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IV.
Der Geizige.

Dem Herrn Grindler konnte man gewiß nicht nachsagen, daß er um des Wohllebens willen ledig geblieben. Sein Stübchen im hintersten Theil eines Hinterhauses, das niemals weder Sonne noch Mond beschienen, sah wie das gerade Gegentheil von Wohlleben aus. Die Fenster, mit Ausnahme eines einzigen, vor dem eine Art von baufälligem Schreibtisch stand, waren mit Brettern verschlagen, um im Winter die Kälte abzuhalten; da im Sommer doch keine Sonne hereinscheinen konnte, blieben sie das ganze Jahr zugenagelt. Die Möbeln hatten durchaus keine Familienähnlichkeit mit einander und schienen über ihr Zusammentreffen hier nicht wenig erstaunt. Das ungepolsterte Kanapé, das aus einer alten Bierschenke stammen mochte, sah höchst plebejisch aus, der Lehnstuhl dagegen, an dem noch Reste von grünem Saffian sichtbar waren, hatte bessere Tage gesehen, bevor er aus dem Nachlaß eines gichtbrüchigen Nachbars, seines dritten Herrn, von Herrn Grindler erstanden worden war, er hatte daher noch eine etwas hochmüthige Physiognomie. Der Tisch wäre ein hübsches Rococomöbel gewesen, wenn nicht das vierte seiner geschweiften Beine, das er in irgend einer Affaire verloren, durch einen ordinären Pfahl ergänzt gewesen wäre. Die zwei Stühle, die das Ameublement vollendeten, machten gar keine Prätensionen, sondern streckten ihre vier geraden Füße sans façon nach allen Himmelsgegenden.

Wir belauschen den Besitzer dieses reizenden Etablissements in einer seiner heitersten Stunden – er hatte deren nicht viele – bei der Mückenjagd, seiner täglichen Unterhaltung nach Tisch. In seinem Sommernegligé, einer alten leinenen Blouse, in der er dereinst seine erste Reise gemacht, steht er am Fenster, dessen Sims voll getödteter Fliegen liegt, und überzählt das geschlagene Heer, das er auf einem alten Zeitungsbogen arrangirt. »Fünfhundert und zwanzig sammt vierzehn Offizieren!« spricht er frohlockend (Offiziere waren nämlich die Schmeißfliegen). – »Sachte, Ricke!« ruft er der eintretenden Magd zu, die so eben mit dem Ellbogen an das Terrain stößt, so daß das Armeecorps zu Boden fällt. »Sie ist doch eine ungeschickte Person! War so sauber geordnet! nun kann Sie's selbst auflesen.« – »Das ginge mir ab,« sagt Ricke trotzig; »lesen Sie's selbst auf, der Stubenboden ist ohnehin garstig; wofür hab' ich einen Spucknapf herein gestellt?« – »Aber seh' Sie nur, wie viel Mücken!« – »Ja, ist ein Wunder, von was sich die fortgebracht haben, hier, wo eine schwindsüchtige Ameis nicht genug bekäme!« – »Ist Ihre eigne Schuld, wenn Sie nicht genug bekommt, warum sorgt Sie nicht für bessere Nahrungsmittel? Das Gemüse war heut so schlecht!« – »Von einem Vierling Butter wöchentlich kann ich's nicht im Schmalz schwimmen lassen!« schnauzt Ricke. – »Und die Milch war diesen Morgen noch dünner und blauer wie sonst.« – »So melken Sie selbst!« schnurrt die Köchin, die allerdings den Rahm für ihre geheimen Fonds gebraucht hatte; »warum trinken Sie nicht Kaffee wie ein anderer Christenmensch?« – »Ist nur wegen der Gesundheit.« – »So? und als die Frau Schwester hier war und ihren eigenen Kaffee bei sich hatte, da war er Ihnen gesund, nicht wahr?« – »Geschah nur meiner Schwester zu lieb. Uebrigens habe ich gestern in Paulizki's medicinischem Rathgeber für Laien gelesen, daß Kaffee für Leute von sitzender Lebensart gesund ist, deßhalb könnte man von nun an täglich von einem halben Loth fabriciren. Das Pfund zu achtundzwanzig Kreuzer, wäre mithin auf den Tag je ein halber Kreuzer, die etwaige Einbuße mitgerechnet, dazu …« – »Für einen rothen Heller Milch und eine halbe Brodrinde!« schreit die erboste Magd, »und für mich das Nachsehen.«

