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Dritter Abschnitt.


Handelt von einem Kindsmägdlein, einem Soldaten und einem Schuster und zeigt, wie auf Leid auch Freude folgen kann.

 

Wenn mich ein grämlicher Leser am Schlusse des vorigen Abschnittes einen Protzen schilt, der mit den Taten und Tugenden seiner Verwandten groß tue, ohne selbst etwas geleistet zu haben, dem entgegne ich schnurstracks: Ja, was kann denn ein eintägiger kleiner Muck, der mit gebrochenem und eingebretteltem Füßlein in der Wiege liegt, für bedeutende Werke zu Tage fördern?

Damals machten mir meine leiblichen Gebresten soviel bittere Kümmernis, daß ich keine weiteren ehrgeizigen Pläne schmieden konnte; ja ich dachte nicht einmal im Traume daran, dereinst meine eigene Lebensgeschichte zu schreiben, geschweige denn die Geschichten anderer Leute.

Damals trank und aß ich, wie es mir geboten wurde, und die Folgen dieser jedenfalls bedeutenden Tätigkeit zeigten sich bald, indem das Körperlein dem Kürbiskopfe nacheilte und das Füßlein sich nach und nach anheilte.

Aber was sein soll, schickt sich wohl oder auch übel, und wenn's bestimmt ist, kann man seinen Fuß selbst im Bette verstauchen, wie der Kürschner Hasenzagel, Vergleiche in dem Volksbuche »Aus der Mappe eines Volksfreundes« die Erzählung »Der Kürschner Hasenzagel verstaucht sich einen Fuß.« oder ihn in den Armen eines Dienstmädchens brechen, wie ich unseligen Andenkens.

Weil ich nämlich in meinem jungen Leiden viel schrie und die Mutter fortwährend kränkelte, hatten wir uns ein Kindsmädchen eingetan, das meiner warten mußte.

Die Magd war wohl nicht zu beneiden; denn:

»Wer nie ein schreiend Kind umfing,
Wer nie die ewiglangen Nächte
Am Bette auf und nieder ging,
Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte!«

Deswegen trug sie mich an schönen Wintertagen oder im kommenden Frühjahre häufig im Freien herum, wo ich der vielfachen Sinneseindrücke halber leichter zu geschweigen war und in der kräftigen Luft bald einschlief.

Nun hatte das Städtlein damals eine Besatzung und daß unter den vielen Soldaten einer unseres Mägdleins Bruder war, ist ebenso natürlich, wie daß die beiden des öftern zusammen kamen und über ihre Eltern, Geschwister und Ortsbekannte eines plauderten.

Weniger natürlich aber war es, daß diese Geschwister in ihrer allzugroßen Anhänglichkeit an die liebe Heimat meiner eines Tages völlig vergaßen, so daß ich von den Armen der nachlässigen Wärterin zu Boden stürzte und mein Füßlein abermals entzweibrach.

Die pflichtvergessene Magd wurde entlassen, der Soldat mußte, weil die Sache im Städtlein viel bejammert wurde und so dem gestrengen Herrn Obersten zu Ohren kam, die barbarische Strafe des Spießrutenlaufens erdulden und wurde, nachdem man ihm den zerfleischten Rücken mit Salz eingerieben hatte, hinter Schloß und Riegel gesetzt; meinem Fuße aber brachte all das wenig Vorteil.

Er mußte ein zweitesmal eingerichtet werden, ich blieb andern Kindern gegenüber ein Kümmerling und als ich endlich zu rutschen anfing und mich an den Händen einer Hüterin oder an den Wänden der Stube aufzurichten begann, da erwies sich der Unglücksfuß um ein gut Teil kürzer und es war vorauszusehen, daß ich ein armer Krüppel bleiben würde Zeit meines Lebens.

Also ward eines Tages im Schneckenhause des Großvaters in der Mühlgasse Familienrat gehalten.

Der Großvater war indes bereits gestorben; der Mittelpunkt, um den sich nun alles in selbstloser Liebe drehte, war das kleine, dürre Großmütterlein.

