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Hagestolze.


Ich kenne eine respektable alte Frau, die ihren Schwiegersohn in gutem Ernst versichert hat, im Sirach finde sich die Stelle: »Ein Mann, der kein Weib nimmt, ist so dumm wie ein Sack.« Die Stelle habe ich nun freilich vergebens gesucht, um sie als Motto über diese Bilder zu setzen, und muß mich mit dem wohlbekannten und ächten Schriftwort begnügen: »Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei.«

Es mag zwar zu keiner Zeit den Hagestolzen an Waffen des Spotts gegen Ehemänner fehlen, und es ist gar nicht zu läugnen, daß auch die Rosen des Eheglücks manchmal aus Dörnlein gepflückt werden müssen. Es muß zugestanden werden, daß im gewöhnlichen Lauf der Dinge ein Ehemann seinen Kaffee mit Cichorien versetzt trinken muß, daß er weniger Braten und mehr gesottenes Rindfleisch bekommt, als an der Table d'Hôte, daß man hie und da am Samstag das Heiligthum seines Zimmers zur Eßstube entweiht, was zugleich äußerst gefährlich für seine Schriftlichkeiten ist. Es geschieht ferner, daß sein Schlummer durch Kindergeschrei beunruhigt wird und daß seine Buben auf seinem Spazierstock davon geritten sind, wenn er ausgehen will; an traulichen Abenden, wo er als guter Hausvater sich den Seinen zu widmen im Sinne hat, sind oft die Kinder so unartig, daß er mit Feuer und Schwert drein fahren muß; wenn er die Magd auf die Post schicken will, ist sie am Waschen und kann unmöglich entbehrt werden; hat er im Sinn, sich ein interessantes Werk anzuschaffen, so ist gerade der Holzvorrath zu Ende oder die Kinder brauchen neue Schuhe.

Alles dieß und noch viel mehr kann einem Ehemann begegnen, wenn ich auch aus Schonung für die Frauen die schauderhafte Geschichte von einem Pfarrer gar nicht erzähle, der in einer stillen Nacht aus seiner Studierstube ein klägliches Gebrüll vernahm und bei näherer Untersuchung daselbst ein junges Kalb vorfand, das, in einer kalten Winternacht geboren, so anspruchsvoll war, ein geheiztes Zimmer zu begehren, und aus Mangel an einem andern Lokal in der Studierstube untergebracht wurde. – Was sind aber all diese Drangsale, die durch tausend kleine und große Freuden ausgewogen werden, gegen das allerglänzendste Hagestolzenleben, dessen Lichtpunkt das Wirthshaus, dessen Ziel ein unbeweintes Grab ist!

Ich habe wenig etymologisches Talent und die eigentliche Ableitung des Worts Hagestolz ist mir entfallen, wenn ich sie je gewußt habe. Dem Klang nach scheint es mir eine höchst unpassende Bezeichnung. Ich sehe wahrhaftig nichts Stolzes daran, so entbehrlich durch die Welt zu ziehen, so unvermißt daraus zu scheiden. – Gibt es auf Erden ein stolzes Gefühl, so muß es das sein, sich als die Sonne eines zweiten Daseins, den Kern und Mittelpunkt der kleinen reichen Welt eines Hauses, als Stamm und Halt künftiger Geschlechter ansehen zu dürfen. Wo sonst hat unser eigenstes innerstes Wesen Geltung und Bedeutung, als im eigenen Hause? Was du draußen erstrebst und schaffst und wirkst in Staat und Kirche, in Kunst und Wissen, immer fragt man nur nach dem, was du gibst, daheim allein liebt man dich als das, was du bist.

Von allen staatsökonomischen Planen hat mich stets nur Einer beschäftigt: eine Hagestolzensteuer zu erheben, das erschiene mir so gerecht, so einfach, so natürlich. Man müßte freilich Ausnahmen gestatten: wenn Einer wirklich nicht im Stande wäre, eine Frau zu ernähren, oder wenn er bereits für Mutter und Schwestern sorgt, oder endlich, wenn er zum wenigsten drei unverschuldete Körbe nachweisen kann.

