Christoph Martin Wieland
Die Abentheuer des Don Sylvio
Christoph Martin Wieland

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Fünftes Capitel.

Worinn die Geschichte nach Rosalva zurück kehrt.

Der wahrhafte Urheber dieser merkwürdigen und kurzweiligen Geschichte, findet hier nöthig den Lauf seiner Erzählung einen Augenblick zu unterbrechen, um den Leser zu berichten, was indessen in dem Schlosse zu Rosalva vorgegangen.

Die arme Maritorne, die wir nebst ihrem getreuen Pyramus, auf dem Wege nach dem Barbier, unter dem Schutz der Nymphen und Waldgötter haben einschlafen lassen, erwachte mit dem Anbruch des Morgens nicht so bald, als sie sich erinnerte, daß sie abgeschickt worden war, Meister Blas, den Barbier, abzuholen. Sie besann sich, was sie sagen wollte, wenn man sie um die Ursach ihres langen Aussenbleibens fragen würde, und da ihr nichts einfallen wollte, so fieng sie an sich ihre schönen goldfarben Haare auszurauffen, und ein so klägliches Geschrey zu erheben, daß ihr Liebhaber daran erwachte, und nach der Ursach ihrer Verzweiflung fragte. Hast du nichts als das, mein Schnäuzchen, rief er, als sie ihm ihr Anliegen eröfnet hatte, da will ich bald Rath geschaft haben. Ich kenne Meister Blasen sehr wohl, er ist in ein gewisses junges Mädchen verliebt, ein hübsches rundes rothbackichtes Mensch, das eine Viertelstunde weit von seinem Flecken in einem Pachthof wohnt, denn sie ist des Pachters seine leibliche Tochter; und weil er, wie alle Leute sagen, eine gute Cither schlägt, so vergeht keine Nacht, daß er nicht bis Morgens um zwey unter ihrem Kammerfenster sitzt und klimpert, und singt bis ihm die Finger und das Maul abfallen möchten. Du darfst also diesen Morgen nur zu ihm gehen, und sagen, du seyest in der Nacht schon da gewesen, und habest ihn nicht angetroffen; hernach bring ihn mit, und sag der gnädigen Frau, du habest gewartet, bis er heim kommen, oder so was, sie wird nicht so genau nachfragen. Aber das sag ich dir, Maritorne, mein Täubchen, schäkre mir nicht mit ihm, siehst du? Meister Blas ist ein loser Kautz, der sich gerne zutäppisch macht, und das will ich nicht haben, hörst du's? Sapperment, ich verstehe keinen Spaß nicht, was das anbetrift.

Maritorne, welche nun wieder vollkommen getröstet war, sparte nichts ihren Liebhaber über diesen Punct zu beruhigen, und Jago, auf den der Morgen eben so mächtige Einflüsse hatte als die Nacht, überzeugte sie von neuem wie würdig er ihrer Treue sey. Allein aus Furcht die aufgehende Sonne über ihr Glück eifersüchtig zu machen, entriß er sich endlich ihren Armen, und schlich in gröster Stille seinem Stalle zu, wo er auf halb verfaultem Stroh und einem paar alten Maul-Esel-Decken, neben zwey oder drey Gespenstern von ehmaligen Pferden, in Ermanglung eines bessern sein Lager zu haben pflegte.

Es war ungefehr morgens um sechs Uhr, als Donna Mencia erwachte, das Verlangen nach dem glücklichen Zeitpunct, von welchem sie, kraft der hohen Meynung, die sie von ihren Reitzungen hatte, sich eine angenehmere Art zu erwachen versprach, erinnerte sie an den Anstoß, den ihr Neffe gestern gehabt hatte, und der ihre Sehnsucht mit höchst beschwerlichen Verzögerungen bedräute. Sie stund auf, warf einen Schlafrock um sich, und lief gerade nach seinem Zimmer, um zu sehen, wie er die Nacht zugebracht hätte. Sie riß wie man denken kan ein paar grosse Augen auf, da sie weder von dem Herrn noch von dem Diener die geringste Spur antraf. Nachdem sie ihn nun allenthalben, wo er zu suchen war, vergeblich gesucht hatte, rief sie das ganze Hauß zusammen, und setzte jedermann durch die Nachricht, daß der junge Herr und Pedrillo unsichtbar worden seyen, in die äusserste Bestürzung. Diejenige allein, welche jemals geliebt haben, wie Donna Mergelina liebte, können sich den Schmerz vorstellen, der bey einer so unverhoften Zeitung ihre zärtliche Brust zerriß. Sie würde, die gute Seele, ohnmächtig hingesunken seyn, wenn ihr nicht der Arm ihres besorgten Oheims und das englische Salz der präsumtiven Tante, noch in Zeiten zu Hülfe gekommen wären. Man hörte eine gute Weile nichts als Jammern und Wehklagen; allein die Dame Beatrix, welche schon seit geraumer Zeit sehr ernsthafte Absichten auf den Pedrillo hatte, und sich schmeichelte keinen kleinen Antheil an seinem Herzen zu haben, wollte nichts davon hören, daß sie entlaufen seyn sollten. Sie werden, sagte sie, irgendwo im Garten oder im grünen Lusthause seyn, wo Don Sylvio den Morgen öfters zuzubringen pflegt.

