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III.
Der Tondichter.

Dem war's auch nicht, an der Wiege gesungen worden, daß er in Einsamkeit sein Leben beschließen sollte. Der jüngste Sohn eines respektablen, gesicherten, wenn auch nicht reichen Handelshauses, zum Associé seiner Brüder bestimmt, welch andere Zukunft lag vor ihm, als in anständiger Equipage sicher und bequem seinem Lebensziel zuzureisen, und wer hätte gedacht, daß er es vorziehen würde, an einsamem Wanderstab über Berge und Thäler, durch Wälder und Felsen seinen eigenen Pfad zu suchen?

Zwar muß man gestehen, es lief ein bedenklicher genialer Zug durch das ganze solide Geschlecht, der sich nur daraus erklären läßt, daß sich unter den ehrenwerthen Früchten des bürgerlichen Stammbaums in grauer Vorzeit ein – Tanzmeister vorfand. Von dem muß sich so ein künstlerischer Schwung vererbt haben, der sich aber mit der Zeit veredelte; denn der Papa hatte in seiner Jugend die Flöte geblasen, der Onkel gemalt, der Großpapa Verse gemacht; Brüder und Schwestern zeigten von zarter Jugend an eine Leidenschaft für Liebhabertheater und Sprüchwörterspiel, und so war's dem Heinrich zu verzeihen, wenn er seinerseits auch eine schöne Kunst erwählte.

Musikalisch war das Haus ohnehin; Louise spielte Guitarre, Pauline Clavier, und gesungen wurde, wo man ging und stand. Auch regnete es an Geburts- und Neujahrstagen Gedichte aller Art. August, der älteste, lieferte Disticha in feierlichstem Styl, z. B.:

»Reiche, Apollo, mir heut die silbertönende Leier,
Um zu begrüßen die Herr – liche, die Mutter mir ward.«

Franz brachte scherzhafte Knittelverse:

»Was schaut denn da zum Fenster 'rein?
Wird wohl der Herr Geburtstag sein,
An dem vor vierzig Jahr bei Nacht
Der Storch die Frau Mama gebracht etc.«

Pauline warf sich aufs naive Genre:

»Liebe Mama,
Dein Geburtstag ist da etc.«

Die Louise aber wurde hochpoetischer, wobei sie's mit der deutschen Grammatik nicht allzu genau nahm:

»Schön im rosigen Gefieder
Steigt am Horizont empor
Und begrüßt die Erde wieder
Jener Tag, der dich gebor.«

Alle diese Anzeichen machten jedoch den Papa gar nicht ängstlich, der mit seiner stattlich gerundeten Gestalt und seinem schweren Tritt ein ehrenwerthes Gegengewicht gegen jenen leichtfüßigen antidiluvianischen Tanzmeister bildete. »Hat nichts zu bedeuten, gar nichts, etwas Unsinn muß der Mensch treiben; da sind die schönen Künste noch der vernünftigste, das bewahrt die jungen Leute vor Schlechtigkeiten. Ich spüre noch die Ohrfeige, die mir's eintrug, als ich in's Hauptbuch einen Altar mit Blumenkränzen gemalt hatte und Phillis darauf geschrieben; bin doch noch ein rechter Geschäftsmann geworden; thut nichts, thut gar nichts.« Bei Heinrich schien ohnehin die geniale Ader minder reich zu fließen. Verse wenigstens machte er nicht und die Cantate, die er als Festbeitrag aufführen wollte, mißlang, weil seine Idee nicht verstanden wurde. Zwar zeichnete er sich in den Klavierstunden aus, die er mit seinen Schwestern theilte, und spielte in der Nacht noch stundenlang, aber an den Familienconcerten wollte er selten Antheil nehmen, da ihm die Schwestern niemals richtig genug sangen. In der Schule war er ein guter Lateiner und ein fertiger Rechner, und so zweifelte denn der Papa nicht am besten Erfolg, als er ihn nach der Confirmation zu sich auf's Comptoir nahm.

So recht wollte es aber da doch nicht vorwärts gehen. Gar zu oft summte der Heinrich eine Melodie vor sich hin oder probirte auf allerlei neuerfundenen Instrumenten unter dem Stehpult den Takt eines Marsches und trieb dergleichen Allotria mehr. Die väterliche Ohrfeige, die zu ihrer Zeit bei dem Papa so gute Wirkung gethan, vertrug sich nicht mehr recht mit dem Zeitgeist; somit beschloß der Vater, ihn aufs Comptoir eines Freundes in einer größeren Handelsstadt zu bringen: der werde ihn schon herdressiren.

