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Zwanzigster Abschnitt.


Der Buckel unterhält sich auch allein und sein Herzenswunsch wird erfüllt. Der Leser erfährt, welche von zwei Krähen die stärkere sei und wie der Buckel den Gescheiteren spielt.

 

Als der Buckel vor der Türe des berühmten Advokaten im Studierstädtlein für seine nutzlosen Dienste entlohnt und ihm bedeutet worden war, daß er fortan, so ihm seine Haut lieb sei, die mit betrübten Mienen heimkehrende Gesandtschaft zu meiden habe, entschloß er sich, auf des Schusters Rappen heimzukehren und seinen Grimm in den am Wege liegenden Wirtshäusern zu ertränken.

Und wie er dahinwandelte, vertrieb er sich die Zeit, so gut es ging, dadurch, daß er rastlos schnupfte, unermüdlich spuckte und alles, was ihm begegnen mochte, turmtief in den Erdboden hinein verfluchte.

Er fluchte über die Schottersteine, die friedfertig und geduldig auf dem Wege lagen, und über die Vögelein, die sich lebensselig in den Lüften wiegten; er warf im Geiste das ganze Studierstädtlein und mein Heimatstädtlein obendrauf in den Fluß, der sich zwischen himmelanragenden Felswänden und durch die schaurige Schlucht zwängt; er ließ den Bergsee ausbrechen und das lachende Walgauparadies sich in einen toten Sumpf verwandeln; er rief die Schweizer Eidgenossen über den Dreischwesternberg herüber, auf daß sie, wie ehemals in der blutigen Schlacht von Frastanz, den Vorarlbergern ihre Hellebarten und Morgensterne zu verkosten geben möchten; er zertrat jedes Käferlein, das geschäftig über den Weg huschen wollte; er köpfte mit seinem knopfreichen Schlehdornstocke jede Blume, die ihm in argloser Neugierde ihr unschuldiges Kinderantlitz zuwandte: kurz, der Buckel unterhielt sich auf seine Art ganz prächtig und bedurfte eigentlich zur gegenseitigen Wegkürzung kaum eines menschlichen Reisegefährten.

Also ärgerte er sich über alles, was da kroch und flog und Bein zur Erde bog, zumeist aber darüber, daß es ihm trotz seiner Verschmitztheit noch immer nicht gelingen wollte, ein wackeres Werkmensch und zwar gerade das Werkmensch, das er sich in den Kopf gesetzt hatte, als Weib und Sklavin in sein Häuslein zu führen, daß er sich genötigt sah, seine Felder durch teure, unersättliche Taglöhner zu bestellen, daß er vielfach selber zugreifen mußte, wenn nicht das ganze Anwesen den Krebsgang gehen sollte.

So kam er zum Hause des Löwenwirtes, das gar breit und behäbig an der Straße stand und dessen blumenduftendes Gärtlein gar eindringlich zu einem stärkenden Trunke einlud.

Der Buckel war nun eigentlich kein Geizhals; denn er gönnte, wenn schon sonst keinem Menschen auf der weiten Welt, so doch sich selber ein gutes Tröpflein, wie es beim Löwenwirte immer zu haben war.

Also trat er scheltend in den Garten, setzte sich abseits in eine schattige Laube, steckte seine lange Nase in den prickelnden Bierschaum und spitzte seine Ohren gegen die zahlreichen Gäste, die in der eifrigsten Unterhaltung begriffen waren und offenbar eine bedeutsame Sache verhandelten.

In jener Zeit hatte nämlich das Fabrikswesen im Ländlein einen derartigen Aufschwung genommen, daß der Arbeiter bald zu wenig wurden und es nötig schien, billige und ausreichende Arbeitskräfte anders woher zu beziehen. Da verfielen die Herren auf den Gedanken, die blutarmen Bewohner des italienischen Südtirols in den Fabriksbezirken ansässig zu machen und sie durch billige Arbeiterwohnungen an den Platz zu fesseln, und man versprach sich von diesem Unternehmen auch den Vorteil, in den Kindern und Kindeskindern der Einwanderer eine an Zahl stets wachsende Arbeiterbevölkerung zu erhalten.

