Christoph Martin Wieland
Die Abentheuer des Don Sylvio
Christoph Martin Wieland

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Drittes Capitel.

Anmerkungen über die vorstehende Geschichte.

Wenn das ihre Absicht gewesen ist, Don Gabriel, sagte Hyacinthe, so bedaure ich, daß sie solche so wenig erreicht haben, als nur möglich ist. Wenn ich ihnen die Wahrheit sagen soll, so halte ich es für unmöglich, das abentheurliche und ungeräumte weiter zu treiben, und Don Sylvio müßte wohl sehr gut seyn, wenn er nicht schon lange gesehen hätte, daß ihre Absicht ist, die Feen um allen ihren Credit bey ihm zu bringen. Sie urtheilen sehr strenge, versetzte Don Eugenio; es ist wahr, daß die Natur in dieser ganzen Geschichte vom Anfang bis zum Ende auf den Kopf gestellt ist, daß die Characters eben so ungereimt als die Begebenheiten unglaublich sind, und daß, wenn man die einen und die andern nach den Gesetzen der Vernunft, der Wahrscheinlichkeit und der Sittlichkeit beurtheilen wollte, nichts tollers erdacht werden kan. Allein das wäre nicht billiger, als wenn man das Clima von Siberien nach dem Clima von Valencia, oder die Höflichkeit der Schineser nach der unsrigen beurtheilen wollte. Das Land der Feerey liegt ausserhalb der Grenzen der Natur, und wird nach seinen eigenen Gesetzen, oder richtiger zu sagen, (wie gewisse Republicken, die ich nicht nennen will) nach gar keinen Gesetzen regiert. Man kan ein Feen-Mährchen nur nach andern Feen-Mährchen beurtheilen, und in diesem Gesichtspunct finde ich den Biribinker nicht nur so wahrscheinlich und lehrreich, sondern in allen Betrachtungen weit interessanter, (die vier Facardins vielleicht allein ausgenommen) als irgend ein anders Mährchen in der Welt. Ich möchte doch, zum Exempel, wissen, was sie lehrreiches in diesem Mährchen finden, fragte Hyacinthe. Moralisten von Profeßion erwiederte Don Eugenio, Leute, die im Stande sind, ein ganzes System von Sittenlehre aus einer Elegie des Tibullus auszuziehen, würden ohne Zweifel geschickter seyn als ich, diese Frage zu beantworten. Aber, damit ich meinen Satz nicht ganz unerwiesen lasse, wird nicht in dieser Geschichte die Ausschweiffung und das Laster durchgängig bestraft? wird nicht die Unschuld in der Person des Milchmädchens am Ende belohnt? und ist nicht das Ganze eine sehr überzeugende Bestättigung der moralischen Maxime: Daß der Vorwitz über unser künftiges Schicksal, in der Absicht, uns demselben zu entziehen, thöricht und gefährlich sey. Hätte der König mit dem grossen Wanst den grossen Caramussal unbefragt gelassen, so würde man nie gewußt haben, daß es gefährlich für den Prinzen seye, vor seinem achtzehnten Jahr ein Milchmädchen zu sehen, und so würde er auch den Namen Biribinker nie bekommen haben. Er würde wie andere Prinzen am Hofe seines Vaters aufgewachsen seyn, und wenn es Zeit gewesen wäre ihn zu vermählen, so würde man durch Gesandte um die Princeßin Galactine haben werben lassen, und alles wäre den natürlichen Gang fortgegangen. Der Vorwitz des Königs und das fatale Oraculum des grossen Caramussal war ganz allein an allem Unheil schuld. Die Mittel, wodurch man ihn vor dem Milchmädchen verwahren wollte, dienten zu nichts, als sie desto bälder zusammen zu bringen, und der Name Biribinker, der ihm freylich aus allen seinen Abentheuern heraus half, würde das nicht nöthig gehabt haben, weil der Prinz nie in diese Abentheuer verwickelt worden wäre, wenn er nicht Biribinker geheissen hätte. Sie haben hierinn vollkommen recht, sagte Donna Felicia, aber eben darinn besteht das Lustige von der ganzen Comödie, oder vielmehr wenn man diesen einzigen Umstand wegthäte, so würde die ganze Geschichte