Gewöhnlich sprang ihm der Sultan voran, und wenn Liesbeth den bellen hörte, kehrte sie vom dringendsten Feldgeschäft um und ging nach Hause. Die Nachbarn behaupteten, ihr Kamin rauche nur dann recht, wenn der Georg da sei, sonst steige das ganze Jahr nur so ein dünnes Schwänzle in die Höh.

Georg hatte sehr einträgliche Dienste, und das Dorf erstaunte über die reichen Geschenke, die feinen Tuchkleider, warmen Halstücher und seidnen Schürzen, die er der Liesbeth brachte oder schickte. Sie machte ihm darüber Vorwürfe: »so kommst du zu nichts und bleibst der alte Lump.« – »Wenn ich nichts mehr hab', so verhältst du mich,« sagte er lachend. – »So meinst?« – und doch zog sie mit besondrem Stolz die Sachen an und hatte nicht Ruhe, bis man sie darüber berufen und den Staat bewundert hatte.

So ging das lange Jahre fort, Georg hatte keinen Grund zur Eifersucht, Liesbeth bekümmerte sich um keinen Mann, die ihrige aber blieb rastlos wach. Der Fall kam freilich auch vor, daß Georg dienstlos war, und Ersparnisse konnte er jetzt noch so wenig machen, als vor Zeiten. Dann nahm er seine Zuflucht zu Liesbeth, als ob sich das von selbst verstände, und sie wohnten zusammen, arbeiteten zusammen und stritten sich zusammen, wie in den alten Tagen, bis Georg wieder eine Stelle fand.

Einmal, nach einer längern Abwesenheit Georgs, in tiefer Nacht hörte Liesbeth vor ihrer Thür das klägliche Winseln eines Hundes, sie sprang aus dem Bette und öffnete: es war der Sultan. Sie dachte an Geschichten, wo Hunde Hilfe zu Todten oder Verwundeten geholt, und zündete die Laterne an, um zu sehen, ob der Hund nicht auf eine Fährte leite, aber er blieb da und hatte, wie's schien, keinen Willen, als in's Haus zu kommen, er legte sich oben ruhig vor Liesbeths Bett nieder, während er sonst in lustigem Aufhüpfen und wildem Hin- und Herspringen die Ankunft seines Herrn verkündet hatte.

»Mein Mann ist gestorben,« sagte Liesbeth am andern Morgen zum Bruder. – »Ach was bildst dir ein,« sagte der. – »Und ich weiß gewiß, daß er todt ist,« versicherte sie und rüstete ihre Trauerkleider.

Nach vierzehn Tagen erst kam der Todtenschein des Kutschers, der im Ausland gestorben war. Das Wenige, was er hinterlassen, hatte er seinem Weibe vermacht. Liesbeth hat von der Zeit an nie mehr helle und farbige Kleider getragen. Sie war noch wohlerhalten und hatte ihr Besitzthum durch Fleiß und Sparsamkeit wieder sehr gehoben, so daß es ihr jetzt noch nicht an Freiern gefehlt hätte. Aber sie sahen bald, daß da nichts zu hoffen war. Sie verkaufte ihre Güter und zog sich in die Hinterstube ihres Hauses zurück. Sie ist sehr alt geworden. Der Sultan blieb bis zu seinem Ende ihr einziger Gefährte, nachher blieb sie ganz allein.



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