Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

V.
Der todte Heinrich.

Wer in die schöne Stadt N. kam, der versäumte sicher nicht, im Storchen einzukehren, wenn er anders gut und behaglich wohnen und sich wie daheim fühlen wollte. Denn ein wohlhäbigeres, freundlicheres Gesicht, als das des Storchenwirths, konnte man nicht leicht sehen, reinlichere Stuben und ein schmackhafteres Mahl konnte kein Hotel aufweisen. Er war allezeit wohl gelaunt der Storchenwirth, der mit seinem Titelbild nichts gemein hatte als ein Paar dünne Beine, auf denen sein rundes Körperlein wie eine Kartoffel auf zwei Schwefelhölzern stak; alle Dinge mußten ihm zum Besten dienen, alle Gäste waren seine Freunde. Obgleich sein Gasthaus das erste der Stadt war, so umwehte es doch nicht der kühle Hauch moderner Hotels, in denen der Herr des Hauses wie eine unsichtbare Gottheit regiert. Es bestand noch ein patriarchalisches Verhältniß zwischen Wirth und Gast, wie es für sein gemüthliches Wesen eben paßte.

War das Wetter schlimm und eine Equipage fuhr vor: »Guten Morgen, Euer Excellenz,« (sein herkömmlicher Titel für unbekannte Equipagenbesitzer ersten Ranges), »ah, das ist schön, wenn man bei solchem Wetter so im Trocknen fährt; da ist's plaisirlich, in der Equipage zu reisen.« Kam ein beschmutzter Fußreisender: »Schön, daß Sie uns die Ehre geben; kostbares Wetter für Fußgänger, nicht so heiß! Naß, schmutzig? thut nichts, thut gar nichts, Herr Hofrath! (so titulirte er respektabel aussehende Fußgänger), »habe da einen kleinen Buben, der putzt Ihnen die Stiefel, wie der schönste Savojard, ein Paar ganz bequeme Pantoffel im Gastzimmer; flink, Johannes, da gibt's Arbeit für dich, der Herr will sehen, wie schön du seine Stiefel wichsen kannst.«

War's ein müder Handwerksbursch oder sonst ein Wandersmann aus den untern Schichten der Gesellschaft: »Wie geht's, guter Freund? langsam? ja, ja, ist kein Wunder, nur ausgeruht droben, meine Frau hat warme Suppe am Feuer, nur herein in die vordere Stube, da ist schon Schmutz genug, die Sonne trocknet Alles.«

War's heiß, so hieß es bei Equipagen: »Herrliches Wetter, Excellenz, und sehr angenehm zum Fahren; kostbar Wetter für den Wein!« Die Fußgänger tröstete er in anderer Weise: »Gelt, Freund, heut' ist's ein Reisetag? da weiß man, daß man gelaufen ist, da schmeckt ein Glas guter frischer Most.«

Wurde ein flottes Souper befohlen: »Schön, schön, gnädiger Herr, sollen gleich bedient werden, das ist meiner Frau ihr Leben, haben prächtige Krebse, russische Crême, Salmen – sollen ganz zur Zufriedenheit bedient werden!« Bestellte eine reisende Dame mit Kindern schüchtern drei Portionen Suppe und ein halbes Schöppchen Wein: »Gut, Madame, ja, ja, das ist am besten für die Kinderlein, haben recht kräftige Nudelsuppe, werden auch noch ein wenig Dessert übrig haben für die Kinderlein, das geht drein.«

Der Storchenwirth war nicht nach dem Volksausdruck ein Gassenengel und Hausteufel, nein, auch seinen Hausgenossen gegenüber hatte er stets dieselbe sonnige Natur, was zumeist für seine Frau, die nicht mit einer solchen gesegnet war, wohlthätig erschien. Wenn's in dem Haus von Gästen wimmelte, daß das gute Weib nicht wußte, wo Hände und Füße genug hernehmen, da schien der Wirth sich zu vervielfältigen, um nach allen Seiten genug zu thun. »Siehst du, Sophie, da zeigt sich's recht, was für eine gute Wirthin du bist, hättest du nur gehört, wie die Herrschaften die Tafel loben; nur nicht ungeduldig, ist ja lauter Glück, lauter Segen, wir verlangens ja nicht besser;« – trat einmal ein Stillstand ein und der Frau wollte es bange werden um's tägliche Brod, so war er allzeit getrost. »Jetzt ist's gerade recht, daß man sich auch erholen kann, so darfst du auch 'mal wieder nach deinen eigenen Kindern sehen, du armes Weib, wird bald genug wieder anders kommen.