des Prinzen Biribinkers an statt eines der poßierlichsten Feen-Mährchen, eine Alltags-Historie seyn, die aufs höchste gut genug gewesen wäre, einen Artickel in den Zeitungen seiner Zeit auszufüllen. Und das wäre wohl Schade gewesen. Kurz, ungereimt oder nicht, ich nehme den Prinzen Biribinker in meinen Schutz, und wenn ich die Ehre hätte Hut und Degen zu tragen, so wollte ich gegen alle und jede behaupten, daß die Liebe des Prinzen Biribinkers, die Tugend der Dame Cristalline, die Delicatesse der schönen Mirabella, ihre Kleidung von trocknem Wasser und ihre Zerstreuungen, der Riese Caraculiamborix, das Straussen-Ey, der Wallfisch, die Seen, Inseln und bezauberten Schlösser, die er im Leibe hat, der Pallast von gediegenem Feuer, und der redende Kürbis, der sich auf den Lauf der Sterne versteht, mit allen andern wundervollen und unerwarteten Dingen, wovon es in diesem Mährchen wimmelt, alles hübsch untereinander gemischt, das allerdrolligste Zeug ausmachen, das ich in meinem Leben gehört habe. Sie haben den Karpfen vergessen, der so schöne Opern-Arien singt, sagte Hyacinthe, das Hündchen das auf dem Seil tanzte, und die feurige Blicke, womit Biribinker die Steine am Bach, wo sein Mädchen saß, in Glas verwandelte. Erlauben sie mir noch hinzu zu setzen, sagte Don Gabriel, daß man schwerlich ein Mährchen finden wird, wo die kostbarsten Materialien so sehr verschwendet wären. Ich bin gewiß, daß man in keiner Raritäten-Kammer von Europa einen Melkkübel von Rubin antreffen wird, und ich kenne keine bezauberte Gärten, worinn so gar die Brunnen mit diamantnen Quaderstücken gepflastert wären.

Don Sylvio hatte sich bisher begnügt, demjenigen was gesagt wurde aufmerksam zuzuhören; Wie aber alle ihre Meynung gesagt hatten, und er merkte, daß man nun auf seine Entscheidung warte, so sagte er ganz ernsthaft: Ich muß gestehen, daß ich gewünscht hätte, der Prinz Biribinker wäre entweder seinem Milchmädchen, die in der That eine sehr liebenswürdige Person ist, getreuer gewesen, oder er würde für seine Ausschweiffungen schärfer gestraft worden seyn; aber (diesen einzigen Umstand und die Character so wohl als die Aufführung einiger anderer Personen, die niemand billigen wird, ausgenommen) sehe ich nicht, was in der ganzen Geschichte dieses Prinzen ungereimtes, geschweige denn unnatürliches und unmögliches seyn sollte. Wie? Don Sylvio, sagte Hyacinthe, sie finden alle diese Wunderdinge, den Riesen, der sich die Zähne mit einem Zaunpfahl ausstochert, den Wallfisch, der auf fünfzig Meilen in die runde Wolkenbrüche aus seinen Naßlöchern spritzt, die weichen Felsen, die singenden Fische, und die redende Kürbisse natürlich und möglich? Ohne Zweifel, schöne Hyacinthe, gab Don Sylvio zur Antwort; wenn wir anders nicht den unendlich kleinen Theil der Natur, den wir vor Augen haben, oder das, was wir alle Tage begegnen sehen, zum Maasstab dessen, was der Natur möglich ist, machen wollen. Es ist wahr, Caraculiamborix ist in Vergleichung mit einem gewöhnlichen Menschen, ein Ungeheuer, aber er wird selbst zum Pygmeen, wenn wir ihn mit den Einwohnern des Saturnus vergleichen, die nach dem Bericht eines grossen Astronomi mit Meilenstäben ausgemessen werden müssen. Warum sollte es nicht einen Wallfisch geben können, welcher groß genug wäre, um Seen und Inseln in sich zu halten, da es kleine Wasserthiere gibt, gegen welche ein gewöhnlicher Grönländischer Wallfisch zum wenigsten so groß ist, als jener gegen diese? – – Was den Wallfisch betrift, unterbrach ihn Don Gabriel, so kan seine Möglichkeit keine Frage seyn, da es allen Umständen nach der nehmliche ist, von welchem Lucian in seinen wahrhaften Geschichten eine umständliche