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V.
Der Künstler.

Der wäre auch frei gewesen von der Hagestolzensteuer; – kein fröhliches Wiegenliedlein ist ihm erklungen, der Vater hat sich mit verhülltem Gesicht abgewandt, als ihm sein Söhnlein zuerst auf die Arme gegeben wurde, und seine Mutter hat ihn mit Thränen begrüßt. Und doch war er der Sohn eines glücklichen angesehenen Hauses, das Kind guter Eltern, und ein Kreis blühender reichbegabter Geschwister harrte mit froher schüchterner Erwartung des neuen Brüderleins. Aber das schöne klare Menschenantlitz, die erste, die einfachste Mitgabe der Natur, deren unendlichen Werth erst die begreifen, denen sie versagt ist, war bei ihm entstellt, und statt daß die Mutter mit freudigem Stolz ihr Kindlein den besuchenden Freundinnen gezeigt hätte, schaute sie, ehe sie das Wiegentuch enthüllte, mit schmerzlichem Blick zu ihnen auf, der um ein schonendes Urtheil bat.

Nun gibt es gewiß keine Frau, die in solcher Stunde einer Mutter weh thun könnte, und, Alle waren reich an Trostgründen: die Eine vertröstete auf eine Operation, die Andere aufs Verwachsen der entstellten Lippe, die Dritte rühmte des Kindes helle Aeuglein, aber unter sich kamen Alle darin überein, daß der liebe Gott am besten thäte, das Tröpflein zu sich zu nehmen; und der Vater selbst mochte wohl so denken, als das Kindlein Tage und Wochen lang fortschrie und in Folge einer ziemlich vergeblichen Operation dem Tode nahe war. Die Mutter wagte kaum um des Kindes Leben zu bitten, aber sie klammerte sich mit einer unbeschreiblichen Liebe an das arme Geschöpf, mit einer Liebe, die ihm die ganze Welt ersetzen sollte; und das Kindlein lebte fort. »Wenn du meinem Kind das Leben erhalten hast, guter Gott,« betete die Mutter zuversichtlich, »so wirst du ihm auch ein Plätzchen auf Erden finden, wo es hingehört;« und dies Gebet blieb nicht unerhört.

Es war ein neues Leid, als das Kind die ersten Sprachtöne, sonst ein Gegenstand bewundernden Jubels der Eltern, nur spät und mühsam, entstellt und undeutlich hervorstieß; gar lange Zeit konnte ihn niemand verstehen als die Mutter, aber mit besonderer Freude und Stolz verkündete sie auch jeden Zug eines gesunden Verstandes und kräftigen Geistes, den sie in diesen unartikulirten Lauten herausfand.

So wuchs er auf, stark und kräftig von Gestalt, aber düstern Angesichts, unter den schönen heitern lebensvollen Bildern der Geschwister. Alle Liebe, die er im Vaterhaus erfuhr, konnte ihn nicht bewahren vor den Verletzungen von außen, die unvermeidlich mit einem solchen Loose verbunden sind. Gar oft kam er mit zornigen Thränen vom Spielplatz oder aus der Schule heim, wo da Einer seine Stimme nachgemacht, ein anderer sein Gesicht als Karikatur gezeichnet hatte, und goß seinen ungestümen Grimm in das mitleidige Herz der Mutter, und die schwere bittre Frage des Hiob: ›Warum bin ich nicht gestorben von Mutterleibe an? Warum bin ich nicht umgekommen, da ich an's Licht kam?‹ stieg in seiner Seele auf zu einer Zeit, wo Andre nur die erste, reinste, unbewußte Lust des Daseins kennen. Kein Wunder, wenn auf seinem Angesicht ein Schatten lag all sein Leben lang, ein Schatten, den selbst der Tod nur gemildert, nicht weggenommen hat; und wer ihm damals gesagt hätte, daß ihm eine mehr als siebzigjährige Pilgerfahrt bestimmt sei, der hätte sich bei ihm wohl schlimmen Dank verdient.