Damals kamen eben die ersten fremden Familien ins Land, Söhne und Töchter eines südlicheren Himmels, braunhäutige, schwarzhaarige und schwarzäugige Menschen. Sie brachten welsche Sprache und welsche Sitte, welsche Unreinlichkeit und welsches Leben. Sie klapperten auf ihren Holzsandalen durch die Gassen der Fabriksorte und in die schönen Kirchen der Gemeinden. Sie sangen bis tief in die Nacht hinein ihre volltönenden, langgedehnten Weisen. Sie schrieen in den Wirtshäusern bei ihren Nationalspielen wie besessen, schlugen auf die Tische, daß die Gläser tanzten, und griffen wohl auch nach heimischer Gewohnheit hie und da ein wenig zum Messer.

All das behagte den erbgesessenen Bewohnern des seit Jahrhunderten deutschen Ländchens nicht im mindesten, und als im Laufe der Jahre ganze Ansiedelungen entstanden, so machte das den Urbewohnern wenig Freude und sie bezeichneten solche mitten in ihrem Gebiete liegenden italienischen Inseln spöttisch als Kleinvenedig und mieden nach Tunlichkeit den Umgang mit Leuten völlig entgegengesetzter Art und Lebensgewohnheit.

Damals aber waren, wie bereits berichtet wurde, eben die ersten welschen Familien ins Land gekommen und erregten das allgemeine Aufsehen und einen Unwillen, der sich in hitziger Rede und Gegenrede vor allem an den Wirtshaustischen Luft machte.

Und die Gäste im Garten des Löwenwirtes wußten nun gar noch zu berichten, eine alte Italienerin habe, kaum daß sie ins Ländlein gekommen sei, in der Lotterie mir nichts dir nichts den Haupttreffer gemacht und also den Einheimischen, was ihnen allein gebühren täte, vor der Nase weggeschnappt und den Quell leicht zu erringenden Reichtums für lange Zeit verstopft; denn, schrie ein Schuster, indem er beide Arme vom Bierkruge weg nach außen zog:

»Alle fünf Nummern hat sie erraten, die Hexe, die schwarze, und steinreich ist sie geworden, und die Lotterie hat sich völlig erschöpft, soviel hat sie auf einmal hergeben müssen!«

Darauf meckerte ein Schneiderlein, das gleich einem schwindsüchtigen Zwirnsfaden über den Tisch hinlag, wenigstens geizig sei die welsche Henne nicht gewesen; habe sie ja soeben, nachdem sie den Treffer eingesackt, auf der Heimfahrt nach Bludenz, wo sie hause, eine Zehnerbanknote auf den Tisch geworfen und allen Gästen die Zeche bezahlt, also daß er sich einmal gütlich tun könne, ohne in den eigenen Säckel greifen zu müssen.

»Mir scheint, Schneider, du bist verliebt in die alte Schlampe trotz ihres wohlgezählten halben Jahrhunderts, das sie auf dem Buckel hat, und wer weiß, ob's nicht einen Schick gibt? Ang'schaut wenigstens hat dich die Welsche mit ihren Kohlenaugen, als ob du ein Fernrohr wärest, so durch und durch, na, und wenn sie dich einmal hat, kann sie dich gleich um den kleinen Finger wickeln und einen Knopf machen, daß sie dich nicht verliert!«

So neckte – das Necken und Aufziehen und Hänseln und Spötteln und Foppen und Hohneckeln können meine Landsleute besser als der Spatz Kirschenessen, vorab die Montafoner – so neckte ein wandernder Maurer, der nach Frankreich zog und beim Löwenwirte die erste Rast machte, das Schneiderlein; doch dieses blickte träumerisch gen Himmel und seufzte:

»Ja, wenn sie hundert Jahr alt wär', könnt' man's wagen; aber mit fünfzig ist sie mir doch ein bißchen zu jung!«