Beschreibung macht, und worinn er selbst ein grosses Land entdeckt hat, welches damals von fünf oder sechs verschiedenen Nationen bewohnt war, die immer gegen einander zu Felde lagen, und vermuthlich zu der Zeit, da Padmanaba sich einen Pallast in den Bauch des Wallfisches bauen ließ, einander schon aufgerieben hatten. Das einzige, was die Sache unglaublich machen könnte, ist der Umstand, daß Biribinker Sonne, Mond und Sterne darinn gesehen haben soll – – Ich glaube nicht, sagte Don Sylvio, daß das so viel sagen soll, als ob eine würkliche Sonne und würkliche Sterne ihren Lauf in des Wallfisches Bauch gehalten hätten, sondern nur, daß es den Prinzen so dauchte, welches Padmanaba durch seine Kunst leicht zuwege bringen konnte. Diese Sonne und diese Sternen könnten, zum Exempel, eben so viele Salamander seyn, die Padmanaba nöthigte in gewissen angewiesenen Entfernungen und Kreisen zu leuchten, und ihren Lauf zu halten, und ich vermuthe aus allen Umständen, daß es würklich so gewesen ist. Ich möchte wohl wissen, sagte Hyacinthe, was Don Sylvio unmöglich heißt, denn so wie er die Grenzen der Möglichkeiten ausdehnt, sollte, däucht mich, alles möglich seyn, was man sich in der Schwärmerey eines hitzigen Fiebers einbilden kan. Wenn es gediegenes Feuer und trockenes Wasser gibt, so sollte es auch bleyernes Gold und einen viereckichten Cirkel geben können. Vergeben sie mir, Hyacinthe, versetzte Don Sylvio, das schließt nicht so gut, wie sie zu glauben scheinen; die Ründe gehört zum Wesen des Cirkels, und es ist also an sich selbst unmöglich, sich einen viereckichten Cirkel einzubilden, aber woher läßt sichs erweisen, daß die Flüßigkeit eine wesentliche Eigenschaft des Wassers und des Feuers sey? Sehen wir nicht im Winter Eiß, welches nichts anders als festes oder gediegenes Wasser ist; warum sollte die Macht oder die Kunst der elementarischen Geister nicht auch trocknes Wasser oder festes Feuer hervor bringen können? Mich däucht, (fuhr er fort) die wahre Quelle der irrigen Urtheile, die man über alles dasjenige, was man wunderbare Begebenheiten heißt, zu fällen pflegt, entspringe aus der falschen Einbildung, als ob alles unmöglich sey, was sich nicht aus körperlichen und in die Sinne fallenden Ursachen erklären läßt; gleich als ob die Kräfte der Geister, von denen die körperlichen Dinge bloß todte und grobe Werkzeuge sind, nicht nothwendiger Weise die mechanischen und geborgten Kräfte eben dieser Werkzeuge unendlich übersteigen müßten. In dieser Betrachtung glaube ich allerdings, daß unzähliche Dinge möglich sind, die wir aus keinem bessern Grunde für unmöglich halten, als weil sie unserer Unwissenheit unbegreiflich vorkommen; worinn wir ungefehr eben so weise sind, als ein Wilder, der die bezaubernde Modulation, die ein Meister aus einer Querflöte hervor bringt, für unmöglich halten wollte, weil er selbst aus seinem Haberrohr nur heisere und einförmige Töne erzwingen kan. Ich finde also in der Geschichte des Prinzen Biribinkers nichts unmögliches, und (die Glaubwürdigkeit des Geschichtsschreibers voraus gesetzt) sehe ich nicht, warum sie nicht von einem Ende zum andern eben so würklich begegnet seyn, und eben so viel Glauben verdienen sollte als irgend eine andere Geschichte. Jetzt haben sie den rechten Punct berührt, sagte Don Gabriel; auf die Glaubwürdigkeit der Zeugen kommt alles an; denn ob wir gleich allen den Wunderdingen, womit die Geschichtschreiber und die Dichter die Welt angefüllt haben, oder doch dem grösten Theil davon, eine bedingte Möglichkeit einräumen können, so sind sie doch um deß willen nicht weniger blosse Schimären, so lange nicht bis zur Ueberzeugung der Vernunft