Klavierstunden wurden ihm noch gestattet, da der Freund einen »billigen Menschen« aufgefunden, der per Stunde einen Groschen verlangte. Aber die Berichte, die der neue Principal dem Vater sandte, lauteten leider nicht günstig. Zwar lebte der Heinrich äußerst solid und eingezogen, den zu häufigen Theaterbesuch abgerechnet, zwar schrieb er seine Rechnungen und Briefe meist korrekt, aber kein Trieb, kein kaufmännischer Aufschwung, nichts Gewandtes, Freundliches, Gefälliges im Benehmen! Der Principal zweifelte, ob er je als Kaufmann reussiren werde. Der Vater wurde sehr ärgerlich, und da um diese Zeit der »billige Mensch« so frech wurde, drei Groschen für zwei Stunden zu verlangen, so schrieb er Heinrich, so flott thue man denn nicht für ein pures Vergnügen, er solle Angesichts dieses die Musikstunden aufgeben. Das brachte Heinrich nicht über's Herz; er setzte die Lektionen in seiner einzigen Freistunde fort und sparte sich den halben Groschen an seinem Frühstück ab.

Ein liebenswürdiger Hausgenosse für die Familie seines Principals war er nun allerdings nicht, mürrisch, in sich gekehrt, unempfänglich für die Herablassung der Frau Principalin, für die beginnende Liebenswürdigkeit der Töchter. Wer wissen wollte, ob auch noch Leben und Seele hinter diesem finstern Aeußern stecke, der mußte ihn beobachten im Concert oder bei einer Operaufführung, für welche Genüsse er den letzten Heller Taschengeld opferte. Da mußte man ihn sitzen sehen, stumm, unbeweglich, mit leuchtenden Augen, die die Seele der Musik einzusaugen schienen, oder daheim in stiller Nacht, wenn er auf dem heiseren Klavier in seinem Stübchen sich mühte, die Töne wieder zu finden, die ihn so entzückt. Und als es ihm endlich gelang, bei einem bedeutenden Künstler Zutritt zu erhalten, als er seine erste Composition, deren Regeln er mühselig aus alten musikalischen Werken über Generalbaß studirt, und die er dem Meister schüchtern überreicht hatte, unter dessen Hand in lebendigen Klängen wiedertönen hörte, da schüttelte der Künstlergeist in ihm die Schwingen und warf das drückende Joch des lästigen Tagewerks ab; da wuchs ihm der Muth, dem Vater selbst zu erklären, daß er von nun an keinen Beruf mehr kenne, als den des Tonkünstlers.

Der Vater war nicht von Eisen und liebte den Frieden, aber diesmal gab's einen Sturm, der die Grundfesten des respektabeln Hauses hätte erschüttern können und fast der guten Mutter den Lebensfaden abriß. Heinrich blieb unbeweglich gegen alle Vorstellungen. »Höre, Bursche, du täuschest dich vollkommen, wenn du glaubst, ich sei so reich, daß du nach Plaisir der Kunst leben könnest; unser Vermögen ist eines, das mit Mühe erhalten und vermehrt werden muß, wenn es seinen Mann nähren soll.« – »Wenn's nur reicht, daß ich mir die Kenntnisse erwerbe, die die Grundlage meiner Kunst sind. Nach Besitz frage ich nicht, die Kunst ist meine Zukunft.« – »Aber, du dummer Gesell, siehst du denn nicht, was ein Künstler für eine Zukunft hat? denkst du nicht daran, daß du's dein Lebtag nicht so weit bringst, daß du auch nur ein Weib ernähren kannst?« – »Die Kunst ist meine Braut!« rief der junge Enthusiast mit leuchtenden Blicken; das ganze Frauengeschlecht wog in diesem Augenblick keine Feder schwer in seinen Augen. – »So sei's denn in Gottes Namen! Lieg, wie du dir bettest!«