Da erhebt sich aber eine Stimme: »das wäre schon gut, wenn die Frauen alle wären, wie sie sein sollten; aber wie viel böse Weiber gibt's! wie viel vergnügungssüchtige, putzsüchtige!« u. s. w. Mag sein, die Frauen sind allerdings nicht allzeit Engel, und schlimme gibt's; aber kühn sei es behauptet, für jeden guten Mann ist auch ein gutes Weib gewachsen, und seine Schuld ist's, wenn er sie nicht findet.

Woher entspringen die Hagestolze? Absolute Weiberfeinde, die aus abnormer Eigenthümlichkeit oder durch furchtbaren Verrath einer Geliebten getäuscht, das ganze Geschlecht grimmig hassen und fliehen, die sind in Novellen häufiger als im Leben. Da aber männliche Herzen nicht so leicht in Confessionen überfließen wie weibliche, so haben wir weit weniger Aufschluß über die Gründe männlicher Herzenseinsamkeit, und können nur wenige Versuche machen, hier hinter die Coulissen zu schauen.

Es führe denn den Reigen, als einer der unschuldigsten der schwarzen Schaar:

I.
Der Heirathslustige.

Absicht war es also bei diesem nicht gewesen, einsam zu bleiben, und er am allerwenigsten hätte es je für möglich gehalten, ohne weibliche Pflege auszukommen. War er doch der Sohn seiner guten Mama, die ihrem Christian allnächtlich das Bett und alle Morgen das Weißzeug wärmte, und die ihn nie am Abend ohne Laternchen aus dem Haus gehen ließ. Sie konnte dieses System zärtlicher Fürsorge durchführen, da sie Wittwe war, und so ihrem Christian durch Schulen und Gymnasien bis auf die Universität folgen durfte.

Auch lag es keineswegs in der Absicht der Mama, daß der Christian einsam bleiben sollte; im Gegentheil, jeden Morgen, wenn sie ihm den Zopf band, und jeden Abend, wenn nach sieben Uhr der Gerstenschleim genossen wurde, den sie für das einzig gesunde Nachtessen hielt, begann sie mit Ermahnungen und Plänen für seine künftige Verheirathung.

»So lang ich lebe, lieber Christian, hast du das Heirathen gar nicht nöthig; ein so junger Mensch sollte eigentlich noch nicht daran denken, und sich jung versprechen, ist das größte Unglück. Aber ledig bleiben mußt du ja nicht. Dein lieber Papa selig wäre, mit allem Respekt sei es gesagt, im Spittel gestorben, wenn er keine Frau gehabt hätte, so wenig verstand er's, auf seine Sachen acht zu haben. Nur mußt du mit Verstand wählen, Christian, verstehst du? und wohl acht haben auf alles, was ich dir sage. Es stünde besser in der Welt, wenn alle Männer ihrer Mutter gefolgt hätten!

»Eine zu Junge mußt du nicht nehmen, Christian; so ein Kindskopf kostet mehr Lehrgeld, als der ganze Kauf werth ist. Aber ja nicht zu alt darf sie sein; die sind kränklich und werden eifersüchtig.« – »Also in mittleren Jahren, Mama? so vier- oder fünfundzwanzig?« – »Hm, nun ja, das heißt, kommt drauf an, wie alt du bist; sie sind oft noch ungescheidt mit fünfundzwanzig, und mit sechsundzwanzig passen sie dann schon besser für einen Wittwer.

»Und, lieber Christian, sieh ja nicht auf Reichthum; wenn du eine reiche Frau nimmst, so bist du ihr Gast dein Lebtag, und wenn sie dich nicht drum ansieht, so thun es ihre Eltern und Geschwister. Aber nimm keine Arme! Wenn du gleich ein schönes Vermögen bekommst, eine arme Frau ist ein fressendes Kapital und hat selten gelernt, mit dem Geld umzugehen. – Nimm keine Vornehme, wo du vor deinem Schwiegerpapa Kratzfüße machen und dich bei deiner Schwägerin melden lassen mußt, aber ja keine von geringem Stand, die in Verlegenheit kommt, wenn du sie zu einem ordentlichen Menschen führst, und die von ihrer Magd ihr Lebtag darum angesehen wird, daß sie eigentlich nicht weiter her sei als sie.