Aber zwischen ihm und der Welt, die ihm so unfreundlich entgegentrat, bildete die Liebe des Vaterhauses eine schützende Mauer. Alle hatten das Gefühl, als ob sie ihm etwas zu vergüten hätten, bei geschwisterlichen Zwisten wurde Friedrich neutral gelassen, mit kampfbereiter Faust schützten ihn bei Knabenspielen die Brüder gegen jede Unbilligkeit und Verhöhnung, die geschickte Hand der blühenden Schwestern war unermüdet, ihn mit niedlichen Geschenken zu erfreuen, denn bei dem unschönen Knaben hatte sich frühe schon ein feiner Schönheitssinn ausgebildet, der freilich auch sein Gefühl schärfte, für das, was ihm versagt war.

So wurde durch diese Liebe, die er im engern Kreis der Seinen erfuhr, die lautere süße Quelle der Herzensgüte und des Wohlwollens frisch und lebendig in ihm erhalten, wenn auch nach Außen sich viel rauhes Gestein darum ansetzte.

Friedrich erhielt den besten Unterricht, auch hier stand der Bruder ihm schützend zur Seite und war sein Dolmetscher, wo sein Organ ihn unverständlich machte; er drang eifrig durch die geöffnete Pforte classischen Wissens, aber er fühlte doch, daß die gelehrte Welt ihm keine Zukunft biete.

Alle Berufsarten wurden durchgegangen und erwogen, was für Friedrich taugen könnte, dem es ja an geistigen Gaben nicht fehlte: – Geistlicher, Arzt, Beamter, Advokat, Kaufmann, Apotheker, – ach überall gehörte ein unentstelltes Angesicht, eine klare Stimme dazu, um seinen Weg zu machen und Ansehen und Wirksamkeit zu gewinnen. Gegen ein niederes Gewerb sträubte sich die Mutter, es war dies zu jener Zeit für Söhne vom Honoratiorenstande nur ein Ausweg im schlimmsten Nothfall, und sie fürchtete, sein Aeußeres möchte ihn hier noch mehr Kränkungen aussetzen. Sie sorgte aber nicht um ihn, sie wartete zuversichtlich auf einen Wink von oben für seine Zukunft, einen Wink, wie ihn aufmerksame Kinder vernehmen lernen, und sie ahnte schon den Ausweg, den sie aber von selbst wollte herankommen lassen.

Friedrichs Elternhaus war ein gar fröhliches, mannigfach belebtes, und wie still, oft düster auch sein Sinn war, eine Strömung dieses warmen Lebens mußte auch seine Seele durchziehen und jede darin schlummernde Kraft zur Reife bringen. Der Vater war ein Mann von vielseitigen geistigen Interessen, der über dem oft beschränkten Standpunkt des damaligen Beamtenstandes stand, die Mutter ein reiches phantasievolles Gemüth, und von Beiden hatten die Kinder den lebendigen Sinn für's Schöne, der jedem eine heitre Lebensmitgabe war. Es herrschte noch alte strenge Zucht und Sitte, die Töchter waren an Arbeiten gewöhnt, wie sie unser jetziges Geschlecht geradezu für unmöglich erklären würde, daneben aber bewahrte sich eine frische gesunde Genußfähigkeit, die bei unsrer Jugend leider auch zu den vergangnen Dingen gehört. Ein wohlwollender Vater und eine noch jugendliche Mutter, schöne Töchter und muntre Söhne, ein heitrer, sorgenloser Geist über alles ausgegossen, – das gab eine fröhliche Ferienheimath für Vettern und Bäschen, und obwohl Friedrich lieber die Einsamkeit suchte, ganz konnte er sich dem Einfluß des rührigen Treibens nicht entziehen.