Und der Sonnenschein saß dem Storchenwirth nicht nur im Angesicht und auf der Lippe, er gab warm bis in's Herz hinein; gar manchem armen Schelm, der seufzend sein dünnes Beutelein zog und nach der Zeche fragte, hat er abwehrend mit der Hand gewinkt: »Laßt stecken, Freund, kost nichts als ein Vergelt's Gott; für manch hungriges Kind ist von der Storchentafel ein guter Bissen abgefallen, »so, Kleiner, nimm's, geh deiner Wege, meine Frau wird hie und da ungeduldig.«

Wenn die Frau nicht allezeit den guten Muth ihres Mannes theilte, wenn sie schwerer trug, als er an des Tages Last und Hitze, so war ihr das nicht zu verdenken. Der Storch, der sich so stattlich auf dem schön gemalten Schild am Fenster schaukelte, war nicht müßig gewesen. Jahr für Jahr hatte er ein Kindlein unters Dach gebracht und zuletzt sogar zwei Mägdlein zugleich. So wimmelten denn zwölf Buben und Mädchen um die Mutter, die kaum Zeit hatte, die Kindlein und sich selbst in den ersten Wochen zu pflegen, und deren Herz es oft schwer bekümmerte, wie sie es möglich machen solle, die ganze Schaar an Leib und Seele ehrlich und christlich zu versorgen.

Der Vater, der setzte sein volles Vertrauen in den, der die jungen Raben speist; er sah recht ernstlich darauf, daß sie zu Schule und Kirche angehalten wurden, und gab ihnen, sobald es möglich war, in der Wirthschaft zu thun. Weil's da ein gar bewegliches Geschäft ist, so ließen sich das die Kinder gern gefallen. »Siehst du, Sophie,« sagte er, wenn die Frau meinte, man sei mit der jungen Hülfe mehr geplagt und aufgehalten als gefördert, »so bleiben sie uns hübsch unter den Augen und haben nicht Zeit zur Unart, und unter der Hand wird doch eine rechte Hülfe daraus, wenn's auch derweil nur eine zum Spaß ist.«

Er hatte seine Herzensfreude an den Kindern, der alte Storchenwirth. »Der Samuel ist ein Allerweltsbub, wie der schon mit den Pferden umgehen kann, das gibt einen Stallmeister, nicht nur einen Stallknecht. Der Fritz, der ist ein gescheidter Kopf, der stellt mir die Rechnung trotz einem Commis.« Peter zeigte entschieden Talent zum Kellnermeister, Georg gab Hoffnung zu einem Gelehrten und Johannes, der sich leider in der Schule nicht auszeichnete, war das bekannte Genie im Stiefelwichsen. Für die Mädchen, soweit sie nicht zu klein waren, gab's ohnehin Gelegenheit genug, im Haus-, Küchen- und Zimmerdienst ihre Kräfte zu üben; nur mit einem der Kinder, dem Heinrich, einem bleichen Knaben, von seinen Brüdern spottweise »der dürre Heiner« genannt, wollte es nirgends recht vorwärts gehen. Heinrich war von seinen ersten Lebenstagen an ein schwächliches Kind, zu Krämpfen und Gichtern geneigt, und zeigte keine große Freude weder am Lernen, noch am Wirthschaftsgetreibe; am liebsten ging er mit der Mutter in den Garten, wenn sie einmal Zeit dazu fand. Da hatte er seine eignen Gärtchen und Beete oder sonnte sich unter dem großen Birnbaum. Als das schwächste und hülfsbedürftigste der Kinder war er der Mutter Liebling; dem Vater war er zu trübselig, er war froh, wenn er ihn im Garten versorgt wußte; in sein geschäftiges, muntres Treiben wollte der stille Knabe nicht recht taugen.

Einmal aber an einem kühlen Herbsttag war der arme Knabe unter dem Birnbaum eingeschlafen und vergessen worden; man vermißte ihn erst spät in der Nacht beim Schlafengehen und trug ihn in einer todähnlichen Ohnmacht herauf; er erwachte zu einer schweren Krankheit, die sich immer verschlimmerte. Die arme Mutter betrieb ihre Geschäfte wie im Traum und wurde nicht müde, wohl dreißig Mal des Tages wieder in das Kämmerlein hinaufzusteigen, wo das Kind in meist bewußtlosem Zustand unter der Pflege der ältesten Tochter lag.

