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IV.
Eine einfache Liebesgeschichte.

Was nicht heute, kann doch morgen werden,
Was nicht morgen, doch in wenig Tagen;
Darum, Seele, darfst du nicht verzagen
Auf der weiten, wechselvollen Erden.

Sä' und pflanze, laß den Himmel sorgen,
Etwas hoffen magst du, nichts erwarten;
Auch die späte Blume ziert den Garten:
Trübem Abend folgt ein klarer Morgen.

Die vernünftige Menschheit ist schon lange darüber im Klaren, daß uns die Vorsehung die größte Wohlthat erweist, die Zukunft mit dichtem Schleier zu verhüllen, und doch hat die unvernünftige Menschheit seit unvordenklichen Zeiten Versuche gemacht, diesen Schleier zu lüften. Nicht zu reden von dem vermessenen Unfug des Tischklopfens, sind die Arten und Weisen dieser Versuche gar nicht aufzuzählen. Kartenschlagen, Chiromantie, Punktirbüchlein, Bleigießen, Lichterschwimmen, Goldringe an Faden, bis herab zu den unschuldigen Gänseblümchen und Grashalmen, die alle uns aus der Schule plaudern sollen von dem, was uns bevorsteht. Es ist freilich vor allem eine Art von Geheimniß, um die der Mensch, zumal wenn er jung ist, die Naturorakel befragt; ich habe noch nie davon gehört, daß ein Advokat den Ausgang eines Prozesses, ein Kriminalbeamter das etwaige Geständniß seines Inquisiten, oder ein Kaufmann das Steigen der Wechselkurse an einer Marguerite abgezupft hätte; was man von den harmlosen Kindern der Natur erfragt, das sind meist süße und harmlose Räthsel, deren Lösung keine wilden Stürme erregt, und wenn die Blume auf die Frage: er liebt mich? beharrlich antwortet: »gar nicht,« so ist das Leid, das diese Antwort erregt, ein stilles, wenig bemerkbares, gleich dem Leid der Blumen.

Wenn nun fast alle Welt so neugierig ist, so lang es junge Herzen gegeben, so können wir's dem Pfarrtöchterlein von Eichhalde auch nicht verdenken, wenn sie an einem schönen goldnen Frühlingstag in ihrem Garten saß und eine Hand voll Grashalmen hielt, die sie mit großer Vorsicht zusammenknüpfte, um zu sehen, ob ein Kranz daraus werde; war sie doch erst achtzehn Jahre alt! – wie rosig breitete sich da noch die duftige Ferne vor ihr aus, was für wundersame Luftschlösser lagen hinter den silberhellen Frühlingswölkchen, die am blauen Himmel schwammen! Mit der Freundin, die neben ihr stand, da war's ganz anders, die war zwanzig, die war total fertig mit dem Leben, man hätt's nicht glauben sollen, wenn man ihre rothen Wangen und hellen Augen ansah, aber es war doch so. Wer's nicht glauben wollte, der durfte nur in das Heft schauen, worin ihre Gedichte verzeichnet standen; da stand eine Ode, an sich selbst gerichtet, an ihrem zwanzigsten Geburtstag, in der sich unter andres folgende schöne Strophen fanden:

So steige empor denn
Aus tiefem Grabe,
Du selige Zeit der Vergangenheit;
Umblühet mich wieder
Als lichte Blumen,
Ihr goldenen Tage des Jugendglücks,

und fernerhin:

Du bist so ruhig,
Nicht Schmerz ist's noch Wonne,
Nicht Wunsch noch Hoffen,
Die dich bewegen


Es blieb dir nur die verglühete Asche:
Die schmerzet nicht, aber sie leuchtet nicht mehr.

Die zupfte demnach keine Gänseblümchen mehr aus, band auch keine Kränze von Halmen, aber sie ruhte neben dem rosigen Kind im Grase unter einem breitschattigen Nußbaum und ließ sich's gefallen, daß der klare, warme, süße Erdenfrühling ihr erstorbenes Herzchen noch einmal wiegte auf seinen weichen Schwingen, obgleich des Lebens Mai ihr abgeblüht hatte, und sah mit wehmüthigem Lächeln, wie Antonie die Hand öffnete und triumphirend die Halmen emporhielt, »da siehst Du, der schönste Kranz!« – »Ach, liebes Herz, ich wollte Dir's ja so gönnen!« sagte Agnes, die kühle Freundin, »aber Du gibst Dir zu viel nach, und es wird ja doch in Ewigkeit nichts.« In Antoniens blaue Augen traten Thränen, als sie erwiederte: »das weiß ich ja selbst, und er hat auch noch kein Sterbenswörtchen zu mir gesagt, ich glaube nicht einmal, daß er viel an mich denkt, nur ein wenig, ich habe ja auch nur gefragt, ob er noch einmal herüber komme, das ist doch keine Sünde.« – »Gewiß nicht,« lächelte Agnes, »ich glaube auch gern, daß Du ihm wichtig bist, aber es könnte ja doch zu nichts führen, und ich möchte Dich so gern vor der Täuschung bewahren.« – »Ich weiß alles, alles, und ich bin gescheidter als Du glaubst, laß mir aber nur die Freude, es wird ja bald vorbei sein, er ist nicht mehr lang hier und ich habe nur den einzigen Wunsch, recht Abschied von ihm zu nehmen, weißt Du, so ganz recht und ernstlich; ich habe es nie ertragen können, wenn man ohne Abschied voneinander geht, und wenn's die gleichgültigsten Menschen sind. Dann will ich ja gar nichts mehr, gar nichts!« Und sie hatte eben wieder ein neues Bündel Halmen in der Hand, um zu fragen, ob sie ihr auch später wieder sehen werde?


Und wer war er denn, der Gegenstand dieser jungen, unausgesprochenen Liebe, die bestimmt schien, in der Knospe zu welken? Ach, ein dreifaches Mißgeschick schien seine Hoffnungslosigkeit zu bestätigen: er war arm, er war Ausländer, und – er hatte kein Examen gemacht. Fällt ja nach diesem letzten Schreckenswort noch kein verdammendes Urtheil über ihn: »also ein Thunichtgut, oder gar ein Demokrat und Freischärler!« Ach nein, er war ein fleißiger Student gewesen, seiner Mutter Stolz und Hoffnung, er hatte die wohlfeilste Universität ausgesucht und lebte so sparsam als möglich, 1. b. konnte ihm gar nicht fehlen, – aber die Mutter schrieb ihm eines Tags die Schreckenspost, daß sie bei dem Falliment eines Bruders fast all Vermögen verloren, und ohne Klage und Frage brach Wilmsen seine Studien ab, und bemühte sich um irgend eine Stelle, die ihm wenigstens möglich machen sollte, sich selbst zu erhalten.

