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II.
Schäfers Margareth.

Auf dem freien grünen Rasenplatze vor dem Dorf steht ein langes, niedriges Gebäude, das unter Einem Dache den Schäfer mit seiner Familie und seinen Schafen beherbergt. Man nennt es das Schafhaus, und recht freundlich schaut es von seiner Höhe in das weite Land hinein.

Es war Ostermontag und ein heller schöner Morgen: die hohe Linde vor dem Haus war voll Knospen, die jeden Augenblick aufbrechen konnten. Drinnen im Schafhause schien heute etwas Besonderes vor sich gehen zu wollen: durch die offenen Fenster sah man einen gedeckten Tisch und Margareth, des Schäfers Töchterlein, um diese Zeit sonst noch im hellen Geschäftsaufzuge, ging schon im vollen Sonntagsputze hin und her: ja wenn man näher hinsah, entdeckte man gar um das weiße Bandhäubchen ein zierliches Kränzlein von Röschen und Myrthen, das klar anzeigte, daß heute der Margareth ihr Ehrentag angebrochen.

Zwei Hauptpersonen fehlten noch. Margareth sah immer zum Fenster hinaus, als wollte sie ihren Michael herbeigucken. Denn so hieß der Bräutigam: erst seit einem halben Jahre diente er als Knecht beim Schäfer und hatte geschwinder als der Erzvater Jakob in dieser kurzen Zeit die hübsche Tochter erobert. Weil seine Verwandten zu ferne wohnten, war er über Feld gegangen, um sich wenigstens einen befreundeten Schäferknecht in der Nähe zum Feste zu holen. Außer dieser Hauptperson wartete Alles auf die Base Sabine, die Dote der Braut, und zwar Margarethe mit einiger Bangigkeit. Nicht wie wenn die Base bösartig wäre, im Gegentheil, sie war herzgut: hatte, wie man wohl erfuhr, der Margarethe im Testament bereits ein schönes Bett zu gut geschrieben, aber im Geruche einer »Tepistin« stand sie, und ließ es sich hie und da beikommen, dem jungen Volke ein wenig in's Gewissen zu reden. Der Michel hatte sie auch noch gar nicht besucht: die Schwiegermutter hatte sie zur Hochzeit laden müssen, daher kam es, daß der Braut das Herz etwas klopfte, als sie die Base in ihrer ehrbaren schwarzen Tracht herankommen sah.

Von einem empfindlichen Wesen merkte man aber nichts bei Sabine: sie grüßte Eins wie das Andere auf das herzlichste. Kaffee wollte sie diesmal nicht annehmen, und sagte zur Braut, die ihn ihr anbot: »Komm du lieber ein bisle mit mir in euer Krautgärtle hinter!« Da war nichts zu machen: Margarethe führte die Base hinaus und fing an: mit vielen Worten die Abwesenheit des Bräutigams zu entschuldigen. »Das ist jetzt Alles schon recht,« meinte Sabine, und setzte sich auf eine kleine Bank, »aber sag' mir, Margareth, hast du's auch recht mit dem lieben Gott überlegt, ob du mit dem Michel eine glückliche Ehe wirst führen können?« »Dote,« antwortete die Braut, »gottlos ist mein Michel nicht: im Trunk hat er sich nur dann und wann übersehen, wenn man ihm das Essen nicht zu rechter Zeit brachte, und da kann ein vernünftiges Weib viel machen!« »Ist aber auf diese Art ein gewagtes Stücklein,« sagte Sabine, und schüttelte den Kopf. »Habt ihr auch schon, nur das noch, habt ihr auch schon mit einander gebetet, nur ein einziges Mal?« – »Ja, Dote, weißt,« stotterte Margareth, an ihrer schwarzen Schürze zupfend, und war höchlich erfreut, als der rasche Schritt des herannahenden Bräutigams sie der Antwort überhob. »Guten Morgen, Greth, jetzt wird's Ernst,« rief er, mit einem kräftigen Handschlag auf die Schulter der Braut, »da hinten steht mein G'spiel, und das wird schätzwohl die Base sein?« Er bot ihr die Hand und fuhr fort: »Die hat denk wohl, schon ein Stück im Voraus predigt, so kann's der Pfarrer um so kürzer machen. Jetzt voran, duzwitt, willst du die Bas führen, Jakob? Ihr gebt ein nettes Pärle, sie betet und singt für Zwei, so ist's eben recht für dich!« Margareth saß hiebei wie auf Nadeln, aber was thun gegen diese rasche Zunge? Glücklicher Weise rief eben die ältere Schwester, man solle sich schnell zum Kirchzug richten. Sabine ging still mit der Mutter des Brautpaars dahin und antwortete nichts, als der Vater vor der Kirche ihr in's Ohr flüsterte: »Gelt, Base, das ist ein Staatspaar!« Und in der That, als die beiden jungen Leute, fast gleich groß und schlank und kräftig, vor den Altar traten, dachten noch Viele wie der Vater.

