Christoph Martin Wieland
Die Abentheuer des Don Sylvio
Christoph Martin Wieland

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Der Urheber dieses Unwesens war ein Wallfisch, aber ein Wallfisch, dergleichen man nicht alle Tag sieht; denn diejenigen, die man an den Grönländischen Küsten zu fangen pflegt, waren in Vergleichung mit ihm nicht viel grösser als die winzigen Thierchen, die man durch Vergrösserungs-Gläser bey vielen tausenden in einem Tropfen Wassers herum schwimmen sieht. So oft er schnaubte, welches gemeiniglich alle vier Stunden geschah, so entstund ein Sturmwind, und die Wasserströme, die er aus seinen Naslöchern ausspritzte, verursachten Platzregen und Wolkenbrüche auf fünfzig Meilen in die Runde. Die Bewegung des Meers war so heftig, daß Biribinker sich nicht länger auf seinem Delphin erhalten konnte, sondern sich den Wellen überlassen mußte, die ihn wie einen Ball herum schleuderten, bis er zuletzt von der Luft, die der Wallfisch einathmete, wie von einem Wirbelwind ergriffen, und durch eines von den Naslöchern des Ungeheuers hinab gezogen wurde. Er fiel ein paar Stunden lang in einem fort, ohne daß er in der Betäubung wußte, wie ihm geschah; endlich aber merkte er, daß er in ein grosses Gewässer fiel, womit eine Höle im Bauch des Wallfisches angefüllt war. Es war ein kleiner See, der etwan fünf bis sechs deutsche Meilen im Umkreiß hatte; und vermuthlich würde Biribinker das Ende aller seiner Abentheuer darinn gefunden haben, wenn er nicht zu gutem Glück, sich so nah am Ufer einer Insel oder Halbinsel gesehen hätte, daß er kaum zwey hundert Schritte zu schwimmen hatte, um auf dem Trocknen zu seyn.

Die Noth, die Erfinderin aller Künste, lehrte ihn dißmal schwimmen, ob es gleich das erstemal in seinem Leben war. Er kam glücklich ans Ufer, und nachdem er sich auf einem Felsen, der zwar wie andere Felsen von Stein, aber so weich wie ein Polster war, zurecht gesetzt hatte, erquickte er sich, indeß daß seine Kleider an der Sonne trockneten, an den lieblichen Gerüchen, die ihm ein kühler Landwind aus einem Wald von Zimmet-Stauden, der das Ufer bekränzte, entgegen wehte. Weil er aber begierig war, das Land in Augenschein zu nehmen, und sich zu erkundigen, ob und von wem es bewohnt sey, so stieg er, so bald er sich in etwas erhohlt hatte, von seinem Felsen herab, und strich eine halbe Stunde lang im Wald herum, bis er endlich in einen grossen Lustgarten kam, worinn alle mögliche Bäume, Stauden, Gewächse, Blumen und Kräuter des ganzen Erdbodens in der anmuthigsten Unordnung durch einander geworfen waren. Die Kunst war in der Anlegung desselben so versteckt, daß alles ein blosses Spiel der Natur zu seyn schien. Hier und da sahe er Nymphen von blendender Schönheit unter Gebüschen oder in Grotten liegen, und kleine Bäche aus ihren Urnen giessen, die den Garten durchschlängelten, an vielen Orten in allerley Figuren in die Höhe spielten, an andern Wasserfälle machten, oder in marmorne Becken sich sammelten. Diese Brunnen wimmelten von allen Arten von Fischen, welche, wider die Gewohnheit der Geschöpfe von ihrer Gattung, so lieblich sangen, daß Biribinker ganz davon bezaubert wurde. Insonderheit bewunderte er einen gewissen Karpfen, der die schönste Discant-Stimme von der Welt hatte, und einen Triller schlug, der dem besten Castraten Ehre gemacht hätte. Der Prinz hörte ihm eine geraume Weile mit gröstem Vergnügen zu; da ihn aber alle diese Wunderdinge nur desto begieriger machten, zu erfahren, wem diese bezauberte Insel gehöre, und ob er sich würklich, wie er glaubte, in der unterirrdischen Welt befinde, so that er deßwegen verschiedene Fragen an die besagten Fische; denn er dachte, weil sie so schön sängen, so würden sie vermuthlich auch reden können. Allein die Fische sangen immer fort, ohne ihm zu antworten, oder nur Acht darauf zu geben, was er sagte.