Es war ein Haus des Friedens, das respektable Vaterhaus des Heinrich, und der Mißlaut tönte nicht lange darin fort. Die Mutter befahl in der Stille ihren Sohn dem Herrn und baute auf sein treu Gemüth, die Schwestern ohnehin waren glücklich, daß sie nun einen wirklichen Künstler zum Bruder haben sollten, und die Brüder boten freundlich und neidlos die Hand, um ihm jeden Vorschub auf seiner neuen Bahn zu thun. Den Vater gemahnte es recht wehmüthig, wie die Bitte des verlornen Sohnes, als Heinrich, nachdem er alle Vorstudien gemacht, die in der Heimath möglich waren, um seinen Antheil an dem dereinstigen Erbe bat, damit die Geschwister nicht durch seine Künstlerlaufbahn verkürzt würden. Aber ein Verschwender war Heinrich nie gewesen, und so beruhigte diese Anordnung den Vater wieder, und mit der uneigennützigen Beistimmung der Brüder wurde ihm sein redlicher Antheil gesichert. Wie reich dünkte er sich damit! Jetzt ging's in die weite Welt, nach dem klangreichen Wien, dem sanglustigen Böhmen, nach Italien, der alten Wiege jeder Kunst, überall hin, wo er hoffen durfte, in vollen Zügen den Göttertrank zu schlürfen, der ihm bis jetzt nur tropfenweise zugemessen worden. Sorgsam ausgestattet von Mutter und Schwestern zog er stolz und siegesfreudig in die Welt hinaus, »auf die Brautreise,« wie er lächelnd der Schwester zurief. Ach, er wußte nicht, welch spröde Braut er sich erkoren!

Nach Jahren kam er zurück, unversehrt und unverdorben; die Mutter hatte ihre Zuversicht nicht getäuscht, der Vater erfuhr zu seinem Trost, daß die Brautreise sein Erbe noch nicht aufgezehrt, aber hatte Heinrich die herrliche Braut zu eigen gewonnen? – Ein ausübender Künstler war er nicht. Im stillen Kämmerlein, daheim unter den Seinen, da konnte er in rauschenden Melodien seinen Träumen Töne geben, und der »billige Mensch« wäre wohl billig erstaunt, wenn er gehört hätte, was aus seinem dereinstigen Schüler geworden. Aber »sich hören lassen« vor der Welt, das hätte er um keinen Preis vermocht. So blieb er denn bloß schaffender Tondichter, und nicht der geringen einer; seine Melodien voll Geist und Seele erfreuten viele Herzen, sein eigenes selten. Mehr und mehr wurde er inne, daß er eine Braut erkoren, die hier nicht daheim, und die selten geneigt ist, Hütten zu bauen, und wenn er eben glaubte, ihr voll in das strahlende Antlitz zu sehen, so war es schon wieder der Heimath zugewandt, und es war nur ihr Schleier, den er erfaßt hatte.

Wer mag die Tage voll innern Ringens, die Nächte voll stillen Kampfes zählen, die in solch schmerzlich schönem Werben verbracht werden, bis der Künstler sich resignirt, die stolze Braut zu nehmen, wie sie sich gibt, und zu versuchen, ob sie nicht wenigstens zur ordentlichen Haushälterin taugt, die für den täglichen Bedarf sorgen hilft! – Heinrich hat seine Kunst hoch und heilig gehalten, zur »tüchtigen Kuh, die ihn mit Butter versorgt,« ist sie ihm nie geworden, und sie hat ihn darum doch nicht darben lassen, nicht an der Seele, nicht am Leib, aber einen eigenen Herd hat sie ihm nicht gegründet.

Vater und Mutter gingen zur Ruh, Schwestern und Brüder folgten dem Zug ihrer Herzen, ihrer Bestimmung, fröhliche Hochzeitfeste wurden gefeiert. Bruder Heinrich saß trübseligen Angesichts dazwischen, ein Aergerniß für die unterhaltungslustigen Brautjungfern; und wo es möglich war, vermied er Familienfeste und die Kreise der Jungen und Frohen. – Mit strengster Sparsamkeit beschränkte er seine Bedürfnisse, da seine Compositionen, wenn auch gesucht und gelobt, eben doch keine goldenen Berge eintrugen, und jeden Schein einer Unterstützung von Seiten der Geschwister hätte er mehr als bittern Mangel gefürchtet. – Eine »gute Partie« hätte ihm nun freilich helfen können, aber er war zu stolz, sich nach einer Frau umzusehen, die ihm erst Raum im Leben schaffen müßte, und kein freundliches Geschick führte ihm ungesucht eines jener edlen weiblichen Wesen entgegen, die in freier, demüthiger Liebe Gold und Glück einem geliebten Herzen zu Füßen legen.

