Christoph Martin Wieland
Die Abentheuer des Don Sylvio
Christoph Martin Wieland

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Ich weiß nicht was eine andere thäte, versetzte ich: Aber das weiß ich, daß ich hier nicht an meinem Platze bin, und daß ich nicht begreiffe, was sie mit mir wollen, nachdem ich ihnen gesagt habe, daß ich sie niemals lieben werde. Höre, Hyacinthe, sagte mir der Marquis, es ist billig, daß ich deine Aufrichtigkeit erwiedere; ich habe dich in einem Hause gefunden, wo man keine Spröden sucht, und wo du mir nicht hättest übel nehmen können, wenn ich dir eben so begegnet wäre, wie die jungen Leute, von deren ungestümmen Muthwillen ich dich befreyte. Ich sahe aber, daß es unbillich wäre, dich mit deinen gefälligen Schwestern in eine Classe zu setzen. Du gefielst mir, deine Unschuld nahm mich ein, kurz, ich fand dich liebenswürdig, und beschloß dich unverzüglich aus einem Hause zu befreyen, wo du gewiß noch viel weniger an deinem Platze zu seyn schienest als hier. Ich handelte dich deiner Mutter ab – – Was sagen sie, gnädiger Herr, rief ich? Sie haben mich abgehandelt? Ja, antwortete er, und theuer genug, daß du nicht verlangen kanst, daß ich mein Geld umsonst ausgegeben haben soll. Aber wissen sie auch, sagte ich, daß diese Alte, die sich für meine Großmutter ausgibt, nichts weniger ist? Und wer sind denn deine Eltern, fragte der Marquis? das weiß ich nicht, antwortete ich; vielleicht sind es rechtschaffene Leute, vielleicht auch ist es mir besser sie nicht zu kennen; aber ich sage ihnen, daß ich in der Ungewißheit, worinn ich hierüber bin, für das sicherste halte, mir einzubilden, daß ich vielleicht von gutem Hause sey; und so lächerlich ihnen diese Einbildung vorkommen mag, so vermag sie doch so viel über mich, daß die glänzendsten Verheissungen und die grausamsten Schrecknisse mich nicht von dem Entschluß abbringen sollen, ein ehrliches Mädchen zu bleiben, wie ich bisher gewesen bin, so gerecht auch immer das Vorurtheil ist, das meine Umstände gegen mich erwecken. Die Alte hatte kein Recht mich ihnen zu verkauffen, und es ist in ihrer Gewalt, sie zur Rückgabe eines so unerlaubten Gewinnstes zu nöthigen.

Meynst du das, sagte der Marquis spottend? Ich sage dir aber, ich, daß ich keine Lust dazu habe, und daß du, mit Erlaubniß aller der schönen Einbildungen, die du dir in den Kopf gesetzt hast, mein seyn sollst, du magst wollen oder nicht. Siehst du, Hyacinthe, ich glaube nicht an die Tugend eines Mädchens von fünfzehen Jahren, und du wirst doch nicht unter unzählichen die erste unerbittliche seyn, die ich gefunden habe; ich versichere dich, daß bessere als du bist, nicht halb so viel Umstände mit mir gemacht haben. Ich antwortete nur mit einem Strom von Thränen auf diese Rede, und der Marquis schien verlegen zu seyn, was er mit mir anfangen sollte. Ich warf mich zu seinen Füssen, und bat ihn aufs beweglichste, daß er mich in Freyheit setzen, und meinem Schicksale überlassen möchte. Meine Bitten würkten gerade das Widerspiel. Er hob mich in einer ausserordentlichen Bewegung auf, warf sich zu meinen Füssen nieder, und sagte mir alles was die heftigste Leidenschaft eingeben kan. Ich glaube, daß etwas ansteckendes in heftigen Leidenschaften ist, und dasjenige, was die Zuschauer bey der lebhaften und wahren Vorstellung einer Leidenschaft auf dem Schauplatz erfahren, scheint eine Bestättigung meiner Meynung zu seyn. Ich liebte den Marquis nicht; aber ich konnte mich nicht erwehren, von der Heftigkeit seiner Liebe beunruhiget zu werden. Er hatte sich meiner Hände bemächtiget, und er fühlte vermuthlich, daß mein Puls hurtiger schlug, er