Er gab es also endlich auf, und gieng immer weiter fort, bis er in einen grossen Krautgarten kam, der mit allen Arten von Salat, Wurzel-Werk, Schotten- und Ranken-Gewächsen besetzt war, die dem Ansehen nach, ohne Pflege, wiewohl so schön als nur möglich ist, in regellosem Ueberfluß hervor wuchsen. Indem er sich nun so gut er konnte, einen Weg durch diese Wildniß machte, stieß er von ungefehr mit dem rechten Fuß an einen grossen Kürbis, der so ziemlich dem Wanst eines schinesischen Mandarins gleich sahe, und den er unter seinen breiten Blättern nicht gleich wahrgenommen hatte.

Herr, Biribinker, rief ihm der Kürbis zu, ein andermal seyn sie so gut, und schauen ein wenig unter ihre Füsse, eh sie einem ehrlichen Kürbis auf den Nabel treten. Ich bitte sehr um Vergebung, Herr Kürbis, sagte Biribinker; es geschah in der That nicht aus Vorsatz, und ich würde mich gewiß besser vorgesehen haben, wenn ich hätte vermuthen können, daß die Kürbisse in dieser Insel so wichtige Personen sind, als ich nun sehe. Indeß bin ich doch erfreut, daß mir dieser kleine Zufall das Vergnügen verschaft hat, mit ihnen Bekanntschaft zu machen; denn ich hoffe, sie werden mir die Gefälligkeit nicht versagen, mich zu belehren, wo ich bin, und was ich aus allem machen soll, was ich hier sehe und höre?

Prinz Biribinker, antwortete der Kürbis, ihre Gegenwart ist mir allzu angenehm, als daß ich mir nicht das gröste Vergnügen daraus machen sollte, ihnen alle die kleinen Dienste zu leisten, die von mir abhangen. Sie befinden sich im Bauch eines Wallfisches, und diese Insel – – Im Bauch eines Wallfisches, rief Biribinker, indem er ihn unterbrach – – das übertrift noch alles, was mir bisher begegnet ist. Nun schwöre ich ihnen, Herr Kürbis, daß ich mich in meinem Leben über nichts mehr verwundern will. Wahrhaftig! wenn es im Bauch eines Wallfisches Luft und Wasser, Inseln und Lustgärten, ja wie ich merke, Sonne, Mond und Sterne gibt, wenn die Felsen darinn so weich wie Polster sind, die Fische singen, und die Kürbisse reden – – Was diesen Punct betrifft, unterbrach ihn der Kürbis gleichfalls, so belieben sie sich sagen zu lassen, daß ich hierinn einen Vorzug vor allen andern Kürbissen, Gurken und Melonen in diesem Garten habe; sie hätten hundert andere mit Füssen tretten können, ohne nur einen Ton von ihnen heraus zu bringen – – – –

Ich bitte sie nochmals um Vergebung, erwiederte der Prinz – – das haben sie gar nicht nöthig, sagte der Kürbis; ich versichere ihnen, es wäre mir leyd, wenn es mir nicht begegnet wäre; ich warte hier schon so lange auf ihre Ankunft, und die Zeit wurde mir endlich so lange, daß ich schon zu verzweiffeln anfieng, diese glückliche Begebenheit jemals zu erleben. Glauben sie mir für einen, der nicht dazu gebohren ist, ist es eine verdrießliche Sache, hundert Jahre lang ein Kürbis zu seyn, zumal wenn man die Conversation liebt und gute Gesellschaft gewohnt ist. Aber die Zeit ist nun gekommen, da sie mich an dem verfluchten Padmanaba rächen werden. Was sagen sie mir von Padmanaba? rief Biribinker; meynen sie den Zauberer, der die schöne Cristalline in einen Nacht-Topf verwandelte, und die noch schönere Mirabella verurtheilte, ein Crocodill zu werden, so oft sie ihre Tugend auf die Probe setzen wollte? Diese Frage, erwiederte der Kürbis, versichert mich, daß ich mich nicht betrogen habe, da ich sie für den Prinzen Biribinker hielt; ich sehe daraus, daß die Helfte der Bezauberungen des alten Gecken schon vernichtet sind, und daß der Augenblick meiner Befreyung da ist – – Haben sie sich also auch über ihn zu beklagen, fragte Biribinker?