Nur einer, der gleich seinem Vater Ignaz hieß und der älteste war, hatte in anerkennenswerter Unternehmungslust und in der Hoffnung, es anderswo eher auf einen grünen Zweig zu bringen, dem ganzen schönen Europa schon im Jahre meiner Geburt Lebewohl gesagt und war, von groß und klein angestaunt und bewundert, nach Amerika ausgewandert.

Wenn ich nicht irre, dürfte er beinahe der erste Auswanderer aus meinem Heimatsstädtchen gewesen sein.

Eine Reise nach Amerika wurde aber in jenen Jahren beinahe einer Reise in den Tod gleichgeachtet.

Man erzählte sich viele fabelhafte Dinge von den Reichtümern, die man dort gleichsam aus der Erde schaufeln oder aus dem Wasser sieben könne, aber auch von den Mördern, die dem glücklichen Goldfinder an allen Ecken und Enden auflauern und ihn um Gut und Leben bringen, von den gewaltigen Urwäldern, die man von der Regierung um einen Pappenstiel oder gar geschenkt bekomme, die man aber unter schrecklichen Mühen roden und urbar machen müsse, von der unerhörten Fruchtbarkeit des jungfräulichen Bodens, aber auch von den Klapperschlangen, die im Grase liegen und einen tot beißen, und von den roten Indianern, die im Busche hocken und einem bei lebendigem Leibe die Kopfhaut abziehen.

Und beschwerlich war schon die Reise an und für sich.

Die Überfahrt nahm unter den günstigsten Umständen immerhin eine Zeit von drei und mehr Wochen in Anspruch, da sich der arme Auswanderer gewöhnlich des Segelschiffes bediente, das von Wind und Wetter abhing und den Stürmen des Ozeans keinen Widerstand zu leisten vermochte.

Auch die Leiden der Seekrankheit vergrößerten sich im Munde der Leute und so traf der Auswanderer, ehe er sich dem Vermittler überließ, alle Anordnungen, als ob er den schweren Schritt ins Jenseits zu machen hätte.

Er empfing andächtig die heiligen Sakramente, schrieb sein Testament und schied unter den Tränen der Freundschaft, die auf Erden kein Wiedersehen mehr erhoffte.

Mit dem Testamente war übrigens Vetter Ignaz bald im reinen; denn wo nichts ist, hat der Kaiser bekanntlich sein Recht verloren.

Das Reisegeld hatte man bei einem Kaufmanne ausborgen müssen gegen das Versprechen, daß die zurückbleibende Familie es abverdienen werde, und so hinterließ der Wanderer nur ein Schriftstück des Inhaltes, daß er für sein Erbe durch das Reisegeld entschädigt sei und daß er auf seinen Anteil am Schneckenhause und den paar Äckerlein Verzicht leiste.

Also war der Ignaz bereits über alle Berge und tat im fernen Amerika Taglöhnerdienste und sparte sich die künftige Farm vom Munde ab.

In der großen Stube aber hatte der Schuster Lorenz seine Werkstatt aufgeschlagen. Da saß er auf seinem Dreibeine und tauchte das Sohlleder in einen Wasserkübel und klopfte es auf einem großen Steine weich.

In einer Fensternische surrte und ächzte das Spulrad der Großmutter, und wenn das Weiblein den Faden verloren hatte, der auf die Holzspule gedreht werden mußte, dann griff es in ein Tröglein nebenan. Darin ruhten gedörrte Langbirnen, die halt gar so viel gutes Blut machen sollen, und darum naschte das Weiblein mit dem zahnlosen Munde gerne an dem süßen und billigen Heilmittel und steckte Nase und Hornbrille völlig in den aufgespannten Garnsträhn, worin das boshafte Fadenende Versteckens spielte.

Mein Vater und meine Mutter saßen auf der Ofenbank nahe der warmen »Kunst«, keines müßig. Der Vater schlug eifrig Feuer, legte den glimmenden Zunder auf die gestopfte Pfeife und zog machtvoll; denn ihn erfüllten ernste Gedanken. Die Mutter strickte langsam, denn sie war engbrüstig, aber stetig, denn es gab in ihrem Schneckenhause nicht wenig Füße, und die wollten, im Winter wenigstens, alle überzogen sein.