Es war auch das Zeitalter der Freundschaftstempel, der begränzten Urnen und Thränenkrüge, der abgebrochenen Säulen und geschmückten Altäre; der Papa war zwar für derartige poetische Demonstrationen minder gestimmt, Friedrichs kunstsinnige Schwestern aber ließen sich's nicht nehmen, alle Familienfeste mit Gesängen und Blumengewinden aller Art zu feiern.

Auf des Papa's fünfzigsten Geburtstag war ein Hauptschlag ausgedacht: ein Altar sollte im Garten errichtet werden, vor dem ihn die Töchter weiß gekleidet mit einer Kantate empfangen wollten; nach langer Wahl fand sich dazu kein passenderes Meublestück, als ein Nachttischchen: das wurde dann mit weißen Tüchern behängt, mit Guirlanden verziert und alle Geschenke darauf niedergelegt. Die Mutter übernahm die etwas schwierige Mission, den Papa in der Morgenstunde in den Garten zu bringen, er kam gutwillig, obschon mit etwas unbehaglichem Gesicht, hörte geduldig die Begrüßungskantate an und nahm seine Geschenke freundlich in Empfang; nur meinte er, bedenklich auf den Altar deutend: »die Nachtanstalt da, Mädchen, die schafft mir weg, ich muß immer dabei an die Cholera denken.« Die Mädchen waren zuerst etwas niedergeschlagen, machten sich aber dann mit Lachen daran, den Altar zu demoliren, da fiel dem Papa noch ein kleines Blättchen, Friedrichs Geschenk, in die Hände. Mit lauter Freude und Verwunderung erkannte er darauf seinen Garten, ganz getreu gezeichnet, nur statt der alten baufälligen Laube stand da ein niedliches Häuschen, wie es seit Jahren sein Lieblingstraum war, wo er im Freien und doch hübsch im Trockenen sitzen könne, um seine Pfeife zu rauchen, seine Zeitung und seine Lieblingsdichter zu lesen. Er kannte sich nicht mehr vor Vergnügen, und seine mitleidige Liebe zu Friedrich verwandelte sich in eine Art Respekt vor diesem beginnenden Talent, das er gar nicht geahnt; während die Mutter schon lange es in der Stille geweckt, und so viel an ihr war, geleitet hatte.

»Nun zeigt unser Herrgott einen Ausweg!« rief er hoch erfreut, »jetzt läßt man den Buben malen und zeichnen, mag leicht sein, so kommt doch so viel heraus, daß es ihm sein Plätzchen in der Welt sichert.«

Nach kurzer Vorbildung, bei der sich sein Beruf bewährte, öffnete die Karlsakademie dem jungen Künstler ihre Pforten; ein geistvoller Lehrer, dem sich der Jüngling mit all der tiefen wahrhaften Liebe anschloß, der seine starke Seele fähig war, wußte seine Kräfte zu wecken und auszubilden, und bald gab er sich ganz dem Zweig der Kunst hin, zu dem ihn seine innerste Neigung zog.

Schon seine ersten Studien waren meist Naturansichten, vor allen die anmuthigen, verschiedenartigen Gestalten der Bäume; seine jüngere Schwester war nie mit dieser Wahl zufrieden gewesen: »Bäume sind langweilig, solltest auch Leut' malen, das ist viel schöner.« Ach, das Studium der schönen Menschengestalt mahnte Friedrich, der einen so scharfen Blick für Schönheit hatte, nur immer schmerzlich an das, was er entbehrte, darum suchte er die stille, friedvolle ewige Schönheit der Natur, und sie hat sich ihm zu eigen gegeben in wunderbarer Weise. Auch die Welt der Farben reizte und fesselte seinen ernsten Sinn nicht, er liebte das Schwere, das Ernste, den Kampf, selbst bei der friedlichsten Beschäftigung, so ward er denn Kupferstecher, und hat dem harten Metalle die schönen weichen Bilder abgerungen, in denen er die Reize seines Heimathlandes verewigte.