erwiesen werden kan, daß sie würklich existiren oder existirt haben. Und daß gestehe ich ihnen, daß es sehr schlecht um die historische Wahrheit der Feen- und Geister-Geschichten steht, wenn sie keine bessere Gewähr ihrer Wahrheit aufzuweisen haben als Biribinker. Warum das, fragte Don Sylvio? Weil diese ganze Geschichte von meiner eigenen Erfindung ist, antwortete Don Gabriel. Von ihrer Erfindung? rief jener etwas betroffen aus. O! Don Gabriel, das hätte ich ihnen nicht zugetraut! Sie nannten uns ja einen Geschichtschreiber, aus sie hergenommen seyn sollte? Vergeben sie mir, Don Sylvio, erwiederte der andere, es ist nicht anders als wie ich sage. Ich wollte einen Versuch machen, wie weit ihre Vorurtheile für die Feerey gehen könnten, ich strengte (nehmen sie mirs nicht übel auf) allen Aberwitz dessen ich fähig bin, an, um eine so wiedersinnische und ungereimte Wunder-Geschichte zu erdenken, als man nur jemals gehört haben möchte, und so entstund der Prinz Biribinker; aber ich gestehe ihnen freylich, daß es mir nicht möglich war, etwas so ungereimtes zu ersinnen, das nicht in allen andern Feen-Mährchen seines gleichen hätte, und ich hätte voraus sehen können, daß diese Analogie sie verführen würde. Glauben sie mir, Don Sylvio, die Urheber der Feen-Mährchen und der meisten Wunder-Geschichten haben so wenig im Sinn, klugen Leuten etwas weiß zu machen, als ich es haben könnte; ihre Absicht ist die Einbildungs-Kraft zu belustigen, und ich gestehe ihnen, daß ich selbst ein grösserer Liebhaber von Mährchen als von metaphysischen Systemen bin. Ich kenne unter den Alten und Neuern Leute von grossen Fähigkeiten, und selbst Leute von Ansehen, die sich in müßigen Stunden damit abgegeben haben, Mährchen zu schreiben, und viele grössere Männer als ich bin, und die einen ernsthaftern Character behaupteten, als ich jemals zu behaupten verlange, die diese Spielwerke allen andern Werken des Witzes vorzogen. Wer liebt nicht zum Exempel, den Orlando des Ariost, der doch in der That nichts anders als ein Gewebe von Feen-Mährchen ist? Ich könnte noch vieles zum Vortheil derselben sagen, wenn es jetzt darum zu thun wäre, ihnen eine Lobrede zu halten. Aber bey dem allein bleiben Mährchen doch immer Mährchen, und so viel Vergnügen als uns unter den Händen eines Dichters, der damit umzugehen weißt, die Salamander und Sylphiden, die Feen und Cabbalisten machen können, so bleiben sie nichts desto weniger schimärische Wesen, für deren Würklichkeit man nicht einen einzigen bessern Grund hat, als ich für einen Biribinker anzuführen im Stande wäre. Sie scheinen nicht zu bedenken, sagte Don Sylvio, daß sie die Feen und elementarischen Geister, nebst der Cabbala, oder geheimen Philosophie, die den Weisen die Macht gibt, sich diese Geister unterwürfig zu machen, nicht läugnen können, ohne den Grund aller historischen Wahrheit umzustossen. Denn wie durchgängig und übereinstimmend ist nicht das Zeugniß der ganzen Geschichte zu ihrem Vortheil? – – Sie haben vermuthlich die Nachrichten von dein Grafen von Gabalis gelesen, erwiederte Don Gabriel, worinn dieses Argument auf den höchsten Grad der Stärke getrieben ist, die es haben kan. Aber alles was man damit beweisen kan, ist weder mehr noch minder, als daß die Geschichte mit Fabeln und Unwahrheiten untermischt ist; ein grosses Uebel, welches dem schwachen Verstand oder dem bösen Willen, oder wenigstens der Eitelkeit der Geschichtschreiber zu Schulden liegt, und in meinen Augen die wahre Quelle so vieler schädlichen Irrthümer ist, womit wir die verschiedenen Gesellschaften der Menschen behaftet sehen. Glauben sie, zum Exempel, daß Biribinker nur um den vierten Theil eines Grans