In der behaglichen Heimath der Geschwister, im muntern Kreis ihrer heranwachsenden Jugend war er meist ein theilnahmloser und schweigsamer Gast und lange Jahre der unbeliebteste Onkel in den kleinen Cirkeln; nur die kleinsten Kinder hatten wunderbarer Weise einen besondern Zug zu ihm, und manchmal sah man ihn mit feuchten Augen in ihr holdseliges Lächeln blicken.

Die Geschwister waren zu freundlich, ihm je zu sagen: »Warum hast du's so gemacht? du hättest doch klüger gethan u. s. w.« Aber er selbst hatte wohl lange Jahre gerungen mit der bittern Frage: » Mußte ich wirklich? Und wäre es nicht besser gewesen, nach dem Willen des Vaters in schlichtem einfachem Wirken den Beruf zu suchen und die Kunst als Gast zu bitten, die die Hingebung eines ganzen Lebens so wenig lohnt?«

Seine Compositionen trugen meist einen ernsten Charakter, aber an geistliche Musik hatte er sich nie gewagt, und doch liebte er diese am meisten, und es war in den Tiefen der herrlichen Messiaschöre, wo sich allmählig die Mißlaute seiner Seele lösten, wo er begann, einen Beruf zu begreifen, der über dem des Künstlers, über dem des Hausvaters, ein höheres Ziel im Auge hat als irdisches Behagen, ein höheres selbst, als den immergrünen Lorbeer des Künstlerruhms. – Er grübelte nicht mehr, ob Irrthum oder Bestimmung ihn auf seinen Pfad geführt; nun er darauf war, wollte er ihn gehen, mannhaft, ehrenfest, einer ewigen Leuchte gewiß. Das Eis war gebrochen und aus der Rinde seines düstern Angesichts brach der milde Spätfrühling eines reinbewahrten Herzens.

Er war jetzt nicht mehr fremd im Kreise der Frohen, mit gutmüthigem Lächeln sah er dem lustigen Treiben der dungen Welt zu und theilte freundlich ihre Sorgen und Freuden. Er verschloß sich nicht mehr gegen das reine Wohlgefallen, das eine anmuthige Gestalt, eine schöne Stimme in der Künstlerseele erregte; aber es lag etwas so Würdiges, Ruhiges in seinem Wohlwollen, keine Spur der Geckenhaftigkeit, die alten Junggesellen so schlimm steht. – Ein wehmüthiger Ernst blieb ihm indessen eigen, ein stilles Vermissen eines eigenen Herzens, eines eigenen Herdes, auch da noch, als er bei einer seiner Schwestern, die Wittwe geworden, endlich doch einen Theil der oft so schmerzlich entbehrten Häuslichkeit gefunden.

Mit väterlicher Würde waltete er hier unter Neffen und Nichten, und entfaltete jetzt erst die innige Gemüthlichkeit und Tiefe seines Wesens. Mit voller Liebe wandte er sich wieder seiner Kunst zu, dankbar für die hellen Lichtblicke, die sie ihm gewährte, für die Liebe und Bewunderung, die sie ihm in kleinerem Kreise erwarb, in willigem Verzichten auf den vollen Lorbeer, nach dem einst sein jugendlicher Blick so verlangend, so siegessicher aufgeschaut. Seine schönste Composition widmete er der Schwester, die in ihrer anspruchslosen Liebe und Fürsorge kaum glaubte, ihm etwas sein zu können. »Das ist dein Werk,« sagte er, wehmüthig lächelnd. – »Mein's?« fragte sie erstaunt. – »Ja, deines; bei dir bin ich ja zum erstenmal daheim geworden.«

Ein lieber Hochzeitgast war nun der Onkel Heinrich, wie er mit väterlicher Zärtlichkeit die aufgeblühten Nichten zum Altar geleitete, und die jüngsten und fröhlichsten unter den Brautjungfern fürchteten sein ernstes Gesicht nicht mehr; sie fühlten sich durch jedes freundliche Wort von ihm erfreut und geehrt. Aber nur Wenige verstanden den tief wehmüthigen Blick, mit dem er so ein glückseliges junges Paar betrachtete.

Ein hülfloses einsames Alter, ein langes Siechthum wurde ihm erspart. Es war ihm vergönnt, umgeben von liebevoller Fürsorge, heimzugehen, noch ehe sein Geist matt, seine Hand unstet geworden. Nun hat ihm wohl die Braut ihr strahlendes Antlitz ganz entschleiert, und er hat gefunden, was er hier mit so tiefem Weh vermißte – eine Heimath.



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