Auch die Eva war mit im Rate; denn seit des Großvaters Tode und des ältesten Bruders Abreise war sie zum Hausverwalter und verantwortlichen Finanzminister ernannt worden. Demgemäß hatte sie den Webekeller verlassen und wirtschaftete nun in Küche und Stall und betreute das Mütterlein und lief mit Haue und Schaufel aufs Brachfeld, mit Gabel und Rechen und Sense auf den Wiesengrund und sammelte den Wochenlohn bei Heller und Pfennig (nur den Buben ließ sie ein Tabakgeld) und hielt in ihrem klaren Kopfe das Gleichgewicht zwischen Verdienst und Verbrauch.

Jetzt war sie mit sorgsamen Händen hinter mir drein.

Ich hing nämlich mit meinen Händlein an der Ofenbank, im purpurroten, schwarzgeränderten Wollröcklein, den Zulp, den guten süßen Zulp, im Munde. Und ich zeigte meine Künste, indem ich an dem freien Teile der Bank hin und her humpelte, wobei die Ferse meines Unglücksfußes in ihrem Hochmute vom Stubenboden, obschon er sauber gescheuert und mit blinkendem Fegsande beworfen war, nicht das geringste wissen wollte.

Also fielen meine Marschübungen sehr bedenklich aus und die Eva hielt in beständiger Furcht vor einem dritten Falle ihre schützenden Arme gegen mich und ging gleichfalls, als sei sie mein Schatten, an der Ofenbank hin und her.

Und die Großmutter eröffnete die Sitzung mit einem tiefen Seufzer und der lautete:

»O, Du mein lieber Gott, das Beste wär's wohl, Du hättest zu wenig Engelein im Himmel und tätest das Josefle holen!«

Auf das hin schluchzte meine Mutter vernehmlich und brachte unter Tränen heraus, wie daß sie mich halt doch gern habe und gern hätte, selbst wenn ich ohne Hände und Füße zur Welt gekommen wäre. Darum sei ihr ein krummes Büblein tausendmal lieber als gar keines und mit einem krummen Engel sei dem lieben Herrgott ja so nicht geholfen.

Jetzt konnte die Eva die zwei Flügeltürlein ihres Redehauses nicht mehr länger zuhalten; denn in himmlischen Dingen war sie beinahe so gut bewandert wie der Pfarrer samt seinem geistlichen Helfer und seinem weltlichen Mesner.

Wenn ich früher erwähnt habe, daß die Religion der mächtigste Hebel im Volksleben meiner Heimat sei, so muß ich dies in bezug auf die Base Eva noch ganz besonders hervorheben.

Ihr der herzinnigsten Freude wie dem dumpfesten Schmerze beinahe gleich zugängliches Gemüt fand in den Lehren unserer Kirche der Anregung übergenug, ihre von Natur aus lebendige Vorstellungskraft übte sich im Glanze der kirchlichen Handlungen und Feierlichkeiten, an den Erzählungen der Bibel, an den frommen Betrachtungen des ehrwürdigen Cochem und der verzückten Katharina Emmerich sowie an dem Leben der Altväter und anderer Gottesheiligen, und so ward sie selber zur Dichterin, ohne daß sie's ahnte.

Also gab sie sich von frühen Jahren mit all der Kindlichkeit einer reinen Seele in die Arme der Kirche, ihr Herz ward durchglüht von der Liebe zu Gott und durchzittert von der Furcht vor der Sünde, die sich in Stunden der Trostlosigkeit zuweilen bis zu einer krankhaften Verzagtheit und Höllenangst steigerte.

Im Hause des Herrn zu weilen, und, in Gebet und Betrachtung versunken, der Zeitlichkeit enthoben zu sein, war ihr schönstes Glück.

In dieser Geistesrichtung wurde sie noch durch fromme Kapuzinermönche bestärkt, die, dem Willen ihres Stifters gemäß, das Reich Gottes vorab den Armen predigten, allwöchentlich Mägde und Knechte, Fabriklerinnen und Fabrikler und andere zu besonderer Stunde in ihrem Kirchlein versammelten und sie als in der Welt lebende Mitglieder ihres Ordens zu allen christlichen Tugenden, besonders aber zur freiwilligen Abkehr von den rohen und lärmenden Vergnügungen, zu mannigfacher Entsagung und zu bußfertiger Gesinnung sowie zu den Werken der christlichen Barmherzigkeit anleiteten.

