Christoph Martin Wieland
Die Abentheuer des Don Sylvio
Christoph Martin Wieland

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Achtes Capitel.

Reflexionen des Autors und des Don Sylvio.

Mancher denkt zu fischen und krebset, sagte der weise Sancho bey einer gewissen Gelegenheit zu seinem Herrn. Nichts begegnet öfters, als daß man etwas anders sucht und etwas anders findet. Saul suchte seines Vaters Eselinnen, und fand eine Crone; Don Sylvio suchte Sommer-Vögel und fand ein schönes Mädchen, oder doch ihr Bildniß.

Nun war er verliebt, so verliebt als man seyn kan, und einzig darauf bedacht, wie er auch das Urbild seines kleinen Gemähldes finden wolle. Denn ob er jezt gleich wußte, wie seine Geliebte aussah, so wußte er doch weder wer sie war, noch wo sie sich aufhielt.

Es ist leicht zu errathen, was ein gewöhnlicher Mensch an seinem Platz gedacht oder gethan hätte; aber davon ist die Rede nicht; Don Sylvio dachte und that nichts wie gewöhnliche Menschen. Die Gedanken, die sich uns andern am ersten darbieten, fielen ihm allemal am lezten und gemeiniglich gar nicht ein; und wenn ihm ein sonderbarer Zufall begegnete, so rieth er augenblicklich diejenige Ursache dazu, die es nach dem Lauf der Natur am wenigsten seyn konnte.

Wie leicht konnte das kleine Miniatur-Stückchen eine blosse Phantasie eines Malers gewesen seyn? Oder war es nicht eben so möglich, daß es eine Person vorstellte, die längst verstorben war, und konnte sich also Don Sylvio nicht in dem Fall des Prinzen Seif-el-Muluk in den Persianischen Erzählungen befinden, der sich, ein paar tausend Jahre zu spät, in eine Maitresse des Königs Salomon verliebte?

Diese oder dergleichen Gedanken kamen unserm Helden nun nicht in den Sinn. Je mehr er der Begebenheit dieses Morgens nachdachte, desto mehr überzeugten ihn alle Umstände, daß es der Anfang eines so ausserordentlichen Abentheuers sey, als vielleicht jemals einem jungen Prinzen oder Ritter begegnet seyn möchte.

Allein was sollte er nun anfangen? wo sollte er die schöne Schäferin suchen? Wen sollte er fragen? Der blaue Sommer-Vogel, der ihm vermuthlich Nachricht von ihr hätte geben können, war verschwunden, und ohne eine nähere Anweisung auf Gerathwohl in diesem Walde fortzugehen, schien ihm desto gefährlicher, da eine von seinen unsichtbaren Feindinnen, von deren Bosheit er so viele Proben zu haben glaubte, ihn eben so leicht auf den unrechten, als sein gutes Glück auf den rechten Weg bringen konnte.

Nach langem Nachdenken, welches durch die Betrachtung seines schönen Bildnisses oft unterbrochen wurde, dauchte ihn zuletzt das sicherste, zuzuwarten, bis er von dem blauen Papilion eine nähere Nachricht von seiner Geliebten erhalten haben würde. Denn es war nun etwas ausgemachtes für ihn, daß es eine Fee gewesen sey; und da sie für die Freyheit, so er ihr geschenkt, sich schon so erkenntlich zu beweisen angefangen, so zweifelte er nicht, daß sie fortfahren würde, ihn die Würkungen ihrer Gunst verspüren zu lassen.

Inzwischen hatte Pimpimp, sein Hündchen, der, die Sprache ausgenommen, dem Hündchen der Prinzeßin Wunderschöne, ja dem kleinen Toutou selbst weder an Artigkeit noch Verstand etwas nachgab, ihn im ganzen Walde aufgesucht, und die Freude war auf beyden Seiten sehr groß, da er seinen Herrn endlich gefunden hatte.