»Ich rathe dir nicht, lieber Christian, daß du einer Wittfrau Tochter nimmst; in so einem kleinen Wesen lernt man die Haushaltung nicht gehörig verstehen; auch keine Waise; so ein Mädchen ohne Heimath weiß gar nicht, wie man einen Mann behandeln muß. Es ist freilich auch schwierig, wenn man Schwiegerpapa und Schwiegermama zu berücksichtigen hat; da mußt du eben selbst zusehen.

»Eine mit viel Geschwistern mußt du auch nicht nehmen, Christian; das gibt so viel Anhang, und unter einer großen Heerde ist immer auch ein räudiges Schaf; hat sie viel Schwestern, so heirathest du sechs Frauen für eine, sind's viele Brüder, so ist des Schwagers Beutel allzeit gut genug. Aber was ich dir sage, nimm kein einziges Töchterlein! So ein verwöhntes Ding will vom Mann gehätschelt sein wie eine Puppe, und Papa und Mama sehen schief, wenn er nicht allweil auf den Knieen vor ihr liegt.

»Laß dir's ja nicht einfallen, eine schöne Frau zu nehmen; die kann's ihr Leben lang nicht vergessen, daß sie schön gewesen, und je älter das Werk wird, desto kostbareren Einband mußt du anschaffen, um es herauszubringen. Eine Häßliche, oder gar eine, die einen Fehl an sich hat, die einäugig, schief, hinkend ist, die nimm beileibe nicht, und wenn sie sonst ein Engel wäre; wenn du's auch vergessen kannst, so vergißt sie's nicht. Es ist langweilig, sein Lebtag die Reize bewundern zu müssen, die eine Frau hat, aber noch viel langweiliger, wenn man die bewundern muß, die sie gar nie gehabt hat.

»Eine Verwandte nimm, just auch nicht; es taugt nicht, wenn man sich vor dem Ehstand zu genau kennt; eine Ausländerin am allerwenigsten, die wird nie daheim, und bei allem, was sie nicht gern thut, steckt sie sich hinter den fremden Brauch.«

In dieser Weise lauteten die Ehstandsregeln der Mama, die sich dem Christian alle so tief einprägten, weil es der würdigen Frau manch liebes langes Jahr vergönnt war, dem Christian Morgens seinen Zopf zu binden und Abends Gerstenschleim mit ihm zu essen.

Mittlerweile absolvirte Christian seine Studien und wurde Advokat, weil das die Mama für gesunder hielt als den Staatsdienst, wo man an bestimmte Kanzleistunden gebunden sei. Er hätte nun das Alter zum Heirathen gehabt und war recht begierig darauf, wenn die Mama in ihren Maximen endlich einmal vom Negativen auf's Positive komme und ihm sage, was für Eine er denn eigentlich nehmen solle; dazu war aber wenig Aussicht. Die Mama warf sich jetzt aufs Illustriren ihrer Regeln, indem sie ihm aus ihrer Erfahrung allerlei schauerliche Exempel von unglücklichen Ehen erzählte: von einer reichen Frau, die dem Mann das Geld vorgezählt, von einer armen, deren Brüder ihn als Handwerksbursche angebettelt, von einer vornehmen, deren Mann rückwärts fahren und den Schooßhund halten mußte, von Einer niedrigen Standes, deren Papa just ein Kalb gestochen, als ihm der Schwiegersohn in neuen pfirsichblüthfarbenen Plüschhosen einen Besuch gemacht, wobei selbige Hosen mit Blut bespritzt worden. Wenn Christian am Sonntag ehrbar mit ihr zur Kirche ging, so setzte sich die Mama wo möglich so, daß ihre Poschen und ihr Fächer ihm die Aussicht auf die Damenwelt verdeckten, und wenn er sich erlaubte, selbst vom Heirathen anzufangen, so meinte sie, ein so junger Mensch habe noch lange Zeit, daran zu denken.