Gab das heute einen lustigen Mittag im Schafhaus! Michel zeigte bald, daß er zwar den Wein gut führen, aber zuletzt doch auch spüren könne. Margareth blickte voll Seelenangst nur immer nach der Base hin. Diese merkte bald, daß sie entbehrlich sei, und stand sachte auf, indem sie der Margareth bei Seite winkte. Der war es schon wieder vor einer Predigt bange, es hatte aber keine Gefahr, die Base drückte ihr nur ein petschirtes Papierlein in die Hand. »So, da kauft euch selbst, was ihr braucht, und da,« indem sie aus ihrem Armkorb eine schöne neue Bibel nahm, »das nimm noch dazu und acht's nicht gering, es wird dir noch einmal wohl thun!« Wiederum etwas verlegen schlug Margareth das Buch auf und ihr Auge traf auf die Stelle: ›Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und meine Wege sind nicht eure Wege.‹ »Das paßt nicht wohl für eine Hochzeiterin,« meinte Margareth, »aber seid ruhig, Base, ich will das Beten nicht verlernen, und ihr werdet sehen, daß der Michel besser ist, als man es ihm ansieht: er kann's nur nicht so von ihm geben, wie er's meint.« »Behüt dich Gott,« sagte die Base und gab ihr die Hand. Leichter um's Herz, eilte Margareth in den lustigen Kreis zurück, doch unter all der Fröhlichkeit kamen ihr wieder und wieder die Worte in den Sinn: »Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und meine Wege sind nicht eure Wege!«


Neun Jahre waren seit jenem Ostermontag verstrichen. Jetzt war es um Pfingsten, die lieblichste Zeit des Jahres: die Linde vor dem Schafhaus duftete in vollster Blüthe, die frühen Röslein guckten lächelnd über den Zaun des Krautgärtleins, Alles sah wie lauter Lust und Wonne aus. Unter dem Lindenbaum aber sitzt ein Weib, die Hände auf den Schooß gestützt, den Kopf tief darein begraben, abseits schaut ein Häuflein Kinder ängstlich nach ihr: wie sie nun mit einem lauten, herzzerreißenden Schrei auffährt und mit einem Blicke unsäglichen Jammers nach ihren Kleinen hinüberschaut, da hätte kein Mensch mehr die nette Hochzeiterin erkannt, die vor neun Jahren dagesessen.

Erst neun Jahre – und diese magere, vom Elend gebeugte Gestalt, diese eingefallenen, hohlen Augen, dies jammerdurchfurchte Gesicht – das war des Schäfers Margareth, und erst neun Jahre!

Wie kam's, wie kam's, warum also? Eben eilt der Bote wieder fort, der die Hiobspost gebracht und selbst davon recht angegriffen aussieht. Durch einen Schafsknecht hat's der Michel verbieten lassen, daß er fort sei in's Ausland, auf und davon sammt den paar übrigen Schafen, die ja doch seiner Grethe mit den Kindern aus der Armuth nimmer helfen könnten: er hab's in diesem Elend nicht mehr ausgehalten, wenn es ihm gut gehe, wolle er Etwas schicken, derweil solle die Kommune Etwas thun. Wie ein Lauffeuer hatte sich die Nachricht in der Umgegend verbreitet. Die Ahne, seither Wittwe geworden und in's Dorf gezogen, kam gleich heraus und traf Margareth noch unter der Linde, fast besinnungslos in der Mitte ihrer Kinder dasitzend. Als nun die Ahne in Verwünschungen und Flüche über den schlechten Michel losbrach, da erhob Margareth den Kopf und sagte matt: »laßt's jetzt gut sein, Mutter, es ist ihr Vater gewesen, und ich liege, wie ich mir gebettet habe. Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken,« murmelte sie vor sich hin: »ja, ja, so ist's.« – Ach, das war eine kurze Herrlichkeit gewesen! Ein paar vergnügte Monate hatten sie noch gehabt, – wenn der Michel nicht zu weit fahren durfte mit seiner Heerde, und das junge Weib ihm das Essen hinaustrug, und sie zusammen an einem grünen Raine saßen und einträchtig aus der Schüssel aßen. Aber als der Schäfer unerwartet schnell gestorben war und Michel die Schäferei bekommen hatte, da ging Zucht und Ordnung bei dem eignen Herrn, der nie nach einem höhern viel gefragt hatte, bald vollends aus den Fugen.