glaubwürdiger wäre, wenn er von Wort zu Wort von dem Geschichtschreiber Paläphatus erzählt würde? Woher könnten wir wissen, ob ein Autor, der vor drey tausend Jahren gelebt hat, und dessen Geschichte und Character uns gänzlich unbekannt ist, nur im Sinn gehabt habe uns die Wahrheit zu sagen. Und gesetzt, er hatte sie, konnte er nicht leichtgläubig seyn? Konnte er nicht aus unlautern Quellen geschöpft haben? Konnte er nicht durch vorgefaßte Meynungen oder falsche Nachrichten selbst hintergangen worden seyn? Oder gesetzt, das alles fände nicht bey ihm statt; kan nicht in einer Zeitfolge von zwey oder drey tausend Jahren seine Geschichte unter den Händen der Abschreiber verändert, verfälscht, und mit unterschobenen Zusätzen vermehrt worden seyn? So lange wir nicht im Stande sind, von jedem besondern Abentheuer des Biribinkers, und so zu reden, von Zeile zu Zeile zu beweisen, daß keiner von allen diesen möglichen Fällen dabey Platz finde, so würde Herodot selbst kein hinlänglicher Gewährs-Mann für die Wahrheit dieser anmaßlichen Geschichte seyn. Ich gestehe ihnen, das Zeugniß eines Tacitus oder HumeDer geneigte Leser wird hier einen ziemlichen Anachronismus bemerken, der, zum Unglück, nicht der einzige in diesem Werke ist, und vielleicht einigen Zweifel gegen die Glaubwürdigkeit dieser ganzen Geschichte erwecken könnte, dessen Hinwegräumung wir den Criticis überlassen. würde der Existenz der Elementar-Geister und eines jeden andern Dings, das nicht innerhalb des bekannten Cirkels der allgemeinen menschlichen Erfahrung liegt, sehr zu statten kommen, allein, zum Unglück für das Wunderbare, können sie sich keiner so vollgültigen Zeugen rühmen. Und gesetzt auch, es fänden sich unter der unendlichen Menge von Wunderdingen dieser Art, die seit dem Anbeginn der Welt bey allen Völkern des Erdbodens erzählt, und zum Theil geglaubt worden sind, einige wenige, die ein unverwerfliches Ansehen vor sich hätten; so würde dieses weder die übrigen glaubwürdiger machen, noch den allgemeinen Grundsatz entkräften können: Daß alles und jedes, was keine Analogie mit dem ordentlichen Lauf der Natur, in so fern sie unter unsern Sinnen liegt, oder mit demjenigen hat, was der gröste Theil des menschlichen Geschlechts alle Tage erfährt, eben deßwegen die allerstärkste und gewisser massen eine unendliche Präsumtion der Unwahrheit wider sich habe; ein Grundsatz, den das allgemeine Gefühl des menschlichen Geschlechts rechtfertiget, ob er gleich der ganzen Feerey mit allen ihren Zubehörden auf einmal das Leben abspricht.

Die Damen hatten sich zurück gezogen, so bald sie sahen, daß die Conversation einen scientifischen Schwung nehmen würde. Don Sylvio ergab sich nicht so leicht als sein Gegner erwartet haben mochte. Er bediente sich aller Vortheile, die ihm die scheinbare Verwandtschaft dieser Materie mit andern, wo Don Gabriel, nach Husaren-Art, nur fliehend fechten konnte, zu geben schien; allein, nachdem er sich endlich durch die überwiegende Geschicklichkeit seines Gegners aus allen seinen Schlupfwinkeln heraus getrieben sah, so blieb ihm endlich nichts übrig, als sich gleichfalls auf die Erfahrung zu berufen, durch welche ihn jener zu überweisen gedacht hatte. Doch er fand bald, daß er wenig gewinnen würde, einen Philosophen wie Don Gabriel, mit seinen eigenen Wafen anzugreifen; man bewieß ihm, daß besondere und ausserordentliche Erfahrungen, so bald sie der Analogie der allgemeinen Erfahrung wiedersprechen, allezeit verdächtig sind; und daß zu einer Evidenz, der sich die Vernunft ergeben müßte, ein so scharfer Beweiß erfordert würde, daß unter tausend solchen ausserordentlichen Erfahrungen kaum eine zu finden sey, die