Nun ist nicht zu leugnen, daß etwelche der frommen Seelen, unter denen das weibliche Geschlecht am zahlreichsten vertreten war, das Wesen der Gottinnigkeit hauptsächlich in äußerlichen Andachtsübungen erblickten, des Gebetes Tag und Nacht nie genug bekamen, von einer Kirche in die andere liefen, sich an allen Wallfahrtsorten herumtrieben, dabei aber mit ihren Schwertzungen an keinem Menschen ein gutes Haar ließen, obschon sie selber ihre häuslichen Pflichten gröblich vernachlässigten und ihren Angehörigen nicht die geringste Pflege zuwandten.

Dieser Sippe, die als »Betschwestern« mit Recht verachtet waren, gehörte die Base Eva mit nichten an.

Im Gegenteile verwies sie alle Kirchenläuferinnen auf die Besorgung des Hauswesens oder anderer Arbeiten und kniete selber nur in den frühesten Morgenstunden oder spät am Abend, wenn die weltlicher Gesinnten schliefen oder dem Vergnügen nachgingen, vor dem Altare mit seinem geheimnisvollen Lichtschimmer. Und es rühmten's der Eva alle, selbst die Lauen und Lässigen, nach, sie sei ein wackeres Mädchen, ein gehöriges »Werkmensch«, das für zwei schaffe in Haus und Feld.

Nicht übergehen will ich ferner, daß sich die Eva allfort sehnte, ihr Leben Gott in einem Kloster gänzlich zu weihen; aber es zeugt wiederum von ihrer richtigen Erfassung der christlichen Lehre, daß das Ziel ihrer Wünsche der Orden der barmherzigen Schwestern war, die ihr Leben in aufopfernder Krankenpflege verbringen. Sie hatte auch gegründete Hoffnung, daß sich dieser Wunsch erfüllen würde; denn eine ihrer Jugendfreundinnen trug schon längst das Ordenskleid und hatte ihre Aufnahme durchzusetzen versprochen.

Die Eva verlangte aber nicht, daß alle ihre Mitmenschen über den gleichen Leisten geschlagen sein sollten; sie war duldsam und pflegte zu sagen, unser Herrgott habe allerlei Kostgänger und es wäre langweilig im Himmel, wenn lauter Mönche und Nonnen auf den goldenen Stühlen säßen.

Während nun die kleine Senza sich ihren Neigungen willig anschloß, war meine Mutter anderen Sinnes.

Einmal, als diese noch ledig war, erläuterte die gute Eva in glänzender, verlockender Schilderung die Seligkeit jener, die jungfräulich durchs Leben gewandelt seien. »Im himmlischen Jerusalem«, erzählte sie, »gehen diese in schneeweißen Kleidern, Rosenkränze auf den Häuptern und wunderschöne Blumensträuße in den Händen, paarweise unmittelbar hinter dem Lamme einher und singen ein Lied, das niemand singen kann; die Verheirateten aber kommen in schwarzen Kitteln nachgezottelt und dürfen nur zuhören aus Gnad' und Barmherzigkeit.«

Da schaute die Katharina eine Weile nachdenklich gegen das Fenster, und wie von der Gasse einer heraufgrüßte, den sie kannte, da sagte sie plötzlich:

»Weißt was, Eva? Ich hör' lieber zu!«

Aber die enttäuschte Eva hat es meiner Mutter nicht nachgetragen, daß sie im himmlischen Jerusalem lieber zuhören wollte; das wird der Verlauf dieser Geschichte zur Genüge beweisen. – Also war die Eva in himmlischen Dingen hinlänglich bewandert und darum sprangen ihr die Worte nur so von den Lippen weg, wie sie vernehmen mußte, der liebe Gott könne krumme Engel so wie so nicht brauchen.

