Christoph Martin Wieland
Die Abentheuer des Don Sylvio
Christoph Martin Wieland

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Die Abentheuer des
Don Sylvio von Rosalva.

Zweytes Buch.

Erstes Capitel.

Ein Exempel, daß Sprödigkeit den Zorn der Venus reitzt.

Indessen daß Don Sylvio zu seiner abentheuerlichen Wanderschaft Anstalt machte, war Donna Mencia beschäftiget, ihn durch ein Mittel zurück zu halten, von welchem er sich eben so wenig träumen ließ als sie von seiner Liebe zu einem bezauberten Schmetterling.

Wir haben bereits gemeldet, daß sie seit einiger Zeit häuffige Reisen in das benachbarte Städtchen that, um welche Don Sylvio sich zwar nichts bekümmerte, die aber in der That auf nichts anders abzielten, als ihm einen schlimmern Streich zu spielen, als er von der vereinigten Bosheit aller Fanferlüschen und Carabossen der ganzen Welt nur immer hätte erwarten können.

Man erinnert sich vielleicht noch, daß die Donna Mencia, ungeachtet ihrer ausserordentlichen Sprödigkeit, in ihrer ersten Jugend keine gänzliche Feindin der Liebe gewesen war; und wenn wir die Wahrheit unverblümt sagen sollen, so ist vielleicht niemalen ein Frauenzimmer gewesen, dem die Tugend, wozu die Unbarmherzigkeit der Mannsleute sie verurtheilte, beschwehrlicher gefallen wäre. Man will so gar wissen, daß seit dem sie sich aus der grossen Welt in eine Einsamkeit zurück gezogen, welche der erzwungenen Sprödigkeit nicht sehr günstig zu seyn pflegt, ihre Bedürfnisse mehr als einmal so dringend geworden, daß sie (wenn wir es anders ohne Beleidigung des Geschlechts, zu dem sie gehörte, sagen können) so gar einem gewissen Stallbedienten im Hause, Aufmunterungen gegeben, die vielleicht nicht ohne Würkung geblieben wären, wenn die Reitzungen der jungen Maritorne diesen plumpen Liebhaber nicht gegen alle Vorzüge eines hochadelichen Gerippes unempfindlich gemacht hätten. Was auch an dieser Anecdote seyn mag, so ist gewiß, daß sie in diesem Stück unglücklich genug war, um genöthiget zu seyn, in den unzulänglichen Täuschungen einer aufgereitzten Einbildungs-Kraft den Schatten eines Vergnügens zu suchen, dessen Grösse ihre Unerfahrenheit nach der Wuth ihrer Begierden abmaß. Der Abscheu, den sie vor den Erzählungen eines Bocaz und selbst vor den unschuldigsten Scherzen eines Lope de Vega bezeugte, hinderte nicht, daß die Gespräche, die irgend ein moderner Sotades der berühmten Aloysia Sigea aufgeschoben, das Buch waren, welches allezeit unter ihrem Hauptküssen lag; eine Gewohnheit, die sie vielleicht mit dem Exempel des heiligen Chrysostomus zu rechtfertigen glaubte, welcher den eben so sotadischen Comödien des Aristophanes die nehmliche Ehre wiederfahren ließ.

So unanständig es vielleicht scheinen möchte, daß wir durch Aufdeckung dieser Heimlichkeiten die Vortheile vernichtet haben, welche die Welt von dem erbaulichen Beyspiel der keuschen Donna Mencia hätte ziehen können, so nöthig war es, die Pflichten der historischen Treue in diesem Stücke zu erfüllen, da eine übertriebene Discretion die Wahrhaftigkeit unsrer Geschichte, in Absicht dessen, was wir nun zu melden haben, nicht wenig hätte verdächtig machen können.

Um also unsre Leser nicht länger aufzuhalten, so war es nur mehr als zu gewiß, daß weder ihre Tugend, noch der Stolz auf ihre Geburt noch sechzig Frühlinge, die sie bereits erlebt hatte, ihr zärtliches Herz gegen die Liebe zu schützen vermochten, die ein gewisser Procurator von Xelva so glücklich war ihr einzuflössen.

Sie hatte ihn bey einer bejahrten Freundin kennen gelernt, bey der er in Geschäften öftere Besuche ablegte, und die Nachrichten, die sie von seinen Umständen einzog, schienen dem Anschlag überaus günstig zu seyn, den sie beym ersten Anblick auf seine Person gemacht hatte.

Dieser würdige Mann nennte sich Rodrigo Sanchez, und war, sein Talent für die Rabulisterey ausgenommen, durch seine körperliche Vorzüge merkwürdiger als durch die Annehmlichkeiten seines Geistes. Er war ein untersetzter Mann von mittler Grösse, breit geschuldert, krause Haare, kleine funkelnde Augen, die von grossen schwarzen Augbrauen, wie von einem dunkeln Gebüsche, beschattet wurden, eine grosse Habichts-Nase und ein paar Beine, die im Nothfall stark genug gewesen wären, einen Atlas zu unterstützen.