sah eine mehr als gewöhnliche Röthe auf meinen Wangen, und da die Sinnen mehr Antheil an seiner Liebe hatten als das Herz, so glaubte er, daß dieses der Augenblick sey, da er mich überraschen könnte. Es würde lächerlich seyn, wenn ich sie überreden wollte, daß ich keiner Schwachheit fähig sey; die Tugend besteht, meiner Meynung nach, in gewissen Umständen weniger in einer völligen Unempfindlichkeit, die niemals ein Verdienst ist, als in dem Sieg einer stärkern Empfindung oder Leidenschaft über die Regungen der Natur. Dem sey wie ihm wolle, so erfreue ich mich, ihnen sagen zu können, daß der erste Versuch, den der Marquis machte, von meiner Verwirrung Vortheil zu ziehen, mir auf einmal meine erste Stärke wieder gab. Ich riß mich von ihm loß, und sagte ihm, daß ich nichts mehr von einer Liebe hören wolle, die ich in keinerley Betrachtung aufzumuntern Willens sey. Ich setzte so vieles hinzu, ihn gänzlich hievon zu überzeugen, daß ihm endlich die Gedult ausgieng. Er erzürnte sich heftig über mich, er beschuldigte mich, daß meine Sprödigkeit ein blosser Kunstgriff sey, wodurch ich ihn zu der Thorheit zu bringen hofte, mir seine Ehre aufzuopfern, und schwor, daß er mich allen meinen Ahnen zu Trotz auf einen wohlfeilern Fuß haben wollte, und wenn ich auch in gerader Linie von dem Egyptischen Könige Misphragmuthosis abstammte. Sein Zorn und seine Drohungen schreckten mich so sehr, daß ich allen meinen Witz anstrengte, ihn durch glimpfliche Worte wieder zu besänftigen; ich bediente mich so gar einiger, die er ohne Zwang so auslegen konnte, daß sie ihn von der Zeit günstigere Gesinnungen hoffen liessen. Er schien sich nach und nach zufrieden zu geben, und verließ mich endlich mit dem Versprechen, daß, wofern ich nach dreyen Tagen, die er mir zur Bedenkzeit gebe, auf meiner Abneigung gegen ihn beharrete, er sich meiner Entfernung nicht länger widersetzen wollte. Er sagte mir das mit einer so ungezwungenen Art, daß ich ihm glaubte. Ich brachte also den übrigen Abend ganz ruhig zu, und war nicht wenig über den Sieg vergnügt, den ich mir schmeichelte über ihn erhalten zu haben. Ich nahm meine Theorbe, sang, scherzte mit der kleinen Stella, aß zu Nacht, und legte mich ganz ruhig zu Bette. Ich war noch nicht eingeschlafen, und ein Wachslicht brante noch auf meinem Gueridon vor meinem Bette, als ich auf einmal die Thür meines Schlafzimmers aufgehen hörte. Ich würde sehr erschrocken seyn, wenn ich ein Gespenst vor mir gesehen hätte; aber ich erschrack noch weit mehr, da ich sah, daß es der Marquis war. Er war nur in einem leichten Nachtgewande, und hatte etwas so wildes in seinen Blicken und Geberden, daß ich vor Angst schlotterte, als ich ihn auf mich zugehen sah. Ich wollte geschwind aus dem Bette springen, denn ich kleidete mich niemals völlig aus, aber er hielt mich zurück, und schwur, daß ich mich ergeben müßte, es möchte auch kosten was es wolle. Ich erhub ein entsetzliches Geschrey, und wehrte mich, ob er sich gleich bemühte mir den Mund mit Küssen zu verstopfen, mit einer solchen Wuth, daß er sich genöthiget sah einen Augenblick Athem zu schöpfen. Ich fieng von neuem an zu schreyen, und machte es laut genug, daß Stella, die in dem vierten Zimmer von dem meinigen schlief, davon erwachte, und in einem Anzug, der von ihrem Schrecken zeugte, mir zu Hülfe eilte. Ihr Anblick verdoppelte meinen Muth, so schwach auch der Beystand war, den ich von ihr erwarten konnte; ich stieß den Marquis mit einer solchen Stärke zurück, daß er über die kleine Stella hinweg taumelte, und mit ihr zu Boden fiel. Dieser Umstand, so gering er an sich selbst scheinen mag, war diesesmal mein Glück.

