Christoph Martin Wieland
Die Abentheuer des Don Sylvio
Christoph Martin Wieland

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Drittes Capitel.

Worinn Don Sylvio sehr zu seinem Vortheil erscheint.

Unsre Wanderer waren ungefehr eine halbe Stunde fortgegangen, als etliche Pistolen-Schüsse, und zu gleicher Zeit ein ängstliches Geschrey aus dem benachbarten Gebüsch in ihre Ohren drang.

Das ist eine Stimme, die um Hülfe ruft, sagte Don Sylvio, wir müssen sehen, was es ist.

Pedrillo, der bey Nacht und in den Gespenster-Stunden die feigeste Memme von der Welt war, hatte hingegen Herz wie ein junger Stier aus Andalusien, wenn es darum zu thun war, sich mit Leuten von Fleisch und Blut beym Tagslicht herum zu balgen. Er machte also nicht die geringste Schwierigkeit seinem Herrn zu folgen, und sie waren kaum fünfzig oder sechzig Schritte, dem Getümmel nach, ins Gebüsche hinein gegangen, als ihnen auf einem ziemlich grossen Platz drey junge Männer zu Pferd in die Augen fielen, die mit der äussersten Wuth von ihrer sieben angefallen wurden, von denen vier gleichfalls beritten waren. Don Sylvio flog, ohne sich einen Augenblick zu besinnen, den Schwächern zu Hülfe, unter denen er einen schönen jungen Ritter erblickte, der sich ganz allein gegen drey von seinen Gegnern mit der Tapferkeit eines ächten Spaniers, der für seine Dame ficht, vertheidigte. Einen Augenblick später würde sein Beystand zu späte gekommen seyn; denn einer von den Gegnern des jungen Ritters war im Begriff einen Streich auf ihn zu führen, der dem Gefecht auf einmal ein Ende gemacht hätte, wenn Don Sylvio sich nicht in eben dem Augenblick dazwischen geworfen, und den Streich mit seinem Schlachtschwerdt aufgefaßt hätte, welches in der That der mörderischen Durindana des grossen Orlando weit ähnlicher sah als einem heutigen Stutzer-Degen.

Während daß Don Sylvio, so ungeübt er auch in solchen blutigen Geschäften war, die Feinde durch seine Erscheinung, durch seinen Muth, und durch die gewaltigen Streiche, die er auf sie führte, in kein gemeines Erstaunen setzte, war Pedrillo seines Orts auch nicht müßig. Er hatte zwar kein andres Gewehr bey sich als einen dicken knottichten Stecken von Schwarzdorn, allein er wußte sich dessen mit so vielem Nachdruck und mit solcher Behendigkeit zu bedienen, daß er in wenigen Augenblicken zween der streitbarsten Feinde unter seine Füsse brachte. Kurz, unsre Abentheurer arbeiteten mit so gutem Erfolg, daß sich der Sieg in kurzem für ihre Parthey erklärte, und die Feinde sich genöthiget sahen, mit Zurücklassung zweyer stark Verwundeten, ihre Sicherheit in der Flucht zu suchen.

So bald das Gefecht geendigt war, sahe sich Don Sylvio nach dem jungen Ritter um, der ihn beym ersten Anblick so sehr intereßirt hatte, um ihm seine Freude über den glücklichen Ausgang dieses gefährlichen Abentheuers zu bezeugen; aber dieser hatte jetzt nichts angelegeners, als einem jungen Frauenzimmer zuzueilen, welches nicht weit von dem Kampfplatz ohnmächtig in den Armen ihrer Kammerfrauen lag. Man hatte grosse Mühe, sie wieder zu sich selbst zu bringen, und die Art, wie der junge Ritter sich dabey aufführte, ließ es zweiffelhaft, ob sie seine Schwester oder seine Geliebte sey. So bald sie den Gebrauch ihrer Sinnen wieder hatte, sagte er zu ihr: Liebste Hyacinthe, wenn ihnen ihre Befreyung angenehm, und das Leben eines Freundes, der nur für sie zu leben wünscht, nicht gleichgültig ist, so sehen sie hier den liebenswürdigen jungen Ritter, dessen Großmuth und Tapferkeit ich beydes zu danken habe.

Don Sylvio näherte sich bey diesen Worten mit dem edlen und anmuthsvollen Anstand, womit ihn die Natur, oder ich weiß nicht was für eine Fee bey seiner Geburt begabt hatte, und nachdem er die junge Dame durch eine tiefe Verbeugung gegrüßt hatte, bezeugte er ihnen seine Freude über ihre Befreyung in den lebhaftesten Ausdrücken. Es ist wahr, daß sie, seiner Gewohnheit nach, einen ziemlich schwülstigen und romanhaften Schwung hatten, allein die Gemüthsbewegung, worinn diese beyde Personen waren, verhinderte sie, es zu bemerken. Die junge Dame war noch zu schwach und erschrocken, als daß sie ihm ihre Dankbarkeit anders als durch Geberden hätte zu erkennen geben können; aber Don Eugenio, so hieß der junge Cavalier, und Don Gabriel, sein Freund, der unserm Helden nicht weniger für sein Leben verbunden war, bezeugte ihm die ihrige in desto lebhaftern Ausdrücken, und nachdem sie von Don Sylvio vernommen hatten, daß er unbeschädiget davon gekommen, sagte Don Gabriel zu der schönen Hyacinthe: Unser Beschützer ist in allen Stücken so sehr einem Schutzengel ähnlich, daß es kein Wunder ist, daß er auch so unverwundbar als ein Engel ist.