bey genauer Untersuchung, nur so viel Wahrscheinlichkeit, übrig behalte, als zu einer starken Präsumtion erfordert werde. Er nahm, zu Erläuterung seiner Lehrsätze die Visionen der Schwester Maria von Agreda zum Beyspiel, und vertiefte sich unvermerkt in Speculationen, die der Uebersetzer für die meisten Leser dieses Buchs zu tiefsinnig gehalten, und um so lieber weg gelassen hat, als aus dem Vorbericht, der dem spanischen Manuscript voran gesetzt ist, erhellet, daß der ehrwürdige Dominicaner-Mönch, dem selbiges zur Censur gegeben worden, von diesem Discurs den unschuldigen Anlaß genommen, den Druck des ganzen Werks zu untersagen. Dem sey wie ihm wolle, so fand Don Eugenio selbst für gut, die Fortsetzung dieser allzu metaphysischen Untersuchungen zu hemmen. Ich glaube kaum, sagte er, daß es zum Beweiß, wie leicht uns in diesem Stück unsere vorgefaßte Meynungen oder eine allzuwürksame Phantasie hintergehen kan, etwas anders braucht, als sich auf Don Sylvios eigene Erfahrung zu beruffen. Ich wette was man will, sie glaubten beym Eintritt in diese Gärten, und beym Anblick des Pavillions, in einen Feen-Sitz gekommen zu seyn; und doch ist nichts gewissers, als daß sie in eben diesem Lirias sind, welches mein Großvater Gilblas von Santillane der dankbaren Großmuth des Don Alphonso von Leyva zu danken hatte, und welches seit dem, theils von ihm, theils von meinem Vater Don Felix von Lirias erweitert und verschönert worden. Sie scheinen noch so wenig von der wirklichen Welt gesehen zu haben, daß die Aehnlichkeiten, die sie zwischen den Gärten und Gebäuden zu Lirias mit denen, womit ihre Einbildungs-Kraft in den Mährchen bekannt worden ist, gefunden haben, sie leicht verführen konnten, dasjenige, was von ganz alltäglichen Menschen-Händen gemacht ist, für ein Werk der Geister und der Feerey zu halten. Gestehen sie, Don Sylvio, daß sie bey Erblickung meiner Schwester keinen Augenblick anstunden, sie für eine Fee zu halten; und doch kan ihnen mein Pfarrer mit dem Tauf-Register beweisen, daß sie eine Sterbliche ist, und von guten alten Christen abstammt, die niemalen der Magie verdächtig gewesen sind; eine Enkelin der liebenswürdigen Dorothea von Jutella, welche bestimmt war, meinem Großvater den Verlust seiner geliebten Antonia zu ersetzen, und mit der sie in der That eine so grosse Aehnlichkeit hat, daß man das Bildniß der einen für der andern ihres hält. Diese einzige Induction würkte mehr als alle Schlußreden des Don Gabriel. Don Sylvio hatte ausser einem Compliment, das er bey diesem Anlaß den Reitzungen der Donna Felicia machte, so wenig gründliches darauf zu antworten, daß er allmählich stille wurde, und, wie es schien, in Gedanken verfiel, die seinen Kopf merklich verdüsterten. Zu gutem Glück war es eben Zeit, in eine Comödie zu gehen, welche Don Eugenio durch eine herum wandernde kleine Schauspieler-Gesellschaft, die er etliche Wochen bey sich behielt, veranstaltet hatte. Diese angenehme Zerstreuung und die Gegenwart der Donna Felicia, die er den ganzen übrigen Abend genoß, stellten nach und nach den guten Humor unsers Helden wieder her; die aufmunternde Freundlichkeit, oder sollen wir die Zärtlichkeit sagen, die in ihrem ganzen Betragen gegen ihn herrschte, machte ihn gar bald lebhaft, gesprächig und begierig zu gefallen, und der Ton der scherzenden Fröhlichkeit, worein sie über dem Nachtessen die ganze Gesellschaft stimmte, würkte zuletzt so mächtig auf ihn, daß er unvermerkt die Rolle vergaß, die er zu spielen übernommen hatte, und mit dem Prinzen Biribinker und seinen Feen so lustig machte, als ob er nie keine Feen geglaubt, und keinen Sommervogel geliebt hätte.


 << zurück weiter >>