Auch des Vaters Gesicht verlor seinen heitern Ausdruck; er that sein Möglichstes, die Mutter der häuslichen Lasten zu entheben, und fand selbst hie und da noch Zeit, mit einem Leckerbissen oder einer schönen Blume, was den Knaben ja sonst so freute, ins Krankenzimmerlein zu schleichen. Aber der Heinrich wollte nichts mehr von Blumen und Süßigkeiten; in der dritten Nacht hörte die Mutter, die neben ihm schürf, wie sein Athem immer kürzer und bänger wurde; tödtlich erschrocken richtete sie sich auf, da lag er kalt und bleich; sie schickte vor Tag noch nach dem Arzt, seine Hülfe kam zu spät, Heinrich war todt.

Es gab viel Wehklagen und Weinen im Haus, fast schien es da mit dem Leid zu sein wie bei einer Hoftrauer, wo so Viele mit einander trauern, um bald fertig zu werden. Der Vater streichelte wehmüthig die kalte, blasse Wange: »Armer Junge, ist dir vielleicht wohl gegangen, hast wenig Freude gehabt!« und ging eilig leisen Tritts hinunter, um zu sorgen, daß die Mutter ungestört bei ihrem Liebling bleiben könne. Die jüngeren Geschwister hatten gar bald genug an der Klage um den Bruder. Die Mutter aber weinte und weinte und hatte nur den Einen Wunsch, sich ruhig ausweinen zu können. Aber das war ihr nicht beschieden: ehe die Leiche recht kalt war, fuhr ein Gefährt mit Livreebedienten vor, darin saß ein stattlicher Herr Kammerdiener, der ankündigte, daß Seine Durchlaucht, der Herr Herzog, der zum ersten Male seit seinem Regierungsantritte die Stadt N. besuchte, in einigen Stunden hier eintreffen und sich zwei Tage im Storchen verweilen werde.

Diesmal siegte das Bewußtsein des Wirths einen Augenblick über das bekümmerte Vaterherz, und mit seinem strahlendsten Gesicht versicherte der Storchenwirth, wie beglückt er sich durch solche Gnade und Ehre fühle und wie er sein Möglichstes thun wolle, den hohen Gast zur Zufriedenheit zu bewirthen.

»Sr. Durchlaucht Mundkoch mit Bedienung trifft in einer Stunde ein,« versicherte gnädig der Kammerdiener, »für die Tafel haben Sie also nicht viel Sorge, nur wegen der Arrangements der Zimmer möchte ich …« – »Oh, da wird meine Frau sogleich zu Befehl stehen, sie ist nur im Augenblick noch verhindert … eine kleine Abhaltung, unser Kind … ist so frei gewesen … ist heut' Nacht gestorben.« – »Gestorben? eine Leiche im Haus?« fragte bedenklich der Kammerdiener.

»Entschuldigen Sie gütigst,« bat verlegen der überhöfliche Wirth, »ich bedauere unendlich, ließ sich wirklich nicht anders machen, wir wußten in der That nicht, welche hohe Ehre …«

»Thut mir sehr leid,« sagte der Kammerdiener, »aber für Seine Durchlaucht wäre es doch eine unangenehme Empfindung, wenn Sie beim ersten Eintritt in die Stadt in ein Haus käme, wo ein Todter liegt, – ich werde wohl nach einem andern Quartier sehen müssen.«

Indeß hatten die jüngern Mädchen, denen die Kunde des großen Ereignisses wichtiger war als des Brüderleins Tod, die Mutter herbeigerufen. Die gute Frau begriff schnell, um wie viel sich's handelte, wenn der hohe Gast ein anderes Wirthshaus der Stadt durch seinen Besuch weihe, und das Ehrgefühl der Wirthin, die Muttersorge um die eilf Lebenden überwand in etwas das Mutterleid um das todte Kind; sie willigte ein, daß der Todesfall sorgfältig verschwiegen und die Leiche verborgen gehalten werde, da der Herzog ja doch vor der Beerdigung abreisen würde.

So wurde denn dem Haus- und Dienstpersonal strengste Verschwiegenheit geboten und die Leiche in ein kleines, dunkles Kämmerlein neben einem wenig benützten Saal im obern Stock gebracht, bevor man die Anstalten zum Empfang des Herzogs traf.