Don Sylvio betrachtete indessen die schöne junge Dame mit einer Aufmerksamkeit, und mit einer gewissen innerlichen Regung, die ihn selbst befremdete, da er geglaubt hatte, daß kein Frauenzimmer in der Welt reitzend genug seyn könne, den geringsten Eindruck auf ein Herz zu machen, in welchem das Bildniß seiner Princeßin herrschte. Die Schönheit dieser jungen Person, die nicht über sechszehn Jahre zu haben schien, hatte zwar beym ersten Anblick nichts blendendes; aber diesen zauberischen Reitz, der sich nicht beschreiben läßt, und nach dem Urtheil der Kenner noch etwas schöners als die Schönheit selbst ist, konnte man in keinem höhern Grad besitzen. Es war unmöglich ihr nicht vom ersten Blick gewogen zu werden, eine so anziehende Anmuth war über ihre ganze Person ausgebreitet. Ihr gleichgültigster Blick hatte etwas rührendes, ihr gewöhnlicher Ton der Stimme war Musik, und der Kummer selbst konnte das reitzende Lächeln nicht auslöschen, das ihren angenehmen Mund umfloß.

Don Sylvio schien die Würkung dieser verführischen Reitzungen etliche Augenblicke lang so stark zu erfahren, daß Don Eugenio dadurch hätte beunruhiget werden können, wenn nicht die Wunden, die er und sein Freund im Gefecht bekommen, und in der ersten Hitze nicht geachtet hatten, stark genug zu bluten angefangen hätten, daß sie nöthig fanden, sich auf der Stelle verbinden zu lassen. Hyacinthe, die kein Auge von Don Eugenio verwandte, sah kaum das Blut ihres Freundes fliessen, als sie mit einem ängstlichen Schrey in eine abermalige Ohnmacht sank.

Dieser Zufall gab unserm Helden Gelegenheit, sich in dem Gedanken zu bestärken, daß diese beyde Personen nichts anders als ein paar Verliebte seyn könnten, und er zweifelte nunmehr nicht daran, daß die junge Dame eine Princeßin sey, die ein verhaßter Nebenbuhler mit Hülfe irgend eines Zauberers ihrem begünstigten Liebhaber habe entziehen wollen. Diese Vorstellung verdoppelte natürlicher Weise den Antheil, den er bereits an ihrem Schicksal zu nehmen angefangen hatte.

Die Wunde des Don Eugenio war keine von den gefährlichen, und die Ohnmacht der schönen Hyacinthe so unschädlich als alle Ohnmachten junger Mädchen zu seyn pflegen, sie mögen nun ihren Grund in einem Uebermaaß von Schmerz oder Vergnügen haben. Nachdem man also die junge Dame durch englisches Salz wieder hergestellt, und die beyden verwundeten Ritter verbunden hatte, so gut es in der Eile möglich war, so wurde beschlossen, weil die Nacht herein brach, und Donna Hyacinthe der Ruhe benöthiget war, in dem nächsten Wirthshause, das man antreffen würde, stille zu halten. Unser Held erbot sich, sie um mehrerer Sicherheit willen zu begleiten, und Don Eugenio nahm sein Erbieten desto williger an, da er sehr begierig war, zu wissen, wer der eben so liebenswürdige als sonderbare Unbekannte seyn möchte, dem er so unverhofter Weise sein Leben und seine Geliebte schuldig geworden war. Nach einigen hin und wieder gewechselten Complimenten setzte sich also Don Eugenio zu der jungen Dame in den Wagen, und überließ unserm Ritter sein Reit-Pferd. Pedrillo, der indeß über alles was er sah, grosse Augen gemacht hatte, und sich nicht wenig auf die verbindlichen Sachen einbildete, die ihm Don Gabriel und der Kammerdiener von seiner Tapferkeit sagten, ließ sich, wiewohl nicht ohne viele Mühe, bereden, seinen Platz neben der Dame Teresilla zu nehmen, einer jungen Person von fünf und dreißig Jahren, welche so schön mit Roth und Weiß bemahlt war, und die Jugend ihres Gesichts durch die sittsame Enthüllung eines nicht unfeinen Halses so geschickt zu bestättigen wußte, daß Pedrillo in kurzer Zeit stark genug davon überzeugt wurde, um im Nothfall sein Sylphen-Mädchen dran zu setzen, daß sie erst zwanzig Jahre habe.


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