Das gute Mädchen hatte keines von den Gesichten, die man in Spanien schön nennt, ob ihr gleich unter den Caffern vielleicht nichts als die Farbe des Landes gefehlt hätte, um eine Gratie zu seyn; Allein zum Ersatz entdeckte die Unordnung, worein ihr Fall ihre ohnehin sehr leichte Bekleidung gebracht hatte, dem erhitzten Marquis andre Schönheiten, wodurch die Natur sie wegen ihres Gesichts vollkommen entschädiget zu haben schien. Er wurde so sehr dadurch gerührt, daß er plötzlich den Entschluß faßte sie zum Werkzeug seiner Rache an meiner Sprödigkeit zu machen. Er entdeckte ihr, indem er sie aufhub, den Eindruck, den ihre Reitzungen auf ihn gemacht hatten, in so lebhaften Figuren, daß sie nicht lange einen Scherz daraus machen konnte; sie floh wie Daphne, und er verfolgte sie wie Apollo, aber mit besserm Erfolg. Mit einem Wort, er verschloß sich in ihre Kammer, und erinnerte sich vermuthlich in wenig Augenblicken nicht mehr, daß eine Hyacinthe in der Welt war. Diese unverhofte Veränderung der Scene gab mir einen Einfall ein, den ich unverzüglich ins Werk zu richten beschloß. Ich kleidete mich völlig an, und nachdem ich eine Weile gewartet hatte, schlich ich an Stellas Thüre, um zu horchen, ob ich mich sicher glauben könne. Keinen günstigern Augenblick zur Flucht konnte ich niemals wieder hoffen. Die alte Beguine hatte sich, weil sie wußte, daß der Marquis selbst im Hause war, ganz sorgenlos zur Ruhe begeben, und dieser war so sehr mit seiner neuen Eroberung beschäftigt, daß er mich vielleicht nicht gehört hätte, wenn ich auch weniger behutsam gewesen wäre. Ich schlich also, wiewohl so furchtsam, daß ich mir kaum Athem zu holen getrauete, aus meinem Zimmer, und kam endlich nach einer guten Weile, (denn es war sehr dunkel, und ich besorgte alle Augenblicke anzustossen oder ein Geräusch zu machen) bis an die Hausthüre, die ich verschlossen fand. Ich tappte so lange herum, bis ich eine Art von einer kleinen Kammer offen fand, die gegen die Strasse eine Oefnung hatte, so statt der Fenster mit eisernen Stäben verwahrt war. Ich fand sie weit genung von einander, um mich durchpressen zu können; und es gelang mir endlich wiewohl mit vieler Mühe und Schmerzen.

Sie können sich die Freude kaum vorstellen, die ich hatte, wie ich mich auf der Strasse sah. Ich lief, was ich konnte, ohne zu wissen wohin, und weil das Hauß, worinne ich war, in einer von den Vorstädten stund, so befand ich mich in kurzer Zeit auf dem freyen Felde. Niemals hatte mir der gestirnte Himmel so schön geschienen als jetzo, da er meine Flucht beförderte. Ich befahl mich den unsichtbaren Beschützern der Unschuld, und so bald ich merkte, daß ich auf der Landstrasse war, so lief ich so schnell davon, als ob ich Flügel an den Fersen hätte. Wie die Sonne aufgieng, war ich schon drey Stunden von Sevilla entfernt. Ich tauschte meine Kleider mit einem jungen Bauer-Mädchen von meiner Grösse, die mir begegnete, und nachdem ich mich in einem Dorfe mit Brodt, und meinen Kruge mit frischer Milch versehen hatte, setzte ich meine Reise fort; ich ruhte den Tag über in dichten Gebüschen aus, und gieng des Abends, bis ich ein Wirthshauß antraf, wo ich die Nacht zubringen konnte. Ich richtete meine Reise nach Calatrava, wo ich die gute Dame zu erfragen hofte, auf deren Großmuth und Neigung zu mir ich alle meine Hofnungen gründete; aber weil ich gezwungen war, zu Fusse zu gehen, (denn ich hatte aus einer vielleicht übertriebenen Bedenklichkeit nichts mit mir genommen, als das wenige Geld, so ich bey mir trug, wie ich das Hauß der Zigäunerin verließ, und dieses reichte kaum zu meiner Reise-Zehrung zu,) so gieng meine Wanderschaft überaus langsam, und ich hatte Zeit genug meinen vergangenen Begebenheiten und meinem künftigen Schicksal nachzudenken. So ungünstig auch das gegenwärtige aussah, so blieb ich doch immer munter; der Gedanke, daß ich meine Unschuld aus so schlüpfrigen Umständen davon gebracht hatte, machte mich leicht und fröhlich, und von allem, was mir in dem kleinen Hause des Marquis zu Dienste gestanden war, bedaurte ich nichts als meine schöne Theorbe von Sandelholz, womit ich mir unterwegs die Zeit hätte verkürzen können. Ich sang nichts desto minder, so lange der Tag war, und machte mir eine Zeitkürzung daraus, den Gesang der Nachtigallen nachzuahmen, worinn ich, ohne Ruhm zu melden, eine so grosse Meisterin wurde, daß ich die Nachtigallen selbst eifersüchtig machen konnte.