Seine Zeit hatte er redlich benützt und war reich an schönen Kenntnissen, seine guten Zeugnisse verschafften ihm eine ziemlich einträgliche Hofmeisterstelle bei einem Baron, aber was weiter? Er hatte kein Examen gemacht, und ohne dies Zauberwort blieben ihm alle Pforten zu Amt und Würde daheim und in der Fremde verschlossen.

Er selbst fühlte diesen fürchterlichen Mangel nicht so tief, er war sich seiner frischen Kraft bewußt, und die Welt kam ihm noch so groß und weit vor, da mußte es ein Plätzchen für ihn geben, da oder dort.

Inzwischen nahm er sich seiner jungen Eleven treulich an, konjugirte und deklinirte, zeichnete und turnte mit ihnen und machte sich so beliebt, daß ihm der Herr Baron herzlich gern die beste Stelle für die Zukunft zugesichert hätte, – wenn er nur eine zu vergeben gehabt hätte.

Diesen Sommer sollte er mit den jungen Burschen auf einem kleinen Landgute unweit von Eichhalde zubringen; er freute sich herzlich darüber, er war so jung, und wurde selbst zum fröhlichen Knaben mit den Kindern, denen ihr junger Hofmeister ganz ungemein wohl gefiel. Er gab Ferien genug und stellte auf diesen Streifzüge und Entdeckungsreisen in die Gegend mit ihnen an, auf denen er zur Beruhigung seines Gewissens praktische Kurse in Geographie, Geologie und Botanik gab. Bei einer solchen Tour hatten sie sich verirrt, so wenig dies in der ziemlich zahmen Gegend zu fürchten schien. Der Wald, den sie so ganz sorglos betreten hatten, schien sich in's Unendliche auszudehnen, Wilmsen glaubte jeden Augenblick einen Ausweg zu finden und kam doch immer tiefer hinein; den Buben machte es anfangs Spaß, als aber das Ding kein Ende nahm, als sie hungrig wurden und über Baumwurzeln stolperten, als allmälich die Dämmerung hereinbrach, da nahm der Muth ab, und wie mit Einem Schlag brachen zwei der jungen Abenteurer in ein ganz jämmerliches Geheul aus, nur Gustav, der Jüngste, sagte mit Lachen: »gelt, Herr Wilmsen, jetzt schlafen wir unter freiem Himmel?«

Bald hätte der Hofmeister seinen Zöglingen Gesellschaft geleistet, aus purem Aerger, daß er in einem so geringen Wald verirrt sei, da hörten sie Menschenstimmen, willkommener Laut! Eine seltsame Karawane brach durch die Zweige; Eduard, der älteste, fragte leise seinen Hofmeister: »sind das Zigeuner oder Menschen?« Voran zog ein ältlicher Herr, ohne Rock, seinen Hut gleich einer Freiheilsmütze auf einem Stock voran tragend, nach ihm kamen zwei Buben, die des Vaters Rock, ebenfalls an einem Stock, miteinander trugen, wie Josua und Kaleb die große Traube, ferner eine freundliche Frau, die, selbst ermüdet, einen großen Bengel von kleinem Jungen schleppte, der fortwährend schrie: »Mama gaga!« (tragen), zuletzt aber kam das Beste, eine schlanke Mädchengestalt in blauem Kleid, den Strohhut am Arm, daneben noch mit etlichen Taschen und Regenschirmen beladen; ihre Haare, die in halb aufgelösten Locken um das fein geröthete Gesicht flogen, hatten den leichten Goldschnitt, den man als alldeutsche Haarfarbe zu bezeichnen pflegt, ihr Teint aber auch das blendende Weiß und zarte Roth, das solch altdeutschen Haaren beigegeben ist, kurz eine äußerst anmuthige Erscheinung, die den letzten Theil von Eduards Vermuthung, daß es Menschen und keine Zigeuner seien, doch wahrscheinlicher machte.

Die zwei Streifkorps, die von entgegengesetzten Seiten sich Bahn gebrochen hatten, sahen sich erstaunt an, namentlich die beiderseitigen Buben mit ziemlich feindseligen Blicken, die Anführer verständigten sich bald; der ältliche Herr war der Pfarrer von Eichhalde, ein großer Freund von zwanglosen Waldspaziergängen en famille, der so eben aus einer solchen Vergnügungstour mit den Seinigen verirrt war; auch Wilmsen theilte sein Schicksal mit, und der Pfarrer hoffte, es werde nicht so schwer sein, sich herauszufinden, obgleich der Wald bedeutender sei, als der Herr Hofmeister glaube. Dem gutmüthigen Dölfele (dies war der Beiname des getragnen Bengels) war indeß doch eingefallen, es sei eine Schande vor den großen Buben, wenn er sich noch tragen lasse, und er befreite die Mama von seiner Last. Diese schlug vor, sich am nächsten besten Plätzchen nieder zu lassen und den Rest des Mundvorraths zu verzehren; damit waren Alle einverstanden, nur die Pfarrbuben machten etwas lange Gesichter, daß man den Vorrath noch mit den Fremden theilen sollte. Der Vater gab ihnen ihre Portion Brod und Kirschen und befahl: »so, ihr Buben, sucht Euch alle da hinten Platz und schließt Freundschaft miteinander.« Die Buben schienen aber ernste, sinnige Gemüther zu sein, die sich laut psychologischen Erfahrungen nicht schnell der Freundschaft erschließen, sie machten, was man im gemeinen Leben Bocksköpfe nennt und schoben den Fremden ihren Antheil mit einigem Knurren zu.

Bei der erwachsenen Bevölkerung gings rascher mit der Freundschaft, der Pfarrer war ein grundgescheidter, lebenserfahrener Mann, die Pfarrerin so recht mütterlich, Vertrauen erweckend, und Wilmsen hatte bei aller Geistestiefe, die aus seinen schwarzen Augen blickte, eine fast kindliche Bescheidenheit; einen so herzlich guten Willen, sich belehren zu lassen, daß Vater und Mutter im Augenblick von ihm hingenommen waren; der gutmüthige Dölfele hatte sich zur Mama gemacht und nahm ihr die Bissen noch aus dem Munde, als er mit seiner Portion fertig war, das Töchterlein aber saß auf einem Baumstumpf mit dem Kirschenkörbchen auf dem Schooß und lud so freundlich ein zu essen, wer noch etwas haben wolle, da sie ihr selbst so wohl schmeckten, daß Wilmsen nicht widerstehen konnte.

Nun die Mannschaft gestärkt war, forderte der Pfarrer zu gemeinsamem Vordringen auf und zeigte darin eine äußerst zähe Beharrlichkeit, ohne Rücksicht freilich auf Kleider und Hüte; Antonie hielt sich in der Nachhut und steckte in aller Stille die mehr als aufgelösten Locken auf, was kaum vollbracht war, als Wilmsen ihr schüchtern seinen Arm anbot.