Da lachte alles hellauf; nur der Buckel in der Geißblattlaube hatte keinen herzlichen Lacher im Vorrat. Er machte ein Gesicht gleich dem Reineke Fuchs, wenn dieser vor seiner Burg sitzt und Raubzüge plant. Er winkte endlich den Wirt herbei und erfuhr, es sei wirklich besagte glückliche Italienerin vor kaum einer halben Stunde in einer schönen Schese aus dem Studierstädtlein angefahren und es habe sich alles mit ihr zugetragen, was die Leute da erzählen täten. Sie sei auch gar vornehm mit blumigen Seidentüchlein, goldenen Ketten und Ohrgelenken behängt und habe etwas aufgehen lassen, wie nur reiche Leute tun könnten. Im übrigen habe er aus ihrem Mischmasch von Welsch und Deutsch entnommen, daß sie eine Witwe sei und ihren Mann schon vor mehreren Jahren verloren habe, und deswegen habe sie trotz ihres Narrenglückes, dieweil sie so ganz allein in der Welt stehe und nun auch keinen Fabriksarbeiter mehr heiraten könne, vernehmlich geseufzt.

Da fühlte der Fuchsbuckel, dem wir bisher Unrecht getan haben, mit der alleinstehenden italienischen Witwe inniges Mitleid und als ein Mann, der vom Entschlusse rasch zur Tat zu schreiten pflegte, mietete er vom Wirte ein Wägelchen mit zwei feurigen Rossen und fuhr der trefflichen Dame auf der sich weithinziehenden Straße nach, daß die Funken davon stoben und kein Fußgänger die Speichen der Räder wahrzunehmen vermochte.

Und richtig holte der Adam die steinreiche und stark mittelalterliche Dame noch vor dem nächsten Dorfe ein und knüpfte mit derselben von seinem Wagen aus ein Gespräch an, wobei ihm die paar italienischen Brocken, die er an der Studierschule aufgeschnappt hatte, bestens zu statten kamen. Nach kurzem Geplänkel schickte er seinen Wagen zurück und nahm an der Seite des holden Wesens Platz, das ihm ein ungeahntes, aber wohlverdientes Glück bringen sollte.

Das Gespräch steuerte, dank der Zuvorkommenheit der fremden Dame, gleich einem seetüchtigen Schiffe mit vollen Segeln auf das gewünschte Ziel los. Der Adam erzählte des langen und breiten von seinen Besitzungen und wie er halt eben auch ein Herz, cuore, habe, und die Dame war der Ansicht, das viele, viele Geld, das sie nun habe, sei zwar allerdings eine schöne Sache, una cosa molto bella, aber, ma, die Liebe, l'amor, sei ein Ding über alle Dinge, bellissima cosa oder dergleichen.

Der Buckel war überfroh, in seinen alten Tagen noch so einen alten Narren gefunden zu haben, und als sich nun im Verlaufe des Treffens gar herausstellte, daß die Italienerin den Namen Evelina führe, so schlug das dem Fasse den Boden vollends aus. Der Adam bekam trotz seiner Jahre romantische Anwandlungen, pries mit viel schönen Reden die Blitzaugen und die ölgetränkten Haare der alten Schachtel, erklärte mit vielem Eifer und bedeutenden Fortschritten in der italienischen Sprache, daß er allweil für eine Eva, oder, was noch viel schöner klinge, für eine Evelina geschwärmt habe, und raffte sich, als der Wagen am Zollhäuslein vor dem Städtlein vorbeifuhr, zu einer förmlichen Werbung auf, die so beifällig aufgenommen wurde, daß der Buckel am selbigen Abend mit dem Bewußtsein des römischen Feldherrn Julius Cäsar in seine Schlucht gehen und seinen lieben Rangen eine nigelnagelneue Mutter ankündigen konnte.

Und die »Liebe« der beiden war so groß, daß man nicht zu sagen wußte, wer es eiliger hatte, in aller Form rechtens von der Kanzel heruntergeworfen zu werden und die Sache in Richtigkeit zu bringen.

Und es fand eine glänzende Hochzeit statt, wie es selten eine geben mochte im ländlichen Bergdorfe, und die Buben des Buckels zeigten bei der Festtafel ihre besten Künste, und dann ... ja dann, als der Buckel das große Vermögen seiner reizenden Gattin sicherstellen und in den Brutofen einer Sparkasse legen wollte, da grinste die alte Evelina, bohrte ihrem Manne einen Esel und sprach achselzuckend:

Carissimo Adamello, non ho niente ... nichtsen ... alles futsch!«

Ja, da stellte es sich heraus, daß die teure Evelina allerdings tausend Gulden in der Lotterie gewonnen und mit denselben solange geflunkert hatte, bis die einander würdigen Wesen aneinandergekettet waren; da jedoch der Adamello selber ein schönes Anwesen besaß, hielt Evelina ihre Liebe, l'amor, für das angemessenste Heiratsgut und schenkte am Hochzeitstage ihren letzten Gulden in großmütiger Weise dem Mesner des Dorfkirchleins.