Das Herzeleid, das sich mit einer lustigen oder geschäftigen Hülle decken muß, scheint mir stets das bitterste. Wunden, die nicht ausbluten können, heilen schwerer; auch geht so leicht der Segen verloren, der im Leide verborgen liegt, wenn man ihm nicht tief ins Auge sehen lernt. Kummervolle Musikanten, leidende Komiker und trauernde Wirthinnen haben mich daher immer am meisten gedauert, – auch die Wirthin zum Storchen hatte nimmer Zeit, ihrem Kummer nachzuhängen; sie zog in Eile eine schwarze Schürze und ein schwarzes Halstuch an, um ihren todten Knaben zu ehren, – daran sah man ja nicht, daß die Leiche noch im Haus lag – trug von den Blumen, aus denen die kleinen Mädchen noch geschwind Kränze zur Hausdecoration flochten, ein Körbchen voll zu ihm hinauf, daß er nicht so allein liege in seinem finstern Kämmerlein. Dann aber ging's Trepp' aus und ab mit Schlüsseln und Schüsseln, daß Niemand geahnt hätte, wie der geschäftigen Mutter das Herz so schwer war.

Nach vier Stunden fuhr die Equipage des Herzogs vor, und ihr dürft es dem guten Storchenwirth nicht verdenken, wenn er seinen armen Heinrich ganz und gar vergaß vor Glück und Ehre, als die Durchlaucht, ein junger, freundlicher Herr, ihn selbst begrüßte und sich erinnerte, daß er als Kind einmal mit seinem Hofmeister hier gewesen war.

Bald erfüllte ein emsiges Treiben und Schaffen das Haus, nicht als ob der Tod hier so kurz erst seinen stillen Einzug gehalten; nur der Athem des tiefsten Respekts dämpfte in etwas das laute Geplauder und Geklirr. Alle Hände waren rührig, alle Füße in Bewegung, die Zimmer des hohen Herrn waren zur Zufriedenheit arrangirt, und in dem alten Saal neben der Todtenkammer rüsteten die Köche geschäftig Torten und Pasteten für ein großes Diner, zu dem der Herzog auf morgen die ersten Beamten der Stadt geladen hatte.

Auch dieser inhaltreiche Tag ging zu Ende; der Herzog hatte sich zurückgezogen, selbst in der Küche war das endlose Plätschern der Spülgölten verstummt, der Storchenwirth lag in glücklichen Träumen von dem künftigen Glanz seines Hauses, und als die Letzte von allen suchte auch die arme Mutter ihr Lager, ohne daß sie gewagt hätte, noch einmal nach ihrem todten Kind zu sehen, weil sie fürchtete, zu stören, wenn sie noch an den Gemächern des Herzogs vorübergehe.

Der junge Fürst fand die Prachtbetten im Storchen doch nicht so bequem als sein Lager daheim; es war bereits Mitternacht, und er schlief noch nicht, da hörte er über sich ein eigenthümliches Geräusch, es war kein gewöhnliches Gehen, ein leises Schleichen und Tappen und Knuspern, das ihm mehr und mehr unheimlich wurde und ihm den Schlaf unmöglich machte; er weckte den Kammerdiener, machte ihn darauf aufmerksam und befahl ihm, nach der Ursache zu sehen. Nicht sehr bereitwillig machte sich dieser mit dem Licht auf den Weg nach dem obern Saal, wo, soweit er das Gemach kannte; das Geräusch herkommen mußte; kaum aber war er oben, als der Herzog den Leuchter zu Boden fallen und einen Schrei des Entsetzens ausstoßen hörte, der nicht nur ihn, sondern das halbe Hauspersonal aus dem Bett und auf die Beine rief.

In der seltsamsten Halb- oder Nichttoilette stürzte Herr und Frau Wirthin, Herzog, Kinder, Hof- und Hausgesinde dem obern Saale zu, aus dem der Schreckensruf erschollen war.

Da gab's nun allerdings einen grauenhaften Anblick, – der Saal war offen, das Licht, das der Kammerdiener hatte im Schreck fallen lassen, war erloschen; im hellen Mondschein aber sah man auf der langen gedeckten Tafel eine todtbleiche, weiß eingehüllte Gestalt kauern, die – was freilich nicht sehr geisterhaft klingt – mit unendlicher Gier an einem schön verzierten Schinken nagte, den sie in beiden Händen hielt.

»Der todte Heinrich!« schrie das entsetzte Hausgesinde. »Mein Kind!« rief die Mutter, die sich durch die Andern drängte, den Todten in ihre Arme nahm und mit ihm forteilte nach ihrer Schlafkammer, während die Andern schreiend, staunend, verwirrt, des Respekts vergessend, sich um den Herzog drängten, der sich vergeblich nach Aufklärung umsah.