Auf dieses Signal lief jedermann in den Garten, man vertheilte sich auf alle Seiten, man durchsuchte alle Stauden und Hecken, man durchnisterte bis auf die Kohlsträuche, und da man niemand fand, so fieng man wieder von vorne an. Maritorne, die inzwischen auch angelangt war, mischte sich nebst dem Barbier so herzhaft unter die Suchenden, als ob nichts vorgegangen wäre; denn sie hatte die Vorsichtigkeit gebraucht, und ungeachtet des Verbots ihres Liebhabers, sich des Barbiers durch gewisse kleine Gefälligkeiten versichert, wodurch sie den Vortheil, ungezankt durchzuwischen, nicht zu theuer zu erkaufen glaubte. Es fehlte also nicht an Suchern, aber man fand nichts desto mehr; und nachdem man so wohl den Garten als den Park, und einen Theil des angrenzenden Holzes bis gegen den Mittag durchsucht hatte, so sah man sich endlich gezwungen, unverrichteter Dingen in das Schloß zurück zu kehren, wo Donna Mencia alle Anwesende in einen grossen Saal zusammen berief, um sich über einen so unvermutheten und höchst betrübten Vorfall zu berathschlagen. Man warf tausenderley Fragen mit einmal auf, eine jede Person hatte ihre besondere Vermuthungen und Vorschläge, und weil alle zugleich redeten, so wurde der Lerm so groß, daß niemand sein eigenes Wort hören konnte: bis endlich das Ansehen des Herrn Rodrigo, wiewohl nicht ohne Mühe, so viel vermochte, daß nach vorhergehendem allgemeinem Stillschweigen, eine Person nach der andern ihre Meynung sagen sollte. Alle nur ersinnliche Möglichkeiten wurden erschöpft, und insonderheit thaten Herr Rodrigo, der ein starker Dialecticus war, und eine vortreffliche Baßstimme hatte, und Meister Blas der Barbier, der wegen Geläufigkeit seiner Zunge Obermeister seiner ganzen Zunft zu seyn verdiente, sich so sehr hervor, daß die Seßion bis Nachmittags um zwey Uhr daurte. Allein, wie es darum zu thun war, daß die Stimmen gesammelt und der Schluß angezeigt werden sollte, gab es wieder einen neuen Tumult; ein jedes behauptete seine Meynung, und nachdem sich die Dame Beatrix und der Barbier alle nur ersinnliche Mühe gegeben hatten, die Ruhe wieder herzustellen, so wurde man endlich des Schlusses einig, »daß man nicht begreiffen könne, wo sie hin gekommen seyn möchten.« Weil es nun schon drey Uhr war, und jedermann hungerte, so wurde einhellig für gut befunden, »daß man vorher zu Mittag essen, hernach aber in einer zweyten Session untersuchen wolle, was nunmehr in der Sache zu thun seyn möchte.«

Der Spanische Autor, der im Gefolg eines bekannten Ministers seiner Nation sich etliche Jahre in D** aufgehalten, nimmt sich die Freyheit, bey dieser Gelegenheit sich über gewisse kleine Republiquen lustig zu machen, von denen er beobachtet haben will, daß die Berathschlagung im Saale der Donna Mencia eine natürliche Copey von der Art und Weise sey, wie man in selbigen die öffentlichen Angelegenheiten zu behandeln pflege. Man muß gestehen daß die Anecdoten, die er davon beybringt, nicht sehr geschickt sind, die Republicanische Verfassung anzupreisen; allein von einem Spanier, dessen ganze Freyheit darinn besteht, daß er das Recht hat mit zwey oder drey Brillen auf der Nasen und mit verschränkten Beinen vor seinem Hause zu sitzen, sich die Zähne auszustochern und so viel Grillen zu fangen als ihm beliebt, ist freylich nicht zu erwarten, daß er die Gebrechen der politischen Freyheit im gehörigen Verhältniß mit ihren Vortheilen betrachte; und wie sollte er, der von der vermeynten Erhabenheit seiner Nation und von der Grösse seines Königs verblendet ist, die Beobachtung machen können, daß es oft mehr Geschicklichkeit erfordert, die verwickelten Triebräder eines kleinen Staats von freyen Menschen zu regieren als einer halben Welt von Sclaven zu befehlen. Man weißt wie weit auch in diesem Stücke die Vorurtheile gehen, und wenn Don Ramiro von Z** uns andern kleinen Republicanern in der Berathschlagung zu Rosalva einen Spiegel vorzuhalten meynt, so könnten wir ihm vielleicht Beyspiele aus der Geschichte grosser Monarchien entgegen halten, wo nach einer Menge von geheimen Conferenzen zuletzt doch der Einfluß eines Kammer-Mädchens, eines Comödianten, oder eines Hofnarren die ganze vereinigte Weißheit von einem paar dutzend Spanischen Mänteln und langen Perucken überwogen hat.

Dem sey indessen wie ihm wolle, so wird verhoffentlich niemand dem Uebersetzer übel ausdeuten, daß ihm der patriotische Geist, wovon er beseelt ist, nicht erlaubt hat eine Stelle zu übersetzen, welche von den Neidern der Republicanischen Glückseligkeit nicht wenig hätte mißbraucht werden können. Die Rücksicht auf unser Vaterland ist eine Pflicht, die sich bis auf unsre kleinsten Handlungen erstreckt, und wenn nur derjenige den Nahmen eines guten Bürgers verdient, der mit dem gegenwärtigen Zustande seiner Republik zufrieden ist; so wird man den Abscheu nicht tadeln können, welchen man in kleinen freyen Staaten gegen alles, was nur von fern die Mine einer politischen Satyre hat, mit so grossem Recht zu bezeugen gewohnt ist. Ferne sey es von uns, die stolze Ruhe und den süssen Schlummer, worinn dißfalls unser Vaterland liegt, nur einen Augenblick zu unterbrechen! Don Ramiro mag beobachtet haben was er will, wir hüllen uns in unsern Patriotismus ein, beissen die Zähne zusammen und sind zufrieden.


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