Was konnte sie auch dafür, daß die Leute an ihren dahinschmelzenden Tausender allfort Nullen anhängten und den Frosch aufbliesen, bis er zum Luftballon wurde! Was ging es sie an, daß die Leute den ruinierten und bankerotten Staat bereits zu bemitleiden anhuben!

Aber ganz mit leeren Händen wollte sie doch nicht in das traute Heim ihres Gatten ziehen, und also hatte sie schon vorzeitig dafür gesorgt, daß ihre Mitgift früh genug eintreffe.

Am Tage nach der Hochzeit kamen aus dem fernen Welschland sechs braune, halbnackte Italienerburschen und liefen mit gebundener Marschrichtung, ohne nach rechts oder links abzuweichen, geradeaus der Schlucht zu und machten sich's im Häuslein des Buckels bequem und schnitten freudige Grimassen und umtanzten den carissimo padre, den herzallerliebsten neuen Vater wie die Indianer das an den Marterpfahl gefesselte Opfer.

Die Wut des betrogenen Adamello war unbeschreiblich!

Wie er jedoch der neuen Gemahlin die Behandlung angedeihen lassen wollte, die bei seinem ersten Weibe Wunder gewirkt hatte, da fand er zu seiner Überraschung, daß Evelina nach dem Dezimalsystem zu rechnen verstand; denn kaum hatte er die ersten Flüche ausgestoßen und seine Rechte nach der Hundspeitsche ausgestreckt, da hatte er auch schon zehn wohlgespitzte Fingernägel im Gesichte und die arbeiteten so eifrig wie der Maulwurf, wenn er sich in seinem Jagdbezirke zu fetten Engerlingen die Wege bahnt. Und die sechs schmierigen Italienerburschen machten sich eilfertig über ihre Stiefbrüder her, schlugen sie braun und blau und warfen sie vor die Türe des Häusleins, und kaum lagen die Söhne draußen, da flog ihnen auch schon der liebende Vater nach, von den sehnigen Armen der welschen Teufelin geschwungen, und hatte nun Zeit genug, sein verfehltes Dasein aufs neue zu verfluchen.

Also gab es des Zankes und Haders beim Schluchtenbuckel von nun an wieder genug, nur daß der Buckel in allem den kürzeren Halm zog und so reichlich büßte, was er an seinem ersten Weibe und an der Eva verbrochen hatte.

Nicht alle Sprichwörter sind Wahrwörter, auch das nicht, daß eine Krähe der andern kein Auge aushacke.

Der Buckel hatte jetzt den Teufel im Hause und keiner war, der ihn beschwor und in den Bergsee bannte; denn alle Leute gönnten ihm sein Unglück und erblickten in seinem Mißgeschicke das Walten einer höheren Gerechtigkeit, die dem Verbrecher das Netz webt, in dem er sich früher oder später fangen muß.

Als aber der Buckel gegen seine Leiden in Europa keine Hilfe mehr zu finden hoffte und bei der Trägheit und Verschwendungssucht seiner Evelina in kurzer Zeit um sein Hab und Gut zu kommen fürchtete, raffte er heimlich zusammen, was er erraffen konnte, und eines schönen Morgens war er samt seinen leibeigenen Buben verschwunden ... auf Nimmerwiedersehen!

Es ging das Gerade, es flute zwischen dem teuern, ehrenwerten Adamello und der sehr teuern Evelina das Weltmeer. Gewisses hat man nie erfahren können.

Die Evelina aber und ihre sechs süßen Kindlein räumten mit den noch vorhandenen Habseligkeiten schnellstens auf.

Dann gingen sie alle fleißig in die Fabrik mit den tausend Fenstern, aßen Käse und Polenta, brüllten mit dem Wildbache um die Wette ihre heimischen Weisen, und man hat sie nie über ihr Schicksal klagen gehört.


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