»Draußen!« schrie triumphirend Pfarrers Aeltester, und durch Dornen und Gesträuche brach sich die übrige Schaar Bahn und begrüßte wieder das offene Land und das heimathliche Eichhalde, wo bereits die Lichter brannten und der trauliche Rauch vom Abendessen aus den Häusern aufstieg.

Es war wirklich zu spät, aufs Schloß zurückzukehren, und zu großem Vergnügen seiner Zöglinge ließ sich Wilmsen bereden, im Pfarrhause zu übernachten und einen Boten an's Schlößchen abzusenden. Unter dem eigenen Dach angekommen, erwachte auch in den Pfarrbuben ein mehr gastlicher Sinn, sie zeigten den Fremden ihre Reichthümer: ein Eichhörnchen und eine lebendige Goldeule, und schlugen sich fast darum, welcher von ihnen auf dem Boden schlafen dürfe, um sein Bett einem der Gäste einzuräumen.

So war in der Kinderstube die Freundschaft bald im schönsten Gang, fast so schön wie im Wohnzimmer, wo der Gast wie ein Sohn des Hauses zwischen Vater und Mutter saß und Antonie freundlich und unbefangen wie eine Schwester ihn bediente. Nur wenn seine wunderbar dunklen Augen sich auf sie hefteten, senkte sie die ihren und wurde stiller als zuvor.


Von diesem Tage an nahm die neue Bekanntschaft den besten Fortgang, es wurden nach Anleitung des Pfarrers die großartigsten gemeinsamen Spaziergänge unternommen, auf ebnen und rauhen Wegen, über's Gebirge und durch Schluchten; Wilmsen wurde allen so lieb, daß sich sogar der unvermeidliche Dölfele, den der Vater nie daheim lassen wollte, von ihm tragen ließ. Mit Staunen fand Wilmsen bei Antonie unter ihrem höchst einfachen Benehmen und fast noch kindischen Wesen einen reichgebildeten Geist, ein für ihr Geschlecht und ihre Jahre seltnes Wissen. Die natürliche Strebsamkeit, die sich bei allen aufgeweckten Mädchen zeigt, aber gewöhnlich bald in Kleinlichkeit verflüchtigt, hatte der Vater mit fast pedantischer Strenge in ernste bestimmte Bahnen geleitet und Antonie hatte das geistige Gebiet mit aller Herzensfrische und Lebendigkeit ihrer Natur ergriffen. Daneben wehte aber im Hause eine so gesunde Lebenslust, die Mutter zeigte ihr so ganz das Bild ächter demüthiger Weiblichkeit, die alle Kraft eines Geistes und Gemüths, die sie zum Herrschen befähigt hätte, nur anwandte, um in Liebe zu dienen, daß keine Spur von Pedanterie oder Verbildung bei ihr war.

In Wilmsen kam ein neuer Geist durch diese Bekanntschaft. Entmuthigt durch die unfreiwillige Unterbrechung seiner Studien, hatte er in letzter Zeit sein geistiges Kapital etwas brach liegen lassen und sich mit der Erfüllung seines Berufs begnügt, jetzt aber fühlte er sich zur möglichsten Anstrengung gedrungen, um seiner Freunde werth zu sein. Er benützte den Rath des vielerfahrenen Pfarrers für seine Studien; wenn er's auch nicht zu dem unentbehrlichen Examen bringen konnte, so wollte er doch aus sich machen was möglich war. Er arbeitete mit äußerstem Fleiß und faßte daneben die Treue in seinem Beruf von einer viel höheren Seite auf als zuvor.

Nicht zu oft vergönnte er sich die Lichtpunkte in diesem pflichtgetreuen Leben, die Besuche im Pfarrhaus, dann aber genoß er auch rückhaltslos mit kindlicher Freude den guten Tag.

Die Pfarrerin, obgleich sie eine mütterliche Vorliebe für ihn hatte, sah doch mit einiger Sorge die unvermeidliche Annäherung der zwei jungen Wesen, die so ganz für einander geschaffen schienen. »Meinst Du nicht, wir sollten die Antonie eine Weile fort thun,« fragte sie den Mann, »sie könnte ja zu Agnes in die Stadt.« – »Warum?« – »Je nun,« sagte die Mutter etwas zögernd »der Wilmsen kommt oft, es kann fast nicht anders sein, als daß er ihr gefällt.« – »Was dann?« fragte der Vater. – »Nun, und ich glaube, – wenn sie gleich noch so ein Kindskopf ist, – sie gefällt ihm doch auch. – »Was dann?« – »Wie kannst Du doch so fragen? Ich hätte ja nichts dagegen, aber er hat ja auf der Gotteswelt keine Aussichten und ist kaum zwei Jahre älter wie sie; sollen sich die Kinder in ein aussichtsloses Verhältniß einlassen und am Ende daran zu Grunde gehen?« – »Gehen nicht zu Grund,« sagte der Vater phlegmatisch, »laß Du sie machen und stör sie nicht, behalt sie nur in der Stille im Aug.« – »Wenn aber diese Liebe genährt wird, und sie kommen doch nicht zusammen?« – »So sterben sie auch nicht dran. Es soll nichts geschehen, das sie steigern kann, und bei einem guten Kinde wie Antonie kommts nicht einmal zur Erklärung ohne unser Wissen. Soll's sein, so kann es Gott durchführen, soll's nicht sein, so ist an einer solchen Liebe noch keine gesunde Natur zu Grund gegangen, laß sie machen!«

Und man ließ sie machen, keine unzarte Hand wischte den leisen Duft von dem keimenden Gefühl, dessen sie sich lange, lange selbst nicht bewußt waren. Blumen und Sterne, Dichtung und Geschichte, alles Schöne und alles Große im Leben gab den Stoff ihrer Gespräche, und in einer Fülle unausgesprochener Seligkeit wiegten sie sich an jedem Abend zur Ruhe und erwachten sie an jedem Morgen. »Er ist ja noch so jung und hat gar keine Aussichten,« war Antoniens Beruhigungsgrund bei sich selbst, wenn ihr die Sache gefährlich schien, und mit denselben Gründen bewies sich Wilmsen, daß er unmöglich an etwas Ernsteres denke.

Da kam Agnes zum Besuch, Antoniens Herzensfreundin, und was sie in Briefen nur angedeutet erfahren, das goß jetzt Antoniens überströmendes Herz in ihre Brust aus, und so gern Agnes die Freundin vor dem Leid hoffnungsloser Liebe bewahren wollte, sie konnte nicht hindern, daß Antonie in diesen Mittheilungen sich selbst klar wurde, und darum gönnte sie ihr wenigstens das Glück, ihre schüchterne Liebe gegen sie aussprechen zu können.