Die Mama ward alt und lebenssatt, Christian lernte sich den Zopf selbst binden und noch obendrein die Mama frisiren, und es kam endlich der Abend, wo sie den letzten Gerstenschleim zusammen speisten, und die Nacht, wo die Mama in Frieden entschlief.

Als Christian, der bereits das Schwabenalter passirt, sie zu Grabe geleitet und wie ein guter Sohn treulich beweint hatte, da begann er recht ernstlich an's Heirathen zu denken. Aus der Verlassenschaft der Mama suchte er ein prachtvolles karmoisinrothes Taftkleid mit allem Zubehör und einen köstlichen Perlenschmuck hervor. Das legte er in eine besondere Kommode für den wichtigen Zeitpunkt, wo er seine Erkorene heimführen würde, der diese Schätze bestimmt waren. – Die Magd seiner Mutter fand zu dem ansehnlichen Legat, das ihr geworden, alsbald ein theilnehmendes Herz und heirathete. Christian wollte keine andere Dienerin nehmen; eine junge könnte dem guten Ruf eines heirathslustigen jungen Mannes schaden, eine alte würde sich schwer in eine junge Herrin schicken. Er speiste zuerst im Gasthof, versuchte sich nachher selbst in der edlen Kochkunst und begann seine Augen auf die Töchter des Landes zu richten.

Das ist aber keine leichte Sache, wenn man vierzig Jahre gewöhnt war, durch die Brille seiner Mama zu sehen. Und wo er endlich glaubte, etwas Taugliches erblickt zu haben, da trat sicherlich eine der Ausstellungen der Mama in den Weg.

Gegenüber wohnte ein gesetztes Frauenzimmer, die Tochter eines Arztes, eines Wittwers; das war ja wie bestellt für ihn, der keiner Wittwe Tochter und keine Waise nehmen sollte und für den zwei Schwiegereltern auch mißlich waren. Er stäubte das karmoisinrothe Taftkleid aus und holte den Perlenschmuck hervor, verfertigte auch eigenhändig Zimmtsterne zum Verlobungsmahl. Am folgenden Morgen wollte er den großen Coup wagen und hatte ein nagelneues Zopfband bereit gelegt.

Am folgenden Morgen aber bemerkte man große Bewegung drüben. Sollten sie schon eine Ahnung von Herrn Christians Absichten haben? Ach nein, als er eben in vollem Ornat die Treppe hinabsteigen wollte, rief ihm seine Hauswirthin zu: »Haben Sie's auch schon gehört, Herr Doktor – mit des Doktors drüben?« – »Und was?« – »Ei, des Doktors durchgegangener Bruder ist in Surinam drinn gestorben, wo er ein paar hundert schwarze »Gschlafen« gehabt und eine Last Geld erworben hat, und der Doktor erbt hunderttausend Gulden. Da gibt Jungfer Karoline eine Partie! Nur die zwei Kinder; und der Sohn zehrt erst noch aus!«

Herr Christian stieg seine Treppe wieder hinauf, zog seine Staatstracht aus und schloß Schmuck und Taftkleid wieder ein. Hunderttausend? das war zu reich! Und auch als die Erbschaft später auf zwanzigtausend zusammenschmolz, erschien Jungfer Karoline in solcher Pracht und Herrlichkeit, daß sie am Ende das Karmoisinrothe gar nicht zu würdigen gewußt hätte.