In der That fieng Don Sylvio an zu merken, daß es bald Mittagessens-Zeit seyn werde, und es war ihm überaus angenehm, einen Wegweiser bekommen zu haben, der ihn aus diesem Walde, worinn er sich noch nie so weit vertieft hatte, wieder nach Hause führen konnte. Denn so bezaubert die Liebhaber in den neuern Zeiten immer seyn mögen, so ist doch, wie schon ein berühmter Schriftsteller vor uns angemerkt hat, die Mode, ganze Jahre ohne Essen und Trinken nur von der Liebe allein zu leben, heut zu Tag so sehr abgekommen, daß auch der allererhabenste und geistigste Verliebte in diesem Stück ein ausgemachter Epicurer ist! Eine Abänderung, welche wir unsers Orts um so weniger mißbilligen können, da wir glauben, daß sich das schöne Geschlecht nichts desto schlimmer dabey befinden dürfte.

Don Sylvio gieng also, oder stolperte vielmehr mit dem Schatz, den er so unverhoft gefunden hatte, nach Hause; denn er beschaute ihn im gehen so oft, daß er alle Augenblicke über einen Stock fiel, oder an einen Baum anstieß.

Unterwegs gerieth er im Nachsinnen über sein Abentheuer auf tausend wunderliche Gedanken; es fiel ihm ein, ob dieses Gemählde nicht vielleicht die Fee selbst vorstelle, die ihm in Gestalt des blauen Sommer-Vogels erschienen war. Vielleicht liebt sie mich, dachte er, (denn es wäre doch nicht das erstemal, daß ein Sterblicher diese Ehre gehabt hätte,) und sie hat eine Probe machen wollen, was ihre wahre Gestalt für einen Eindruck auf mein Herz machen werde.

Diese Einbildung gefiel ihm so wohl, daß er sie eine lange Weile fortsetzte, allein zuletzt mußte sie doch wieder einer andern Platz machen, und so gieng es an einem fort, bis er zu Hause anlangte. Kurz, der blaue Sommer-Vogel und die schöne Schäferin hatten seiner Phantasie einen so ausserordentlichen Schwung gegeben, daß man sich nicht irren kan, wann man in kurzem sehr seltsame Würkungen davon erwartet.

Es möchte übrigens scheinen, als ob die Thorheit unsers jungen Ritters seit einiger Zeit so stark zugenommen habe, daß der verdächtige Zustand seines Gehirns seiner scharfsichtigen Tante unmöglich habe verborgen bleiben können. In der That wäre es auch nicht anders gewesen, wenn diese Dame Zeit und Musse gehabt hätte, ihren Neffen zu beobachten. Allein ausser dem, daß sie ihn, seitdem er das siebenzehente Jahr zurück gelegt, aus der engern Aufsicht und der strengern Zucht freigelassen hatte, die sich für sein Alter nicht mehr schickten; so war sie seit einigen Wochen mit einer gewissen Sache beschäftiget, um derentwillen sie öfters abwesend zu seyn, und in das benachbarte Städtchen zu fahren genöthiget war.

Vermuthlich mußte diese Angelegenheit von nicht geringer Wichtigkeit für sie seyn; denn, wenn sie wieder zurück kam, schien sie wider ihre Gewohnheit so tiefsinnig und zerstreut, bekümmerte sich so wenig um die Geschäfte des Hauses, redete so viel mit sich selber, und so wenig in Gesellschaft, und sagte, wenn sie mit den Bedienten zu reden hatte, so oft eines für das andre, daß ausser ihrem Neffen jedermann über eine so grosse Veränderung sich nicht genug verwundern konnte.

Es ist leicht zu erachten, daß man über die Ursache derselben allerley Vermuthungen anstellte; allein die Vorsichtigkeit der Donna Mencia, und die Verschwiegenheit der Dame Beatrix hielten so gut aus, daß die Sache ein Geheimniß blieb; und das wollen wir sie auch so lange bleiben lassen, bis die Zeit, die endlich alles offenbar macht, sie zu demjenigen Punct der Reiffe gebracht haben wird, worinn Geheimnisse von dieser Art sich insgemein selbst zu verrathen pflegen.


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