Auf diese Art kam ich endlich glücklich, und ohne daß mir ein merkwürdiges Abentheuer zugestossen wäre, im Schloß an, wo die Dame, die ich suchte, gewohnt hatte; aber, urtheilen sie, wie groß meine Bestürzung war, da man mir sagte, das junge Fräulein, ihre einzige Tochter, sey vor etlichen Monathen an den Pocken gestorben, und ihre Mutter hätte sich aus Betrübniß über den Verlust eines Kindes, das ihr einziges Vergnügen gewesen war, bald darauf in ein Kloster unweit Toledo vergraben. Diese Nachrichten schlugen mir den Muth so sehr nieder, daß ich ein paar Tage ganz krank davon wurde. Meine Umstände konnten nicht verzweifelter seyn, ich war ohne Geld, unter lauter Unbekannten, und in dem schlechten Aufzug, den ich machte, um so mehr vielen Unbequemlichkeiten ausgesetzt, da man gar leicht sah, daß ich verkleidet war. Ich hatte keinen andern Ausweg, als bey irgend einer Dame Dienste zu suchen, aber die Schwierigkeit war, jemand zu finden, der es auf sich nehmen wollte mich in einem guten Hause zu empfehlen.

Indem ich in dieser Verlegenheit nicht wußte, wohin ich mich wenden sollte, begegnete es, daß eine kleine Gesellschaft von Comödianten in das Wirthshauß kam, wo ich mich aufhielt. Die Frau des Vorstehers, eine Person von feinem Ansehen und sehr einnehmenden Manieren, machte Bekanntschaft mit mir; wir gefielen einander beym ersten Anblick, und es währete nicht lange, so hatte sie mein Vertrauen so sehr gewonnen, daß ich ihr meine Geschichte und meine dermaligen Umstände entdeckte. Sie hatte eben eine junge Person nöthig, um die Stelle ihrer besten Schauspielerin zu ersetzen, welche ihr der Graf von L. erst kürzlich entführt, und ihrer Gesellschaft dadurch keinen geringen Schaden zugefügt hatte. Sie machte mir den Antrag, ob ich nicht Lust hätte mich dem Theater zu widmen, und sparte keine Vorstellungen und Ueberredungen, um mir Lust dazu zu machen. Natürlicher Weise hätte ein Mädchen, das bisher die Person einer kleinen Zigäunerin gespielt hatte, sich durch die Ehre zu einer Theater-Heldin erhoben zu werden sehr geschmeichelt finden sollen; Allein so jung ich war, so wußt ich doch wohl, daß in den Augen der Welt der Unterschied zwischen einer Comödiantin und einer Zigäunerin nicht so groß ist als sich die Theater-Princeßinnen einbilden, und die gute Dame Arsenia hatte sehr vieles zu thun, bis sie mit allen meinen Bedenklichkeiten fertig war. Sie schien von meinen Gesinnungen ganz bezaubert, und verdoppelte ihre Liebkosungen und Zureden, um mich zu einer Lebensart zu bewegen, die ihrer Meynung nach, an sich selbst nichts unedles oder verächtliches habe, und bloß durch die schlechte Sitten der meisten, welche sie treiben, in einen etwas zweydeutigen Ruf gekommen sey. Sie sagte mir zum Beweiß dieses Satzes sehr vieles, das mir einen grossen Schein der Wahrheit zu haben schien, und ob sie gleich nicht in Abrede war, daß eine junge Schauspielerin mehr Versuchungen ausgesetzt sey als andre Frauenzimmer, so behauptete sie hingegen, daß sie desto mehr Ehre davon habe, wenn sie den Muth und die Standhaftigkeit besitze, in einem Stande, worinn man ihr so viel zu gut halten würde, würklich tugendhaft zu seyn. Kurz, die Vorstellungen der Arsenia, ihre Liebkosungen, ihre Bitten, die Freundschaft, die sie mir versprach, und meine gegenwärtige Noth, die mir keine Wahl übrig ließ, überwanden endlich meine Bedenklichkeiten ohne sie zu heben, und ich erklärte mich für eine Profeßion, zu der sie ein ganz besonderes Talent bey mir entdeckt haben wollte. Ich wurde also mit allgemeinem Beyfall in die Gesellschaft aufgenommen, und nachdem mich Arsenia in den Geheimnissen ihrer Kunst unterrichtet hatte, wurde Corduba zum Ort ausersehen, wo ich meinen ersten öffentlichen Auftritt machen sollte. Die Zuschauer urtheilten eben so günstig von mir als von Arsenia, und ich gestehe ihnen, daß das frohe Geklatsch und der lebhafte Ausdruck eines allgemeinen Vergnügens, der einer gefallenden Schauspielerin, so bald sie nur erscheint, von allen Seiten entgegen lächelt, ein süsser und gefährlicher Augenblick für die Eitelkeit eines jungen Mädchens ist.