Mit aufgerichtetem Haupt ging er nun seine stillen Wege, ihm war von Gottes Gnaden sein Beruf gegeben worden. Neidlos sah er die glücklich begabten Brüder hinausziehen, sich ehrenvolle Bahn brechen im öffentlichen Leben, sah sie um Liebe werben und Liebe gewinnen, er sah den Stern und das Licht des Hauses, seine schöne Schwester Klara an der Seite ihres Gatten dahinziehen, er empfand mit warmem Herzen Freude und Leid, das seine Lieben betraf, – sein Leben war kein klares Bächlein, das unter Blumen fließt; es war ein Waldstrom, der einsam und oft im Dunkel und über rauhes Gestein braust, aber doch ein Strom, der in seiner angewiesenen Bahn zieht, dessen wilde Schönheit sich selten einem Menschenauge kund gibt.

Damals wurde das Reisen etwas schwerer genommen, als jetzt, wo Jeder, der in seiner Jugend einen Goldkäfer gefangen hat, Naturforscherversammlungen nachzieht, und wer einmal Ritter und Gäule auf seine Schulhefte gesudelt, sich berufen glaubt, später nach Rom zu reisen. So hat denn auch Friedrich keine großen und glänzenden Kunstreisen gemacht. Es war schon eine große Begebenheit und wurde als ungeheures Opfer von Seite seiner Eltern angesehen, daß er nach Wien reisen durfte, wo damals die Kupferstecherkunst in voller Blüthe stand.

Dort trat er in einen Kreis, wo das Talent höher wog, als die äußere Erscheinung, wo man geneigt war, gerade bei seinem auffallend ungünstigen Aeußern ihm um so reichere innere Begabung zuzutrauen und fast einen zweiten Michel Angelo in ihm suchte. Eine herzliche rückhaltlose Freundschaft verband ihn dort mit jungen Kunstgenossen, und obgleich er aus freier Liebe seine Heimath zum bleibenden Aufenthalt wählte, dachte er doch stets mit Freuden jener Blüthentage seines Lebens und seines Talents.

Es begann damals in der Kunst eine neue Periode, man wandte sich von den steifen geschmacklosen Zopfgestaltungen ab, und rasch zum Gegentheil: in Gärten, im Anzug, auf Bildern zeigte sich ein Geschmack für das sogenannte Pittoreske: kein klarer Himmel durfte sich über den Bildern wölben, nur zerrissene Wolken, zerklüftete Felsen, umgestürzte Stämme und zerfallene Häuser bildeten die Landschaften; Friedrichs gesunde Natur sträubte sich auch gegen dies Extrem. Er zeichnete einmal einen schönen wohlgestalteten Baum im Prater und brachte die gelungene Skizze sehr vergnügt dem italienischen Meister; der betrachtete sie mit immer mehr unzufriedener Miene und besann sich nur auf ein deutsches Wort, um seinen Tadel auszusprechen: »mehr veriss' … (zerrissen)« stieß er endlich hervor. – »Von da an ließ ich die Kerle sagen, was sie wollten, und malte wie ich wollte,« sagte Friedrich, – »was! da müßt ja unser Herrgott ein paar hundert Donner und Hagelwetter 'runter schicken und die Welt zusammenschlagen, bis sie denen zum Abmalen gefiele!«

Er kehrte in die Heimath zurück, die Eltern starben, die Geschwister hatten sich ihren eigenen Herd gegründet, Friedrich siedelte sich in einem kleinen Häuschen im Grünen mit einem Maler an, einem Freunde, mit dem er bis zum Tod in treuer Liebe verbunden blieb, und lebte da seiner Kunst.

Er hatte von jeher die Einsamkeit geliebt und früh angefangen, nach der Natur an Ort und Stelle zu zeichnen. Gegen die Sitte der meisten seiner Kunstgenossen waren es selten bekannte Malerwerke, die er mit dem Grabstichel vervielfältigte, er schuf seine Werke ganz. Mit seinem treuen Hund zog er einsam hinaus und schöpfte sich neuen Stoff. Tage lang konnte er so herumstreifen, stundenlang an einem Hügel, in einem Wiesenthal ruhen und seine Augen werden an den anmuthigen Schatten der Bäume auf dem weichen Grün, an dem vielfältigen Reichthum der Blätter und Gräser in dem kleinsten Waldeckchen und den unaussprechlichen Zauber der Einsamkeit in sich aufnehmen, den Geist Gottes ahnen, der noch heute über den Wassern, über Bergen und Thälern schwebt.