Auch Wilmsen konnte die Augen nicht zu lange vor sich selbst verschließen, aber mit der klaren Erkenntniß seiner Liebe reifte in seiner jungen Seele ein männlicher Entschluß: er wollte seine süße Blume nicht binden an ein hoffnungsloses Verhältniß, sie sollte nicht alle Pein eines vielleicht vergeblichen Ringens nach einer gesicherten Existenz mit ihm theilen; – sein solle die Arbeit sein, die Mühe und das Streben, und wenn er eine Frucht errungen, dann erst wollte er ihr sie bieten. Und obwohl er sie liebte, wie ein Jüngling, innig, rückhaltslos und glühend, so hat er sich doch Wort gehalten, wie ein Mann.

Einen herrlichen Frühling, einen schönen Sommer und einen traulichen Winter hatte die goldne Zeit gewährt, nun kam der Frühling wieder in's Land und mit ihm das Scheiden.

Der Baron, der sich indeß im Ausland aufgehalten, nahm nun seinen Wohnsitz in einer größern deutschen Stadt, und beschied dahin den Hofmeister mit seinen Söhnen. Wilmsen war dies lieb, da er dort mehr Mittel zum Fortstudiren fand, aber

ach, Scheiden und Meiden thut weh!


Eben im Vorgefühl dieser Trennung trafen wir Antonie, wie sie Grashalme knüpfte. Der Baron war gerade selbst auf dem Schlößchen, so war Wilmsen lange nicht mehr herüber gekommen, und sie wußte nicht, ob sie ihn nur noch sehen würde.

Im Pfarrhaus selbst war nicht mehr alles so frisch und fröhlich wie im vorigen Jahr; der Pfarrer war leidend und sein Uebel nahm trotz aller Hilfe und Pflege zu, so lag denn auf Antoniens heller Seele ein Schatten, der ihr auch die nahe Trennung in noch trüberem Lichte erscheinen ließ.

Sie wollte das müßige Spiel aufgeben und dachte an's Heimgehen, nur noch die große Marguerite, die ihr fast von selbst in die Hand fiel, mußte sie fragen: »kommt er heut noch? kommt er nicht?« Sie hatte noch nicht vollendet, als die Mädchen einen festen elastischen Schritt hinter sich hörten und eine wohlklingende tiefe Stimme »guten Abend« sagte. Die Mädchen fuhren auf, Antonie war mit tiefer Gluth übergossen: »es ist schön, daß Sie noch kommen,« brachte sie endlich heraus. »Meine Jungen sind im Hause drin, mir hat die Mutter erlaubt, Sie hier abzuholen, ich habe in diesem Frühling Ihren Garten noch gar nicht gesehen,« erwiederte er, fast eben so schüchtern. Sie gingen langsam durch den Garten, der an einer Anhöhe lag, und Antonie führte den Freund noch an ihren Lieblingspunkt, eine Moosbank im Gebüsch, von der man hinunter sah in das grüne Thal und den klaren Bach, hinüber auf den junggrünen Wald, wo sie sich zuerst gesehen, hinaus in die weite blaue Ferne, wo sie sich ihn bald denken mußte. Es war ihr einziger Wunsch gewesen, hier noch mit ihm zu stehen, dann war ja das Plätzchen geweiht für alle Zeit! Agnes hatte erstaunlich viel mit den Blumenrabatten zu schaffen; freilich hielt sie eine Erklärung zwischen den Beiden für entsetzlich unklug, aber sie mochte ihnen doch die Freude gönnen, darum ließ sie sie gern allein. Sie waren allein, allein mit ihren vollen jungen Herzen, allein in der herrlichen jungen Frühlingswelt, allein im Angesicht einer langen Trennung. Die Bäume schüttelten ihre Blüthen auf sie herab, die milden Lüftchen schienen Botschaft tragen zu wollen,

»Nachtigallen immer lauter
Flöten von den grünen Zweigen,
Gleich als wollten sie verrathen,
Was die Beiden sich verschweigen.«

Aber die Rose zu ihren Füßen hielt ihre Knospe noch keusch verschlossen, ihre Stunde war noch nicht gekommen, so leuchtend auch der Lenz um sie aufgegangen war, und so trugen auch sie ihres Lebens schönste Blüthe wieder in verschloßner Knospe heim. »Wenn Sie da oben stehen, so denken Sie auch an Ihre entfernten Freunde!« bat Wilmsen, und Antonie sagte: »o, gewiß.« Das war alles, und sie gingen schweigend nach Haus, wo der Abend dem scheidenden Freunde zu Ehren noch festlich gefeiert werden sollte.

Noch einen Wunsch hatte Antonie: wenn er ihr nur in ihr Album geschrieben hätte! Jeden andern viel entferntern Bekannten hätte sie darum gebeten, aber Ihn! o, um keinen Preis! Da kam die Rede zufällig auf hübsche Tyroleransichten, die sie darin hatte, und der Vater befahl ihr, es zu holen. Nun gab sichs ja von selbst und Agnes, die immer noch nicht klar war, wie es mit den Gefühlen des jungen Hofmeisters in Bezug auf Antonie stand, erwartete mit äußerster Spannung, was er wohl geschrieben habe. Es waren nur die Strophen von Heine:

Du bist wie eine Blume
So hold, so schön und rein,
Ich schau Dich an und Wehmuth
Schleicht mir in's Herz hinein.

Mir ist, als ob ich die Hände
Auf's Haupt Dir legen sollt,
Betend, daß Gott Dich erhalte
So rein, so schön und hold.

So hatte er wieder geschwiegen. Er bat den Vater um Erlaubniß, ihm über sein Ergehen hie und da schreiben zu dürfen, und nun ging's an's Scheiden. Er hielt Antoniens Hand in der seinen, seine Stimme zitterte, dann aber sagte er sein: »Leben Sie wohl« mit fester Stimme; und Antonie wehrte, als er fort war, niemand ihr stilles Kämmerlein, wo sie ihm nachsehen und nachweinen konnte.

Am andern Morgen waren ihre Augen wieder hell und sie war bald das alte, gute, heitere Kind. Der Himmel war so blau und die Erde so schön, so goldne Wölkchen zogen in die Ferne hinaus; sie hatte ihre Zukunft in die Hand des Vaters gelegt, der das Steuer führt, warum hätte sie nicht fröhlich sein sollen?

Agnes, die inzwischen auch wieder abgereist war, hatte als treue Freundin viel und viel an diese zwei jungen Herzen denken müssen, denen kein Erdenglück bestimmt schien; sie sandte Antonien ein kleines Gedicht, mit dem sie hoffte, sie allmälich zu der unvermeidlichen Resignation zu bringen; aber so entmuthigend es lautete, es mahnte sie doch an Ihn, an ihre Liebe, und Antonie sang es glückselig vor sich hin, als ob es die herrlichste Verheißung enthielte:

Will der junge Lenz beginnen,
Ist Dir's Lenz im Herzen drinnen,
Wiegt im sonnig blauen Raume
Sich Dein Herz in süßem Traume?