Wir können nicht für gewiß sagen, ob die Figuren von dieser Art den Spröden von Profeßion überhaupt so gefährlich sind als man bemerkt haben will; gewiß ist, daß Herr Rodrigo in den Augen der Donna Mencia ein Adonis war, und die Ehre hatte beym ersten Anblick über die Abneigung zu siegen, so sie jederzeit gegen den Ehestand hatte spüren lassen, und den Wunsch in ihr zu erregen, mit ihm an dieses Joch gespannt zu werden, ungeachtet er kaum vierzig Jahre hatte, und noch ein Jungeselle war.

Wenn die Augen dieses neuen Adonis nicht dankbar genug waren, in ihr eine Venus zu sehen, so hatte er doch, so bald er merkte, daß es um eine Heurath zu thun sey, einen Beweggrund, der auf Leute von seiner Art eben so kräftig zu würken pflegt, als die persönlichen Reitzungen auf Liebhaber von feinerm Metall.

Der Herr Procurator hatte von einem ältern Bruder, der ein Juwelen-Händler gewesen war, eine Nichte, Mergelina genannt, die seit dem Tode ihrer Eltern, nebst einem Vermögen von hundert tausend Ducaten unter seiner Vormundschaft stund. So gleichgültig ihm seine Nichte für ihre eigene Person war, so zärtlich liebte er ihre Ducaten, und er hatte schon lang umsonst auf ein gesetzmäßiges Mittel studirt, sich derselben, oder doch eines guten Theils davon zu bemächtigen, als die Leidenschaft, die er das Glück hatte der Donna Mencia einzuflößen, ihm eine erwünschte Gelegenheit zu geben schien, seine Absicht zu erreichen. Seine Nichte, welche unstreittig ein sehr reitzendes Vermögen besaß, hatte bereits etliche Freyer abgewiesen, weil sie nur bürgerlich waren; denn sie hatte sichs nun einmal in den Kopf gesetzt, entweder eine Edelfrau zu werden oder als Jungfer zu sterben. Herr Rodrigo zweifelte also nicht sie zu allem zu bereden, was er nur wollte, in so fern er ihr einen Hidalgo zum Mann geben könnte; allein die Schwierigkeit war, einen zu finden, der so gefällig wäre, als es Herr Rodrigo haben wollte. Die Nachrichten, die er von der Freundin der Donna Mencia erhielt, machten ihm Hofnung, daß sich niemand zu seinen Absichten besser schicken könne, als Don Sylvio, welcher ihm als ein junger Edelmann beschrieben wurde, der ohne alle Erfahrung oder Kenntniß der Welt, ungemein großmüthig und dabey gewohnt sey, sich in allem von seiner Base regieren zu lassen. Er beschloß also sein Glück zu versuchen, und von dem verliebten Anstoß der alten Mencia so viel Vortheil zu ziehen, als nur immer möglich seyn möchte. Freylich spielte er die Rolle eines seufzenden Schäfers so lächerlich, als man sich vorstellen kan, allein er brachte doch Feuer genug darein, um eine so zärtliche Person, als Donna Mencia war, zu überreden, daß er der Verliebteste unter allen Menschen sey.

Allein, so bald sich diese Dame ihres Sieges gewiß hielt, erinnerte sie sich dessen, was sie ihrer Tugend und ihrem Character schuldig war, und machte so viele Umstände, daß der Herr Procurator, welcher sich wenig auf die Kunst verstund, die Spröden zahm zu machen, die Gedult zehnmal verlohren hätte, wenn er durch keine stärkere Gewalt als die bejahrten Annehmlichkeiten seiner Grausamen zurück gehalten worden wäre. Das beste für ihn war, daß es ihr selbst so viel Mühe kostete, die keusche Flamme, wovon sie brannte, zu verbergen, daß sie für gut befand, seine Probzeit um so mehr abzukürzen, als sie keine Ursache hatte an der Stärke seiner Leidenschaft zu zweifeln. Sie willigte also endlich ein den Herrn Rodrigo glücklich zu machen, die zweifache Heurath des Oheims mit der Tante, und des Neffen mit der Nichte wurde beschlossen, und der Herr Procurator setzte einen Contract auf, worinn die Vortheile der erstern nicht vergessen waren.

Donna Mencia hatte ihren Neffen allzuwohl gezogen, als daß sie an seiner Einwilligung im geringsten hätte zweifeln sollen. Indeß machte ihr der Gedanke doch einige Mühe, daß diese doppelte Verbindung dem Adel ihres Geschlechts, auf den sie immer stolz gewesen war, in den Augen der Welt nicht wenig derogiren würde; und so sehr auch die Heftigkeit ihrer Leidenschaft durch die blendenden Verdienste des Herrn Rodrigo Sanchez gerechtfertiget zu werden schien, so würde sie sich doch kaum haben entschliessen können, derselben eine so grosse Bedenklichkeit aufzuopfern, wenn Herr Rodrigo, der ein starker Genealogiste war, ihr nicht Hofnung gemacht hätte, in kurzem einen Stammbaum zu Stande zu bringen, in welchem er den Ursprung seiner Familie in gerader Linie von einem natürlichen Sohn des Castilianischen Königs Sancho des Grossen herleiten wollte.


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