Was braucht es vieler Worte zu einer Geschichte, welche euch leider tausend ruinirte Haushaltungen, tausend abgehärmte Weiber und frühverwaiste Kinder erzählen können? Die alten Saufgenossen zogen den Michel wieder ein, der kleine Verdienst flog davon, wenn Würfel und Gläser, des Michels Sonntagsglocken, tönten, – jetzt probir's, arme Grethe, was ein gescheidtes Weib vermag, wenn der Mann betrunken heimkommt und des Weibes Bitten mit Scheltworten, ihre Gebete mit Fluchen, ihren Zank mit Schlägen erwidert! Und daneben alle Jahre noch ein paar Augen weiter, um in solches Elend zu schauen! Ein Wunder, daß ihre Kinder so gesund und rothbackig dreinschauten, ihre eigene Kraft und Gesundheit war längst in Kummer und Mißhandlung geschwunden. Wohl hatte sie schon oft die Bibel der Base zu Händen genommen, aber es war ihr ein Buch mit sieben Siegeln verschlossen: seinen Trost wagte sie nicht auf sich anzuwenden, vor seinem Fluche fürchtete sie sich.

Schon lange hatte sie gemerkt, daß der Michel mit besonderen Gedanken umging: mochte er so betrunken heimkommen, als er wollte, wenn die vier Buben um Brod schrieen, – das Wimmern des kleinsten verstand er noch nicht, – so ging's ihm doch manchmal an's Herz. Sie war einmal Nachts aus einem gräßlichen Traume aufgefahren, und als sie aufsah, saß ihr Mann aufrecht im Bette, und blickte mit Augen zu ihr herüber, vor denen ihr graute.

Nun war er also fort, fort in die weite Welt mit dem letzten Rest ihrer Habe! – Sie konnte nichts denken und thun an diesem Tage; die Ahne, die aber selbst nicht Viel hatte, erbarmte sich der Kinder, und speiste sie, – Margareth selbst wollte nichts über den Mund bringen. Am Abend saß sie allein in ihrer Stube, da ging die Thüre leise auf und herein trat die Sabine. »Grüß dich Gott, Margareth,« sagte sie mit einem so herzlichen Tone voll Mitleiden, daß dem armen Weibe die ersten Thränen im Auge wieder los wurden. Reden ließ sich nicht viel mit ihr, aber fast erschrocken sah sie der Base nach, wie diese aufstand, um von einem Schranke herab die Bibel herbeizuholen. »O Base, ich weiß,« – rief sie fast verwirrt, – »freilich, freilich, meine Wege sind nicht Gottes Wege gewesen, o ich weiß, ich weiß!« – Die Base blätterte aber ruhig in dem heiligen Buche, und hub an zu lesen: Ich habe über euch Gedanken des Friedens, und nicht des Leides! Aus diesem Kapitel des Trostes zog sie einen Spruch um den andern an; unter der Hand trocknete eine Thräne des armen Weibes um die andere, und der erste Friedenshauch seit langer, langer Zeit zog ein in ihre Seele.

Da sah sie aber auf dem Rasen ihre fünf Buben, die eben die Ahne heimbrachte, und ein neuer Jammerschrei drang hervor: meine Kinder, meine Kinder, wir müssen Hunger sterben! Sabine las wieder: »Sorget nicht für euer Leben, was ihr essen und trinken werdet … Sehet die Vögel unter dem Himmel an …« »Ja die Vögel,« fuhr das arme Weib mit bitterem Lachen dazwischen, »die brauchen keine Schuhe und Kleider, das ist bald gesagt, aber fünf Buben ohne Vater, und die Schafe fort, und mein elender Körper!« Sanft erwiederte Sabine: »Gott wird dir diese Sünde nicht anrechnen: hat nicht jeder deiner Buben gesunde Arme und Füße? Das haben die Vögelein nicht! Probir's nun einmal: bete und arbeite, und lerne die Buben beten und arbeiten: verhungert ihr dann, während die Vögel unter dem Himmel singen, dann sage keck, die Bibel habe gelogen.« –

Und die Margareth hat's probirt. Müd und schwach, wie sie war, hat sie früh und spät die Hände geregt: kein Geschäft war ihr zu mühselig, keines zu gering: stricken, spinnen, waschen, Holz sammeln, Wasser tragen, Kräuter suchen, – wo ein ehrlicher Erwerb heraus sah, wo nur ein Kreuzer zu erholen war, da streckten die Mutter und ihre heranwachsenden Buben die Finger darnach aus.