Sinnend pflückst im jungen Lenze
Du von Halmen leichte Kränze,
Glück und Hoffen soll Dir's bringen,
Wenn sie sich zum Kranze schlingen.

Ob sie auch zum Kranz sich schließen,
Bald liegt er Dir welk zu Füßen:
Traurig Bild von jungem Glücke,
Das nur währet Augenblicke.

Nicht zu blühn'den Myrthenzweigen
Wollen sich die Gräser beugen,
Nicht zum Ring von schwerem Golde,
Der Dein Glück besiegeln sollte.

Klage nicht! das Gold kann drücken,
Wenn verglühet das Entzücken;
Auf die grüne Myrthe trübe
Blicket oft erstorbne Liebe.

Klage nicht, ist auch hienieden
Dir nur flüchtig Glück beschieden;
Einen Frühling wird es währen,
Kannst Du Schöneres begehren?

Wenn Dein Morgenstern sich neiget,
Weil des Mittags Sonne steiget,
Wenn der Jugendträume Prangen
Gleich dem Grase Dir vergangen,

Senk' dann ein im tiefsten Herzen
Deiner Liebe Glück und Schmerzen;
Laß sie harren dort verborgen
Auf des ew'gen Frühlings Morgen.

Deiner Hoffnung welke Halmen
Werden unter Edens Palmen,
Schön erblüht zu ew'gen Kränzen,
Herrlich Dir entgegen glänzen.


Es gibt noch ein schwereres Scheiden als das von zwei jungen Herzen, die reich sind an Hoffnung, an Liebe und Lebensmuth.


Der Pfarrer war gestorben. Antonie hatte ihres Vaters letzte Segensworte gehört und seine Augen zugedrückt, sie war ausgezogen mit der Mutter und den Geschwistern aus der guten lieben alten Jugendheimath, mit der ihr innerstes Sein und Denken verwachsen war, aus dem Haus, in dem jedes Eckchen belebt war von traulichen Erinnerungen, von dem Garten, in dem jeder Baum, jede Blume ihr eigen gehörte, weil sie an alle schon ihre lieben Gedanken geknüpft.

Es war überwunden und Antonie war keine Natur, die sich auflöst in endloser. Wehmuth.

Sie war des Vaters Liebling gewesen, ihrer bildsamen Seele hatte er den Stempel seines eigensten Wesens aufgedrückt, und es war, als ob in ihrem Herzen, neben der demüthigen Kindesliebe zu der Mutter, auch noch die schützende stärkere Liebe des Vaters erwacht wäre, sie war nicht nur ihr Trost, sie war ihr Rath und ihre Stütze.

Antonie erfuhr auch, daß liebe Gedanken und süße Erinnerungen nicht eben ausschließlich an Ort und Stelle gebunden sind, wie eng sie sich auch oft damit verbinden mögen. Der junge Freund war indeß nicht stumm gewesen, und der Vater hatte sich bis in die letzten Tage noch erfreut an seinen Briefen voll Kraft und Frische. Seine Worte, in denen sich die innigste Kindestrauer um den verstorbenen Vater aussprach, waren der Mutter die liebsten und tröstlichsten von allen Beileidbezeugungen. Aber nicht Eine Sylbe stand im Briefe, die mehr als dies ausgesprochen hätte.

Es lag nicht in Antoniens Natur, lange thatlos dazusitzen in der Mutter Wittwenstübchen. Die Brüder waren gut untergebracht in Schulen und Lehrstellen, die Mutter wohnte bei einer töchterreichen Tante, wo sie Umgang und Pflege für alle Fälle fand, Antonie wünschte ihre junge Kraft, ihre geistigen Fähigkeiten in weiterem Kreise zu üben und hoffte dadurch auch Mittel zu gewinnen, um der Mutter die Erziehung der Brüder zu erleichtern.

Es ist ein eigentümliches Zeichen der Zeit, dieser Zug, der in unsern Tagen die Mädchen vom Herde der Mutter hinaustreibt in die Fremde, gar oft in Fällen, wo es nicht die Notwendigkeit fordert. Während Novellen und wahre Darstellungen wetteifern, uns die Laufbahn einer Gouvernante als ein ödes, freudloses, fast geächtetes Dasein darzustellen, während von zehn, die hinaus ziehen, kaum Eine anders als mit gebrochenem Lebensmuth und zerfallener Gesundheit zurückkehrt, glaubt doch heut zu Tage noch Jede, die etwas mehr als buchstabiren kann, sich zur Erzieherin berufen.

Gewiß wurzelt dieser Drang nicht allein in der Sucht nach Neuem, in dem Streben nach neuen Pflichten, lang eh man seinen alten genügt, sondern auch in einem gesunden, kräftigen Lebenstrieb, dem das gewöhnliche Hindämmern zwischen Weißsticken, Visiten und Kokettiren unserer Mädchenwelt nicht genügt, und wir dürfen hoffen, daß mit der Zeit durch Erziehung und gesellige Stellung dieser Trieb in eine ebne, natürliche Bahn geleitet wird.

Auch Antonie leitete dieser Zug; eine deutsche Lehrerin wurde an einem englischen Institut gesucht, und sie entschloß sich, trotz ihrer Jugend, es mit dieser Stelle zu wagen. Die Mutter ließ sie gewähren; das wäre gewiß in des Vaters Willen gelegen, und wie sie ihm im Leben all ihren Willen demüthig und doch in freier Thal hingegeben hatte, so strebte sie auch jetzt noch, ganz in seinem Sinne zu leben: die ächte Treue bis über's Grab.

Nun ward genäht und geschafft, um Antonie für die neue Laufbahn anständig auszustatten, die Mutter ließ es an nichts fehlen, »es ist ja des Kindes Aussteuer.« Die Tante und ihre Töchter halfen eifrig mit, man war ungeheuer bemüht, daß alles doch recht englisch ausfalle; natürlich, wir guten Deutschen ließen uns womöglich aus jeder Gränze umschmieden, um doch ja überall einem Eingebornen gleichzusehen, während wir jeden ausländischen Schnupftuchzipfel bewundern. Kommt ein Engländer oder Franzose zu uns, so gäbe man den Finger von der Hand für ein französisches Kalb oder einen englischen Ochsen, nur um sie, würdig ihrer Nationalität, bewirthen zu können; wir dagegen essen im Ausland mit Genuß rohes Fleisch oder zerhacktes Gemengsel, nur weil es so englisch und so französisch ist.