»Jetzt sei mir nur gleich still, du Närrisch«, rief sie und schupfte mich auf ihre Arme; »weißt du denn nicht, daß die Engel Flügel haben und keinen Schritt zu gehen brauchen? Hast du denn nicht in der Kirche gesehen, wie die kleinsten von ihnen gar keine Leiblein haben, sondern nur herzliebe Krausköpfe und doch lustig herumflattern?

Also könnte das Josefle gleichwohl ein ganz gutes Engelein werden, und wenn man bedenkt, welche Gnade das ist und welches Glück und wie das arme Kind von all dem Elend erlöst würde, das seiner vielleicht wartet, und wie die Familie einen Fürbitter im Himmel hätt', so möcht' man's ihm fast wünschen!

Aber gleichwohl mag der Wille Gottes geschehen und ich hoffe fast, der Josef wird vielleicht doch ein guter Geistlicher und bekehrt viele Seelen, und im langen Talare kann man auch seine Krummheit weniger sehen.

Schaut, ich trage ihn an Sonntagen und an Feiertagen allweil herum und gehe mit ihm in die Spitalkirche und zu den Kapuzinern, auf den Friedhof und ins Frauenkloster und, ihr mögt mir's glauben oder nicht, wo er einen Kirchturm sieht, da streckt er sein Zeigfingerlein aus und wundert sich, und in der Kirche tut er keinen Muckser, ich mag noch so lange beten.

Man liest allerlei in der Legende, und so mag sich noch alles zum Guten wenden, so groß auch das Unglück sein tut.«

So sagte die Eva und gab mir ein Bildlein aus ihrem Ordensbuche, einen schön gemalten heiligen Josef, den ich eifrig küßte, und der Vater mußte wahrhaftig ein wenig auf den Stockzähnen lächeln, bevor er mit seiner Meinung herausrückte.

Diese lautete dahin, es solle der Lorenz dem Büblein jetzt Schuhe machen und zwar für das kurze Füßlein einen längeren Absatz, also daß das Kind wenigstens einen festen Auftritt habe und das Gehen erlerne, ohne stets aller Bänke und Stühle zu benötigen.

Da warf der Vetter Schuster seinen Hammer in eine Ecke, fuhr von seinem Dreibein kerzengerade in die Höhe und tat eine zornige Rede, als ob er ein Rechtshelfer oder ein Staatsanwalt wäre.

»Jetzt weiß ich nicht«, schnauzte er, »welches eigentlich, mit Respekt zu melden, das Dümmste ist von euch allen, wie ihr da seid!

Wollt ihr also wirklich, daß das arme Büblein ein Krüppel bleibe? Und das wird es, wenn man den Fuß stützt, so gewiß wie der Kürbis, wenn man ihn unterbindet. Und also macht ihm der Schuster Lorenz kein höheres Stöcklein, sondern alle beide hübsch gleich, als ob das Büblein so gerad wär, wie der Baron aus dem Schloß, der ein tannenschlanker, blutjunger Offizier ist. Vielleicht streckt und dehnt sich dann das Gliedlein und mag's ermachen und gewinnt den Boden, und aus ist's mit dem Krüppel – sagt, ich hab's g'sagt!«

Dieser Vorschlag leuchtete nun den Beratern so gut ein, daß mein Vater den seinigen regelrecht zurückzog.

So geschah denn des Schusters Wille und richtig erwies sich das Dreibein wie seinerzeit das der berühmten Wahrsagerin Pythia zu Delphi als ein guter Prophetensitz.

Wenigstens sieht mir heute kein Mensch an, daß ich einmal ein verkrüppeltes Bäumlein gewesen, und mit meinem goldig glänzenden Beamtensäbel, den ich nebst der Feder zu führen verpflichtet bin, stolziere ich euch einher trotz einem!

Daraus folgt: Man muß der Natur auch ein wenig vertrauen und sie gewähren lassen. Sie hilft sich oft selber, wo man's gar nicht vermutet. Eine Stütze aber ist nicht immer eine Hilfe, wie man's auch bei dem Studenten beobachten kann, dem der Hauslehrer die Aufgaben macht und der am Ende doch durchpurzelt, trotz des gelehrten Stöckleins, das ihm die allzubesorgten Eltern untergeschoben haben.


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