Der Instinkt der Mutterliebe hatte das Rechte erfaßt; in einer Weile kam eines der kleinen Mädchen jubelnd aus der Schlafkammer herbei gesprungen: »Vater, der Heinrich ist kein Geist, er ist recht lebendig, Kathrine soll ihm Thee kochen!« Also der Knabe war scheintodt gewesen.

Allmählich faßte sich die erschütterte Versammlung, Eins um's Andere ward sich seiner mangelhaften Garderobe bewußt und schlich davon; der Herzog, der mit wahrhaft fürstlicher Geistesgegenwart gleich beim ersten Schreck den Schlafrock umgeworfen hatte, erfuhr von dem freudebetäubten Vater endlich den Aufschluß des Räthsels; er blieb noch wach, bis der Arzt gerufen war und bestätigte, daß der vermeinte Tod nur ein Starrkrampf gewesen und das Leben des Knaben vor der Hand außer Gefahr sei, um so mehr, da der Instinkt des Wiedererwachten und die glückliche Nachbarschaft des Gastmahls ihn gleich zu kräftiger Nahrung geführt hatte.

Sehr spät erst versuchte man noch Ruhe zu finden; der todte Heinrich schlief, nachdem er seine nächtliche Schinkenmahlzeit mit ein paar Tassen warmen Thee's hinabgespült hatte, einen gesunden, guten Schlaf, die glückselige Mutter wachte freudeweinend an seinem Bette; die Freude war mächtiger als das Leid, jetzt hatte sie vergessen, daß sie Wirthin war und daß ein Herzog unter ihrem Dache schlief, sie wußte nur noch, daß ihr Kind wieder lebte.

Das Diner fand am andern Tag dennoch statt, trotz des beschädigten Schinkens, und der Storchenwirth that sein Bestes, die fehlende Hausfrau zu ersetzen. Die nächtliche Spukgeschichte wurde vielfach dabei besprochen, und zum Dessert ließ der Herzog den Wirth auffordern, ihm seine gesammte Familie vorzustellen. Da zogen sie denn Alle auf im schönsten Putz, voraus der freudestrahlende Vater, sodann die hübsche Karoline, Samuel, der große Bengel in großer Verlegenheit, Johannes, Fritzchen, der angehende Commis, Peter, der Kellnermeister, Georg, der, wenn's reichte, ein Student werden sollte, die Sophie und die Philippine, der rothbackige Daniel, das Minchen und die Zwillingsschwestern, zuletzt sogar noch der Auferstandene, in warme Kleider und Tücher gehüllt. Der Herzog ergötzte sich höchlich an der muntern Schaar und mehr noch an der innerlichen Herzensfreude, mit der, bei einer so großen Zahl, der Wiedererstandene als theure Gottesgabe begrüßt wurde. »Aber, mein lieber Mann,« fragte der Herzog, »wird Ihnen nicht bang, was Sie mit all' den Kindern anfangen?« – »Euer Durchlaucht,« erwiderte bescheidenen Tones der Wirth, »der liebe Gott, der mir den Einen vom Tode erweckt hat, wird auch die eilf Andern nicht Hunger sterben lassen.« – »Gut gesprochen,« rief der Herzog, und stieß mit der Tischgesellschaft an aufs Wohl der Familie; der überglückliche Vater selbst mußte Bescheid thun, ehe er sich mit seinem Gefolge zurückzog.

Der leutselige Herr ließ es bei dieser fürstlichen Gunstbezeugung nicht bewenden; kurze Zeit nach seiner Rückkehr in die Residenz sandte er an den Storchenwirth ein huldvolles Schreiben, dem für jedes der zwölf Kinder 200 fl. Geschenk in Kassenscheinen beigelegt war; für den Wiedererstandenen aber, im Fall er vollkommen genesen sollte, hatte der Herzog ein Plätzchen bei seinem Hofgärtner ausgemittelt.

Dazu ist es denn auch gekommen, der todte Heinrich ist mit der Zeit der tüchtige Gehülfe und am Ende noch der Nachfolger seines Meisters geworden. Die milde, warme Gartenluft hat ihm gesunde, rothe Wangen angehaucht, und wer ihn als einen hübschen, frohherzigen und kräftigen Mann sah, konnte kaum begreifen, warum er bei Geschwistern und alten Bekannten allezeit noch »der todte Heinrich« hieß.



 << zurück weiter >>