Hier störte und verletzte ihn nichts, mochten seine Züge entstellt sein und seine Stimme rauh; sein Auge war hell geblieben, und eine Quelle reinen unversieglichen Genusses strömte ihm dadurch zu.

Nach solchen Stunden schuf er die lieblichen kleinen Bilder, in denen sich am meisten die tiefe Poesie seines innersten Wesens offenbarte, in denen er den unerschöpflichen Reichthum einer anscheinend einfachen Gegend zeigte, und ungeübten Augen die geheimnißvolle Sprache der Natur übersetzte. Es war hier das Kind vom Hause, das Fremden mit Stolz die Schätze seiner Mutter zeigt; ein Pfad, der sich zwischen Waldgebüschen verliert, der Durchblick durch einen Obstgarten auf ein einsames Feldkirchlein, ein Brünnlein im Gebüsch, ein Steg über einen Waldbach, – das alles gestaltete sich unter seiner Hand zum abgerundeten Bilde, dessen leiser, süßer Reiz sich mehr fühlen als beschreiben läßt. Ein nüchterner Vetter versicherte oft mit bewundernder Ueberraschung: »und wenn du nur noch einen alten Zaunstecken findest, so machst du die schönste Landschaft daraus!«

Doch blieb er nicht immer im Waldgrunde liegen; rüstigen Schritts zog er in's Land hinaus, um historisch denkwürdige Punkte aufzusuchen, die er zu größern Bildern gestaltete. Den Hohenstaufen in seiner einsamen Trauer und die alte Stammburg unsers Herrscherhauses führte er auf großen Blättern aus, gar manche schön gelegene Stadt, manchen reizenden Punkt faßte er wieder von ganz neuer Seite auf und studirte mit unermüdeter Treue, bis er die schönste Stelle gefunden hatte. Sein Lieblingsstudium blieben Bäume, die er auf seinen Bildern immer frei komponirte, auch wenn er zuvor die sorgfältigsten Studien an Ort und Stelle gemacht.

Seine Bilder wurden geschätzt und gesucht, obschon er das merkantilische Geschick nicht hatte, dessen auch die Kunst bedarf, um goldnen Boden zu gewinnen. Er selbst hielt seine Werke gar hoch und werth, sie waren seine lieben Kinder und ihm fest an's Herz gewachsen; er hätte lieber wirklichen Mangel gelitten, als den Preis seiner Bilder herabgesetzt, nur höchst ungern trennte er sich auch von der kleinsten Skizze, sie waren ja alle ein Theil seines innersten Selbst.

Ob sein Herz, das treuer und inniger Gefühle fähig war, je für Eine geschlagen hat, das weiß niemand; er hatte eine starke Seele, und wenn er stille Wünsche zu Grabe getragen hat, so hat er keine Glocke dazu geläutet. Nach außen, der Welt gegenüber, hatte sich die Rinde eines gewissen unbekümmerten Trotzes um sein Wesen gelegt: »ich braucht euch nicht und scheer' mich nicht um euch!« Ein gerader unbeugsamer Sinn für Recht und Wahrheit war der innerste Grund seines Charakters. Jeder Anflug von Affektation, Empfindsamkeit und süßlichem Wesen war ihm ein Gräuel, jede Aeußerung gesunder Naturkraft, und sollte es eine Prügelei sein, eine recht innerliche Erquickung. Er erzählte einst von einem Besuch in der Galerie, wo eben eine Menge Volk mit abgeschmacktem Geschwätz und affektirter Bewunderung sich umgetrieben, namentlich eine Frau Base, die einem jungen Burschen vom Lande mit großer Weisheit die Schönheiten der Bilder erklärte; in diesem Augenblick entstand ein Lärm auf der Straße, eine Menge Leute verfolgten einen wild gewordenen Ochsen: »der Bursch' läßt Bilder Bilder sein, brennt durch und springt mit Lust dem Ochsen nach, der Kerl hat mi g'freut!« lachte er vergnüglich.