»Nun, so sei Sie doch zufrieden!« beschwichtigt Herr Grindler; »es wird schon reichen, wir wollen sehen. Wer war den Vormittag da?« – »Der Herr Neveu,« antwortet Ricke in wunderbar artigem Tone, indem sie sich zu schaffen macht. »So? was will er?« – »Weiß nicht,« sagt Ricke mit wachsender Geschmeidigkeit; »Geld holen vielleicht; er sagte, er gehe in's große Herbstmanöver; wird wohl was vom Herrn Onkel brauchen können, hat, glaub' ich, auch Schulden.« – »Schulden?« fragt entsetzt Herr Grindler, »wer borgt denn einem solchen Lumpen?« – »Ei, wenn man einen reichen Onkel hat, ist's nicht schwer zu borgen.« – »So, so?« murrt Herr Grindler vor sich hin, »will schon dafür sorgen!«

»Ja, ja,« fährt Ricke fort, »das hab' ich beim Herrn Hofrath selig schon mit angesehen, der im Haus meiner Herrschaft wohnte und, mit Respekt zu sagen, auch ein lediger Herr war. Da kam hier ein Vetter, dort eine Base, ein schwäbischer Schwager, ein Geschwisterkindskind; alle machten dem Herrn Hofrath den Hof, aber der Herr Hofrath haben ihnen einen schönen Knopf vor die Nase gemacht: alles an eine verwahrloste Anstalt und seinen getreuen Dienstboten vermacht. Ja, des Herrn Andenken steht im Segen: so ein schönes, christliches Testament gemacht und nicht in seinen Sünden dahingefahren wie andere Leute! Wer weiß, wie nahe mir mein Ende? hin ist die Zeit, hergeht der Tod!«

Mit diesem salbungsvollen Schluß verließ Ricke das Zimmer. Herr Grindler blickte ihr giftig nach: »So? ein Testament, du alte Katze! Ich soll dir die kratzenden Tatzen noch schmieren? Ja, warte, du kannst dich verrechnen, und mein Herr Neffe auch. Schulden! auf mich! Wart, Bursche! Zum Erbvetter bin ich noch zu gut, ich bin im Stand und heirathe noch, ihnen allen zum Possen; muß nur noch warten, bei den Landständen werden die Proklamationssporteln abgeschafft.«

Mit diesen erheiternden Aussichten ging Herr Grindler an seinen Schreibtisch, erleichtert, für eine Weile die Ricke los zu sein, die, den ganzen Tag in gereizter Laune, nur dann gezähmt wurde, wenn sich Veranlassung gab, auf Testamente und dergleichen anzuspielen. Sie bildete sich viel auf ihre Diplomatie ein und bedachte nicht, daß ihr Herr ein alter Fuchs war, der sie längst durchschaute, wenn sie ihm auch im täglichen Verkehr durch ihre bissige Natur eine Art Furcht eingeprägt hatte.

Heute war übrigens ein glücklicher Tag für ihn. Der Nachbarsbube hatte eben die sehr zerlesene Zeitung gebracht, die Herr Grindler mit zwölf Theilnehmern las, und beim ersten Blick entdeckte er, daß Staatspapiere, in denen er bedeutende Ankäufe gemacht, beträchtlich gestiegen waren. »Gar nicht übel, gar nicht übel!« knurrte er in sich hinein, etwa wie ein Hund, der einen anständigen Knochen entdeckt hat. »Bin da so über Nacht um ein fünfhundert Thaler reicher geworden.« Er sah ängstlich um sich, ob Niemand den Profit gemerkt habe, und versteckte das Zeitungsblatt, indem er die weitern Blätter flüchtig durchlief. – »Ein älterer Kaufmann, Vater einer zahlreichen Familie – Ungunst der Zeiten – unglückliche Verhältnisse – sucht eine Stelle als Buchhalter, Geschäftsführer – strengste Rechtlichkeit u. s. w.« So las er aus den Annoncen. – »Ja, ja, so geht's! Zahlreiche Familie! Warum hat er's nicht bleiben lassen? Ich frage den Gukuk nach der Ungunst der Verhältnisse.« – »Ich bitte meinem leichtsinnigen Sohn ohne meine ausdrückliche Genehmigung keine Vorschüsse zu machen – allzugroße Opfer – nichts mehr bezahlen –« blätterte er weiter. – »Schön, schön! ich brauche keinen Sohn mundtodt zu machen!«

Die Zeitungslektüre gewährte Herrn Grindler stets geheime Satisfaction; denn es mußte sehr schlimm gehen, wenn er nicht wenigstens einiges Malheur darin entdeckte, das sich auf den Ehestand als seine Quelle zurückführen ließ, und da die Freuden des häuslichen Lebens gottlob noch nicht in den Zeitungen proklamirt werden, je und je die glückliche Geburt eines Sohnes ausgenommen, so wurde er vom Gegentheil nicht geärgert.

