Christoph Martin Wieland
Die Abentheuer des Don Sylvio
Christoph Martin Wieland

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Die Abentheuer des
Don Sylvio von Rosalva.

Viertes Buch.

Erstes Capitel.

Worinn der Autor eine tiefe Einsicht in die Geheimnisse der Ontologie an den Tag legt.

Wenn jemals ein Mensch sich in einer seltsamen Verfassung befunden hat, so war es Pedrillo, nachdem er die schönen Geschöpfe, mit denen wir ihn im vorigen Buch zusammen gebracht, aus dem Gesichte verlohren hatte. Die Verwirrung, die diese Erscheinung in seinem Kopf und in seinem Herzen zurück ließ, war so groß, daß uns die blosse Bemühung eine Beschreibung davon zu machen, beynahe in eine eben so grosse Verwirrung setzt. Ob er gewacht oder geträumt habe, ob es Feen oder Sterbliche gewesen, ob sie verschwunden oder davon geflogen seyen, das waren Fragen, die er sich immer weniger beantworten konnte, je öfter er sie sich machte. Nachsinnen ist in der That nicht jedermanns Sache. Pedrillo wenigstens wußte so wenig damit umzugehen, daß er sich endlich in seinen eigenen Gedanken wie in einem Netze gefangen sah, worinn er sich immer desto mehr verwickelte, je mehr er sich bemühte loß zu kommen; kurz, nachdem er eine gute Viertelstunde lang mit sich selbst gestritten hatte, so hörte er endlich damit auf, daß er im ganzen Ernst an seinem eignen Daseyn zu zweifeln anfieng.

Unter allen Zweifeln, denen die arme blödsinnige Vernunft des Menschen ausgesetzt ist, wird man vielleicht keinen finden, der sich weniger in die Länge aushalten läßt als dieser; auch war es dem guten Pedrillo nicht anders dabey zu Muthe, als ob er mit der Geschwindigkeit einer Trille oder eines Wind-Mühlen-Rads um seine eigene Achse herum getrieben würde.

Vielleicht möchte man denken, wenn er ein Cartesianer gewesen wäre, so hätte er sich durch das berühmte, cogito, ergo sum, gar leicht aus seinem Zweifel heraus helfen können. Allein in den Umständen, worinn der arme Knabe war, hätte vielleicht Cartesius selbst sein Latein dabey verlohren; denn er dachte würklich gar nichts, und wenn er in einem solchen Zustande ja noch fähig gewesen wäre, einen Syllogismus zu machen, so würde doch der Cartesianische Grundsatz zu nichts anderm gedient haben, als ihn aus den Zweifeln an seinem Daseyn in die Gewißheit, daß er nicht sey, zu stürzen, welches in der That nicht viel besser gewesen wäre als ex Scyllâ in Charybdin oder aus dem Regen unter die Trauffe zu kommen.

Man muß gestehen, daß der rohe natürliche Mutterwitz, Instinct, Sensus communis, oder wie man es sonst nennen will, (denn über Worte werden wir niemalen keinen Streit anfangen) seinem Besitzer zuweilen weit nützlicher ist als die subtilste Vernunft. Wäre Pedrillo ein Metaphysicus gewesen, so würde er gewiß bey dem Zweifel an seinem Daseyn nicht stille gestanden seyn; er würde so lange nachgegrübelt, reflectirt, analysirt, abstrahirt, distinguirt und combinirt haben, bis er sich selbst, und vermuthlich auch allen andern Dingen die Würklichkeit, ja wohl gar die Möglichkeit selbst völlig weggeläugnet hätte; und wer weißt, ob er endlich nicht der Stifter einer neuen philosophischen Secte geworden wäre, von der sich nicht ohne Grund vermuthen läßt, daß sie, wegen ihrer besondern Bequemlichkeit die schwersten physicalischen und moralischen Problemata ohne die geringste Mühe aufzulösen, alle andere Secten der Dualisten, Materialisten, Pantheisten, Idealisten, Egoisten, Platoniker, Aristoteliker, Stoiker, Epicuräer, Nominalisten, Realisten, Occamisten, Abälardisten, Averroisten, Paracelsisten, Machiavellisten, Rosenkreuzer, Cartesianer, Spinozisten, Wolfianer und Crusianer; in kurzer Zeit verschlungen hätte.

Wir können nicht ohne Grauen und Erschütterung daran gedenken, was für verderbliche Folgen eine solche Philosophie in dem System der menschlichen Gesellschaft hätte nach sich ziehen können, da es in der That unmöglich scheint, daß der Grundsatz der nicht-Existenz weder mit irgend einer bekannten Religion, noch mit den eingeführten Gesetzen und Gewohnheiten der policirten Nationen in einen erträglichen Zusammenhang sollte gebracht werden können. Denn mit welchem Schein Rechtens könnte man von einem Menschen, der nicht ist, Zehenten, Opfer, oder Jura stolæ eintreiben, oder wie wäre es möglich, denjenigen eines Verbrechens zu überweisen, der dem Richter durch eine lange Demonstration in geometrischer Methode beweisen würde, daß er zu der Zeit, da er dieses oder jenes gethan haben solle, gar nicht einmal existirt habe?

Allein zum grösten Glück für die öffentliche Ruhe hatte Pedrillo nicht den geringsten Ansatz zur speculativen Philosophie; und an statt über seinen beschwerlichen Zustand lange zu räsonniren, ließ er sich nichts angelegener seyn, als wie er sich bald davon befreyen wolle. Sein Herr, dachte er, der in dieser Sache desto unpartheyischer sey, da er diese ganze Zeit über geschlafen habe, werde ihm am besten aus dem Wunder helfen können.

Ob und wie ferne Pedrillo hierinn richtig gedacht habe oder nicht, wollen wir dahin gestellt seyn lassen, indem uns eine nähere Untersuchung davon unfehlbar in den berühmten Streit über den Intellectum agentem und patientem verwickeln könnte, wozu wir uns dißmal um so weniger aufgelegt finden, als würklich der tiefsinnige Inhalt dieses Capitels unser Gehirn so sehr abgemattet hat, daß wir uns genöthiget sehen, mit Erlaubniß des großgünstigen Lesers eine Pause zu machen.


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