Auf seinen einsamen Entdeckungsreisen durch Felder und Wiesen, die er mit seinem getreuen Karo unternahm, kam er je und je mit Feldhütern in Konflikt, die ihm den Weg verwehren wollten und bei seinem undeutlichen Organ die Erklärung seiner harmlosen Zwecke nicht begreifen konnten oder wollten; nachdem alle Auseinandersetzungen vergeblich geblieben, demonstrirte er sein Recht mit kräftiger Faust und blieb fortan unangefochten. Diese Abenteuer ergötzten ihn so sehr, daß sie sich in spätern Jahren, wo sein Gedächtniß undeutlich wurde, gleich Fallstaffs steifleinenen Kerls vervielfältigten: selten besuchte sie in seinen letzten Zeiten den Vetter, ohne von drei, sechs, acht Weinbergschützen zu erzählen, die er und sein Karo nicht schlecht den Berg hinab gejagt hätten.

Einmal war er auf seinen langen Gängen an einen kleinen See gekommen, an dessen Ufer Weiber und Knaben beschäftigt waren, Frösche zu fangen und ihnen die Beine zum Verkauf auszureißen. Tief empört stellte er ihnen ihre Grausamkeit gegen die armen Thiere vor; sie aber wollten nicht ablassen und lachten endlich über seine Sprache, die im Affekt noch undeutlicher wurde. »Da hab' ich meinen Stock genommen und meinen Karo gerufen,« und er hatte das rohe Volk siegreich in die Flucht gejagt, ohne Mitglied des Vereins gegen Thierquälerei zu sein, und die armen Thiere wieder in ihr Element geworfen.

Die Menschheit im allgemeinen konnte es ihm selten zu Danke machen; das ganze Resultat seiner Studien über das Menschengeschlecht faßte er in die einfache Behauptung zusammen: »unter hundert Menschen allemal neunundneunzig Stück Vieh.«

Ob Fremden sein Aeußeres auffiel, das beirrte ihn lange nicht mehr, seine Freunde liebten ihn so ganz wie er war, daß sie sich freuten, wenn sie nur seine mißtönende Stimme hörten; – die jung und schön gewesen waren zur Zeit seiner eigenen freudlosen Jugend, waren nun gealtert und lange verblüht, und er sagte oft mit Lachen, wenn er alte Jugendbekannte wieder sah: »ich brauch doch nicht wüster zu werden.«

So hatte mit dem höhern Alter sein Mißgeschick den Stachel verloren, – doch blieb eine Wolke auf seinem Angesicht, auf seiner ganzen Welt- und Lebensanschauung. Größere und elegante Zirkel mied er; wie er einst in der Familienliebe zunächst seinen Halt und Trost gefunden, so blieb er auch der Familie mit all der Treue und Innigkeit zugewandt, deren sein reiches und starkes Gemüth fähig war. Er hatte ein Herz wie Gold für Freundschaft und Liebe, ein ächt schwäbisches Herz für verwandtschaftliche Bande und ein schwäbisches Gedächtniß dazu. Kein freundlicher Blick, kein herzliches Wort war bei ihm verloren, er bewahrte sie alle in einem treuen, guten Herzen, und wen er nur einmal in den tiefen und warmen Grund seiner Seele hatte blicken lassen, der konnte es nie mehr vergessen, seine Liebe und Freundlichkeit hatte etwas unbeschreiblich Rührendes.