Die Aussteuer war fertig, zierlich aufgeschichtet und pünktlich gezeichnet lag alles bereit. »Ich weiß nicht,« sagte die naive Tante, »die Aussteuer da kommt mir vor wie die Hochzeit von einem katholischen Pfarrer; wärst lieber hier geblieben, Tonele: wenn ein Mädchen Gouvernante wird, ist's halt wie wenn sie in's Kloster ginge.« – »Ei, wer mich lieb hat, holt mich auch aus England!« lachte Antonie übermüthig. Die Tante, die gar nichts von dem jungen Freund wußte, schüttelte bedenklich den Kopf: »Schatzenkind, Du bildest Dir zu viel ein, die Männer bemühen sich kaum mehr eine Treppe herauf um eine Frau, geschweige denn, daß sie nach England gingen.« – »Ei, so sollen sie daheim bleiben!« rief heiter Antonie, »darum will ich mir keine trüben Augen gucken.«

Der Abschied war vorüber, der zauberische Hauch, der sie anwehte aus der »weiten, weiten Welt,« hatte Antonien die heißen Abschiedsthränen getrocknet, und der sorglose Reisemuth kam über sie, der sogar das ängstliche Gemüth beim Beginn einer Reise überschleicht, und Antoniens gehörte nicht zu den ängstlichen.

Es war so schön in der Welt draußen, und Antonie hatte so glückliche Augen, alles Schöne zu sehen.

Und jedermann war so freundlich und Antonie hatte bei ihrem mädchenhaften schüchternen Aussehen doch eine solche ruhige Sicherheit im Reiseverkehr, daß sie gar nicht erfuhr, was Reiseunannehmlichkeiten sind.

Und nun kam der Rhein, der blaue Rhein! und alle Rheinsagen, Balladen und Romanzen, die sie und Agnes zusammen deklamirt, oder die der »junge Freund« so schön zur Guitarre gesungen, zogen ihr durch den Sinn, als sie so hinunter gleiteten. Und am Rhein war seine Heimath!

Wo er in diesem Augenblick war, wußte sie nicht bestimmt, er hatte seine Hofmeisterstelle verlassen und die Stelle eines Secretärs bei einem Fürsten angenommen, die Mutter hatte ihm ihren Entschluß geschrieben, aber sie hatte keine Antwort darauf.

Sie stand in Köln auf der Rheinbrücke, glücklich in all der Schönheit, aber allein, und ein leises Heimweh überschlich sie nach einer einzigen Seele, die die Herrlichkeit mit ihr theilen könnte; – »guten Abend,« tönte es hinter ihr; so gab es nur Eine Stimme, nur eine einzige! – sie blickte auf und sah in die dunklen Augen, die ihr so oft lieber und leuchtender geschienen als Sonnenschein und Sternenlicht.

Er hatte die Zeit ihrer Durchreise vermuthet und war gekommen, um sie zu erwarten. Daß er sechs Meilen weit herkam und schon seit drei Tagen wartete, ein Aufenthalt, der sich kaum mit seiner Stelle und seiner Kasse vertrug, das sagte er ihr nicht, so wenig sie ihm sagte, wie er der Mittelpunkt all ihrer Gedanken, der Hintergrund all ihrer Zukunftsträume gewesen. Sie waren Freund und Freundin, da durfte sich nichts so Leidenschaftliches einmischen.

Und Freund und Freundin setzten sich traulich zusammen auf der Terrasse des Gasthofs, und sie sprachen von dem vergangenen Leid und künftigen Lebensplänen, und Wilmsen schilderte ihr seine Stellung, die, obschon wenig erquicklich, ihm doch reiche Gelegenheit gab, Gutes zu wirken und Schlimmes zu verhüten; aber Aussichten für die Zukunft gab sie ihm nicht.

Bald schlug die Stunde zur Abfahrt, und er sah seine Liebe in die Ferne ziehen, sie, das zarte Kind, die er, allen Mühen und Kämpfen enthoben, hätte auf den Händen durchs Leben tragen wollen, sollte nun selbst einen entsagungsvollen und schweren Beruf auf sich nehmen; – aber er wüthete nicht gegen Schicksal und Verhältnisse, er kannte die starke, fromme Seele des zarten Kindes und befahl sie getrost in Gottes Obhut, sich selbst gelobte er aufs Neue, treu zu ringen nach seinem Ziel, und sie schieden als Freund und Freundin, und das große Wort blieb unausgesprochen in beider Herzen.

Die Mutter suchte daheim, so gut sie konnte, die Lücke auszufüllen, die das Scheiden ihres Kindes gelassen, und als Lichtpunkte in ihr einsames Leben kamen Antoniens Briefe, Briefe voll frischen Muthes, voll Lust und Zufriedenheit. Alles war schön und gut, die fremde Sprache freilich machte ihr noch ein wenig zu schaffen, aber sie freute sich nur umso mehr auf die Zeit, wo sie ihrer vollkommen Herrin sein würde; der Ton im Institut war etwas steif, aber man schätzte um so mehr die innere Herzlichkeit, das wahre Wohlmeinen, das darunter verborgen war; die Nebel, der Kohlendampf schien etwas unangenehm, aber man gewöhnte sich gar bald daran und freute sich des blauen Himmels und des Sonnenscheins, wie nie zuvor; – das Unterrichten ging ihr leichter von Statten, als sie je gehofft, – kurz alles war recht und gut; auch die Vorsteherin der Pension drückte in einem bösen Deutsch der Mutter selbst ihre Freude aus über den Gewinn, den sie an ihrer Tochter gemacht: »sie verheitert das ganze Anstalt mit ihre befriedigte Gemüth,« versicherte sie.

Wilmsen schrieb nach wie vor der Mutter von Zeit zu Zeit; er bat um Erlaubniß, einige Worte an Antonie beilegen zu dürfen, für deren neue Laufbahn er sich so sehr interessire, es war ein offnes Blättchen vom Freund an die Freundin, so einfach, so unverfänglich als möglich, da konnte die Mutter nichts dagegen haben. Antonie schrieb wieder, und bald waren die Briefe an die gute Mutter, wenigstens die von Wilmsen, nur Umschläge um die langen Episteln an die Freundin. Sie schrieb ihm über England, über ihren Beruf, sie bat um seinen Rath wegen Lehrbüchern, und er ertheilte ihr den Rath und erzählte ihr aus seinem Leben von kleinen Reisen, die er mit dem Fürsten machte, er theilte ihr seine literarischen Versuche mit, die Glück zu machen begannen, – der allernüchternste Verkehr, der nur zwischen zwei jungen Leuten stattfinden kann, und Antonie hätte ihre Korrespondenz ohne Abänderung zum Schulgebrauch benützen können.


Es wird auch Frühling in England, und war sogar Frühling geworden im Garten hinter dem Pensionsgebäude, obwohl statt wehender Linden nur rauchende Kamine von allen Seiten hereinblickten.