Ein Herr Vetter Kanzleirath kam mit vier Töchtern in die Stadt, wo Herr Christian wohnte, und er fand ohne Schwierigkeit Zutritt im Hause. Vier Töchter waren zwar schon ziemlich viel, doch hatte die Mama ja nur vor sechsen gewarnt. Alter, Stand, Vermögen, alles war recht, es fehlte nur am günstigen Zeitpunkt. Auch der sollte eintreten. Am Fastnachtabend wurde Herr Christian nebst einigen Kanzleiverwandten zu Fastnachtküchlein geladen; es ging ungemein heiter her und wurden zuletzt noch Pfänder gelöst. Herr Christian thaute ganz auf und sein Zopf, der schon begann, eine Antiquität in der Welt zu werden, bewegte sich äußerst schalkhaft hin und her. Bei Gelegenheit der Pfänderlösung erfuhr er auch, daß Jette, die zweite der Töchter, eben das fünfundzwanzigste zurückgelegt. Das war ja just das rechte Alter! Er hatte, da er etwas kurzsichtig war und die vier Schwestern sich ganz gleich kleideten, bis jetzt noch keine beim Namen gekannt; nun aber wurde er ganz kampfmuthig, und um doch herauszubringen, welches die Rechte sei, Latz er beim Abschied, als man ihm die Magd zum Heimleuchten anbot, Jungfer Jette möchte ihn nur die Treppe hinab begleiten, er finde dann den Heimweg allein. Jette, eine ansehnliche Gestalt, erhob sich und schritt mit dem kupfernen Leuchter voraus die Treppe hinab; im Hinuntersteigen studirte Christian seine Rede aus, und in der untern Flur blieb er plötzlich der Erkorenen gegenüber stehen und begann: »Jungfer Jette –« – »Was wollen Sie, Herr Vetter?« fragte die Dame freundlich. Zum erstenmal schaute Herr Christian seiner Zukünftigen voll in's Gesicht: o weh! sie war einäugig und überaus häßlich. War es der pure Gehorsam oder war der Christian so keck, seinen eigenen Geschmack zu haben – er schwieg stille. »Was wollen Sie, Herr Vetter? was haben Sie denn?« fragte Jette abermals. – »Ich, ich – verzeihen Sie, ich habe den Wadenspanner,« sagte Herr Christian mit großer Geistesgegenwart, um seinen Stillstand zu entschuldigen. – »So? dann will ich Ihnen das Licht stehen lassen, bis er vorüber ist,« sagte Jungfer Jette etwas schnippisch und schwebte ab. – Herr Christian blies das Licht aus, um Feuersgefahr zu verhindern, und schritt gedankenvoll nach Haus.

Wer mag zählen, wie oft wohl der Herr Christian zu dem wichtigen Schritt angesetzt hat, ohne »den Rang zu kriegen,« wie man im Schwäbischen sagt! Inzwischen vervollkommnete er sich immer mehr in der edlen Kochkunst, auch versah er selbst allen und jeden Zimmerdienst, und soll hübsch anzusehen gewesen sein, wie er mit einer Schlafhaube und Schürze angethan, Morgens seine Küche besorgte, sein Zimmer kehrte, das Geschirr fegte und die Kleider bürstete, in denen er dann Nachmittags zierlich und steif, mit dem stattlichen Zopf, aus dem ein Büschelchen Haare hervorsah, das ihm den Namen »Onkel Christians Leimpinsel« erwarb, auf Kanzleien und Gerichtsstuben schritt, wohin ihn eben seine Geschäfte führten.

Immer gewisser nahm die Welt an, daß Herr Christian ledig verbleibe; Vetter und Neffen begannen ihn zu kultiviren, die Zahl seiner Pathchen vermehrte sich auf bedenkliche Weise. Er bedachte sie gewissenhaft um Weihnachten je mit einem Gulden und einer Schachtel voll selbstverfertigten Backwerks, dem er immer ein detaillirtes Inhaltsverzeichniß beilegte: »Hiebei sende dem Adolph 1 fl., sage einen Gulden, zwei Lebkuchen, vier Springerlein, drei Mandelbrod u. s. w.« Er selbst aber fuhr fort, das Taftkleid im Stand zu erhalten und den Schmuck zu ordnen.

