Christoph Martin Wieland
Die Abentheuer des Don Sylvio
Christoph Martin Wieland

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Zehendes Capitel.

Wie kräftig die Vorsätze sind, die man gegen die Liebe faßt.

Don Sylvio hatte sich unter anderm vorgenommen, den Eindrücken männlich zu widerstehen, welche, wie er sich selbst zu bereden suchte, die Aehnlichkeit der Donna Felicia mit seiner Princeßin auf sein Herz machte. Dieser heldenmüthige Entschluß gab ihm anfangs, wie er mit Don Gabriel zur Gesellschaft kam, ein so gezwungenes und entlehntes Aussehen, als nur immer ein Mittelding von einem Knaben und Jüngling haben kan, der nur erst neulich dem Collegio entwischt ist, und jetzt zum erstenmal in guter Gesellschaft erscheint. Donna Felicia bemerkte es beym ersten Anblick, ohne daß sie darauf acht zu geben schien; sie errieth die Ursache davon mit dieser ausserordentlichen Scharfsinnigkeit, welche die Liebe zu geben pflegt, und hofte nicht ohne Ursache, daß ihre Gegenwart den Streit zwischen seiner Phantasie und seinem Herzen bald entscheiden werde.

Die Moralisten habens uns schon oft gesagt, und werdens noch oft genug sagen, daß es nur ein einziges bewährtes Mittel gegen die Liebe gebe, und dieses ist, sagen sie, so bald man sich getroffen fühlt, so schnell davon zu lauffen als nur immer möglich ist. Dieses Mittel ist ohne Zweiffel vortreflich; wir bedauren nur, daß es diesen weisen Männern nicht auch gefallen hat, das Geheimniß zu entdecken, wie man es dem Patienten beybringen solle. Denn man will bemerkt haben, daß ein Liebhaber natürlicher Weise, eben so wenig fähig sey vor dem Gegenstande seiner Leidenschaft davon zu lauffen, als ob er an Händen und Füssen gebunden oder an allen Nerven gelähmt wäre; ja man behauptet so gar, nach einer unendlichen Menge von Erfahrungen, worauf man sich beruft, daß es in solchen Umständen nur nicht einmal möglich sey, zu wünschen, daß man möchte fliehen können.

Es ist wahr, Don Sylvio hatte eine Art von Entschluß gefaßt, daß er (so bald es nöthig seyn sollte) fliehen wolle; allein wie man sieht, war dieser Entschluß nur bedingt, und die Liebe blieb allezeit Richterin darüber, ob es nöthig sey zu fliehen oder nicht, und über diß war die schöne Felicia nicht dabey, wie er diesen Entschluß faßte.

Die Gegenwart des geliebten Gegenstandes verbreitet eine Art von magischer Kraft, oder (um uns eines eben so unverständlichen aber unsers philosophischen Jahrhunderts würdigern Ausdrucks zu bedienen) eine Art von magnetischen Ausflüssen rund um sich her, und der Liebhaber tritt nicht so bald in diesen magnetischen Wirbel, so fühlt er sich von einer unwiderstehlichen Gewalt ergriffen, die ihn, in einer Art von Spiral-Linie so lange um denselben herum zieht, bis er – – Wir überlassen es der Scharfsinnigkeit des geneigten Lesers, die Allegorie so weit zu treiben als er will, oder als sie gehen kan, und bemerken nur noch, daß diese anziehende Kraft einer Geliebten, ausser denen, die ihr mit den natürlichen und künstlichen Magneten gemein sind, noch die besondere Eigenschaft hat, alle Gedanken, Einbildungen, Erinnerungen oder Entschliessungen, die ihre Würkung entkräften könnten, auf einmal in der Seele des angezogenen Körpers auszuwischen.