Antonie war mit ihrer kleinen Heerde im Freien gewesen, hatte sie nun aber in's Schulzimmer entlassen, und verweilte noch einen Augenblick im Gärtchen, sie wollte doch auch ein bischen Frühling für sich allein feiern! Sie zupfte keine Margueriten mehr und knüpfte keine Grashalme, fünf Jahre sind eine lange Zeit, besonders wenn man vom achtzehnten Jahr an zählt und können ein Herz recht still machen.

Antonie dachte an Agnes und ihre Resignation, die sie jetzt schon begriff, sie dachte hinaus in ferne, ferne Zeiten, wo es immer noch so sein würde wie jetzt; vielleicht war sie dann in die Heimath zurückgekehrt und pflegte die Mutter und lehrte deutsche Mädchen Englisch, wie sie jetzt englische Deutsch lehrte; sie und der Freund würden dann wohl einander immer noch schreiben, dann besuchte er sie auch vielleicht einmal; und einst, wenn sie recht, recht alt wären, aber recht alt, so könnten sie wohl einmal reden von den goldnen Tagen im Walde bei Eichhalde und einander sagen, wie lieb sie sich gehabt, – oder führte er vorher noch einmal seine Braut zu ihr, seiner Freundin: eine Junge, Schöne, Fröhliche … war's ein Frühlingsschauer, oder waren's Thränen, die auf die Veilchen neben ihr fielen?

»Guten Abend,« sagte es wieder hinter ihr. Antonie fuhr auf. – Ist das ein Geist? Können Gedanken Gestalt und Stimme bekommen? Nein, er ist es selbst, und seine dunklen Augen strahlen im Licht der reinsten Freude, – »grüß Gott, Antonie!« sagt er noch einmal auf gut schwäbisch, der Erinnerung wegen.

Antonie konnte sich gar nicht fassen, gar nicht die Würde einer Freundin finden, die noch dazu Gouvernante war. »Sind Sie mit dem Fürsten hier?« fragte sie endlich. – »Nein, ich bin nicht mehr bei dem Fürsten, ich komme allein, ich komme zu Ihnen; haben Sie einen Augenblick Zeit, liebe Antonie?«

Und Antonie war so pflichtvergessen, daß sie nicht der achtzehn Zöglinge gedachte, die sie erwarteten, nicht der Geographiestunde, die sie zu geben hatte, nicht der rauchenden Kamine nebst Häusern, die von allen Seiten hereinblickten, sie setzte sich mit ihm in die Laube, sie ließ ihre Hand in der seinen, und ließ sich erzählen von all den Anstrengungen, die er bis jetzt gemacht, sich eine Existenz zu gründen und wie sie alle mißlungen. Nun war ihm ungesucht und ungehofft von seiner Vaterstadt in Rheinpreußen ein städtisches Amt angetragen worden, keine glänzende Stelle, doch sicher, einträglich genug, um eine anspruchslose Familie zu nähren. »Und nun, Antonie,« schloß er, »ich habe lange geschwiegen, aber jetzt kann ich keinen Augenblick mehr schweigen, es ist ein bescheidenes Loos, das ich Ihnen biete, wollen Sie es annehmen? Umstände sind Gottes Boten, ich wollte seinem Willen nicht vorgreifen; ich habe unsere Liebe in seine Hand gegeben in der Hoffnung, daß er sie bewahre; hat sie mich nicht betrogen?« – »Nein, nein,« lächelte Antonie unter Thränen, und sie sahen sich glückselig in die Augen und fanden da alles, alles wieder, was Jedes so lange im Stillen gehegt.

Droben aber saßen die achtzehn Schülerinnen und hing die Karte von Deutschland und erschien keine Lehrerin; die Mädchen begannen allerlei Unfug, eine bestieg den Katheder und stellte die Lehrerin vor, die andern jagten sich im Lehrsaal herum, bis die Direktrice eintrat und dem Spektakel ein Ende machte. »Wo ist Fräulein Antonie?« – »Sie ist im Garten geblieben,« schrieen die Mädchen, »auf der Rasenbank.« Erstaunt über die Versäumniß einer sonst so pflichtgetreuen Lehrerin, begab sich die Direktrice hinab, o Schreck, die erste Gouvernante eines first rate establishment saß da in der Laube mit einem fremden Jüngling, Hand in Hand! und die Augen, mit denen sie ihn ansah, diese Augen, die waren so ganz und gar nicht offiziell; what a fright.

Wilmsen aber war nicht umsonst bei Hofe gewesen; er stand auf und begrüßte die Dame, deren Rang ihm Antonie zugeflüstert, mit feinem Anstand, er stellte sich ihr als burgomaster der Stadt X. in Rheinpreußen, und Fräulein Antonie als seine Braut vor. Neues Erstaunen, eine Braut im Institut! das war unerhört, aber kein ungünstiger Umstand, dachte die Direktrice, das mußte ihr gute Lehrerinnen gewinnen, wenn bekannt wurde, daß die Vorgängerin sich verheirathet.

Die naseweisen Mädchen waren indeß auf den Gang gesprungen, dessen Fenster auf den Garten gingen und schauten da mit hohem Erstaunen die neue Scene. Die Direktrice fand für's Beste, das Paar schleunig in's Haus zu führen und den Schülerinnen den Herrn burgomaster nebst Braut vorzustellen, die sich nicht genug wundern konnten über einen so jungen und so schönen burgomaster da ein solcher ihres Erachtens ein alter dicker Herr mit einem Zopf sein mußte. Die beste Schülerin durfte noch zu größerer Beglaubigung des Ereignisses die Stadt X. in Rheinpreußen auf der Karte suchen, damit wurde dann die Geographiestunde geschlossen.

Wilmsen kam zunächst von ihrer Mutter, deren freudige Zustimmung er mitbrachte, und er meinte nun, seine Braut solle im Flug mit ihm abreisen, daheim Hochzeit machen und dann in ihr bescheidenes Reich einziehen. Das war aber nicht Antoniens Sinn: »was ich begonnen, möchte ich auch gern ausführen,« meinte sie, »ich habe meinen Beruf nicht nur als Nothhilfe ergriffen und ich möchte ein, wenn auch nur kleines Ziel darin erreichen. Die Klasse, die mir zunächst übergeben ist, tritt im nächsten Frühling aus, ich will sie nicht mehr in fremde Hände geben und will die Vorsteherin, die mich mütterlich aufgenommen und treulich eingeleitet hat, nicht jetzt verlassen, wo ich etwas leisten kann. Und dann,« setzte sie lächelnd hinzu, »muß ich erst lernen, mich in mein neues Glück zu finden, eh ich ein nagelneues über mich nehme. Dir, liebes Herz, kommt gewiß auch die Zeit noch gut, um Dich in ein Amt zu finden, in dem Du noch neu bist, und ich will unser künftiges Nestchen mit eignen Händen ausbauen; und denke nur an die Glückseligkeit, daß wir einander jetzt schreiben dürfen, so recht vom Herzen weg, ohne Rückhalt, das ist allein ein Jahr Wartens werth.«

Wilmsen fügte sich, wenn auch ungern, dieser Fülle von Gründen, er sah freilich sein Liebchen hier so gut und fröhlich, so liebend und geliebt, daß er sie selbst nicht zu schnell hätte losreißen mögen; so reiste er allein ab nach kurzem Aufenthalt, in dem sie die wenigen Stunden Beisammenseins, die ihnen vergönnt waren, treulich ausgebeutet hatten. Er gab auch einigemal Gastrollen in der Geographiestunde, das legte ihm aber Antonie lachend nieder, sie meinte, er wäre ein zu gefährlicher Lehrer und es könnte ihm ja auch einfallen, daß unter den aufblühenden Kindern eine passendere Wahl für ihn wäre, als die alte Gouvernante, er verschloß der alten Gouvernante den rosigen Mund und erklärte sich für resignirt in sein herbes Geschick.