Ein munteres Töchterlein der Frau Majorin im Parterre suchte ihn fleißig heim, half ihm beim Kochen, obwohl er sie nicht bewegen konnte, etwas von seinen Produkten zu kosten, fütterte seine alten Katzen, Erbstücke der Mama, und wollte ihm seinen Zopf abschwatzen. Minette wich nun freilich in vielen Stücken von der Vorschrift der Mama ab; sie war einer Wittwe Tochter und noch gar jung, aber an ihrer häuslichen Gewandtheit sah er ja, daß sie kein Lehrgeld mehr zahlen dürfe, auch war der Vater noch nicht lange todt, und an diesem, einem tollköpfigen Säufer und Spieler, der sie und die Mutter arm gemacht, hatte sie die Männerbehandlung gründlich studiren können. Die Mama sprach offen mit ihm von ihren häuslichen Kümmernissen, und er sprach recht erbaulich mit ihr über das Verderbliche der Offiziersheirathen. Minna durfte auch den Schmuck und das Karmoisinrothe sehen, und war außer sich vor Bewunderung. Wie wird sie erst jubeln, wenn sie einmal erfährt, daß sie selbst die Besitzerin dieser Herrlichkeiten werden soll! Nur ihren zwanzigsten Geburtstag wollte er, der Mama selig zu lieb, noch abwarten, bis er sie damit überraschte.

Der Tag war nun ganz nahe und eines Morgens hatte Herr Christian eben das Taftkleid aufs schönste zurecht gelegt und den Schmuck darauf ausgebreitet, da hörte er ein Kichern, Sporengeklirr und den leichten Schritt eines Damenschuhs auf seinem Vorsaal. Rasch fuhr er in seinen Plüschrock, erstaunt ob so frühen Clienten. Und Minna trat ein am Arm eines schlanken Lieutenants: »Ihnen gilt unsere erste Brautvisite, Herr Doktor! Nicht wahr, Sie nehmens nicht übel, daß ich doch einen Offizier genommen?« Dabei strahlten ein Paar glückselige Augen an dem gewichsten Schnurrbart des jungen Kriegers hinaus. – »Gratulire, gratulire!« stammelte der schwer betroffene Herr Christian; der Lieutenant setzte wiederholt zum Sprechen an, aber aus Furcht in Lachen auszubrechen, wenn er den Doktor im Plüschrock und der Schlafhaube ansah, brachte er nur hervor: »Auf Ehre!« – Das Paar empfahl sich bald, und der Doktor legte in aller Stille das karmoisinrothe Taftkleid und den Schmuck in die Kommode. Eine prachtvolle Zitternadel behielt er zurück zum Hochzeitgeschenk für Minna.

Gar einsamlich gestaltete sich nun fortan sein Leben, nur die Katzen schlichen ihm schnurrend mit gekrümmtem Buckel entgegen, wenn er nach Hause kam. Am Ende wurden aber auch diese blind und taubstumm und kein Laut unterbrach die abendliche Todtenstille seines Zimmers. Er selbst aber stieg noch manch langes Jahr in unveränderter Gestalt durch die Straßen. Sein Anzug blieb fortwährend derselbe, wie er ihn zu Zeiten der Mama selig getragen, und der Leimpinsel des Onkel Christian ragte als ehrwürdige Reliquie aus besserer Zeit in unser ungeschwänztes Zeitalter herein. Im Kochen brachte er es zu großer Virtuosität und wurde immermehr daheim in seiner Einsiedelei.

Endlich hatte er ausgekocht, der Herr Christian; er wurde zur Seite der Mama niedergelegt, und in seinem stillen Stübchen wurde es laut genug, als ein Dutzend Basen und Vettern sich um den Nachlaß stritten. Das Perlengeschmeide, über das sie sich nicht vereinen konnten, wanderte zum Juden; das Karmoisinrothe Taftkleid aber florirte noch lange bei Liebhabertheatern und Fastnachtsspäßen, bis es zuletzt als Bettcouvert sein einst so hoffnungsreiches Dasein beschloß.



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