Nehmen sie mir nicht übel, antwortete der Kürbis, wenn mich diese Frage zu lachen macht, (und in der That lachte er so laut, daß er wegen seines kurzen Athems, der eine Folge seines gewaltigen Schmeerbauchs war, eine gute Weile keuchen und husten mußte, bis er wieder reden konnte.) Merken sie dann nicht, fuhr er fort, daß ich etwas bessers seyn muß, als ich aussehe? Hat ihnen die schöne Mirabella nicht von einem gewissen Salamander gesagt, der das Glück hatte in gewissen Umständen von dem alten Padmanaba überrascht zu werden – – Ja wohl, sagte Biribinker, sie sprach mir von einem gewissen geistigen Liebhaber, der ihre Seele mit den Geheimnissen der Philosophie des Averroes unterhielt, damit sie die kleinen Experimente nicht beobachten möchte, die er indessen – – Sachte, sachte, rief der Kürbis, ich sehe, daß sie mehr von mir wissen, als sie allenfalls nöthig gehabt hätten; ich bin dieser Salamander, dieser Flox, der, wie ich sagte, und wie sie schon wußten, so glücklich war, die schöne Mirabella wegen der frostigen Nächte zu entschädigen, die sie mit dem alten Zauberer zuzubringen genöthiget war. Die vorerwähnte Scene, wobey er die Thorheit hatte, einen ungebetenen Zuschauer abzugeben, setzte ihn in eine Art von Verzweiflung, ohne ihn von der Liebes-Krankheit zu heilen, womit er lächerlicher Weise behaftet war. Sein Pallast, ja ein jeder anderer Aufenthalt, den er, in welchem Element er gewollt hätte, wählen konnte, wurde ihm verhaßt; er traute weder Sterblichen noch Unsterblichen; Gnomen und Sylphen, Tritonen und Salamander waren ihm alle gleich verdächtig; und er hielt sich nirgends sicher als in einer gänzlichen und unzugangbaren Einsamkeit. Nach vielen andern Projecten, die er eben so bald verwarf als machte, fiel ihm endlich ein, sich in den Bauch des Wallfisches zurück zu ziehen, wo ihn, dacht er, gewiß niemand suchen würde. Er ließ sich durch eine Anzahl Salamander einen Pallast darinn erbauen, und damit sie ihn nicht verrathen könnten, so verwandelte er sie, nebst mir, in eben so viele Kürbisse, mit der Bedingung es so lange zu bleiben, bis der Prinz Biribinker uns unsere erste Gestalt wieder geben würde. Ich war der einzige von allen, dem er den Gebrauch der Vernunft und der Sprache ließ, wovon die erste, wie er glaubte, mir zu nichts nützen konnte, als mich durch die Erinnerungen meiner verlohrenen Glückseligkeit zu peinigen, und die andere zu nichts als manchem eiteln Ach! und O! oder Gesprächen, worinn ich die Mühe nehmen müßte, mir die Antworten selbst zu geben. Allein in diesem Stück betrog sich der weise Mann ein wenig, denn so ungünstig auch immer die Figur und Organisation eines Kürbis zu Beobachtungen seyn mag, so geschickt ist sie hingegen zu Betrachtungen à priori; und mit alle dem entdeckt man doch in hundert Jahren nach und nach eines oder anders, was entweder unsere schon gefaßte Hypothesen bestättiget, oder uns auf die Spur einer neuen bringt. Kurz, ich bin der kleinen Angelegenheiten des Herrn Padmanaba so unkundig nicht als er vielleicht denkt, und ich hoffe ihnen Anleitungen zu geben, wodurch sie in den Stand gesetzt werden sollen, alle seine Vorsichtigkeit zu vereiteln.