Er reiste ab und Antonie begleitete ihn und sah ihm nach, so lange sie konnte und ging heim und verschloß sich in ihr Kämmerlein, um auszuweinen. Dann aber kam sie herab mit klareren Augen denn zuvor, und wer von den Bräuten behauptet:

Sie seien zu nichts mehr zu brauchen,
Als liebende Grüße zu hauchen,

der hat Antonie nicht gesehen in diesem letzten Probejahr, wie sie, gehoben durch ihr inneres Glück, jede Pflicht mit doppelter Treue erfüllte und sich nie genug that, um nur in etwas der schönen Zukunft werth zu werden, die ihrer harrte.


Das Unglück, der Schmerz ist viel mannigfaltiger und vielgestaltiger als das Glück, drum haben wir für dieses viel weniger Worte als für jenes, und eine Geschichte, die uns bogenlang durch allerlei Gewinde und Irrgänge geführt, schließt dann geschwind mit »dann sind sie glücklich zusammengekommen,« oder, was feiner ist: »vier glückselige Augen blickten zum rosigen Abendhimmel auf,« oder: »nie beleuchtete die untergehende Sonne ein glücklicheres Paar« und dergleichen schöne Sachen mehr.

So schließe auch ich diese einfache und wahrhaftige Geschichte mit einer fröhlichen Hochzeit, darf aber nicht verschweigen, daß Agnes, die Längstresignirte, als Brautjungfer und Jungfer Braut an Antoniens Seite saß und mit klaren Augen und frohem Herzen in eine Zukunft sah, deren Glück sie nicht auf Blumenorakel, sondern auf Felsen gegründet wußte. Es war eine gar heitere Hochzeitgesellschaft, die Brüder brachten einen Toast um den andern aus, immer feuriger, immer stürmischer, bis sie zuletzt sentimental wurden. Die Tante war höchlich zufrieden, daß aus der katholischen Pfarrhochzeit eine wirkliche geworden war und freute sich doppelt der schönen Aussteuer, die nun der Nichte eigne Errungenschaft war. Eine Deputation von ehrsamen Bauersleuten aus Eichhalde beschenkte die schöne Braut mit einer reichen Gabe des feinsten Flachses.

Nur Dölfele, der gutmüthige Dölfele, der jetzt endlich aus der Mutter Arm herausgewachsen war, warf einen Schatten auf die Festeslust, indem er sich mit Speise und Trank dermaßen übernahm, daß er zu Bette getragen werden mußte.


Und noch bin ich nicht zu Ende. Das Weltglück, das das zufriedene Paar nie gesucht hat, ist ihm nachgezogen. In der kurzen Sturmperiode unsres Zeitalters, wo man da und dort nach tüchtigen Stützen griff, auch wenn sie weder numerirt noch einregistrirt waren, gedachte der Fürst seines ehemaligen Sekretärs, seines klaren Verstandes und lautern Charakters, des liebevollen Eingehens in alle Verhältnisse, die damals den jungen Mann in allen Kreisen beliebt gemacht hatte.

Wie so mancher Cincinnat vom Pflug ward Wilmsen aus dem düstern Rathhaussaal an's Staatsruder gerufen und diese Wahl ward mit allgemeiner Zustimmung begrüßt. Dieselbe Kraft, die ihn gelehrt, einst sein junges Herz bezwingen und die rechte Stunde abzuwarten, verlieh ihm auch hier eine stete Hand, einen klaren Sinn, der sich begeistern, aber nicht berauschen ließ von dem ungewohnten Labetrank.

Mit andern schlimmen und guten Märzerrungenschaften ging zwar auch diese Herrlichkeit zu Grabe. Aber man hatte Wilmsens vielseitige Kraft schätzen lernen, und als oberster Leiter des Schulwesens in jenem kleinen Staate erfreut er sich bis heute noch einer angesehenen und einträglichen Stellung, die weit über seine jugendlichen Erwartungen geht. Antonie blüht noch wie eine Rose, sie braucht kein Orakel mehr, um zu erfahren, ob sie glücklich sei.

Auch Agnes hat nicht beklagt, daß ihr ein Loos geworden, das mehr frische Kraft als stille Ergebung fordert, und sie durfte sich mit eignen Augen überzeugen, daß sie nicht zu viel gehofft in dem zweiten Liedchen, mit dem sie an Antoniens Hochzeit jene resignirten Verse wieder gesühnt hatte.

Und es hat der Halm gebogen sich zum blüh'nden Myrthenzweig,
Süßes Glück ist eingezogen in der stillen Hoffnung Reich;
Aus viel goldnen Frühlingstagen ward ein Sommer hell und klar;
Und vereint zum Nimmerscheiden grüßt sich heut ein selig Paar.

Und ich sah den Frühling keimen unter Lächeln, unter Weh'n,
Sah in reichem, vollem Schmucke Deines Glückes Blüthen steh'n;
Nun ich statt der zarten Blüthe schaue reicher Aehren Glanz,
Legt' ich gerne auf die Garben schmucklos einen Erndtekranz.

Doch, was sollte ich Dir singen? was erhebet ein Gedicht,
Das in Deinem reichen Leben ward zur vollen Wahrheit nicht?
Wie der Liebe goldne Sonne, Erdenleid in Lust verklärt,
Schöner als ein Lied es singet hast im Leben Du bewährt:

Wie zwei Herzen ohne Worte auch aus Fernen sich versteh'n,
Wie beim Lieben wohnet Glaube, fester Glaube ohne Seh'n,
Wie ein Herz, das all sein Hoffen legte in des Höchsten Hand
Ueber Bitten und Verstehen, selige Erfüllung fand. –

Glaube mir, in Worte fassen läßt sich alles dieses nicht,
Wird zur Poesie das Leben, dann verstummet das Gedicht.
Und so nimm zu frohem Anfang, nicht zu thränenvollem Schluß,
Nimm in Deine neue Heimath meiner Liebe tiefsten Gruß.



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