Indeß konnte doch die Empfindlichkeit, die ich, so lange das Schauspiel daurte, für einen Beyfall hatte, wovon ich vielleicht das meiste der Neuheit meiner Figur zu danken hatte, die demüthigenden Vorwürfe nicht verhindern, die ich mir selbst machte, so bald ich aufhörte Ines oder Roxelane zu seyn. Ich erröthete vor mir selbst, wenn ich dachte, daß ich unverschämt genug gewesen war, mich gleichsam den Augen des Publici Preiß zu geben, und in einer angenommenen Person Leidenschaften zu erregen, die einer zügellosen Jugend eine Art von Recht zu geben schienen, von mir zu erwarten, daß ich in meiner eigenen Person die ihrigen begünstigen sollte. Diese Betrachtungen, indem sie mir alle Annehmlichkeiten meines Standes verbitterten, machten mich desto behutsamer in meiner Aufführung. Mein Herz, welches niemals schlimme Neigungen gehabt hatte, machte mirs leicht, mich vor der Verführung zu bewahren; aber die Schwierigkeit war, in einer so schlüpfrigen Lebens-Art auch den Schein zu vermeiden, und die schalksaugige Verläumdung selbst zu nöthigen, mein Betragen wenigstens durch ihr Stillschweigen für untadelhaft zu erklären. Ich weiß nicht in wie weit ich hierinn glücklich gewesen seyn mag; aber ich würde undankbar seyn, wenn ich vergässe, ihnen zu sagen, daß Arsenia, die ich meiner Hochachtung immer würdiger fand je besser ich sie kennen lernte, indem sie die Stelle einer Mutter bey mir vertrat, mir zu Erreichung meiner Absicht unendlich nützlich war. Ich verlohr mich niemals aus ihren Augen, ich aß und schlief bey ihr, ihr Umgang und Beyspiel entwickelte und unterhielt meine Gesinnungen, und ihr Character, dem alle Welt Gerechtigkeit wiederfahren lassen mußte, schützte mich vor der Boßheit derjenigen, die als eine Grundregel annahmen: daß eine Person, welche tugendhaft zu seyn scheint, in der That nur behutsam sey. Wir verliessen Corduba in wenig Wochen, und begaben uns nach Grenada, wo wir uns bey nahe ein Jahr lang aufhielten, und eines ununterbrochenen Beyfalls genossen. Hier hatte ich das Glück mit Don Eugenio bekannt zu werden. Die Hochachtung, worinn er seiner Verdienste und Sitten wegen stund, unterschied ihn zu sehr von dem grossen Hauffen des jungen Adels, als daß Arsenia sich hätte ein Bedenken machen können von ihm und einer kleinen Anzahl seiner Freunde Besuche anzunehmen, die an statt uns Tadel zuzuziehen, vielmehr für einen Beweiß angesehen wurden, daß wir schätzbarer seyn müßten als unser Stand anzukündigen schien. In einer Gesellschaft wie diese, und wo die allzu gütige Partheylichkeit des Don Eugenio für mich kein Geheimniß seyn kan, wird es mir erlaubt seyn zu sagen, daß ich ganz unempfindlich hätte seyn müssen, um von seinen Gesinnungen nicht gerührt zu werden. Ich erröthe nicht ihnen zu gestehen, daß ich vom Anfang unsers Umgangs an eine Achtung für ihn empfand, die ich vorher für niemand empfunden hatte, und wie ich glaube, für keinen andern jemals empfinden werde. Wenn ich auf etwas stolz zu seyn berechtiget wäre, so müßte es auf die Freundschaft seyn, womit er mich beehret hat. Die Welt, die immer urtheilt ohne zu kennen oder sich die Mühe der Untersuchung zu geben, hat mir künstliche Absichten beigemessen, deren die Aufrichtigkeit meiner Seele nie fähig gewesen ist. Allein ich habe mich jederzeit damit beruhiget, daß Don Eugenio mich besser kennt, und die Ausführung eines Entschlusses, der schon lange fest bey mir steht, wird, wie ich hoffe, die Freundschaft am besten rechtfertigen, deren er mich nicht unwürdig gefunden hat.


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