Frühe hatte sich bei Herrn Grindler das schöne Talent der Sparsamkeit gezeigt. Er war als Kind nur mit Drohungen und unter lautem Geheul zu bewegen gewesen, dem Hausbesitzer den Miethzins zu überbringen, und hatte nach der Magd geschlagen, als seine Mutter ihr den Lohn ausbezahlte. Von seinem Oheim, dem Pfarrer, bei dem er die Ferien zubrachte, erbeutete er heimlich die als falsch ausgeschossenen Opferkreuzer, die er allmählig im Spiel mit Geschwistern und Kameraden gegen ächte zu vertauschen wußte; auch trieb er einen einträglichen Handel mit Federn, Griffeln, Bleistiften, die er nach den Lehrstunden vom Schulboden auflas, und verhandelte regelmäßig seinen Frühstückswecken, da er das Brod daheim gratis erhielt. Es wäre wahrhaftig Schade gewesen, ihn nicht zum Handelsmann zu bestimmen.

Er trat mit einem Vetter gleichen Alters bei einem sehr humanen Prinzipal in die Lehre, der, um die jungen Leute zu ermuthigen, ihnen hie und da gestattete, kleine Geschäfte auf eigene Rechnung zu machen. Den ersten gewonnenen Sechser schenkte der Vetter Adolph einem Bettler; Simon Grindler kaufte Aepfel dafür, die er mit zwei Kreuzern Profit während der Arbeitsstunden heimlich an die Commis verhandelte. Der nächste Gewinn war ein Sechsbätzner, für den Adolph voll Jubel eine blühende Hyazinthe in's Comptoir brachte. Simon begann damit ein Geschäftchen mit Cigarren, da diese im Comptoir Contrebande waren, und er setzte sie an die lüsternen Commis mit noch größerem Vortheil ab als die Aepfel. In dieser Weise ging's weiter. Als Adolph endlich Schillers Gedichte auswendig wußte und sie in den Freistunden mit glückseligem Pathos deklamirte, da hatte Simon mit dem Kronenthaler, den Adolph für solche Possen ausgegeben, bereits fünfundzwanzig Gulden gewonnen, mit denen er seine erste größere Spekulation unternahm, und als Adolph mit strahlendem Antlitz das erste Modelager betrat, um seiner jungen Braut für seine bescheidenen Ersparnisse einen hübschen Shawl zu kaufen, da kassirte der Simon eben im Comptoir ein paar Wechselchen ein, an denen er einige hundert Thaler profitirt.

Und was war das Ende vom Lied? Adolph hat sich redlich durchgekämpft mit seinem braven Weib, um seinen Kindern eine ordentliche Existenz zu verschaffen. Es ist wahr, es ist gegangen bis jetzt, und viele Freudenthränen und Dankgebete sind auf schlaflose Nächte und sorgenvolle Tage gefolgt, aber er hat doch sein Lebtag eben von der Hand in den Mund gelebt, Simon Grindler aber hat jetzt mehr jährliche Einkünfte, als Adolph seinen Kindern einmal im Ganzen hinterlassen wird, und – und ein kaltes Herz und ein ödes Haus.

Einmal aber hatte Simon denn doch ernstliche Heirathsgedanken gehegt. Da war eine Pflegetochter seines Principals, ein verwaistes Mädchen, die sich im Haus einer wunderlichen Tante nicht glücklich fühlte; gar nicht hübsch und nicht einmal besonders reich, aber ihre zehntausend Gulden waren so nett, so sicher angelegt, und alles sogleich und gewiß zu erheben!

Obschon Herr Grindler nichts sehr Anziehendes hatte, entschloß sich Lotte doch zu der Wahl; es verlangte sie nach einer eigenen Heimath, und sie hatte den herzlichen guten Willen, die Wunderlichkeiten, die man bereits an ihrem Bräutigam kannte, durch Freundlichkeit und liebevolles Nachgeben zu überwinden. Etwas bedenklich war's ihr freilich, schon, als er ihr zum ersten Geburtstag einen Dukaten schenkte, damit sie sich etwas nach eigenem Geschmack wähle, aber gleich nachher den Rath beifügte, das Goldstück lieber unangewendet zu lassen, es sei so ein netter Ritter darauf; noch bedenklicher, als er mit ihr den ersten Brautbesuch in der Residenz zu Fuß machte, und da sie auf dem weiten Weg ermüdete, sich endlich zu einem Fiaker entschloß, mit dem er aber um sechs Kreuzer Differenz nicht einig werden konnte; höchst bedenklich, als er die Möbeln auf dem Trödel kaufen wollte und einen Kleiderschrank für überflüssig erklärte, da er eine alte sogenannte Klostertruhe besitze. Als sie aber am Tag der ersten Proklamation entdeckte, daß er ihr einen Trauring von Tombak gekauft und den goldnen, den sie ihm gegeben, ebenfalls gegen einen solchen verhandelt hatte, da es ja ganz gleich sei, weil man den Trauring doch nicht verwerthe, da brach die lang untergrabene Ausdauer und sie schickte ihm den falschen Ring sammt dem ächten Dukaten zurück.

