Christoph Martin Wieland
Die Abentheuer des Don Sylvio
Christoph Martin Wieland

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Eilftes Capitel.

Eines von den gelehrtesten Capiteln in diesem Wercke.

Der Geschmack der Leute in der Welt ist so verschieden, daß wir nicht davor stehen können, ob sich nicht Leser finden werden, die sich für die Dame Laura, ob sie gleich nur eine Schöne von der zweyten Classe, oder, um uns gelehrt auszudrücken, eine Dea minorum Gentium ist, vielleicht stärker intereßiren als für ihre Gebieterin selbst. Sollte es solche Liebhaber geben, so werden sie vermuthlich nicht wohl auf uns zu sprechen seyn, daß wir ihnen nicht auch einen Auszug der Geschichte der schönen Laura mittheilen. Allein wir ersuchen sie, sich zu erinnern, daß wir bereits so viel von diesem jungen Frauenzimmer gesagt haben, als man nöthig hatte, um zu sehen, daß sie eine artige, hübsche, witzige und ziemlich lebhafte kleine Person war, und dieses ist, däucht uns, das merkwürdigste, was wir von ihr sagen konnten. Denn was ihre Geschichte betrift, so war sie ein Kammer-Mädchen, und die Geschichte der Kammer-Mädchen ist, wie man weiß, wenigstens nach dem ordentlichen Lauf der Natur, in der ganzen Welt eine und eben dieselbige.

Der berühmte P. Sanchez merket in seinem eben so keuschen als lehrreichen Buche, de Matrimonio an, daß eine angehende Liebe anders auf eine junge Wittwe, und anders auf ein junges Mädchen würke; die erste, sagt er, wird davon munter, aufgeweckt, muthwillig; da man hingegen an der andern ein in sich selbst hinein gezogenes Staunen, und eine stille Schwermuth bemerkt, welche (setzt dieser vortreffliche Mann hinzu) die Würkung des geheimen innerlichen Abscheus ist, den die Seele vor der Gefahr empfindet, aus dem glorreichen Stande der Engel herab zu stürzen, und in eine grobe materielle Leidenschaft zu sinken, die in ihren Folgen endlich zu einer so unanständigen Verkörperung führt, als diejenige ist, wodurch die Welt mit Sünden bevölkert wird.

Wir haben eine zu tiefe Ehrfurcht für die H. Inquisition, als daß wir uns unterstehen sollten, einen so grossen Mann auch nur des kleinsten Irrthums zu beschuldigen; wir wollen also lieber sagen, die Natur habe sehr unrecht gethan, daß sie, ohne die geringste Achtung für die Autorität eines Mannes, der so viel neue Sünden erfunden hat, in der schönen Felicia und ihrer Vertrauten gerade das Wiederspiel von seiner Beobachtung zu würken sich erkühnt habe. Denn so widersinnisch es immer scheinen mag, so gewiß ist es, und so wenig können wir läugnen, daß auf der Reise nach Lirias, wovon jetzt die Rede ist, die junge Wittwe staunend und stillschweigend, und das Mädchen, ungeachtet der Gefahr, vor der ihrer jungfräulichen Seele hätte schauern sollen, so fröhlich und bey so guter Laune war, daß die allerseraphischste Schwester der H. Clara in Versuchung hätte gerathen mögen, sich an ihren Platz zu wünschen. Sie hatten bereits ein ziemliches Stück Weges zurück gelegt, ohne daß Donna Felicia, so begierig auch die muntere Laura auf das Signal wartete, ihren Einfällen Luft zu machen, nur einen einzigen Laut von sich gegeben hätte; es wäre dann, daß man einen Seufzer hieher rechnen wollte, der ihr ungefehr entwischte, eigentlich zu reden aber nur ein Fragment von einem Seufzer war, indem sie ihn eben noch früh genug ertappt hatte, um zwey Drittel davon in ihren verschwiegenen Busen zurück zu drücken.

Endlich konnte es Laura, die für ein Kammer-Mädchen ausserordentlich lange geschwiegen hatte, nicht länger aushalten; sie machte den Anfang mit einer Frage, die wieder eine andre nach sich zog, und so erhub sich nach und nach zwischen ihr und ihrer Gebieterin oder Freundin, (denn sie war in der That beydes) eine Unterredung, die wir unsern geehrten Lesern von Wort zu Wort mittheilen wollen, wie Pedrillo sie in der Folge aus den corallenen Lippen seiner Nymphe unmittelbar vernommen zu haben, uns selbst versichert hat.


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