Ernsten Sinnes und düstern Angesichts, wie er war, hatte er doch an den Jungen und Frohen seine Herzenslust, immer mehr, je ursprünglicher der Ausdruck ihrer Fröhlichkeit war. Zwei seiner Nichten erklärte er schlechtweg für »die bravsten Mädchen auf der Welt,« weil sie vor lauter Lust und Lachen einen Tisch umgeworfen und doch dabei weder von Herren noch von Kleidern gesprochen hätten. Wenn ein Kindlein, das er herzen wollte, sich schreiend von ihm abwandte, sagte er wohl wehmüthig: »glaub's wohl, daß du mich fürchtest,« war aber dann kindlich glücklich, wenn das kleine Wesen sich doch an ihn gewöhnte. Auch liebten ihn fast alle Kinder und blieben zutraulich bei ihm sitzen, auch wenn sie bei andern Besuchen sich scheu zeigten, oder verscheucht wurden. Auf Eleganz hat er nie Ansprüche gemacht und war überhaupt von den äußern Genüssen und Bedürfnissen des Lebens unabhängig wie Wenige; freien Schrittes ist er durch's Leben gegangen und hat der Erde fast mehr gegeben, als er von ihr genommen.

Sein Zimmer schon gab Kunde, welch' großen Antheil die Kunst, welch' kleinen irdisches Gut und Behagen an seinem Wesen hatte. An Meubeln und Geräthen besaß er nur das Nothdürftigste, seinen Sopha bildete ein altes Polster, das auf seine Kleiderkiste gelegt war; aber alle Wände waren bedeckt und der enge Raum fast überfluthet von Kunstwerken, eignen und fremden, Kupferplatten, Zeichnungen, Studien und Skizzen, da er jedes Blättchen von frühester Jugendzeit her sorgsam aufbewahrte. Nur keine Lithographie! gegen diesen Zweig der Kunst, den er als Schmarozerpflanze auf dem edlen Baume ansah, blieb er höchst feindselig gesinnt und erklärte es für Spottschande, wenn ein gebildeter Mensch dergleichen in seinem Zimmer dulde. Seine Hand wurde unstät, sein Auge getrübt, er hatte noch ein großes Bild, eine Landschaft im Sturm begonnen, in dessen dunklen Zügen er all die verborgne Poesie, die überwundenen Stürme seiner innersten Seele niederlegen wollte, da versagte ihm die Kraft, den Grabstichel zu führen, – er konnte es nimmer vollenden. Nun wandte sich sein rastloser Fleiß den lange verschmähten Farben zu, er malte, so lange sein Auge noch hell genug blieb, anmuthige Bilder, in Oel- und Wasserfarben, er malte fort, fast bis ihm im Tode der Pinsel entsank.

Er war ein greiser und wegemüder Pilger, obwohl er noch aufrechten Ganges mit ungebleichten Haaren seine alten Wege ging. Einen Freund und Verwandten nach dem andern hatte er zu Grabe geleitet und in die junge Welt konnte er sich nicht mehr finden. Die Ersparnisse aus seinen bessern Tagen wollten kaum mehr hinreichen, seine bescheidnen Bedürfnisse zu decken, – da sollte auch seine Stunde schlagen. Kaum erstanden von einem schweren Krankenlager, wurde er von raschem Tode ereilt, und er sank müde nieder zu den Füßen seiner Werke, um nimmer aufzustehen. Seine Kunstgenossen begleiteten den Sarg, den ein voller Lorbeer schmückte.

Wer so tief der Natur in's Auge gesehen und ihr innerstes Meinen verstanden hat, der kann auch dem Vaterherzen nicht fern geblieben sein, das dem anscheinend verkürzten Kinde solch ein reiches Erbtheil zugewiesen. Möge der Künstler in den vielen Wohnungen in des Vaters Hause eine Heimath gefunden haben, dort, wo Wahrheit und Schönheit eines sind, wo die edle Seele ihre edle Form finden wird, wo jeder Mißklang sich auflöst in selige Harmonie.



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