Dies war Herr Grindlers erster und letzter Versuch in diesem Fach gewesen; doch nein, noch einen beabsichtigte er, seinen Erben zum Possen, aber erst, wenn die Heirathssporteln aufgehoben sein würden.

Zu einem eigentlichen eigenen Geschäft konnte er trotz seines Spekulationstalents sich nicht entschließen; er fürchtete alles, was ihn mit vielen Menschen in Zusammenhang brachte oder ihn nöthigte, ein größeres Hauswesen zu gründen. So begnügte er sich denn unter der Hand zu spekuliren, in Korn, in Wein, in Staatspapieren, in allem was Geld gab. Zuerst miethete er ein möblirtes Zimmer und ließ sich von der Familie des Hauseigenthümers bedienen; das war aber für ihn eine qualvolle Zeit beständiger Todesangst, da er fürchtete, seinen Reichthum trotz aller Vorsicht nicht gehörig verbergen zu können, und namentlich in beständiger Angst war, die Familie benütze sein Ofenfeuer, um ihre Suppe zu kochen. So entschloß er sich denn zu einer eigenen Bedienung und bezog den oben beschriebenen Fuchsbau, in dem er bis zu seinem Tode residirte. Ricke hatte sich, als sie sein eingeschnurrtes Gesicht sah und seinen Husten hörte, leicht zu dem Dienst entschlossen, obwohl er als Geizhals verschrien war. Hätte sie gewußt, daß er noch zwanzig Jahre lang husten würde, und daß es so schwer sei, in diesem Dienst einen kleinen Profit für sich selbst zu machen, sie hätte sich wohl besonnen. Jetzt natürlich wollte sie den Dienst nicht mehr verlassen, da die Wahrscheinlichkeit des Sterbens doch immer größer wurde, und sie rächte sich inzwischen für die Mühsale und Entbehrungen ihres Dienstes dadurch, daß sie dem Herrn ihrerseits das Leben so sauer als möglich machte.

Herr Grindler erfüllte eine Bedingung eines harmonischen Daseins, indem er nur Einen Lebenszweck kannte, den, Geld zu erwerben. Nur Eine Sorge kam damit manchmal in Conflikt, eine krankhafte Angst vor dem Tode, die ihn am Ende zu den kostbarsten Mitteln greifen ließ, wenn er sie für seine Erhaltung nöthig hielt. Zwar hatte er den medicinischen Rathgeber für Laien billig erstanden, aber dieser verführte ihn nach und nach zu einer Hausapotheke, die doch bedenkliche Summen kostete, und es waren seine peinlichsten Stunden, wenn er sich wieder zu einer solchen neuen Ausgabe innerlich genöthigt fühlte.

Für eine Schwester, die beharrlich gestrebt hatte, in freundlichem Verkehr mit ihm zu bleiben, hatte er lange noch einen Rest von Zuneigung bewahrt, aber als sie einmal in dringender Verlegenheit ihn um ein Darlehen angesprochen, hatte er ihr dasselbe zwar gewährt, von da an aber alle Verbindung mit ihr abgebrochen. Seinem Neffen, dem Sohn eines verstorbenen Bruders, einem allerdings etwas lockeren Lieutenant, hatte er längst das Haus verboten.

An einem kühlen Herbstabend hatte sich Herr Grindler trotz einigen Halswehs noch zu einem Ausgang entschlossen, um bei der Beschlagnahme des Vermögens eines Schuldners seine Rechte zu wahren. Er kam eiligst heim, von Hitze und Frost geschüttelt: »Ricke, schnell! mein Bett gerüstet! – Meine wollenen Strümpfe um den Hals – Ich ersticke – Thee! – Ricke, den medicinischen Rathgeber dort!«