Don Sylvio wurde in wenigen Minuten ein Beyspiel dieser physicalischen Beobachtung. Er hatte sich vorgenommen, Donna Felicia gar nicht anzusehen; er konnte sich aber doch nicht enthalten sie ein wenig von der Seite anzuschielen. Bald darauf wagte er einen directen Blick, aber so schüchtern, als ob er besorgt hätte, sie möchte Basilisken in den Augen haben. Dieser Versuch lief so glücklich ab, daß er kühner wurde, und er versuchte es so lange, bis er gar nicht mehr daran gedachte, noch daran gedenken konnte, die Augen von ihr wieder abzuziehen. Kurz die vorbesagte magnetische Kraft that ihre Würkung so gut, daß er sich dem Anschauen seiner Göttin wieder so gänzlich, so ruhig und mit solchem Entzücken überließ, als ob nie keine Radiante, kein blauer Sommervogel und keine bezauberte Princeßin innerhalb der kleinen Welt seines Hirnschädels existirt hätte.

Die schöne Felicia befand sich, in Absicht ihres Herzens, ungefehr in den nehmlichen Umständen. Don Sylvio hatte zum wenigsten eine eben so starke magnetische Kraft für sie als sie für ihn; ja, wenn wir dem Albertus Magnus und andern Naturforschern (des guten alten blinden Teresias nicht zu gedenken, der, weil er wechselsweise Mann und Weib gewesen war, aus Erfahrung von der Sache sprechen konnte) wenn wir, sage ich, diesen Weisen glauben sollen, so mußte die Anziehung, die sie selbst erfuhr, würklich um ein gutes Theil stärker seyn, ob sie gleich vermittelst einer gewissen vis inertiæ, womit die Natur oder die Erziehung ihr Geschlecht zu begaben pflegt, die Würkung derselben, nach Maaßgabe der Umstände, so viel es nöthig war, zu schwächen wußte. Diese gegenseitige Anziehung beschleunigte natürlicher Weise die wundervolle Concentration, die daraus zu erfolgen pflegt, und indem beyde zu gleicher Zeit anzogen und angezogen wurden, so befand sichs, daß, ehe sie es selbst gewahr worden, ihre Seelen einander schon in allen Puncten berührten, und also nicht viel leichter wieder von einander zu scheiden waren, als ein paar Thautropfen, die im Schooß einer halb geöfneten Rose zusammen geflossen sind.

In einer so sympathetischen Gesellschaft wie diese war, konnte die Conversation nicht lange gleichgültig bleiben. Das Gespräch lenkte sich unvermerkt auf den sonderbaren Zufall, der unsern Helden und Don Eugenio mit einander bekannt gemacht hatte, und der Antheil, den die schöne Hyacinthe an diesem Abentheuer hatte, erweckte bey denen, die von ihrer Geschichte noch nicht umständlich unterrichtet waren, eine desto gerechtere Neugier, da ihre liebenswürdige Eigenschaften bereits jedes Herz für sich eingenommen hatten. Denn selbst Don Sylvio, so gleichgültig ihn seine Leidenschaft für die Donna Felicia gegen alle andere Reitzungen hätte machen sollen, empfand wider seinen Willen eine Art von Zuneigung für sie, die er sich selbst nicht recht erklären konnte, und die ohne die Unruhe, das Feuer, und die Begierde der Liebe zu haben, alle Zärtlichkeit derselben zu haben schien.

Die schöne Hyacinthe hatte keine Ursache vor einer von den gegenwärtigen Personen ein Geheimniß aus ihrer Geschichte zu machen und hingegen sehr wichtige, sie zu entdecken. Die Leidenschaft des Don Eugenio, dasjenige, was er schon für sie gethan, die Absichten die er mit ihr hatte, und vermuthlich auch die Hauptumstände ihres Lebens waren würklich schon bekannt, und so groß auch die Achtung war, womit ihr Donna Felicia begegnete, so besorgte sie doch, daß man Vorurtheile gegen sie gefaßt haben könnte, welche sie desto mehr zu vernichten begierig war, da sie einen so festen Entschluß, als eine Verliebte nur immer fassen kan, gefaßt hatte, ihrem Verständniß mit Don Eugenio ein Ende zu machen. Sie machte also keine Schwierigkeiten, der Bitte ihres Liebhabers, die von Donna Felicia und Don Sylvio unterstützt wurde, durch Erzählung ihrer Begebenheiten genug zu thun, auf welche unser Held desto begieriger war, da er nicht zweifelte, daß die Feen keinen geringen Antheil an denselben haben würden.


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