Ich würde ihnen sehr dafür verbunden seyn, erwiederte der Prinz; ich weiß nicht was für einen sonderbaren Beruf ich in mir spüre, dem guten Padmanaba Streiche zu spielen; vermuthlich ist es der Einfluß meines Gestirns, der mich dazu dahin reißt; denn ich wüßte nicht, daß er mich jemals in seinem Leben persönlich beleidiget haben sollte. Ist es nicht Beleidigung genug, sagte der Kürbis, daß er Ursache ist, daß ihnen der grosse Caramussal, der auf der Spitze des Berges Atlas wohnt, den Namen Biribinker gegeben hat? einen Namen, der ihnen bey ihrem geliebten Milchmädchen schon dreymal so fatal gewesen ist? – – So ist also der alte Padmanaba schuld daran, daß ich Biribinker heisse? fragte der Prinz voller Verwunderung; erklären sie mir doch ein wenig, wie diese Dinge zusammen hangen; denn ich gestehe ihnen, daß ich mir den Kopf schon oft vergeblich zerbrochen habe, um hinter das Geheimniß meines Namens zu kommen, welchem ich, wie es scheint, alle meine seltsame Begebenheiten zu danken habe. Insonderheit möchte ich doch wissen, wie es zugeht, daß jedermann, wo ich hinkomme, bis auf die Kürbisse, mich gleich bey meinem Namen nennt, und von allen Umständen meiner Geschichte so gut benachrichtiget ist, als ob sie mir an der Stirne geschrieben stünden.

Es ist mir noch nicht erlaubt, antwortete der Kürbis, ihre Neugier über diesen Punct zu befriedigen; genug, daß es nur von ihnen abhängt, sich vielleicht nach dieser Abrede ins Klare zu setzen. Die gröste Schwierigkeit ist nun einmal überstanden; Padmanaba dachte wohl nicht, daß sie ihn im Bauch seines Wallfisches finden würden. Ich bekenne ihnen aufrichtig, unterbrach ihn Biribinker, daß ich noch weniger daran dachte, und sie werden gestehen müssen, daß er wenigstens alles gethan hat, was möglich war, um seinem Schicksal zu entgehen. Aber sie erwähnten eines Pallasts, den sich ihr Alter von Salamandern in dieser Insel habe bauen lassen; ich denke wir sind hier in den Gärten, die dazu gehören, warum sehe ich denn nirgends keinen Pallast? Die Ursache ist ganz natürlich, antwortete der Kürbis; sie würden ihn unfehlbar sehen, wenn er nicht unsichtbar wäre. Unsichtbar, rief Biribinker; so wird er doch nicht unfühlbar seyn, hoffe ich? das nicht, antwortete Flox, aber da er aus gediegenen Flammen erbaut ist – – – –

Sie sagen mir von einem seltsamen Pallast, unterbrach ihn Biribinker abermal; aber wenn er aus Flammen erbaut ist, wie kan er denn unsichtbar seyn? darinn besteht eben das wunderbare von der Sache, antwortete der Kürbis; es mag nun möglich oder unmöglich seyn, so ist es nicht anders; sie können den Pallast nicht sehen, wenigstens nicht in dem Stande, worinn sie jetzt sind; aber gehen sie nun ungefehr zwey hundert Schritte gerade fort, so wird die Hitze, die sie empfinden werden, sie bald genug überzeugen, daß ich ihnen die Wahrheit sage.

Die ausserordentliche Dinge, welche Biribinker bereits im Bauche des Wallfisches gesehen hatte, (und was kan man auch im Bauch eines Wallfisches anders erwarten als ausserordentliche Dinge?) hätten ihn billig geneigt machen sollen, alles glaubwürdig zu finden, was man ihm sagte; dem ungeachtet war er dißmal so eigensinnig, daß er nur sich selbst glauben wollte. Er gieng also auf den unsichtbaren Pallast zu; aber kaum war er hundert Schritte fortgegangen, so spürte er bereits einen merklichen Grad von Hitze, die ihm mit einem gewissen unsichtbaren Glanz, der ihm die Augen übergehen machte, entgegen kam. Die Wärme und der Glanz nahmen immer zu, je weiter er fortgieng, bis beyde in kurzem so durchdringend wurden, daß es nicht länger auszustehen war. Er gieng also wieder zurück, und suchte seinen Freund, den Kürbis, der ihm, so bald er ihn wieder kommen hörte, entgegen rief. Nun, Prinz Biribinker, werden sie mir künftig glauben, wenn ich ihnen etwas sage? Wenigstens begreiffen sie doch, hoffe ich, daß nichts natürlichers seyn kan, als daß ein Pallast von gediegenen Flammen vor Hitze unzugangbar, und vor lauter Glanz und Schimmer unsichtbar ist.


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