Ricke bediente ihn brummend. Grindler suchte im medicinischen Rathgeber den Artikel Halsbräune und fand nach der Anführung verschiedener Symptome den Ausspruch: »Hier wird es nöthig sein, schleunig ärztliche Hülfe zu suchen.« – »Schnell, Ricke! zum Doktor!« ächzte er, indem er sich tiefer in die Kissen steckte. – »Zu welchem?« schrie Ricke. – »Zum Doktor Söller – in der Holzgasse – ist nicht so anspruchsvoll. – Vorher aber Thee!« – Ricke sputete sich ordentlich, zum Arzt zu kommen, wußte aber unbemerkt die Kleider ihres Herrn vom Bett zu nehmen. »Ist nur wegen des Schlüssels,« murmelte sie, denselben im Gehen aus der Tasche ziehend; »man weiß nicht, wie's geht; finde vielleicht ein Testament, oder – etwas muß ich doch haben, für zwanzig Jahr Hungerleiden!« Sie begnügte sich übrigens, den Schlüssel vorläufig einzustecken und eilte zum Doktor.

Geschüttelt von Fieber und Todesangst lag derweil der kranke Mann allein, nachdem er der Magd noch den Befehl zugerufen, die Thüre von außen zu verschließen. »Sterben? – bah! ein leichter Anfall – geht bald vorbei! – Wenn's aber nicht so wär'? – O, was würden sie eine Freude haben, Ricke, die alte Krähe, mein leichtsinniger Neffe? – Wenn ich nur noch hätte heirathen können, ihnen zum Possen, aber wen? die Ricke nicht, der thät' ich's nicht zu lieb, lieber die nächste Beste. Und wenn ich nun lang krank liege – so viel baar Geld im Pult – muß heraus und sehen!« – So jagten sich seine Gedanken und ängstlich krabbelte er nach seinen Kleidern, die er zu seinem Schrecken vermißte. Er kroch halbgekleidet heraus und in das kahle Zimmer draußen; da lag seine Weste, in deren Tasche er mit Entsetzen den Pultschlüssel nicht mehr fand.

Der wohlfeile Arzt, den Ricke endlich aufgefunden, fand den Kranken besinnungslos auf dem Boden liegend. Während er eilig Ricke um die nöthigen Mittel zur Apotheke sandte und die Krankheit mit Riesenschritten zunahm, brach im Zimmer außen ein Jude mit Gerichtspersonen ein, der, scheint es, den nahenden Leichengeruch gewittert hatte; er hatte Wechsel vom Lieutenant und wollte den Besitz des Junggesellen, über den er selbst nicht herfallen durfte, wenigstens durch amtliche Versiegelung bei Zeiten sichern.

Die Beamten waren noch unschlüssig, ob jetzt schon einzuschreiten sei, und Ricke, die im Sturm zurückgekehrt war, klagte ihnen mit lautem Geheul ihre lange Drangsale in diesem Dienst und bat, den Herrn doch noch zu einem Testament zu vermögen, vergebens vom Doktor zur Stille ermahnt. Der Kranke kämpfte indeß mit dem Tode und durch seine wirren Phantasien brachen Bruchstücke lang vergessener Sprüche: »Was hülfe es dem Menschen – es ist leichter, daß ein Kameel durch ein Nadelöhr gehe, denn daß ein Reicher – Du Narr, Gott wird – – deine Seele –«

Dazwischen rollten seine Augen unstät nach den fremden Personen im äußern Zimmer, die sich endlich auf des Doktors Bitte entfernten, Ricke ausgenommen. – »Geh' Sie doch zu einem Geistlichen!« rief der erschütterte Arzt, der die Seelenqual des Kranken bemerkte, und nicht zu den starken Geistern gehörte. – Ach, das ist für nichts mehr, da ist er zu liederlich Im Schwäbischen statt schwach, kraftlos. dazu!« rief Ricke geringschätzig, die jetzt an der Möglichkeit eines Testaments verzweifelte und nur in ihre Tasche fühlte, ob sie den Schlüssel noch habe.

Vier Tage später fuhr ein anständiger Leichenwagen vom Hinterhaus ab. Ein einziger Kranz lag auf der Bahre, den die Schwester geschickt, die nicht selbst kommen konnte. Ein einziger Wagen folgte, und darin saßen der Lieutenant, der Arzt und der Geistliche, der sich vergebens mühte, einen Zug aus dem Leben des Verstorbenen zu erfahren, der einen Lichtblick für seine Leichenrede gäbe. Ein paar Gassenbuben begafften den kleinen Zug, ein paar Weiber fragten, als er auf die vordere Straße einbog: »Wer ist's?« – »Der alte Grindler.« – »So? ist wohl fort!«

Droben war's todtenstill, der Pult war versiegelt und Ricke hatte der geraubte Schlüssel nichts geholfen. Eben wirft sie das Sterbebett heraus, um zu suchen, ob der Verstorbene nirgends Geld versteckt habe.



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