Nun habe ich einmal in meiner Jugend eine schöne Geschichte gelesen »von den drei Söhnen des armen Hansjörg, die reiche Herren geworden sind,« und es liest sich recht reizend, wie die drei Knaben durch Sammeln von Roßhaaren und alten Knochen, Aehrenlesen und Handlangen zuletzt ein schönes Vermögen erworben und am Ende als reiche Herren den Vater in der Kutsche abgeholt haben. Ob die Geschichte wahr ist, weiß ich nicht, – bei der Margareth und ihren Buben hat es nicht so weit gereicht: an manchem lieben Abend sind sie hungrig zu Bett gegangen. Aber sie haben Hungern und Entbehren gelernt, und das ist auch etwas werth. Die Bibel von der Base wurde in dem kleinen Dachstüblein, darein sie aus dem großen Schafhaus gezogen waren, zum täglichen Brode, das Leib und Seele nährte und stärkte, die Arbeit galt für ein Geschenk des Himmels, und wenn es die Woche über so gut ging, daß es am Sonntage zu einem bescheidenen Festessen reichte, wie reich saß da die arme Familie in Liebe und Dank zusammen! So viel ist gewiß: kein Bissen Bettelbrod wurde bei der Margareth verzehrt: ein schönes Exempel, was fleißige und gefaltete Hände noch heut zu Tage vermögen! Damit ist nicht gesagt, daß die Buben nicht aus einem freundlichen Nachbarhause hie und da ein Stück Brod, einen Korb Aepfel oder auch ein abgetragenes Wämschen heimgebracht hätten, aber auf den Bettelweg begab sich nie, auch nicht Einmal eines der Kinder, geschweige die Mutter. Fragt ihr, wie sie's denn doch zusammen brachten, so sagt mir zuvor, wo und wie die Vögel unter dem Himmel alle ihre Körnlein finden?


Ginge die Geschichte nur so ergötzlich, wie die vom armen Hansjörg aus! Aber die Wahrheit, bei der wir bleiben wollen, ist diesmal etwas trauriger.

So zeige ich euch die Margareth wieder nach Jahren – nicht mehr das fröhliche, leichtsinnige Mädchen am Hochzeitmorgen, nicht wie das Schreckens- und Jammerbild an jenem Pfingsttage, nicht mehr das regsame und rührige Weib in späteren Tag, – nein, hingestreckt auf ein langes schweres Schmerzenslager. Die fleißigen Hände können sich nur noch zum Gebete falten, die regsamen Glieder krümmen sich nur noch in krampfhaftem Schmerze: und doch dürfte Manches seinen Prunksaal gegen dieses Leidenskämmerlein vertauschen, denn Gottesengel halten darin Wache: Geduld, Glaube, Gottvertrauen. – Die fünf Söhne sind keine reichen Herren geworden, aber rechtschaffene, redliche Menschen, welche der frommen Mutter Mühe um sie in treuem Herzen bewahren und den himmlischen Vater um Segen für sie anrufen. Sie durfte ihn auch in aller Schwäche und Bangigkeit stets neu an sich erfahren: sie mußte auch jetzt noch nicht das Betteln lernen, denn am Nöthigsten fehlt es ihr nie. Die Sabine ist seit Jahren todt, und ihr bescheidenes Erblein ist unter den vielen armen Erben lange vertheilt und verzehrt, – aber jenes Hochzeitgeschenk ist jetzt der Margarethe Herzenstrost.

Auch manchen lieben Krankenbesuch mit herzlichem Zuspruch erhält die Margareth. Besonders hoch schlägt sie es an, daß der wohlwollende Pfarrer öfters bei ihr einkehrt: während der Unterhaltung mit ihm glänzt das matte Auge und glätten sich freundlich die Schmerzenszüge ihres Gesichts. Als er ihr in der Passionswoche die letzten Reden des Heilands las und an die Stelle kam: »so oft ich euch gesandt habe ohne Beutel, ohne Tasche und ohne Schuhe, habt ihr auch je Mangel gehabt?« da faltete sie freudig die Hände und sprach mit heller Stimme: »Herr, nie einen!«

Von ihrem Manne hat sie seit lange, lange nichts mehr vernommen, aber sie hofft im Stillen, daß ihr inniges Gebet für ihn nicht vergeblich sein werde, und verziehen hat sie ihm längst.

Laßt uns hoffen, daß die Leidenstage der Armen nicht zu lange mehr währen mögen. Sie hat hienieden ihren Lohn noch nicht dahin genommen.

Und eine Stunde mag kommen, wo der Reichste und Glücklichste unter uns seine fröhlichsten Stunden gerne hingeben würde um das selige Sterbestündlein der armen Margareth.



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